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Sie nutzten den Augenblick meiner Überraschung, nahmen mich in ihre Mitte und pressten ihre Leiber so fest an mich, dass ich nicht mehr entwischen konnte. Mit kräftigen Flossenschlägen preschten sie voran, zurück zur Perelle Bay.

Jane hatte eine viel kleinere und zartere Statur als Javen Spinx, trotzdem schwammen die beiden in völligem Gleichklang. Fasziniert betrachtete ich ihre Gesichter, die unter der haiförmigen Außenhaut hervorschimmerten, und das geschmeidige Spiel der Muskeln ihrer menschlichen Oberkörper. Eingehüllt in ihren süßen Duft ließ ich mich nach Hause bringen, wahrscheinlich wäre ich ihnen sogar freiwillig gefolgt, doch darauf wollten sie sich offensichtlich nicht verlassen.

Als wir die Klippen vor Tante Graces Grundstück erreichten, verharrten die beiden lauschend, dann durchstießen wir alle drei zugleich die Wasseroberfläche und ließen uns von einer Welle in eine Felsmulde spülen. Ich brauchte nicht einmal einen Gedanken an meine Haihaut zu verschwenden, da hatte Jane sie mir bereits um die Schultern geworfen. Sie selbst verknotete ihre über der Brust und Javen Spinx trug sie, genauso wie die männlichen Delfinnixe, um seine Hüften.

Obwohl er mindestens doppelt so alt war wie ich, raubte mir sein Anblick für einen Moment den Atem. Ausreichend Gelegenheit, sein charismatisches Gesicht und die ausdrucksvollen Augen zu bewundern, die innerhalb von Sekundenbruchteilen ihre Farbe wechseln konnten, hatte ich während meiner Reise von Lübeck nach Guernsey ja bereits gehabt. Sein jugendlicher, perfekt geformter Körper verblüffte mich allerdings fast noch mehr.

»Du bist auch nicht gerade hässlich«, meinte er lächelnd. »Um nicht zu sagen, du bist wunderschön.« Er seufzte leise.

»Sie können meine Gedanken lesen«, bemerkte ich peinlich berührt.

»Natürlich. Diesbezüglich gibt es keinen Unterschied zwischen Cyril und mir.«

Ich sah Jane an. »Und dir.«

Sie schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, aber damit kann ich nicht dienen.«

»Ebenso wenig wie Tyler«, fügte Javen Spinx hinzu. »Was gewissermaßen ein Segen ist.«

Ich nickte. Wenn ich an die Szene am Strand in der Cobo Bay zurückdachte, konnte ich ihm nur beipflichten. Insofern war ich wirklich froh, dass Jane ihn aufgespürt hatte. Trotzdem passten in meinem Kopf ein paar Dinge nicht zusammen.

»Ich verstehe das alles nicht. Ich meine …«

»… du verstehst einiges, aber du hast trotzdem eine Menge Fragen«, präzisierte Javen Spinx.

Ich zuckte mit den Schultern. »Doch leider haben Sie gerade keine Zeit, sie mir zu beantworten, da Sie ja ein paar Delfine davon abhalten müssen, heute Nacht an Land zu kommen.«

Mr Spinx sah kurz Jane an und wandte sich dann wieder mir zu.

»Also erstens sind wir, wenn ich das richtig sehe, eben bereits beim Du angekommen, und zweitens haben wir selbstverständlich kein Interesse an einem Krieg …«

»Aber …«, wollte ich einwenden, wurde jedoch gleich wieder von ihm unterbrochen. »Wenn ich wir sage, spreche ich von uns als Art«, fügte er hinzu. »Das Denken und Tun Einzelner kann ich natürlich nicht beziehungsweise nur eingeschränkt beeinflussen.«

»Gibt es viele von diesen Einzelnen?«, fragte ich. »Außer Tyler?«

Javen Spinx spitzte die Lippen, und sein Blick glitt über Jane und mich hinweg aufs Meer hinaus, das sich im Farbton kaum vom Himmel unterschied. Die grauen Wolken hingen tief, fast schienen sie die sich auftürmenden Wellen zu berühren und der Wind peitschte die Gischt meterhoch. Er zerrte an unseren Haaren, als wollte er sie uns vom Kopf reißen.

»Bisher sind es nur wenige«, sagte Javen Spinx. »Aber es könnten mehr werden.«

»Sie meinen … äh, du meinst, wenn zu viele Delfine an Land kommen, werden einzelne Hainixe das nicht akzeptieren?«

Er nickte. »Vereinfacht ausgedrückt, ja. Im Moment weiß allerdings niemand, ob den Delfinen ein Landgang überhaupt noch einmal gelingt.«

»Gordy wird ihnen ganz sicher nicht dabei helfen«, platzte es aus mir heraus. »Er hofft ebenso sehr wie ihr, dass es eine einmalige Sache war.«

Jane legte ihre Hand auf mein Knie und sah mich durchdringend an. »Es liegt nicht in seiner Macht.«

»Woher willst du das wissen?« Ich musste mich verdammt zusammenreißen, um ihre Hand nicht wegzuschlagen.

»Plonxe sind Halbwesen«, antwortete Javen Spinx an ihrer Stelle. »Sie brauchen das Land ebenso sehr wie das Meer. Wo auch immer Gordian lebt, er wird stets Gefahr laufen, dass ihm Delfinnixe unbemerkt an Land folgen und Menschen töten.«

Ich schluckte den harten, schmerzenden Kloß, der sich in meinem Hals festsetzen wollte, energisch hinunter. »Das stimmt so nicht«, widersprach ich heftig. »Wenn er die entsprechenden Mondphasen meidet, hat er das Ganze sehr wohl unter Kontrolle. Und außerdem …«, setzte ich aufbrausend hinzu, »auch wenn ich kein Plonx bin, bin ich dennoch von der äußeren Erscheinung her genau so ein Halbwesen wie er.«

Die letzten Worte riss der Wind mit sich fort, danach herrschte eine unerträgliche Stille, in der Jane und Javen Spinx mich einfach nur ansahen.

»Soll das etwa heißen, dass ich ebenfalls Delfinnixe an Land ziehen könnte?«, stieß ich schließlich hervor.

Jane zuckte die Achseln. »Wir wissen es nicht.«

»Das Einzige, was wir mit Sicherheit sagen können, ist, dass wir dem nicht tatenlos zusehen werden«, ergänzte Javen Spinx. »Doch anstatt weiter über Zukünftiges zu spekulieren, möchte ich dir ein wenig aus der Vergangenheit erzählen … in der Hoffnung, dass du die Zusammenhänge besser begreifst und dich möglichst nie wieder von deinen Trieben zu einer unbedachten, um nicht zu sagen törichten Handlung verleiten lässt.«

Er lächelte, während er zu mir sprach, aber der Tonfall seiner Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass er es sehr ernst meinte.

Betreten sah ich auf meine Hände hinunter, mit denen ich die Haihaut vor meiner Brust zusammenhielt.

»Schau mich bitte an, Elodie«, sagte Javen Spinx scharf und ich hob erschrocken den Kopf.

Sein Blick war nun fest auf mich gerichtet, und seine Augen schillerten in einem unergründlichen, kühlen Lilaton, der mich sofort gefangen nahm.

Ein merkwürdiges Gefühl der Ruhe durchströmte mich, das wenig mit dem zu tun hatte, was Gordys entspannendes Lächeln auszulösen vermochte. Es war eine synthetische Ruhe, so als hätte Javen Spinx mir eine Valiumtablette mit sofortiger Wirkung eingeflößt.

»Gut, Elodie«, begann er nun. »Auf unserem Planeten existieren drei hochentwickelte Spezies nebeneinander: Menschen, Hainixe und Delfin- oder Walnixe.«

»Die Menschen leben an Land und wissen nichts von den Nixen«, fuhr ich fort, um ihm zu signalisieren, dass ich nicht völlig unwissend und es damit auch nicht zwingend nötig war, bei Adam und Eva zu beginnen, doch Javen Spinx schüttelte sogleich den Kopf.

»Das ist nicht ganz richtig«, widersprach er. »Wir Hainixe sind schon seit vielen Jahrhunderten Landgänger. Obwohl wir uns gut zu tarnen wissen und uns äußerst umsichtig verhalten, ist es nicht auszuschließen, dass wir hin und wieder bei unserer Verwandlung beobachtet wurden. So zumindest ließen sich die Legenden erklären, die die Menschen im Laufe der Zeit um uns Nixe gesponnen haben.«

»Es sind mehr als nur Legenden«, wandte ich ein. »Mein Urgroßvater …«

»Nicht nur er«, fiel Javen Spinx mir ins Wort und die Farbe seiner Iris wechselte nun zu einem klaren, betörenden Blau. »Du musst wissen, Elodie, wir Haie sind Einzelgänger und weder an unsere Familie noch an irgendwelche Partner gebunden, was bedeutet, dass wir uns oft sehr einsam fühlen.«

»Wir suchen die Nähe der Menschen, weil sie uns das geben, was wir einander nicht sein können«, hörte ich Jane leise sagen.

Ihre Stimme klang warm und melancholisch, und ich spürte sofort, dass sie nur zu gut wusste, wovon sie sprach. Wie gerne hätte ich nachgehakt, aber Javen Spinx gab mir keine Gelegenheit dazu.

»Wir haben jedoch ziemlich schnell gelernt, dass wir nicht zueinanderpassen«, setzte er hinzu. »Hainixe sind außerordentlich eigensinnig, fast egoistisch, es fällt ihnen schwer, einem Menschen den Freiraum zu lassen, den er braucht.«

»Hat die Beziehung zwischen Tyler und Lauren deshalb nicht funktioniert?«

»Oh, das hat sie!« Über Javen Spinx’ Gesicht huschte ein winziges Lächeln, das seine glatte, makellose Haut in den Augenwinkeln für einen Moment in ein feines Strahlengespinst verwandelte. »Die beiden waren sogar ganz besonders leidenschaftlich ineinander verliebt.«

»Das hat Ruby auch gesagt«, erwiderte ich. »Deshalb war sie ja auch so wütend, als Lauren sich aus heiterem Himmel einem anderen zuwandte.«

»Dieser andere war ein Delfinnix und darin liegt das Dilemma «, sagte Javen Spinx. »Erstens ist es uns nicht gegeben, denselben Zauber auf Menschen auszuüben wie die Delfinnixe, und zudem sind sie auch ihrem Wesen nach vollkommen anders als wir. Sie können nicht allein sein, weshalb man auch nie einen von ihnen ohne seine Gruppe antrifft. Sie ziehen in Allianzen umher, jagen um des Jagens willen und paaren sich zuweilen mehrmals am Tag. Ihnen fehlt jede Form der Zurückhaltung. Sie lassen sich von ihren Trieben leiten, während wir Haie in erster Linie unseren Verstand gebrauchen.«

Seine Worte trafen mich hart, fast fühlte ich mich persönlich von ihnen beleidigt. Ich hütete mich jedoch, mir das anmerken zu lassen oder gar zu widersprechen.

»Im selben Augenblick, als dieser Delfinnix beschloss, Lauren zu besitzen, war sie seiner Magie bereits erlegen«, fuhr Javen Spinx unterdessen fort. »Das arme Mädchen konnte gar nicht anders, als sich ihm hinzugeben. Mehr noch: Sie hat ihn geradezu angefleht, sich mit ihr zu vereinigen.«

Ich stutzte. »Heißt das, ihr habt sie dabei beobachtet?«

Jane nickte. »Einer von uns.«

»Cyril!« – Ich sah es gewissermaßen vor mir.

Wieder nickte sie. »Ja, Cyril. Es war aber eher zufällig.«

»Weil er als Einziger auf Sark lebt?«

»Sozusagen«, bestätigte Javen Spinx. »Er hat einen Unterschlupf in der Nähe des Hafens. Hainixe brauchen nicht viel«, fügte er fast schon entschuldigend hinzu.

»Aber Cyril hat doch nicht etwa gesehen, dass Kyan Lauren getötet hat!«, rief ich aus.

Javen Spinx sog scharf Luft ein und um seine Mundwinkel zuckte es. »Das hätte der Delfin wohl kaum überlebt.«

Ich keuchte leise, denn ich konnte mir nur zu gut vorstellen, was passierte, wenn bei Cyril die Sicherungen durchbrannten. Beinahe körperlich spürte ich die eiskalte Wut in seiner Brust und die Explosion, die sie in seinem Kopf auslöste.

Javen Spinx musterte mich neugierig. Mir war klar, dass er jeden einzelnen meiner Gedanken las, er schien also nach etwas anderem, weniger Offenkundigerem zu suchen.

»Ihr seid euch sehr ähnlich«, sagte er mit einer Wärme, die Jane genauso zu überraschen schien wie mich. Sie sagte allerdings nichts, sondern schüttelte nur kaum merklich den Kopf.

»Cyril ist ein sehr ungewöhnlicher Nix«, nahm Javen Spinx den Faden wieder auf. »Niemand von uns liebt die Menschen so sehr wie er. Cyril würde sein Leben für sie geben. Für jeden einzelnen von ihnen.«

Ich starrte ihn an, versank fast in dem hellen Grün, in dem seine Iris nun schillerte, und fühlte mich dem drückenden Schmerz, der in meiner Kehle heranwuchs und sich allmählich bis unter meinen Gaumen ausbreitete, hilflos ausgeliefert.

»Cyril verfügt über eine immense impulsive Kraft. Doch so absurd es vielleicht klingen mag: Er hat sie selten unüberlegt eingesetzt und ganz sicher niemals aus Eigennutz.«

Javen Spinx’ Worte schnitten mir wie Messerstiche ins Herz. Der Schmerz in meinem Hals pulsierte bis zu meinen Schläfen hinauf, und meine Hände zitterten so sehr, dass ich die Haihaut kaum noch zusammenhalten konnte.

»Ihr … wollt … mir … Gordy … ausreden«, brachte ich stockend hervor.

»Nein«, sagte Jane sanft. »Nein.«

Sie strich mir über die Arme und rückte meine Haut ein wenig zurecht.

»Wir möchten lediglich, dass du deinen Verstand gebrauchst.« Javen Spinx bohrte seinen Blick geradezu in meinen. »Und um das tun zu können, ist es wichtig, dass du alle Informationen bekommst. Nur dann kannst du eine Entscheidung treffen, die möglichst allen dient.«

»Du willst doch nur, dass ich kooperiere!«, fuhr ich ihn an. »Du hasst die Delfine. Das konnte man ja sogar in der Zeitung lesen!«

Javen Spinx senkte die Lider.

»Ich hasse sie nicht«, sagte er leise, dann räusperte er sich. »Ich halte es nur für besser, wenn sie nicht an Land kommen. Und zwar für alle: die Menschen, die Haie und die Delfine. Das Problem ist, dass die Menschen die Meere wie einen gigantischen Mülleimer benutzen. Wir Haie haben das über die letzten Jahrzehnte hinweg mit ansehen müssen. Und du kannst mir glauben, Elodie, ich bin nicht der Einzige, der sich dafür stark macht, dass hier ein Umdenken einsetzt. Leider ist es nicht immer einfach, alte Strukturen aufzubrechen. Auf der einen Seite stehen machtvolle wirtschaftliche Interessen und auf der anderen Massen von Menschen, die die Augen verschließen und sich dem ungebremsten Konsum von Dingen hingeben, die sie eigentlich gar nicht brauchen. Die Folge sind Unmengen von giftigem Abfall, der den ganzen Planeten zu verseuchen droht. Die Meeresbewohner, Delfinnixe eingeschlossen, haben keine Stimme. Sie werden von niemandem gehört. Genau das könnte sich nun allerdings ändern«, fügte er finster hinzu.

»Aber das ist doch gut«, wandte ich ein.

»Nein, das ist es nicht, Elodie«, sagte Jane dicht an meinem Ohr. Sie war ein wenig näher an mich herangerückt. Ihre Hände ruhten leicht und warm auf meinen Schultern. »Die Delfine würden alles zerstören, was wir Hainixe und ein Teil der Menschen in den letzten Jahren zum Schutz unserer Lebensräume erreicht haben.«

»Aber das könnt ihr doch gar nicht wissen«, entgegnete ich matt.

»Die Delfinnixe …«

»… werden sich rächen für das, was ihnen angetan wurde«, schnitt Javen Spinx mir das Wort ab. »Sie rächen sich an den Menschen und an uns, weil sie glauben, dass wir sie vergessen haben, als wir zu Landgängern wurden. Die Delfine wissen nicht viel über uns, eigentlich nur das, was sie wissen wollen, um sich ein möglichst einfaches Urteil zu bilden und …«

»Das ist nicht wahr!«, unterbrach ich ihn heftig. »Gordy ist klug und sensibel. Er hat nichts gegen euch, und er würde niemals absichtlich etwas tun, das euch schadet.«

»Gordy ist eine Ausnahme«, sagte Jane, doch auch das wollte ich – zumindest in diesem Fall – nicht gelten lassen.

»Ich habe seine Schwester kennengelernt. Sie ist ebenso zauberhaft wie er, und ich bin überzeugt davon, dass auch seine Eltern ganz wunderbare Wesen sind.«

»Das mag ja alles sein«, erwiderte Javen Spinx ungeduldig. »Und ich will auch gerne einräumen, dass ich möglicherweise einen Teil der Delfinnixe unterschätze. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass durch sie zwei Menschenmädchen umgekommen sind. Und dass es noch viele, viele mehr werden könnten. Sollte das tatsächlich passieren, würden die Menschen ein Blutbad anrichten und Hainixe wie Tyler ihren Teil dazu beitragen. Wie das Ganze enden könnte, wage selbst ich mir nicht vorzustellen.«

Unheil bringst du. Großes Unheil über die Inseln. Tod und Schrecken …

Silly hatte also recht gehabt.

»Ich bin schuld«, sagte ich tonlos und der Druck von Janes Händen auf meinen Schultern verstärkte sich tröstend.

»Nein.« Javen Spinx schüttelte unwillig den Kopf. »Eher scheint es mir eine Verkettung unglücklicher Umstände zu sein.«

Ich stieß geräuschvoll Luft aus. »In der auch Gordy eine Rolle spielt?«

Absurderweise hoffte ich abermals auf ein Nein, das ich natürlich nicht bekam.

»Sicher«, sagte Javen Spinx. »Delfinnixe treiben sich mit Vorliebe an den Küsten herum. Sie mischen sich unter die Tiere ihrer Art, die hier ihre bevorzugten Jagdgebiete haben. Und ebenso wie ihre tierischen Partner suchen auch sie die Nähe der Menschen, lassen sich von ihnen streicheln und sich von ihrem Aussehen und ihrem Duft betören. Sie beneiden uns Haie schon lange um unsere Fähigkeit, zwischen Meer und Land wechseln zu können. Aber anders als die meisten von uns begreifen sie nicht, dass Menschen und Nixe im Grunde nicht zusammenpassen. Sie sind geradezu verrückt vor ungestilltem Verlangen. Auch wir kennen diese Sehnsüchte, aber wir haben gelernt, sie zu kontrollieren. Dennoch verstehe ich sehr gut, dass Gordy bei deinem Anblick sofort verzaubert war.«

Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte. Er von mir?

Javen Spinx lächelte. »Seine Sehnsucht, bei dir sein zu können, muss ungewöhnlich groß gewesen sein.«

Dann bin also ich diese geheimnisvolle Macht gewesen, die ihn an Land gezogen hat? Und das, obwohl ich nur zur Hälfte ein Mensch bin und zur anderen Hälfte eine Hainixe … Verwirrt richtete ich meine Augen auf Javen Spinx, ihm war jedoch nicht anzumerken, ob er meinen Gedankengängen folgte.

Die Farbe seiner Iris wechselte nun in ein kühles Petrolgrün, und sowohl seine Miene als auch die Haltung seines Oberkörpers verriet, wie frustriert er war. »Ich hätte verhindern müssen, dass du in Lübeck ins Flugzeug steigst. Leider konnte ich damals nicht ahnen, was passieren würde«, presste er bitter hervor. »Ich habe erkannt, wer du bist, und sah es als meine Pflicht an, dich deiner Bestimmung zuzuführen. Ein fataler Fehler, den ich gerne wieder gutmachen würde.«

Es dauerte einen Moment, bis sich die vielen Puzzleteile aus all dem, was ich in den letzten Wochen erlebt und erfahren hatte, in meinem Gehirn zu einem sinnvollen Bild zusammensetzten. Nicht alles wollte richtig passen, das meiste jedoch griff nahtlos ineinander.

»Du hast gesehen, dass ich eine von euch bin …«

Javen Spinx nickte. »Und nicht nur das. Ich habe deine inneren Widerstände gespürt und geahnt, dass du kurz vor deiner Verwandlung stehst. Cyril war sofort bereit, sich deiner anzunehmen.«

Ungläubig sah ich ihn an, doch Javen Spinx zuckte nahezu gleichgültig mit den Schultern. »Wir können ein Halbwesen unmöglich schutzlos seinem Schicksal überlassen. Ich hatte keine Zeit, mich um dich zu kümmern, Tyler war wegen seiner Vernarrtheit in Lauren zu unzuverlässig und …«, sein Blick wanderte zu Jane, »sie sollte eigentlich nie wieder ins Meer zurück.«

»Wegen der Verletzung an deinem Fuß?«

»Der Fuß ist nicht so schlimm«, erwiderte Jane. »Dir ist es vielleicht nicht aufgefallen, aber mir fehlt ein Teil meiner Flosse.«

Das war es tatsächlich nicht. Janes Bewegungen unter Wasser schienen mir absolut synchron mit denen von Javen Spinx gewesen zu sein.

»Ja, weil ich mich auf jeden von euch einstellen kann«, sagte er. »Allein ist Jane längst nicht mehr so schnell und wendig, wie sie es früher einmal war. Aber das ist eine Sache, über die wir uns vielleicht später einmal unterhalten können.«

Und die wahrscheinlich auch Bo einschließt, fügte ich in Gedanken hinzu.