image

»Was ist mit deinem Job?«, fragte ich meine Mutter, als ich sie gut eine Woche später am Montagvormittag in den Lübecker Nachrichten vergraben an dem kleinen Holztisch in der Küche vorfand.

»Den hab ich geschmissen«, sagte sie, ohne aufzuschauen.

»Aha?« Ich sank ihr gegenüber auf die Bank und starrte auf schwarze Schriftzeichen, Fotos von irgendwelchen Politikern und eine Karikatur, in der die Akropolis, der Eiffelturm und das Brandenburger Tor zu einer einzigen ziemlich maroden und mit Graffitis aus Eurozeichen verunstalteten Sehenswürdigkeit zusammengebaut worden waren. »Aber doch wohl nicht meinetwegen?«

»Nicht nur, Elodie«, entgegnete Mam. Anstatt die Zeitung zusammenzufalten, ließ sie sie einfach auf den Boden segeln. »Ehrlich gesagt, arbeite ich schon seit einem Monat nicht mehr.«

»Ja«, sagte ich und ließ meinen Blick über ihr schmales Gesicht gleiten. »Das ist mir auch schon aufgefallen.«

Trotz des sonnigen Wetters, das wir in den letzten Tagen gehabt hatten, war sie ungewöhnlich blass. Ihre Haut wirkte trocken und faltig und ihren Augen fehlte der Glanz.

»Es geht dir nicht gut«, stellte ich fest.

»Nein.« Sie schüttelte kaum merklich den Kopf. »Aber das hat auch nicht nur mit dir zu tun, falls du das denkst.«

Ich senkte den Kopf und biss mir in die Unterlippe. Hätte ich mir die Bemerkung doch bloß verkniffen! Warum hatte ich sie überhaupt so genau angeschaut?

»Es tut mir leid«, hörte ich mich sagen.

»Was meinst du damit?« Ich spürte Mams verwunderten Blick auf mir. »Was tut dir leid?«

»Ach, nichts.« Ich war eindeutig nicht in der Verfassung, ein ernstes Gespräch zu führen, und deshalb war es sicher besser, wenn ich mich wieder in mein Zimmer verzog.

Doch meine Mutter ließ mich nicht gehen. Als ich mich erhob, umfasste sie sofort mein Handgelenk und sagte: »Du bist schrecklich unglücklich, Elodie. Und ich … ich bin es auch.«

Ich verharrte in der Bewegung, unfähig, mich zu wehren.

»Bitte setz dich wieder hin«, sagte sie leise.

Ich wollte nicht hier sein, wollte nicht zuhören und tat trotzdem, was sie von mir verlangte. Langsam sank ich auf die Bank zurück.

»Ich habe gedacht, ich wäre stark.« Ihre Stimme zitterte. »Ich habe gedacht, ich schaff das schon.«

Mein Hals wurde eng. Ich schluckte und schluckte, aber das Gefühl ging nicht weg, sondern breitete sich nun langsam über meine ganze Brust aus.

»Es würde schon werden, wenn ich einfach weiter meine Arbeit mache, meine Freunde treffe, nicht in Trauer versinke und für dich da bin«, fuhr Mam stockend fort. »Das zumindest habe ich mir eingeredet. Aber es hat nicht funktioniert.« Sie ließ mein Handgelenk los und tat einen tiefen Atemzug. »Drei Wochen, nachdem du nach Guernsey aufgebrochen warst, ist mein ganzes schönes Kartenhaus in sich zusammengefallen. Ich konnte nicht mehr arbeiten, nicht mehr ausgehen, mich nicht mehr über alltägliche Dinge unterhalten, nichts mehr.«

»Aber …«, sagte ich. Mehr brachte ich nicht heraus.

»Ich habe versucht, mir dir gegenüber nichts anmerken zu lassen. Ich wollte, dass du den Verlust deines Vaters unbelastet verarbeiten kannst.« Meine Mutter presste ihre Lippen zusammen, und ich sah, wie sehr sie gegen die Tränen ankämpfte. »Die ganze Zeit über habe ich mich bemüht, fröhlich und ausgeglichen zu wirken.« Sie schlug sich die Hand vor die Stirn und schüttelte den Kopf, als könnte sie es selbst nicht fassen. »Das Ganze ging sogar so weit, dass ich mich, als du zurückkamst, wie eine Idiotin aufgeführt habe.«

»Mam, dafür hast du dich doch schon entschuldigt«, flüsterte ich.

Die Enge in meinem Hals und in meiner Brust war mittlerweile unerträglich.

»Ich weiß. Ich weiß.« Sie nickte.

»Gordian ist nicht tot«, flüsterte ich. »Wir sind bloß nicht mehr zusammen.«

Meine Mutter wischte sich über die Augen, dann richtete sie ihren Blick auf mich. »Aber es fühlt sich ganz ähnlich an. Stimmt’s?«, fragte sie vorsichtig.

Ich schüttelte den Kopf.

»Gordian ist nicht tot«, wiederholte ich.

Er war irgendwo da draußen im Meer und suchte nach seiner Bestimmung.

Keine Ahnung, warum ich ihn getroffen hatte.

Ich verstand einfach nicht, was das alles für einen Sinn haben sollte. Fast wünschte ich, meine Urgroßmutter hätte Patton nie kennengelernt.

»Entschuldige bitte, Liebes, ich hätte nicht davon anfangen sollen«, sagte Mam leise.

Ihre Stimme klang belegt, und ihr Blick war so offen und warm, dass sich der schmerzhafte Knoten, der meine Brust so eng machte, ein wenig löste.

»Schon gut«, erwiderte ich krächzig. »Ich möchte einfach nicht darüber reden.«

»Okay.« Mam blinzelte eine einzelne Träne, die sich in ihren Wimpern verfangen hatte, fort und versuchte ein Lächeln.

»Und ich habe auch keinen Hunger«, sagte ich und stand langsam wieder auf. »Zumindest im Augenblick nicht«, fügte ich schnell hinzu, als ich merkte, dass meine Mutter etwas einwenden wollte. »Ich glaube, ich gehe erst mal unter die Dusche.«

»Gut.« Sie nickte. Dann schien ihr etwas einzufallen. »Übrigens ist ein Päckchen für dich angekommen. Von Tante Grace. Ich nehme an, es ist dein Handy.«

»Hmm.« Zögernd tappte ich in den Flur. Ich wusste wirklich nicht, ob ich gerade überhaupt in der Lage war, mich mit Post von meiner Großtante auseinanderzusetzen.

»Es liegt auf der Kommode neben dem Telefon«, rief meine Mutter mir nach, in derselben Sekunde sah ich es auch schon.

Es war zu groß, um nur ein Handy zu enthalten, es sei denn, Tante Grace hatte gerade keinen kleineren Karton zur Hand gehabt und den Innenraum mit höllisch viel Zeitungspapier ausgestopft.

Ich verharrte einen Moment, betrachtete das Päckchen abschätzend – und entschied mich schließlich für die Dusche. Danach würde es mir hoffentlich wieder besser gehen.

Ich duschte lauwarm und auch nur sehr kurz. Trotzdem war das Badezimmer hinterher vollkommen verdampft, weil ich vergessen hatte, das Fenster zu öffnen oder wenigstens auf Kipp zu stellen.

Ich fischte mein Handtuch vom Haken und hüllte mich darin ein. Ein weiteres kleineres wickelte ich als Turban um meine Haare. Ich war gerade im Begriff, das Bad zu verlassen, da fiel mein Blick auf den total beschlagenen Spiegel.

Große dunkelblaue Augen sahen mich an. Ich konnte jede Wimper und sogar die einzelnen Härchen meiner Augenbrauen erkennen, ja, selbst das winzige Muttermal auf meinem rechten Nasenflügel. Irritiert schüttelte ich den Kopf, dann wischte ich mit dem Handrücken einen breiten Streifen Kondenswasser von meinem Spiegelbild. – Es war kein Unterschied auszumachen, zumindest nicht für meine Augen.

»Nixe«, murmelte ich.

Dichter Nebel würde mein Sehvermögen aller Wahrscheinlichkeit nach also genauso wenig beeinträchtigen wie Dunkelheit. Es würde nicht einfach sein, mir anderen Menschen gegenüber davon nichts anmerken zu lassen. Aber gut, dann war das eben meine nächste Aufgabe. Ich war froh, wenn ich etwas zu tun hatte, das meine ganze Konzentration erforderte und mich ein wenig ablenkte.

Ich warf noch einmal einen Blick auf mein Spiegelbild, und plötzlich rückten meine Brauen, die Wimpern und das Muttermal in den Hintergrund, und die winzig feine Narbe, die von Gordys Zähnen zurückgeblieben war, trat überdeutlich hervor. Im nächsten Moment sah ich sein Gesicht, das Entsetzen in seinen Augen und das Blut auf seiner Wange.

Mein Herz polterte los. Einige unendlich lange Sekunden starrte ich wie benommen in den Spiegel. Ich spürte, wie meine Kehle anschwoll, wie ich schreien wollte, dieser Schrei dann aber irgendwo tief in mir erstickte.

Keuchend wandte ich mich ab.

Gordys Gesicht verschwand, aber dafür sah ich jetzt das von Frederik, seine bleiche Haut und den Tod in seinem Blick.

Nein! Nein! Nein!

Es schrie in mir. Es tobte.

Ich öffnete den Mund, um es herauszulassen, aber dann dachte ich an Mam und biss mir so fest in die Unterlippe, dass ich Blut schmeckte.

Gordy ist nicht tot.

Frederik lebt.

Ich habe niemanden umgebracht.

Die Nixe in mir ist gefährlich, aber ich kann sie kontrollieren.

Ich zwang mich, tief ein- und wieder auszuatmen. Einmal, zweimal … zehnmal. Allmählich erlangte ich die Fassung wieder. Die Ruhe kehrte zurück und ich sah ein letztes Mal in den Spiegel.

»Ich werde sehr stark und vollkommen unabhängig sein, Cyril«, murmelte ich und reckte trotzig mein Kinn vor. »Worauf du dich verlassen kannst!«

Um Mam nicht zu verärgern, kippte ich noch rasch das Fenster, bevor ich hinausschlüpfte und mir anschließend in meinem Zimmer frische Sachen aus dem Schrank nahm und überzog, ohne mich vorher abzutrocknen. Ich mochte das Gefühl von Nässe auf meiner Haut, mittlerweile föhnte ich mir nicht einmal mehr die Haare, damit das Wasser möglichst lange auf meine Schultern und meinen Rücken tropfte.

Neben meinem Kleiderschrank hatte sich in den letzten Tagen ein beachtlicher Haufen müffelnder Schmutzwäsche angesammelt. Ich würde ihn endlich in die Maschine stecken und auch sonst mal ein wenig Ordnung in meinem Zimmer machen müssen. Nicht für mich natürlich, sondern für meine Mutter. Wenigstens sie sollte glauben, dass endlich wieder Normalität in mein Leben einkehrte.

Innerhalb von einer halben Stunde hatte ich die Waschmaschine gefüllt und gestartet, mein Bett neu bezogen und mein Zimmer aufgeräumt. Nachdem ich noch eine Schale Müsli verdrückt hatte, fühlte ich mich dem Inhalt von Tante Graces Päckchen einigermaßen gewachsen.

Ohne dass Mam, die sich in der Küche zu schaffen machte, etwas davon mitbekam, fischte ich es von der Kommode und verzog mich damit sofort wieder in mein Zimmer. Ich dachte sogar kurz darüber nach, die Tür zu verriegeln, ließ es dann aber sein.

Behutsam legte ich das Päckchen auf meinen Schreibtisch und begutachtete es noch einmal von allen Seiten. Schließlich nahm ich es wieder auf und schüttelte es leicht neben meinem Ohr, doch ich konnte kein Rappeln hören.

»Okay«, sagte ich entschlossen. »Dann wollen wir mal zur Operation schreiten … Schwester, das Skalpell, bitte!«

Ich nahm das Cuttermesser aus dem Utensilo und öffnete das Päckchen mit einem gezielten Schnitt.

»Das hättest du auch nicht besser hinbekommen, liebe Großtante «, murmelte ich, während ich die beiden Pappdeckel zur Seite klappte. Zeitungsbällchen quollen mir entgegen.

Ich schob sie heraus, sodass sie auf dem Tisch und auf dem Boden neben mir landeten, und förderte nacheinander eine Ausgabe der London Times, eine Karte, auf der ein grasender Esel abgebildet war, mein sorgsam in meinen offenbar ebenfalls vergessenen Pulli eingewickeltes Handy, den Brief von Oma Holly und eine kleine grüne Schachtel zutage.

Den Pulli faltete ich zusammen und legte ihn auf alle anderen in meinen Kleiderschrank und das Handy bekam einen vorläufigen Platz in der Nachttischschublade. Danach sammelte ich die Zeitungsbällchen auf, warf sie in den Karton zurück und stellte ihn neben den Papierkorb. Die restlichen vier Gegenstände platzierte ich fein säuberlich auf dem Schreibtisch.

Ich setzte mich und betrachtete ein paar Minuten lang den Esel, bevor ich die Karte in die Hand nahm und las, was Tante Grace mir geschrieben hatte.

Meine liebe Elodie,

wusstet Du eigentlich, dass wir Guernseyaner von den Leuten aus Jersey »Donkeys« genannt werden? Nun ja, offensichtlich haben unsere lieben Inselnachbarn gar nicht so unrecht damit. Ich zumindest kann dieses Prädikat durchaus für mich in Anspruch nehmen. Hätte ich nämlich gleich nach Deiner Abreise einen Blick durch das Apartment streifen lassen, hättest Du bis auf die Dienstagsausgabe der »London Times« all diese Dinge wahrscheinlich schon längst bei Dir in Lübeck haben können. Die Wahrheit ist: Ich habe es einfach nicht über mich gebracht, es zu betreten. Es war auch so schwer genug für mich, an Dich zu denken und Dich nicht ganz furchtbar zu vermissen! Als Deine Mam mir dann schrieb, dass Du Dein Handy vermisst, habe ich dort oben endlich Ordnung gemacht.

Ich hoffe, dass es Dir inzwischen ein bisschen besser geht. Ich drücke Dich, mein Herz.

Deine Tante Grace

PS: Bitte grüße Deine Mam ganz lieb von mir.

Ich las mir die Karte noch ein zweites Mal durch, dann stellte ich sie mit dem Esel nach vorn in das Regal am Kopfende meines Bettes. Ich vermisste Tante Grace. Ich vermisste sie sogar ganz furchtbar. Aber damit würde ich schon klarkommen, so wie mit allem anderen auch.

Anschließend richtete ich meine Aufmerksamkeit auf die Zeitung.

Tante Grace hatte mir tatsächlich die ganze Ausgabe geschickt, obwohl nur ein Artikel wirklich interessant für mich war. Er war ziemlich weit unten auf Seite drei abgedruckt, meine Großtante hatte ihn mit leuchtend gelbem Textmarker eingekringelt.

Irrtum über Mörderbestie

Den Angaben eines Pressesprechers des Londoner Instituts für Zellforschung GNS zufolge mussten inzwischen Fehler bei der Analyse zweier im Vormonat eingereichter Spermaproben eingeräumt werden. Offenbar wurden die betreffenden Proben auf verunreinigte Glasträger aufgetragen und haben somit zu verfälschten Untersuchungsergebnissen geführt. Wie es dazu kommen konnte, müsse im Einzelnen noch geklärt werden, so die Mitteilung an die Medien. Die Sondereinheit der Kriminalpolizei, die eingerichtet wurde, um die Mädchenmorde auf der Kanalinsel Sark aufzuklären, reagierte zurückhaltend auf diese Meldung. Allerdings könne man nun nicht mehr zwangsläufig davon ausgehen, dass eine Delfinmutation im Atlantik ihr Unwesen treibe, so die Staatsanwältin Mary Hickman, die mit dem Fall betraut ist. Es müsse jetzt mit ganzer Kraft in alle Richtungen weiterermittelt werden.

Sie vertuschen es tatsächlich, schoss es mir durch den Kopf. Sie wollen verhindern, dass ans Licht kommt, dass sie einen Menschen abgeschlachtet haben.

Oder sie versuchten, einfach bloß Zeit zu gewinnen. Vielleicht wollten sie alles noch ein zweites Mal untersuchen, weil sich die Nix-DNA womöglich gar nicht eindeutig zuordnen ließ.

Ich begann, mich zu fragen, ob ich wohl die Einzige war, die den Vorfall am 13. April in der Perelle Bay beobachtet hatte, denn genau das konnte ich mir eigentlich kaum vorstellen. Die Menschen auf Guernsey hatten um die unzähligen Delfine in der Bucht gewusst. Außerdem war Tante Graces Grundstück nicht das einzige, das direkt an der Küste lag. Trotz der Sicherheitsabsperrungen hätten also eine Menge Leute das Schiff der Küstenwache und den Trawler bemerken können.

Und wenn mein Sehvermögen damals bereits – also vor meiner Verwandlung – schon besser ausgeprägt gewesen war als bei normalen Menschen? Vielleicht hatte ich die Einzelheiten in der Perelle Bay viel deutlicher erkennen können, als selbst ein Mensch, der durch ein Fernglas schaute, jemals dazu in der Lage gewesen wäre.

Das zumindest würde erklären, warum nie etwas darüber zu den Medien durchgedrungen war.

Okay, Joelles Cousin Louie glaubte zu wissen, dass ein Delfin gefangen und getötet worden war. Aber das bewies im Grunde gar nichts. Wie Ruby bereits gesagt hatte, konnte dieser Delfin in der Tat irgendein Delfin gewesen sein. Elliot war es jedoch ganz sicher nicht. – Es sei denn, er hatte sich beim Sterben auf dem Deck des Trawlers vor den Augen der Fischer in einen Delfin zurückverwandelt. Das allerdings wäre eine derartige Sensation gewesen, dass man es unmöglich über drei Wochen hätte geheim halten können. Einer der Männer, die sich an Bord befanden, hätte ganz sicher gequatscht. Eine solche Nachricht war nämlich garantiert viele hübsche britische Pfund wert.

»Wozu zerbrichst du dir darüber eigentlich noch den Kopf?«, murmelte ich, faltete die Zeitung zusammen und verstaute sie in dem Klappfach unter der Schreibtischplatte.

Nach kurzem Überlegen ließ ich den Brief meiner Urgroßmutter ebenfalls darin verschwinden. Ich hatte ihn bisher nicht angerührt und würde das auch jetzt nicht tun. Was interessierte mich die Geschichte meiner Vorfahren? Ich brauchte mir kein Foto von meinem Urgroßvater anzuschauen, ich wusste auch so, wer ich war, und würde bis zu meinem Lebensende meine ganze Kraft brauchen, um damit klarzukommen.

Ich lehnte mich zurück und schloss einen Moment lang die Augen, um mich zu sammeln. – Jetzt blieb nur noch die kleine grüne Schachtel.

Es war mir ein Rätsel, was sich darin befand. Da ich außer meiner Armbanduhr keinen Schmuck trug, konnte Tante Grace weder einen Ring noch einen Ohrstecker oder einen Kettenanhänger gefunden haben. Vielleicht handelte es sich aber auch um einen Gegenstand, den sie nicht hatte zuordnen können und von dem sie bloß annahm, dass er mir gehörte.

Zu dumm, dass es auf ihrer Karte keinen Hinweis gab, denn so war ich mir alles andere als sicher, ob ich die Schachtel wirklich öffnen sollte.

Mein Herz schlug einen Takt schneller, als ich meine Finger darumschloss. Langsam hob ich die Schachtel hoch, zog das Klappfach noch einmal auf – und zögerte.

Wenn es beispielsweise ein Geschenk war, würde meine Großtante erwarten, dass ich mich dafür bedankte. Tat ich es nicht, würde sie irgendwann nachfragen, ob es mir gefallen hatte.

Natürlich könnte ich dann immer noch in die Schachtel schauen …

Abermals sah ich zum Regal hinüber, in dem die Karte mit dem Esel stand.

Mir kam Jane in den Sinn und die vielen anderen Silberwerkstätten, die es auf den Kanalinseln gab.

Vielleicht ist es ja doch ein Schmuckstück, dachte ich, eine Kette mit einem Anhänger – zum Beispiel einem kleinen silbernen Esel –, aber da hatte ich den Deckel bereits abgehoben.

Noch während ich das Bewusstsein verlor, wurde mir klar, dass ich der Esel war.