Elftes Kapitel

Funken sprangen wie winzige, glühende Derwische aus dem heruntergebrannten Lagerfeuer und tanzten für Sekunden in der klaren Nacht, als Baralong den Ast, an dem er seinen Tabak entzündet hatte, wieder in die Glut warf. Eine Wolke würzigen Rauches wehte zu Andrew hinüber, der satt auf einem flachen Stein saß, den er nahe ans Feuer gewuchtet hatte. Die Gräten der Fische, die sie auf dünne Zweige gespießt und über dem Feuer geröstet hatten, waren bereits zu Asche verbrannt. Er hatte schon lange kein Essen mehr so sehr genossen wie diese Bratfische. Und als er daran dachte, wie sehr er sich vor wenigen Stunden noch darüber gesorgt hatte, womit er seinen Hunger am Abend bloß stillen sollte, konnte er sich eines Lächelns nicht erwehren. Wie wenig Vertrauen er doch in Baralong gesetzt hatte!

Sie hatten das Tal, das mit seiner üppigen und vielfältigen Vegetation einem verwunschenen Garten Eden glich, am Nachmittag erreicht. Baralong hatte ihn nach kurzem Marsch zu einem kleinen See geführt, der gut hundertfünfzig Schritte in der Länge maß und mehrere kleine Ausbuchtungen aufwies.

»Heute werden wir Fisch essen«, sagte Baralong nach einem kurzen, prüfenden Blick auf das stille Gewässer, dessen Ufer teilweise von Schilf bestanden waren.

»Wo siehst du hier Fische?«, fragte Andrew, erschöpft und nach den Erlebnissen des Tages auch psychisch ausgelaugt.

»Da!« Baralong wies aufs Wasser, und als Andrew nun näher hinschaute, sah auch er die dunklen Schatten, die unter der Wasseroberfläche dahinglitten.

»Und wie angeln wir sie?«

»Mit den Händen, mit dem Speer und mit Baumrinde«, antwortete der schwarze Fährtenleser mit leichter Belustigung und schleuderte seinen Speer. Als er ihn aus dem Wasser zog, zappelte ein fast armlanger Fisch, der einem Barsch ähnelte, an seiner Spitze.

Andrew war über diese Geschicklichkeit und Treffsicherheit verblüfft. Baralong beließ es jedoch nicht bei dieser Demonstration seiner Fähigkeiten. Er begab sich ins flache Wasser und scheuchte einige der Fische in einen flaschenhalsartigen Arm des Sees, ließ sich von Andrew Zweige und mehrere Steine reichen, mit denen er diesen schmalen Seitenarm durch ein provisorisches Wehr vom Rest des Sees trennte. Dann nahm er sein Steinmesser, ging zu einem Baum und schälte mehrere lange Streifen Borke vom Stamm. Diese warf er zu den Fischen ins Wasser.

»Und was jetzt?«, wollte Andrew wissen.

»Jetzt warten wir und sammeln erst einmal trockenes Unterholz für unser Feuer«, erwiderte Baralong.

Sie sammelten Holz und mit Hilfe seines Feuerquirls entfachte Baralong ein Feuer. Als die Flammen munter das Holz verzehrten, kehrten sie zum Seitenarm zurück, wo die Barriere aus Zweigen und Steinen den Fischen die Rückkehr verschlossen hatte.

Andrew glaubte, seinen Augen nicht trauen zu dürfen, als er ein gutes Dutzend Fische mit den Bäuchen nach oben auf dem Wasser treiben sah.

»Die Borke des Baumes enthält einen giftigen Stoff, der die Fische betäubt«, erklärte Baralong. »Ich glaube, der Fang reicht, um unseren Hunger zu stillen.«

Und ob er ihren Hunger gestillt hatte! Die gebratenen Fische waren zudem köstlich gewesen.

Ein merkwürdig friedvolles Gefühl überkam Andrew, als er da mit Baralong am Feuer saß, der genüsslich an seinem mit Tabak vollgestopften Eisenrohr sog. Die Regenwolken hatten sich schon vor Stunden verzogen und über ihnen leuchtete das Kreuz des Südens am klaren Nachthimmel.

»Du hast einmal gesagt, dass ein jeder eines Stammes Hüter eines Traumes, eines Traumpfades ist«, brach Andrew das Schweigen.

Baralong nickte. »So haben es uns die Ahnen aus der Traumzeit aufgetragen.«

»Wenn du aber der Letzte deiner Sippe bist, was geschieht dann mit deinen Traumpfaden, wenn du einmal nicht mehr bist?«

»Es wird meine letzte Aufgabe sein, das Wissen um diese Traumpfade einem benachbarten Stamm zu übergeben«, lautete Baralongs Antwort und Trauer schwang in seinen Worten mit. »Ich werde die Ältesten des Wonnarua-Stammes in unser geheimes Wissen einweihen und sie werden nach meinem Tod die Traumpfade meiner ausgestorbenen Sippe übernehmen, an ihre Leute weitergeben und dafür sorgen, dass die Träume und damit die Schöpfung erhalten bleiben.«

»Was genau ist diese Traumzeit überhaupt, die du schon so oft erwähnt hast?«

»In der Traumzeit wurde die Welt erschaffen.«

»Kannst du mir davon erzählen?«, bat Andrew.

Baralong blickte nachdenklich zu ihm hinüber, als überlege er die Ernsthaftigkeit, die hinter dieser Bitte steckte. Dann nickte er bedächtig.

»Gut, ich will dir den Sternentraum erzählen, von der Zeit, als das Volk unserer Ahnen in Raum und Zeit die Ebenen, Berge und Wüsten durchquerte und uns ihre Traumpfade hinterließ, bevor unsere Ahnen sich in Sterne verwandelten«, sagte er, blies Rauch durch seine Nase und begann von jener urzeitlichen Epoche der Welt zu erzählen, die von den Aborigines Traumzeit genannt wurde.

Den Erzählungen Baralongs nach begann alles, als die Erde flach war und ein riesiges Windsegel vom Himmel flatterte. Es legte sich über das Land und wurde zu Hügeln, Ebenen und Bergen. Zur selben Zeit stürzte etwas Gewaltiges, das größer und heller als ein Komet war, auf die Erde und ließ alles Licht verlöschen. Finstere Nacht brach über die Welt herein. Und dieser Nacht entstieg das Volk der geweihten Männer, die auch Heroen und Urwesen genannt wurden.

Die Sonne kehrte nun wieder zurück und warf ihr Licht über die neu erwachte Welt, in der die Kinder der Sterne zu tanzen begannen. Sie hüpften, warfen Arme und Beine hin und her und schlugen sich auf die Schenkel. Da wuchsen Zweige an ihren Füßen und wurden zu riesigen Ruten und Gewächsen, die hoch über ihren Köpfen rauschten. Am Himmel sahen sie andere Sternenvölker, die schon ihre Spuren auf einem Pfad hinterlassen hatten. Es waren der Orion und seine Töchter, die Plejaden, so der Name, den die Weißgesichter später diesen Sternen geben sollten. Sie hatten den unbesiegbaren Traum hinterlassen, der sich auf Erden unendlich oft mit den Töchtern des Orion vermählt hatte und ihnen befahl, die Töchter, die sie ihm schenkten, zu töten.

Die Baummänner des Sternentraumes hatten dagegen weder Frauen noch Töchter. Singend streiften sie durch das Land, und mit den Worten, mit denen sie ihre Vergangenheit und die Zukunft besangen, sanken Geistsamen in die Erde. Auf diese Weise säten sie Bilder aus, die sich in Eukalyptusbäume und Flüsse oder in Kindergeister verwandelten.

Sie schlugen ihr Lager an einem Hügel auf, der vom Himmel gefallen war, und träumten von der Reise in ferne Gebiete, in die sie sich aufmachen wollten. In ihren Träumen begegneten sie den Frauen des Grabstocktraumes, dem unverheirateteten Volk der Tänzerinnen. Auch sie durchwanderten die Erde, streuten Kindergeisterbilder und ließen überall dort, wo sie Stöcke pflanzten, Akazien wachsen.

Eines Tages, als die Männer des Sternentraumes auf die Jagd gegangen waren, fanden die Frauen bei ihrer Rückkehr eine Schnur und ein Band aus gesponnenen Haaren. Ein Heroe des Warantraumes hatte sie aus den Haaren gemacht, die er den Männen abgeschnitten hatte. Diese neuen Dinge verlockten die Grabstockfrauen, und um sie zu besitzen, waren die Frauen bereit, ihr Wissen zu enthüllen. Sie gaben sich den Männern hin und überließen ihnen die Vorrechte der Speerjagd und der geheimen Weihezeremonien.

In jener Zeit gab es keine Heiratsregeln, und so gerieten die Frauen bald in Streit, wie sie die Männer aufteilen sollten. Manche wollten sie gemeinsam besitzen, andere setzten sich jedoch mit ihrer Vorstellung durch, dass jede den ihren bekäme. So zogen denn Männer und Frauen paarweise ein Stück Weges, bis sie zu den Orten kamen, wo die Kindergeister in Büschen und Bäumen warteten, und die Frauen gebaren Mädchen und Jungen. Da tanzten und sangen sie und dabei entstanden die tiefen Mulden und Höhlen auf der Erde.

Die Kinder wuchsen heran. Mit den von Waran erhaltenen Bändern geschmückt, tanzten die Mütter die Speer- und Schildzeremonie, damit ihre Söhne zu Männern wurden und Frauen bekamen und von diesen wieder eigene Söhne und Töchter. Dann streckten sie die Arme gen Osten und zogen weiter. Sie durchquerten eine Welt aus Wüsten, Ebenen und Bergen und verschwanden dann singend unter der Erde. Die Macht der Stimme der Nacht, der gelbe Ocker, der Grabstock, der Waran, der unbesiegbare Traum und alle anderen Urwesen atmeten nicht mehr. Ihre Kraft erlosch.

Unter der Erde und im Himmel träumten die Wesen aus Raum und Zeit der Träume weiter. Sie träumten das Leben der Männer und Frauen mit der schwarzen Haut, die seit Jahrtausenden über die von den Traumwesen geschaffene Welt zogen. Mit den Namen, die sie den von ihnen gestalteten heiligen Stätten gegeben hatten, hinterließen die sagenhaften Ahnen den Menschen ein umfassendes und höchst kompliziertes Gesetz aus Tänzen, Gesängen und Malereien. Seit dieser Zeit sangen und tanzten die Yapa, die Aborigines, und bemalten ihre Körper mit heiligen Bildern.

Die Kindergeister, gesät vom Traum der Sternenmänner und des Grabstocks, vom Traum des Warans, vom unbesiegbaren Traum und allen anderen Träumen, wohnten noch immer an den Wasserstellen, bei den Felsen und in den Bäumen. Sie fingen die Frauen, die sich ihnen näherten, und drangen in sie ein, um Mädchen und Knaben auf die Welt zu bringen, damit diese wie ihre Ahnen zu Hütern des Bodens und der Traumpfade wurden, Generation um Generation. Denn nur so ließ sich die Welt bewahren, die in der Traumzeit erschaffen worden war und in der an den heiligen Stellen noch immer die schöpferische Kraft der Traumwesen lebte...

Als Baralong geendet hatte, war Andrew von den Absurditäten und schwer vorstellbaren Urwesen aus dieser Welt, die geträumt worden war und durch Träume weiterhin am Leben erhalten wurde, ebenso verwirrt wie fasziniert. Was er gehört hatte, machte keinen Sinn, entbehrte jeder Logik und war in höchstem Maße wirr. Doch dann sagte er sich: Seit wann hatte die göttliche Schöpfung, in welcher Religion auch immer, etwas mit menschlicher Logik zu tun?

»Wenn ich dich richtig verstanden habe«, sagte Andrew nach einer Weile, »dann verkörpert ihr Yapa den Namen, Gesang und Traum eines bestimmten Traumwesens, den ihr durch eure Zeremonien am Leben erhaltet.«

»Wir sind das Gedächtnis der Erde und damit ihre Hüter. Die Traumwesen haben jedem von uns einen Teil vom Gedächtnis der Erde verliehen«, erklärte Baralong feierlich. »Wenn wir Menschen dieses Gedächtnis, das Vermächtnis unserer Ahnen, ignorieren oder vergessen, dann zerstören wir die Welt, die uns erschaffen hat und in der wir leben.«

Wir sind das Gedächtnis der Erde und ihre Hüter! Diesen aufwühlenden Gedanken, dem die Aborigines ihr ganzes Leben unterordneten, nahm Andrew mit in den Schlaf, als er sich auf seinem Nachtlager aus Moos und Grasbüscheln ausstreckte.