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Prestonpans
Schottland, September 1745
Nach viertägigem Marsch gelangten wir zu einem
Berg nahe Calder, vor dem sich ein weites Moor erstreckte. Doch wir
schlugen unser Lager im Schutz der weiter oben gelegenen Bäume auf.
Zwei Flüßchen durchschnitten den moosbewachsenen Berghang, und das
frische frühherbstliche Wetter ließ das Ganze eher wie einen
Ausflug ins Grüne als einen Kriegszug erscheinen.
Doch es war der siebzehnte September, und wenn mich
mein bruchstückhaftes Wissen über die Geschichte der Jakobiten
nicht trog, würde es in wenigen Tagen Krieg geben.
»Erzähl es mir noch einmal, Sassenach«, hatte Jamie
zum x-ten Male gebeten, während wir die gewundenen Pfade und die
morastigen Wege entlangzogen. Ich ritt auf Donas, Jamie ging zu Fuß
neben mir her. Doch jetzt stieg ich ab, um besser mit ihm sprechen
zu können. Donas und ich waren zu einer Art gegenseitigem
Einvernehmen gelangt, doch es war ein Pferd, das die volle
Aufmerksamkeit des Reiters erforderte. Nur allzugern warf er einen
unachtsamen Reiter ab, etwa indem er sich unter niedrigen Ästen
hindurch einen Weg suchte.
»Ich habe dir doch schon gesagt, daß ich nicht
allzuviel darüber weiß«, erwiderte ich. »Die Geschichtsbücher geben
nur spärlich Auskunft, und früher habe ich diesen Ereignissen keine
große Beachtung geschenkt. Ich kann dir nur sagen, daß es zur
Schlacht kam - äh, kommen wird -, und zwar in der Nähe der Stadt
Preston. Darum wird sie auch die Schlacht von Prestonpans
genannt.«
»Aye. Und weiter?«
Angestrengt versuchte ich, mich an weitere
Einzelheiten zu erinnern. Ich sah das kleine, zerfetzte braune
Exemplar der Geschichte Englands für Kinder deutlich
vor mir, das ich beim flackernden
Licht einer Kerosinlaterne in einer Lehmhütte irgendwo in Persien
gelesen hatte. Obwohl ich im Geist Seite für Seite umblätterte,
konnte ich mich lediglich an jene Doppelseite erinnern, die der
Verfasser dem Zweiten Jakobitenaufstand gewidmet hatte. Und auf
diesen beiden Seiten an den Abschnitt über die Schlacht, die uns
bevorstand.
»Die Schotten gewinnen«, sagte ich, um hilfreiche
Auskunft bemüht.
»Darauf kommt es an«, bemerkte Jamie leicht
sarkastisch, »aber es wäre nützlich, etwas mehr zu wissen.«
»Wenn du einen Propheten brauchst, hättest du
jemand anderen fragen müssen«, fuhr ich ihn an, fügte dann aber
versöhnlich hinzu: »Tut mir leid. Ich weiß einfach nicht viel, und
das ist sehr frustrierend.«
»Aye, das ist es.« Er griff nach meiner Hand und
drückte sie lächelnd. »Reg dich nicht auf, Sassenach. Du kannst
nicht mehr sagen, als du weißt. Trotzdem, erzähle es mir bitte noch
einmal.«
»Also gut.« Hand in Hand setzten wir unseren Weg
fort. »Es war ein beachtlicher Sieg«, begann ich aus der Erinnerung
zu zitieren, »denn die Jakobiten waren den Gegnern zahlenmäßig weit
unterlegen. Sie überraschten General Copes Armee im Morgengrauen -
sie hatten die aufgehende Sonne im Rücken, daran erinnere ich mich
genau -, und die Schlacht bedeutete eine große Niederlage für den
Gegner. Es gab Hunderte von Toten auf seiten der Engländer; die
siegreichen Jakobiten hatten nur dreißig Opfer zu beklagen. Nur
dreißig Tote.«
Jamie drehte sich zu den Männern von Lallybroch um,
die uns plaudernd und singend folgten. Wir hatten dreißig Männer
aus Lallybroch mitgenommen, und wenn man sie so ansah, schien der
Trupp recht stattlich. Aber ich hatte die Schlachtfelder von
Elsaß-Lothringen gesehen und die Wiesen, die sich in Friedhöfe
verwandelt hatten, auf denen Tausende und Abertausende begraben
waren.
»Alles in allem«, fuhr ich entschuldigend fort,
»war es wohl ein eher... unbedeutendes Ereignis, vom historischen
Standpunkt aus betrachtet.«
Jamie schürzte die Lippen und atmete hörbar aus.
Dabei sah er mich traurig an.
»Unwichtig. Nun ja,.«
»Tut mir leid«, sagte ich.
»Das ist nicht deine Schuld, Sassenach.«
Aber irgendwie fühlte ich mich doch schuldig.
Nach dem Abendessen saßen die Männer satt und
träge um das Feuer, erzählten sich Geschichten und kratzten sich.
Das Kratzen war zu einer verbreiteten Unart geworden; durch die
beengten Unterkünfte und die mangelnden Waschmöglichkeiten hatten
sich die Läuse so stark vermehrt, daß es niemanden wunderte, wenn
ein Mann ein Exemplar dieser Gattung aus einer Falte seines Plaids
herauspickte und ins Feuer warf.
Der junge Mann, der Kincaid genannt wurde -
eigentlich hieß er Alexander, aber dieser Name war so weit
verbreitet, daß die meisten bei ihrem Spitznamen oder zweiten
Vornamen gerufen wurden -, schien an jenem Abend ganz besonders von
Läusen geplagt zu werden. Er kratzte sich heftig unter den Armen,
in den lockigen braunen Haaren und schließlich - mit einem
flüchtigen Blick auf mich, um sich zu vergewissern, daß ich nicht
in seine Richtung sah - zwischen den Beinen.
»Dich piesacken sie aber ganz schön, mein Junge«,
bemerkte Ross, der Schmied, mitfühlend.
»Aye«, nickte der Angesprochene, »diese verfluchten
Biester fressen mich noch bei lebendigem Leib auf.«
»Scheinen sich in deinem Pelz verdammt
wohlzufühlen«, meinte Wallace Fraser, der sich aus Freundschaft
gleich mitkratzte.
»Weißt du, wie man die Viecher am besten wieder
loswird?« fragte Sorley McClure hilfsbereit. Als Kincaid den Kopf
schüttelte, beugte er sich nach vorne und zog vorsichtig ein
brennendes Holzscheit aus dem Feuer.
»Heb deinen Kilt hoch, und ich räuchere sie aus«,
erbot er sich unter dem johlenden Gelächter der Männer.
»Alter Bauer«, murmelte Murtaghs. »Kannst doch gar
nicht mitreden.«
»Kennst du denn einen besseren Weg? Wallace
runzelte fragend die sonnengebräunte Stirn.
»Aber klar.« Schwungvoll zog er seinen Dolch. »Der
Junge ist jetzt ein Soldat, soll er es also auch machen wie ein
richtiger Soldat.«
Kincaid blickte ihn arglos und neugierig an. »Und
wie?«
»Also, ganz einfach. Du nimmst deinen Dolch, hebst
dein Plaid und rasierst dir die Haare zwischen den Beinen zur
Hälfte ab.« Er hob warnend den Dolch. »Nur zur Hälfte, klar?«
»Zur Hälfte? Aye...« Kincaid wirkte skeptisch,
hörte aber aufmerksam zu. Die Männer, die um das Feuer herumsaßen,
begannen zu grinsen.
»Und dann...« Murtagh zeigte auf Sorley und dessen
brennendes Holzscheit. »Dann erst, mein Junge, zündest du die
andere Hälfte an, und wenn die Biester rauskommen, spießst du sie
mit deinem Dolch auf.«
Kincaid wurde übers ganze Gesicht rot, als die
Männer in grölendes Gelächter ausbrachen. Es gab ein heftiges
Gerangel, denn einige wollten die Radikalkur aneinander
ausprobieren und schwangen brennende Holzscheite. Gerade, als aus
dem Spaß Ernst zu werden drohte, kam Jamie von den Pferden zurück,
denen er die Vorderbeine gefesselt hatte. Er trat in den Kreis.
Unter dem Arm trug er zwei Steingutflaschen, von denen er eine
Kincaid, die andere Murtagh zuwarf. Damit hatte die Rauferei ein
Ende.
»Narren seid ihr, alle miteinander«, verkündete
Jamie. »Die zweitbeste Art und Weise, die Läuse loszuwerden,
besteht darin, sie mit Whisky zu übergießen und sie betrunken zu
machen. Wenn sie dann schnarchend umfallen, steht ihr auf, und die
Läuse fallen von euch ab.«
»Die zweitbeste Methode, aha«, sagte Ross. »Und was
ist die beste, Sir, wenn man fragen darf?«
Jamie grinste nachsichtig in die Runde - wie ein
Vater, der sich über die Albernheiten seiner Kinder amüsiert.
»Eure Frauen sollen sie euch abzupfen, und zwar
einzeln.« Er stupste mich mit dem Ellbogen an und verbeugte sich
vor mir. Mit keck hochgezogenen Augenbrauen sagte er dann: »Wenn
Sie so freundlich wären, Madam?«
Das war zwar im Scherz gesagt, aber tatsächlich
wurde man die Läuse nur los, wenn man sie einzeln entfernte. Ich
selbst kämmte mir morgens und abends sorgfältig die Haare und wusch
sie mit Scharfgarbe, sobald wir an eine Wasserstelle kamen, die
tief genug war, um darin zu baden. Auf diese Weise hatte ich bisher
ernsten Lausbefall vermeiden können. Doch ich war nur solange
geschützt, wie auch Jamie keine Läuse hatte, und deshalb ließ ich
ihm dieselbe
Behandlung zuteil werden, sooft ich ihn dazu bringen konnte, lange
genug stillzusitzen.
»Paviane machen das den lieben langen Tag«,
erklärte ich Jamie und entfernte einen Grashalm aus seiner Mähne.
»Aber ich glaube, sie verspeisen die Früchte ihrer Arbeit.«
»Laß dich nur nicht davon abhalten, wenn du das
Bedürfnis danach verspürst«, antwortete er. Er rekelte sich wohlig,
als ich mit dem Kamm durch seine dicken, glänzenden Haarsträhnen
fuhr. Im Schein des Feuers glitzerte sein Haar wie ein Funkenregen,
wie goldene Feuerstrahlen. »Mmmh. Kaum zu glauben, wie angenehm es
ist, wenn man sich die Haare kämmen läßt.«
»Warte nur, bis ich zum nächsten Schritt komme«,
sagte ich und zwickte ihn dabei freundlich, so daß er kicherte.
»Ich hätte gute Lust, Murtaghs Vorschlag auszuprobieren.«
»Wenn du mit einem brennenden Holzscheit an meine
Schamhaare kommst, blüht dir dasselbe«, drohte er. »Was hat Louise
de La Tour noch mal über rasierte Frauen gesagt?«
»Daß sie besonders erotisch sind.« Ich beugte mich
nach vorne und nagte an seinem Ohrläppchen.
»Mmpf.«
»Tja, über Geschmack läßt sich streiten«, sagte
ich. »Chacun à son gout und so weiter.«
»So was können nur Franzosen sagen.«
»Stimmt es etwa nicht?«
Plötzlich wurden wir durch ein lautes Grollen
unterbrochen. Ich legte den Kamm beiseite und spähte in die
Schatten unter den Bäumen.
»Entweder«, sagte ich, »gibt es hier im Wald Bären,
oder... hast du denn noch nichts gegessen?«
»Ich hatte soviel mit den Tieren zu tun«,
antwortete er. »Ein Pony hat sich ein Bein verzerrt, da mußte ich
Umschläge machen. Und dann ist mir bei all dem Gerede über Läuse
der Appetit gründlich vergangen.«
»Was machst du bei Pferden für Umschläge?«
erkundigte ich mich und überging seine Bemerkung.
»Ach, das kommt darauf an; zur Not tut’s auch
frischer Dung. Diesmal habe ich zerkaute und mit Honig vermischte
Wickenblätter genommen.«
Die Satteltaschen lagen in unmittelbarer Nähe
unseres eigenen
Feuers, am Rande der kleinen Lichtung, wo die Männer mein Zelt
aufgestellt hatten. Ich hätte zwar ebensogut wie sie unter freiem
Himmel schlafen können, aber mittlerweile war ich für den kleinen
privaten Freiraum dankbar, der mir durch die Zeltwände gewährt
wurde. Und es war - wie Murtagh mit gewohnter Unverblümtheit gesagt
hatte, als ich ihm für seine Hilfe beim Aufbau des Zeltes dankte -
nicht nur zu meinem Vorteil.
»Wenn er es sich nachts zwischen deinen Schenkeln
bequem macht, wird es ihm keiner neiden«, hatte er mit einer
Kopfbewegung in Jamies Richtung gesagt, der mit einigen anderen
Männern ins Gespräch vertieft war. »Aber man sollte den jungen
Burschen keinen Anlaß geben, über Dinge nachzudenken, die sie nicht
haben können, stimmt’s?«
»Wie wahr«, antwortete ich etwas scharf, »sehr
aufmerksam von dir.«
Er lächelte, was er selten tat.
»Ach, schon gut«, erwiderte er.
Nach kurzem Stöbern förderte ich ein Stück Käse und
ein paar Äpfel aus den Satteltaschen zutage und reichte sie Jamie,
der sie skeptisch musterte.
»Kein Brot?« fragte er.
»Vielleicht ist noch welches in der anderen Tasche.
Iß zuerst das, es wird dir guttun.« Er hegte, wie alle
Hochlandbewohner, tiefen Argwohn gegen frisches Obst und Gemüse,
obwohl ihn sein ungeheurer Appetit dazu verleitete, im Notfall
alles zu vertilgen.
»Hmm«, sagte er und biß in einen Apfel. »Wenn du
meinst, Sassenach.«
»Ja, das meine ich. Schau.« Ich zeigte ihm meine
Zähne. »Wie viele Frauen meines Alters, meinst du, haben noch alle
ihre Zähne?«
Er lächelte und entblößte dabei sein tadelloses
Gebiß.
»Ich muß zugeben, du hast dich sehr gut gehalten
für dein Alter, Sassenach.«
»Gesund ernährt habe ich mich«, erwiderte ich. »Die
Hälfte deiner Leute leidet an leichtem Skorbut, und wie ich
unterwegs gesehen habe, ist es anderswo noch weitaus schlimmer.
Skorbut wird durch Vitamin C verhindert, und das ist in Äpfeln
enthalten.«
Er nahm den Apfel, in den er eben hineinbeißen
wollte, wieder aus dem Mund und betrachtete ihn argwöhnisch.
»Wirklich?«
»Ja, wirklich«, bestätigte ich. »Und auch in den
meisten anderen Obstsorten und in Gemüse wie Zwiebeln oder Kohl.
Wenn du das jeden Tag ißt, bekommst du keinen Skorbut. Selbst in
frischen Kräutern und in Gras findet sich Vitamin C.«
»Mmmpf. Ist das der Grund, weshalb Hirsche und Rehe
bis ins Alter ihre Zähne behalten?«
»Vermutlich.«
Er drehte und wendete den Apfel und betrachtete ihn
kritisch. Dann zuckte er die Achseln.
»Aye, na gut«, meinte er und biß hinein.
Ich hatte mich eben umgewandt, um das Brot zu
holen, als ein Knistern an mein Ohr drang. Aus dem Augenwinkel sah
ich, wie sich in der Dunkelheit ein Schatten bewegte. In der Nähe
von Jamies Kopf blitzte es im Feuerschein auf. Ich wirbelte herum
und stieß einen Schrei aus - doch da war er auch schon in der
Dunkelheit verschwunden.
Die Nacht war mondlos, und einzig die Geräusche
ließen darauf schließen, was da vor sich ging - das Rascheln der
Erlenblätter, ein Stöhnen und Ächzen und hin und wieder ein
erstickter Fluch. Dann ein kurzer, scharfer Schrei, dann
vollkommene Stille. Das alles dauerte wohl nur wenige Sekunden,
doch mir erschien es endlos.
Ich stand noch immer wie erstarrt neben dem Feuer,
als Jamie aus der unheimlichen Dunkelheit des Waldes auftauchte und
einen Gefangenen vor sich herschob, dem er den Arm nach hinten
gedreht hatte. Nachdem er seinen Griff gelockert hatte, gab er der
Gestalt einen Stoß, so daß sie gegen einen Baumstamm torkelte und
im trockenen Laub wie betäubt zu Boden sank.
Vom Lärm herbeigelockt, waren inzwischen Murtagh,
Ross und einige andere der Fraser-Männer am Feuer aufgetaucht. Grob
zerrten sie den Eindringling auf die Füße und näher an die Flammen
heran. Murtagh packte ihn am Haarschopf und riß ihm den Kopf nach
hinten, um sein Gesicht besser zu erkennen.
Es war klein und fein geschnitten, mit großen Augen
und langen Wimpern. Benommen blickte der Eindringling die Männer
an, die einen Kreis um ihn gebildet hatten.
»Aber das ist ja noch ein Kind!« rief ich. »Er ist
nicht älter als fünfzehn!«
»Sechzehn!« verbesserte mich der Junge. Er
schüttelte den Kopf;
langsam schien er wieder zu sich zu kommen. »Aber das macht wohl
keinen großen Unterschied« fügte er hochmütig und mit englischem
Akzent hinzu. Hampshire, schoß es mir durch den Kopf. Ganz schön
weit weg von zu Hause.
»Richtig«, stimmte Jamie grimmig zu. »Ob sechzehn
oder sechzig, er hat eben einen respektablen Versuch unternommen,
mir die Kehle durchzuschneiden.« Erst jetzt sah ich das blutrote
Taschentuch, das er sich fest an den Hals drückte.
»Von mir erfahrt ihr nichts!«rief der Junge. Seine
dunklen Augen stachen scharf aus dem blassen Gesicht hervor, und
sein blondes Haar leuchtete im Schein des Feuers. Einen Arm hielt
er fest vor die Brust gepreßt, vermutlich, weil er verletzt war.
Trotzdem bemühte sich der Junge, aufrecht vor den Männern zu
stehen, und preßte die Lippen fest zusammen, um weder Furcht noch
Schmerz zu zeigen.
»Gewisse Dinge weiß ich ohnehin schon«, erwiderte
Jamie, während er den Jungen musterte. »Erstens bist du Engländer,
also gehörst du zu der Truppe hier in der Nähe. Und zweitens bist
du allein.«
Der Junge schien verblüfft. »Woher wissen Sie
das?«
Jamie hob die Augenbrauen. »Wahrscheinlich hättest
du es nicht gewagt, mich anzugreifen, wenn du nicht gemeint
hättest, die Lady und ich seien allein. Wenn jemand bei dir gewesen
wäre, der das auch gedacht hätte, wäre er dir sicher zu Hilfe
geeilt. Übrigens, ist dein Arm gebrochen? Ich hatte den Eindruck,
es hätte gekracht. Wenn du mit anderen gekommen wärst, die gewußt
hätten, daß wir nicht allein sind, hätten sie dich sicher daran
gehindert, etwas so Törichtes zu tun.« Trotz Jamies Ausführungen
sah ich, wie drei der Männer auf ein Zeichen von ihm unauffällig im
Wald verschwanden, wohl um nach weiteren ungebetenen Gästen zu
fahnden.
Das Gesicht des Jungen nahm einen trotzigen
Ausdruck an, als er hörte, wie seine Aktion als töricht abgetan
wurde. Jamie betupfte sich den Hals und betrachtete dann eingehend
das Taschentuch.
»Wenn du jemanden von hinten töten willst, mein
Junge, dann such dir nicht jemanden aus, der im trockenen Laub
sitzt«, riet er. »Und wenn du jemanden, der größer ist als du, mit
dem Messer angreifst, dann suche dir eine sicherere Stelle aus.
Eine Kehle kannst du nur dann durchschneiden, wenn dein Opfer
stillhält.«
»Vielen Dank für den freundlichen Ratschlag«,
höhnte der Junge. Er bemühte sich redlich, weiterhin tapfer zu
wirken, doch
seine Augen wanderten nervös von einem finsteren schnurrbärtigen
Gesicht zum nächsten. Keiner der Hochlandschotten hätte am
hellichten Tag bei einem Schönheitswettbewerb einen Preis gewonnen,
und sie gehörten erst recht nicht zu der Sorte, der man gern in der
Dunkelheit begegnete.
Jamie antwortete höflich: »Bitte sehr, gern
geschehen. Nur wirst du leider keine Möglichkeit haben, diesen
Ratschlag in die Tat umzusetzen. Weshalb wolltest du mich
eigentlich umbringen?«
Der Junge zögerte einen Augenblick. »Ich wollte die
Lady befreien«, antwortete er dann.
Ein amüsiertes Raunen ging durch die Menge, das
durch eine flüchtige Handbewegung Jamies sofort zum Stillstand kam.
»Ach so«, sagte er beiläufig. »Du hast uns reden hören und bist zu
dem Schluß gekommen, daß die Dame eine Engländerin und von
vornehmer Herkunft ist. Wogegen ich...«
»Wogegen Sie, Sir, ein gewissenloser Verbrecher
sind, bekannt als Dieb und Gewalttäter! Ihr Gesicht und eine
Beschreibung Ihrer Person findet man in ganz Hampshire und Sussex
auf Flugblättern abgedruckt! Ich habe Sie gleich erkannt; Sie sind
ein Rebell und ein skrupelloser Lüstling!« Das Gesicht des Jungen
war vor Eifer rot geworden.
Ich biß mir auf die Lippen und blickte zu Boden, um
Jamie nicht in die Augen sehen zu müssen.
»Aye, gut. Wie du meinst«, stimmte Jamie zu. »Wenn
dem so ist, kannst du mir vielleicht einen Grund nennen, warum ich
dich nicht auf der Stelle umbringen sollte?« Dabei zog er den Dolch
und drehte ihn hin und her, so daß die Klinge im Feuerschein
blitzte.
Aus dem Gesicht des Jungen war alles Blut gewichen.
Er war kreidebleich, hielt sich jedoch tapfer aufrecht und
versuchte, sich aus dem Griff der beiden Männer loszureißen, die
ihn am Arm festhielten. »Das habe ich erwartet. Ich bin bereit zu
sterben«, sagte er und straffte die Schultern.
Jamie nickte nachdenklich. Dann beugte er sich
nieder und legte seinen Dolch ins Feuer. Um die Klinge, die sofort
schwarz anlief, kräuselte sich Rauch, und ein scharfer Geruch stieg
auf. Wir alle starrten in stummer Verzauberung in die Flamme, die
an der Klinge eine tiefblaue Färbung annahm und das todbringende
Metall in der glühenden Hitze zum Leben zu erwecken schien.
Jamie wickelte das blutbefleckte Taschentuch um
seine Hand
und nahm vorsichtig den Dolch aus dem Feuer. Dann schritt er
langsam auf den Jungen zu und senkte die Waffe, bis sie wie
zufällig das Wams des Jungen berührte. Es roch nach versengtem
Stoff, als der Dolch auf dem Wams des Jungen eine Brandspur
hinterließ. Jetzt befand sich die Spitze des Dolchs unmittelbar an
dem aufwärts gereckten Kinn des Jungen. Ich sah, wie Schweiß den
schlanken Hals des Jungen hinunterlief.
»Aye, leider habe ich nicht vor, dich zu töten -
noch nicht.«
Jamies Stimme war leise und drohend, und durch die
Beherrschung, die er sich auferlegte, wirkte sie um so
erschreckender.
»Zu welcher Truppe gehörst du?« Die Frage sauste
wie ein Peitschenschlag herab und ließ die Umstehenden förmlich
zusammenzucken. Die Spitze des Dolches rückte dem Hals des Jungen
etwas näher.
»Das - das sage ich nicht!« stammelte der Junge und
preßte die Lippen noch fester zusammen. Ein Zittern überlief
ihn.
»Und in welcher Entfernung lagern deine Kameraden?
Wie viele sind es? Und welche Marschrichtung schlagen sie ein?«
Jamie stellte seine Fragen leichthin; seine ganze Konzentration
schien auf die Klinge gerichtet, die nahe am Kinn des Jungen
entlangstrich. Dessen Augen waren vor Angst geweitet, doch er
schüttelte heftig den Kopf. Ross und Kincaid packten ihn fester am
Arm.
Eine winzige Bewegung des Dolches, ein dünner,
erstickter Schrei, dann der Geruch verbrannter Haut.
»Jamie!« rief ich außer mir. Er wandte sich nicht
um, sondern hielt die Augen auf seinen Gefangenen gerichtet. Der
war auf die Knie gesunken und preßte die Hand an seinen Hals.
»Halten Sie sich raus, Madam«, stieß Jamie zwischen
den Zähnen hervor. Er packte den Jungen an der Hemdbrust und zog
ihn ruckartig in die Höhe. Dann hielt er den Dolch unter das linke
Auge des Jungen. In einer stummen Frage neigte er den Kopf und
erhielt als Antwort ein kaum merkliches, jedoch entscheidendes
Kopfschütteln.
Die Stimme des Jungen war jetzt nur noch ein
bebendes Flüstern; er mußte sich räuspern, um sich verständlich zu
machen. »N-nein«, stotterte er. »Nein. Egal, was Sie mir antun, Sie
werden mich nicht dazu bringen, etwas zu verraten.«
Jamie hielt ihn noch einen Augenblick fest, dann
ließ er sein Hemd los und trat einen Schritt zurück. »Nein«,
erwiderte er
langsam, »das habe ich auch nicht erwartet. Aber was ist mit der
Lady?«
Daß er mich meinte, wurde mir erst klar, als er
mich am Handgelenk packte und herumriß. Er drehte mir die Hand auf
den Rücken.
»Dein eigenes Schicksal mag dir gleichgültig sein,
doch vielleicht ist dir die Ehre der Dame wichtig, da du dir schon
so große Mühe gegeben hast, sie zu befreien.« Er packte mich an den
Haaren, riß meinen Kopf nach hinten und küßte mich mit einer
solchen Brutalität, daß ich unwillkürlich zurückzuckte.
Dann ließ er meine Haare los und zog mich an sich,
so daß ich dem Jungen direkt gegenüberstand. Der stand mit weit
aufgerissenen Augen da.
»Lassen Sie sie sofort los!« forderte er mit
heiserer Stimme. »Was haben Sie mit ihr vor?««
Jamie packte mich am Ausschnitt meines Kleids. Mit
einer ruckartigen Bewegung riß er daran und entblößte beinahe meine
ganze Brust. Instinktiv versetzte ich ihm einen Tritt gegen das
Schienbein. Der Junge gab einen unartikulierten Laut von sich und
tat einen Schritt nach vorne, wurde aber von Ross und Kincaid
zurückgehalten.
»Wenn du es genau wissen willst«, ertönte Jamies
Stimme hinter mir, »habe ich vor, die Lady vor deinen Augen zu
vergewaltigen. Dann gebe ich sie an meine Männer weiter, die mit
ihr machen können, was sie wollen. Vielleicht möchtest du auch mal,
bevor ich dich töte? Ein Mann sollte nicht unberührt sterben,
meinst du nicht auch?«
Jetzt setzte ich mich mit aller Kraft zur Wehr.
Jamie hielt meinen Arm mit eisernem Griff hinter meinem Rücken fest
und hatte seine große, warme Hand auf meinen Mund gelegt, so daß
ich nicht schreien konnte. Ich biß ihn, so fest ich konnte, in die
Hand, und spürte den Geschmack von Blut im Mund. Mit einem
verhaltenen Ausruf zog er seine Hand fort, knüllte dann aber ein
Stück Tuch zusammen und steckte es mir in den Mund. Ich stieß einen
erstickten Schrei aus, doch da riß Jamie mir das Kleid noch weiter
vom Leibe. Ein Ratsch, und ich stand bis zu den Hüften entblößt da.
Ross starrte mich einen Augenblick lang an, dann sah er schnell weg
und richtete seinen Blick starr auf den Gefangenen. Auf seinen
Wangen bildeten sich rote Flecken. Kincaid, nicht älter als
neunzehn
Jahre, schaute entsetzt drein. Sein Mund stand offen wie ein
Scheunentor.
»Schluß damit!« Die Stimme des Jungen zitterte,
jetzt mehr aus Empörung als aus Furcht. »Sie - Sie abscheuliche
Memme! Wie können Sie es wagen, eine Dame zu entehren, Sie
schottischer Schakal!« Seine Brust lebte unter dem inneren Aufruhr.
Dann kam er zu einem Entschluß. Trotzig hob er das Kinn.
»Also gut. Ich sehe, daß ich als Ehrenmann keine
andere Wahl habe. Lassen Sie die Lady los, und ich sage Ihnen, was
Sie wissen wollen.«
Jamie ließ meine Schulter los und gab Ross ein
Zeichen. Daraufhin gab dieser den verletzten Arm des Jungen frei
und bückte sich schnell, um meinen Umhang aufzuheben, der in der
Aufregung zu Boden gefallen war. Jamie zog meine Hände auf den
Rücken, riß mir den Gürtel herunter und fesselte damit meine Hände.
Er nahm den Umhang, den Ross ihm reichte, legte ihn mir mit einem
Schwung um die Schultern und band ihn sorgfältig zu. Schließlich
trat er einen Schritt zurück, verbeugte sich ironisch vor mir und
wandte sich an den Gefangenen.
»Du hast mein Wort, daß die Dame vor meinen
Annäherungsversuchen sicher ist«, sagte er. Das Zittern in seiner
Stimme hätte auf Zorn oder enttäuschte sinnliche Begierde
zurückgeführt werden können. Ich erkannte darin jedoch einen
gewaltsam unterdrückten Lachreiz. Ich hätte ihn umbringen
können.
Mit versteinertem Gesicht erteilte der Junge die
gewünschten Auskünfte.
Er hieß William Grey und war der zweite Sohn des
Viscount Melton. Mit einer Truppe von zweihundert Mann befand er
sich auf dem Weg nach Dunbar, um sich dort General Copes Armee
anzuschließen. Seine Truppe lagerte im Augenblick etwa fünf
Kilometer weiter westlich. Er, William, hatte den Wald durchstreift
und dabei unser Feuer entdeckt. Nein, niemand hatte ihn begleitet.
Ja, die Truppe war schwer bewaffnet, mit sechzehn
Schnellfeuerkanonen und zwei Mörsern. Die meisten Soldaten seiner
Truppe waren mit Musketen ausgerüstet, und eine dreißig Mann starke
Kompanie war beritten.
Obwohl dem Jungen die Fragen und die Schmerzen
zusetzten, weigerte er sich, Platz zu nehmen. Statt dessen lehnte
er sich gegen einen Baum und barg seinen Ellbogen in der linken
Hand.
Das Verhör dauerte fast eine Stunde und drehte sich
immer wieder um die gleichen Einzelheiten, um die Klärung von
Widersprüchen und um Punkte, die der Junge offensichtlich umgehen
wollte. Als Jamie endlich zufrieden war, seufzte er tief auf und
wandte sich von dem Jungen ab, der sich im schwankenden Schatten
der Eiche erschöpft niederließ. Wortlos streckte Jamie die Hand
aus, und Murtagh, der wie gewöhnlich seine Wünsche erriet, reichte
ihm eine Pistole.
Dann trat Jamie wieder vor den Gefangenen und tat
so, als konzentrierte er sich darauf, die Waffe zu prüfen und zu
laden. »Kopf oder Herz?« fragte er dann beiläufig.
»Was?« Dem Jungen blieb der Mund offenstehen.
»Ich werde dich jetzt erschießen«, erklärte ihm
Jamie geduldig. »Spitzel werden gewöhnlich gehängt, aber in
Anbetracht deiner Ritterlichkeit bin ich bereit, dir einen
schnellen Tod zu gewähren. Möchtest du die Kugel lieber in den Kopf
oder ins Herz?«
Der Junge richtete sich auf und straffte die
Schultern. »Oh, ja, natürlich.« Er fuhr sich mit der Zunge über die
trockenen Lippen und schluckte. »Ich denke... ins - ins Herz.« Nach
einer Pause fügte er hinzu: »Danke.« Er hob das Kinn und kniff die
weichen, noch kindlichen Lippen zusammen.
Jamie entsicherte die Waffe mit einem Klicken, das
in der nächtlichen Stille unter den Eichenbäumen nachhallte.
»Warten Sie!« rief der Gefangene. Jamie blickte ihn
forschend an, die Pistole auf seine schmale Brust gerichtet.
»Welche Sicherheit habe ich, daß die Lady nach...
nach meinem Tod nicht belästigt wird?« fragte er und blickte
herausfordernd in die Runde. Seine gesunde Hand war zur Faust
geballt, doch sie zitterte. Ross ließ ein Kichern hören, tat aber
dann geschickt so, als ob er geniest hätte.
Jamie ließ die Pistole sinken. Mit eiserner
Selbstbeherrschung setzte er eine Miene feierlichen Ernstes
auf.
»Nun«, sagte er mit breitem schottischem Akzent,
»ich habe dir mein Wort gegeben, obwohl ich natürlich einsehe, daß
es dir schwerfällt, einer...«, seine Lippen zitterten
unwillkürlich, »einer schottischen Memme zu glauben. Vielleicht
kannst du aber die Zusicherung der Dame selbst akzeptieren.« Mit
fragend gerunzelter Stirn blickte er in meine Richtung, und Kincaid
eilte herbei, um das Taschentuch aus meinem Mund zu nehmen.
»Jamie!« rief ich wütend, sobald ich wieder
sprechen konnte. »Das ist unerhört! Wie konntest du nur so etwas
tun! Du... du...«
»Memme«, kam er mir zu Hilfe. »Oder Schakal, wenn
dir das besser gefällt. Was meinst du, Murtagh, bin ich eine Memme
oder ein Schakal?«
Murtagh verzog den Mund. »Ich sage, du bist keinen
Pfifferling wert, wenn du dein Mädel ohne einen Dolch in der Hand
losbindest.«
Jamie wandte sich wieder an den Jungen.»Ich muß
mich bei meiner Frau entschuldigen, daß ich sie gezwungen habe, bei
diesem Täuschungsmanöver mitzumachen. Ich versichere dir, daß es
gegen ihren Willen geschah.« Reuig betrachtete er die Bißwunde an
seiner Hand.
»Ihre Frau?« Entsetzt blickte der Junge erst mich,
dann Jamie an.
»Außerdem versichere ich dir, daß die Lady, die
mich in meinem Bett gelegentlich mit ihrer Anwesenheit beehrt, dies
nie unter Zwang getan hat... und auch in Zukunft nicht tun wird«,
fügte er spitz hinzu. »Aber binde sie noch nicht los,
Kincaid.«
»James Fraser«, zischte ich ihm wütend zu. »Wenn du
dem Jungen auch nur ein Haar krümmst, wirst du dein Bett ganz
bestimmt nie mehr mit mir teilen!«
Jamie runzelte besorgt die Stirn. »Tja, das ist
eine ernste Drohung für einen so skrupellosen Lüstling wie mich.
Aber in einer solchen Situation muß ich mein eigenes Wohlergehen
hintanstellen. Krieg ist eben Krieg.« Erneut hob er die
Pistole.
»Jamie!« schrie ich.
Er ließ die Waffe sinken und wandte sich mit
übertriebener Nachsicht an mich. »Ja?«
Um meine Wut zu bändigen, holte ich tief Luft. Ich
konnte nur ahnen, was er vorhatte, und hoffte, daß ich das Richtige
tat. Ob richtig oder nicht, wenn das hier erst einmal vorüber
war... Ich verdrängte die äußerst reizvolle Vorstellung eines am
Boden liegenden Jamie, der sich unter meinem Fuß wand, und
versuchte, mich auf meine gegenwärtige Aufgabe zu
konzentrieren.
»Du hast nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür,
daß er ein Späher ist«, wandte ich ein. »Er hat gesagt, er sei
zufällig auf dich gestoßen. Wer wäre da nicht neugierig, wenn er im
Wald ein Feuer sieht?««
Jamie nickte einsichtig. »Aye, aber was ist mit dem
Mordversuch?
Späher oder nicht, er hat versucht mich zu töten und gibt das auch
zu.« Er strich über die Wunde an seinem Hals.
»Ja, natürlich!« rief ich ungeduldig. »Er ist davon
ausgegangen, daß du ein Verbrecher bist. Verdammt noch mal, auf
deinen Kopf ist schließlich eine Belohnung ausgesetzt!«
Jamie rieb sich unschlüssig das Kinn, dann wandte
er sich zu dem Gefangenen um. »Tja, das ist natürlich richtig«,
sagte er. »William Grey, du hast eine gute Anwältin. Weder Seine
Hoheit Prince Charles noch ich haben die Gewohnheit, jemanden ohne
Recht und Gesetz zu exekutieren.« Er winkte Kincaid zu sich
heran.
»Kincaid, du und Ross nehmt diesen Kerl und führt
ihn in die Richtung, in der sich seinen Angaben zufolge sein Lager
befindet. Wenn das, was er gesagt hat, stimmt, dann bindet ihn gut
einen Kilometer von seinem Lager entfernt in Marschrichtung an
einem Baum fest. Morgen früh werden ihn seine Kameraden finden.
Wenn sich seine Auskünfte aber als falsch erweisen«, er musterte
den Gefangenen durchdringend, »dann schneidet ihm die Kehle
durch.«
Ohne jede Spur von Spott blickte er dem Jungen ins
Gesicht. »Ich habe dir das Leben geschenkt. Ich hoffe, du fängst
etwas Vernünftiges damit an.«
Dann band er mich los. Als ich mich wütend
umdrehte, zeigte er auf den Jungen, der sich unter der Eiche auf
den Boden gesetzt hatte. »Würdest du ihm den Arm verbinden, bevor
er aufbricht?« Der finstere Blick, die gespielte Grausamkeit waren
aus Jamies Gesicht verschwunden. Statt dessen hielt er die Augen
gesenkt und mied meinen Blick.
Wortlos trat ich auf den Jungen zu und beugte mich
zu ihm hinunter. Er schien wie benommen und widersetzte sich nicht,
als ich seinen Arm untersuchte, obwohl er große Schmerzen haben
mußte.
Ständig glitt mir das zerrissene Oberteil meines
Kleides von den Schultern, und ich murmelte ärgerlich, als ich es
zum x-ten Male hochzog. Der Unterarmknochen des Jungen war dünn und
kaum kräftiger als meiner. Ich schiente den Arm und legte ihn in
eine Schlinge, die ich aus meinem Halstuch gebunden hatte. »Es ist
ein glatter Bruch«, erklärte ich ihm sachlich. »Du solltest den Arm
mindestens zwei Wochen lang nicht mehr bewegen.« Er nickte, ohne
mich anzusehen.
Jamie saß unterdessen schweigend auf einem
Holzblock und sah mir zu. Keuchend vor Wut ging ich zu ihm hin und
schlug ihn, so fest ich konnte, ins Gesicht. Die Ohrfeige
hinterließ auf seiner Wange einen weißen Fleck, und Tränen schossen
ihm in die Augen, aber er verzog keine Miene.
Kincaid zog den Jungen auf die Beine und schob ihn
zum Rand der Lichtung. Dort blieb er stehen und drehte sich noch
einmal um. Er vermied es, mich anzusehen, sondern sprach nur zu
Jamie.
»Ich verdanke Ihnen mein Leben«, erklärte er
förmlich. »Ich würde es vorziehen, wenn dem nicht so wäre, aber
dieses unwillkommene Geschenk muß ich jetzt als eine Schuld
betrachten, die ich abzutragen habe. Doch wenn sie erst einmal
abgegolten ist...« In der Stimme des Jungen schwang unterdrückter
Haß mit, der jetzt offen ausbrach, als er hinzufügte: »... werde
ich Sie töten!«
Jamie richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Er
wirkte ruhig und zeigte keinerlei Ironie. Nachdem er sich ernst und
gemessen verbeugt hatte, erwiderte er: »In diesem Fall, Sir, kann
ich nur hoffen, daß wir uns nicht wieder begegnen.«
Der Junge straffte die Schultern und erwiderte
steif die Verbeugung. »Ein Grey vergißt seine Schulden niemals,
Sir«, erwiderte er. Mit Kincaid, der ihn am Arm festhielt,
verschwand er in der Dunkelheit.
Lange Zeit war kein Laut zu hören, nur das Rascheln
des Laubes unter den Füßen der sich entfernenden Männer. Dann
begann einer der Männer zu kichern, und ein zweiter schloß sich ihm
an. Das Gelächter schwoll an, wurde lauter, und bald stimmten alle
im Kreis versammelten Männer mit ein.
Jamie trat einen Schritt auf sie zu. Augenblicklich
verstummten sie. Dann sah er mich an und sagte kurz: »Geh ins
Zelt.«
Vorgewarnt durch meinen Gesichtsausdruck, packte er
mich am Handgelenk, bevor ich erneut die Hand zum Schlag heben
konnte.
»Wenn du mich wieder schlagen willst, gib mir
wenigstens Gelegenheit, dir die andere Wange hinzuhalten«, bemerkte
er trocken. »Außerdem kannst du dir die Mühe sparen. Trotzdem rate
ich dir, ins Zelt zu gehen.«
Er ließ meine Hand los, trat näher ans Feuer, und
mit einer gebieterischen Kopfbewegung bewirkte er, daß sich die
Männer zögernd und fast schon ängstlich vor ihm aufstellten.
Ich verstand nicht alles, was er sagte, denn er
sprach in einer
seltsamen Mischung aus Gälisch und Englisch, doch ich verstand
genug, um zu wissen, daß er sich in ruhigem, ausdruckslosem Ton,
der seinen Männern das Blut in den Adern gefrieren ließ, nach den
Wachposten des Abends erkundigte.
Verstohlen blickten sich die Männer an, und es
schien, als rückten sie angesichts der drohenden Gefahr näher
zusammen. Doch dann teilte sich der Haufen, und zwei Männer traten
hervor. Einmal hoben sie kurz den Kopf, blieben aber sonst die
ganze Zeit dicht nebeneinander stehen und blickten schuldbewußt zu
Boden.
Es waren die McClure-Brüder, George und Sorley,
beide in den Dreißigern. Sie sahen so aus, als hätten sie sich ob
des dräuenden Donnerwetters am liebsten an den Händen
gehalten.
Eine kurze Pause trat ein, während Jamie die beiden
Sündenböcke musterte. Dann hielt er ihnen eine lange Standpauke.
Die versammelten Männer gaben keinen Laut von sich, und die beiden
McClures, kräftig gebaute Männer, schienen unter der Gewalt der
Worte zu schwanken. Ich wischte mir die schwitzenden Hände am Rock
ab, froh, daß ich nicht alles verstand, und bereute inzwischen, daß
ich Jamies Aufforderung, ins Zelt zu gehen, nicht befolgt
hatte.
Noch mehr bereute ich es im nächsten Augenblick,
als sich Jamie an Murtagh wandte. Der hatte den Befehl bereits
erwartet und stand mit einer etwa sechzig Zentimeter langen
Lederpeitsche bereit.
»Zieht euch aus und stellt euch hierher, ihr
beiden.« Die McClures gehorchten augenblicklich, als wären sie
begierig, die verdiente Strafe in Empfang zu nehmen, und
erleichtert, daß die Präliminarien vorüber waren.
Zunächst dachte ich, mir würde schlecht werden,
obwohl mir klar war, daß die Strafe, verglichen mit dem, was bei
derartigen Vergehen sonst üblich war, mild ausgefallen war. Kein
Laut war zu hören, nur das Klatschen der Peitsche und hin und
wieder ein Stöhnen.
Schließlich ließ Jamie die Peitsche sinken. Er
schwitzte, und das schmutzige Hemd klebte ihm am Rücken. Mit dem
Ärmel wischte er sich das Gesicht ab und nickte den McClure-Brüdern
zu. Der eine bückte sich und hob die Hemden auf, während der
andere, selbst wacklig auf den Beinen, ihn stützte.
Die versammelten Männer schienen während der
Bestrafung den
Atem angehalten zu haben. Jetzt ging eine Bewegung durch die
Gruppe, gleichsam ein gemeinsames erleichtertes Ausatmen.
Jamie sah sie an und schüttelte den Kopf. Wind kam
auf und fuhr ihm durchs Haar.
»Wir können uns keine Fahrlässigkeit leisten«,
sagte er ruhig. »Keiner von uns.« Er holte tief Luft und verzog den
Mund. »Das gilt auch für mich. Mein offenes Feuer hat den Jungen
auf uns aufmerksam gemacht.« Erneut trat Schweiß auf seine Stirn,
und er wischte sich mit der Hand übers Gesicht. Dann nickte er
Murtagh zu, der mit finsterer Miene etwas abseits von den Männern
stand, und hielt ihm die Peitsche hin.
»Wenn ich bitten darf, Sir?«
Nach einem Augenblick des Zögerns streckte Murtagh
seine schwielige Hand aus und nahm die Peitsche. Ein Ausdruck der
Belustigung flackerte in den schwarzen Äuglein des Clanmitglieds
auf.
»Mit Vergnügen... Sir.«
Jamie drehte seinen Männern den Rücken zu und fing
an, sich das Hemd auszuziehen. Da fiel sein Blick auf mich, die ich
wie versteinert zwischen den Bäumen stand, und er hob ironisch
fragend die Augenbrauen. Ob ich wirklich zusehen wollte? Ich
schüttelte wild den Kopf, drehte mich um und stolperte zwischen den
Bäumen davon.
Doch ich kehrte nicht ins Zelt zurück, dessen
drückende Luft mir jetzt unerträglich erschienen wäre. Ich hatte
das Gefühl zu ersticken und brauchte frische Luft.
Auf einer kleinen Anhöhe hinter dem Zelt hielt ich
an, legte mich flach auf den Boden und verschränkte die Arme über
dem Kopf. Nichts, keinen Laut wollte ich von dem letzten Akt des
Dramas hören, das sich unten am Feuer abspielte.
Das Gras war kalt auf meiner nackten Haut, und ich
zog den Umhang enger um mich. So lag ich unbeweglich, lauschte auf
das Pochen meines Herzens und wartete darauf, daß mein aufgewühltes
Inneres zur Ruhe kam.
Kurze Zeit später hörte ich, wie die Männer in
kleinen Gruppen zu viert oder fünft zu ihren Schlafstellen
zurückkehrten. Durch die schützende Hülle meines Umhangs konnte ich
ihre Worte nicht verstehen, doch ihre Stimmen klangen gedämpft,
vielleicht sogar
ein wenig ehrfürchtig. Es dauerte eine Zeitlang, bis ich merkte,
daß er gekommen war. Obwohl er schwieg, spürte ich seine Nähe. Als
ich mich aufsetzte, sah ich ihn auf einem Stein hocken.
Da ich mich nicht entscheiden konnte, ob ich seinen
Kopf streicheln oder mit einem Felsblock einschlagen sollte, tat
ich letztlich keins von beiden.
»Geht es dir gut?« fragte ich statt dessen so
unbeteiligt wie möglich.
»Aye. Es geht schon.« Langsam faltete er seine
Glieder auseinander und streckte sie behutsam und mit einem tiefen
Seufzer.
»Es tut mir leid um dein Kleid«, sagte er nach
einer Pause. Ich merkte, daß durch die Risse im Stoff meine Haut
hindurchschimmerte, und hastig zog ich meinen Umhang fester um
mich.
»Ach, nur um das Kleid?« fragte ich ziemlich
spitz.
Er seufzte wieder. »Aye, und um das andere auch.«
Dann fügte er hinzu: »Ich dachte, du wärst vielleicht bereit, deine
Sittsamkeit zu opfern, damit ich nicht gezwungen bin, dem Jungen
etwas anzutun. Aber unter den gegebenen Umständen blieb mir nicht
die Zeit, dich um Erlaubnis zu bitten. Wenn ich also einen Fehler
gemacht habe, bitte ich um Verzeihung, Lady.«
»Du meinst, sonst hättest du ihn weiter
gefoltert?«
Er war verärgert und bemühte sich nicht, es zu
verbergen. »Von wegen foltern! Ich habe dem Jungen kein Haar
gekrümmt.«
Ich zog meinen Umhang fester um mich. »Ach, daß du
ihm den Arm gebrochen und ihn mit einer heißen Klinge gebrannt
hast, betrachtest du also nicht als Folter?«
»Nein.« Mit einem Satz sprang er auf mich zu,
packte mich an Ellbogen und riß mich zu sich herum. »Jetzt hör mir
mal zu! Er hat sich den blöden Arm gebrochen, als er sich aus
meinem Griff entwinden wollte. Leider hat er keine Erfahrung im
Kampf Mann gegen Mann, obwohl er so tapfer ist wie andere.«
»Und der Dolch?«
Jamie schnaubte verächtlich. »Pfff! Nichts als ein
kleiner Kratzer, den er morgen mittag schon wieder vergessen hat.
Sicher hat es ihm anfangs weh getan, aber es sollte ihm einen
Schrecken einjagen, mehr nicht.«
»Ach!« Ich riß mich los, stand auf und ging zurück
in den dunklen Wald, auf unser Zelt zu. Hinter mir hörte ich seine
Stimme.
»Ich hätte ihn auch mit Gewalt zum Reden bringen
können, Sassenach. Es wäre unschön gewesen und hätte bleibende
Schäden hinterlassen. Aber ich hüte mich vor solchen Methoden, wenn
es nicht unbedingt sein muß. Allerdings, Sassenach«, warnend drang
seine Stimme durch die Schatten an mein Ohr, »kann die Zeit kommen,
wo ich dazu gezwungen bin. Ich mußte erfahren, wo sich seine Truppe
aufhält, wo sich ihre Waffen befinden und so weiter. Durch bloße
Einschüchterung hätte ich das nicht erfahren; und so konnte ich ihm
nur eine Falle stellen oder es mit Gewalt aus ihm
herausholen.«
»Er hat gesagt, du könntest nichts tun, was ihn zum
Sprechen brächte.«
Jamies Stimme klang müde und erschöpft. »Gott noch
mal, Sassenach, natürlich hätte ich einen Weg gefunden. Man kann
den Widerstand eines jeden Menschen brechen, wenn man ihn nur lange
genug foltert. Wenn sich jemand darin auskennt, dann ich.«
»Ja«, sagte ich leise. »Das tust du wohl.«
Eine Zeitlang blieben wir schweigend stehen. Ich
hörte nur das leise Gemurmel der Männer, die sich zur Nachtruhe
legten, und hin und wieder das Stampfen schwerer Stiefel und das
Rascheln von Blättern, die man zum Schutz gegen die herbstliche
Kälte aufgehäuft hatte. Meine Augen hatten sich mittlerweile so
weit an die Dunkelheit gewöhnt, daß ich bereits unser Zelt erkennen
konnte, das in etwa zehn Metern Entfernung im Schutz einer großen
Lärche stand. Und auch Jamie sah ich jetzt genau, dessen Gestalt
sich dunkel vor der helleren Nacht abzeichnete.
»Also gut«, sagte ich nach einer Weile.»Du hast
recht. In Anbetracht der Möglichkeiten... ja, du hast recht.«
»Danke.« Ich wußte nicht, ob er lächelte, aber
seine Stimme klang so.
»Du hast aber verdammt Glück gehabt«, sagte ich.
»Wenn ich nicht dagewesen wäre und dir eine Ausrede geliefert
hätte, was hättest du dann gemacht?«
Jamie zuckte die Achseln, und es schien, als ob er
in sich hineinlachte.
»Ich weiß es nicht, Sassenach. Ich hatte damit
gerechnet, daß du mir hilfst. Wenn du es nicht getan hättest - tja,
dann hätte ich den Burschen wohl erschießen müssen. Ich hätte ihn
doch kaum enttäuschen und einfach so laufenlassen können,
oder?«
»Du verdammter schottischer Scheißkerl«, erwiderte
ich trokken.
Er seufzte erschöpft. »Sassenach, seit dem
Abendessen - das ich noch nicht einmal in Ruhe zu Ende essen konnte
- bin ich niedergestochen, gebissen, geschlagen und ausgepeitscht
worden. Normalerweise macht es mir keinen Spaß, Kinder zu Tode zu
erschrecken und Männer auszupeitschen, und doch mußte ich heute
beides tun. In fünf Kilometern Entfernung lagern zweihundert
Engländer, und ich habe keinen blassen Schimmer, wie man sie
aufhalten kann. Ich bin müde, hungrig und verletzt. Wenn du auch
nur einen Funken weibliches Mitgefühl für mich übrig hast, könnte
ich es gut gebrauchen.«
Seine Stimme klang so betrübt, daß ich
unwillkürlich lachen mußte. Ich stand auf und ging zu ihm.
»Das kann ich mir vorstellen. Komm her, ich will
sehen, was sich machen läßt.« Er hatte sich das Hemd lose über die
Schultern gelegt. Jetzt ließ ich meine Hand unter den Stoff gleiten
und fuhr über seinen glatten, heißen Rücken. »Die Haut ist nicht
verletzt«, stellte ich fest.
Ich streifte ihm das Hemd ab und hieß ihn
niedersetzen. Dann benetzte ich seinen Rücken mit kaltem Wasser aus
dem Fluß.
»Besser?« fragte ich.
»Ja.« Seine Rückenmuskeln entspannten sich, doch er
zuckte leicht zusammen, als ich eine besonders empfindliche Stelle
berührte.
Dann kümmerte ich mich um die Wunde unter seinem
Ohr. »Du hättest ihn doch nicht wirklich erschossen, oder?«
»Wofür hältst du mich, Sassenach?« erwiderte er mit
gespielter Empörung.
»Für eine schottische Memme. Oder bestenfalls für
einen gewissenlosen Verbrecher. Woher weiß ich, wozu solch ein Kerl
in der Lage ist? Und erst recht ein skrupelloser Lüstling wie
du.«
Er lachte, so daß seine Schultern unter meinen
Händen erbebten. »Dreh dich um. Wenn du weibliches Mitgefühl
willst, mußt du schon stillsitzen.«
»Gut.« Wir schwiegen einen Augenblick. »Nein«,
sagte er dann. »Ich hätte ihn nicht erschossen. Aber irgendwie
mußte ich dafür sorgen, daß er das Gesicht wahren konnte, nachdem
ich ihn in aller Öffentlichkeit lächerlich gemacht hatte. Er ist
ein tapferer Junge,
und deshalb wollte ich ihm das Gefühl geben, er sei es wert,
getötet zu werden.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich werde die Männer nie
verstehen«, murmelte ich und strich Ringelblumensalbe auf die
Wunde.
Er griff nach meinen Händen und zog mich nahe zu
sich heran.
»Du brauchst mich nicht zu verstehen, Sassenach«,
erwiderte er leise, »solange du mich liebst.« Er neigte den Kopf
und küßte meine Hände.
»Und mir etwas zu essen bringst«, fügte er hinzu
und ließ meine Hände los.
»Oh, weibliches Mitgefühl, Liebe und Essen?«
fragte ich lachend. »Sonst noch was?«
In den Satteltaschen waren kalte Haferkuchen, Käse
und auch etwas Schinken. Jetzt erst spürte ich, wie sehr mich die
Ereignisse der letzten beiden Stunden angestrengt hatten. Auch ich
hatte Hunger bekommen.
Als das Gemurmel der Männer verstummt war, bekam
ich plötzlich das Gefühl, daß wir Tausende von Kilometern von jeder
Menschenseele entfernt waren. Nur der Wind rauschte unermüdlich in
den Bäumen.
Jamie lehnte sich gegen einen Stamm. Sein Gesicht
wirkte blaß im Licht der Sterne, doch er war zum Scherzen
aufgelegt.
»Ich habe deinem Fürsprecher mein Wort gegeben, daß
ich dich nicht mit unsittlichen Annäherungsversuchen belästige.
Hoffentlich gilt das nur, solange du mich nicht einlädst, dein Bett
mit dir zu teilen. Andernfalls muß ich bei Murtagh oder Kincaid
schlafen. Und Murtagh schnarcht.«
»Du auch«, erwiderte ich.
Ich sah ihn kurz an. Dann zuckte ich die Achseln,
so daß mir das zerrissene Kleid die eine Schulter herabglitt.
»Einen ersten Anlauf hast du ja schon gemacht.« Ich streifte das
Kleid von der anderen Schulter, so daß es zu Boden fiel. »Jetzt
kannst du dein Werk vollenden.«
Ich spürte die Wärme seiner Umarmung auf meiner
kalten Haut.
»Aye, gut«, murmelte er in mein Haar, »Krieg ist
Krieg, nicht wahr?«
»Ich kann mir keine Jahreszahlen merken«, sagte
ich einige Zeit später und blickte zum sternenübersäten Himmel.
»Ist Miguel de Cervantes schon geboren?«
Jamie lag - notgedrungen - auf dem Bauch neben mir;
Kopf und Schultern ragten aus dem Zelt. Er öffnete langsam ein Auge
und sah zum östlichen Horizont. Als er keine Anzeichen von
Morgendämmerung erkennen konnte, blickte er mich mit einem Ausdruck
zynischer Resignation an.
»Hast du etwa plötzlich das Bedürfnis, über
spanische Romane zu sprechen?« fragte er heiser.
»Eigentlich nicht«, antwortete ich. »Ich wollte nur
wissen, ob dir der Ausdruck ›Donquichotterie‹ geläufig ist.«
Er stützte sich auf die Ellbogen und kratzte sich
mit beiden Händen am Kopf, um wach zu werden. Blinzelnd drehte er
sich zu mir um.
»Cervantes wurde vor beinahe zweihundert Jahren
geboren, Sassenach, und da mir eine umfassende Bildung zuteil
wurde, kenne ich diesen Herrn. Du wirst doch mit deiner Bemerkung
nicht etwa auf mich anspielen wollen?«
»Schmerzt dein Rücken?«
Er hob probeweise die Schultern. »Nicht sehr. Ein
paar blaue Flecken, vermute ich.«
»Jamie, weshalb, um Himmels willen, war das nötig?«
brach es aus mir heraus.
Er stützte das Kinn auf seine verschränkten Hände.
Da er den Kopf zur Seite neigte, wirkten seine Augen noch schräger
als sonst und durch sein Lächeln schmal wie Schlitze.
»Murtagh hat es genossen. Diese Tracht Prügel war
schon lange fällig - seit ich als Neunjähriger Honigwaben in seine
Stiefel gelegt habe, die er ausgezogen hatte, um sich die Füße zu
kühlen. Er hat mich damals nicht erwischt, aber ich habe eine Menge
neuer und interessanter Wörter gelernt, während er barfuß hinter
mir herjagte. Er...«
Ich unterbrach seinen Wortschwall, indem ich ihm
einen festen Klaps auf die Schulter gab. Mit einem überraschten
»Autsch!« knickte er seinen Arm ein und rollte auf die Seite.
Ich schlang ihm einen Arm um die Hüfte. Sein
breiter Rücken verdeckte mir den Blick auf die Sterne. Ich küßte
ihn zwischen die Schultern. Dann holte ich Luft und blies ihm sanft
meinen kühlenden
Atem auf die Haut. Er bekam eine Gänsehaut, und der feine
Haarflaum entlang seines Rückgrats stellte sich auf.
»Warum?« wiederholte ich. Ich legte mein Gesicht
auf seinen heißen Rücken. Die Narben konnte ich in der Dunkelheit
nicht sehen, aber ich spürte sie als dünne, feste Streifen unter
meiner Wange.
»Also«, begann er, dann verfiel er in ein
nachdenkliches Schweigen.
»Ich weiß auch nicht genau, Sassenach«, fuhr er
nach einer Weile fort. »Vielleicht dachte ich, ich sei es dir
schuldig. Oder mir selbst.«
»Mir nicht.«
»Aye? Ist es etwa die feine Art, der eigenen
Ehefrau in Anwesenheit von dreißig Männern die Kleider vom Leib zu
reißen?« Seine Stimme klang jetzt bitter. Sanft drückte ich meine
Hände gegen seinen Rücken, um ihn zu beschwichtigen. »Gehört es
sich für einen tapferen Krieger, gegen einen gefangenen Feind
Gewalt zu gebrauchen, zudem gegen ein Kind? Und noch schlimmere
Dinge in Erwägunge zu ziehen?«
»Wäre es besser gewesen, mich - oder ihn - zu
schonen und dafür in den nächsten zwei Tagen die Hälfte deiner
Männer zu verlieren? Du konntest - du kannst es dir nicht leisten,
dich von vornehmer Rücksichtnahme leiten zu lassen.«
»Nein«, sagte er leise. »Nein. Ich muß der Pflicht
und der Ehre gehorchen und für den Sohn meines Königs in den Kampf
ziehen. Gleichzeitig aber muß ich versuchen, die Sache, der ich
mich verschworen habe, in ihr Gegenteil zu verkehren. In meiner
Hand liegt das Leben derer, die ich liebe - ich verrate die Ehre,
damit diejenigen, die ich ehre, am Leben bleiben.«
»Im Namen der Ehre sind schon viele Menschen
getötet worden«, bemerkte ich zu Jamie, der mir immer noch den
Rücken zuwandte. »Sinnlose Verteidigung der Ehre ist... Dummheit.
Eine heldenhafte Dummheit zwar, aber trotzdem eine Dummheit.«
»Aye, das stimmt. Und das wird sich ändern, wie du
mir gesagt hast. Aber wenn ich zu den ersten gehöre, die die Ehre
der Vernunft opfern... soll ich mich nicht dafür schämen?« Er
drehte sich um und sah mich bekümmert an.
»Ich kehre nicht um - ich kann gar nicht mehr. Aber
manchmal, Sassenach, manchmal trauere ich dem Teil meines Selbst
nach, den ich verloren habe.«
»Daran bin ich schuld«, sagte ich leise. Ich strich
ihm über das Gesicht, die dichten Augenbrauen, den großen Mund und
das Kinn mit den Bartstoppeln. »Ich allein. Wenn ich nicht gekommen
wäre... dir nicht gesagt hätte, was geschehen wird...« Ich empfand
tiefes Bedauern; auch mir tat es leid, daß er sein unbefangenes,
ritterliches Wesen verloren hatte. Und dennoch... hätten wir beide,
die wir nun einmal nicht aus unserer Haut konnten, eine andere Wahl
gehabt? Ich hatte ihm sagen müssen, was ich wußte, und er hatte
darauf reagieren müssen. Ein Spruch aus dem Alten Testament ging
mir durch den Kopf: »Schweigt vor mir, damit ich reden kann, dann
komme auf mich, was mag.«
Jamie griff die biblische Assoziation auf, als
hätte er den Spruch gehört. »Ach, na ja«, sagte er, »meines Wissens
hat Adam Gott nicht gebeten, Eva wieder von ihm zu nehmen, er hat
sich nicht darüber beschwert, was sie ihm angetan hat.« Er beugte
sich über mich und küßte meine Stirn, als ich lachte. Dann zog er
mir die Decke über die nackten Schultern. »Schlaf jetzt, meine
liebe Rippe. Morgen werde ich eine Gefährtin benötigen.«
Ein seltsames metallisches Geräusch weckte mich.
Ich spitzte unter der Decke hervor und sah in die Richtung, aus der
der Lärm kam.
»Bist du wach?« Etwas silbrig Glänzendes,
Klirrendes senkte sich vor meinem Gesicht herab, und ein schweres
Gewicht legte sich um meinen Hals.
»Was ist das, um Himmels willen?« fragte ich
erstaunt und hob den Kopf. Ich schien eine Halskette aus vielen,
fünf Zentimeter großen Metallgliedern, die auf einen ledernen
Schnürsenkel gefädelt waren, zu tragen. Einige der Glieder waren an
der Spitze verrostet, andere nagelneu. Alle wiesen Kratzer auf, als
hätte man sie aus einem größeren Ganzen herausgerissen.
»Kriegstrophäen, Sassenach«, erklärte Jamie.
Ich sah zu ihm auf und stieß einen Laut des
Entsetzens aus.
»Oh«, sagte er und strich sich übers Gesicht. »Das
habe ich ganz vergessen. Ich hatte keine Zeit, es
abzuwaschen.«
»Du hast mich zu Tode erschreckt«, erwiderte ich
und griff mir an mein pochendes Herz. »Was ist denn das?«
»Ruß«, sagte er mit einer Stimme, die durch das
Tuch, mit dem er sich das Gesicht abrieb, gedämpft wurde. Als er es
vom Gesicht nahm, lächelte er mich an. Von Nase, Kinn und Stirn
hatte er sich
die Farbe bis auf ein paar Streifen abgewischt, aber seine Augen
waren noch immer schwarzumrandet wie die eines Waschbären. Es
dämmerte, und im fahlen Licht, das im Zelt herrschte, hob sich sein
Gesicht kaum von der Leinwand hinter ihm ab. Ich hatte den höchst
unangenehmen Eindruck, mit einem Menschen ohne Kopf zu
sprechen.
»Das war doch deine Idee«, sagte er.
»Meine Idee? Du siehst aus wie ein Weißer,
der sich als Mohr verkleidet hat«, erwiderte ich. »Was hast du bloß
getrieben?«
Er lächelte und zeigte dabei seine Zähne, die
strahlendweiß aus seinem rußverschmierten Gesicht
hervorblitzten.
»Überfallkommando«, erwiderte er zufrieden
grinsend.
»O Gott«, rief ich entsetzt. »Du warst im
englischen Lager? Um Himmels willen! Hoffentlich nicht
allein?«
»Dieses Vergnügen konnte ich meinen Männern doch
nicht vorenthalten, oder? Drei von ihnen sind hiergeblieben, um
dich zu bewachen, und wir anderen hatten eine wirklich sehr
einträgliche Nacht.« Stolz deutete er auf meine Halskette.
»Vorsteckstifte für die Transportkarren. Wir
konnten die Kanonen nicht mitnehmen oder sie zerstören, ohne viel
Lärm zu machen. Aber ohne Räder kommen sie nicht weit. Die sechzehn
Schnellfeuerkanonen werden jedenfalls niemals bei General Cope
eintreffen.«
Kritisch betrachtete ich meine Halskette.
»Das ist schön und gut, aber glaubst du nicht, daß
sie neue Vorsteckstifte anfertigen können? So etwas läßt sich doch
sicher aus starkem Draht herstellen.«
Selbstzufrieden nickte er.
»Aye. Natürlich kann man das. Aber ohne neue Räder,
an denen sie sie befestigen können, wird es ihnen nichts nutzen.«
Er schlug die Zeltklappe zurück und deutete zum Fuß des Berges.
Dort erblickte ich Murtagh, schwarz wie ein verhutzelter Teufel,
der eine Reihe geschäftig wirkender Unterteufel befehligte. Mit
großer Fröhlichkeit warfen sie gerade das letzte von zweiunddreißig
riesigen hölzernen Rädern in die tosenden Flammen. Neben dem Feuer
lagen eiserne Radreifen aufeinandergeschichtet. Fergus, Kincaid und
ein anderer junger Mann spielten mit einem eisernen Reifen, indem
sie ihn mit Stöcken hin und her rollten. Ross saß auf einem
Baumstamm, trank aus einem Horngefäß und drehte mit seinen
stämmigen Armen einen anderen Reifen auf der Stelle.
Bei diesem Anblick mußte ich unwillkürlich
lachen.
»Jamie, du bist wirklich ein kluger Bursche!«
»Das mag sein«, erwiderte er, »aber du bist
halbnackt, und wir müssen aufbrechen. Zieh dich schnell an. Wir
haben die Wachen in einem verlassenen Schafpferch festgebunden,
aber die anderen sind jetzt sicher schon wach und uns auf den
Fersen. Wir müssen verschwinden.«
Wie zur Bekräftigung seiner Worte begann das Zelt
zu wackeln. Jemand band draußen die Seile los. Ich stieß vor
Schreck einen Schrei aus und wühlte nach den Satteltaschen, während
Jamie das Zelt verließ, um den Aufbruch zu überwachen.
Es war bereits später Nachmittag, als wir Tranent
erreichten. Das verschlafene Dorf in den Bergen über dem Meer war
fest in der Hand der Hochlandarmee. Der größte Teil des Heeres
lagerte zwar in den Bergen hinter den Häusern, die auf die schmale,
bis zur Küste verlaufende Ebene blickten, doch das ständige Kommen
und Gehen ließen Tranent nicht zur Ruhe kommen. Ständig trafen mehr
oder weniger militärisch wirkende neue Truppeneinheiten ein,
Kundschafter und Boten - manche auf Ponys, andere auf Schusters
Rappen - eilten hin und her, die Frauen und Kinder der Soldaten und
die Marketenderinnen saßen in und vor den Katen und fragten die
vorbeieilenden Boten nach den neuesten Nachrichten.
Am Rande dieses Tohuwabohus hielten wir an, und
Jamie schickte Murtagh aus, um nach Lord George Murray zu suchen,
dem Oberbefehlshaber des Heeres. Jamie selbst machte sich in einer
der Katen frisch.
Auch mein Äußeres ließ zu wünschen übrig. Ich hatte
mich zwar nicht mit Ruß beschmiert, doch nach mehreren Nächten im
Freien war mein Gesicht ebenfalls von schwarzen Streifen geziert.
Die Frau des Hauses reichte mir freundlich ein Handtuch und einen
Kamm, und ich saß gerade am Tisch, um den Kampf mit meinen Locken
aufzunehmen, als die Tür mit einem Schwung aufging und Lord George
höchstpersönlich eintrat.
Der Lord, gewöhnlich von untadeligem Äußeren, war
zerzaust, mehrere Knöpfe seiner Weste standen offen, seine
Halsbinde hing herab, und ein Strumpfband war lose. Seine Perücke
hatte er kurzerhand in die Hosentasche gesteckt, und seine
schütteren braunen
Locken standen in alle Richtungen ab, als hätte er sich vor
Verzweiflung die Haare gerauft.
»Gott sei Dank!« rief er. »Endlich ein vernünftiges
Gesicht!« Dann beugte er sich vor und betrachtete Jamie blinzelnd.
Der hatte sich zwar fast den ganzen Ruß aus dem rotflammenden Haar
gewaschen, doch graue Rinnsale rannen sein Gesicht hinunter und
tropften auf sein Hemd. Seine Ohren, die er in der Hast vergessen
hatte zu waschen, waren noch pechschwarz.
»Was...«, begann der verblüffte Lord George. Doch
dann unterbrach er sich und schüttelte den Kopf, als wollte er ein
Hirngespinst vertreiben.
»Wie geht’s, Sir?«« fragte Jamie respektvoll und
tat so, als hätte er das mit einem Band zusammengehaltene Zopfende
der Perücke nicht gesehen, das aus Lord Georges Hosentasche
herausspitzte und wie der Schwanz eines Hündchens wedelte, während
sein Besitzer heftig gestikulierte.
»Wie es geht?« wiederholte der Lord. »Ach, ich kann
Ihnen sagen, Sir! Einmal nach Osten, und dann wieder nach Westen,
und dann kommt die Hälfte hier runter, um zu Mittag zu essen, und
unterdessen marschiert die andere Hälfte weiß der Teufel wohin. So
geht es!«
»Damit meine ich die treue Hochlandarmee Seiner
Hoheit«, fuhr er fort, nachdem er sich durch seinen plötzlichen
Ausbruch Luft gemacht hatte. Er schien sich beruhigt zu haben, denn
jetzt berichtete er, was sich seit der Ankunft der Truppen in
Tranent tags zuvor ereignet hatte.
Lord George, der zusammen mit der Armee angekommen
war, hatte die meisten Männer im Dorf gelassen und sich mit einem
kleinen Trupp aufgemacht, um auf dem Bergkamm oberhalb der Ebene
Stellung zu beziehen. Prinz Charles, der später eingetroffen war,
war von dieser Aktion ganz und gar nicht angetan gewesen und hatte
dies laut und öffentlich kundgetan. Seine Hoheit war dann mit der
Hälfte der Armee Richtung Westen gezogen, und der Herzog von Perth
- nominell der zweite Oberbefehlshaber - hatte sich widerspruchslos
gefügt. Sie wollten die Möglichkeit erkunden, von Preston aus
anzugreifen.
Da nun die Armee zweigeteilt war und Lord George
alle Hände voll zu tun hatte, von den Dorfbewohnern Erkundungen
über das umliegende Gelände einzuholen, war O’Sullivan, einer der
irischen
Vertrauten des Prinzen, auf die kluge Idee verfallen, ein
Kontingent von Lochiel Camerons Clansmännern auf den Kirchhof von
Tranent zu beordern.
»Cope hat sie natürlich beschossen«, fuhr Lord
George grimmig fort. »Und Lochiel hat mir heute nachmittag höllisch
zugesetzt. Verständlicherweise war er furchtbar aufgeregt, weil
viele seiner Männer sinnlos verwundet worden sind. Er bat darum,
sie aus dem Kampf zurückziehen zu dürfen, und ich stimmte dem
natürlich zu. Und da kommt doch der Speichellecker Seiner Hoheit,
O’Sullivan - das Ekel! Nur weil er mit Seiner Hoheit in Eriskay an
Land gegangen ist, glaubt der Kerl, er - na ja, er jammert, daß die
Anwesenheit der Camerons im Kirchhof unbedingt erforderlich sei -
man beachte, unbedingt erforderlich! -, wenn wir von Westen her
angreifen. Habe ihm unmißverständlich gesagt, daß wir von Osten her
angreifen, wenn überhaupt. Was aber im Augenblick zweifelhaft ist,
da wir nicht wissen, wo sich die eine Hälfte unserer Soldaten
befindet. Von Seiner Hoheit ganz zu schweigen«, fuhr er in einem
Tonfall fort, der klarmachte, daß der Verbleib von Prinz Charles
für ihn von rein akademischem Interesse war.
»Und dann die Clanoberhäupter! Per Los hatte die
Camerons die Ehre getroffen, in der Schlacht - vorausgesetzt, daß
es zu einer solchen überhaupt kommt - auf dem rechten Flügel zu
kämpfen. Die MacDonalds, die sich ursprünglich damit einverstanden
erklärt hatten, bestreiten jetzt energisch, ihre Zustimmung gegeben
zu haben, und drohen, überhaupt nicht zu kämpfen, falls ihnen ihr
traditionelles Recht genommen wird, auf der rechten Flanke in die
Schlacht zu ziehen.«
Lord George, der seinen Bericht mit einer gewissen
Ruhe begonnen hatte, wurde immer aufgebrachter. Jetzt sprang er auf
und kratzte sich mit beiden Händen den Kopf.
»Wir haben die Camerons den ganzen Tag lang
exerzieren lassen. Durch das dauernde Hin und Her können sie
inzwischen ihren Schwanz nicht mehr von ihrem Arsch unterscheiden -
verzeihen Sie die Bemerkung, Madam«, fügte er mit einem zerstreuten
Blick auf mich hinzu. »Und Clanranalds Männer«, fuhr er fort,
»prügeln sich unterdessen mit den Männern von Glengarry.« Er hielt
inne. Sein Gesicht war rot vor Zorn. »Wenn es nicht Glengarry wäre,
würde ich... na ja, lassen wir das.« Er machte eine abfällige
Handbewegung und durchmaß mit großen Schritten das Zimmer.
»Die Sache hat einzig den Vorteil«, sagte er, »daß
die Engländer aufgrund unserer Truppenbewegungen ebenfalls
durcheinander geraten sind. Cope hat mit seiner gesamten
Streitmacht nicht weniger als viermal die Richtung wechseln müssen,
und seine rechte Flanke steht jetzt beinahe unten am Meer. Er fragt
sich zweifellos, was in Gottes Namen wir als nächstes vorhaben.« Er
beugte sich nach vorne und sah aus dem Fenster, als erwartete er,
General Cope höchstpersönlich käme die Hauptstraße entlang, um sich
zu erkundigen.
»Wo genau befindet sich denn Ihre Truppenhälfte,
Sir?« Jamie sprang auf, als wollte er sich dem Lord bei seiner
Wanderung durchs Zimmer anschließen, doch ich hielt ihn am Kragen
fest. Mit einem Handtuch und einer Schüssel warmem Wasser hatte ich
mich während der Ausführungen Seiner Lordschaft bemüht, den Ruß von
Jamies Ohren zu waschen. Jetzt glühten sie blitzblank und
rot.
»Am Bergkamm südlich der Ortschaft.«
»Dann halten wir also weiterhin das obere
Gelände?«
»Ja, das klingt gut, nicht wahr?« Seine Lordschaft
lächelte ein wenig. »Doch das nutzt uns herzlich wenig, denn das
Gelände unterhalb des Hanges ist voller Tümpel und Sümpfe. Zu allem
Überfluß zieht sich ein zwei Meter tiefer, dreißig Meter langer und
mit Wasser gefüllter Graben den Fuß des Berges entlang! Zwar liegen
im Augenblick nur knapp fünfhundert Meter zwischen den beiden
Truppen, doch es könnten genausogut auch fünfhundert Kilometer
sein.« Lord George wühlte in seiner Hosentasche, aber statt eines
Taschentuchs hielt er plötzlich seine Perücke in der Hand. Er
starrte sie verdutzt an. Es hätte nicht wenig gefehlt, und er hätte
sich damit übers Gesicht gewischt.
Ich reichte ihm dezent mein rußiges Taschentuch. Er
schloß die Augen und holte tief Luft; dann sah er mich an und
verbeugte sich vor mir mit seiner gewohnten Höflichkeit.
»Ihr Diener, Madam.« Er wischte sich mit dem
schmutzigen Tuch übers Gesicht, gab es mir zurück und setzte sich
die zerzauste Perücke auf den Kopf.
»Verdammt will ich sein«, rief er, »wenn ich
tatenlos zusehe, wie uns der Narr ins Unglück führt!« Er wandte
sich entschlossen an Jamie.
»Fraser, wie viele Männer haben Sie?«
»Dreißig, Sir.«
»Pferde?«
»Sechs, Sir. Dazu noch vier Ponys als
Packtiere.«
»Packtiere? Aha. Mit Verpflegung für die
Männer?«
»Ja, Sir. Außerdem sechzig Sack Mehl, die wir
letzte Nacht einem englischen Bataillon abgenommen haben. Ach ja,
und dann noch einen Sechzehn-Zoll-Mörser.«
Jamie sprach den letzten Satz mit solcher
Beiläufigkeit, daß ich ihm am liebsten das Taschentuch in den Mund
gestopft hätte. Lord George starrte ihn einen Moment lang
überrascht an, dann verzog er den Mund zu einem Grinsen.
»Ach? Gut, dann kommen Sie mit, Fraser. Sie können
mir unterwegs mehr davon erzählen.« Er wandte sich zur Tür, Jamie
ergriff seinen Hut, sah mich mit großen Augen an und folgte
ihm.
An der Tür der Kate blieb Lord George plötzlich
stehen und drehte sich um. Er musterte Jamies hünenhafte Gestalt
von oben bis unten, den offenen Hemdkragen, den hastig über den Arm
gelegten Mantel.
»Mag sein, daß wir es eilig haben, Fraser, aber uns
bleibt allemal die Zeit, daß wir uns wie zivilisierte Menschen
benehmen. Geben Sie Ihrer Frau einen Abschiedskuß. Ich warte
draußen.«
Dann drehte er sich auf dem Absatz um und machte
vor mir einen Kratzfuß. Er verbeugte sich so tief, daß der Zopf
seiner Perücke mit einem Schwung nach vorn schnellte.
»Ihr Diener, Madam.«
Ich kannte mich soweit mit dem Militär aus, um zu
wissen, daß sich in der nächsten Zeit nichts Besonderes ereignen
würde, und so war es dann auch. Männer schlenderten in Gruppen die
einzige Straße des Dorfes hinauf und hinunter. Soldatenfrauen,
Marketenderinnen und die aus ihren Häusern vertriebenen Bewohner
von Tranent liefen ziellos herum. Dazwischen galoppierten berittene
Boten mit Nachrichten durch die Menge.
Ich hatte Lord George schon in Paris kennengelernt.
Er war kein Mann, der sich lange mit Förmlichkeiten aufhielt, wenn
rasches Handeln geboten war. Dennoch hatte er Jamie wohl eher
deshalb persönlich begrüßt, weil er seiner Gereiztheit über den
Prinzen Ausdruck verleihen und O’Sullivans Gesellschaft entfliehen
wollte, und nicht, weil er rasch und vertraulich den nächsten
Schritt planen wollte. Wenn die Gesamtstärke der Hochlandarmee
zwischen fünfzehnhundert
und zweitausend Mann betrug, mußten dreißig Männer weder als
Geschenk des Himmels betrachtet noch mit einem Hohnlächeln abgetan
werden.
Als mein Blick auf Fergus fiel, der herumzappelte,
als hätte er den Veitstanz, entschied ich, daß ich selbst auch ein
paar Nachrichten schicken könnte. In Abwandlung des Spruchs »Unter
den Blinden ist der Einäugige König« sagte ich mir: »Wenn keiner
weiß, was zu tun ist, ist ein vernünftiger Vorschlag Gold
wert.«
In den Satteltaschen fand ich Papier und Tinte.
Beinahe ehrfürchtig sah die Frau des Hauses, die vermutlich noch
nie in ihrem Leben eine des Schreibens kundige Frau getroffen
hatte, mir zu, wie ich einen Brief an Jenny Cameron verfaßte. Jenny
hatte die dreihundert Clansmänner höchstpersönlich über die Berge
geführt, um sich Prince Charles anzuschließen, nachdem er sein
Banner an der Küste aufgepflanzt hatte. Als ihr Bruder nach Hause
kam und hörte, was geschehen war, ritt er eilends nach Glenfinnan,
um seinen Platz als Clanoberhaupt einzunehmen. Doch Jenny lehnte es
ab, nach Hause zurückzukehren und sich den Spaß entgehen zu lassen.
Sie hatte den kurzen Zwischenaufenthalt in Edinburgh, wo Charles
die Huldigung seiner Getreuen entgegennahm, in vollen Zügen
genossen, war aber auch bereit, ihren Prinzen in die Schlacht zu
begleiten.
Ich besaß kein Siegel, doch in einer der
Satteltaschen befand sich Jamies Mütze, an der eine Plakette mit
dem Wappen und dem Leitspruch des Fraser-Clans angebracht war. Ich
holte sie heraus und drückte die Plakette in das warme Kerzenwachs,
mit dem ich den Brief versiegelt hatte. Es sah richtig amtlich
aus.
»Für die schottische Dame mit den Sommersprossen«,
wies ich Fergus an, und zufrieden beobachtete ich, wie er
davoneilte und im Menschengetümmel der Straße verschwand. Ich hatte
keine Ahnung, wo sich Jenny im Augenblick befand, aber die
Offiziere hatten ihr Quartier im Pfarrhaus neben der Kirche
aufgeschlagen. Dort konnte Fergus mit seiner Suche beginnen. Das
würde ihn jedenfalls davon abhalten, auf dumme Gedanken zu
kommen.
Nachdem ich dies erledigt hatte, wandte ich mich an
die Hausfrau.
»Nun denn«, sagte ich, »was haben Sie an Decken,
Servietten und Unterröcken?«
Bald stellte sich heraus, daß ich Jenny Cameron
richtig eingeschätzt hatte. Eine Frau, die dreihundert Männer um
sich versammeln und über die Berge führen konnte, um für einen
Gecken mit italienischem Akzent und einer Schwäche für Weinbrand zu
kämpfen, mußte sowohl über Tatkraft als auch über die seltene
Begabung verfügen, andere so einzuschüchtern, daß sie ihre Befehle
befolgten.
»Sehr vernünftig«, meinte sie, als sie von meinem
Plan hörte. »Mein Bruder Archie hat vermutlich Vorkehrungen
getroffen, aber er möchte natürlich am liebsten bei der Armee
sein.« Entschlossen schob sie das Kinn vor. »Denn dort spielt die
Musik«, ergänzte sie sarkastisch.
»Es wundert mich, daß Sie nicht darauf bestanden
haben mitzugehen«, sagte ich.
Sie lachte. Ihr kleines reizloses Gesicht mit dem
vorstehenden Unterkiefer ließ sie wie eine gutmütige Bulldogge
aussehen.
»Ich würde schon, wenn ich dürfte, aber ich darf
nicht«, gab sie offen zu. »Jetzt, wo Hugh da ist, will er mich
ständig überreden, nach Hause zu gehen. Aber ich will«, sie blickte
sich um, ob wir nicht belauscht würden, und senkte vertraulich die
Stimme, »verdammt sein, wenn ich zu Hause herumsitze, wo ich mich
hier nützlich machen kann.«
Sie stand auf der Türschwelle der Kate und blickte
nachdenklich auf die Straße.
»Ich glaube nicht, daß sie auf mich hören würden«,
sagte ich. »Schließlich bin ich Engländerin.«
»Aye, das stimmt wohl«, sie nickte, »aber mein Wort
hat Gewicht. Ich weiß nicht, wie viele Verwundete es geben wird.
Gebe Gott, daß es nicht viele sind.« Sie bekreuzigte sich flüchtig.
»Wir fangen am besten mit den Häusern in der Nähe des Pfarrhauses
an; es wird dort weniger schwer sein, Wasser aus dem Brunnen zu
holen.« Entschlossen trat sie aus der Tür und machte sich auf den
Weg. Ich folgte ihr.
Uns kam nicht nur die Überzeugungskraft von Miß
Cameron zugute, sondern auch die Tatsache, daß Dasitzen und Warten
für Männer eine der entsetzlichsten Beschäftigungen überhaupt ist -
Frauen tun das weitaus öfter. Als die Sonne hinter der Dorfkirche
von Tranent verschwunden war, hatten wir bereits eine Art
Krankenhausbrigade auf die Beine gestellt.
Die Blätter fielen von den Lärchen und Erlen im
nahegelegenen Wald und blieben gelb und flach auf dem sandigen
Boden liegen. Ab und zu wurde ein gekräuseltes braunes Blatt vom
Wind davongetrieben wie ein Kahn im aufgewühlten Meer.
Wenn ich die Augen vor dem Licht der untergehenden
Sonne beschattete, konnte ich den Berghang hinter dem Ort sehen, wo
die Hochlandarmee ihr Lager aufgeschlagen hatte. Seine Hoheit war
vor einer Stunde mit der anderen Hälfte der Armee zurückgekehrt, um
sich Lord George anzuschließen. Ich konnte einzelne Gestalten
erkennen, die sich als winzige schwarze Schatten vor dem
verblassenden Himmel abzeichneten. Ein paar hundert Meter jenseits
der Straße sah ich den schwachen Schein der ersten englischen
Feuer. Der schwere Qualm brennenden Torfes aus den Katen und der
herbere Geruch der englischen Holzfeuer überlagerte den des
Meeres.
Die Frauen und Familien der Hochlandsoldaten waren
in den Häusern entlang der Hauptstraße gastfreundlich aufgenommen
worden. Sie teilten mit ihren Gastgebern das karge Mahl aus
Haferbrei und Salzhering. Auch für mich stand ein Abendessen
bereit, obwohl ich kaum Appetit hatte.
»Wollen Sie nicht hereinkommen, Madame? Die Frau
hat Essen für Sie bereitgestellt.« Es war Fergus, der plötzlich
neben mir aufgetaucht war.
»Oh? Ja, natürlich. Ja, ich komme.« Ich warf einen
letzten Blick auf den Berghang, dann wandte ich mich zu der
Kate.
»Kommst du auch, Fergus?« fragte ich, als ich sah,
wie er mitten auf der Straße stehenblieb und angestrengt
beobachtete, was auf dem Berg vor sich ging. Jamie hatte ihm die
strenge Anweisung gegeben, bei mir zu bleiben, doch er wünschte
sich offenbar nichts sehnlicher, als bei den Kriegern zu sein, die
sich auf die Schlacht am folgenden Tag vorbereiteten.
»Wie? Ja, Madame.« Mit einem Seufzen drehte er sich
um, denn für den Augenblick mußte er sich mit einem langweiligen
Frieden zufriedengeben.
Die Sommertage waren vorüber, jetzt begann die
Zeit der langen Abende. Die Lampen wurden bereits angezündet, bevor
wir unsere Arbeiten erledigt hatten. Auch nach Einbruch der
Dunkelheit herrschte draußen eine ständige Unruhe, und am Horizont
war der
Widerschein der Feuer zu sehen. Fergus, der nicht stillsitzen
konnte, lief von einer Kate zur anderen, überbrachte Botschaften
und schnappte Gerüchte auf. Immer wieder sprang er wie ein Kobold
aus den Schatten.
»Madame«, sagte er und zupfte mich am Ärmel. Ich
war gerade damit beschäftigt, Leinen in Streifen zu reißen, die
dann sterilisiert werden sollten. »Madame!«
»Was ist denn jetzt schon wieder los, Fergus?«
fragte ich leicht verstimmt über die Störung. Gerade war ich dabei,
einigen Hausfrauen auseinanderzusetzen, wie wichtig es war, sich
bei der Behandlung von Verwundeten häufig die Hände zu
waschen.
»Ein Mann, Madame. Er möchte mit dem Kommandanten
der Armee Seiner Hoheit sprechen. Er besitzt wichtige
Informationen, sagt er.«
»Dann soll er sich nicht aufhalten lassen.« Ich
zerrte erfolglos an einer widerspenstigen Hemdennaht, dann nahm ich
die Zähne zu Hilfe. Der Stoff riß mit einem lauten Ratsch.
Ich spuckte ein paar Fädchen aus. Fergus stand
immer noch neben mir und wartete geduldig.
»Gut«, sagte ich resigniert. »Was kann ich deiner -
oder seiner - Meinung nach unternehmen?«
»Wenn Sie erlauben, Madame«, schlug Fergus eifrig
vor, »bringe ich ihn zu meinem Herrn. Er könnte ein Treffen
mit dem Kommandanten arrangieren.«
»Er«, das war Fergus’ felsenfeste
Überzeugung, konnte einfach alles: auf dem Wasser gehen, Wasser in
Wein verwandeln und zweifellos auch Lord George dazu bewegen, mit
geheimnisvollen Fremden zu sprechen, die so mir nichts dir nichts
mit wichtigen Informationen auftauchten.
Ich strich mir das Haar aus der Stirn. Zwar trug
ich ein Kopftuch, doch immer wieder rutschten meine widerspenstigen
Locken darunter hervor.
»Ist der Mann hier in der Nähe?«
Das war das Stichwort, auf das Fergus gewartet
hatte; er verschwand durch die offene Tür und kam einen Augenblick
später mit einem schmächtigen Bürschchen herein, das seinen
eifrigen Blick sofort auf mich heftete.
»Mistress Fraser?« Er verbeugte sich unbeholfen,
als ich nickte, und rieb sich die Hände an seiner Hose ab, als
wüßte er nicht, was er
mit ihnen anfangen sollte, aber als wolle er startbereit sein,
wenn deren Einsatz gefordert wäre.
»Ich... ich bin Richard Anderson aus
Whitburgh.«
»Aha? Schön für Sie«, erwiderte ich höflich. »Mein
Diener sagt, Sie hätten wertvolle Nachrichten für Lord George
Murray.«
Er nickte eifrig. »Sehen Sie, Mistress Fraser, ich
stamme aus dieser Gegend und... ich kenne die Gegend, in der die
Armeen lagern, wie meine Westentasche. Es gibt einen Weg von dem
Hang, an dem sich die Hochlandtruppen befinden - einen Weg, der am
Wassergraben vorbeiführt.«
»Ich verstehe.« Ich spürte, wie mir flau im Magen
wurde. Wenn die Hochlandtruppen am nächsten Morgen bei
Sonnenaufgang angreifen wollten, so mußten sie den Berg in der
Nacht verlassen. Und wenn der Angriff erfolgreich sein sollte,
mußten sie den Graben entweder überqueren oder umgehen.
Sicher, ich hatte geglaubt zu wissen, was passieren
würde, aber jetzt tappte ich völlig im dunkeln. Da ich mit einem
Historiker verheiratet gewesen war - bei dem Gedanken an Frank
spürte ich wieder einen leichten Stich -, wußte ich, wie
unzuverlässig historische Quellen oft waren. Außerdem hatte ich
keine Ahnung, ob meine Anwesenheit den Verlauf der Dinge
beeinflussen würde oder nicht.
Für den Bruchteil einer Sekunde überlegte ich, was
geschehen würde, wenn ich das Gespräch zwischen Richard Anderson
und Lord George verhindern würde. Würde das den Ausgang der
morgigen Schlacht ändern? Würde die Hochlandarmee - und damit auch
Jamie und seine Männer - im sumpfigen Gelände niedergemetzelt
werden? Würde Lord George einen anderen Plan vorlegen, der zum Sieg
führte? Oder würde Richard Anderson auf eigene Faust versuchen, mit
Lord George zu sprechen, unabhängig davon, wie ich mich
verhielt?«
Dieses Risiko wollte ich nur um eines Experiments
willen nicht eingehen. Ich sah Fergus an, der ungeduldig von einem
Bein aufs andere trat.
»Glaubst du, du kannst deinen Herrn finden? Dort
oben auf dem Berghang ist es dunkel wie in einer Kohlengrube. Und
ich möchte nicht, daß einer von euch versehentlich erschossen
wird.«
»Ich finde ihn schon, Madame«, beschwichtigte mich
Fergus. Das war wohl richtig. Fergus besaß so etwas wie eine
Radarantenne, die auf Jamie ausgerichtet war.
»Also gut«, stimmte ich zu. »Aber sei um Gottes
willen vorsichtig.«
»Oui, Madame!« Blitzschnell war er an der
Tür und huschte hinaus.
Eine halbe Stunde, nachdem die beiden gegangen
waren, sah ich, daß mit Fergus auch das Messer, das ich auf dem
Tisch liegengelassen hatte, verschwunden war. Und erst in diesem
Augenblick fiel mir siedendheiß ein, daß ich ihn zwar zur Vorsicht
ermahnt, jedoch ganz vergessen hatte, ihm zu sagen, er solle
zurückkommen.
Die erste Kanone ging kurz vor Morgengrauen los.
Der dumpfe Knall erschütterte die Dielenbretter, auf denen ich
schlief. Ich schreckte auf und ergriff die Hand der Frau, die neben
mir schlief. Eigentlich sollte man meinen, man wäre gewappnet, wenn
man vorher weiß, daß etwas geschehen wird, doch dem ist nicht
so.
Aus einer Ecke der Kate drang ein leises Stöhnen.
»Heilige Maria, heiliger Michael, heilige Bride, schütze uns«,
murmelte die Frau neben mir. Hastig standen die Frauen auf; sie
sprachen kaum, sondern lauschten auf die Geräusche, die von der
Schlacht unten in der Ebene heraufdrangen.
Die Frau eines der Hochlandschotten, Mrs.
MacPherson, faltete neben dem Fenster ihre Decke zusammen. In ihrem
Gesicht stand die nackte Angst geschrieben, und sie schloß
schaudernd die Augen, als ein weiterer gedämpfter Knall
ertönte.
Es war also doch nützlich, mehr zu wissen. Diese
Frauen hatten keine Ahnung von geheimen Pfaden, von Angriffen im
Morgengrauen und überraschenden Niederlagen. Sie wußten lediglich,
daß ihre Männer und Söhne im Augenblick dem Kanonen- und
Musketenfeuer einer englischen Armee gegenüberstanden, die viermal
so groß war wie ihre eigene.
Weissagungen sind immer eine ziemlich riskante
Sache, und mir war klar, daß sie mir nicht glauben würden. Und so
blieb mir nur übrig, sie durch Arbeit abzulenken. Flüchtig schoß
mir ein Bild durch den Kopf: ein von der aufgehenden Sonne
angestrahlter Haarschopf, der eine ausgezeichnete Zielscheibe
abgab. Gleich darauf ein zweites Bild: ein Junge mit
Eichhörnchenzähnen, bewaffnet mit einem gestohlenen Metzgermesser
und einer unbeschwerten Vorstellung von der Herrlichkeit des
Krieges. Ich schloß die Augen und schluckte. Ablenkung war auch für
mich das beste.
»Meine Damen!« sagte ich. »Wir haben schon viel
getan, aber wir sind noch lange nicht fertig. Wir werden kochendes
Wasser benötigen. Kessel zum Wasserkochen und Rahmtöpfe zum
Einweichen. Haferbrei für die, die essen können; Milch für die
anderen. Talg und Knoblauch zum Verbinden der Wunden. Holzlatten
für Schienen. Flaschen und Krüge, Tassen und Löffel. Nähnadeln und
starken Faden. Mrs. MacPherson, wenn Sie so freundlich
wären...«
Ich wußte vom Verlauf der Schlacht lediglich,
welche Seite gewinnen und daß die Zahl der Toten auf seiten der
jakobitischen Armee »gering« sein würde. Nur ein Satz war mir von
jener Seite des Buches, die mir verschwommen vor Augen stand, noch
in Erinnerung: »... die siegreichen Jakobiten hatten nur dreißig
Opfer zu beklagen.«
Opfer. Todesopfer, korrigierte ich mich. Aber auch
jeder Verwundete war ein Opfer, und als die Sonne hoch am Himmel
stand, befanden sich weitaus mehr als dreißig Verwundete in unserer
Kate. Langsam machten sich die Sieger auf den Heimweg nach Tranent.
Die Gesunden stützten ihre verwundeten Kameraden.
Eigenartigerweise hatte Seine Hoheit angeordnet,
daß die englischen Verwundeten als erste vom Schlachtfeld geholt
und medizinisch versorgt werden sollten. »Sie sind die Untertanen
meines Vaters«, hatte er verkündet, »und ich möchte, daß sie gut
versorgt werden.« Die Tatsache, daß die Hochlandschotten, die
gerade für ihn die Schlacht gewonnen hatten, ebenfalls Untertanen
seines Vaters waren, schien ihm in diesem Augenblick entfallen zu
sein.
»Wenn man das Verhalten von Vater und Sohn
bedenkt«, sagte ich zu Jenny Cameron, als ich dies hörte, »kann die
Hochlandarmee nur hoffen, daß sich heute nicht auch noch der
Heilige Geist entschließt, vom Himmel herabzusteigen.«
Diese gotteslästerliche Bemerkung ließ Mrs.
MacPherson vor Schreck erstarren, aber Jenny lachte.
Der Jubel und die Freudenschreie der siegreichen
Hochlandschotten übertönten das schwache Stöhnen der Verwundeten,
die auf behelfsmäßigen Tragen hergebracht wurden oder, noch
häufiger, auf Freunde gestützt herbeihumpelten. Einige der
Verwundeten schleppten sich aus eigener Kraft voran, strahlend und
siegestrunken. Schmerzen und Wunden schienen da nur eine
unbedeutende
Nebensächlichkeit. Trotz der Verwundungen, die sie ans Krankenbett
fesselten, war das ganze Haus vom Freudentaumel des Sieges und
einer fröhlichen Ausgelassenheit erfüllt.
»O Gott, sie haben sich davongemacht wie Mäuschen,
denen die Katze auf den Fersen ist«, sagte ein Verletzter zum
anderen. Die schweren Verbrennungen an seinem linken Arm waren für
den Augenblick vergessen.
»Und nicht wenige von ihnen haben wirklich den
Schwanz verloren«, erwiderte sein Nachbar glucksend.
Doch die Freude war nicht ungeteilt. Hier und da
waren auf den Hügeln kleine Grüppchen von Hochlandsoldaten zu
sehen, die den leblosen, mit einem Plaid bedeckten Körper eines
Freundes trugen.
Dies war die erste Bewährungsprobe für meine
Mitarbeiterinnen, und sie trotzten der Herausforderung ebenso
tapfer wie die Kämpfer auf dem Schlachtfeld. Sie sträubten sich und
jammerten und gingen einander auf die Nerven, doch als es ernst
wurde, stürzten sie sich voll Mut und Entschlossenheit in den
Kampf.
Nicht, daß sie deshalb aufgehört hätten zu
jammern.
Mrs. McMurdo kam mit einer vollen Flasche herein,
die sie an den dafür vorgesehenen Nagel an der Wand hängte, und
beugte sich dann hinunter zum Zuber, in dem sich die Flaschen mit
Honigwasser befanden. Sie war die Frau eines Fischers aus Tranent,
den man in die Schlacht geschickt hatte, und sie war zuständig
dafür, daß jeder Verwundete so viel von der süßen Flüssigkeit zu
sich nahm, wie er konnte. Dann machte sie, mit zwei oder drei
leeren Flaschen bewaffnet, einen zweiten Rundgang, um die
ausgeschiedene Flüssigkeit wieder einzusammeln.
»Wenn Sie ihnen nicht soviel zu trinken gäben,
würden sie nicht soviel pissen«, klagte sie - nicht zum
erstenmal.
»Sie brauchen die Flüssigkeit«, erklärte ich
geduldig - ebenfalls nicht zum erstenmal. »Dadurch bleibt ihr
Blutdruck stabil, und ein Teil des Blutverlustes wird ausgeglichen.
Außerdem hilft es, Schock zu vermeiden - schauen Sie, gute Frau,
sind Ihnen denn schon viele unter den Händen weggestorben?« fragte
ich unwirsch, da mir angesichts der ständigen Zweifel und Klagen
Mrs. McMurdos der Kragen platzte. Ihr beinahe zahnloser Mund
verlieh ihrem mürrischen Gesicht einen traurigen Zug - es ist
sowieso alles verloren, schien es sagen zu wollen; es ist nicht der
Mühe wert.
»Mmmpf«, meinte sie nur. Da sie jedoch ihren
Rundgang ohne
weitere Proteste wieder aufnahm, deutete ich das als einstweilige
Zustimmung.
Ich ging nach draußen, um Mrs. McMurdo und der
schlechten Luft in der Kate zu entfliehen. Drinnen war es heiß, es
roch nach Rauch und den Ausdünstungen ungewaschener Körper, und mir
war ein wenig schwindelig.
Überall auf den Straßen torkelten betrunkene, mit
Kriegsbeute beladene Schotten herum, die den Sieg feierten. Eine
Gruppe von Männern, die den rötlichen Tartan der MacGillivrays
trugen, zogen eine englische Kanone hinter sich her, die sie wie
ein wildes Tier mit dicken Seilen umschlungen hatten. Die Kanone
war vermutlich eines von General Copes Paradestücken.
Da erkannte ich auch den kleinen Burschen, der
rittlings auf dem Kanonenrohr saß und dessen Haar nach allen Seiten
abstand. Erleichtert und dankbar schloß ich die Augen, dann lief
ich zu ihm hin und zerrte ihn von der Kanone.
»Du Schlingel!« rief ich und rüttelte ihn kräftig,
bevor ich ihn in die Arme schloß. »Was fällt dir ein, dich einfach
davonzumachen? Wenn ich nicht soviel zu tun hätte, würde ich dich
jetzt ohrfeigen, bis dir der Kopf dröhnt!«
»Madame«, sagte er und zwinkerte benommen in die
nachmittägliche Sonne. »Madame!«
Da merkte ich, daß er kein Wort von dem verstanden
hatte, was ich gesagt hatte. »Geht es dir gut?« fragte ich etwas
freundlicher.
Ein Ausdruck der Verwirrung erschien auf seinem
Gesicht, das mit Schmutz und Schießpulver verschmiert war. Lächelnd
nickte er.
»Ich habe einen englischen Soldaten getötet,
Madame.«
»Ach!« Ich fragte mich, ob er sich nun Glückwünsche
oder Trost erhoffte. Schließlich war er erst zehn.
Er runzelte die Stirn, und sein Gesicht verzog
sich, als konzentrierte er sich intensiv.
»Ich glaube wenigstens, daß ich ihn getötet
habe. Er fiel um, und ich erstach ihn mit meinem Dolch.« Fergus sah
mich verwirrt an, als erwartete er, ich könne ihm seine Zweifel
nehmen.
»Komm mit, Fergus«, antwortete ich statt dessen.
»Du mußt etwas essen, und ich suche dir einen Schlafplatz. Denk
nicht mehr daran.«
»Oui, Madame.« Folgsam taumelte er hinter
mir her; im nächsten Augenblick würde er stürzen und aufs Gesicht
fallen. Ich
packte ihn und schleppte ihn mit einiger Mühe zu den Katen neben
der Kirche, wo wir unser Lazarett hatten. Ich wollte ihm zuerst
etwas zu essen geben, aber er schlief bereits tief und fest, als
ich an die Stelle kam, wo O’Sullivan sich mit geringem Erfolg
bemühte, die Verpflegung zu organisieren.
So legte ich Fergus also in einer der Katen
schlafen, in der eine Frau sich um die Kinder kümmerte, deren
Mütter die Verwundeten pflegten. Hier war er bestimmt gut
aufgehoben.
Am Spätnachmittag befanden sich zwanzig bis
dreißig Männer in der Kate, und meine beiden Helferinnen hatten
alle Hände voll zu tun. Das Haus war groß genug für eine fünf- bis
sechsköpfige Familie, doch jetzt war jeder Quadratzentimeter
belegt. Durchs Fenster sah ich die Offiziere im Pfarrhaus ein und
aus gehen. Dort herrschte Hochbetrieb, und ich ließ die Tür nicht
aus den Augen. Doch Jamie war nicht unter den Ankömmlingen, die die
Zahl der Verwundeten meldeten und Glückwünsche
entgegennahmen.
Ich verdrängte meine Unruhe und Sorge, indem ich
mir sagte, daß er ja auch nicht unter den Verwundeten war. Bis
jetzt hatte ich keine Zeit gehabt, das kleine Zelt am Hang
aufzusuchen, wo die Toten in geordneten Reihen nebeneinanderlagen,
als warteten sie auf einen letzten Appell. Doch unter den Toten war
er bestimmt nicht.
Bestimmt nicht, sagte ich mir.
Da ging die Tür auf, und herein kam Jamie.
Ich spürte, wie meine Knie nachgaben, als ich ihn
sah, und ich streckte eine Hand aus, um mich am Kamin festzuhalten.
Er hatte mich gesucht; sein Blick huschte durch das Zimmer, und als
er mich entdeckt hatte, ließ ein atemberaubendes Lächeln sein
Gesicht erstrahlen.
Er starrte vor Schmutz, war vom Pulverdampf
geschwärzt und mit Blut bespritzt, seine bloßen Füße waren
ebenfalls schmutzverkrustet. Doch er war unversehrt. Und mit
unwichtigen Einzelheiten wollte ich mich nicht abgeben.
Einige der Verwundeten am Boden riefen ihm einen
Gruß zu und lenkten seine Aufmerksamkeit von mir ab. Er lächelte
George McClure zu, der seinen Anführer angrinste, obwohl sein eines
Ohr nur noch mit einem Fetzen Haut am Kopf hing. Dann kehrte sein
Blick zu mir zurück.
Gott sei Dank, sagten seine dunkelblauen
Augen, und Gott sei Dank gab ihm mein Blick als
Antwort zurück.
Für mehr hatten wir keine Zeit; immer wieder kamen
neue Verwundete herein, und jeder halbwegs gesunde Zivilist im Dorf
hatte bei der Pflege der Verwundeten irgendeine Aufgabe übernommen.
Archie Cameron, Lochiels Bruder, war Arzt und eilte zwischen den
Katen hin und her; er hatte offiziell die Leitung der
Krankenstation inne und tat hie und da tatsächlich gute
Dienste.
Ich hatte veranlaßt, daß die Männer aus Lallybroch
in meine Kate gebracht wurden. Ich untersuchte sie, schickte die
Leichtverletzten zu Jenny Cameron am anderen Ende der Straße und
die Todgeweihten zu Archie Cameron in die Kirche. Ich traute ihm
zu, Laudanum zu verabreichen, und der Kirchenraum mochte den
Schwerstverletzten zusätzlich Trost spenden.
Ernste Verwundungen verarztete ich, so gut ich
konnte. Knochenbrüche wurden nebenan behandelt, wo zwei Wundärzte
aus dem Regiment von Macintosh Schienen und Bandagen anlegten.
Soldaten mit leichteren Brustwunden wurden so bequem wie möglich an
die Wand gelehnt - in sitzender Position, um ihnen das Atmen zu
erleichtern. Da wir keinen Sauerstoff hatten und keine
chirurgischen Eingriffe vornehmen konnten, waren meine
Möglichkeiten damit erschöpft. Soldaten mit schweren
Kopfverletzungen wurden zu den Sterbenden in die Kirche gebracht;
ich konnte nichts für sie tun. Sie waren in Gottes Hand - wenn auch
nicht in Archie Camerons Händen - besser aufgehoben.
Am schlimmsten waren verletzte und verstümmelte
Gliedmaßen sowie Bauchwunden. Es gab keine Möglichkeit zur
Sterilisation. Das einzige, was ich tun konnte, war, mir immer
wieder die Hände zu waschen und meine Helferinnen mit finsterem
Blick daran zu erinnern, das gleiche zu tun. Außerdem sorgte ich
dafür, daß die Verbände, die wir benutzten, vorher ausgekocht
wurden. Ich wußte, daß diese Vorkehrungen in den anderen Katen
trotz meiner ständigen Ermahnungen als Zeitverschwendung betrachtet
und deshalb nicht getroffen wurden. Wenn ich schon die Schwestern
und Ärzte im Höpital des Anges nicht hatte überzeugen können, daß
es Keime gibt, wie sollte ich dann auf die Einsicht der einfachen
schottischen Landfrauen und der Wundärzte, die nebenberuflich
Hufschmied waren, hoffen?
Ich versuchte, den Gedanken zu verdrängen, daß
Männer, die
man hätte heilen können, an einer Infektion starben. Wenigstens
bei Jamies Gefolgsleuten und einigen anderen konnte ich dafür
sorgen, daß sie mit sauberen Händen und sterilisierten Bandagen
behandelt wurden. Mir über die anderen den Kopf zu zerbrechen hatte
keinen Sinn. Eins hatte ich auf den Schlachtfeldern von Frankreich
gelernt: Die Welt ist nicht zu retten, wohl aber der Mensch, den du
vor dir hast, wenn du dich anstrengst.
Jamie blieb einen Augenblick in der Tür stehen und
sah sich um, dann machte er sich daran mitzuhelfen - die
Verwundeten zu betten, Kessel mit kochendem Wasser vom Feuer zu
heben, sauberes Wasser aus dem Brunnen am Marktplatz zu holen. Der
Sorge um ihn enthoben und vollkommen von der Arbeit in Anspruch
genommen, dachte ich die meiste Zeit nicht mehr an ihn.
Ein Feldlazarett besitzt starke Ähnlichkeit mit
einem Schlachthof, und auch in diesem Fall war es nicht anders. Der
Fußboden bestand aus festgestampfter Erde - gar nicht so schlecht,
da Blut und andere Flüssigkeiten schnell aufgesogen wurden.
Andererseits verwandelte sich der feuchte Lehm in Matsch, auf dem
man leicht ausglitt.
Aus den Wasserkesseln über dem Feuer stiegen
Dampfschwaden auf und machten die Luft noch unerträglicher; uns
allen lief der Schweiß herab. Beißender Rauch stieg vom
Schlachtfeld auf, drang durch die offenen Türen der Katen herein
und verunreinigte die frisch ausgekochten Leintücher, die an einem
Gestell hingen, das ursprünglich zum Trocknen von Makrelen
vorgesehen war.
Der Strom der Verwundeten riß nicht ab. Immer
wieder schwappte eine neue Welle herein und sorgte für Unruhe und
Verwirrung. Wir trotzten dem Ansturm, so gut wir es vermochten, und
wenn die Welle abebbte, blieb gleichsam das Strandgut zurück. Doch
auch in der größten Betriebsamkeit gibt es Augenblicke der Ruhe,
und als es langsam Abend wurde, kamen allmählich weniger
Verwundete. Die Versorgung der Kranken, die bei uns blieben, ging
jetzt routinierter vonstatten. Nach wie vor gab es viel zu tun,
aber es blieb zumindest Zeit, Luft zu schöpfen, einen Augenblick
innezuhalten und sich umzusehen.
Ich stand an der offenen Tür und atmete die frische
Meeresbrise ein, als Jamie mit Brennholz im Arm in die Kate
zurückkehrte. Er stapelte es neben der Feuerstelle, kam zu mir und
legte seine Hand auf meine Schulter.
»Warst du in den anderen Katen?« fragte ich.
Er nickte, und langsam wurde sein Atem ruhiger. Er
wirkte blaß.
»Aye. Auf dem Schlachtfeld wird immer noch
geplündert, und viele Männer werden noch vermißt. Unsere eigenen
Verwundeten sind aber alle hier.« Er nickte zum anderen Ende des
Raumes, wo die drei verwundeten Männer aus Lallybroch neben der
Feuerstelle lagen oder saßen und mit den anderen Schotten gutmütige
Beleidigungen austauschten. Die wenigen englischen Verwundeten in
dieser Kate lagen etwas abseits, in der Nähe der Tür. Sie waren
wortkarg und sinnierten über die trübe Aussicht der
Kriegsgefangenschaft, die ihnen bevorstand.
»Geht es ihnen gut?« fragte er mit einem Blick auf
die drei.
Ich nickte. »Es könnte sein, daß George McClure
sein Ohr verliert, aber das kann ich jetzt noch nicht mit
Bestimmtheit sagen. Aber, ja, ich denke, es geht ihnen gut.«
»Gut.« Er lächelte mir müde zu und wischte sich das
erhitzte Gesicht mit einem Zipfel seines Plaids ab. Er hatte sich
das Plaid achtlos um den Körper geschlungen, statt es über eine
Schulter zu drapieren. Wohl, damit es ihn nicht störte, aber es
mußte warm sein.
Im Gehen griff er nach der Wasserflasche, die an
einem Nagel über der Tür hing.
»Die nicht!« sagte ich.
»Weshalb nicht?« fragte er erstaunt. Er schüttelte
sie, und es war ein schwappendes Geräusch zu hören. »Sie ist
voll.«
»Das weiß ich«, sagte ich. »Ich habe sie als
Urinflasche benutzt.«
»Oh.« Er hielt sie mit spitzen Fingern fest und
wollte sie wieder zurückhängen, aber ich hinderte ihn daran.
»Nein, nimm sie nur«, sagte ich. »Du kannst sie
draußen ausleeren, und diese kannst du vollmachen.« Ich gab ihm
eine zweite graue Steingutflasche, die genauso aussah wie die
erste.
»Paß auf, daß du sie nicht verwechselst«, mahnte
ich hilfsbereit.
»Mmmpf«, war seine Antwort; dabei warf er mir einen
typisch schottischen Blick zu und wandte sich zum Gehen.
»He!« sagte ich, als er mir den Rücken zuwandte.
»Was ist denn das?«
»Was?« fragte er zurück und blickte über seine
Schulter.
»Das da!« Meine Finger betasteten den dunklen Fleck
unter seinem herabhängenden Plaid; es war ein Abdruck auf seinem
schmutzigen Hemd. »Es sieht aus wie ein Pferdehuf«, sagte ich
ungläubig.
»Ach, das«, erwiderte er achselzuckend.
»Dich hat ein Pferd getreten?«
»Na ja, nicht mit Absicht«, nahm er das Pferd in
Schutz. »Pferde treten nicht gerne auf Menschen, vermutlich fühlt
sich das unter den Hufen zu wabbelig an.«
»Vermutlich«, nickte ich und hielt ihn am Ärmel
fest, damit er nicht davonlief. »Bleib stehen. Wie um Himmels
willen ist das passiert?«
»Es ist nicht so schlimm«, widersprach er. »Die
Rippen sind scheinbar nicht gebrochen, ich habe nur ein paar blaue
Flecken.«
»Ach so, nur ein paar blaue Flecken«, wiederholte
ich sarkastisch. Unterdessen hatte ich ihm das schmutzige Hemd
abgestreift und sah etwas oberhalb der Hüfte deutlich den Abdruck
eines Pferdehufs. »Um Gottes willen, man erkennt ja sogar die
Hufnägel.« Er zuckte unwillkürlich zusammen, als ich mit den
Fingern über den Abdruck strich.
Es war während eines Ausfalls der berittenen
Dragoner passiert, erklärte er. Die Schotten, die außer an die
kleinen zottigen Hochlandponys kaum an Pferde gewöhnt waren, waren
überzeugt davon, daß die englischen Kavalleriepferde darauf
abgerichtet seien, sie mit Hufen und Zähnen anzugreifen. Beim
Angriff der Dragoner gerieten sie in Panik und warfen sich zu
Boden, um von unten mit Schwertern und Äxten auf die Beine und den
Rumpf der Pferde einzuschlagen.
»Und du glaubst, sie sind nicht darauf
abgerichtet?«
»Natürlich nicht, Sassenach«, erwiderte er
ungeduldig. »Es wollte mich nicht angreifen. Der Reiter wollte sich
aus dem Staub machen, aber er war von beiden Seiten eingeschlossen.
Das Pferd hatte keine andere Wahl, als mich zu überrennen.«
In jener Schrecksekunde, bevor der Dragoner seinem
Pferd die Sporen gab, hatte Jamie die Geistesgegenwart besessen,
sich flach auf das Gesicht zu werfen und die Arme schützend über
dem Kopf zu verschränken.
»Als nächstes merkte ich, wie die Luft aus meinen
Lungen gepreßt wurde«, erzählte er weiter. »Ich spürte die Wucht,
aber es tat nicht weh. Nicht sofort.« Er streckte seine Hand aus,
rieb sich gedankenverloren über die Wunde und schnitt dabei eine
Grimasse.
»Genau«, sagte ich und ließ den Zipfel seines
Hemdes sinken. »Hast du seitdem gepinkelt?«
Er starrte mich an, als wäre ich verrückt
geworden.
»Auf einer deiner Nieren haben vierhundert Pfund
Pferd gestanden«, erklärte ich mit leichter Ungeduld. Auch die
anderen Verwundeten mußten versorgt werden. »Ich möchte wissen, ob
du Blut im Urin hast.«
»Ach so«, nickte er. »Ich weiß nicht.«
»Na, dann laß es uns klären.« Ich hatte meinen
großen Medizinkasten in eine Ecke gestellt, damit er nicht im Weg
war; jetzt öffnete ich ihn und nahm ein kleines gläsernes Urinoskop
heraus, das ich aus dem Höpital des Anges mitgebracht hatte.
»Mach es voll und bring es mir«, sagte ich und
reichte es ihm; dann drehte ich mich um und ging zum Feuer, wo ein
Kessel voll kochender Leinenstreifen auf mich wartete.
Als ich mich noch einmal nach ihm umwandte, stand
er immer noch da und betrachtete das Gefäß mit leicht belustigtem
Blick.
»Brauchst du Hilfe, Junge? Ein großer englischer
Soldat sah von seinem Strohlager am Boden auf und grinste Jamie
an.
Jamie lächelte und entblößte seine weißen Zähne.
»Aye«, nickte er. Dann beugte er sich hinunter und hielt dem
Engländer das Gefäß hin. »Hier, halt das für mich, während ich
ziele.«
Ein heiteres Lachen - die Männer wurden ein wenig
von ihrer Not abgelenkt.
Nach kurzem Zögern schloß sich die kräftige Faust
des Engländers um das zerbrechliche Gefäß. Granatsplitter steckten
in seiner Hüfte, und seine Hand zitterte, doch er lächelte, obwohl
Schweißperlen auf seiner Oberlippe standen.
»Sixpence, daß du es nicht schaffst«, sagte er. Er
stellte das Gefäß auf den Boden, so daß es etwa einen Meter vor
Jamies nackten Zehen stand. »Von da aus, wo du jetzt stehst.«
Jamie betrachtete es prüfend und rieb sich das
Kinn, während er die Entfernung abschätzte. Der Mann, dessen Arm
ich gerade verband, hatte aufgehört zu stöhnen und war ganz Ohr für
das Drama, das sich neben ihm entfaltete.
»Tja, das ist nicht gerade einfach«, meinte Jamie
mit absichtlich breitem schottischen Akzent. »Aber für Sixpence?
Aye, gut, das ist ein Batzen Geld, für den sich die Mühe lohnt,
oder?« Seine schmalen Augen wurden noch etwas schmaler, als er
grinste.
»Leicht verdientes Geld, mein Junge«, erwiderte der
Engländer, schwer atmend, aber noch immer grinsend. »Für
mich.«
»Zwei Silberpennies auf den Jungen!« rief einer von
MacDonalds Clansmännern aus der Ecke.
Ein englischer Soldat, der seinen Rock zum Zeichen
seines Gefangenenstatus mit der Innenseite nach außen trug, tastete
in seiner Rocktasche nach etwas.
»Ha! Ein Säckchen Tabak dagegen!« rief er und hielt
triumphierend einen kleinen Stoffbeutel in die Höhe.
Derbe Witze wurden gerissen und Wetten geschlossen,
während Jamie in die Knie ging und mit großer Geste den Abstand zum
Gefäß abschätzte.
»In Ordnung«, nickte er schließlich, stand auf und
straffte die Schultern. »Bist du bereit?«
Der am Boden kauernde Engländer erwiderte grinsend:
»Ich schon, mein Junge.«
»Gut.«
Im Raum war es jetzt mucksmäuschenstill. Einige
Männer stützten sich auf die Ellbogen, um besser sehen zu können;
alle Schmerzen und Feindseligkeiten waren vergessen.
Jamie sah sich in der Kate um und nickte den
Männern aus Lallybroch zu, dann hob er langsam den Saum seines
Kilts und griff darunter. Er runzelte die Stirn in höchster
Konzentration und tastete herum, dann machte er ein ratloses
Gesicht.
»Ich hatte ihn doch noch, als ich losgezogen bin«,
sagte er und erntete schallendes Gelächter.
Jamie grinste zufrieden. Dann hob er seinen Kilt
noch etwas höher, nahm seine jetzt deutlich sichtbare Waffe in die
Hand und zielte. Er kniff die Augen zusammen, ging leicht in die
Knie und packte fester zu.
Nichts passierte.
»Ladehemmung!« frohlockte einer der
Engländer.
»Sein Pulver ist naß geworden!« johlte ein
anderer.
»Hast wohl keine Kugeln im Lauf, Junge? neckte
dessen Nebenmann.
Jamie blinzelte argwöhnisch an sich hinunter, was
einen erneuten Ausbruch von Gejohle und Pfiffen zur Folge hatte.
Dann hellte sich seine Miene auf.
»Ha! Meine Kammer ist leer, das ist alles!« Er
deutete auf die
Flaschen an der Wand und sah mich fragend an. Als ich nickte, nahm
er eine herunter, hielt sie sich an den offenen Mund und kippte
sie. Das Wasser ergoß sich über sein Kinn und auf sein Hemd,
während er trank.
»Ahhh.« Er ließ die Flasche sinken, wischte sich
mit einem Ärmel übers Gesicht und verneigte sich vor seinem
Publikum.
»Nun denn«, sagte er und griff erneut unter seinen
Kilt. Dann fing er meinen Blick auf und hielt mitten in der
Bewegung inne. Er sah weder die offene Tür hinter sich noch den
Mann, der in diesem Augenblick hereinkam. Doch die plötzlich
eintretende Stille mußte ihm klargemacht haben, daß der Spaß vorbei
war.
Seine Hoheit Prinz Charles Edward duckte sich, als
er die Kate betrat. Er war gekommen, um die Verwundeten zu
besuchen, und hatte sich zu diesem Anlaß in eine pflaumenblaue
Kniehose aus Samt, farblich passende Strümpfe und - zweifellos, um
die Solidarität mit seiner Truppe zum Ausdruck zu bringen - einen
Rock und eine Weste aus Cameron-Tartan gehüllt. Über eine Schulter
hatte er sich ein Plaid geworfen, das durch eine Brosche aus
Rauchquarz gehalten wurde. Sein Haar war frisch gepudert, und der
Andreasorden funkelte an seiner Brust.
Er stand in der Tür, ehrfurchtgebietend und
majestätisch, und versperrte seinem Gefolge den Eingang. Sein Blick
schweifte durch den Raum, glitt über die fünfundzwanzig dicht an
dicht liegenden Männer hinweg, über die Helferinnen, die sie
versorgten, die blutgetränkten Verbände, die in einer Ecke lagen,
und fiel schließlich auch auf mich, die ich hinter dem mit
Arzneimitteln und allen möglichen Geräten beladenen Tisch
stand.
Seine Hoheit hatte für Frauen, die mit der Armee
zogen, im allgemeinen nicht viel übrig, aber er wußte, was sich
gehört. Ich war eine Frau, trotz der Blutspritzer und der Spuren
von Erbrochenem auf meinem Rock und trotz der Tatsache, daß unter
meinem Kopftuch wirre Haarsträhnen hervorhingen.
»Madame Fräser«, sagte er und verneigte sich
elegant.
»Eure Hoheit.« Ich machte einen Knicks und hoffte,
daß er nicht vorhatte, lange zu bleiben.
»Wir wissen Ihre Bemühungen für uns zu schätzen,
Madame«, sagte er in einem Tonfall, der seinen italienischen Akzent
stärker als gewöhnlich zur Geltung brachte.
»Vielen Dank«, erwiderte ich. »Vorsicht, der Boden
ist blutgetränkt, und man rutscht leicht aus.«
Sein feiner Mund straffte sich leicht, als er die
Blutlache umrundete, auf die ich gedeutet hatte. Da der Weg nun
frei war, traten jetzt auch Sheridan, O’Sullivan und Lord Balmerino
in den überfüllten Raum. Nachdem Charles der Höflichkeit Genüge
getan hatte, bückte er sich hinunter zu den Strohlagern.
Er legte einem Mann die Hand auf die
Schulter.
»Wie heißen Sie, tapferer Kamerad?«
»Gilbert Munro... ähm, Euer Hoheit«, stotterte der
Mann ehrfürchtig.
Mit seinen manikürten Fingern berührte der Prinz
die Holzschiene und den Verband von Gilbert Munros rechtem Arm, an
dem die Hand fehlte.
»Sie haben ein großes Opfer gebracht, Gilbert
Munro«, sagte Charles. »Ich verspreche Ihnen, es wird nicht
vergessen werden.« Seine Hand strich über das schnurrbärtige
Gesicht, und Munro errötete vor Schüchternheit und Freude.
Ich behandelte eben einen Mann mit einer Wunde am
Kopf, die genäht werden mußte, doch aus den Augenwinkeln heraus
konnte ich Charles bei seinem Rundgang beobachten. Er schritt
langsam von Lager zu Lager, ließ keinen aus, fragte jeden nach
seinem Namen und seiner Herkunft, dankte und drückte sein
Mitgefühl, seine Glückwünsche und sein Bedauern aus.
Die Männer, die Engländer wie die Hochlandschotten,
waren vor Ergriffenheit ganz stumm und stammelten nur verlegene
Antworten auf die freundlichen Fragen Seiner Hoheit. Schließlich
erhob sich Charles mit einem deutlich vernehmbaren Knacken seiner
Kniebänder. Ein Zipfel seines Plaids schleifte auf dem Boden, aber
er schien es nicht zu bemerken.
»Ich bringe euch den Segen und den Dank meines
Vaters«, sagte er. »Eure Taten an diesem heutigen Tag werden
niemals vergessen sein.« Die Männer am Boden hatten gewiß keinen
Grund zur Euphorie, aber viele lächelten, und alle brachten
murmelnd ihre Freude zum Ausdruck.
Als Charles sich bereits zum Gehen wandte,
erblickte er Jamie, der sich in eine Ecke gedrückt hatte, damit
Sheridan ihm mit seinen schweren Stiefeln nicht auf die Zehen trat.
Über das Gesicht Seiner Hoheit huschte ein freudiges Lächeln.
»Mon cher! Ich habe Sie heute noch gar nicht
gesehen. Ich befürchtete schon, es sei Ihnen etwas zugestoßen.«
Vorwurfsvoll verzog er sein Gesicht. »Weshalb sind Sie nicht mit
den anderen Offizieren zum Abendessen ins Pfarrhaus
gekommen?«
Jamie lächelte und verbeugte sich
ehrerbietig.
»Meine Männer sind hier, Hoheit.«
Der Prinz zog die Augenbrauen hoch und öffnete den
Mund, doch noch ehe er etwas sagen konnte, trat Lord Balmerino auf
ihn zu und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Auf Charles’ Gesicht zeigte
sich ein Ausdruck der Besorgnis.
»Was höre ich da?« sagte er zu Jamie. »Seine
Lordschaft sagt mir gerade, Sie selbst sind verwundet?«
Jamie blickte verlegen drein. Rasch warf er mir
einen Blick zu, ob ich zugehört hatte, und sah dann wieder den
Prinzen an.
»Es ist nichts, Hoheit. Nur ein Kratzer.«
»Zeigen Sie es mir.« Das waren schlichte Worte,
doch es war unmißverständlich ein Befehl, und Jamie streifte sein
Plaid ab.
Sein dunkler Tartan war auf der Innenseite beinahe
schwarz. Von der Achselhöhle bis zur Hüfte war sein Hemd voll Blut,
das an einigen Stellen bereits zu braunen Flecken getrocknet
war.
Ich wandte mich von meinem Patienten ab, ging zu
Jamie und half ihm, sein Hemd abzustreifen. Obwohl er viel Blut
verloren hatte, wußte ich, daß es keine ernste Verletzung war. Er
stand fest auf den Beinen, und die Blutung war zum Stillstand
gekommen.
Es war ein Säbelhieb quer über die Rippen. Er hatte
Glück gehabt, daß der Säbel nicht im rechten Winkel ins Fleisch
gedrungen war. So hatte er nur eine etwa zwanzig Zentimeter lange
Wunde davongetragen, aus der Blut sickerte, sobald man sie drückte.
Sie mußte mit mehreren Stichen genäht werden, doch abgesehen von
der Infektionsgefahr war es nichts Ernstes.
Dies wollte ich Seiner Hoheit eben mitteilen, doch
als ich seinen seltsamen Gesichtsausdruck sah, hielt ich inne. Den
Bruchteil einer Sekunde lang dachte ich, Charles stünde unter
Schock, weil er den Anblick von Wunden und Blut nicht gewohnt war.
So manch junge Schwesternhelferin im Lazarett, die soeben ihrem
ersten Verwundeten die Uniform abgestreift hatte, war nach einem
Blick auf die Wunde hinausgestürmt, um sich zu übergeben. Dann kam
sie wieder und versorgte den Patienten. Kriegsverletzungen sehen
ganz besonders abstoßend aus.
Aber das konnte hier nicht der Fall sein. Charles
war zwar nicht der geborene Krieger, aber er war, genau wie Jamie,
bereits mit vierzehn Jahren in seine erste Schlacht gezogen. Nein,
sagte ich mir, als das Entsetzen allmählich aus den sanften braunen
Augen wich, der Anblick von Blut und Wunden konnte ihn nicht
schrecken.
Doch nun stand kein Kätner, kein Hirte vor ihm.
Kein namenloser Untertan, dessen Pflicht es war, für die Stuarts
sein Leben zu opfern, sondern ein Freund. Und vielleicht hatte
Jamies Wunde ihm bewußt gemacht, daß auf seinen Befehl hin
Blut vergossen worden war, Männer um seinetwillen verwundet
worden waren.
Er betrachtete die Wunde eindringlich, dann sah er
Jamie in die Augen. Er drückte ihm die Hand und neigte den
Kopf.
»Danke«, sagte er leise.
In diesem Augenblick dachte ich, daß er vielleicht
doch das Zeug zum König gehabt hätte.
Auf einem kleinen Hügel hinter der Kirche hatte
man auf Befehl Seiner Hoheit ein Zelt errichtet, in dem die
Gefallenen aufgebahrt wurden. Die englischen Soldaten, die sonst
mit besonderer Rücksichtnahme behandelt wurden, waren hier den
Schotten gleichgestellt; die Männer lagen nebeneinander, die
Gesichter mit Tüchern bedeckt. Die Hochlandschotten waren nur durch
ihre Tracht von den anderen zu unterscheiden. Das Begräbnis sollte
am Tag darauf stattfinden. MacDonald von Keppoch hatte einen
französischen Priester mitgebracht, der mit vor Erschöpfung
hängenden Schultern und einer achtlos über ein schmutziges
Hochlandplaid gelegten purpurroten Stola bedächtig durch das Zelt
schritt und vor jedem Toten stehenblieb, um ein Gebet zu
sprechen.
»Möge er ewige Ruhe finden, o Herr, und das ewige
Licht leuchte ihm.« Er bekreuzigte sich mechanisch und setzte
seinen Rundgang fort.
Ich war schon vorher im Zelt gewesen und hatte mit
klopfendem Herzen die Toten unter den Hochlandschotten gezählt.
Einundzwanzig. Als ich jetzt das Zelt betrat, sah ich, daß ihre
Zahl auf sechsundzwanzig angewachsen war.
Ein siebenundzwanzigster lag in der Kirche, der
letzten Station seiner irdischen Reise: Alexander Kincaid Fraser,
der an seinen schweren Brust- und Bauchwunden dahinsiechte. Gegen
seine inneren Verletzungen waren wir machtlos. Ich hatte ihn
gesehen, als er
gebracht worden war, kreidebleich - er hatte den ganzen Nachmittag
lang blutend auf dem Schlachtfeld gelegen.
Mühsam hatte er mich angelächelt, und ich hatte
seine rissigen Lippen mit Wasser benetzt und mit Talg bestrichen.
Wenn ich ihm zu trinken gegeben hätte, wäre er sofort gestorben, da
das Wasser durch seine durchlöcherten Eingeweide gedrungen wäre und
einen tödlichen Schock verursacht hätte. Ich zögerte einen
Augenblick, als ich sah, wie schwer er verwundet war, und dachte,
ein schneller Tod wäre vielleicht besser... aber dann hatte ich
begriffen, daß er mit einem Priester sprechen und beichten wollte.
Und so hatte ich ihn in die Kirche bringen lassen, wo Vater Benin
die Sterbenden betreute.
Jamie hatte jede halbe Stunde nach Kincaid gesehen,
aber der hielt erstaunlich lange durch. Von seinem letzten Besuch
war Jamie noch nicht zurückgekehrt. Ich wußte, daß der Kampf nun zu
Ende ging, und wollte nachsehen, ob ich vielleicht helfen
konnte.
Der Platz unter dem Fenster, wo Kincaid gelegen
hatte, war leer, nur ein großer, dunkler Fleck war geblieben.
Kincaid befand sich jedoch auch nicht im Totenzelt, und auch Jamie
war nirgendwo zu sehen.
Schließlich fand ich beide auf dem Hügel hinter der
Kirche. Jamie saß auf einem Felsblock, Alexander Kincaid in den
Armen, dessen lockiger Kopf auf seiner Schulter lag, die Beine
leblos von sich gestreckt. Beide waren reglos wie der Fels, der sie
trug. Stumm wie der Tod.
Ich betastete Kincaids weiße, schlaffe Hand, und
strich ihm über das dichte braune Haar, das gar nicht tot aussah.
Ein Mann sollte nicht unberührt sterben, aber Kincaid hatte nie bei
einer Frau gelegen.
»Er ist tot, Jamie«, flüsterte ich.
Jamie bewegte sich nicht, dann aber nickte er und
öffnete die Augen, als ob er sich nur widerstrebend der Wahrheit
stellte. Inzwischen war es Nacht geworden.
»Ich weiß. Er starb, bald nachdem ich ihn hier
herausgebracht hatte, aber ich wollte mich nicht von ihm
trennen.«
Ich faßte den Toten behutsam unter den Schultern,
und wir ließen ihn sanft auf die Erde hinabgleiten. Das Gras wiegte
sich im Wind, und die Halme streichelten Kincaids Gesicht - ein
zärtlicher Willkommensgruß der bergenden Erde.
»Du wolltest nicht, daß er drinnen stirbt«, sagte
ich. Uber uns am unendlichen Himmel zogen die Wolken dahin.
Jamie nickte langsam, dann kniete er neben dem
Toten nieder und küßte ihn auf die breite, bleiche Stirn.
»Wie schön wäre es, wenn jemand dasselbe für mich
tun würde«, flüsterte er. Dann zog er das Plaid über Kincaids
braunen Lockenkopf und murmelte etwas auf Gälisch, was ich nicht
verstand.
Eine Feldlazarett ist kein Ort für Tränen; dafür
gibt es viel zuviel zu tun. Ich hatte den ganzen Tag nicht geweint,
trotz allem, was ich gesehen hatte, doch jetzt ließ ich, wenigstens
für einen Augenblick, den Tränen freien Lauf. Ich barg mein Gesicht
an Jamies Schulter, und er tätschelte mich tröstend. Als ich
aufblickte und mir die Tränen aus dem Gesicht wischte, sah ich, wie
er trockenen Auges auf die reglos am Boden liegende Gestalt
starrte. Er spürte meinen Blick und sah mich an.
»Ich habe um ihn geweint, als er noch am Leben war,
Sassenach«, sagte er ruhig. »Nun also, wie stehen die Dinge?«
Ich schniefte, putzte mir die Nase und nahm seinen
Arm, und so gingen wir langsam zur Kate zurück.
»Ich brauche deine Hilfe.«
»Bei wem?«
»Bei Hamish MacBeth.«
Jamies sorgenvoll angespanntes, dreckverschmiertes
Gesicht hellte sich auf.
»Dann ist er also zurück? Gott sei Dank! Wie steht
es um ihn?«
Ich verdrehte die Augen. »Du wirst es gleich
sehen.«
MacBeth war einer von jenen, die Jamie besonders
gern hatte. Ein kräftiger Mann mit einem lockigen braunen Bart,
schweigsam und wortkarg. Während der Reise war er nie von Jamies
Seite gewichen. Er sprach wenig, und sein schüchternes Lächeln
erblühte unter seinem Bart wie eine seltene, aber strahlende
Nachtblume.
Ich wußte, daß Jamie nach der Schlacht voller Sorge
auf MacBeth gewartet hatte. Als es Abend wurde und auch die letzten
Nachzügler eintrafen, hatte ich nach MacBeth Ausschau gehalten.
Schließlich ging die Sonne unter, und die Feuer im Lager wurden
angezündet, aber Hamish MacBeth war nirgends zu sehen. Ich begann
zu fürchten, daß wir auch ihn unter den Toten suchen mußten.
Doch vor einer halben Stunde hatte er sich in unser
Lazarett geschleppt. Ein Bein war blutverschmiert bis hinunter zum
Knöchel,
und er ging vorsichtig mit gespreizten Beinen. Aber um keinen
Preis wollte er zulassen, daß ein »Weibsbild« Hand an ihn
legte.
Er lag neben einer Laterne auf einer Decke, die
Hand hatte er auf seinen runden Bauch gelegt, den Blick geduldig
auf die Holzbalken an der Decke gerichtet. Er schaute Jamie an, als
der sich neben ihn kniete, bewegte sich aber sonst nicht. Ich hielt
mich taktvoll im Hintergrund.
»Also dann, MacBeth«, sagte Jamie und ergriff zur
Begrüßung seine Handgelenk. »Wie geht’s, Mann?«
»Ich schaffe es schon, Sir«, murmelte er. »Ich
schaffe es. Nur, es ist...« Er zögerte.
»Na gut, dann wollen wir es uns einmal ansehen.«
MacBeth wehrte sich nicht, als Jamie seinen Kilt hochstreifte. Ich
spitzte zwischen Jamies Ellenbogen hindurch, und jetzt erkannte ich
die Ursache von MacBeth’ Zögern.
Ein Schwert oder ein Spieß hatte ihn in der
Leistengegend getroffen. Der Hodensack war auf einer Seite
gerissen, und ein Hoden hing herab - die glatte rosafarbene
Außenseite glänzte wie ein geschältes Ei.
Jamie und die zwei, drei anderen Männer, die die
Wunde sahen, wurden blaß, und ich sah, wie sich einer der Helfer
instinktiv betastete, um zu sehen, ob bei ihm noch alles heil
war.
Obwohl die Wunde fürchterlich aussah, schien der
Hoden selbst unbeschädigt, und es blutete auch nicht besonders
stark. Ich berührte Jamie an den Schultern und schüttelte den Kopf,
um anzudeuten, daß es keine schwere Verletzung war, einmal
abgesehen von ihrer Wirkung auf die männliche Psyche. Jamie, der
meine Geste aus dem Augenwinkel heraus sah, tätschelte MacBeth
beruhigend am Knie.
»Ach, es ist nur halb so schlimm, MacBeth. Mach dir
keine Sorgen, du kannst noch Vater werden.«
Der kräftige Mann hatte besorgt an sich
hinuntergesehen, doch bei diesen Worten heftete er den Blick auf
seinen Kommandanten. »Das ist meine geringste Sorge, Sir, ich habe
schon sechs Kinder. Aber was wird meine Frau sagen, wenn ich...«
MacBeth wurde tiefrot, als die Männer um ihn herum lachten und
johlten.
Jamie schielte fragend in meine Richtung,
unterdrückte sein eigenes Grinsen und sagte überzeugt: »Laß dir
darum keine grauen Haare wachsen, es wird schon wieder,
MacBeth.«
»Danke, Sir.« MacBeth atmete erleichtert aus. Er
vertraute den Worten seines Kommandanten voll und ganz.
»Trotzdem«, fuhr Jamie energisch fort, »die Wunde
muß genäht werden. Du hast die Wahl.«
Er griff in meinen chirurgischen Nähkasten und
holte eine meiner Nadeln heraus. Abgeschreckt von den groben
Instrumenten, die Bader und Wundärzte gewöhnlich benutzten, um ihre
Kundschaft zusammenzuflicken, hatte ich mir drei Dutzend eigene
Nadeln gemacht; ich hatte die feinsten Stricknadeln genommen, die
ich finden konnte, sie mit Hilfe einer Zange über der Flamme einer
mit Alkohol gefüllten Lampe erhitzt und sie behutsam
zurechtgebogen, bis sie die erforderliche halbrunde Wölbung hatten.
Auch mein Katgut, das Nahtmaterial, hatte ich mir selbst gemacht;
es war eine unangenehme, ekelige Sache, aber so konnte ich
wenigstens sicher sein, daß die Utensilien, die ich verwendete,
steril waren.
Die winzige Nähnadel wirkte geradezu lächerlich
zwischen Jamies kräftigem Daumen und Zeigefinger. Seine
schieläugigen Versuche, den Faden durch das Nadelöhr zu führen,
trugen auch nicht dazu bei, Vertrauen in seine medizinischen
Fähigkeiten zu wecken.
»Entweder mache ich es selbst«, sagte er, oder...«
Er unterbrach sich, als ihm die Nadel aus der Hand fiel und er in
den Falten von MacBeth’ Plaid danach suchte. »Oder«, fuhr er fort
und hielt die Nadel triumphierend dem besorgt dreinblickenden
Verwundeten vor die Nase, »meine Frau macht es dir.« Mit einer
Kopfbewegung lenkte er MacBeth’ Blick auf mich. Mit nüchterner
Miene nahm ich Jamie die Nadel aus der Hand und fädelte sie mit
einem Ruck ein.
MacBeth’ große braune Augen wanderten langsam
zwischen Jamies Pranken, die er so tollpatschig wie möglich
ineinander verschränkt hatte, und meinen kleinen, flinken Händen
hin und her. Dann ließ er sich resigniert auf sein Lager sinken und
gab murmelnd sein Einverständnis, daß ein »Weibsbild« seinen
intimsten Körperteil berührte.
»Du kannst unbesorgt sein«, beschwichtigte ihn
Jamie und tätschelte ihm freundlich die Schulter. »Schließlich gebe
ich mein bestes Stück nun schon seit geraumer Zeit in ihre Hände,
und sie hat mich bis heute noch nicht entmannt.« Unter dem
Gelächter der Helferinnen und Verwundeten wollte Jamie aufstehen
und sich davonmachen, aber ich hielt ihn zurück, indem ich ihm ein
Fläschchen in die Hand drückte.
»Was ist das?« fragte er.
»Alkohol und Wasser«, erklärte ich. »Eine
Desinfektionslösung. Wenn er kein Fieber oder Eiterungen oder noch
Schlimmeres bekommen soll, muß die Wunde ausgewaschen werden.« Da
MacBeth seit seiner Verwundung einen langen Weg zurückgelegt hatte,
zeigten sich in der Umgebung der Wunde neben Blut- auch
Schmutzspuren. Ethylalkohol war ein scharfes Desinfektionsmittel,
auch wenn es im Verhältnis eins zu eins mit destilliertem, sterilem
Wasser verdünnt wurde, wie ich es tat. Es war das einzige wirksame
Mittel gegen Infektionen, das mir zur Verfügung stand, und ich
bestand trotz der Klagen der Helferinnen und der Schmerzensschreie
der Patienten, die damit behandelt wurden, unnachgiebig auf seiner
Verwendung.
Jamie blickte von der Alkoholflasche in seiner Hand
auf die klaffende Wunde und erschauderte leicht. Er hatte die
Wirkung des Mittels bereits am eigenen Leib zu spüren bekommen, als
ich vorhin seine Wunde genäht hatte.
»Also, MacBeth, besser du als ich«, sagte er. Dann
stieß er sein Knie fest in MacBeth’ Zwerchfell und goß den Inhalt
der Flasche über die offene Wunde.
Ein markerschütternder Schrei war zu hören. MacBeth
wand sich wie eine entzweigeschnittene Schlange. Als sein Stöhnen
schwächer wurde und schließlich verstummte, war sein Gesicht
grünlichbleich. Er wehrte sich nicht, als ich begann, mit geübten,
für den Patienten allerdings schmerzhaften Stichen den Hodensack zu
nähen. Die meisten Patienten, auch die schwerverwundeten, ließen
die Behandlung klaglos über sich ergehen, und MacBeth stellte
keineAusnahme dar. Er lag regungslos da, furchtbar verlegen, die
Augen starr auf die Flamme der Laterne gerichtet, und zuckte mit
keiner Wimper, während ich ihn wieder zusammenflickte. Nur die
Veränderung seiner Gesichtsfarbe - von grün zu weiß, dann zu rot
und wieder zu weiß - verriet seinen Seelenzustand.
Schließlich aber lief er purpurrot an. Denn als ich
fertig war, versteifte sich sein Penis, den ich flüchtig gestreift
hatte. Völlig durcheinandergebracht durch diesen Beweis seiner
Unversehrtheit, zog MacBeth seinen Kilt ruckartig herunter, sobald
ich ihn fertig verbunden hatte, erhob sich torkelnd und wankte
hinaus in die Dunkelheit. Ich aber konnte mir ein Schmunzeln nicht
verkneifen, während ich meinen chirurgischen Nähkasten wieder
verstaute.
In einer Ecke stand eine Kiste mit medizinischen Hilfsmitteln; ich
setzte mich und lehnte mich gegen die Wand. Ein stechender Schmerz
durchschoß meine Waden - eine Reaktion des Körpers auf die
plötzlich nachlassende Anspannung. Ich zog meine Schuhe aus und
lehnte den Kopf zurück.
Die Luft in der Kate war schwül, und schweres Atmen
war zu hören. Nicht das gleichmäßige Schnarchen gesunder Männer,
sondern das flache Keuchen derjenigen, denen das Atmen Schmerzen
bereitete, und das Stöhnen derer, die in einen zeitweiligen
Dämmerzustand verfallen waren und vergessen hatten, daß ein Mann
Schmerzen klaglos erduldet.
Die Männer in dieser Kate waren zwar schwer
verwundet, befanden sich aber außer Lebensgefahr. Doch ich wußte,
daß der Tod nachts durch die Gänge einer Krankenstation streift und
nach denen sucht, deren Abwehrkräfte geschwächt sind, nach denen,
die in ihrer Einsamkeit und Angst unfreiwillig seinen Weg kreuzen.
Einige der Verwundeten hatten ihre Frauen bei sich, die sie
trösteten, doch die Männer in dieser Kate hatten niemanden - außer
mir.
Auch wenn ich jetzt nur noch wenig tun konnte, um
sie zu heilen oder ihre Schmerzen zu lindern, so konnte ich ihnen
wenigstens das Gefühl geben, daß sie nicht allein waren; daß jemand
bei ihnen war, der sich zwischen sie und die Schatten der Nacht
stellte.
Ich stand auf und stieg über die Strohlager hinweg,
bückte mich zu jedem einzelnen hinunter, sprach tröstende Worte,
brachte eine Decke in Ordnung, strich dem einen das Haar glatt und
massierte einem anderen die verkrampften Gliedmaßen. Hier verlangte
einer einen Schluck Wasser, dort mußte der Verband gewechselt
werden, hier wurde eine Urinflasche gebraucht, die ich mit größter
Selbstverständlichkeit herbeiholte und die, während sich der
Verwundete erleichterte, in meiner Hand schwer und warm
wurde.
Als ich hinausging, um eine solche Flasche zu
entleeren, blieb ich kurz stehen und sog die kühle Nachtluft ein,
die den Geruch der Ausdünstungen in der Kate hinwegfegte. Ich ließ
die weiche Feuchtigkeit über meine Haut streichen und vergaß für
einen Augenblick die rauhe behaarte Haut der Verwundeten.
»Du hast nicht viel geschlafen, Sassenach.« Jamies
leise Stimme ertönte von der Straße her. Die anderen Katen mit
Verwundeten befanden sich in dieser Richtung. Das Quartier der
Offiziere lag auf der anderen Seite.
»Du auch nicht«, erwiderte ich nüchtern. Ich fragte
mich, wie lange er nun schon ohne Schlaf auskam.
»Ich habe vergangene Nacht mit den Männern draußen
im Freien geschlafen.«
»Ach ja? Sicher außerordentlich erholsam«, bemerkte
ich ironisch, und er mußte lachen. Sechs Stunden Schlaf auf der
feuchten Erde, danach die Schlacht, in der ein Pferd auf ihn
getreten war, die Verwundung durch ein Schwert und weiß Gott, was
sonst noch. Dann hatte er seine Männer um sich gesammelt, hatte die
Verwundeten geholt, sich um die Verletzten gekümmert, die Toten
betrauert und seinem Prinzen gedient. Und in der ganzen Zeit hatte
ich nicht einmal gesehen, daß er etwas gegessen oder sich ausgeruht
hätte.
Ich tadelte ihn nicht. Ich verlor auch kein Wort
darüber, daß er, selbst verwundet, eigentlich bei den anderen am
Boden hätte liegen müssen. Es war seine Aufgabe, hier zu
sein.
»Es sind noch andere Frauen da, Sassenach«, sagte
er sanft. »Soll ich Archie Cameron Bescheid sagen, daß er jemanden
herüberschickt?«
Es war eine große Versuchung, die ich jedoch von
mir wies, bevor ich allzulange darüber nachdachte - aus Angst, mich
überhaupt nicht mehr rühren zu können, wenn ich meiner Müdigkeit
erst einmal nachgab.
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich halte schon
durch bis zum Morgengrauen. Dann kann jemand anders die Wache
übernehmen.« Wenn die Verwundeten erst einmal die Nacht überstanden
hätten, wären sie, wie ich meinte, außer Gefahr.
Auch er tadelte mich nicht; er legte mir nur seine
Hand auf die Schulter und zog mich an sich.
»Dann bleibe ich bei dir«, sagte er und ließ mich
los. »Ich kann auch nicht schlafen.«
»Und die anderen Männer von Lallybroch?«
Er nickte zu den Feldern in der Nähe des Dorfes, wo
die Armee ihr Lager aufgeschlagen hatte.
»Murtagh hat die Verantwortung.«
»Ah, das ist gut. Dann brauchst du dir keine Sorgen
zu machen«, sagte ich und sah, daß er lächelte. Vor der Kate stand
eine Bank, auf die sich die Frau des Hauses an sonnigen Tagen
setzte, um Fische zu putzen oder Kleider zu flicken. Dorthin führte
ich ihn, um einen
Augenblick auszuruhen. Er ließ sich mit einem Seufzer nieder und
lehnte sich an die Hauswand. Als ich seine offenkundige Erschöpfung
sah, mußte ich an Fergus denken und an dessen Verwirrung nach der
Schlacht.
Ich streichelte Jamies Nacken, und er legte mit
geschlossenen Augen seine Stirn an die meine.
»Wie war es, Jamie?« fragte ich leise, während ich
langsam und fest meine Finger über seine verspannten Nackenmuskeln
und seine Schultern gleiten ließ. »Wie war es? Erzähl es
mir.«
Ein kurzes Schweigen, dann seufzte er und begann zu
sprechen, zuerst zögernd, dann immer schneller, als wollte er rasch
alles loswerden.
»Wir machten kein Feuer, denn Lord George meinte,
wir müßten vor Tagesanbruch den Kamm überschritten haben, und wir
wollten nicht, daß man uns von unten sah. Wir saßen eine Zeitlang
im Dunkeln. Sprechen durften wir ebenfalls nicht, da jedes Geräusch
in die Ebene hinuntergetragen wurde. So saßen wir.
Dann spürte ich, wie im Dunkeln jemand mein Bein
berührte. Ich wäre vor Schreck beinahe vergangen.« Er steckte einen
Finger in den Mund und rieb sich vorsichtig die Zunge. »Hätte mir
beinahe die Zunge abgebissen.« Ich spürte, daß er lächelte, obwohl
ich sein Gesicht nicht sah.
»Fergus?«
Sein leises Lachen durchschnitt die Stille der
Nacht.
»Aye, Fergus. Er kroch auf allen vieren durchs
Gras, der kleine Lauser, und ich dachte, es sei eine Schlange. Er
flüsterte mir ins Ohr, daß Anderson einen Weg kannte, und dann
kroch ich hinter ihm her und brachte Anderson zu Lord
George.«
Er sprach langsam und wie im Traum.
»Und dann kam der Befehl zum Aufbruch, auf dem Weg,
den Anderson uns zeigte. Und die gesamte Armee machte sich in der
Dunkelheit auf.«
Die Nacht war klar, schwarz und mondlos, ohne die
Wolkendecke, die das Licht der Sterne sonst abdämpfte. Die
Hochlandarmee schritt schweigend auf dem schmalen Weg hinter
Richard Anderson her; keiner konnte weiter sehen als bis zur Ferse
seines Vordermanns.
Die Armee bewegte sich nahezu lautlos, Befehle
wurden flüsternd
von Mann zu Mann weitergegeben. Breitschwerter und Axte wurden
unter den Plaids verhüllt, Pulverhörner unter den Hemden ans
klopfende Herz gepreßt.
Als die Schotten den schmalen Pfad hinter sich
gelassen hatten, ruhten sie sich aus, immer noch schweigend und
ohne Feuer anzuzünden. Sie verzehrten ihre kalten Rationen und
verharrten - in unmittelbarer Nähe des feindlichen Lagers.
»Wir konnten sie sogar reden hören«, erzählte
Jamie. Er hatte die Augen geschlossen und lehnte sich, die Hände
hinter dem Kopf verschränkt, gegen die Hauswand. »Eigenartig, einen
Menschen über einen Scherz lachen zu hören, zu hören, wie er nach
einer Prise Salz verlangt oder nach dem Weinschlauch - und zu
wissen, daß du ihn vielleicht binnen weniger Stunden töten wirst -
oder er dich. Du mußt einfach darüber nachdenken, weißt du. Du
fragst dich, wie das Gesicht aussieht, das zu dieser Stimme gehört.
Ob du ihn wiedererkennen wirst, wenn du ihm am nächsten Morgen
gegenüberstehst.«
Doch die Aufregung vor der Schlacht wich einer
übergroßen Müdigkeit und Erschöpfung, und die »schwarzen Frasers« -
so genannt wegen der Rußspuren, die immer noch ihre Gesichter
zierten - und ihr Anführer waren inzwischen seit mehr als
sechsunddreißig Stunden auf den Beinen. Jamie hatte sich einen
Büschel Gras als Kopfkissen zurechtgelegt, das Plaid um die
Schultern geschlungen und sich neben seinen Männern im wogenden
Gras niedergelegt.
Vor Jahren, während Jamies Zeit in der
französischen Armee, hatte ein Feldwebel den jüngeren Söldnern
einen Trick verraten, wie man in der Nacht vor der Schlacht
einschlafen könne.
»Macht es euch bequem, erforscht euer Gewissen und
bereut eure Sünden. Vater Hugo sagt, daß euch in Zeiten des
Krieges, auch wenn kein Priester in der Nähe ist, eure Sünden auf
diese Weise vergeben werden. Da man im Schlaf nicht sündigen kann -
nicht einmal du, Simenon! -, werdet ihr im Zustand der Gnade
erwachen, bereit, die Bastarde niederzumähen. Und wenn ihr nur zwei
Möglichkeiten vor euch habt - Sieg oder Himmel -, wovor solltet ihr
da noch Angst haben?«
Mir fielen ja einige Schwachstellen in dieser
Argumentation auf, aber Jamie hatte den Ratschlag beherzigen
können. Indem er sein Gewissen erleichterte, befreite er seine
Seele, und die tröstenden
Gebete lenkten den Geist von furchterregenden Vorstellungen ab und
wiegten ihn in den Schlaf.
Jamie blickte hinauf zum schwarzen Himmelsgewölbe
und versuchte, auf der harten Erde liegend, die Spannungen in
Nacken und Schultern zu lösen. Die Sterne leuchteten schwach in
jener Nacht; der nahe Schein der englischen Feuer war weitaus
heller.
Er dachte an die Männer, die neben ihm lagen, an
jeden einzelnen von ihnen. Das Gewicht seiner Sünden war eine
leichte Last, verglichen mit dieser Verantwortung. Ross, McMurdo,
Kincaid, Kent, die McClures... er hielt inne und empfand
Dankbarkeit, daß wenigstens seine Frau in Sicherheit war. Seine
Gedanken verweilten bei seiner Frau, rief sich ihr aufmunterndes
Lachen in Erinnerung, die wunderbare Wärme, die er spürte, wenn er
sie in seinen Armen hielt. Er dachte daran, wie sie sich an ihn
geschmiegt hatte, als er sie am Nachmittag zum Abschied geküßt
hatte. Trotz seiner Müdigkeit und trotz des Umstandes, daß draußen
Lord George wartete, hätte er am liebsten noch einmal mit ihr
geschlafen. Seltsam, daß er vor einem unmittelbar bevorstehenden
Kampf immer bereit war. Auch jetzt...
Doch er war seine Männer in Gedanken noch nicht
ganz durchgegangen, und er spürte, wie seine Augenlider schwer
wurden und die Müdigkeit ihn überwältigte. Er schob die aufkeimende
Lust beiseite und rief sich die Namen seiner Männer in Erinnerung -
wie ein Schafhirte, der trügerisch in den Schlaf gewiegt wird,
während er die Schafe zählt, die er zur Schlachtbank führen
wird.
Aber es würde kein Gemetzel geben, beschwichtigte
er sich. Nur leichte Verluste auf der Seite der Jakobiten. Dreißig
Tote. Dreißig von zweitausend - die Wahrscheinlichkeit, daß unter
den Toten auch Männer aus Lallybroch sein würden, war gering. Wenn
sie recht hatte.
Ihn fröstelte unter seinem Plaid, und er bekämpfte
den aufsteigenden Zweifel. Wenn. Gott, wenn. Es fiel ihm immer noch
schwer, es zu glauben, obwohl er sie an diesem verwünschten Felsen
gesehen hatte, ihr schreckverzerrtes Gesicht, die weit
aufgerissenen goldenen Augen, die Umrisse ihres Körpers, die schon
verschwammen, als er sie panisch festgehalten, sie zurückgezogen
hatte. Vielleicht hätte er sie gehen lassen sollen, zurück in die
Zeit, aus der sie gekommen war. Doch er hatte sie festgehalten. Er
hatte ihr die Wahl gelassen, doch dann hatte er sie durch die
schiere Kraft seines
Verlangens zurückgerufen. Also war sie geblieben. Und hatte ihm
die Wahl gelassen - ihr zu glauben oder auch nicht. Zu handeln oder
davonzulaufen. Und nun war die Wahl getroffen, und keine Macht der
Welt konnte die herannahende Morgendämmerung aufhalten.
Sein Herz schlug heftig, er spürte den Pulsschlag
an seinem Handgelenk, in der Leiste, in der Magengrube. Er
versuchte, sich zu beruhigen, indem er fortfuhr, die Namen seiner
Männer aufzuzählen. Willie MacNab, Bobby MacNab, Geordie MacNab...
Gott sei Dank war der kleine Rabbie MacNab zu Hause in
Sicherheit... Will Fraser, Ewan Fraser, Geoffrey McClure...
McClure... hatte er an George und an Sorley gedacht? Er
rutschte hin und her und lächelte sanft; die Striemen am Rücken
spürte er immer noch. Murtagh. Aye, Murtagh, der zähe alte
Bursche... um den brauchte er sich keine Sorgen machen. William
Murray, Rufus Murray, Geordie, Wallace, Simon...
Und dann schloß er die Augen, empfahl sie alle dem
schwarzen Himmel, der sich über ihm wölbte, und murmelte, schon
halb im Schlaf, die Worte, die ihm noch immer wie
selbstverständlich auf französisch über die Lippen kamen:
»Mon Dieu, je regrette...«
Ich machte meinen Rundgang in der Kate und
wechselte den blutgetränkten Verband eines Patienten. Die Blutung
sollte eigentlich längst zum Stillstand gekommen sein, aber bei der
schlechten Ernährung und den brüchigen Knochen... Falls die Blutung
bis zum ersten Hahnenschrei nicht aufgehört hatte, mußte ich Archie
Cameron holen oder einen der Wundärzte, um ihm das Bein amputieren
und den Stumpf verätzen zu lassen.
Ich mochte gar nicht daran denken. Das Leben war
schon schwer genug für einen gesunden Mann. Ich gab etwas Alaun und
Schwefel auf den neuen Verband und hoffte das Beste. Wenn es nichts
half, so schadete es wenigstens auch nichts. Weh tat es bestimmt,
aber das war nicht zu ändern.
»Es wird ein wenig brennen«, murmelte ich, während
ich ihm den frischen Verband anlegte.
»Keine Sorge, Mistress«, flüsterte er. Er lächelte
mich an, obwohl ihm glänzender Schweiß die Wangen herunterlief.
»Ich werde es schon aushalten.«
»Gut.« Ich klopfte ihm beruhigend auf die
Schultern, strich ihm
das Haar aus der Stirn und gab ihm einen Schluck Wasser. »In einer
Stunde komme ich wieder, wenn Sie es so lange aushalten.«
»Ich werde es schon aushalten«, wiederholte
er.
Als ich wieder nach draußen kam, glaubte ich
zuerst, Jamie sei eingeschlafen. Er hatte die Arme um die Knie
geschlungen und seinen Kopf darauf gebettet. Doch als er mich
kommen hörte, blickte er auf und ergriff meine Hände. Ich setzte
mich neben ihn.
»Ich hörte im Morgengrauen die Kanone«, sagte ich
und dachte an den Verwundeten drinnen, dem eine Kanonenkugel das
Bein zerschmettert hatte. »Ich hatte Angst um dich.«
Er lachte leise. »Ich auch, Sassenach. Wir
alle.«
Lautlos wie Nebelstreifen drangen die
Hochlandschotten vor. Es war immer noch stockfinstere Nacht, aber
die Luft war anders geworden. Der Wind hatte gedreht, er wehte nun
vom Meer her über das kalte Land, und aus der Ferne war das Rollen
der Wellen am Sandstrand zu hören.
Es war noch dunkel, doch der Himmel hatte bereits
seine Farbe verändert. Jamie sah den Mann im letzten Augenblick;
noch ein Schritt, und er wäre über den zusammengekauerten Körper
gestolpert.
Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und er ging in
die Hocke, um besser sehen zu können. Ein Rotrock, schlafend, weder
tot noch verwundet. Er horchte angestrengt in die Dunkelheit, auf
das Atmen anderer Schläfer. Nichts, nur das Rauschen des Meeres und
der Wind, und das beinahe lautlose Rascheln von Schritten.
Er drehte sich um und schluckte; sein Mund war
trotz der feuchten Luft wie ausgedörrt. Dicht hinter ihm rückten
andere Männer vor; er durfte nicht lange zögern. Sein Hintermann
war vielleicht nicht so vorsichtig wie er, und sie konnten es sich
nicht leisten, daß jemand vor Schreck laut aufschrie.
Jamie legte die Hand an seinen Dolch, doch er
zögerte. Krieg war Krieg, aber es ging nicht an, einen schlafenden
Feind einfach niederzumetzeln. Der Mann schien allein zu sein,
etwas entfernt von seinen Kameraden. Wahrscheinlich war er kein
Wachsoldat. Nicht einmal der pflichtvergessenste Wachposten würde
schlafen, wenn er wußte, daß auf dem Berg über ihm die
Hochlandschotten lagerten. Vielleicht war der Soldat aufgestanden,
um sich zu erleichtern, und hatte sich, ohne es zu merken, zu weit
von seinen Kameraden
entfernt. Vielleicht hatte er in der Dunkelheit die Orientierung
verloren und sich dort zum Schlafen niedergelegt, wo er sich gerade
befand.
Der Griff von Jamies Muskete war schweißnaß. Er
rieb sich die Hände an seinem Plaid trocken, erhob sich, packte die
Muskete am Lauf und ließ den Kolben mit einem Schwung
hinuntersausen. Er spürte die Erschütterung bis in die
Schulterblätter; ein bewegungsloser Schädel ist sehr hart. Außer
einem schweren Atemstoß gab der Mann keinen Laut von sich, und
jetzt lag er reglos auf dem Gesicht.
Mit zitternden Händen beugte sich Jamie noch einmal
über ihn und tastete am Hals nach dem Puls. Als er den Herzschlag
spürte, stand er erleichtert auf. Da hörte er hinter sich einen
erstickten Schrei. Jamie schwang herum, holte mit der Muskete noch
einmal aus - und blickte in das Gesicht eines Clansmanns von
Keppoch MacDonald.
»Mon Dieu!« flüsterte der Mann und
bekreuzigte sich, und Jamie knirschte gereizt mit den Zähnen. Es
war Keppochs französischer Priester, der auf O’Sullivans Anweisung
Rock und Plaid trug wie die kämpfenden Männer.
»Der Kerl hatte sich nicht davon abbringen lassen,
daß es seine Pflicht sei, den Verwundeten und Sterbenden auf dem
Schlachtfeld die Sakramente zu spenden«, fuhr Jamie mit seinem
Bericht fort und zog sich das Plaid enger um die Schultern.
Allmählich wurde es kühl. »O’Sullivan vermutete, daß ihn die
Engländer, falls sie ihn in seinem Priesterrock auf dem
Schlachtfeld erwischten, in Stücke reißen würden. Wie auch immer,
jedenfalls sah er aus wie ein ausgemachter Narr mit seinem Plaid«,
fügte er mißbilligend hinzu.
Der Priester hatte den lächerlichen Eindruck, den
sein Äußeres hinterließ, durch sein Verhalten nicht wettmachen
können. Als er merkte, daß sein Angreifer ein Schotte war, hatte er
erleichtert aufgeseufzt und dann den Mund geöffnet. Jamie konnte
ihm gerade noch die Hand vorhalten, bevor er eine unbedachte Frage
stellte.
»Was haben Sie denn hier zu suchen?«« murmelte er
dem Priester ärgerlich ins Ohr. »Sie sollten doch hinter den Linien
bleiben.«
Als der Priester vor Schreck die Augen weit aufriß,
wußte Jamie Bescheid: Der Mann Gottes hatte sich in der Dunkelheit
verlaufen. Bei der späten Einsicht, daß er in der Vorhut der
Hochlandschotten marschierte, rutschte ihm das Herz in die
Hose.
Jamie blickte sich um. Er wagte es nicht, den
Priester zurückzuschicken.
In der nebligen Dunkelheit würde er auf die vorrückenden
Hochlandschotten stoßen, die ihn leicht für einen Feind halten und
auf der Stelle töten könnten. Er packte den Mann, der einen ganzen
Kopf kleiner war als er, am Kragen und drückte ihn zu Boden.
»Legen Sie sich flach nieder und bleiben Sie so,
bis das Feuer eingestellt wird«, zischte er. Der Priester nickte
folgsam. Dann entdeckte er plötzlich den englischen Soldaten, der
kaum einen Meter entfernt am Boden lag. Er blickte Jamie
erschrocken an und tastete dann nach den Fläschchen mit Chrisam und
Weihwasser, die er statt eines Dolches bei sich führte.
Jamie rollte entnervt die Augen und deutete mit
Gesten an, daß der Mann keineswegs tot war und deshalb die Dienste
des Priesters nicht nötig hatte. Da dies nicht den erwünschten
Erfolg hatte, beugte er sich hinunter, ergriff die Hand des
Priesters und drückte dessen Finger an den Hals des Engländers, um
ihm klarzumachen, daß dieser Mann nicht etwa das erste Opfer der
Schlacht war. Er erstarrte in dieser grotesken Haltung, als er
hinter sich eine Stimme hörte.
»Halt! Wer da?«
»Hast du einen Schluck Wasser für mich,
Sassenach?« fragte Jamie. »Ich habe vom Erzählen eine ganz trockene
Kehle bekommen.«
»Du Schuft!« sagte ich. »Du kannst doch an dieser
Stelle nicht aufhören! Was geschah dann?«
»Wasser«, wiederholte er grinsend, »dann erzähl’
ich weiter.«
»Also gut.« Ich reichte ihm eine Flasche. »Was
geschah weiter?«
»Nichts«, sagte er, ließ die Flasche sinken und
wischte sich den Mund am Ärmel trocken. »Was glaubst du denn? Hätte
ich ihm vielleicht antworten sollen?« Er grinste mich unverschämt
an und duckte sich, als ich zu einer Ohrfeige ausholte.
»Aber, aber«, tadelte er. »Ist das etwa die feine
Art, so mit einem Mann umzugehen, der im Dienste seines Königs
verwundet worden ist?«
»Aha, verwundet?« gab ich zurück. »Glaube mir,
Jamie Fraser, ein bloßer Säbelhieb ist gar nichts im Vergleich mit
dem, was du erleben wirst, wenn du...«
»Jetzt willst du mir auch noch drohen, was? Wie
hieß es doch gleich in dem Gedicht, von dem du mir erzählt hast:
>Wenn Schmerz
und Kummer die Stirn verdüstern, ein hilfreicher Engel...‹
autsch!««
»Beim nächstenmal reiße ich es dir mit der Wurzel
aus«, sagte ich und ließ sein Ohr los. »Erzähl weiter, ich muß
gleich wieder rein.«
Er rieb sich bedächtig das Ohr, lehnte sich aber
wieder zurück und fuhr fort zu erzählen.
»Also, wir kauerten am Boden, der Priester und ich,
starrten einander an und lauschten den Wachposten, die nur wenige
Meter von uns entfernt standen. › Was ist das?< fragt der eine,
und ich überlegte, ob es mir gelingen würde, ihn rechtzeitig
niederzustechen, bevor er mir in den Rücken schießt, aber was wäre
dann mit seinem Kameraden? Denn von dem Priester konnte ich keine
Hilfe erwarten, außer einem letzten Gebet über meiner
Leiche.«
Es folgte eine nervenzerfetzende Stille, während
der die beiden Jakobiten im Gras kauerten, immer noch Hände
haltend, da sie auch nicht die geringste Bewegung wagten.
»Ach, du siehst Gespenster«, erwiderte schließlich
der andere Posten. Jamie spürte förmlich den Schauder der
Erleichterung, der den Priester durchfuhr, und er ließ dessen Hand
los. »Hier ist nichts außer Ginsterbüschen. Laß es gut sein,
Kamerad«, sagte der Wachposten beruhigend, und Jamie hörte, wie er
dem anderen auf die Schulter klopfte. »Hier stehen verdammt viele
Ginsterbüsche rum, und bei dieser Dunkelheit könnte man leicht
meinen, es wäre die gesamte Hochlandarmee.« Jamie glaubte, ein
ersticktes Lachen aus einem der »Ginsterbüsche« zu hören.
Er blickte zum Bergkamm hinauf, wo die Sterne
langsam verblaßten. In zehn Minuten würde der erste Lichtstreifen
am Horizont erscheinen. Dann würden Johnnie Copes Truppen schnell
merken, daß die Hochlandarmee nicht, wie sie glaubten, eine
Marschstunde entfernt in der anderen Richtung lagerte, sondern
bereits die feindlichen Linien durchbrochen hatte.
Ein Geräusch war zu hören, vom Meer her. Ein
schwaches, undeutliches Geräusch, doch es versetzte ein
schlachterfahrenes Ohr in höchste Alarmbereitschaft. Jemand, so
vermutete Jamie, war über einen Ginsterbusch gestolpert.
»He?« Einer der Wachposten horchte auf. »Was ist
das?«
Der Priester würde allein zurechtkommen müssen.
Jamie stand auf, das Breitschwert gezückt, und mit einem großen
Schritt war er bei dem Wachposten. Er war nur ein Schatten in der
Dunkelheit,
doch er sah ihn deutlich vor sich. Erbarmungslos ließ er sein
Schwert niedersausen und spaltete den Schädel des Mannes.
»Hochlandschotten!« schrie der zweite Posten
entsetzt. Wie ein aufgescheuchter Hase verschwand er in der
Dunkelheit, bevor Jamie sein blutgetränktes Schwert aus der
fürchterlichen Wunde herausziehen konnte. Er stemmte den Fuß gegen
den Rücken des zu Boden gesunkenen Wachpostens und zog die Waffe
mit einem Ruck - und mit zusammengebissenen Zähnen - aus dem
gespaltenen Schädel.
Jetzt wurde entlang der englischen Linien Alarm
geschlagen; Jamie hörte und fühlte die Aufregung der schroff aus
dem Schlaf gerissenen Männer, die noch ganz benommen nach ihren
Waffen tasteten und in allen Richtungen nach der unsichtbaren
Bedrohung Ausschau hielten.
Clanranalds Dudelsackpfeifer befanden sich rechts
hinter Jamie, doch noch kam kein Signal zum Angriff. Dann hieß es
also weiter vorrücken, mit klopfendem Herzen und angespannten
Bauchmuskeln, die Augen angestrengt in der verblassenden Dunkelheit
umherirrend. Das warme Blut, das auf Jamies Gesicht gespritzt war,
wurde langsam kalt und klebrig.
»Zuerst habe ich sie nur gehört«, sagte Jamie und
starrte in die Dunkelheit, als suchte er immer noch die englischen
Soldaten. »Dann sah ich sie auch: die Engländer, die wie wild
durcheinanderliefen, und die Männer hinter mir. George McClure kam
an meine Seite, auf der anderen Seite erschienen Wallace und Ross,
und wir rückten weiter voran, immer schneller und schneller, und
wir sahen die Unordnung in den Reihen der sassenaches, die
plötzlich vor uns auftauchten.«
Ein dumpfes Dröhnen von rechts; aus einer Kanone
wurde gefeuert. Wenig später eine zweite, und dann, als wäre dies
das Signal, ertönten die Kriegsrufe aus den Reihen der vorrückenden
Hochlandschotten.
»Dann setzten die Dudelsackpfeifer ein«, fuhr er
mit geschlossenen Augen fort. »Ich erinnerte mich erst wieder an
meine Muskete, als ich dicht hinter mir einen Knall hörte; ich
hatte sie neben dem Priester im Gras liegenlassen. In der Schlacht
nimmt man nur das wahr, was in unmittelbarer Nähe geschieht.
Man hört einen Ruf, und man fängt an zu laufen.
Langsam, ein, zwei Schritte, während man seinen Gürtel losschnallt,
und dann
löst sich das Plaid, und man springt, unter den Füßen spritzt der
Dreck hoch, und man spürt das kühle nasse Gras an seinen Füßen. Der
Wind kriecht einem unters Hemd, bis zum Bauch, die Arme entlang...
Dann reißt einen das Getöse mit, und man schreit - wie ein Kind,
das einen Hügel hinunterläuft und gegen den Wind anschreit, als
wollte es sich vom Klang der eigenen Stimme davontragen
lassen.«
Ihr eigenes Gebrüll trug sie in die Ebene hinunter,
und ihr gewaltiger Ansturm erschütterte die Übermacht der
englischen Truppen und wälzte sie nieder in einer fürchterlichen
blutigen Woge.
»Sie rannten davon«, fuhr er leise fort. »Ein Mann
stand mir im Kampf gegenüber - nur ein einziger, in der ganzen
Schlacht. Die anderen habe ich von hinten gestellt.« Er fuhr sich
mit seiner schmutzigen Hand übers Gesicht, und ich spürte, wie er
erschauderte.
»Ich erinnere mich... an alles«, sagte er, beinahe
flüsternd. »An jeden Schlag. An jedes Gesicht. An den Mann, der vor
mir auf dem Boden lag und vor Angst in die Hose machte. An die
wiehernden Pferde. An den Gestank - des Schießpulvers, des Blutes,
meines eigenen Schweißes. An alles. Aber es war so, als sähe ich
mir dabei von außen zu. Ich war nicht wirklich da.« Er machte die
Augen auf und sah mich von der Seite an. Er zitterte.
»Verstehst du das?« fragte er.
»Ja.«
Ich hatte zwar nicht mit Schwert und Dolch
gekämpft, aber mit meinen bloßen Händen und mit meiner Willenskraft
hatte ich mich durch das Chaos des Todes gekämpft, einfach, weil
ich keine andere Wahl gehabt hatte. Und ich kannte jenes seltsame
Gefühl des Losgelöstseins. Der Verstand scheint sich über den
Körper zu erheben, kühl beobachtend und dirigierend. Die
körperliche Erschöpfung tritt erst viel später ein, wenn die Krise
überstanden ist.
Diesen Punkt hatte ich noch nicht erreicht. Ich
nahm meinen Umhang von den Schultern und legte ihn über Jamie,
bevor ich in die Kate zurückging.
Es dämmerte, und mit dem Morgen kam die Ablösung
in Gestalt von zwei Dorffrauen und einem Armeearzt. Der Mann mit
der schweren Beinverletzung war immer noch blaß und zittrig, doch
die Blutung hatte aufgehört. Jamie nahm mich am Arm und führte
mich die Straße von Tranent entlang.
O’Sullivans beständige Probleme mit der
Truppenverpflegung waren durch die erbeuteten Wagen zumindest
vorläufig beigelegt: Es war genügend Essen da. Wir aßen rasch und
nahmen dabei kaum den Geschmack des heißen Haferbreis wahr. Die
Nahrung füllte meinen Bauch, und als ich allmählich satt wurde,
konnte ich an das denken, was ich am zweitdringendsten brauchte:
Schlaf.
In jedem Haus und in jeder Kate waren Verwundete
untergebracht; die Gesunden schliefen meist draußen im Freien.
Jamie hätte zwar einen Platz im Pfarrhaus bei den anderen
Offizieren beanspruchen können, aber er nahm meinen Arm und
steuerte jenseits der Katen auf einen Hügel zu, in ein kleines
Wäldchen.
»Es ist ein bißchen weit«, erklärte er
entschuldigend und blickte mich an, »aber ich dachte, du möchtest
lieber deine Ruhe haben.«
Ich nickte. Obwohl ich unter Bedingungen
aufgewachsen war, die die meisten meiner Zeitgenossen als primitiv
empfunden hätten - während Onkel Lambs Expeditionen wohnten wir in
Zelten und Lehmhütten -, war ich doch nicht daran gewöhnt, dicht
gedrängt neben anderen zu schlafen, wie es hier üblich war. In
winzigen, stickigen Katen, die von rauchigem Torffeuer erhellt und
geheizt wurden, aßen die Menschen, schliefen und paarten sich. Das
einzige, was sie nicht gemeinsam taten, war baden - und zwar
deshalb, weil sie überhaupt nicht badeten.
Jamie führte mich zu einer kleinen Lichtung, die
mit raschelndem Laub bedeckt war. Die Sonne war gerade erst
aufgegangen, unter den Bäumen war es noch kalt, und die gelben
Blätter waren von leichtem Reif überzogen.
Jamie zog mit dem Absatz eine breite Rinne in das
Laub, dann stellte er sich an das eine Ende der Mulde, legte eine
Hand an die Schnalle seines Gürtels und läche1 nich
an.
»Es ist etwas umständlich, sich anzukleiden, aber
man kann sich sehr leicht ausziehen.« Er schnallte den Gürtel los,
sein Plaid fiel zu Boden, und er stand da, nur mit seinem Hemd
bekleidet, das ihm nicht einmal bis zum Knie reichte. Gewöhnlich
trug er den militärischen »kurzen Kilt«, der an der Hüfte gehalten
wurde; das Plaid, das er sich über die Schulter warf, war eine
separate Tuchbahn. Doch sein Kilt war in der Schlacht zerrissen und
schmutzig geworden, und deshalb hatte er sich eines der älteren,
mit einem Gürtel
versehenen Plaids besorgt - eine lange Tuchbahn, die um die Hüfte
geschlungen und nur mit einem Gürtel gehalten wurde.
»Wie ziehst du das bloß an?« fragte ich
neugierig.
»Tja, man legt es auf den Boden, so wie ich
jetzt...«, er kniete sich nieder und breitete das Tuch in der Mulde
aus, »dann legt man es in regelmäßige Falten, legt sich darauf und
rollt sich darin ein.«
Ich brach in Lachen aus, kniete mich neben Jamie
und half ihm, den dicken Wollstoff glattzustreichen.
»Das möchte ich gerne sehen!« rief ich. »Weck mich
auf, bevor du dich anziehst.«
Er schüttelte vergnügt den Kopf, und das zwischen
den Bäumen durchdringende Sonnenlicht funkelte in seinen
Haaren.
»Sassenach, die Chance, daß ich vor dir aufwache,
sind geringer als die Überlebenschancen eines Wurmes im
Hühnerstall. Meinetwegen kann mich noch einmal ein Pferd treten,
ich rühre mich bis morgen nicht mehr.« Er legte sich behutsam
nieder und streifte das Laub von seinem Plaid.
»Komm, leg dich zu mir.« Er streckte mir einladend
die Hand entgegen. »Wir decken uns mit deinem Umhang zu.«
Die Blätter unter dem weichen Wollstoff stellten
eine überraschend bequeme Unterlage dar, obwohl ich so müde war,
daß ich auch auf einem Nagelbrett geschlafen hätte. Ich streckte
mich neben Jamie aus und genoß das Gefühl, einfach so
dazuliegen.
Die Kälte wich schnell, als unsere Körper die Mulde
erwärmten, in der wir lagen. Wir waren so weit vom Dorf entfernt,
daß der Wind nur ab und zu menschliche Geräusche zu uns trug, und
ich dachte mit schläfriger Zufriedenheit, daß es tatsächlich bis
morgen dauern könnte, bis jemand uns hier fand.
Ich hatte meine Unterröcke in der vergangenen Nacht
ausgezogen und zerrissen, um Verbände daraus zu machen, und
zwischen uns war nichts als der dünne Stoff seines Hemdes und
meines Rockes. Ich spürte etwas Warmes, Hartes an meinem
Bauch.
»Das kann doch nicht wahr sein!« Trotz meiner
Müdigkeit war ich erheitert. »Jamie, du mußt halbtot sein.«
Er hielt mich mit seiner warmen, großen Hand an der
Taille umfaßt und lachte erschöpft.
»Mehr als nur halbtot, Sassenach. Ich bin mausetot,
und nur mein Schwanz hat es noch nicht kapiert. Wenn ich bei dir
liege,
wird mein Verlangen nach dir geweckt, aber im Augenblick bin ich
zu mehr nicht in der Lage.«
Ich tastete nach dem Saum seines Hemdes, streifte
es hoch und umschlang seinen Penis behutsam mit der Hand. Er war
wärmer als sein Körper, seidenglatt unter meinen Fingern, und er
pulsierte heftig mit jedem Schlag seines Herzens.
Zufrieden seufzend rollte er sich auf den Rücken,
die Beine entspannt von sich gestreckt, von meinem Umhang halb
zugedeckt.
Die Sonne schien nun bereits auf unser Bett aus
Laub, und meine Schultern entspannten sich in der Wärme. Alles
schien wie von einem goldenen Schimmer überzogen - was sowohl dem
herbstlichen Licht als auch meiner extremen Erschöpfung
zuzuschreiben war. Ich fühlte mich matt, beinahe körperlos. Die
Schrecken, die Müdigkeit und der Lärm der letzten beiden Tage
verebbten allmählich, bis es nur noch uns beide gab.
Der Schleier der Erschöpfung wirkte wie ein
Vergrößerungsglas, das winzige Details und Empfindungen übertrieben
genau hervorhebt. Die Spuren seiner Säbelwunde waren unter dem
hochgezogenen Hemd sichtbar - ein schwarz verkrusteter Streifen auf
seiner hellen Haut. Ein paar Fliegen umschwirrten uns summend, und
ich verscheuchte sie. In meinen Ohren dröhnte die Stille, der Atem
der Bäume war lauter als die aus dem Dorf heraufdringenden
Geräusche.
Ich legte meine Wange auf seinen Bauch und
ertastete die harte, glatte Wölbung seines Hüftknochens. Die Haut
seiner Leistengegend war durchscheinend, die Venen schimmerten
bläulich und zart wie die eines Kindes.
Er hob die Hand, langsam wie ein Blatt, das sich im
Wind wiegt, und legte sie auf meinen Kopf.
»Claire, ich brauche dich«, flüsterte er. »Ich
brauche dich sosehr.«
Ohne die hinderlichen Unterröcke war es leicht. Ich
hatte das Gefühl zu schweben, mühelos aufzusteigen; ich schob
meinen Rock hoch und setzte mich auf ihn wie eine Wolke auf die
Spitze eines Berges.
Er hatte die Augen geschlossen und den Kopf
zurückgelegt. Doch seine Hände legten sich fest auf meine
Hüfte.
Auch ich schloß die Augen. Ich spürte seine
Gedanken so deutlich wie seinen Körper unter mir; die Erschöpfung
lähmte unser Denken
und unsere Erinnerung. Alles verblaßte, bis auf das Bewußtsein
unserer Nähe.
»Nicht... lange«, flüsterte er. Ich nickte und
wußte, daß er erfühlte, was er nicht sah, und ich erhob mich über
ihn, die Beine unter meinem schmutzigen Rock sicher und
stark.
Einmal, und ein zweitesmal, und noch einmal, und
beim nächstenmal durchzuckte es ihn und mich.
Mit einem tiefen Seufzer atmete er aus, und ich
spürte, wie er in den Schlaf hinüberglitt. Ich legte mich neben ihn
und deckte uns mit dem schweren Umhang zu. Dann erfaßte die
Dunkelheit auch mich, und ich lag da, die schwere Wärme seines
Samens in meinem Bauch. Wir schliefen ein.