7
Audienz beim König
Jareds Pariser Haus stand in der Rue Tremoulins in einem wohlhabenden Bezirk mit dicht an dicht gebauten Steinhäusern, die drei, vier oder gar fünf Stockwerke hatten. Dazwischen fand sich zwar das eine oder andere Anwesen mit Park, aber im großen und ganzen hätte sich ein sportlicher Einbrecher ungehindert von Dach zu Dach schwingen können.
»Mmmpf«, war Murtaghs einziger Kommentar angesichts Jareds Wohnhaus. »Ich suche mir meine eigene Unterkunft.«
»Wenn dich ein anständiges Dach über dem Kopf nervös macht, kannst du dich ja in den Stallungen schlafen legen«, schlug Jamie vor und grinste auf seinen kleinen mürrischen Patenonkel hinunter. »Wir lassen dir dann den Haferbrei auf einem Silbertablett servieren.«
Die Innenräume waren bequem und elegant möbliert, wenngleich sie im Vergleich zu der Mehrzahl der Häuser des Adelsstandes und des wohlhabenden Bürgertums spartanisch wirkten, wie ich später merken sollte. Zum Teil führte ich dies darauf zurück, daß es keine Hausherrin gab; Jared war unverheiratet geblieben und machte nicht den Eindruck, als vermisse er eine Gattin.
»Selbstverständlich hat er eine Geliebte«, gab mir Jamie zu verstehen, als ich über das Privatleben seines Cousins nachsann.
»Natürlich«, murmelte ich.
»Aber die ist verheiratet. Jared hat mir einmal erklärt, ein Geschäftsmann solle sich niemals auf Beziehungen zu unverheirateten Frauen einlassen. Er meinte, sie würden einen zuviel Zeit und Geld kosten. Und heiratet man sie, bringen sie das Geld durch, bis man schließlich am Bettelstab geht.«
»Nette Meinung, die er von Ehefrauen hat«, bemerkte ich. »Und was hält er davon, daß du trotz seiner guten Ratschläge geheiratet hast?«
Jamie lachte. »Erstens bin ich nicht vermögend, kann also auch nichts verlieren. Zweitens findet er dich sehr dekorativ. Allerdings ist er der Meinung, ich müsse dir ein neues Kleid kaufen.«
Ich breitete den Rock meines blattgrünen Samtkleides aus, der in der Tat mehr als verschlissen war.
»Keine schlechte Idee«, bestätigte ich. »Sonst muß ich über kurz oder lang in einem Leintuch herumlaufen. Das Kleid wird ohnehin in der Taille recht eng.«
»Nicht nur da«, meinte Jamie grinsend und musterte mich von oben bis unten. »Hast wohl deinen Appetit zurückgewonnen, Sassenach?«
»Flegel!« entgegnete ich kurz. »Du weißt nur zu gut, daß Annabelle MacRannoch die Form eines Besenstiels hat, im Gegensatz zu mir.«
»Gottlob hast du andere Formen«, meinte er und betrachtete mich wohlgefällig, bevor er mir vertraulich den Hintern tätschelte.
»Ich treffe mich heute vormittag mit Jared im Lagerhaus und sehe die Bücher durch. Anschließend nimmt er mich zu ein paar Kunden mit, um mich vorzustellen. Macht es dir was aus, allein zu bleiben?«
»Nein, ganz und gar nicht«, erwiderte ich. »Ich schaue mich ein wenig im Haus um und mache mich mit den Dienstboten bekannt.« Mir war ein wenig bange bei dem Gedanken, nun »Personal« unter mir zu haben, aber ich sprach mir selbst Mut zu. Gewiß würde es nicht viel anders sein, als Pfleger und Schwesternschülerinnen anzuweisen, und das hatte ich schon einmal getan - im Jahr 1943 hatte ich als Krankenschwester in einem französischen Feldlazarett gearbeitet.
Nachdem Jamie gegangen war, widmete ich mich meiner Toilette, soweit das mit Kamm und Wasser - den einzigen Mitteln, die mir zur Verfügung standen - möglich war. Sollte es Jared mit den Abendeinladungen tatsächlich ernst sein, war es mit einem neuen Kleid nicht getan.
Immerhin bewahrte ich in der Seitentasche meines Medizinkastens einige ausgefranste Weidenzweige auf. Ich nahm einen davon und machte mich ans Zähneputzen, während ich über das unglaubliche Glück nachsann, welches uns hierhergebracht hatte.
Aus Schottland verbannt, blieb uns nichts anderes übrig, als uns eine Zukunft in Europa oder in Amerika aufzubauen. Und da ich jetzt wußte, welche Abneigung Jamie gegen Schiffe hegte, überraschte es mich nicht, daß er den Blick zunächst nach Frankreich gerichtet hatte.
Die Frasers waren mit Frankreich aufs engste verbunden; viele von ihnen - wie Abt Alexander und Jared Fraser - hatten sich ihr Leben hier eingerichtet und kehrten, wenn überhaupt, nur selten zurück in die Heimat. Auch gab es eine große Anzahl Jakobiten, die - so hatte Jamie mir erzählt - ihrem König ins Exil gefolgt waren und sich nun in Frankreich oder in Italien durchschlugen und auf die Wiedereinsetzung warteten.
»Sie reden unablässig davon«, meinte er. »Meist zu Hause, nicht in den Tavernen. Und deshalb steckt auch nichts dahinter. Erst wenn in der Schenke darüber gesprochen wird, wird’s ernst.«
»Sag mir«, forderte ich ihn auf, während er sich den Staub vom Rock bürstete. »Kommen alle Schotten mit politischer Bildung zur Welt, oder bist du eine Ausnahme?«
Er lachte kurz auf, wurde aber gleich wieder ernst, als er den riesigen Schrank öffnete, um seinen Rock hineinzuhängen. In dem breiten, nach Zedern duftenden Hohlraum sah das Gewand abgetragen und ziemlich kläglich aus.
»Nun, Sassenach, ich weiß es nicht. Da ich nun mal vom Stamm der MacKenzies und der Frasers bin, hatte ich kaum eine andere Wahl. Und nach einem Jahr in der französischen Gesellschaft und zwei Jahren in der Armee hat auch der Dümmste begriffen, daß das, was gesagt wird, nicht das gleiche ist wie das, was gemeint ist. Doch davon einmal abgesehen - in Zeiten wie diesen wirst du keinen Gutsherrn oder Kätner finden, der sich den Dingen, die da kommen werden, entziehen kann.«
»Kommen werden.« Was sollte kommen? fragte ich mich. Was kommen würde, falls unsere Bemühungen in Frankreich scheitern sollten, war ein bewaffneter Aufstand unter der Führung des Sohnes des verbannten Königs, Prinz Charles Edward Stuart, um die Stuarts wieder auf den Thron zu bringen.
»Bonnie Prince Charlie«, flüsterte ich vor mich hin. Er befand sich jetzt hier, in derselben Stadt, vielleicht nicht einmal weit entfernt von mir. Was für ein Mensch er wohl war? Wenn ich an ihn dachte, hatte ich stets das bekannte historische Porträt vor Augen: ein gutaussehender, leicht feminin wirkender junger Mann um die sechzehn mit weichen rosafarbenen Lippen und gepudertem Haar. Und die Phantasiegemälde, die denselben Mann darstellten, nur in einer kräftigeren Ausgabe, wie er, ein Breitschwert schwingend, an der Küste Schottlands landet.
Ein Schottland, das er in dem Bestreben, es für seinen Vater und sich zurückzuerobern, zerstören und verwüsten sollte. Obwohl er zum Scheitern verdammt war, sollte er genügend Unterstützung erhalten, um das Land zu spalten und seine Anhänger durch einen Bürgerkrieg bis hin zum blutigen Ende auf dem Schlachtfeld von Culloden zu führen. Anschließend würde er zurück in das sichere Frankreich fliehen, während seine Feinde an den Zurückgebliebenen Vergeltung übten.
Wir waren hier, um das Unheil zu verhindern. Dieser Gedanke wirkte in dem Frieden und Luxus, den Jareds Haus uns bot, unwirklich. Wie hält man eine Rebellion auf? Wenn Revolten in Tavernen geschürt werden, lassen sie sich vielleicht über Abendeinladungen verhindern. Achselzuckend betrachtete ich mein Spiegelbild, blies mir eine verirrte Locke aus der Stirn und ging nach unten, um mich mit der Köchin anzufreunden.
 
Die Dienstboten, die mir zunächst angstvolles Mißtrauen entgegengebracht hatten, erkannten bald, daß ich keinerlei Absicht hegte, mich in ihre Arbeit einzumischen, und es machte sich unter ihnen eine Atmosphäre wachsamer Gehorsamkeit breit. In meiner Übermüdung hatte ich bei unserer Ankunft zunächst etwa zwölf gezählt, die in der Eingangshalle zur Begutachtung angetreten waren. Mitsamt dem Pferdeknecht, dem Stallburschen und dem Küchenjungen, die ich in dem allgemeinen Durcheinander übersehen hatte, waren es jedoch sechzehn. Zuerst ließ dies meine Hochachtung vor Jareds geschäftlichem Erfolg um ein Vielfaches wachsen, bis ich erfuhr, wie schlecht die Dienstboten bezahlt wurden: Ein Lakai bekam jährlich ein neues Paar Schuhe sowie zwei Livres, die Haus-und Küchenmädchen erhielten etwas weniger, so erhabene Persönlichkeiten wie Madame Vionnet, die Köchin, und Magnus, der Butler, ein wenig mehr.
Während ich mich mit dem Haushalt vertraut machte und alles Wissenswerte sammelte, was ich aus dem Klatsch der Dienstmädchen aufschnappen konnte, war Jamie täglich mit Jared unterwegs, besuchte Kunden, traf Leute und bereitete sich darauf vor, »Seiner Hoheit zu Diensten« zu sein, indem er Bekanntschaften schloß, die für einen Prinz im Exil von Nutzen sein konnten. Unter unseren zukünftigen Abendgästen konnten wir eventuell Verbündete - oder Gegner - finden.
»St. Germain?« wiederholte ich fragend, als ich den Namen aus Marguerites Geschwätz heraushörte, während sie den Parkettboden bohnerte. »Der Comte de St. Germain?«
»Oui, Madame.« Marguerite war ein kleines, rundes Mädchen mit einem eigenartig flachen Gesicht und hervorquellenden Augen, die ihr das Aussehen eines Steinbutts gaben. Sie war jedoch freundlich und willens, alles recht zu machen. Jetzt spitzte sie die Lippen, als wollte sie etwas wirklich Skandalöses mitteilen, und ich sah sie so aufmunternd wie möglich an.
»Der Comte hat einen sehr schlechten Ruf, Madame«, erklärte sie bedeutungsvoll.
Da Marguerite dies von beinahe jedem Abendgast behauptete, runzelte ich die Stirn und wartete auf Einzelheiten.
»Er hat seine Seele dem Teufel verkauft, müssen Sie wissen«, gestand sie mit gesenkter Stimme und blickte sich um, als lauere der betreffende Herr hinter dem Kaminsims. »Er zelebriert die Schwarze Messe, bei der die Gottlosen das Blut und das Fleisch unschuldiger Kinder miteinander teilen.«
Da hast du dir ja ein ganz besonderes Exemplar zum Feind gemacht, dachte ich.
»Alle wissen es, Madame«, versicherte mir Marguerite. »Aber es spielt keine Rolle. Die Frauen sind trotzdem verrückt nach ihm. Wo immer er geht, werfen sie sich ihm an den Hals. Aber er ist ja auch reich.« Offensichtlich wog dies den Verzehr von Menschenfleisch wieder auf.
»Wie interessant!« meinte ich. »Aber ich dachte, Monsieur le Comte sei ein Konkurrent von Monsieur Jared. Importiert er nicht auch Wein? Weshalb lädt Monsieur Jared ihn dann zu sich ein?«
Marguerite unterbrach ihre Arbeit und blickte lachend auf.
»Damit Monsieur Jared zum Abendessen den besten Beaune servieren und Monsieur le Comte erzählen kann, daß er soeben zehn Kisten davon erworben hat. Nach dem Essen bietet er ihm dann großzügig eine Flasche zum Mitnehmen an.«
»Ich verstehe«, erwiderte ich grinsend. »Und erhält Monsieur Jared auch eine Gegeneinladung von Monsieur le Comte?«
Sie nickte, und ihr weißes Kopftuch wippte über der Ölflasche und dem Poliertuch auf und ab. »O ja, Madame. Aber nicht so oft.«
Glücklicherweise war der Comte de St. Germain heute abend nicht unser Gast. Wir speisten en famille, da Jared vor seiner Abreise noch einige Einzelheiten mit Jamie besprechen wollte. Das Wichtigste war dabei das königliche Lever in Versailles.
Eine Einladung zu dieser Zeremonie stellte eine ganz besondere Gunstbezeugung dar, erklärte uns Jared während des Essens.
»Sie gilt nicht dir, Junge«, stellte er freundlich klar und fuchtelte mit der Gabel in Jamies Richtung. »Sondern mir. Der König - oder besser Duverney, der Finanzminister - möchte sichergehen, daß ich aus Deutschland zurückkehre. Die jüngste Steuererhebung traf die Händler schwer, so daß eine große Anzahl Ausländer das Land verließ, zum Nachteil der königlichen Finanzen, wie du dir vorstellen kannst.« Bei dem Gedanken an Steuern schnitt er eine Grimasse. »Montag in einer Woche möchte ich bereits unterwegs sein. Ich warte nur noch auf Nachricht, daß die Wilhelmina sicher in Calais eingelaufen ist. Dann mache ich mich auf den Weg.« Jared nahm sich ein Stückchen Aal und nickte Jamie zu, während er mit vollem Mund weitersprach. »Ich weiß die Geschäfte in guten Händen, Junge. Das bereitet mir keinerlei Sorgen. Bevor ich mich auf die Reise begebe, könnten wir noch über anderes sprechen. Ich habe mit dem Graf von Marischal vereinbart, daß wir ihn in zwei Tagen auf den Montmartre begleiten, damit du Seiner Hoheit, Prinz Charles Edward, deine Aufwartung machen kannst.«
Plötzlich fühlte ich, wie sich mein Magen vor Aufregung zusammenkrampfte, und ich tauschte einen kurzen Blick mit Jamie aus. Er nickte Jared zu, als wäre dieser Vorschlag etwas Alltägliches, aber als er mich ansah, sprühten seine Augen vor Erwartung. Das also war der Anfang.
»Seine Hoheit führt in Paris ein sehr zurückgezogenes Leben«, erklärte Jared und versuchte die restlichen Aale zu fangen, die fettig über den Teller rutschten. »Es wäre unpassend, wenn er sich in Gesellschaft zeigt, solange ihn der König nicht empfangen hat. Daher verläßt er das Haus nur selten und trifft außer den Anhängern seines Vaters, die ihm ihre Aufwartung machen, nur wenige Menschen.«
»Mir ist aber etwas ganz anderes zu Ohren gekommen«, warf ich ein.
»Was?« Zwei verblüffte Augenpaare hefteten sich auf mich. Jared legte seine Gabel nieder und überließ den letzten Aal seinem Schicksal.
Skeptisch fragte Jamie: »Was hast du gehört, Sassenach, und von wem?«
»Von den Dienstboten«, entgegnete ich und widmete mich meinen eigenen Aalen. Angesichts von Jareds gerunzelter Stirn kam mir zum ersten Mal der Gedanke, daß es für die Dame des Hauses wohl nicht schicklich war, sich an dem Klatsch der Dienstmädchen zu beteiligen. Zum Teufel damit, entschied ich trotzig. Schließlich blieb mir nicht viel anderes zu tun.
»Das Dienstmädchen hat mir verraten, daß Seine Hoheit Prinz Charles der Princesse Louise de la Tour de Rohan Besuche abstattet«, erklärte ich, während ich einen Aal von der Gabel nahm und ihn bedächtig kaute. Sie schmeckten köstlich, fühlten sich aber seltsam an, wenn sie im ganzen hinunterrutschten - als wäre das Tier noch lebendig. Ich schluckte vorsichtig. So weit, so gut.
»In Abwesenheit des Gatten der Dame«, fügte ich vornehm hinzu.
Jamie zeigte sich amüsiert, aber Jared war entsetzt.
»Die Princesse de Rohan?« wiederholte Jared. »Marie-Louise-Henriette-Jeanne de La Tour d’Auvergne? Die Familie ihres Gatten steht dem König sehr nahe.« Er fuhr sich mit seinen butterverschmierten Fingern über die Lippen. »Das könnte sehr gefährlich werden«, brummte er vor sich hin. »Ob dieser kleine Dummkopf... aber nein. Gewiß hat er mehr Verstand. Wahrscheinlich nur die Unerfahrenheit. Das gesellschaftliche Leben ist ihm noch fremd, und in Rom verhalten sich die Dinge anders als hier. Dennoch...« Er schwieg und wandte sich entschlossen an Jamie.
»Das wird deine erste Aufgabe sein, Junge, im Dienste Seiner Majestät. Du und Seine Hoheit seid fast im gleichen Alter, aber aus deiner Zeit in Paris verfügst du über Erfahrung und Urteilsvermögen. Und natürlich über meine hilfreichen Instruktionen, wenn ich mir einmal schmeicheln darf.« Er lächelte Jamie kurz zu. »Freunde dich mit Seiner Hoheit an, ebne ihm den Weg bei jenen Menschen, die ihm von Nutzen sein könnten. Und erkläre Seiner Hoheit - mit größtmöglichem Taktgefühl -, daß Galanterie am falschen Ort den Zielen seines Vaters erheblichen Schaden zufügen kann.«
Jamie nickte geistesabwesend. Kein Zweifel, er war mit seinen Gedanken woanders.
»Woher weiß unser Dienstmädchen von den Besuchen Seiner Hoheit, Sassenach?« wollte er von mir wissen. »Sie verläßt das Haus doch nur einmal die Woche, um zur Messe zu gehen.«
Ich schüttelte den Kopf und schluckte meinen Bissen herunter.
»Ich glaube, das Küchenmädchen weiß es vom Küchenjungen. Der hat es vom Knecht erfahren, und der wiederum hat es vom Stallburschen nebenan. Ich habe keine Ahnung, wie viele Leute noch dazwischen stecken, aber das Haus der Rohans befindet sich drei Türen weiter. Ich wette, die Prinzessin weiß genausogut über uns Bescheid«, fügte ich heiter hinzu. »Zumindest wenn sie mit ihrem Küchenmädchen spricht.«
»Eine Dame klatscht nicht mit den Küchenmädchen«, bemerkte Jared frostig. Er heftete den Blick beschwörend auf Jamie, damit er seine Gattin besser im Zaum hielt.
Ich bemerkte, wie Jamies Mundwinkel zuckten, doch er nahm nur einen kleinen Schluck Montrachet und ging dann zu Jareds neuestem Wagnis über: einer Lieferung Rum, unterwegs von Jamaika.
Als Jared klingelte, um die Teller abräumen und den Weinbrand servieren zu lassen, entschuldigte ich mich. Zu Jareds persönlichen Eigenheiten gehörte eine Vorliebe für lange schwarze Zigarren, begleitet von einem Weinbrand, und ich hatte das sichere Gefühl, daß die Aale wenig Lust verspürten, geräuchert zu werden.
Ich legte mich auf mein Bett und versuchte mit begrenztem Erfolg, die Aale zu vergessen. Ich schloß die Augen, um von Jamaika mit seinen malerischen weißen Stränden unter tropischer Sonne zu träumen. Aber diese Gedanken führten mich zur Wilhelmina und von dort zum Meer hinaus, und schon war ich wieder bei den Aalen angelangt. Ich sah, wie sie sich in den grünen Wogen wanden und schlängelten. Daher begrüßte ich Jamies Erscheinen mit Dankbarkeit.
»Puh!« Er lehnte sich an die geschlossene Tür und fächelte sich mit den herabhängenden Enden seines Jabots Luft zu. »Ich fühle mich wie eine Räucherwurst. Jared ist ja ein netter Kerl, aber ich werde es nicht bedauern, wenn er sich und seine verdammten Zigarren nach Deutschland verfrachtet.«
»Komm mir bloß nicht zu nahe, wenn du wie eine Zigarre riechst«, erklärte ich. »Die Aale mögen keinen Rauch.«
»Das kann ich ihnen in keiner Weise verdenken.« Er entledigte sich seines Mantels und knöpfte sein Hemd auf. »Ich glaube, es steckt ein Plan dahinter«, gestand er und deutete mit dem Kopf zur Tür, während er sein Hemd auszog. »So wie mit den Bienen.«
»Welchen Bienen?«
»Wenn man einen Bienenstock an einen anderen Platz bringen will«, erklärte er, öffnete das Flügelfenster und hängte das Hemd an dem Haken ins Freie. »Nimmt man einen Pfeifenkopf voll mit dem stärksten Tabak, der sich finden läßt, schiebt ihn in den Bienenstock und bläst den Rauch in die Waben. Benebelt fallen die Bienen herunter, so daß man sie dort hinbringen kann, wohin man möchte. Und ich vermute, daß Jared mit seinen Kunden ebenso verfährt: Er räuchert sie ein bis zur Bewußtlosigkeit, und bevor sie wieder zu sich kommen, unterschreiben sie Aufträge, die dreimal so hoch sind wie ursprünglich beabsichtigt.«
Ich kicherte. Er grinste und legte den Finger auf die Lippen, weil Jareds Schritte auf dem Flur zu vernehmen waren. Nachdem die Gefahr vorüber war, streckte sich Jamie, mit nichts anderem als Kilt und Strümpfen bekleidet, neben mir aus.
»Ist es schlimm?« fragte er. »Ich kann im Ankleidezimmer schlafen, falls es zu sehr stinkt. Oder meinen Kopf zum Lüften aus dem Fenster hängen.«
Ich schnupperte an seinem rotgelockten Haar, in dem noch immer Tabakrauch hing. Das Kerzenlicht ließ das Haar golden aufleuchten, und ich fuhr genüßlich durch die weiche Mähne.
»Nein, es ist zu ertragen. Du machst dir also keine Sorgen, weil Jared so bald abreist?« Kopfschüttelnd lächelte er mich an.
»Nein. Ich habe alle wichtigen Kunden und die Kapitäne kennengelernt und mich den Schauerleuten und den Hafenverwaltern vorgestellt. Die Preis- und Inventarlisten kenne ich mittlerweile auswendig. Was ich sonst noch wissen muß, eigne ich mir im täglichen Umgang an. Mehr kann Jared mir nicht beibringen.«
»Und Prinz Charles?«
Jamie verengte die Augen zu Schlitzen und grunzte ergeben. »Was ihn betrifft, muß ich auf die Gnade Gottes bauen, nicht auf Jared. Bestimmt wird es einfacher für mich sein, wenn Jared nicht hier ist und mich beobachtet.«
Ich streckte mich neben ihm aus. Er drehte sich zu mir um und schlang mir den Arm um die Taille, so daß wir eng beieinander lagen.
»Wie sollen wir vorgehen?« fragte ich. »Hast du eine Idee, Jamie?«
Sein warmer, nach Weinbrand duftender Atem streifte mein Gesicht. Ich hob den Kopf und küßte ihn. Er drückte seinen weichen Mund auf meine Lippen, und so verweilten wir für einen Augenblick.
»Nun, ich habe so meine Vorstellungen«, antwortete er dann seufzend. »Und davon jede Menge.«
»Und welche?«
»Mmmpf.« Er legte sich bequem auf den Rücken und nahm mich in den Arm. Ich bettete den Kopf an seine Schulter.
»Meiner Meinung nach ist es eine Frage des Geldes, Sassenach«, hob er an.
»Geld? Ich hätte eher gedacht, es geht dabei um Politik. Wollen die Franzosen James denn nicht wieder auf dem Thron sehen, weil es die Engländer ärgert? Dem wenigen nach, an das ich mich erinnere, wollte Louis - will Louis -, daß Charles Stuart König George ablenkt, damit er selbst in Brüssel ungehindert seine Absichten verfolgen kann.«
»Wahrscheinlich«, entgegnete Jamie. »Aber um Könige wieder auf den Thron zu bringen, braucht man Geld. Und soviel hat Louis nicht, als daß er in Brüssel Kämpfe ausfechten und gleichzeitig Angriffe auf England finanzieren könnte. Du hast doch gehört, was Jared über die königlichen Finanzen und die Steuern gesagt hat.«
»Ja, aber...«
»Nein, Louis ist nicht maßgeblich«, klärte er mich auf. »Obwohl er natürlich ein Wörtchen mitzureden hat. Nein, es gibt noch andere Geldquellen, die James und Charles versuchen werden anzuzapfen, und zwar die französischen Bankiersfamilien, den Vatikan und den spanischen Königshof.«
»James übernimmt den Vatikan und die Spanier, und Charles die französischen Bankiers, oder?« fragte ich interessiert.
Den Blick auf die geschnitzten Walnußpaneele gerichtet, nickte Jamie. Im flackernden Kerzenschein schimmerte die Deckentäfelung mit den dunklen Rosetten und Bändern, die sich aus jeder Ecke rankten, in einem warmen Braun.
»Aye, das denke ich auch. Onkel Alex hat mir die Briefe von Seiner Majestät König James gezeigt, und ich glaube, daß er bei den Spaniern die größten Aussichten hat. Der Papst ist verpflichtet, ihm zu helfen, weil James ein katholischer Monarch ist. Papst Klemens, der mittlerweile gestorben ist, hat ihn jahrelang unterstützt. Benedikt, sein Nachfolger, ist bei weitem nicht so eifrig wie sein Vorgänger. Philipp von Spanien und Louis sind Vettern von James. Er fordert also nur die Verpflichtung der bourbonischen Blutsverwandten ein.« Listig lächelte er mich von der Seite an. »Und meiner Erfahrung nach ist das königliche Blut auch nicht dicker als Wasser, wenn Geld im Spiel ist, Sassenach.«
Jamie hob erst den einen, dann den anderen Fuß, streifte seine Strümpfe ab und schleuderte sie auf den Schlafzimmerhocker.
»Vor dreißig Jahren hat James aus Spanien Geld erhalten«, erzählte er. »Außerdem eine kleine Flotte und dazu noch ein paar Soldaten. So kam es zum Aufstand von 1715. Aber er hatte Pech; seine Truppen wurden bei Sheriffsmuir geschlagen, noch bevor er selbst am Kriegsschauplatz eintraf. Daher vermute ich, daß die Spanier sich nicht darum reißen, einen zweiten Versuch zu finanzieren - zumindest nicht ohne sichere Aussicht auf Erfolg.«
»Also ist Charles nach Frankreich aufgebrochen, um Louis und die Bankiers zu bearbeiten«, folgerte ich. »Wenn meine Geschichtskenntnisse mich nicht trügen, gelingt es ihm auch. Und was heißt das für uns?«
Jamie streckte sich, so daß sich die Matratze unter ihm ein wenig senkte.
»Das heißt, daß ich Wein an Bankiers verkaufen werde, Sassenach«, antwortete er unter Gähnen, »und du mit Dienstmädchen plaudern wirst. Wenn wir genügend Rauch blasen, können wir die Bienen vielleicht betäuben.«
 
Unmittelbar bevor Jared abreiste, führte er Jamie in dem kleinen Haus auf dem Montmartre ein, in dem Seine Hoheit Prinz Charles Edward Stuart residierte, bis sich herausstellen würde, auf welche Weise Louis sich für einen mittellosen Cousin und Thronanwärter einsetzen oder auch nicht einsetzen würde.
Nachdem die beiden, in ihr bestes Gewand gekleidet, aufgebrochen waren, kreisten meine Gedanken unablässig um diesen Besuch, und ich malte mir ihr Zusammentreffen in allen Einzelheiten aus.
»Wie war es?« bestürmte ich Jamie, kaum daß er wieder da war und ich ihn allein zu fassen bekam. »Wie ist er?«
Nachdenklich kratzte er sich den Kopf.
»Er hatte Zahnschmerzen«, sagte er schließlich.
»Was?«
»So sagte er jedenfalls. Und er schien sehr zu leiden. Er hielt den Kopf schief, und seine Wange war ein wenig geschwollen. Ich kann nicht beurteilen, ob er normalerweise auch so steif ist oder ob ihm das Sprechen zu starke Schmerzen bereitete, jedenfalls war er recht einsilbig.«
Nach den förmlichen Begrüßungsfloskeln fanden sich die älteren Herren - Jared, der Graf von Marischal und eine jämmerlich aussehende Kreatur, die allenthalben »Balhaldy« tituliert wurde - zu einem Gespräch über schottische Politik zusammen und überließen Jamie und Seine Hoheit sich selbst.
»Wir hatten beide einen Becher Weinbrand vor uns«, berichtete Jamie auf mein Drängen gehorsam. »Ich fragte ihn, wie ihm Paris gefalle, und er antwortete, er empfände es als unangenehm einengend, da er nicht auf die Jagd gehen könne. Daraufhin sprachen wir über die Jagd. Er jagt lieber mit Hunden als mit Treibern, und ich stimmte zu. Dann erzählte er mir, wie viele Fasane er auf einem Jagdausflug in Italien geschossen hatte. Er sprach von Italien, bis die Zahnschmerzen wegen der Zugluft vom Fenster schlimmer wurden. Das Haus ist nicht besonders solide gebaut, nur eine kleine Villa. Er trank noch ein wenig mehr Weinbrand gegen die Schmerzen, und ich berichtete ihm von der Hirschjagd in den Highlands. Er sagte, er würde das auch gern einmal versuchen, und fragte, ob ich gut mit Pfeil und Bogen umgehen könne. Ich sagte ja, woraufhin er erklärte, er hoffe, mich einmal zur Jagd nach Schottland einladen zu können. Als Jared mich daran erinnerte, er müsse auf dem Rückweg noch einmal am Lagerhaus haltmachen, reichte mir Seine Hoheit die Hand, ich küßte sie, und wir verschwanden.«
»Hmmm«, sagte ich. Obwohl man vernünftigerweise davon ausgehen sollte, daß Berühmtheiten - oder solche, die es einmal werden oder werden möchten - sich in ihrem alltäglichen Benehmen nicht von normalen Menschen unterscheiden, fand ich diesen Bericht über Bonnie Prince Charlie doch ein wenig enttäuschend. Immerhin war Jamie wieder eingeladen worden. Schließlich kam es darauf an, mit Seiner Hoheit näher bekannt zu werden, um ein Auge auf seine Pläne zu haben, sobald sie Gestalt annahmen. Zu gerne hätte ich gewußt, ob nicht wenigstens der König von Frankreich eine Spur beeindruckender war.
 
Meine Neugierde sollte schon bald gestillt werden. Eine Woche später stand Jamie in kalter, dunkler Nacht auf und kleidete sich für die lange Fahrt nach Versailles an, um dem Lever des Königs beizuwohnen. Louis erwachte jeden Morgen pünktlich um sechs Uhr. Die Auserwählten, die an seiner Morgentoilette teilhaben durften, sollten sich um diese Zeit im Vorzimmer versammeln und sich in die Prozession der Adeligen und Diener einreihen, die den König bei der Begrüßung des neuen Tages unterstützten.
Nachdem Jamie von Magnus, dem Butler, geweckt worden war, stieg er schlaftrunken aus dem Bett und machte sich gähnend und brummend fertig. Zu dieser Tageszeit verhielten sich meine Eingeweide noch manierlich, und ich genoß das wundervolle Gefühl, das einen erfaßt, wenn jemand anders eine unangenehme Pflicht erledigen muß, mit der man selbst nichts zu tun hat.
»Sieh dir alles genau an«, wies ich ihn an, die Stimme noch heiser vom Schlaf, »damit du mir berichten kannst.«
Mit zustimmendem Grunzen beugte er sich zu mir herab und küßte mich. Dann trottete er, die Kerze in der Hand, davon, um das Pferd satteln zu lassen. Bevor ich mich wieder dem Schlaf hingab, vernahm ich aus dem Erdgeschoß seine plötzlich klar und wach klingende Stimme, als er sich vom Stallburschen verabschiedete.
Aufgrund der Entfernung zu Versailles und der von Jared bereits angedeuteten Aussicht, zum Essen eingeladen zu werden, überraschte es mich nicht, als er zum Mittagessen noch nicht da war. Aber ich war neugierig und konnte meine Ungeduld kaum zügeln, bis Jamie nachmittags endlich auftauchte.
»Wie war das Lever des Königs?« erkundigte ich mich und trat auf ihn zu, um ihm beim Ausziehen des Rockes zur Hand zu gehen. Mit den engen Handschuhen aus Schweinsleder, die bei Hof de rigueur waren, ließen sich die verzierten Silberknöpfe auf dem glatten Samt nicht öffnen.
»Ah, das ist schon besser«, seufzte er und dehnte erleichtert die Schultern, als die Knöpfe aufsprangen. Da ihm dieses Gewand viel zu eng war, mußte ich Jamie wie ein Ei aus der Schale pellen.
»Interessant, Sassenach«, beantwortete er meine Frage. »Zumindest was die erste Stunde betrifft.«
Nachdem der Zug der Adeligen das königliche Schlafgemach betreten hatte, jeder mit seiner für das Zeremoniell notwendigen Gerätschaft ausgestattet - Handtuch, Rasiermesser, Becher, königliches Siegel und ähnliches mehr -, zogen die Kammerherren die schweren Vorhänge zurück, welche die Morgendämmerung abschirmten, entfernten die Draperien von dem breiten Staatsbett und boten der aufgehenden Sonne das Gesicht des roi Louis dar.
Nachdem man dem König aufgeholfen hatte und er an der Bettkante saß, gähnte er und kratzte sich das stoppelige Kinn, während seine Kammerherren eine seidene Robe mit schwerer Silber- und Goldstickerei um die königlichen Schultern legten. Anschließend knieten sie nieder, streiften ihm die dicken Filzsocken, in denen er zu schlafen pflegte, von den Füßen und ersetzten sie durch eine Strumpfhose aus zarter Seide und weichen, mit Kaninchenfell gefütterten Pantoffeln.
Die Adeligen traten nacheinander heran und knieten zu Füßen ihres Monarchen nieder, begrüßten ihn ehrerbietig und erkundigten sich, wie Seine Majestät die Nacht verbracht hatte.
»Nicht so gut, würde ich meinen«, unterbrach Jamie seine Betrachtungen. »Er sah aus, als hätte er höchstens ein, zwei Stunden geschlafen und dabei auch noch böse Träume gehabt.«
Trotz blutunterlaufener Augen und Tränensäcken nickte Seine Majestät den Höflingen huldvoll zu, erhob sich bedächtig und verneigte sich vor jenen erlesenen Gästen, die sich am anderen Ende des Schlafgemachs befanden. Eine müde Handbewegung rief einen Kammerherren herbei, der Seine Majestät zu dem Frisierstuhl geleitete. Mit geschlossenen Augen ließ er sich darauf nieder und genoß die Pflege seines Gefolges, während der Duc d’Orléans jeden Besucher einzeln zu ihm führte, damit er sich vor den König hinknien und einige Worte der Begrüßung sagen konnte. Förmliche Anliegen mußten noch warten, bis der König etwas wacher war und sie aufnehmen konnte.
»Ich hatte kein Anliegen, sondern war nur als Günstling geladen«, erklärte Jamie. »Also kniete ich mich vor ihn hin und sagte >Guten Morgen, Eure Majestät‹, während der Duc ihn darüber aufklärte, wer ich war.«
»Hat dich der König angesprochen?« fragte ich.
Die Hände hinter dem Kopf verschränkt, grinste Jamie und streckte sich. »Aye. Er öffnete ein Auge und starrte mich an.«
Mit diesem geöffneten Auge musterte er seinen Besucher mit eher mäßigem Interesse und stellte fest: »Groß, nicht wahr?«
»Ich antwortete: ›Ja, Eure Majestät‹«, erklärte Jamie. »Woraufhin er fragte: ›Können Sie tanzen?<, und ich erwiderte, daß ich das könne. Dann klappte er das Auge zu, und der Duc schob mich weiter.«
Nachdem die Vorstellung beendet war, machten sich die Kammerherren mit würdevoller Unterstützung der ranghöchsten Adeligen an die Toilette des Königs. Während dieser Prozedur traten die Bittsteller auf ein Zeichen des Duc d’Orléans nacheinander vor und murmelten dem König ihr Anliegen ins Ohr, während dieser den Kopf dem Rasiermesser entgegenstreckte oder den Hals neigte, damit die Perücke zurechtgerückt werden konnte.
»Ach ja? Und hattest du die Ehre, Seiner Majestät die Nase zu putzen?« fragte ich.
Jamie grinste und dehnte seine verschränkten Finger, bis die Knöchel knackten.
»Nein, Gott sei Dank nicht. Ich stellte mich in den Schatten des Schrankes und versuchte, mir den Anschein eines Möbelstücks zu geben, während mich all diese kleinwüchsigen Grafen und Herzöge aus den Augenwinkeln heraus musterten, als wäre Schottischsein etwas Ansteckendes.«
»Wenigstens warst du groß genug, um alles zu überblicken.«
»Aye, das stimmt. Ich konnte sogar zusehen, wie er es sich auf der chaise percée bequem machte.«
»Was? Vor all den Menschen?« Ich war fasziniert. Natürlich hatte ich bereits darüber gelesen, konnte es jedoch kaum glauben.
»Ja. Und jeder tat so, als würde dem König lediglich das Gesicht gewaschen oder die Nase geputzt. Der Duc de Neve hatte die unaussprechliche Ehre«, fügte er ironisch hinzu, »Seiner Majestät den Hintern abzuputzen. Ich habe nicht gesehen, was er mit dem Handtuch gemacht hat. Wahrscheinlich hat er es hinausgetragen und vergolden lassen.
War eine ziemlich langwierige Angelegenheit«, fügte er hinzu, beugte sich hinunter und setzte die Hände auf den Boden, so daß sich seine Beinmuskeln anspannten. »Hat ewig gedauert. Der Mann ist dicht wie eine Eule.«
»Dicht wie eine Eule?« fragte ich, amüsiert über diesen Vergleich. »Du meinst wohl verstopft?«
»Aye, genau. Ist ja auch kein Wunder bei dem, was man am Hof ißt«, fügte er kritisch hinzu und dehnte sich. »Schreckliche Kost, lauter Rahm und Butter. Er sollte lieber Haferbrei zum Frühstück essen - damit erledigt sich das Problem von selbst. Gut für die Verdauung, wie du weißt.«
Wenn die Schotten an einer Überzeugung festhalten - und tatsächlich ließe sich da so manches aufzählen -, dann an den guten Eigenschaften von Haferbrei, zum Frühstück genossen. Seit ewigen Zeiten haben sich die Menschen in diesem armen Land von Hafer ernährt, weil es nichts anderes gab, so daß man wie üblich aus der Not eine Tugend machte und darauf bestand, dieses Zeug zu mögen.
Inzwischen hatte Jamie sich auf den Boden gelegt und begonnen, die Royal-Air-Force-Übungen durchzuführen, die ich ihm zur Kräftigung der Rückenmuskeln empfohlen hatte.
Ich griff seine Bemerkung von vorhin auf und fragte: »Weshalb hast du gesagt ›dicht wie eine Eule<? Ich habe diesen Satz schon einmal gehört, aber im Zusammenhang mit ›betrunken‹ und nicht mit ›verstopft sein<. Leiden Eulen denn an Verstopfung?«
Er beendete seine Übungen, rollte sich auf die Seite und legte sich keuchend auf den Teppich.
»Aye.« Allmählich kam er wieder zu Atem. Er setzte sich auf und strich sich das Haar aus der Stirn. »Zumindest erzählt man sich das. Man sagt, Eulen haben keinen Verdauungstrakt und können deshalb nichts ausscheiden - zum Beispiel Mäuse, aye? Daher bildet sich aus den Knochen, den Haaren und den anderen Dingen ein Knäuel, das die Eule erbricht, weil sie es am anderen Ende nicht loswerden kann.«
»Wirklich?«
»Aye. Und wenn unter einem Baum solche Knäuel liegen, kann man sicher sein, daß dort Eulen hausen. Eulen machen ungeheuren Schmutz«, fügte er hinzu und lockerte den Kragen.
»Trotzdem haben sie ein Arschloch«, klärte er mich auf. »Ich habe einmal eine mit einer Schleuder abgeschossen und nachgesehen.«
»Ein wissensdurstiger Bursche!« sagte ich lachend.
»Allerdings, Sassenach.« Er grinste. »Und sie verdauen auch auf diesem Weg. Einmal habe ich deswegen sogar einen Tag lang mit Ian unter einem Baum mit Eulen gesessen.«
»Guter Gott, du mußt wirklich neugierig gewesen sein«, bemerkte ich.
»Nun, es ließ mir keine Ruhe. Ian hatte keine Lust, so lange stillzusitzen, und ich mußte ihn gewaltsam dazu bringen.« Jamie lachte. »Danach saß er still neben mir, bis es soweit war. Allerdings schnappte er sich später eine Handvoll Gewölle, steckte es mir in den Kragen und sauste davon. Meine Güte, er konnte so schnell rennen wie ein Wiesel.« Ein Anflug von Traurigkeit überschattete sein Gesicht, als er an seinen behenden Jugendfreund und jetzigen Schwager dachte, der vor nicht allzu langer Zeit im Krieg Opfer einer Kartätsche geworden war und nun ungelenk und dennoch klaglos auf einem Holzbein umherhumpelte.
»Das muß ein fürchterliches Leben sein«, bemerkte ich, um ihn abzulenken. »Ich meine nicht das Beobachten von Eulen, sondern den König. Kein Privatleben, nicht mal auf dem Klo.«
»Für mich wäre das nichts«, pflichtete Jamie mir bei. »Aber dafür ist er der König.«
»Und vermutlich gleichen die Macht, der Luxus und was sonst noch dazugehört vieles wieder aus.«
Er zuckte die Achseln. »Ob dem so ist oder nicht, Gott hat ihn dazu bestimmt, und er hat keine andere Wahl, als das Beste daraus zu machen.« Er nahm sein Plaid und zog den Zipfel durch das Schwertgehenk hoch zur Schulter.
»Warte, ich helfe dir.« Ich nahm die silberne Ringbrosche und befestigte den farbenprächtigen Stoff auf seiner Schulter. Er ordnete indessen die Falten, indem er fingerfertig die Wolle glättete.
»Ich habe eine ähnliche Verpflichtung, Sassenach«, sagte er leise. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Auch wenn dies gottlob nicht bedeutet, daß Ian mir den Hintern abputzt. Ich bin als Gutsherr zur Welt gekommen. Mir obliegt die Verwaltung eines Stückes Land und der dort lebenden Menschen, und auch ich muß aus meinen Verpflichtungen das Bestmögliche machen.«
Er streckte die Hand aus und strich mir zart über das Haar. »Deshalb bin ich froh, daß du gesagt hast, wir sollten es ausprobieren und sehen, was wir ausrichten können. Denn ein Teil von mir möchte am liebsten dich und das Kind nehmen und weit, weit weggehen, möchte auf dem Feld und mit den Tieren arbeiten, am Abend nach Hause kommen und die Nacht hindurch ungestört neben dir liegen.«
Die tiefblauen Augen blickten gedankenverloren in die Ferne, während seine Hände wieder zu dem Plaid zurückkehrten und über die leuchtenden Karos des Fraser-Tartans strichen, auf dem Lallybroch sich durch eine zarte weiße Linie von den anderen Familien abhob.
»Aber wenn ich das täte«, sprach er mehr zu sich als zu mir, »würde sich ein Teil meiner Seele abtrünnig vorkommen, und die Rufe meiner Leute würden mir in den Ohren schallen.«
Ich legte ihm die Hand auf die Schulter, und er sah auf. Ein schiefes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
»Das glaube ich auch«, sagte ich. »Jamie... was auch immer geschehen mag, was immer wir tun können...« Ich hielt inne und suchte nach Worten. Wie so oft, war ich im Augenblick wie gelähmt bei dem Gedanken an die ungeheure Aufgabe, die wir übernommen hatten. Wer waren wir, daß wir den Gang der Geschichte ändern wollten, und zwar nicht nur für uns, sondern für die Prinzen und Bauern, für ganz Schottland?
Jamie legte seine Hand auf meine und drückte sie beruhigend.
»Niemand kann mehr von uns verlangen, als daß wir unser Bestes geben, Sassenach. Nein, wenn Blut vergossen wird, dann tragen wenigstens nicht wir die Verantwortung dafür. Bete zu Gott, daß es nicht soweit kommt.«
Ich dachte an die einsamen grauen Steine der Clans im Moor von Culloden und an die Männer der Highlands, die vielleicht darunter begraben werden würden, wenn unser Vorhaben keinen Erfolg hatte.
»Bete zu Gott«, wiederholte ich.
Die Geliehene Zeit
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