2
Um 6.15 Uhr klopfte ich leise an seiner Tür. Ich lauschte und zählte bis drei – keine Reaktion. Vorsichtig drückte ich die Klinke nach unten und betrat sein Zimmer. Lars schlief noch. Aus seinem Laptop, der neben dem Bett auf einem kleinen Hocker stand, kam Musik. Nicht sehr laut, aber wenn man ganz ruhig war, konnte man sie gut hören.
»Lars?«, flüsterte ich in seine Richtung. Nichts. Ich ging zwei Schritte auf ihn zu und drückte sachte gegen das Bein, das halb aus dem Bett hing. Jetzt bewegte er sich und grummelte, und ich sagte: »Aufstehen.«
»Jetzt schon?«
»Ja.«
»Fuck!«
Ich antwortete nichts und setzte mich an den Rand seines Bettes. Auf dem Boden lagen zwei Bücher, sein Handy (ein ganz altes) und seine Klamotten von gestern. Ich sah aus dem Fenster, und es war noch ganz dämmrig. Ich wollte so gerne, dass der Tag endlich begann, aber dafür musste Lars erst aufstehen. Ich brauchte ihn ja dazu. Für einen Moment hatte ich Sorge, dass er nicht mit in die Schule kommen würde.
»Bist du noch sehr müde?«, fragte ich.
»Wonach sieht’s denn aus?«, nuschelte er.
»Also, ich bin morgens nie müde«, sagte ich.
»Hmm, schön für dich.«
»Mama möchte wissen, ob du zum Frühstück Kaffee oder Tee trinkst.«
»Espresso.«
»Okay.«
»Lässt du mich noch fünf Minuten schlafen?«
»Okay.«
Ich überlegte, ob ich solange hier sitzen bleiben durfte. Aber ich musste Mama ja sagen, dass er einen Espresso möchte. Und ich war noch im Schlafanzug. Ich wollte trotzdem nicht gehen. Ich blieb sitzen. Dann wurde mir langweilig, und ich ging doch. Mama stand in der Küche und hatte für Lars und mich vier halbe Käsebrote geschmiert. Ich verstaute alles in meiner Tasche. Die würden wir später zusammen essen, am besten in der Pausenhalle, wo uns alle sehen konnten. Aber erst mal musste er aufstehen. Ich ging zurück in sein Zimmer und sagte: »So, die Zeit ist rum. Du musst jetzt ins Bad, sonst verpassen wir den Bus. Und Mama hat keinen Espresso. Ist das schlimm?«
Wie von einem Blitz getroffen, sprang Lars aus dem Bett und machte eine Bewegung, als ob er surfen würde. Ganz kurz, wirklich nur ganz kurz, musste ich an die hohen Wellen und das Meer in Südafrika denken. Dann grinste er mich an und sagte: »Ach, kein Problem. Ich gehe schnell duschen, und dann rocken wir die Show!«
Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach, aber es fühlte sich gut an. Er ging ins Bad, ich in mein Zimmer und fünfzehn Minuten später trafen wir uns in der Küche.
»Guten Morgen, Debbie«, sagte er zu Mama und Mama fragte ihn, ob er gut geschlafen habe.
»Ach, na ja, ich habe einen ziemlich chaotischen Schlafrhythmus. Normalerweise würde ich mich jetzt umdrehen und bis mittags weiterschlafen.«
»Du Faultier«, lachte ich.
Mama lachte auch.
»Da hast du vollkommen recht, Daniel. Ich bin wirklich ein Faultier. Hast du gewusst, dass Faultiere zwanzig Stunden am Tag schlafen?«
»Wird denen nicht langweilig?«
»Im Gegenteil«, sagte Lars und schüttete einen großen Haufen Zucker in seine Tasse. »Das Faultier ist der Buddha der Tierwelt. Die sind so entspannt, dass selbst Raubtiere einfach an ihnen vorbeigehen, ohne sie zu fressen. Ich hab mal gesehen, wie eine riesige Anakonda um ein Faultier herumgeschlichen ist, weil sie dachte, es sei ein Stein. Faultiere überleben, weil sie den ganzen Tag nichts tun. Je weniger, desto besser.«
»Möchtest du von meinen Chips essen?«, fragte ich, weil ich noch eine Packung in meinem Zimmer hatte und sie mit Lars teilen wollte.
»Zum Frühstück?«
»Ja.«
»Nein, danke.«
Mama ging lachend aus der Küche, und Lars schüttete schnell seinen Kaffee ins Waschbecken. Ich machte große Augen und wollte schon nach Mama rufen, um ihn zu verpetzen, aber als er den Zeigefinger vor seinen Mund hielt und »psssst« sagte, atmete ich wieder aus und kicherte nur in mich hinein. Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte, denn normalerweise erzähle ich Mama ja alles. Ich kann nicht anders. Das steckt ganz tief in mir drin. Selbst wenn ich mich konzentriere, platzt es meistens einfach so aus mir heraus.
»Der Kaffee deiner Mutter schmeckt grauenvoll«, lachte Lars, »aber verrate mich nicht, okay?«
»Okay«, versprach ich, und wir klatschten uns ab.
Als Mama mir die Schuhe zuband, freute ich mich so sehr, dass ich sie in den Arm nahm und ihr sagte, wie lieb ich sie hatte. Es war so aufregend: Lars und ich hatten unser erstes Geheimnis. Das Gefühl war so schön, dass ich die ganze Welt umarmen wollte, aber da gerade nur Mama da war, musste sie daran glauben. Ich zog meine schwarze Jacke an, weil Lars auch mit seiner schwarzen Jacke aus dem Zimmer kam. Er trug eine schwarze Mütze, und ich kramte schnell in meinen Schubladen, um nach meiner schwarzen Wintermütze zu suchen. Mama gab Lars meine Tasche mit der Sauerstoffflasche.
»In eurem Partnerlook seht ihr wie Brüder aus, wisst ihr das?«, rief sie uns hinterher.
Das machte mich stolz.
An der Bushaltestelle setzten wir uns auf die Bank und machten um 7.10 Uhr unser erstes gemeinsames Foto. Ich weiß das so genau, weil wir fünf Minuten zu früh waren, und Lars unbedingt Quatschfotos schießen wollte, mit Grimassen und so. Das war lustig, und zwei ältere Frauen sahen uns an, als wären wir matsche in der Birne. Zuerst war es mir etwas peinlich, aber dann sagte Lars, dass das Leben mit Quatschsalat viel mehr Spaß machen würde als ohne. Dann kam auch schon der Bus. Ich zeigte dem Fahrer meinen Behindertenausweis, und Lars durfte mitfahren, ohne etwas zu bezahlen. Ich bin zu einhundert Prozent schwerbehindert, weswegen ich immer einen Erwachsenen mitnehmen darf. Meistens ist das Mama. Eigentlich immer, weil es ja sonst niemanden gibt. Während der Fahrt sprachen wir nicht viel, denn Lars war noch sehr müde, und ihm fielen ständig die Augen zu, aber ich war trotzdem froh, weil die Leute im Bus auch so merkten, dass wir zusammen gehörten. Als wir vierzehn Stationen später ausstiegen, fragte mich Lars, wie weit wir bis zur Schule laufen müssten, und ich antwortete: »Nicht so weit.«
Vor dem Eingangsbereich der Schule parkten wie immer etliche Transporter vom Roten Kreuz und den Johannitern eng nebeneinander. Ein Rollifahrer nach dem anderen wurde abgeliefert. Normalerweise sitze ich auch in einem dieser Wagen, aber weil Lars da war, durften wir den Linienbus nehmen.
»Kann ich dir was sagen, ohne dass du lachst?«, fragte ich Lars, als wir auf den Aufzug warteten, um in mein Klassenzimmer zu kommen.
»Warum sollte ich lachen?«
»Weiß nicht.«
»Schieß los!«
»Ich habe noch nie die Schule geschwänzt.«
»Du hast WAS noch nie?«
»Noch nie die Schule geschwänzt.«
Der Aufzug kam, und wir stiegen ein. Dann stiegen wir wieder aus.
»Mach dir darüber keine Sorgen«, sagte Lars nachdenklich. »Da wird mir schon was einfallen.«
»Echt?«
»Na ja, das ist zwar nicht so einfach, weil die Lehrer sofort bei deiner Mutter anrufen würden, aber ich verspreche dir, dass wir das schon irgendwie hinkriegen. Wir brauchen nur den richtigen Plan. So wie das A-Team.«
»Geil.«
»So, und jetzt stellst du mich deiner Lehrerin vor.«
Bevor die Stunde begann, trank Lars mit Frau Sommer und Frau Wiebke im Aufenthaltsraum unseres Klassenzimmers einen Kaffee. Thomas, unser Zivi, fragte mich, wen ich da mitgebracht hätte, und ich antwortete so laut, dass es auch ja alle verstehen konnten: »Lars ist MEIN cooler großer Bruder aus Berlin!« Ich konnte die neidischen Blicke meiner Klassenkameraden spüren und grinste in mich hinein. Damit hatten sie nicht gerechnet. Ab sofort war Lars mein Beschützer, und niemand würde mir mehr etwas tun. Ich glaube, Frau Sommer mochte Lars, denn als der Gong zur ersten Stunde ertönte, redeten sie immer noch. Dann stellte sie Lars der ganzen Klasse vor und fragte ihn, ob er nach vorne kommen wolle, um ein bisschen über sich zu erzählen. Ich war so stolz, das kann man sich gar nicht vorstellen. Lars erzählte von Berlin und dass er jetzt bei mir wohne und noch ganz viel mehr. Unsere Lehrerin erlaubte den anderen Kindern Fragen zu stellen, aber nur, wenn sie nicht durcheinanderreden würden. Ich lehnte mich zufrieden zurück, weil ich sah, dass sie ihn genauso toll fanden, wie ich. Aber dann hatte ich plötzlich Sorge, sie könnten ihn mir wegnehmen und beschloss, dass niemand in der Pause mit meinem neuen Bruder reden durfte.
Die Stunde verging wie im Flug. Stefan versuchte sich an Lars anzuschleimen, aber ich machte ihm ziemlich deutlich, dass er das vergessen könne. In der zweiten Stunde schrieben wir einen Englischtest. Lars lag auf dem roten Sofa, das direkt neben meinem Tisch stand. Bei der Hälfte der Fragen half er mir heimlich. Das war schon jetzt der beste Schultag meines Lebens. Im Religionsunterricht sollten wir uns Gedanken über Jesus machen. Als Tim, den wir wegen seiner großen Brille Harry Potter nennen, fragte, ob Jesus, bevor er in aller Öffentlichkeit gekreuzigt wurde, noch geilen Sex gehabt hätte, musste Lars so laut lachen, dass sich alle zu ihm umdrehten. Das war lustig. Dann hatte ich Einzelunterricht in Sport. Ich durfte mir aussuchen, was ich spielen wollte, und ich entschied mich für Tischtennis. Meine Lehrerin gab Lars auch einen Schläger, und so konnten wir zu dritt Rundlauf spielen. Ich hielt ziemlich gut durch, aber als wir im Garten ein Eichhörnchen sahen, machten wir eine Pause, setzten uns leise an das große Fenster und beobachteten, wie es eine Nuss aus dem Boden ausgrub.
Nach der Schule wollte ich unbedingt ins ELBE-Einkaufszentrum. Wir fuhren mit der Rolltreppe in die erste Etage und setzen uns in ein Eiscafé, weil Lars dringend einen Espresso brauchte. Während der ganzen Busfahrt sprach er von nichts anderem. Er bestellte sich auch eine kleine Flasche Mineralwasser und einen frischgepressten Orangensaft mit Kiwi. Ich bekam eine Cola mit einer Extraschale Eiswürfel und ein paar Zitronenscheiben zum Aussaugen. Wir sprachen kein Wort miteinander, bis Lars seinen Espresso bekam. Er trank ihn in einem Zug aus und bestellte sich direkt einen zweiten.
»Ah, tut das gut«, sagte er genüsslich und schaute sich um. »Bist du oft hier?«
»Ja.«
»Cool.«
Mir wurde langweilig, und ich begann mit meinem Handy zu spielen. Lars trank seinen Orangensaft und stapelte ein paar Bierdeckel übereinander. Als der Kellner seinen zweiten Espresso brachte, fragte er, was mir gerade durch den Kopf ginge, und ich antwortete ihm: »Gar nichts.«
Er riss das Päckchen Zucker auf und rührte ihn in seinen Espresso, und ich lutschte an meiner Zitrone herum.
»Gar nichts?«
Ich schüttelte mit dem Kopf.
»Hmm, das ist interessant«, sagte er schließlich, schloss seine Augen und lehnte sich nach hinten gegen das rote Lederpolster. Ich beobachtete zwei ältere Männer, die nebeneinander saßen und sich einen Apfelkuchen mit Sahne teilten. Einer von ihnen hatte eine schwarze Lederjacke an, so wie Lars. Ich würde mir zu Weihnachten auch eine schwarze Lederjacke wünschen, beschloss ich. Nachdem ich meine letzte Zitronenscheibe ausgesaugt hatte und nun an den Eiswürfeln lutschte, öffnete Lars seine Augen und lehnte sich wieder nach vorne.
»Wie schaffst du das?«, fragte er mich. »Ich habe gerade versucht, an nichts zu denken. Es ist unmöglich. Tausend Gedanken und ein riesiges Durcheinander. Also, wie lautet dein Geheimnis?«
Ich begann zu kichern.
Lars trank einen Schluck Wasser und sagte: »Frag mich, woran ich gerade denke!«
»Woran denkst du gerade?«, kicherte ich noch immer.
»Mittagessen.«
»Häh?«
»Keine Ahnung warum, aber das erste, was mir durch den Kopf ging, war das Mittagessen an deiner Schule: Reibekuchen mit Apfelmus und Salat.«
»Vielleicht weil es so gut geschmeckt hat?«
»Kann schon sein.«
»Und vorhin? An was hast du da gedacht?«
Lars hörte jetzt auf zu lächeln und griff nach dem Orangensaft. Fast hätte er das Glas umgeworfen, aber er konnte es gerade noch festhalten. Er nahm einen Schluck und schaute nach oben an die Glaskuppel. Ich folgte seinen Blicken. Man konnte den Himmel durch die Stelle des Daches sehen, aber er war grau und kein sonderlich schöner Anblick. Am liebsten mag ich den Himmel hellblau, ohne Wolken und mit viel Sonne oder ganz schwarz mit vielen Sternen.
»Ich weiß nicht, ob ich dir das erzählen kann«, sagte Lars schließlich. »Ich meine, ob du es verstehen wirst.«
Ich sah ihn an und wartete ab. Lars fuhr sich über den Kopf und sagte: »Also schön. Ich habe diesen Sommer in Rio de Janeiro verbracht. Weißt du, wo das liegt?«
»In Brasilien?«
»Sehr gut.«
»Orangen kommen aus Brasilien.«
»Genau. Weißt du was? Schließ die Augen, damit du es dir besser vorstellen kannst.«
»Was vorstellen?«, fragte ich.
»Meinen Traum.«
»Okay.«
Ich schloss die Augen.
»Stell dir vor, du gehst an einem Sonntagnachmittag in eine Kirche und siehst ein Mädchen, das dich auf den ersten Blick verzaubert«, begann Lars zu erzählen. »Du sitzt dort, schielst heimlich rüber und kannst dich auf nichts anderes mehr konzentrieren. Du überlegst dir tausend Worte, die du zu ihr sagen möchtest, was ein Problem ist, weil du kein Portugiesisch sprichst. Dann schreibst du auf die Rückseite des Gesangsblattes deinen Namen, den Namen eines Cafés, ein Datum und eine Uhrzeit und traust dich sogar, es ihr am Ausgang zu geben. Sie nimmt es und lächelt dich verlegen an. Du gehst weiter in eine Bar, weil du zum Fußballgucken verabredet bist – die Europameisterschaft findet gerade statt – aber deine Gedanken drehen sich nur noch um dieses fremde Mädchen und die eine Frage: Kommt sie morgen? Deutschland spielt gegen Dänemark, und der Barkeeper hat wegen dir extra eine deutsche Flagge aufgehängt. Dir geht es zum ersten Mal seit langer Zeit richtig gut, du lehnst dich zurück und schließt die Augen, um diesen schönen Moment für immer festzuhalten. Plötzlich kommt jemand die Straße entlang gerannt. Es fallen drei Schüsse und neben dir verfärbt sich der Bürgersteig rot. Im gleichen Moment schießt Lukas Podolski das Tor zum 1:0, aber niemand jubelt.«
Lars hörte auf zu reden, und ich fragte, ob ich meine Augen wieder öffnen durfte und trank einen Schluck Cola. Dann schrieb ich Mama eine SMS: Wie geht’s dir? Mir geht’s gut. Hab dich lieb. Lars bestellte sich einen dritten Espresso. Ich überlegte, was ich zu ihm sagen sollte. In seinem Traum gab es zu viele Dinge, die ich mir vorstellen musste. Ich schaffte es nicht, mir alles zu merken. Irgendwann nach diesem Mädchen in der Kirche machte es in meinem Kopf Stopp!
Ich fragte: »Hast du sie wiedergesehen?«
Lars grinste und sagte: »Vielleicht.«
»Komm, sag schon. War sie hübsch?«
»Ja, sehr.«
»Hast du mit ihr Sex gehabt?«
»Hahaha.«
»Hast du sie geküsst?«
»Wer weiß?«
»Mann, ey! Du bist voll blöd. Jetzt musst du’s auch erzählen. Bitte, bitte, bitte, bitte, bitte.«
»Benutz doch einfach deine Phantasie«, sagte Lars. »Wenn ich dir jetzt sage, dass ich mit ihr in der Kiste war, ist doch die ganze Magie der Geschichte verschwunden.«
»Geil, du warst mit ihr in der Kiste. O Mann, wie geil.«
»Hahaha, und jetzt du!«
»Was ich?«
»Jetzt bist du an der Reihe. Ich zähle bis drei und alles, was dir dann durch den Kopf geht, sprichst du laut aus. Ohne darüber nachzudenken. Und dann quatschen wir darüber, wenn du Lust hast. Eins, zwei, drei.«
»Layla.«
»Wer ist das?«, fragte Lars.
»Meine blöde Ex.«
»Erzähl mir von ihr.«
Ich wollte nicht.
»Nee«, sagte ich und spielte an meinem Handy herum. Immer wenn ich an sie denke, geht es meinem Herzen schlecht.
»Du musst ja auch nicht«, sagte Lars.
»Ehrlich nicht?«
»Natürlich nicht.«
»Gut.«
»Ich habe auch eine Ex-Freundin. Sie heißt Saskia und lebt in New York. Wir waren sieben Jahre zusammen.«
»Krass. Warst du traurig, als sie mit dir Schluss gemacht hat?«
»Ja, ich war traurig, obwohl Saskia und ich gemeinsam entschieden haben, uns zu trennen.«
»Hast du sie noch lieb?«
»Ja klar, aber anders als früher. Weißt du, früher war ich in sie verliebt, heute habe ich sie lieb. Das ist ein großer Unterschied. Das ist schwer zu erklären. Sagen wir so: Sie ist immer noch ein wichtiger Teil meines Lebens, obwohl wir nicht mehr miteinander in die Kiste gehen und uns auch nicht mehr alles erzählen.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Warst du denn traurig, als Layla mit dir Schluss gemacht hat?«
Ich wunderte mich, woher er das wusste und sagte: »Ja.«
»Wie lange wart ihr zusammen?«
»Zwei Jahre oder so. Vielleicht auch zwei Monate, weiß nicht mehr so genau.«
»Du hast es nicht so mit der Zeit, was?«
»Nein.«
Zuerst wollte ich es ihm nicht erzählen, aber dann erinnerte ich mich daran, dass er mir seine Geschichte auch erzählt hatte. Brüder sollten keine Geheimnisse voreinander haben, aber es war so schwer. Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte und irgendwie war es mir auch peinlich. Auf der anderen Seite hatte ich das Gefühl, dass Lars mich verstehen würde und gab mir einen Ruck.
»Layla hat immer wieder mit mir Schluss gemacht. Ein ewiges Hin und Her. Geknutscht haben wir aber nie, nur Händchen gehalten. Sie hat mich auch ganz doll beleidigt. Es war so schlimm, dass ich geweint habe. Das habe ich ihr aber nie gezeigt. Ich habe immer nur geweint, wenn ich alleine war.«
Dann machte ich eine Pause, weil ich überlegen musste, was mir noch alles einfiel. Ich dachte an meine Mama und plötzlich fiel mir etwas ein, das ich erzählen konnte.
»Laylas Eltern sind geschieden. Irgendwann habe ich ihre Gemeinheiten und ihre ständige Schlussmacherei aber nicht mehr ausgehalten und dann habe ich mit ihr Schluss gemacht. Das fand sie nicht so schön. Ich wollte aber keine Freundin mehr, die böse zu mir ist. Ich habe herausbekommen, dass sie nur mit mir zusammen war, um nicht alleine zu sein. Sie hat mich in Wahrheit gar nicht geliebt. Sie war nur einsam. Deswegen hat sie mich auch oft abends angerufen. Sie hatte ja niemanden außer mir. Aber weil sie mich nicht geliebt hat, so wie ich sie geliebt habe, hat sie mich immer nur geärgert. Sie hat mich benutzt, um sich ihre Zeit zu vertreiben.«
»Willkommen in der Welt der Erwachsenen«, sagte Lars.
»Wie jetzt?«
»Du bist mit deiner Geschichte nicht alleine. So wie dir ergeht es unendlich vielen Menschen jeden Tag. Auch in meinem Leben gab es mal ein Mädchen, wegen dem ich nachts oft nicht schlafen konnte, weil ich so sehr an sie denken musste. Kannst du dir das vorstellen?«
Ja, das konnte ich nur zu gut.
»Und wie hast du es geschafft, nicht mehr traurig zu sein?«
»Die Zeit hat mir geholfen.«
»Wie kann die Zeit einem helfen?«
»Sie hat mich gezwungen, über mich selbst nachzudenken. Und eines Tages ging mir ein Licht auf, und die ganze Magie, die dieses Mädchen einmal umhüllt hat, war plötzlich verschwunden. Die Zeit hat mir geholfen zu erkennen, dass dieses Mädchen in Wahrheit gar nicht zu mir gepasst hat. Es war nur eine Illusion, eine Wunschvorstellung. Ich bin mir sicher, dass die Zeit dir auch helfen wird.«
»Aber Lars, ich habe doch nicht so viel Zeit wie du.«
»Hmm, da ist was dran.«
Lars schaute zum Tresen und zog die Augenbrauen hoch.
»Weißt du, was bei Liebeskummer immer hilft?«
»Nee.«
»Schokoladeneis. Teilen wir uns einen Becher?«
»Au ja, aber lieber Zitroneneis mit bunten Streuseln oben drauf.«
»Alles klar. Du bist der Boss.«