22
Das königliche Gestüt
Behäbig holperte die Kutsche über einen besonders
schlechten Straßenabschnitt, in dem Winterfrost und Frühlingsregen
Furchen und Löcher hinterlassen hatten. Es hatte in diesem Jahr
viel geregnet; selbst jetzt im Frühsommer sah man noch nasse,
sumpfige Stellen unter den üppigen Stachelbeersträuchern am
Straßenrand.
Jamie saß neben mir auf der schmalen, gepolsterten
Bank, Fergus hatte es sich in der gegenüberliegenden Ecke bequem
gemacht und schlief. In der Kutsche war es warm, und immer wenn wir
über einen Fleck trockener Erde fuhren, drangen goldene
Sonnenstäubchen durch die Fenster.
Wir hatten über die uns umgebende Landschaft
geplaudert, über die königlichen Stallungen in Argentan, zu denen
wir unterwegs waren, und die Klatschgeschichten ausgetauscht, die
täglich bei Hof und in Geschäftskreisen gehandelt wurden. Ich hätte
auch schlafen können, eingelullt vom Schaukeln der Kutsche und der
Wärme des Tages, aber wegen meiner zunnehmenden Körperfülle war es
unbequem, immer in derselben Position zu sitzen, und von dem
Geholper tat mir der Rücken weh. Außerdem wurde das Baby allmählich
lebhafter; nun spürte ich nicht mehr das zarte Flattern der ersten
Bewegungen, sondern leichte Stöße und Knüffe, die auf ihre Art zwar
angenehm waren, mich aber nicht zur Ruhe kommen ließen.
»Vielleicht hättest du daheimbleiben sollen,
Sassenach«, meinte Jamie stirnrunzelnd, als ich wieder einmal auf
der Bank herumrutschte.
»Mir geht’s gut«, sagte ich lächelnd. »Ich bin nur
ein bißchen zappelig. Es wäre schade gewesen, das alles zu
versäumen.« Ich wies auf das Fenster, durch das die weiten Felder
smaragdgrün leuchteten, durchbrochen von dunklen, schlanken
Pappeln. Die
frische Landluft war würzig und berauschend nach den
abgestandenen, ekelhaften Gerüchen der Stadt und den Ausdünstungen
im Hôpital des Anges.
Um die diplomatischen Annäherungsversuche Englands
vorsichtig zu ermutigen, hatte sich Louis bereit erklärt, dem
Herzog von Sandringham vier Percheron-Zuchtstuten aus dem
königlichen Gestüt in Argentan zu verkaufen. Daher war Seine Hoheit
heute nach Argentan unterwegs. Er hatte Jamie eingeladen, ihn zu
begleiten und bei der Auswahl der Stuten zu beraten. Die Einladung
war bei einer Abendgesellschaft erfolgt, und ein Wort hatte das
andere gegeben, bis aus dem Besuch ein regelrechter Ausflug ins
Grüne wurde, an dem vier Kutschen und mehrere Damen und Herren des
Hofes beteiligt waren.
»Das ist ein gutes Zeichen, findest du nicht auch?«
fragte ich, während ich mich mit einem vorsichtigen Blick
versicherte, daß unsere Begleiter fest schliefen. »Daß Louis dem
Herzog gestattet, Pferde zu kaufen, meine ich. Wenn er den
Engländern gegenüber Wohlwollen zeigt, dann ist er vermutlich nicht
geneigt, James Stuart zu unterstützen - zumindest nicht
öffentlich.«
Jamie schüttelte den Kopf. Er weigerte sich strikt,
eine Perücke zu tragen, und die kühne, klare Form seines
geschorenen Schädels hatte bei Hof kein geringes Erstaunen erregt.
Im Augenblick hatte die Frisur jedoch ihre Vorteile; obwohl sein
langer Nasenrücken feucht glänzte, war Jamie längst nicht so
schlapp wie ich.
»Nein, ich bin jetzt ziemlich sicher, daß Louis mit
den Stuarts nichts zu tun haben will - zumindest nicht mit deren
Bemühungen, den Thron zu besteigen. Monsieur Duverney versichert
mir, daß der Staatsrat dergleichen vehement ablehnt. Es kann zwar
sein, daß Louis auf Drängen des Papstes Charles doch noch eine
kleine Apanage zugesteht, aber der König ist nicht geneigt, die
Stuarts in Frankreich populär zu machen, solange ihm der englische
König George über die Schulter guckt.« Jamies Plaid wurde heute von
einer Brosche zusammengehalten - ein schönes Schmuckstück, das ihm
seine Schwester aus Schottland geschickt hatte. Es hatte die Form
springender Hirsche, deren gekrümmte Leiber sich zu einem Kreis
schlossen, so daß sich Köpfe und Schwänze berührten. Mit einem
Zipfel des Plaids wischte sich Jamie das Gesicht ab.
»Ich glaube, ich habe in den letzten Monaten mit
allen bedeutenden Bankiers von Paris gesprochen, und sie alle sind
grundsätzlich
nicht interessiert.« Er lächelte schelmisch. »Niemand hat so viel
Geld, daß er nicht weiß, wohin damit und ein so prekäres
Unternehmen wie die Restauration der Stuarts finanziert.«
»Und damit«, sagte ich und reckte mich stöhnend,
»bleibt nur noch Spanien.«
Jamie nickte. »Genau. Dougal MacKenzie«, bemerkte
er selbstgefällig. Neugierig setzte ich mich auf.
»Hast du etwa von ihm gehört?« Trotz anfänglicher
Zurückhaltung hatte Dougal Jamie als eifrigen Mitstreiter
akzeptiert, und die übliche Ausbeute an verschlüsselten Briefen
wurde durch eine Reihe vertraulicher Mitteilungen ergänzt, die
Dougal uns aus Spanien schickte, damit Jamie sie las und an Charles
Stuart weiterleitete.
»Das habe ich.« Aus seinem Gesichtsausdruck schloß
ich, daß es gute Nachrichten waren - wenn auch nicht für die
Stuarts.
»Philipp lehnt es ab, die Stuarts in irgendeiner
Weise zu unterstützen«, sagte Jamie. »Er hat vom päpstlichen
Offizium Nachricht erhalten: Er soll sich aus dieser Sache
raushalten.«
»Weißt du, warum?« Wir hatten zwar kürzlich mehrere
Briefe eines päpstlichen Boten abgefangen, aber da sie alle an
James oder Charles Stuart adressiert waren, enthielten sie nicht
unbedingt Hinweise auf Unterredungen Seiner Heiligkeit mit
Vertretern Spaniens.
»Dougal jedenfalls glaubt es zu wissen.« Jamie
lachte. »Ziemlich empört ist er, der Gute. Seit fast einem Monat
hängt er in Toledo herum und wird schließlich mit einem vagen
Versprechen abgespeist, man werde ›zu gegebener Zeit helfen, Deo
volente‹.« Mit seiner tiefen Stimme ahmte er den frommen
Tonfall so gut nach, daß auch ich lachen mußte.
»Benedikt will Spannungen zwischen Spanien und
Frankreich vermeiden. Er möchte nicht, daß Philipp und Louis Geld
verschwenden, für das er selbst Verwendung haben könnte, weißt du«,
bemerkte er zynisch. »Es gehört sich zwar nicht für einen Papst,
dergleichen zu äußern, aber Benedikt hat seine Zweifel, ob ein
katholischer König England halten könnte. Schottland hat seine
katholischen Oberhäupter unter den Highland-Clans, aber es ist
einige Zeit her, daß in England ein katholischer König regiert hat
- und wahrscheinlich wird es noch verdammt lange dauern, bis wieder
einer kommt - Deo volente«, fügte er grinsend
hinzu.
Er kratzte sich am Kopf und zerzauste sich dabei
die rotgoldenen
Haare. »Sieht ziemlich übel aus für die Stuarts, Sassenach, und
das sind gute Nachrichten. Nein, von den bourbonischen Monarchen
ist keine Hilfe zu erwarten. Das einzige, was mir jetzt noch Sorgen
macht, ist das Geld, das Charles Stuart beim Comte de St. Germain
investiert hat.«
»Du glaubst also nicht, daß es dabei nur ums
Geschäft geht?«
»Vordergründig schon«, meinte er stirnrunzelnd,
»aber es steckt noch mehr dahinter. Ich habe etwas munkeln
hören.«
Die Bankiersfamilien von Paris waren zwar nicht
ernsthaft geneigt, den jungen Prätendenten auf den schottischen
Thron zu bringen, aber dies konnte sich leicht ändern, wenn Charles
plötzlich Geld für Investitionen besaß.
»Seine Hoheit hat mir von einer Unterredung mit den
Gobelins erzählt«, berichtete Jamie. »St. Germain hat ihn dort
eingeführt, sonst hätten sie ihn wohl nicht empfangen. Der alte
Gobelin hält Charles für einen Narren und Tunichtgut, und einer
seiner Söhne denkt genauso. Aber der andere - er möchte abwarten;
wenn Charles mit seiner Unternehmung Erfolg hat, kann er ihm
vielleicht noch andere Möglichkeiten eröffnen.«
»Gar nicht gut«, bemerkte ich.
Jamie schüttelte den Kopf. »Nein. Geld vermehrt
sich von selbst, weißt du. Laß ihn bei ein, zwei großen
Unternehmungen erfolgreich sein, und die Bankiers werden ein
offenes Ohr für ihn haben. Der Mann ist kein großer Denker«, meinte
er und verzog boshaft den Mund, »aber er ist sehr charmant. Er kann
Leute gegen ihr besseres Wissen zu etwas überreden. Trotzdem kommt
er nicht voran, solange er kein eigenes Kapital besitzt - aber das
bekommt er, wenn diese Investition Früchte trägt.«
»Hm.« Wieder veränderte ich meine Position und
bewegte meine Zehen in ihrem Ledergefängnis. Die Schuhe hatten
gepaßt, als sie für mich angefertigt wurden, aber jetzt waren meine
Füße ein wenig geschwollen und meine Seidenstrümpfe schweißnaß.
»Können wir etwas dagegen unternehmen?«
Jamie lächelte achselzuckend. »Um schlechtes Wetter
vor der portugiesischen Küste beten. Um die Wahrheit zu sagen,
solange das Schiff nicht sinkt, sieht es nicht so aus, als könnte
die Unternehmung scheitern. St. Germain hat schon Verträge für den
Verkauf der gesamten Fracht abgeschlossen. Sowohl er als auch
Charles Stuart werden ihr Geld verdreifachen.«
Als der Name des Comte fiel, schauderte ich, weil
ich an Dougals Vermutungen denken mußte. Von seinem Besuch hatte
ich Jamie nichts erzählt, und auch seine Spekulationen über das
nächtliche Treiben des Comte hatte ich verschwiegen. Zwar wollte
ich Jamie nichts verheimlichen, aber Dougal hatte mein Schweigen im
Austausch für seine Hilfe in Sachen Jonathan Randall verlangt, und
mir war nichts anderes übriggeblieben, als zuzustimmen.
Plötzlich lächelte mich Jamie an und streckte die
Hand aus.
»Ich lasse mir was einfallen, Sassenach. Aber jetzt
gib mir deine Füße. Jenny sagte, eine Fußmassage hätte ihr immer
gutgetan, wenn sie ein Kind erwartete.«
Ich widersprach nicht, sondern schlüpfte aus den
heißen Schuhen, legte meine Füße auf seinen Schoß und spürte mit
einem Seufzer der Erleichterung den kühlenden Wind auf meinen
feuchten Zehen.
Jamies Hände waren groß, und seine Finger ebenso
stark wie sanft. Mit den Knöcheln massierte er die Längswölbung
meines Fußes, und ich lehnte mich entspannt zurück. Ein paar
Minuten herrschte Schweigen, und ich genoß das wohlige
Gefühl.
Über meine grünbestrumpften Zehen gebeugt, bemerkte
Jamie beiläufig: »Es war eigentlich keine Schuld, weißt du.«
»Was war keine Schuld?« Trunken von der wärmenden
Sonne und der Fußmassage, hatte ich keine Ahnung, wovon er
sprach.
Ohne in seiner Tätigkeit innezuhalten, blickte er
auf. Seine Miene war ernst, aber seine Augen leuchteten.
»Du hast gesagt, daß ich dir ein Leben schulde,
Sassenach, weil du das meine gerettet hast.« Er griff nach meinem
großen Zeh und wackelte damit. »Aber nach reiflicher Überlegung bin
ich mir gar nicht sicher, ob das stimmt. Mir scheint, daß wir alles
in allem beinahe quitt sind.«
»Was meinst du mit quitt?« Ich versuchte, ihm
meinen Fuß zu entziehen, aber er hielt ihn fest.
»Wenn du mir das Leben gerettet hast - und das hast
du ja auch -, dann habe ich deines mindestens genausooft gerettet.
Ich habe dich vor Jack Randall in Fort William gerettet, erinnerst
du dich - und vor dem Mob in Cranesmuir, oder?«
»Ja«, erwiderte ich mißtrauisch. Ich hatte keine
Ahnung, worauf er hinauswollte, aber seine Worte waren nicht nur so
dahingesagt. »Dafür bin ich natürlich dankbar.«
Er tat meine Bemerkung mit einem kehligen
schottischen Laut ab. »Das ist keine Frage der Dankbarkeit,
Sassenach, weder meiner- noch deinerseits. Mir geht es nur darum,
daß es auch keine Frage der Verpflichtung ist.« Das Lächeln
verschwand aus seinen Augen, und er wurde ernst.
»Ich habe Randalls Leben nicht im Tausch gegen
meines gegeben. Zum einen wäre das kein fairer Handel. Mach den
Mund zu Sassenach, sonst kommen Fliegen rein.« Tatsächlich hatten
sich einige dieser Insekten auf Fergus’ Brust gesetzt, ohne sich
von deren gleichmäßigem Auf und Ab stören zu lassen.
»Warum hast du dann zugestimmt?« Ich hörte auf,
mich zu wehren, und er umschloß meine Füße mit beiden Händen und
ließ die Daumen über die Rundung meiner Fersen gleiten.
»Jedenfalls nicht wegen der Vernunftgründe, die du
angeführt hast. Was Frank betrifft, na ja, es ist wahr, daß ich ihm
die Frau weggenommen habe, und dafür tut er mir leid, mal mehr, mal
weniger«, fügte er mit einem unverschämten Augenzwinkern hinzu.
»Dennoch, ist es etwas anderes, als wenn er hier und jetzt mein
Rivale wäre? Du hattest die freie Wahl zwischen uns, und du hast
dich für mich entschieden - obwohl er solche Annehmlichkeiten wie
heiße Bäder in die Waagschale werfen konnte. Uuh!« Ich riß meinen
Fuß los und trat ihn in die Rippen. Jamie richtete sich auf und
packte meinen Fuß, um einen zweiten Tritt zu verhindern.
»Anscheinend bereust du deine Entscheidung.«
»Noch nicht.« Ich versuchte, meinen Fuß wieder
freizubekommen. »Aber ich kann es mir jeden Augenblick anders
überlegen. Sprich weiter.«
»Na gut. Ich finde nicht, daß Frank Randall
besondere Rücksichtnahme verdient, bloß weil du dich für mich
entschieden hast. Außerdem«, fügte er freimütig hinzu, »räume ich
ein, daß ich ein klein bißchen eifersüchtig auf den Mann
bin.«
Diesmal trat ich mit dem anderen Fuß und zielte
tiefer. Jamie fing ihn rechtzeitig ab und verdrehte mir geschickt
das Gelenk.
»Ob ich ihm aufgrund allgemeiner Prinzipien sein
Leben schuldig bin«, fuhr er fort, ohne meine Befreiungsversuche zu
beachten, »das ist eine Frage, die Bruder Anselm im Kloster besser
beantworten könnte als ich. Natürlich würde ich nicht kaltblütig
einen Unschuldigen umbringen. Aber andererseits habe ich Männer in
der Schlacht getötet, und ist das etwas anderes?«
Ich erinnerte mich an den Soldaten und an den
Jungen im Schnee, die ich bei unserer Flucht aus Wentworth getötet
hatte. Ich quälte mich nicht mehr mit den Erinnerungen, aber ich
wußte, daß ich mich nie ganz davon würde befreien können.
Er schüttelte den Kopf. »Nein, es gibt zwar viele
gute Argumente, die du anführen könntest, aber am Ende laufen
solche Entscheidungen auf eins hinaus: Du tötest, wenn du keine
andere Wahl hast, und nachher lebst du damit. Ich erinnere mich an
das Gesicht eines jeden, den ich getötet habe, und werde keines je
vergessen. Aber die Tatsache bleibt bestehen - ich lebe, und sie
sind tot. Und das ist meine einzige Rechtfertigung, ob das nun
richtig ist oder falsch.«
»Das trifft in diesem Fall nicht zu«, entgegnete
ich. »Hier geht es nicht darum, zu töten oder getötet zu
werden.«
Er schüttelte den Kopf, um eine Fliege zu
vertreiben, die auf seinen Haaren saß: »Da irrst du dich,
Sassenach. Was zwischen mir und Jonathan Randall steht, ist erst
bereinigt, wenn einer von uns beiden tot ist - und vielleicht nicht
einmal dann. Es gibt noch andere Methoden zu töten - ohne Dolch
oder Gewehr -, und es gibt Dinge, die schrecklicher sind als der
Tod.« Dann fuhr er mit sanfter Stimme fort: »In Ste. Anne hast du
mich vor mehr als einer Art Tod gerettet, mo duinne, und
glaube nicht, daß ich es nicht weiß.« Wieder schüttelte er den
Kopf. »Vielleicht schulde ich dir doch mehr als du mir.«
Er ließ meine Füße los und schlug seine langen
Beine übereinander. »Und das bringt mich dazu, nicht nur über mein
Gewissen nachzudenken, sondern auch über deins. Schließlich hattest
du keine Ahnung, was geschehen würde, als du deine Entscheidung
trafst. Es ist eine Sache, einen Mann zu verlassen, aber ihn zum
Tode zu verurteilen ist eine ganz andere.«
Diese Art, meine Handlungen zu schildern, behagte
mir ganz und gar nicht, aber ich mußte mich den Tatsachen stellen.
Ich hatte Frank in der Tat verlassen, und obwohl ich meine
Entscheidung nicht bereute, würde es mir immer leid tun, daß es
notwendig geworden war. Auf geradezu unheimliche Weise
reflektierten Jamies Worte meine Gedanken.
»Wenn du gewußt hättest, daß es Franks - sagen wir
Franks Tod bedeutet hätte, wäre deine Entscheidung vielleicht
anders ausgefallen. Du hast mich gewählt - aber habe ich deshalb
das Recht,
deinen Handlungen mehr Gewicht zu geben, als du selbst es
beabsichtigt hast?«
Jamie war so in seine Gedanken vertieft, daß ihm
die Wirkung seiner Worte auf mich entging. Als er mir nun ins
Gesicht blickte, hielt er plötzlich inne und beobachtete mich
schweigend.
»Ich glaube nicht, daß du dich durch deine
Entscheidung versündigt hast, Claire«, sagte er schließlich und
legte seine Hand auf meinen bestrumpften Fuß. »Ich bin dein
rechtmäßiger Gatte, so wie er es war - oder sein wird. Du weißt
nicht einmal, ob du zu ihm hättest zurückkehren können. Mo
duinne, vielleicht wärst du noch weiter zurückgereist oder in
einer ganz anderen Zukunft gelandet. Du hast so gehandelt, wie es
deiner Meinung nach richtig war, und mehr kann niemand tun.« Er sah
mich an, und sein Blick ging mir durch und durch.
»Ich bin ehrlich genug zuzugeben, daß es mir ganz
egal ist, ob es richtig oder falsch war, solange du nur bei mir
bist, Claire«, sagte er leise. »Wenn es eine Sünde war, daß du mich
gewählt hast... dann würde ich zum Teufel persönlich gehen und mich
bei ihm dafür bedanken, daß er dich dazu verführt hat.« Er hob
meinen Fuß hoch und küßte sanft meinen großen Zeh.
Ich legte meine Hand auf seinen Kopf; das
kurzgeschorene Haar fühlte sich borstig, aber weich an, wie bei
einem kleinen Igel.
»Ich glaube nicht, daß es falsch war«, sagte ich.
»Aber wenn es eine Sünde war... dann geh’ ich mit dir zum Teufel,
Jamie Fraser.«
Er schloß die Augen und beugte sich über meinen
Fuß, den er so fest hielt, daß es weh tat. Dennoch zog ich ihn
nicht zurück. Ich vergrub die Finger in seinem Haar und zog sanft
daran.
»Warum hast du dann beschlossen, Jonathan Randall
leben zu lassen?«
Er lächelte mich an.
»Mir ist alles mögliche durch den Kopf gegangen,
Sassenach, als ich an jenem Abend auf und ab marschiert bin. Zum
einen dachte ich, daß ich dir Schmerz zufüge, wenn ich den
dreckigen Hund umbringe. Ich würde einiges tun oder auch lassen, um
dir Leid zu ersparen, Sassenach, aber - wie schwer wiegt dein
Gewissen im Vergleich zu meiner Ehre?«
Er schüttelte wieder den Kopf und verwarf auch
dieses Argument. »Jeder von uns kann nur für seine eigenen
Handlungen und sein eigenes Gewissen die Verantwortung tragen. Was
ich tue, kann
man dir nicht zur Last legen, ganz gleich, welche Folgen es hat.«
Er zwinkerte, da ihm der staubige Wind Tränen in die Augen trieb,
und fuhr sich mit der Hand über die zerzausten Haare, die
widerspenstig in alle Richtungen abstanden.
»Warum dann?« fragte ich und beugte mich vor. »Du
hast alle Gründe aufgezählt, die dagegen sprachen. Was bleibt da
noch?«
Er zögerte kurz, dann antwortete er und sah mir in
die Augen.
»Charles Stuart, Sassenach. Bisher haben wir getan,
was wir konnten, aber diese Investition, die er getätigt hat -
vielleicht gelingt es ihm doch noch, eine Armee nach Schottland zu
führen. Und wenn... du weißt besser als ich, was geschehen könnte,
Sassenach.«
Das wußte ich, und bei dem Gedanken daran wurde mir
kalt. Unwillkürlich kam mir in den Sinn, wie ein Historiker das
Schicksal der Hochlandschotten bei der Schlacht von Culloden
geschildert hatte - »die Toten lagen in vier Schichten
übereinander, durchtränkt vom Regen und ihrem eigenen Blut«.
Die Hochlandschotten, dem Hungertod nahe und
schlecht geführt, aber streitbar bis zum Ende, würden
niedergemetzelt werden. Man würde sie in Haufen liegenlassen, sie
würden im kalten Aprilregen verbluten, und die Sache, der sie seit
hundert Jahren treu ergeben waren, würde mit ihnen sterben.
Unvermittelt griff Jamie nach meinen Händen.
»Ich glaube, es wird nicht geschehen, Claire. Ich
glaube, wir werden ihn aufhalten. Und wenn nicht, dann rechne ich
trotzdem nicht damit, daß mir etwas zustößt. Aber wenn doch...« Er
sprach jetzt leise und eindringlich, und es war ihm bitterernst.
»Wenn doch, dann möchte ich, daß du ein Zuhause hast. Ich möchte,
daß es jemanden gibt, zu dem du gehen kannst, wenn ich... nicht
mehr da bin, um für dich zu sorgen. Wenn ich es nicht mehr kann,
dann soll es ein Mann tun, der dich liebt.« Er drückte meine Hände,
und die beiden Ringe gruben sich tief in mein Fleisch.
»Claire, du weißt, wie schwer es mir gefallen ist,
Randalls Leben zu verschonen. Versprich mir, daß du zu Frank
zurückkehrst, wenn die Zeit kommen sollte.« Seine Augen, tiefblau
wie der Himmel, sahen mich fragend an. »Ich habe schon zweimal
versucht, dich zurückzuschicken. Und ich danke Gott, daß du nicht
gehen wolltest. Aber wenn es ein drittes Mal soweit kommt -
versprich mir, daß du dann zu ihm - zu Frank - zurückgehst. Denn
darum habe
ich Jonathan Randall ein Jahr geschenkt - um deinetwillen,
versprichst du es mir, Claire?«
»Allez! Allez! Montez!« Der Kutscher spornte
das Gespann an, einen Hang zu nehmen. Wir waren fast am Ziel.
»Gut«, erwiderte ich schließlich. »Ich verspreche
es.«
Die Ställe von Argentan waren sauber und luftig,
vom Duft des Sommers und dem Geruch der Pferde erfüllt. In einem
Stall mit offenen Boxen kreiste Jamie, verliebt wie eine
Pferdebremse, um eine Percheron-Stute.
»Oh, was für ein hübsches Mädel du bist! Komm her,
Süße, laß mal deinen schönen, dicken Hintern sehen. Hmm, aye, das
ist großartig!«
»Ich wünschte, mein Mann würde so mit mir
sprechen«, bemerkte die Duchesse de Neve, womit sie den anderen
Damen, die sich im Mittelgang versammelt hatten, ein Kichern
entlockte.
»Vielleicht würde er das, Madame, wenn Ihre
Rückenansicht so aufreizend wirkte. Aber vielleicht teilt Ihr
Gemahl die Vorliebe des Herrn von Broch Tuarach für einen
wohlgeformten Hintern ja nicht.« Der Comte de St. Germain warf mir
einen amüsiert-verächtlichen Blick zu. Ich versuchte mir
vorzustellen, wie diese schwarzen Augen durch die Schlitze einer
Maske funkelten, was mir nur allzugut gelang. Leider fielen ihm
seine Spitzenmanschetten weit übers Handgelenk, so daß ich die
Gabelung von Daumen und Zeigefinger nicht sehen konnte.
Jamie, der den Wortwechsel gehört hatte, lehnte
sich lässig gegen den breiten Rücken der Stute. Nur sein Kopf, die
Schultern und Unterarme ragten über dem mächtigen Leib des Tieres
hinaus.
»Der Herr von Broch Tuarach hat eine Vorliebe für
alles Schöne, ganz gleich, wo es ihm begegnet, Monsieur le Comte,
ob bei Tieren oder Frauen. Doch anders als einige Menschen, die ich
Ihnen nennen könnte, kenne ich den Unterschied zwischen beiden.« Er
grinste St. Germain boshaft an und tätschelte der Stute zum
Abschied den Hals, während die kleine Gruppe in Gelächter
ausbrach.
Jamie nahm meinen Arm und führte mich in den
nächsten Stall; die übrige Gesellschaft folgte uns in einigem
Abstand.
»Ah!« rief er und sog den Duft nach Pferden,
Sattelzeug, Dung und Heu ein, als wäre es Weihrauch. »Ich vermisse
den Stallgeruch. Und auf dem Land bekomme ich Heimweh nach
Schottland.«
»Die Gegend hat nicht viel Ahnlichkeit mit
Schottland«, bemerkte ich und blinzelte in die Sonne, als wir aus
dem halbdunklen Stall traten.
»Nein, aber wir sind auf dem Land. Es ist sauber,
es ist grün, kein Rauch in der Luft, kein Unrat auf der Straße -
abgesehen vom Pferdemist, den ich nicht rechne.«
Die frühsommerliche Sonne schien auf die Dächer von
Argentan und die sanften grünen Hügel. Das königliche Gestüt lag
unmittelbar vor den Toren der kleinen Stadt; es machte einen
wesentlich solideren Eindruck als die nahegelegenen Häuser der
Untertanen des Königs. Die Scheunen und Ställe waren aus
Quadersteinen erbaut, hatten Steinböden und Schieferdächer, und es
herrschte weitaus größere Sauberkeit als im Höpital des
Anges.
Ein Schlachtruf ertönte hinter dem Stall. Jamie
blieb abrupt stehen und wäre um ein Haar von Fergus umgerannt
worden, der pfeilgeschwind an uns vorbeischoß. Er wurde von zwei
Stallburschen verfolgt, die ein gutes Stück größer waren als er.
Ein schmutziggrüner Mistfleck auf dem Gesicht des ersten Jungen gab
Aufschluß über die Ursache der Auseinandersetzung.
Mit bemerkenswerter Geistesgegenwart schlug Fergus
einen Haken, sauste an seinen Verfolgern vorbei und mengte sich
unter unsere Gruppe, wo er hinter Jamies Kilt Zuflucht fand. Als
seine Verfolger sahen, daß ihr Opfer sich in Sicherheit gebracht
hatte, warfen sie einen ängstlichen Blick auf die nahende Phalanx
von Höflingen und Damen in feinen Kleidern und kamen überein,
schnurstracks das Weite zu suchen.
Fergus streckte den Kopf hinter Jamies Kilt hervor
und schrie ihnen im Gossenjargon etwas nach, womit er sich eine
schallende Ohrfeige von Jamie einhandelte.
»Fort mit dir« befahl er schroff. »Und wirf um
Himmels willen keine Pferdeäpfel auf Leute, die größer sind als du.
Jetzt verschwinde und halt dich aus Schlägereien raus.« Er
bekräftigte diesen Ratschlag mit einem Klaps auf Fergus’
Hosenboden, der den Jungen in die andere Richtung davontaumeln
ließ.
Ich hatte meine Zweifel, ob es eine gute Idee war,
Fergus auf diesen Ausflug mitzunehmen, aber die meisten anderen
Damen hatte Pagen mitgebracht, die Botengänge erledigten und die
Picknickkörbe und anderen Dinge, die für einen Tag im Grünen
unentbehrlich waren, schleppten. Jamie hatte dem Jungen, der sich,
wie
er meinte, Ferien verdient hatte, etwas vom Land zeigen wollen.
Alles gut und schön, nur waren Fergus, der noch nie aus Paris
herausgekommen war, die frische Luft, das Licht und die schönen
großen Tiere zu Kopf gestiegen, so daß er, wie von Sinnen vor
Aufregung, seit unserer Ankunft ständig Ärger machte.
»Gott weiß, was er als nächstes anstellt.« Ich warf
dem davoneilenden Fergus einen finsteren Blick nach.
»Wahrscheinlich setzt er eine Heumiete in Brand.«
Jamie ließ sich durch meine Bemerkung nicht aus der
Ruhe bringen.
»Das ist schon in Ordnung. Alle Jungen veranstalten
mal Mistschlachten.«
»Wirklich?« Ich drehte mich um und warf einen
prüfenden Blick auf St. Germain, der in makelloses Weiß gekleidet
war. Eben beugte er sich höflich vor, um den Worten der Duchesse zu
lauschen, während sie über den strohbedeckten Hof trippelten.
»Du vielleicht«, fuhr ich fort. »Aber er nicht. Und
der Bischof bestimmt auch nicht.« Inzwischen fragte ich mich auch,
ob es richtig war, daß ich selbst an dem Ausflug teilnahm. Bei den
schweren Percherons war Jamie in seinem Element; offensichtlich
hatte er den Herzog beeindruckt, und das war gut so. Aber seit der
Kutschfahrt schmerzte mein Rücken erbärmlich, und meine engen
Lederschuhe trugen auch nicht gerade zu meinem Wohlbefinden
bei.
Jamie lächelte mich an und drückte meine Hand, die
auf seinem Arm lag.
»Dauert nicht mehr lange, Sassenach. Der Führer
will uns noch die Zuchtställe zeigen, und dann können du und die
anderen Damen sich zum Essen setzen, während die Männer herumstehen
und derbe Witze über die Größe ihrer Schwänze reißen.«
»Ist das die übliche Reaktion, wenn man Pferde bei
der Paarung beobachtet?« fragte ich fasziniert.
»Bei Männern schon. Ich weiß nicht, was es bei
Damen bewirkt. Halt die Ohren offen, dann kannst du es mir später
erzählen.«
Tatsächlich hatte eine unterdrückte Erregung von
den Ausflüglern Besitz ergriffen, die sich nun alle in den ziemlich
engen Zuchtstall drängten. Ebenso wie die anderen Gebäude war er
aus Stein, es gab jedoch keine durch Trennwände abgeteilten Boxen,
sondern einen kleinen eingezäunten Laufstall, der seitlich von
geschlossenen Boxen gesäumt wurde. An der Rückseite befand sich
eine Art
Laufsteg, von dem aus Tore geöffnet werden konnten, um jeweils ein
Pferd herauszulassen.
Dank der riesigen unverglasten Fenster an den
Schmalseiten war das Gebäude sehr hell und luftig. Ich sah mehrere
imposante Percheron-Stuten draußen grasen. Ein paar von ihnen
wirkten unruhig, fielen kurz in einen wiegenden Galopp, dann wieder
in Trab oder Schritt, schüttelten Kopf und Mähne und gaben ein
hohes Wiehern von sich. Daraufhin drang ein aufgeregter, nasaler
Schrei aus einer der Boxen am Ende des Stalls, und die hölzerne
Trennwand erzitterte unter einem heftigen Tritt des
eingeschlossenen Tieres.
»Er ist soweit«, murmelte eine Stimme hinter
mir. »Ich frage mich nur, welches Fräulein er beglücken
wird?«
»Die Stute neben dem Tor«, meinte die Duchesse, wie
immer zum Wetten aufgelegt. »Fünf Livres auf sie.«
»Aber nein, Sie irren, meine Liebe, sie ist zu
ruhig. Es wird die Kleine sein, dort unter dem Apfelbaum, die so
kokett die Augen verdreht. Sehen Sie, wie sie den Kopf herumwirft?
Auf die setze ich.«
Die Stuten hatten beim Schrei des Hengstes
innegehalten, witternd die Nasen gehoben und nervös mit den Ohren
gezuckt. Die unruhigeren unter ihnen schüttelten den Kopf und
wieherten. Eine reckte den Hals und ließ einen langgezogenen, hohen
Ruf ertönen.
»Diese«, sagte Jamie ruhig und nickte in ihre
Richtung. »Hören Sie, wie sie ihn ruft?«
»Und was sagt sie, mein Herr?« fragte der Bischof
mit funkelnden Augen.
Jamie schüttelte feierlich den Kopf.
»Es ist ein Lied, Bischof, aber eines, für das
Angehörige des geistlichen Standes taub sind - oder sein sollten«,
erklärte er unter stürmischem Gelächter.
Die Stute, die gerufen hatte, war tatsächlich die
Auserwählte. Sobald sie im Stall war, blieb sie stehen, hob den
Kopf und schnupperte mit geblähten Nüstern. Der Hengst konnte ihre
Witterung aufnehmen. Seine Schreie hallten gespenstisch vom Dach
wider, so daß jedes weitere Gespräch unmöglich war.
Jäh stürmte der Hengst aus seiner Box heraus und
auf die angebundene Stute zu, so daß alle Zuschauer zurückwichen.
Staubwolken wirbelten auf, als die gewaltigen Hufe auf den
festgetretenen
Schmutz des Laufstalls trommelten, und Speichel tropfte ihm aus
dem offenen Maul. Der Stallbursche, der die Box geöffnet hatte,
sprang beiseite, ein Nichts gegen die wilde Pracht, die er
losgelassen hatte.
Die Stute bäumte sich auf und wieherte aufgeregt,
aber dann war er auf ihr, und seine Zähne verbissen sich in der
kräftigen Rundung ihres Halses, bis sie unterwürfig den Kopf
neigte. Ihr üppiger Schwanz stellte sich auf, so daß sie nackt
seiner Lust preisgegeben war.
»Jesus«, wisperte Monsieur Prudhomme.
Es war schnell vorbei, wenngleich es von langer
Dauer schien, das Auf und Ab schweißnasser Flanken, Lichtreflexe in
wirbelnden Haaren, das Glänzen mächtiger Muskeln, die sich im Kampf
der Paarung anspannten.
Als wir den Stall verließen, herrschte Schweigen.
Schließlich lachte der Herzog, stieß Jamie an und sagte: »Sie sind
solche Schauspiele gewohnt, Herr von Broch Tuarach?«
»Aye«, erwiderte Jamie. »Ich habe es schon recht
oft gesehen.«
»Ach ja?« meinte der Herzog. »Und sagen Sie mir,
Verehrtester, wie fühlen Sie sich, nachdem Sie es zum
soundsovielten Male gesehen haben?«
Jamies Mundwinkel zuckten, ansonsten blieb sein
Gesicht ganz ernst.
»Sehr bescheiden, Hoheit.«
»Welch ein Anblick«, bemerkte die Duchesse de
Neve. Mit verträumtem Blick zerbrach sie einen Keks und kaute
bedächtig. »So erregend, nicht wahr?«
»Welch ein Schwanz, wollten Sie sagen«, erwiderte
Madame Prudhomme ziemlich ungehobelt. »Ich wünschte, Philibert
hätte so etwas zu bieten. Aber leider...« Ihr Blick wanderte zu
einem Teller mit winzigen Würstchen, jedes vielleicht fünf
Zentimeter lang, und die um die Picknickdecke versammelten Damen
kicherten hemmungslos.
»Etwas Huhn, bitte, Paul«, sagte die Comtesse de
St. Germain zu ihrem Pagen. Sie war jung, und die obszönen
Bemerkungen der älteren Damen trieben ihr die Schamröte ins
Gesicht. Ich fragte mich, was für eine Ehe sie mit St. Germain
führte. In der Öffentlichkeit ließ er sich nie mit ihr sehen, außer
bei Anlässen wie diesem, da
die Anwesenheit des Bischofs ihn davon abhielt, mit einer seiner
Geliebten zu erscheinen.
»Pah«, meinte Madame Montresor, eine der Hofdamen,
die mit einem Freund des Bischofs verheiratet war. »Die Größe ist
nicht alles. Was bringt es schon, wenn er so groß ist wie der eines
Hengstes, aber nicht länger durchhält? Kaum zwei Minuten? Ich frage
Sie, was haben wir davon?« Sie hielt ein Cornichon zwischen zwei
Fingern und leckte mit ihrer Zungenspitze an dem hellgrünen
Gürkchen. »Nicht was sie in der Hose haben, zählt, sage ich,
sondern was sie damit machen.«
Madame Prudhomme lachte verächtlich. »Wenn Sie
einen kennen, der etwas anderes zustande bringt, als ihn in das
nächstbeste Loch zu stecken, sagen Sie es mir. Es würde mich
interessieren, was man mit dem Ding sonst noch anstellen
kann.«
»Zumindest haben Sie einen, der interessiert ist«,
mischte sich die Duchesse de Neve ein. Sie warf einen verächtlichen
Blick auf ihren Gatten, der mit den anderen Männern an einer der
Koppeln stand und eine Stute beobachtete, die alle Gangarten
vorführte.
»Nicht heute nacht, meine Liebste.« Sie imitierte
die sonore, nasale Stimme ihres Mannes perfekt. »Ich bin so
erschöpft.« Sie legte eine Hand an die Stirn und verdrehte
die Augen. »Die Last der Geschäfte erdrückt mich.« Durch das
Kichern der anderen ermutigt, riß sie nun die Augen erschrocken auf
und kreuzte die Hände schützend über ihrem Schoß. »Was, schon
wieder? Weißt du nicht, daß die grundlose Verschwendung der
männlichen Essenz der Gesundheit schadet? Reicht es nicht, daß du
mich mit deinen Forderungen völlig verschlissen hat, Mathilde?
Möchtest du, daß mich der Schlag rührt?«
Die Damen gackerten und kreischten vor Lachen, so
daß wir die Aufmerksamkeit des Bischofs auf uns lenkten, der uns
zuwinkte und nachsichtig lächelte, was weitere Heiterkeitsausbrüche
auslöste.
»Na ja, zumindest verschwendet er seine männliche
Essenz nicht in Bordellen - oder anderswo«, bemerkte Madame
Prudhomme mit einem mitleidigen Blick auf die Comtesse de St.
Germain.
»Nein«, meinte die Duchesse mißmutig. »Er hortet
sie wie Gold. Man könnte glauben, es sei nicht mehr zu bekommen, so
wie er... oh, Eure Hoheit! Wünscht Ihr vielleicht einen Becher
Wein?« Sie schenkte dem Herzog, der sich lautlos von hinten
genähert hatte,
ein charmantes Lächeln. Wohlwollend betrachtete er die Damen, eine
Braue leicht hochgezogen. Wenn er gehört hatte, worüber wir
sprachen, ließ er es sich nicht anmerken.
Seine Hoheit setzte sich neben mich auf die Decke
und tauschte ungezwungen witzige Bemerkungen mit den Damen aus,
wobei sich seine merkwürdig hohe Stimme nicht von den ihren abhob.
Zwar schien er dem Gespräch volle Aufmerksamkeit zu schenken, aber
mir fiel auf, daß sein Blick immer wieder zu der am Zaun
versammelten Gruppe wanderte. Jamies Kilt stach selbst unter den
prächtigen Samt- und Seidengewändern der anderen hervor.
Dem Wiedersehen mit dem Herzog hatte ich mit
gemischten Gefühlen entgegengesehen. Schließlich hatte unser
letzter Besuch zur Festnahme Jonathan Randalls geführt, nachdem ich
ihn der versuchten Vergewaltigung bezichtigt hatte. Aber der Herzog
war auf diesem Ausflug die Liebenswürdigkeit in Person und erwähnte
die Gebrüder Randall mit keinem Wort. Auch die Verhaftung war nicht
zur Sprache gekommen; welcher Natur die diplomatischen Bemühungen
des Herzogs auch sein mochten, ihnen wurde solche Wichtigkeit
beigemessen, daß sie unter dem Siegel königlicher Verschwiegenheit
standen.
Alles in allem empfand ich Erleichterung darüber,
daß sich der Herzog zu uns gesellt hatte. Zum einen hinderte seine
Gegenwart die verwegeneren unter den Damen daran, mich zu fragen,
was die Schotten unter ihrem Rock trugen. Angesichts der Stimmung,
die hier herrschte, wäre ich mit meiner gewohnten Antwort »Oh, das
übliche« wohl nicht davongekommen.
»Ihr Gemahl hat ein Auge für Pferde«, bemerkte der
Herzog, als ihn seine andere Nachbarin, die Duchesse de Neve,
freigab und sich über die Decke beugte, um mit Madame Prudhomme zu
plaudern. »Er sagt, daß sowohl sein Vater als auch sein Onkel
kleine, aber gute Gestüte in den Highlands hielten.«
»Ja, das stimmt.« Ich nippte an meinem Wein. »Aber
Ihr habt Colum MacKenzie doch auf Burg Leoch besucht. Gewiß habt
Ihr seinen Stall selbst gesehen.« Ich hatte den Herzog bereits im
Vorjahr auf Leoch kennengelernt, auch wenn die Begegnung nur
flüchtig gewesen war. Er war zu einem Jagdausflug aufgebrochen,
kurz bevor ich wegen Hexerei in das Diebesloch geworfen wurde.
Falls er, was ich vermutete, davon gehört hatte, ließ er es sich
nicht anmerken.
»Selbstverständlich.« Die schlauen blauen Auglein
des Herzogs huschten nach rechts und links, um zu sehen, ob er
beobachtet wurde. Dann begann er Englisch zu sprechen. »Damals hat
mir Ihr Gemahl mitgeteilt, daß er nicht auf seinen eigenen
Besitzungen lebt, und zwar aufgrund einer unseligen - und
irrtümlichen - Anklage wegen Mordes, die von der englischen Krone
gegen ihn erhoben wurde. Ich frage mich, ob er nach wie vor unter
Acht und Bann steht?«
»Es ist immer noch ein Kopfgeld auf ihn
ausgesetzt«, entgegnete ich freiheraus.
Der höflich interessierte Gesichtsausdruck des
Herzogs blieb unverändert. Geistesabwesend nahm er sich ein
Würstchen.
»Das ließe sich wieder einrenken«, sagte er
gelassen. »Nachdem ich Ihrem Gatten auf Leoch begegnet bin, habe
ich Erkundigungen eingezogen - oh, hinreichend diskret, das
versichere ich Ihnen, meine Verehrteste. Und ich glaube, daß die
Angelegenheit ohne Schwierigkeiten beigelegt werden könnte - durch
ein Wort zur rechten Zeit ins rechte Ohr.«
Das war interessant. Colum MacKenzie hatte Jamie
damals geraten, dem Herzog von Sandringham von seiner Ächtung zu
erzählen, in der Hoffnung, der Herzog würde etwas für ihn tun. Da
Jamie das fragliche Verbrechen tatsächlich nicht begangen hatte,
lagen wohl kaum Beweise gegen ihn vor. Vielleicht konnte der Herzog
dank seiner einflußreichen Stellung wirklich dafür sorgen, daß man
die Anklage fallenließ.
»Warum solltet Ihr das tun?« fragte ich. »Was
verlangt Ihr als Gegenleistung?«
Die hellblonden Augenbrauen hoben sich ruckartig,
und sein Lächeln entblößte kleine, ebenmäßige Zähne.
»Meiner Treu, Sie nehmen kein Blatt vor den Mund!
Könnte es nicht einfach sein, daß ich den Rat Ihres Gatten bei der
Auswahl der Pferde zu schätzen weiß und ihm daher wieder zu einem
Rang verhelfen möchte, in dem er seine Kenntnisse nutzbringend
einsetzen kann?«
»Es könnte sein, ist aber nicht der Fall.« Da ich
Madame Prudhommes forschenden Blick bemerkte, lächelte ich den
Herzog liebenswürdig an. »Warum also?«
Er steckte sich das Würstchen ganz in den Mund und
kaute bedächtig. Sein fröhliches rundes Gesicht verriet nichts
außer seiner
Freude an der Landpartie und am Essen. Schließlich schluckte er
und betupfte sich den Mund mit einer Leinenserviette.
»Lassen Sie mich doch einmal eine reine Vermutung
aussprechen«, sagte er.
Ich nickte, und er fuhr fort: »Wir wollen einmal
unterstellen, daß Ihr Gemahl mit einer bestimmten Persönlichkeit
Freundschaft geschlossen hat, die unlängst aus Rom eingetroffen
ist? Ah, ich sehe, wir verstehen uns. Ja. Wollen wir einmal
unterstellen, daß diese Freundschaft gewissen Personen Sorge
bereitet, die es lieber sehen würden, wenn genannte Persönlichkeit
wieder friedlich nach Rom zurückkehren - oder sich in Frankreich
niederlassen würde, obwohl Rom besser wäre - ungefährlicher, Sie
verstehen?«
»Verstehe.« Ich nahm mir selbst ein Würstchen. Sie
waren kräftig gewürzt, und bei jedem Bissen stieg mir der
Knoblauchduft in die Nase. »Und diese Personen nehmen die
Freundschaft ernst genug, daß sie, wenn mein Gatte sie aufkündigt,
als Gegenleistung die Niederschlagung der Anklage bieten? Warum?
Mein Gatte spielt keine bedeutende Rolle.«
»Im Augenblick nicht«, bestätigte der Herzog. »Aber
in naher Zukunft könnte er an Bedeutung gewinnen. Er hat
Verbindungen zu einflußreichen französischen Bankiersfamilien, und
mehr noch zu Kaufleuten. Außerdem wird er bei Hofe empfangen, und
Louis würde ihm vielleicht sein Ohr leihen. Kurz, wenn er auch zur
Zeit noch nicht die Möglichkeit hat, erhebliche Mittel flüssig zu
machen und entsprechenden Einfluß auszuüben, so wird das
wahrscheinlich bald der Fall sein. Zudem gehört er nicht einem,
sondern zwei mächtigen Highland-Clans an. Und jene Kreise,
die an der Rückkehr der fraglichen Persönlichkeit nach Rom
interessiert sind, hegen die nicht unbegründete Befürchtung, daß
dieser Einfluß in unliebsamer Richtung ausgeübt wird. Um so besser,
wenn der gute Ruf Ihres Gemahls wiederhergestellt wäre und er auf
sein Gut nach Schottland zurückkehren könnte, finden Sie nicht
auch?«
»Ein interessanter Gedanke«, sagte ich. Und
gleichzeitig ein attraktiver Bestechungsversuch. Jede Verbindung zu
Charles Stuart abbrechen und ungehindert nach Schottland, nach
Lallybroch zurückkehren, ohne Gefahr zu laufen, gehängt zu werden.
Einen möglicherweise lästigen Anhänger der Stuarts loszuwerden,
ohne daß es die Krone einen Pfennig kostete, war auch für die
englische Seite ein nicht zu verachtender Handel.
Prüfend blickte ich den Herzog an und versuchte
herauszufinden, welche Rolle ihm bei diesem Szenario zukam.
Vorgeblich ein Abgesandter Georges II, des Kurfürsten von Hannover
und Königs - solange James Stuart in Rom blieb - von England,
konnte der Herzog mit seinem Frankreichbesuch durchaus zwei
unterschiedliche Ziele verfolgen - Louis in jenen heiklen Austausch
von Höflichkeiten und Drohgebärden verwickeln, der das Wesen der
Diplomatie ausmachte, und gleichzeitig das Gespenst einer neuen
jakobitischen Erhebung bannen. Nicht wenige aus dem Kreis um
Charles Stuart waren in letzter Zeit verschwunden - unter dem
Vorwand, im Ausland erwarteten sie dringende Geschäfte. Hatte man
sie gekauft oder ihnen Angst eingejagt?
Die höfliche Miene des Herzogs gab keinen Aufschluß
über das, was er dachte. Er schob die Perücke zurück und kratzte
sich unbefangen den kahlen Schädel.
»Denken Sie darüber nach, meine Liebe. Und dann
sprechen Sie mit Ihrem Gatten.«
»Warum sprecht Ihr nicht selbst mit ihm?«
Er zuckte die Achseln und nahm sich noch drei
Würstchen. »Ich habe schon oft festgestellt, daß Männer ein Wort
aus dem Kreis der Familie, von einem Menschen, dem sie vertrauen,
bereitwilliger annehmen als von einem Außenstehenden, der den
Anschein erweckt, sie unter Druck zu setzen.« Er lächelte. »Auch
die Frage des Stolzes muß bedacht werden - das verlangt Feingefühl.
Und was das nötige Feingefühl betrifft, nun, man spricht nicht
umsonst vom ›weiblichen Geschick‹, oder?«
Ich fand keine Zeit, darauf zu antworten, denn aus
dem Hauptstall drang ein Schrei, der alle Aufmerksamkeiten auf sich
zog.
Auf dem schmalen Weg, der den Hauptstall mit dem
langgezogenen, offenen Bau verband, in dem sich die Schmiede
befand, kam uns ein Pferd entgegen. Es war ein
Percheron-Hengstfohlen, nicht älter als zwei, drei Jahre. Selbst
junge Percherons sind groß, und das Tier kam mir riesig vor, als es
ohne Hast hierhin und dorthin trabte und mit dem Schwanz schlug.
Offensichtlich war das Pferd noch nicht zugeritten. Die breiten
Schultern zuckten in dem Versuch, die kleine Gestalt abzuwerfen,
die rittlings auf dem Tier saß und sich mit beiden Händen an der
dichten, schwarzen Mähne festklammerte.
»Zum Teufel, es ist Fergus!« Die Damen waren,
aufgeschreckt
durch das Geschrei, inzwischen alle auf den Beinen und
beobachteten die Szene neugierig.
Ich bemerkte nicht, daß die Männer zu uns getreten
waren, bis eine der Damen rief: »Wie gefährlich das aussieht!
Bestimmt verletzt sich der Junge, wenn er stürzt!«
»Wenn er sich beim Sturz nicht weh tut, dann werde
ich mich darum kümmern, sobald ich den kleinen Mistkerl in die
Hände bekomme«, bemerkte eine erboste Stimme hinter mir. Als ich
mich umdrehte, sah ich Jamie, der über meinen Kopf hinweg das sich
rasch nähernde Pferd anstarrte.
»Solltest du ihn nicht besser runterholen?« fragte
ich.
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das erledigt das
Pferd selbst.«
Tatsächlich schien das Tier ob der seltsamen Last
auf seinem Rücken eher verwundert denn ängstlich. Das
graugescheckte Fell zuckte und zitterte, wie um einen
Fliegenschwarm zu vertreiben, und das Fohlen schüttelte verwirrt
den Kopf.
Fergus’ Beine waren über dem breiten Rücken des
Percheron nahezu gegrätscht. Offensichtlich konnte er sich nur oben
halten, weil er sich eisern an der Mähne festklammerte. Gewiß wäre
es ihm gelungen, sich mehr oder weniger unverletzt heruntergleiten
zu lassen, hätten die Opfer der Mistschlacht nicht beschlossen,
sich zu rächen.
Ein paar Stallburschen folgten dem Pferd in
vorsichtigem Abstand und versperrten ihm den Rückweg. Ein weiterer
war vorausgerannt und öffnete das Tor zu einer leeren Koppel. Das
Tor befand sich zwischen der Besuchergruppe und dem Wegende bei den
Gebäuden. Zweifellos hatten die Burschen vor, das Pferd in aller
Ruhe in die Koppel zu lotsen, wo es nach Belieben auf Fergus
herumtrampeln konnte, selbst aber weder entwischen noch Schaden
nehmen würde.
Bevor es jedoch soweit war, streckte ein besonders
gewitzter Bursche den Kopf aus einem kleinen Speicherfenster hoch
über dem Weg. Da sich die Beobachter auf das Pferd konzentrierten,
bemerkte ihn niemand außer mir. Der Junge peilte die Lage,
verschwand und tauchte wenig später mit einer Ladung Heu im Arm
wieder auf. Er paßte den richtigen Augenblick ab und ließ sie
fallen, als Fergus und sein Pferd unter ihm vorbeikamen.
Die Wirkung war umwerfend. Wo Fergus gewesen war,
sah man nur noch eine Wolke von Heu, das Fohlen wieherte in wilder
Panik,
stieg auf die Hinterhand und machte sich davon wie ein Favorit
beim Derby. Es hielt direkt auf die Schar der Höflinge zu, die
schnatternd auseinanderstob.
Jamie hatte sich auf mich gestürzt, mich aus dem
Weg gestoßen und dabei zu Boden geworfen. Unter einer Sturzflut
gälischer Flüche stand er wieder auf und rannte in die Richtung,
die Fergus genommen hatte.
Voller Panik bäumte sich das Pferd auf, um sich die
Knechte und Stallburschen vom Leib zu halten, die bei dem Gedanken,
eines der wertvollen Pferde des Königs könnte vor ihren Augen
Schaden nehmen, ihre berufsmäßige Gelassenheit eingebüßt
hatten.
Dank seiner Dickköpfigkeit - oder aus Angst - hatte
sich Fergus oben halten können, und seine mageren Beine flogen
durch die Luft, während er auf dem Pferderücken hin und her
rutschte und wie ein Ball hochhüpfte. Die Knechte riefen ihm zu, er
solle loslassen, doch diesen Rat ignorierte er und klammerte sich
statt dessen an die rettenden Pferdehaare. Einer der Knechte hielt
eine Mistgabel in der Hand, die er drohend durch die Luft
schwenkte, was Madame Montresor einen Schreckensschrei entlockte,
da sie offenbar dachte, er wolle das Kind aufspießen.
Der Schrei trug nicht dazu bei, das Tier zu
beruhigen. Es tänzelte und hüpfte und scheute vor den Menschen
zurück, die es nun umringten. Ich konnte mir zwar nicht vorstellen,
daß der Knecht Fergus tatsächlich vom Pferd stoßen wollte, aber es
bestand die Gefahr, daß das Fohlen den Jungen zu Tode trampeln
würde, wenn er herunterfiel. Plötzlich stürmte das Pferd auf eine
Baumgruppe neben der Koppel zu, vielleicht, um vor dem Mob zu
fliehen, vielleicht aber auch, weil es hoffte, den Inkubus auf
seinem Rücken an einem Ast abstreifen zu können.
Als es die Bäume erreichte, erspähte ich einen
roten Tartan im Gebüsch, und abermals blitzte es rot auf, als Jamie
aus seinem Versteck hinter einem Baum hervorstürzte. Mit der Wucht
seines ganzen Körpers rannte er in das Pferd und sank dann taumelnd
zu Boden. Plaid und nackte Beine wirbelten durch die Luft, und ein
aufmerksamer Beobachter hätte feststellen können, daß zumindest
dieser Schotte nichts unter seinem Kilt trug.
Die Hofleute eilten sofort herbei, um sich des
gestürzten Herrn von Broch Tuarach anzunehmen, während die Knechte
das flüchtige Pferd jenseits der Bäume verfolgten.
Jamie lag rücklings unter den Buchen, das Gesicht
totenbleich, Augen und Mund weit aufgerissen. Seine Arme
umklammerten Fergus, der wie eine Klette an seiner Brust hing.
Jamie zwinkerte mir zu, als ich auf ihn zustürmte, und bemühte sich
um ein schwaches Lächeln. Ihm war zum Glück nur die Puste
ausgegangen.
Als Fergus merkte, daß er nicht mehr auf dem Pferd
saß, hob er vorsichtig den Kopf. Dann setzte er sich kerzengerade
auf den Bauch seines Dienstherrn und rief begeistert: »Das war ein
Spaß, Herr! Können wir das noch mal machen?«
Jamie hatte sich bei der Rettungsaktion eine
Muskelzerrung im Oberschenkel zugezogen und humpelte arg, als wir
nach Paris zurückkehrten. Er schickte Fergus - dem weder die
Eskapade noch die anschließende Schelte viel ausgemacht zu haben
schien - zum Essen in die Küche, ließ sich in einen Sessel am Kamin
fallen und rieb sein geschwollenes Bein.
»Tut es sehr weh?« erkundigte ich mich
mitfühlend.
»Ein bißchen. Es braucht jetzt nur Ruhe.« Er dehnte
und streckte sich genüßlich. »Ziemlich eng in der Kutsche. Ich wäre
lieber geritten.«
»Mhm. Ich auch.« Ich rieb mir das Kreuz, das mir
noch von der anstrengenden Reise weh tat. Der Schmerz setzte sich
über das Becken bis in die Beine fort - vermutlich litten auch die
Gelenke unter der Schwangerschaft.
Prüfend ließ ich die Hand über Jamies Bein gleiten,
dann deutete ich auf die Chaiselongue.
»Komm, leg dich auf die Seite. Ich habe eine gute
Salbe, mit der ich dir das Bein einreiben kann. Vielleicht lindert
sie den Schmerz ein wenig.«
»Wenn es dir nichts ausmacht.« Er erhob sich steif,
legte sich auf die linke Seite und zog den Kilt hoch.
Ich öffnete meinen Medizinkasten und kramte
Schachteln und Gefäße heraus. Odermennig, ulmus rubra,
Mauerkraut... ah, da war es. Ich zog ein kleines blaues Glasgefäß
heraus, das mir Monsieur Forez überlassen hatte, schraubte den
Deckel auf und schnupperte vorsichtig daran. Salben wurden leicht
ranzig, aber diese war offenbar mit einer gehörigen Prise Salz
haltbar gemacht worden. Der Geruch war ebenso angenehm wie die
Farbe - das leuchtende Cremeweiß frischer Sahne.
Ich verteilte die Salbe auf dem langen Muskel des
Schenkels, wobei ich Jamies Kilt bis zur Hüfte hochschob. Sein Bein
fühlte sich warm an, nicht die Hitze einer Infektion, sondern nur
die normale Wärme eines jungen gesunden Menschen. Ich massierte die
Salbe sanft in die Haut ein, erfühlte die verhärtete Muskulatur und
ertastete den Übergang zwischen Muskel und Kniesehne. Jamie gab ein
leises Stöhnen von sich, als ich fester rieb.
»Tut’s weh?« fragte ich.
»Aye, ein bißchen, aber hör nicht auf«, sagte er.
»Es tut mir gut, glaube ich.« Er kicherte. »Ich sage das nur dir,
Sassenach, aber es hat wirklich Spaß gemacht. Ich bin seit Monaten
nicht mehr so gerannt.«
»Schön, daß du dich amüsiert hast«, bemerkte ich
trocken und nahm noch ein wenig Salbe. »Ich habe selbst auch etwas
Interessantes erlebt.« Ohne in meiner Tätigkeit innezuhalten,
erzählte ich ihm von Sandringhams Angebot.
Die Antwort war wiederum ein leises Stöhnen, als
ich eine empfindliche Stelle berührte. »Also hatte Colum recht mit
der Vermutung, daß mir der Mann helfen könnte, die Anklage gegen
mich niederzuschlagen.«
»Sieht so aus. Ich vermute, die Frage ist - willst
du ihn beim Wort nehmen?« Ich versuchte, nicht den Atem anzuhalten,
während ich auf seine Antwort wartete. Zum einen wußte ich, wie sie
ausfallen würde. Die Familie Fraser war für ihre Starrköpfigkeit
berühmt, und obwohl er mütterlicherseits von den MacKenzies
abstammte, war Jamie ein Fraser, wie er im Buche stand. Nachdem er
sich einmal entschlossen hatte, Charles Stuart aufzuhalten, würde
er sein Vorhaben nicht so schnell wieder aufgeben. Dennoch war das
Angebot verlockend - für mich ebenso wie für ihn. Nach Schottland,
in seine Heimat, zurückkehren zu können, in Frieden zu leben.
Aber die Sache hatte einen Haken. Wenn wir
zurückkehrten und es zuließen, daß Charles seine Pläne
weiterverfolgte, würde der Friede in Schottland nur von kurzer
Dauer, sein.
Jamie schnaubte verächtlich; offenbar hatten sich
seine Gedanken in eine ähnliche Richtung bewegt. »Nun, Sassenach,
das eine sage ich dir. Wenn ich davon überzeugt wäre, daß Charles
Stuart Erfolg haben und Schottland von der englischen Herrschaft
befreien könnte, dann würde ich mein Land, meine Freiheit und mein
Leben geben, um ihm zu helfen. Auch wenn er ein Narr ist, so ist
er doch ein königlicher Narr, und feige ist er auch nicht, wie ich
meine.« Er seufzte.
»Aber ich kenne den Mann und habe mit ihm
gesprochen - und mit allen Jakobiten, die an der Seite seines
Vaters gekämpft haben. Du hast mir gesagt, was geschehen wird, wenn
es zum Aufstand kommt... wenn ich das bedenke, habe ich keine
andere Wahl, als zu bleiben, Sassenach. Sobald wir ihm Einhalt
geboten haben, könnte es eine Möglichkeit geben zurückzugehen -
vielleicht aber auch nicht. Doch im Augenblick muß ich das Angebot
Seiner Hoheit dankend ablehnen.«
Ich tätschelte seinen Schenkel. »Ich habe mir schon
gedacht, daß du das sagen würdest.«
Er lächelte mich an, dann beäugte er stirnrunzelnd
die gelbliche Creme, die an meinen Fingern haftete. »Was ist das
eigentlich für ein Zeug?«
»Monsieur Forez hat es mir gegeben. Er hat nicht
gesagt, wie es heißt. Ich glaube zwar nicht, daß es wirksame
Substanzen enthält, aber es ist eine schöne Fettsalbe.«
Jamies Körper versteifte sich, als er auf das blaue
Töpfchen sah. »Monsieur Forez hat es dir gegeben?« murmelte er voll
Unbehagen.
»Ja«, entgegnete ich überrascht. »Was ist denn
los?« Er schob meine cremeverschmierten Hände weg, schwang die
Beine von der Chaiselongue und griff nach einem Handtuch.
»Hat der Tiegel eine Lilie auf dem Deckel,
Sassenach?« fragte er, während er sich die Salbe vom Bein
wischte.
»Ja«, sagte ich. »Jamie, was ist denn so schlimm an
der Salbe?« Sein Gesichtsausdruck, zwischen Entsetzen und
Heiterkeit schwankend, war äußerst merkwürdig.
»Oh, ich würde nicht sagen, daß sie schlimm
ist, Sassenach«, antwortete er schließlich. Er hatte sich das Bein
so fest abgerieben, daß sich die lockigen Härchen auf der geröteten
Haut sträubten, dann warf er das Handtuch beiseite und betrachtete
nachdenklich das Töpfchen.
»Monsieur Forez muß eine hohe Meinung von dir
haben, Sassenach. Das Zeug ist ziemlich teuer.«
«Aber...«
»Nicht, daß ich es nicht zu schätzen wüßte«,
versicherte er mir eilig. »Es ist nur, daß ich selbst schon mal
kurz davor war, zu einem
Bestandteil dieser Salbe verarbeitet zu werden. Deshalb ist mir
ein bißchen mulmig zumute.«
»Jamie!« rief ich. »Was ist das für ein Zeug?« Ich
griff nach dem Handtuch und wischte mir hastig die Hände ab.
»Das Fett von Gehenkten«, sagte er
widerstrebend.
»G-g-g...« Ich brachte das Wort nicht über die
Lippen und setzte noch einmal an. »Du meinst...« Ich bekam eine
Gänsehaut; die Härchen standen ab wie Nadeln im Nadelkissen.
Ȁh, aye. Das ausgelassene Fett von gehenkten
Verbrechern«, erwiderte er fröhlich. Er gewann seine Fassung
ebensoschnell wieder, wie ich meine verlor. »Gut gegen Rheumatismus
und Gelenkschmerzen, sagt man.«
Ich entsann mich, wie sorgfältig Monsieur Forez
jene Teile einsammelte, die bei seinen Operationen im Höpital des
Anges übrigblieben, und an den merkwürdigen Blick, den mir Jamie
zugeworfen hatte, als mich der große chirurgien nach Hause
gebracht hatte. Meine Knie wurden weich, und mir wurde flau im
Magen.
»Jamie, wer in drei Teufels Namen ist Monsieur
Forez?« schrie ich.
Nun gewann die Heiterkeit eindeutig die
Oberhand.
»Er ist der Henker des Fünften Arrondissements,
Sassenach. Ich dachte, du wüßtest es.«
Feucht und durchgefroren kehrte Jamie aus dem Hof
zurück, wo er sich abgeschrubbt hatte, da dort etwas großzügigere
sanitäre Einrichtungen vorhanden waren, als ihm die Waschschüssel
in unserem Schlafzimmer bieten konnte.
»Keine Sorge, ich hab alles abgekriegt«,
versicherte er mir, zog das Hemd aus und schlüpfte nackt unter die
Decke. Er hatte eine Gänsehaut und fröstelte, als er mich in die
Arme nahm.
»Was ist denn, Sassenach? Ich rieche doch nicht
danach, oder?« fragte er, da ich mich unter das Bettzeug verkroch
und die Arme über der Brust kreuzte.
»Nein«, sagte ich. »Ich habe Angst, Jamie. Ich
blute.«
»Lieber Gott«, sagte er leise. Ich spürte, wie ihn
bei meinen Worten die Furcht packte, so wie sie mich gepackt hatte.
Er zog mich an sich, liebkoste mein Haar und meinen Rücken, aber
wir empfanden beide dieselbe entsetzliche Hilflosigkeit. So stark
er war, er konnte mich nicht beschützen; sosehr er mir auch helfen
wollte, es gab nichts, was er tun konnte. Zum erstenmal war ich in
seinen Armen nicht sicher, und dieses Wissen jagte uns beiden Angst
ein.
»Glaubst du...«,begann er, dann hielt er inne und
schluckte. Ich spürte, wie er das Schaudern und seine Angst
hinunterschluckte. »Ist es schlimm, Sassenach? Was bedeutet
das?«
»Ich weiß nicht.« Ich klammerte mich an ihn, um
Halt zu finden. »Es blutet nicht stark, bis jetzt noch
nicht.«
Die Kerze brannte noch. Mit sorgenvollem Blick sah
er mich an.
»Soll ich nicht lieber jemanden holen, Claire? Eine
Heilerin, eine der Frauen aus dem Spital?«
Ich schüttelte den Kopf und leckte mir die
trockenen Lippen.
»Nein. Ich glaube... ich glaube nicht, daß man
etwas dagegen machen kann.« Gerade das hatte ich nicht sagen
wollen. Mehr als alles in der Welt wünschte ich, es gäbe jemanden,
der die Sache in Ordnung bringen konnte. Aber ich erinnerte mich an
die Anfangszeit meiner Schwesternausbildung, an die paar Tage, die
ich in der Entbindungsstation gearbeitet hatte, an das Achselzucken
eines Arztes, der vom Bett einer Frau kam, die eine Fehlgeburt
gehabt hatte. »Im Grunde kann man nichts machen«, hatte er gesagt.
»Wenn Mütter ein Kind verlieren, ist man machtlos, ganz gleich, was
man versucht. Bettruhe ist wirklich das einzige, und selbst das
reicht oft nicht.«
Vielleicht hat es ja nichts zu bedeuten«, versuchte
ich, uns beiden Mut zuzusprechen. »Es ist nicht außergewöhnlich,
wenn während der Schwangerschaft leichte Blutungen auftreten.« Es
war nicht außergewöhnlich, nicht während der ersten drei Monate.
Ich war aber bereits im sechsten Monat, und da war es durchaus
außergewöhnlich. Dennoch konnte eine Blutung durch ganz
verschiedene Faktoren ausgelöst werden, und nicht alle waren
besorgniserregend.
»Vielleicht ist ja alles in Ordnung.« Ich legte die
Hand auf den Bauch und drückte sanft. Sofort bekam ich Antwort,
einen trägen Knuff des Babys, und gleich ging es mir besser. Ich
verspürte eine so innige Dankbarkeit, daß mir die Tränen in die
Augen traten.
»Sassenach, was kann ich tun?« flüsterte Jamie.
Seine Hand legte sich schützend auf meine.
»Einfach beten«, sagte ich. »Bete für uns,
Jamie.«