Drittes Kapitel
Die Reibereien zwischen Andrew und dem jungen Offizier begannen schon in den ersten Stunden. Lieutenant Danesfield, höchstens ein Jahr älter als Andrew, nahm es mit der Autorität und Befehlsgewalt sehr genau. Nicht nur die ihm unterstellten Soldaten hatten seinem Befehl unverzüglich Folge zu leisten, auch von den beiden Zivilisten, die sich seinem Suchtrupp angeschlossen hatten, verlangte er Gehorsam ohne Widerspruch. Und angeblich machte er dabei keinen Unterschied zwischen einem Chandler und einem Gilmore. Die Wirklichkeit sah anders aus.
Keine zwei Stunden nach ihrem Aufbruch von Greenleaf kam es zu der ersten Auseinandersetzung zwischen Andrew und dem schneidigen Offizier. Sie befanden sich auf dem Weg zu Russell’s Pond, wo die beiden Farmarbeiter Greg Halston gefunden hatten.
Andrew ritt links außen, während Gilmore sich an der Seite von Lieutenant Danesfield hielt. Plötzlich glaubte Andrew, etwas bemerkt zu haben. »Mir ist, als hätte ich da drüben bei den Akazien eine Bewegung gesehen. Ich reite mal hinüber und sehe nach!«, rief er dem Offizier und Gilmore zu und wollte Samantha schon von der Truppe weglenken.
»Das werden Sie gefälligst bleiben lassen, Mister Chandler!«, befahl Alan Danesfield mit schneidender Stimme. »Ich kann mich nicht entsinnen, Ihnen die Erlaubnis dafür erteilt zu haben!«
Im ersten Moment war Andrew mehr irritiert als wütend. »Wie bitte?«, fragte er. »Seit wann brauche ich eine Erlaubnis?«
»Darf ich Sie daran erinnern, dass Sie gar nicht an diesem Kommando teilgenommen hätten, wenn ich Ihnen nicht großzügigerweise die Erlaubnis dazu erteilt hätte? Sie haben sich uns jedoch nicht als Gast angeschlossen, sondern sich meiner Befehlsgewalt unterstellt, Mister Chandler!«
»Sie verwechseln mich wohl mit einem Soldaten, Lieutenant! Darf ich nun Sie daran erinnern, dass ich ein freier Siedler bin und keine Uniform trage!«, entrüstete sich Andrew.
»Das tut nichts zur Sache! Ich führe das Kommando und ich dulde kein eigenmächtiges Handeln!«, herrschte ihn der Lieutenant an. »Ob Zivilist oder gemeiner Soldat, ich verlange von jedem, der an diesem Unternehmen unter meiner Führung teilnimmt, dieselbe Disziplin. Wenn Ihnen das nicht gefällt, steht es Ihnen frei, eigene Wege zu gehen. Aber die Warnung, die ich an Ihren Vater gerichtet habe, gilt dann auch für Sie! Entscheiden Sie sich!«
»Der Lieutenant hat Recht, es kann immer nur einer das Sagen haben«, warf Gilmore ein. »Es kann nicht jeder tun, was er will. Ich denke, das liegt doch auch in Ihrem Interesse.«
Voller Wut presste Andrew die Lippen aufeinander. Er wollte dem Lieutenant sagen, dass er sich zum Teufel scheren sollte. Er war ein Chandler und brauchte sich doch nicht von einem gelackten und arroganten Rotrock, wie Danesfield einer war, herumkommandieren und schikanieren lassen!
Doch dann dachte er an Abby, und die Angst, kostbare Zeit durch persönliche Streitigkeiten zu verlieren und sich wichtiger Unterstützung zu berauben, siegte über seinen Stolz.
»Wie lautet Ihre Entscheidung, Mister Chandler?«, drängte der Lieutenant auf Antwort. »Wollen Sie Ihrer eigenen Wege reiten oder wollen Sie auch weiterhin unter meinem Kommando an der Suche teilnehmen?«
»Ich bleibe.«
»Und akzeptieren meine Bedingungen?«
»Ja, ich akzeptiere«, bestätigte Andrew zähneknirschend.
Lieutenant Danesfield lächelte mit der Herablassung eines Mannes, der von vornherein gewusst hatte, dass er seine Forderungen durchsetzen würden. »Gut, dass wir uns verstehen. Ich hoffe, dass damit die letzten Missverständnisse über meine und Ihre Rolle bei diesem Kommando ausgeräumt sind!«
»Ihren Belehrungen mangelte es nicht an Deutlichkeit - Sir!«
Der Offizier war um eine nicht minder sarkastische Antwort nicht verlegen. »Kompliment, Mister Chandler. Sie machen rasche Fortschritte. Womöglich wäre aus Ihnen ein recht brauchbarer Soldat geworden, wenn Sie nur rechtzeitig in die richtigen Hände gekommen wären.« Dann winkte er Corporal Jethro Haines heran. »Reiten Sie mit Mister Chandler zu den Akazien hinüber!«
»Jawohl, Sir!«
Corporal Jethro Haines war ein drahtiger Mann, Ende dreißig und schon zu lange Soldat, um sich noch über die Arroganz von Offizieren zu erregen. Doch er verstand Andrews Wut.
»Nehmen Sie es nicht so schwer, was den Lieutenant angeht, Mister Chandler«, sagte er, als sie sich außer Hörweite der Truppe befanden. »Sie sind nicht der Einzige, mit dem er so grob umspringt.«
»Wie beruhigend.«
»Er blickt eben auf alle hinab, die keine Uniform tragen. Familientradition, wie man so hört. Und sein Ehrgeiz reicht für ein Dutzend Generalskarrieren. Glauben Sie mir, der geht rücksichtslos seinen Weg, und wehe dem, der ihm dabei in die Quere gerät«, fuhr der Corporal bissig fort. »Also legen Sie sich besser nicht mit ihm an.«
Andrew verzog das Gesicht. »Das höre ich heute schon zum dritten Mal: erst von Ihrem Lieutenant, dann von Mister Gilmore und nun auch noch von Ihnen.«
»Nicht, dass ich Ihnen nicht zutraue, Ihren Mann zu stehen. Aber was bringt Ihnen das? Der Lieutenant wartet doch nur darauf, dass Sie ihm einen Grund liefern, damit er Sie wegschicken kann. Und Sie wollen doch, dass wir Ihre Frau finden, nicht wahr?«
»Ja«, murmelte Andrew.
»Dann beißen Sie in den sauren Apfel und lassen ihm das letzte Wort«, riet ihm Corporal Haines. »So können Sie wenigstens sicher sein, dass Danesfield auch wirklich nach Ihrer Frau sucht und nicht nach irgendwelchen Eingeborenen. Denn das hier ist ein Kommando ganz nach seinem Herzen!«
Andrew sollte sich später noch oft an diesen letzten Satz erinnern und sich fragen, warum er nicht nachgefragt hatte. Dann wäre er gewarnt gewesen und hätte vielleicht verhindern können, was vier Tage später am Richmond Hill geschah. Doch da sie indessen die Akazien erreicht hatten, hörte er nur mehr mit halbem Ohr hin, während er seine Aufmerksamkeit auf das vor ihnen liegende Gelände konzentrierte. Und als sie ihre Suche schließlich abbrachen und wieder Anschluss zur Truppe suchten, beschäftigten ihn andere, kummervolle Gedanken.
»Lassen Sie die Hoffnung nicht sinken«, versuchte der Corporal ihm Mut zu machen. »Wir finden Ihre Frau.«
Bei Russell’s Pond begann die eigentliche Suche. Lieutenant Danesfield erteilte den Männern den Befehl, eine Kette zu bilden, mit jeweils fünfzig Schritten Abstand zwischen den Reitern.
»Mit dieser weit auseinander gezogenen Formation erfassen wir beim Vorrücken ein Gelände auf einer Breite von einer guten halben Meile«, verkündete Danesfield.
»Sir?«, meldete sich Jethro Haines zu Wort.
»Ja, Corporal?«
»Ein Tracker, der sich aufs Spurenlesen versteht, wäre womöglich ...«
»Unsinn!«, fuhr Danesfield ihm barsch über den Mund. »Wir kommen auch ohne einen von diesen verkommenen schwarzen Subjekten aus. Außerdem fehlt uns die Zeit, um so einen Tracker aus Sydney oder Parramatta zu holen.« Damit war das Thema für ihn erledigt und er gab den Befehl, sich zu verteilen und die Kette zu bilden. Er selbst nahm die Position in der Mitte ein. Andrew und Gilmore bestimmte er als seine beiden Flankenmänner, um sie stets in seiner Nähe und damit unter seiner unmittelbaren Kontrolle zu wissen.
Ihr Ziel war zuerst einmal der Saunders Creek, der in fast nördlicher Richtung von ihnen lag, und die fünfzehn Meilen dorthin hätten sie auch bei einem gemächlichen Tempo leicht bis zum Mittag schaffen können. Doch es galt ja, mehr als nur einen fünfhundert Yards breiten Korridor im Busch abzusuchen. Danesfield führte sie daher auf einem ermüdenden Kurs aus weiten Schleifen, der sie um eine gedachte Nordachse immer wieder jeweils vier, fünf Meilen nach Westen und dann nach Osten brachte, so dass sie das Gelände auf einer Breite von insgesamt zehn Meilen durchkämmten.
Andrew rechnete sich aus, dass sie fast drei Tage benötigen würden, um auf diese Weise zum Saunders Creek zu gelangen. Er sprach den Lieutenant darauf an und äußerte seine Sorge, dass in drei Tagen für Abby, sollte sie sich näher am trockenen Flussbett als an der Wasserstelle befinden, jede Hilfe zu spät kommen würde.
»Das sehe ich anders«, entgegnete Danesfield forsch. »Entweder ist Ihre Frau längst tot, wofür eigentlich alles spricht, und dann ist es nicht von allzu großer Bedeutung, wann wir ihre Leiche finden ...«
Andrew schoss bei dieser brutalen Gefühllosigkeit das Blut vor ohnmächtigem Zorn ins Gesicht, und er musste an sich halten, dem Offizier nicht ins Gesicht zu schlagen.
»... oder aber sie ist mit Mister Halston durch den Busch geirrt«, fuhr Danesfield unbeeindruckt von Andrews wildem Blick fort, »und dann dürften wir sie der Wahrscheinlichkeit nach näher bei Russell’s Pond als dort oben finden. Sie sehen also, dass meine Methode die sinnvollste ist.«
»Es macht aber auch Sinn, einige Männer als Vorhut vorauszuschicken«, beharrte Andrew.
»Damit schwächen wir nur unsere Schlagkraft, reduzieren erheblich die Länge unserer Formation und schaffen weniger Gelände pro Tag. Nein, ich werde unsere Kräfte nicht in der Hoffnung auf einen glücklichen Zufall aufsplittern, Mister Chandler!«, entschied er.
Andrew war versucht, sich abzusetzen und sich auf eigene Faust auf die Suche nach Abby zu machen. Doch er fürchtete, dass Lieutenant Danesfield das zum Anlass nehmen konnte, seinerseits die Suche abzubrechen oder sie zumindest doch ohne großen Nachdruck zu führen. Dieses Risiko war ihm zu groß. Er vermochte sich nun mal nicht der Einsicht zu verschließen, dass er allein in diesem riesigen Gebiet nicht viel erreichen konnte und es nicht auszuschließen war, dass der Lieutenant mit seiner Einschätzung richtig lag.
Fünf Tage waren nun schon seit dem Überfall vergangen. Konnte Abby da überhaupt noch am Leben sein?
Andrew fühlte sich gefangen zwischen Hoffnungslosigkeit und unbeugsamem Glauben an ein Wunder. Und das herzlose, anmaßende Verhalten von Lieutenant Danesfield trug dazu bei, um die Suche nach Abby zu einem unsäglichen Martyrium zu machen.
Es wäre noch einfacher zu ertragen gewesen, wenn er dem Offizier Nachlässigkeit und mangelnden Einsatz hätte vorwerfen können. Doch dem war ganz und gar nicht so. Wenn Danesfield auch stur auf seine Vorgehensweise beharrte und ihn mit unverschämter Herablassung behandelte, so war er auf seine Weise doch überaus zäh und tüchtig. Trotz der Gluthitze, unter der sie alle zu leiden hatten, trieb er sie voran und gönnte ihnen nur kurze Pausen. Und er ließ das Nachtlager erst aufschlagen, als nicht mehr genug Licht war, um noch ausreichend sehen zu können.
Dass Danesfield ausgerechnet ihn, Andrew Chandler, für die verhasste Hundewache gegen Ende der Nacht und zum Sammeln von Feuerholz einteilte, verwunderte ihn nicht. Mit jedem Wort und jedem Blick gab der Offizier ihm zu verstehen, wie groß seine Geringschätzung für ihn und seine Familie war.
Andrew hatte weder die Kraft noch den Willen, sich dagegen aufzulehnen. Er kannte nur ein Ziel, dem er alles unterzuordnen und für das er alles zu geben bereit war: Er musste Abby finden.
Lebend!