Fünftes Kapitel
Als die Mittagssonne ihren höchsten Punkt am Himmel erreichte, lag über Yulara die Stille der Erschöpfung.
Der Buschbrand hatte die Feuerschneise nicht überwinden können, obwohl es mehrmals so ausgesehen hatte. Die Flammen waren unter dem erbitterten Widerstand der Farmarbeiter aus Mangel an Nahrung immer mehr in sich zusammengefallen. Doch damit war die Gefahr noch nicht vollständig abgewendet gewesen. Als die Sonne aufstieg und ihr Licht über den breiten Korridor niedergebrannten Buschlandes warf, schwelte es noch an unzähligen Stellen. Bis in den frühen Mittag hinein waren alle damit beschäftigt, ein erneutes Aufflammen des Feuers zu verhindern. Als man endlich sicher sein konnte, die Gefahr gebannt zu haben, gab es auf Yulara nicht eine Menschenseele, die noch genug Kraft gehabt hätte, um gegen die Erschöpfung anzukämpfen. Manche kehrten erst gar nicht zum Hof zurück, sondern sanken in den Schatten des nächsten Baumes und fielen in einen tiefen, bleiernen Schlaf.
Andrew brachte Abby mit dem Fuhrwerk zum Farmhaus zurück. Beide hielten sich nur mit großer Mühe wach.
»Wird sie überleben?«, fragte Abby, als sie Rosanna auf der Veranda mit vor Müdigkeit eingefallenem Gesicht in einem Schaukelstuhl sitzen sah.
»Wer weiß ... vielleicht«, lautete die schläfrige Antwort der Köchin. »Mit Gottes Hilfe...«
Abby gab sich damit zufrieden und schlurfte ins Haus. Das Einzige, was sie jetzt wirklich interessierte, war, sich aufs Bett zu werfen und in den Schlaf zu sinken. Alles andere musste bis später warten. Sie hatte noch nicht einmal die Kraft, das von zahllosen Brandflecken, Dreck und Asche zugerichtete Kleid auszuziehen und sich zu waschen. Sie fiel aufs Bett und war im nächsten Moment eingeschlafen. Sie hörte schon nicht mehr das Poltern, als Andrew seine Stiefel auszog.
Es dämmerte, als Abby aus diesem Schlaf der Erschöpfung erwachte. Andrews Seite des Bettes war leer. Wahrscheinlich saß er schon wieder im Sattel und schaute auf der Farm nach dem Rechten. In ihr regte sich ein Schuldgefühl, dass sie bis in den Abend hinein geschlafen hatten.
Eigentlich hätte sie ausgeruht und erfrischt sein müssen, doch dem war ganz und gar nicht so. Sie fühlte sich vielmehr zerschlagen. Sie richtete sich auf und der durchdringende Geruch ihres Kleides von Schweiß und Rauch stieg ihr unangenehm in die Nase. Sie brauchte dringend ein Bad und frische Sachen!
Abby stand auf, ging zur Wäschekommode und suchte sich heraus, was sie anziehen wollte. Sie rollte die Leibwäsche und das dünne Kleid aus geblümter Baumwolle zusammen, stopfte alles in einen Leinenbeutel und ging hinaus. Irgendwie hatte sie das Gefühl, sich wie in Trance zu bewegen.
Als sie von der Veranda trat, erblickte sie ihren Mann. Andrew stand vor der Schmiede und redete mit Vernon Spencer, für den es nichts Schöneres gab, als den Amboss mit seinem Schmiedehammer und einem glühenden Stück Eisen »zum Singen zu bringen«, wie er es nannte.
Andrew schaute über die Schulter zum Farmhaus, als hätte er ihren Blick gespürt. Als er sie dort stehen sah, sagte er schnell etwas zum Schmied und kam dann zu ihr herüber.
»Ausgeschlafen?«, fragte er und musterte sie mit einem zärtlichen Ausdruck in den blassblauen Augen.
Abby verzog das Gesicht. »Statt nach fast sechs Stunden Schlaf frisch und munter zu sein, ist mir, als hätte man mich gerädert und einmal um Yulara durch den Busch geschleift.«
»Kein Wunder bei der Nacht, die hinter uns liegt. Auch ich spüre jeden einzelnen Knochen und Melvin behauptet steif und fest, nie wieder aufstehen zu können«, sagte er mit fröhlichem Spott. »Aber das gibt sich wieder, sogar bei meinem Bruder.«
»Hoffentlich«, seufzte sie. »Ich fühle mich nämlich so erschreckend kraftlos wie eine alte Frau, Andrew.«
Er lächelte. »Wenn ich dich so anschaue, kann ich guten Gewissens sagen, dass du ganz und gar nicht wie eine alte Frau aussiehst.« Er dämpfte seine Stimme und fuhr fort: »Du siehst vielmehr wie eine begehrenswerte junge Frau aus, die es ihrem Mann bei ihrem Anblick so gut wie unmöglich macht, an Arbeit zu denken.«
Abby errötete bei dieser Liebeserklärung und blickte sich unwillkürlich um. »Bitte sag so etwas nicht, wenn andere dich hören können«, raunte sie. »Du weißt, wie verlegen du mich damit machst.«
Er schmunzelte. »Nicht immer.«
Ihre Röte wurde noch intensiver. Die Liebe und Leidenschaft, die sie miteinander gefunden hatten, empfand sie als ein beglückendes Wunder, das ohne Beispiel war. Und in seinen Armen kannte sie weder Scham noch Schüchternheit, was sie vorher nie für möglich gehalten hätte. Doch außerhalb ihrer privaten vier Wände darüber zu reden oder auch nur eine liebevoll anzügliche Bemerkung zu machen, wenn andere in der Nähe waren, rief in ihr eine Verlegenheit hervor, die sie sonst nicht kannte.
»Aber in der Öffentlichkeit, Andrew!«
»Die Öffentlichkeit auf Yulara ist im Augenblick so abgekämpft und schläfrig, dass du mir jetzt eigentlich den Begrüßungskuss geben könntest, auf den ich mich gestern schon gefreut habe.« Er zwinkerte ihr zu. »Oder fällt auch das unter die öffentliche Zurückhaltung, mit der meine Frau alle anderen auf der Farm an der Nase herumführt?«
Sie musste nun lachen. »Nein, aber lass mich erst im Fluss ein Bad nehmen, Andrew. Ich kann mich in diesen verdreckten und verräucherten Sachen selbst nicht riechen.«
»Du nimmst ein Bad im Fluss? Das klingt verlockend, um nicht zu sagen verführerisch. Lädst du mich dazu ein?«, flüsterte er.
»Du bist unmöglich!«, raunte Abby, doch ihre Augen leuchteten, und bevor er wusste, wie ihm geschah, gab sie ihm einen Kuss. »Und wage ja nicht, mir zum Fluss zu folgen!«
»Aber heute Nacht entwischst du mir nicht, Liebling«, sagte er und sein Blick ging ihr unter die Haut.
»Nein«, hauchte sie mit brennenden Wangen.
Rasch lief Abby zum Hawkesbury hinunter. Ein Stück flussaufwärts wies der Hawkesbury am Ufer eine kleine nierenförmige Ausbuchtung auf, die zum Baden ideal war. Denn hier wurde man nicht von der Strömung erfasst, die schon so mancher unterschätzt hatte. Zudem boten hohe Büsche einen Sichtschutz zur Farm hin.
Abby konnte nicht schnell genug aus ihren Kleidern kommen. Das Bad in den kühlen Fluten des Hawkesbury, auf denen die Abendsonne schwamm, wirkte wahre Wunder. Das Gefühl der Zerschlagenheit wich von ihr, schien weggespült wie Ruß, Dreck und Schweiß. Ihre Lebensgeister kehrten zurück und zum ersten Mal empfand sie Stolz und Freude darüber, dass sie das Buschfeuer so erfolgreich bekämpft und die Katastrophe von Yulara abgewendet hatten.
Gerade schlüpfte sie in ihre frische Leibwäsche, als sie sich plötzlich an das Aborigine-Mädchen erinnerte, das sie zusammen mit Jake und Travis vor dem Feuer gerettet hatte.
Verstört und schuldbewusst stand sie zwischen den Büschen und schüttelte den Kopf über ihre Gedankenlosigkeit. Seit sie aufgewacht war, hatte sie doch wahrhaftig nicht einmal für einen flüchtigen Moment lang an dieses unglückselige Mädchen gedacht! Wie hatte sie die Eingeborene bloß so vergessen können? Sie wusste noch nicht einmal, ob sie noch am Leben war! Auch Andrew hatte das Mädchen nicht mit einer einzigen Silbe erwähnt. Es war, als wäre das Schicksal dieser Aborigine völlig ohne Bedeutung und weniger einer Bemerkung wert als ein lahmendes Pferd.