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Nach dem Essen ließ Tante Grace mich nicht entfliehen, sondern verdonnerte mich dazu, »klar Schiff« zu machen, was bedeutete, die Reste in den Kühlschrank zu räumen, das Geschirr abzuspülen und den Herd und die Anrichte zu wienern, worüber ich mich mehr als wunderte, schließlich war die Küche mit all ihrem Gerät das absolute Heiligtum meiner Großtante.

Anschließend bugsierte sie mich ins Wohnzimmer und drückte mir das Telefon in die Hand. Sie wartete, bis ich unsere Lübecker Nummer eingegeben hatte und die Verbindung hergestellt war. Erst als meine Mutter und ich einige eher belanglose Worte gewechselt hatten, tappte sie aus dem Raum und zog die Tür hinter sich zu.

»Ist sie weg?«, fragte Mam.

»Ähm … ja«, sagte ich irritiert.

Sie lachte leise. »Ich höre es an der Art, wie du atmest. Irgendwie entspannter.«

»Ist nicht wahr!«, rief ich aus. Aber warum wunderte ich mich? Ich wusste doch, dass meine Mutter überaus feine Antennen besaß.

»Doch, Elodie!«, erwiderte sie. »Mir ging es damals, als ich bei ihr wohnte, nicht anders als dir. Auch auf mich hat sie aufgepasst wie ein Schießhund, dabei war ich noch ein ganzes Stück älter als du. Na ja, ich wette, sie hat sich kein bisschen verändert.«

»Oh jaaa, sie ist eine Seele von einem Menschen«, flachste ich. »Witzig …«

»Du meinst ironisch

»Nein«, widersprach ich. »Sie kann wirklich witzig sein. Außerdem ist sie warmherzig und sehr klug.«

Mam seufzte. »Ja, das ist sie. Vor allem aber hat sie sehr gern alles unter Kontrolle.«

»Das stimmt«, sagte ich und seufzte ebenfalls, was meine Mutter auflachen ließ.

»Du ahnst nicht, was Tante Grace für einen Aufstand gemacht hat, als sie merkte, dass ich – Achtung, ich zitiere – außergewöhnlich viel Zeit mit Javen verbrachte … Hast du ihn eigentlich mal wiedergesehen?«, erkundigte sie sich beiläufig.

»Nein«, antwortete ich viel zu schnell. Doch zum Glück schöpfte Mam keinen Verdacht. »Wieso?«, schob ich hinterher, in der Hoffnung, ein wenig mehr über die Beziehung zu erfahren, die sie und Javen Spinx damals zueinander hatten.

»Na ja«, sagte sie gedehnt, »wir haben uns gut verstanden, nach meiner Rückkehr nach Lübeck aber leider recht schnell den Kontakt verloren. Es würde mich wirklich interessieren, wie es ihm geht.«

»Ich glaube, er ist sehr beschäftigt«, entgegnete ich. »Hier in England ist er sogar irgendwie prominent. Er weiß ziemlich gut über Delfine und Wale Bescheid, schreibt Artikel über sie und engagiert sich für den Schutz der Meere und so. Der Ärmelkanal scheint jedenfalls ganz oben auf seiner To-do-Liste zu stehen.«

»Hmm«, machte Mam. »Das Leben im Meer hat ihn damals schon begeistert. Er war ein hervorragender Schwimmer und hat im Alter von fünfzehn Jahren bereits Tauchkurse geleitet.«

»Hast du ihn so kennengelernt?«, fragte ich. »Bei einem Tauchkurs?«

»Nein«, sagte meine Mutter. Danach herrschte Stille in der Leitung, und ich dachte schon, das war es jetzt, aber dann fing sie doch noch an zu erzählen. »Es war an einem Abend gleich in der ersten Woche. Ich saß auf einer der Klippen am Strand unterhalb von Tante Graces Garten und plötzlich war er da.«

Ich hatte Mühe, meinen Atem zu kontrollieren. »Wie? Einfach so?«

»Nun, ich war wohl ein wenig in Gedanken versunken gewesen. Javen kam aus dem Meer. Er war schwimmen, stand klatschnass neben mir, aus seinen Haaren tropfte es bis auf die Felsen hinunter, und obwohl es nicht besonders warm war, schien er überhaupt nicht zu frieren. Am meisten faszinierten mich seine hübschen Füße und die feinen Häute zwischen seinen Zehen. Manche Menschen haben ja so etwas. Ich hatte es allerdings noch nie gesehen. Tja«, fuhr sie fort, »er fragte mich, ob er sich eine Weile zu mir setzen dürfe, und ich sagte Ja. Ich glaube, seine Höflichkeit hat mich sehr beeindruckt.«

»Seine Höflichkeit? Nicht sein Aussehen?« Auf die Schwimmhäute wollte ich lieber gar nicht erst eingehen.

»Doch, das auch«, meinte sie versonnen. »Obwohl er eigentlich noch ein Kind war.«

»Aber nicht im Kopf, oder?«, bemerkte ich. »Sonst hättest du dich doch wohl kaum so lange mit ihm abgegeben?«

»In der Tat war er für sein Alter schon ziemlich reif«, gab meine Mutter zu.

»Im Kopf?«

Mam lachte auf. »Wo denn sonst?«

»Na jaaa«, sagte ich nur.

Ich hörte sie tief ein- und wieder ausatmen.

»Du weißt doch, dass ich zu der Zeit längst mit deinem Vater zusammen war.«

»Ja, Mam, das weiß ich.«

»Also denk es nicht einmal.«

»Schon passiert«, sagte ich leise.

»Elodie, ich versichere dir, da war nichts. Er hat nicht einmal den Versuch gemacht.«

Genau wie Cyril, durchzuckte es mich. Diese zweideutige, schwer einzuordnende Art der Zurückhaltung schien demnach wohl eine spezielle Hainix-Mentalität zu sein. »Vielleicht hat er sich nicht getraut, weil du älter warst als er. Noch dazu liiert«, spekulierte ich.

»Ach, nein, das glaube ich nicht. Er hatte einfach kein Interesse daran.« Mams Stimme klang ein wenig belegt, fast schon frustriert.

»Und das hat dich irritiert, stimmt’s?«, hakte ich nach.

»Klar hat es das«, entgegnete sie. »Es wollte mir einfach nicht in den Kopf, dass sein Interesse rein platonisch war.«

»Wieso nicht?« Ich konnte mir einen herausfordernden Unterton nicht verkneifen. »Du wolltest doch auch nichts von ihm.«

»Ach, Elodie«, stöhnte sie. »Was möchtest du denn hören? Dass ich gekränkt war und versucht habe, ihn zu verführen?«

»Hast du?«

»Nein!«

Es kam so klar und spontan heraus, und es klang so ehrlich, dass ich ihr glaubte und es eigentlich dabei hätte bewenden lassen können. Aber ich wollte nun einmal ganz sicher sein. Und deshalb startete ich noch einen letzten Versuch.

»Hör mal, Mam … Wenn du denkst, du würdest mir damit wehtun, wenn herauskäme, dass du Pa betrogen hast …«

»Rede jetzt nicht weiter, okay«, unterbrach sie mich. »Dein Vater und ich waren immer sehr glücklich miteinander. Ich hatte überhaupt keinen Grund, mit einem anderen etwas anzufangen. Weder mit Javen noch mit sonst jemandem. Und zwar zu keiner Zeit.«

»Entschuldigung«, sagte ich kleinlaut. »Ich dachte ja bloß …« Keine Ahnung, wie ich es formulieren sollte.

»Glaub mir einfach.«

»Das tue ich, Mam«, versicherte ich ihr. »Es ist nur …«

»Schon gut, ich kann’s mir denken«, unterbrach sie mich ein zweites Mal. »Du bist genau in dem Alter, in dem ein junges Mädchen solche Dinge beschäftigen. Außerdem hat mir Tante Grace, die alte Plaudertasche, ausführlich von deinen beiden Herrenbekanntschaften erzählt.«

»Weil du sie darüber ausgequetscht hast …?«, fragte ich argwöhnisch.

»Natürlich nicht.«

»Okay«, sagte ich. »Dann kannst du mir ja berichten, was sie dir erzählt hat.«

»Deine Großtante ist einfach nur besorgt«, entgegnete meine Mutter, und es erstaunte mich überhaupt nicht, dass sie offensichtlich nicht daran dachte, auf meinen provozierenden Vorschlag einzugehen. »Und ich kann ihr das auch gar nicht verübeln«, setzte sie sogleich hinzu. »Erstens würde sie es sich nie verzeihen, wenn dir etwas zustieße.« Mam machte eine kleine bedeutungsvolle Pause, in der ich nur mein Herz klopfen hörte. »Und zweitens bin ich inzwischen ebenfalls sehr froh darüber, dass sie so gut auf dich achtet. Nach allem, was auf Sark passiert ist …« Abermals atmete sie geräuschvoll ein und wieder aus. »Ich hoffe ja sehr, dass du dich in Zukunft von dieser Insel fernhältst.«

»Kein Thema«, sagte ich sofort. In dieser Sache brauchte ich zum Glück nicht mal zu lügen. Man hätte mir schon einen ganzen Schwarm Haie auf den Hals hetzen müssen, um mich noch einmal nach Sark zu kriegen. Und mit Haien meinte ich in diesem Fall tatsächlich Haie, nämlich die Tiere. »Obwohl sie die Morde an den beiden Mädchen inzwischen ja aufgeklärt haben.« Diese Bemerkung konnte ich mir einfach nicht verkneifen.

»Ich glaube nicht an diese Mär von einer Bestie, die aus dem Meer steigt und junge Mädchen vergewaltigt und umbringt, falls du das meinst«, gab meine Mutter zurück.

Ich biss mir auf die Unterlippe und drängte die Bilder von dem Trawler, Elliots zappelndem Körper im Netz und den Männern, die wie besessen mit Knüppeln auf ihn eindroschen, energisch beiseite.

»Sie haben aber eine Bestie getötet«, presste ich hervor. »Hat Tante Grace dir das etwa verschwiegen?«

»Es stand sogar in den Lübecker Nachrichten«, erwiderte Mam. »Das heißt aber nicht, dass man diese Geschichte auch glauben muss. Gerüchte verbreiten sich nun mal über die Medien. Gerade über diesen Weg läuft es besonders gut«, bekräftigte sie. »Das könnte sich jemand zunutze gemacht haben.«

»Du denkst also, dass die britische Polizei diese Version absichtlich platziert hat, um von etwas anderem abzulenken?«

»Ja«, sagte sie, »oder den Täter in Sicherheit zu wiegen.«

Ich schwieg, denn ich wusste schließlich sehr genau, wie und durch wen Lauren und Bethany auf Sark umgekommen waren, und ebenso gut wusste ich, dass die Polizei den Falschen erwischt hatte. Irgendwann, wahrscheinlich schon bald, würden sie dahinterkommen und den Kanal aufs Neue durchkämmen. Spätestens dann würde auch meine Mutter realisieren müssen, dass die Gerüchte über die Bestie aus dem Meer brutale Realität waren.

Doch letztendlich war es völlig egal, was Mam jetzt oder vielleicht später einmal darüber dachte. Mir ging es ganz allein um Gordy und seine Sicherheit. Die Angst um ihn und die Sorge, dass seine Besonderheit irgendwann jemandem auffallen könnte, beherrschte mich bis in mein tiefstes Inneres. Ich konnte nur hoffen, dass Kyan, Liam und Zak niemals hierher zurückkehrten und in einigen Monaten Gras über die Sache gewachsen war – und die Legenden über Nixen für immer Legenden blieben. Ohnehin war kein Mensch in der Lage, einen normalen Delfin von einem Delfinnix zu unterscheiden – keiner außer mir.

Bei dieser Erkenntnis wurde mir eiskalt. Wieder einmal kam mir Cecily Windom und ihr dunkles Orakel in den Sinn, und voller Beklemmung wurde mir klar, dass diese Geschichte wohl noch lange nicht ausgestanden war.

»Elodie?«, riss Mam mich ins Hier und Jetzt zurück. »Bist du noch dran?«

»Ähm … ja … natürlich«, murmelte ich und schüttelte den Anflug von Panik, der sich in meinem Nacken festsetzen wollte, energisch ab.

»Ich glaube, das war kein gutes Thema eben«, bemerkte sie ganz richtig. »Vielleicht sollten wir zum Abschluss noch über etwas Erfreuliches reden.«

»Und was?«, fragte ich lauernd, denn ich argwöhnte bereits, dass sie ihren Besuch auf Guernsey ankündigen wollte. Das wäre zwar gegen die Abmachung gewesen, die wir vor Beginn meiner Reise getroffen hatten, damals hatte jedoch niemand wissen können, dass hier diese schrecklichen Morde passieren würden. Meine Großtante hatte mir inzwischen schon mehrmals nahegelegt, wieder nach Hause zu fahren, und Mam hatte angeboten, für eine Weile nach Richmond zu kommen, um mir seelischen Beistand zu leisten. Doch wie sich zeigen sollte, waren meine Befürchtungen völlig umsonst.

»Über deinen neuen Freund«, sagte sie. »Wie heißt er noch gleich?«

»Hat Tante Grace dir das etwa nicht verraten?«

»Doch, schon«, antwortete sie unbekümmert. »Allerdings hat sie so sehr von seinem Aussehen geschwärmt …«

Tante Grace? – Ich fasste es nicht!

»Er heißt Gordian.«

»Gordian«, wiederholte Mam langsam und prüfend, so als würde sie einen Löffel Vanillepudding auf seine Aromastoffe hin analysieren. »Klingt irgendwie nett.«

»Er ist auch nett«, erwiderte ich schlicht.

»Hm, davon gehe ich aus. Sonst hättest du dich wohl kaum in ihn verliebt … und deine Großtante ihn nicht spontan bei sich im Gästehaus einquartiert«, fuhr sie nach kurzem Zögern fort. »Sie meinte, du könntest sonst womöglich unter Entzugserscheinungen leiden«, fügte sie schließlich lachend hinzu.

»Wie lustig«, brummte ich. Offenbar konnte man mit Erwachsenen nicht über solche Dinge reden.

»Ich wiederhole nur, was Tante Grace gesagt hat«, versuchte Mam, mich zu beschwichtigen.

»Im Augenblick ist Gordian auch nicht hier und es geht mir trotzdem gut«, betonte ich.

Meine Mutter seufzte. »Okay, lassen wir das. Ich fürchte, das ist keine Sache, über die man am Telefon sprechen sollte.«

Ich war mir sogar sicher, dass das eine Sache war, über die Mütter und Töchter sich überhaupt nicht austauschen mussten, selbst wenn besagter Freund kein Nix war!

»Sina solltest du aber vielleicht doch ein bisschen mehr darüber erzählen«, empfahl Mam mir. »Sie ist schon völlig verzweifelt, weil du dich gar nicht bei ihr meldest. Ans Handy gehst du ja auch nicht.«

Na, vielen Dank! »Kannst du das nicht einfach mir überlassen? «, knurrte ich.

»Entschuldigung«, sagte sie. »Natürlich kann ich das. Wenn ich geahnt hätte, dass du neuerdings so kratzbürstig bist, hätte ich es gar nicht erwähnt.«

»Ich hab eben eine Menge zu verarbeiten«, gab ich ein wenig patzig zurück.

»Ich weiß, mein Schatz«, entgegnete sie sanft. »Ich weiß.«

Dann schwieg sie, und ich wusste auch nicht mehr, was ich noch sagen sollte. Und auf einmal sehnte ich mich danach, wenigstens für ein paar Minuten in unserer Wohnung zu sein, um mich zu vergewissern, dass sich daheim nichts verändert hatte.

»Tante Grace hat mir übrigens einen Job besorgt.« Ich räusperte mich und fuhr dann etwas lauter fort: »Davon erzähle ich dir demnächst mehr, okay? Sie hat mich nämlich dazu verdonnert, dich zweimal in der Woche anzurufen.«

»Oh, tatsächlich? Ist das nicht ein bisschen übertrieben?«, fragte Mam.

»Das solltest besser du mit ihr klären«, erwiderte ich. »Auf mich hört sie leider nicht.«

Wieder erntete ich von meiner Mutter nur Schweigen, aber dann lachte sie plötzlich laut heraus. »Es ist zum Haareraufen! Da bemühe ich mich seit Jahren, dir eine einigermaßen umgängliche und nicht überbesorgte Mutter zu sein, und kaum bist du mal länger als eine Woche weg, benehme ich mich bereits wie die große Schwester meiner Tante.«

»Du meinst wie deine Mutter«, sagte ich. Ein Grinsen stahl sich auf meine Lippen. »War sie auch so?«

»Nein, eigentlich nicht.« Mit einem Mal klang Mam ziemlich niedergeschlagen.

»Tut mir leid«, stammelte ich.

»Schon gut«, sagte sie. »Ich weiß ja, dass du dich kaum an sie erinnern kannst.«

Eigentlich gar nicht. Meine Oma Holly war gestorben, als ich noch keine fünf Jahre alt gewesen war. Sie hatte irgendeine schnell verlaufende Krebserkrankung, was ich damals natürlich noch nicht kapierte. Nur daran, dass eine Zeit lang alle schrecklich traurig gewesen waren, erinnerte ich mich noch vage.

In meinem Leben hatte die Mutter meiner Mutter nie eine bedeutende Rolle gespielt, zumal mein Opa zwei Jahre später wieder heiratete und ich mit Oma Gundel eine prima Ersatzgroßmutter bekam.

Schon verrückt: Dass Mam in ihrem Leben bereits zwei wichtige Menschen verloren hatte, wurde mir erst in diesem Moment so richtig bewusst.

»Du fehlst mir«, sagte ich leise, und mit einem Mal spürte ich eine Wehmut, die mein ganzes Herz ausfüllte.

»Du mir auch, meine Süße«, krächzte sie. »Du mir auch.«

Nachdem meine Mutter und ich uns voneinander verabschiedet hatten, blieb ich noch eine ganze Weile auf dem Sofa sitzen und starrte vor mich hin. Es war ein gutes Gespräch gewesen, wahrscheinlich das beste, das wir seit Langem miteinander geführt hatten. Es tat mir weh, sie anzulügen beziehungsweise ihr nicht alles erzählen zu können. Außerdem hätte ich sie jetzt sehr gern in den Arm genommen, ihre Wärme und ihre Lebendigkeit gespürt und eins ihrer genialen Sandwiches gefuttert.

Plötzlich fiel mir ein, was sie über Javen Spinx’ Füße gesagt hatte, und ich versuchte, mir zu vergegenwärtigen, ob Cyril ebenfalls Schwimmhäute zwischen den Zehen hatte, konnte mich jedoch beim besten Willen nicht daran erinnern. Was Gordy betraf, war ich mir aber hundertprozentig sicher: Er hatte sie nicht, und daher vermochte ich auch nicht genau zu sagen, ob dies ebenfalls ein Merkmal war, durch das Hainixe und Delfinnixe sich voneinander unterscheiden ließen.

Gedankenverloren stand ich vom Sofa auf, trat in den Flur und steckte das Telefon in seine Station zurück.

»Das war aber ein langes Gespräch, oder?«, fragte Tante Grace aus der Küche.

»Hast du etwa gelauscht?«, fragte ich zurück.

»Na, hör mal!« Ihr empörtes Gesicht tauchte im Türrahmen auf. »Was denkst du denn von mir?«

»Natürlich nur das Schlimmste«, erwiderte ich grinsend.

Meine Großtante gab ihr berühmtes Grunzen von sich. »Dann bin ich ja beruhigt. Und?«, wollte sie wissen. »Alles in Ordnung daheim?«

»Ja, alles bestens.«

»Das ist schön.« Tante Grace sah mich erwartungsvoll an, doch ich hatte nicht vor, ihr etwas zu erzählen. Alles, was sie wirklich interessierte, würde sie auch auf anderem Wege in Erfahrung bringen.

»Ich verzieh mich dann mal nach oben«, sagte ich und deutete auf die Treppe. »Ein bisschen mit Sina chatten.«

»Tu das«, meinte sie. »Ich muss übrigens in einer Stunde noch mal weg, zu einer älteren Dame, die nicht mehr gut zu Fuß ist. Ihre Nichte heiratet und für die Feier braucht sie ein neues Kostüm. Sie lebt allein und freut sich immer sehr, wenn sie mal jemand besucht.« Tante Grace zuckte mit den Schultern. »Ich glaube also nicht, dass wir uns heute noch sehen.«

»Okay …«, entgegnete ich zögernd, denn ich hatte das Gefühl, dass sie das, was sie mir eigentlich sagen wollte, noch gar nicht angesprochen hatte.

»Vergiss deinen Termin morgen nicht.« Aha, das war es also. Hätte ich mir auch denken können!

»Keine Sorge«, sagte ich lächelnd. »Ich komme so gegen neun zum Frühstück runter.«

»Gut.« Meine Großtante lächelte ebenfalls. »Dann wünsche ich dir einen schönen Abend und eine gute Nacht.«