33

HEIMKEHR

Ich werde hier sein, Dante. Genau hier.

Dante holte tief Luft und erwachte. Hinter seinen geschlossenen Lidern zerstob das Bild Heathers, und nur noch einen Augenblick lang konnte er ihr rotes Haar sehen, das wie Flammen in der Nacht loderte. Sie wartete auf ihn. Noch spürte er die warme, weiche Berührung ihrer Lippen und glaubte, sie auf seiner Zunge, auf seinem Mund schmecken zu können.

Er öffnete die Augen. Warmes, enges Dunkel. Sein Herz begann, in seiner Brust zu hämmern. Adrenalin pumpte durch seine Adern. Bilder aus den Stunden vor dem Schlaf schossen ihm ungeordnet und zerbrochen durch den Kopf.

Eine große Klinge ragt aus seiner Brust.

Jemand ruft seinen Namen. Er dreht sich um.

Der Perverse liest ihm mit leiser Stimme und vor Erregung ganz angespannt vor.

Eine bluttriefende Hand tastet ihn ab, wandert über seinen Körper, öffnet seinen Gürtel.

Lucien blickt auf ihn herab, goldene Punkte in den dunklen Augen. Mein Sohn.

»Ich bin noch hier«, sagte Lucien. Seine tiefe Stimme erklang irgendwo vor Dante.

Dante streckte die Hand aus und schob das Dunkel beiseite. Eine Decke. Er setzte sich auf und schüttelte sich das Haar aus dem Gesicht. Noch immer im Van, dachte er, während er die Umgebung in sich aufnahm. Allerdings war die Luftmatratze verschwunden, und der Perverse …

Dante fuhr sich mit der Hand über das zerschnittene, blutige T-Shirt. Er tastete die noch weiche Haut darunter ab, die wieder verheilt war. Seine Muskeln spannten sich unter seinen Fingern. Er erinnerte sich, wie das Messer immer wieder in ihn gefahren war.

Dante zog den Vorhang zurück. Draußen war es dunkel. Lucien saß hinter dem Lenkrad und fuhr den Wagen, den Blick auf die schneebedeckte Straße und die rot leuchtenden Rücklichter des Fahrzeugs vor ihm gerichtet. Dante warf einen Blick auf Elroy, dessen Handgelenk mit Handschellen am Griff oberhalb des Beifahrerfensters befestigt war. Er atmete seinen Gestank nach altem Schweiß, Blut und Hass ein – ein Geruch, der die schwelende Glut seines Zorns erneut zu entfachen begann.

»Wo sind wir?«, fragte Dante, ohne Elroy aus den Augen zu lassen.

»D.C.«

Elroy sah Dante an. »Oh, prima. Du bist wach.« Schatten von Schildern und Straßenlaternen huschten über sein Gesicht.

Dante erinnerte sich an den mit Adrenalin scharf gewürzten Geschmack seines Blutes. In ihm regte sich erneut der Hunger.

»J’ai faim«, sagte er, und sein Blick blieb an dem geschundenen Hals des Perversen hängen.

»Dann labe dich«, sagte Lucien. »Er hat sowieso keinen anderen Nutzen.«

Elroy erstarrte. Dante roch das berauschende Aroma von Angst.

»Ich kenne Ginas letzte Worte – vergiss das nicht«, erklärte er und drückte sich an die Beifahrertür, den Blick auf Dante gerichtet. »Du hast es versprochen. Erst danach.«

»S hat es versprochen«, sagte Lucien. »Nicht Dante.«

»He, Sie sagten, es gäbe keinen S«, protestierte E. »Keinen S, nur Dante.«

Lucien zuckte die Achseln. »Glaubst du alles, was du hörst?«

Stimmen hallten in seinem Inneren wider wie Worte über eine große, weite Schlucht. Dante schloss die Augen.

Alles wieder cool?

Ein, zwei oder auch drei Pfund Fleisch, nicht wahr?

Willst du mich immer noch töten?

»Oui«, sagte Dante. Er öffnete wieder die Augen. Elroy starrte ihn an. »Aber erst danach.«

Der Perverse nickte. »Ja. Genau.«

Dante löste seinen Blick von Elroy, versuchte, das Rauschen des Blutes in seinen Adern auszublenden. Wind schlug gegen das Auto und brachte es zum Schwanken, während immer mehr Schnee gegen die Windschutzscheibe wehte.

Ich habe von Heather geträumt, sandte Dante an Lucien. Ich bin ziemlich sicher, dass Moore sie in ihrer Gewalt hat.

Weißt du wo?

Dante schickte das Bild eines weiß ausgekleideten Raumes. Sein Herz begann, doppelt und dann dreifach so schnell wie sonst zu schlagen. Wespen surrten. Aber die Erinnerung entwand sich ihm wieder.

Ah. Zweifellos das Forschungszentrum.

Die Stadt wirkte öde und verlassen. Ampeln schwangen im Wind hin und her und blitzten im Schneesturm rot, gelb und grün. Eiszapfen hingen von nackten Ästen und an den Rändern von Gebäuden.

Das Auto kroch die Straße entlang. Die Reifen knirschten durch den Schnee. Dante warf einen Blick auf das grün erleuchtete Display des Navigationssystems auf dem Armaturenbrett. Fast da.

Warte auf mich, sendete er, auch wenn er unsicher war, ob Heather ihn hören konnte, da ihre Verbindung durch den Blutaustausch nur vorübergehend war.

Ich komme dich holen. Er hatte zu Jay dasselbe gesagt. Würde er auch Heather im Stich lassen?

Sühne.

Dante-Engel?

Still, Prinzessin. Schlaf wieder ein. Ich werde sie nicht im Stich lassen – nicht wie dich.

Versprochen?

»Versprochen«, flüsterte er, als Chloe durch seine Erinnerungslücken schlüpfte und verschwand. Er versuchte, sie sich vorzustellen, versuchte, sich an ihr Gesicht zu erinnern. Doch er prallte mit Lichtgeschwindigkeit gegen eine Mauer. Schmerz bohrte sich in seine Schläfen. Im Rachen roch und schmeckte er Blut. Sah, wie es ihm auf die Hand troff.

Verdammt. Nicht jetzt!

Dante legte den Kopf in den Nacken, gegen die Nackenstütze. Während die Minuten vergingen, ließ auch der Schmerz nach und drängte sich in den Hintergrund, hinter sein Bewusstsein. Der Van hielt an. Eine Hand berührte ihn am Knie.

»Alles in Ordnung?«

»Ja. Warum hast du angehalten?«

»Wir sind da.«

Dante hob den Kopf und sah an Lucien vorbei aus dem Fenster. Es schneite dicht und heftig. Undeutlich konnte er ein Bauwerk ausmachen, das in der Dunkelheit hinter der Wand aus Schnee stand. Licht fiel aus einigen Fenstern.

Er fasste in die Tasche seiner Jeans und holte die Schlüssel für die Handschellen heraus. Dann kletterte er zwischen die Vordersitze und beugte sich über Elroy, um ihn loszumachen. Er hörte, wie das Herz des Perversen zu rasen begann, und spürte, wie er erbebte. Dante drehte den Schlüssel im Schloss.

Die Handschellen lösten sich von dem Handgriff. »Ich sage dir, wie Ginas letzte Worte lauteten, wenn wir im Gebäude sind«, versprach Elroy und senkte den Arm, »und dann möge der bessere Bad-Seed-Bruder gewinnen.«

»Das ist kein verdammter Wettbewerb.« Dante glitt über ihn hinweg und öffnete die Tür. Eisige Luft und Schnee schlugen ihm entgegen, als er auf den Boden sprang. Der schneebedeckte Asphalt unter seinen Stiefeln fühlte sich unangenehm rutschig an.

Elroy zitterte, diesmal wohl vor Kälte, nicht vor Erregung.

Dante schob den Schlüssel wieder in die Tasche. »Steig aus. Wenn du fliehst, werde ich dich erwischen, und wenn ich dich erwische, bist du ein toter Mann.«

Der Sterbliche biss die Zähne zusammen, und seine Kiefermuskeln spannten sich an. Er sah weg, aber ehe er das tat, konnte Dante noch beobachten, wie ihm einen Augenblick lang die Maske entglitt. Er sah ein grinsendes Monster, dessen leere Augen jeden Schrei, jeden Schmerz in den Gesichtern seiner Opfer in sich aufgesogen und zutiefst genossen hatten.

Es war das Gesicht, das Dante gesehen hatte, als das Messer immer wieder in ihn gefahren war. Einen Augenblick lang sah er rot. Er packte Elroy am Kragen, riss ihn aus dem Auto und in den Schnee.

Der Mann traf mit der Schulter auf dem harten Boden auf und ächzte vor Schmerz.

Dante bückte sich, legte eine Hand um den Arm des Perversen und riss ihn auf die Beine. Wind fuhr ihm durchs Haar und vereiste seine Haut, sein Gesicht. Er spürte Lucien hinter sich, dessen Anwesenheit etwas Wärmendes hatte.

Er dachte daran, wie Heather erklärt hatte, ihr Mörder müsse ein Sterblicher sein, denn die DNS an den Tatorten war die eines Menschen gewesen. Er erinnerte sich an Elroys Hände, die über seinen Körper gewandert waren, ihn begrapschten und befummelten. Er erinnerte sich an die Stichwunden in Ginas Körper und das Anarchiesymbol, das man ihr in die Innenseite des Schenkels geschnitten hatte.

»Ich habe einen Fehler gemacht«, sagte er. »Du hast gelogen. Du hast Gina ermordet. Nicht Ronin.«

»Trotzdem kenne ich ihre letzten Worte«, presste Elroy zwischen klappernden Zähnen hervor.

»Nicht mehr lange.«

Dante stieß den Mann wieder auf den Boden und setzte sich auf ihn. Er drückte seinen Kopf zur Seite, beugte sich vor und versenkte die Fänge in den verletzten Hals des Monsters. Blut spritzte warm in seinen Mund. Elroy stöhnte.

Dante stürzte sich in sein Bewusstsein.

Die Gedanken und Erinnerungen des Perversen strömten wie eine schwarze, schmutzige Flut in Dantes Kopf – voll mit Leichen, ekelhaftem Sex und scharfen Klingen. Dante tauchte tiefer und suchte nach Gina.

Donner hallte durch die Luft. Donner oder ein Schuss.

 

»Ich biete Ihnen ein seltenes, unbezahlbares Geschenk«, sagte Johanna Moore. »Überlegen Sie, was Sie damit tun könnten. Wie viel Gerechtigkeit Sie walten lassen könnten.«

Heather behielt vorsichtshalber die Wand im Rücken und hatte den Blick starr auf die Frau gerichtet. »Wenn ich Nein sage, bekomme ich das weniger seltene Geschenk einer Kugel im Kopf, nehme ich an.«

Moore zuckte entschuldigend die Achseln. »Mir wird keine andere Wahl bleiben.«

»Rechtfertigen Sie so, was Sie tun?«, fragte Heather. Wieder schätzte sie unauffällig die Entfernung von ihrem Standpunkt bis zur Tür ab. »Glauben Sie, Sie helfen der Gesellschaft, indem Sie Mütter umbringen und ihre Kinder zu Mördern machen?«

»Ah, Stearns hat Ihnen die Akte zu lesen gegeben.« In Moores Augen zeigte sich Bedauern. »Dann wissen Sie also, wer S ist.«

»Ich weiß, dass Dante bereit ist, sein Leben für seine Freunde aufs Spiel zu setzen«, erwiderte Heather, »und ich weiß, dass Sie bei ihm versagt haben.«

Moore sah sie belustigt an. »Versagt? Wohl kaum.«

Heather spannte sich an, bereit, loszurennen. Besser, es zu probieren und dabei draufzugehen, als es gar nicht erst zu probieren. »Sie sind eine Vampirin. Wie konnten Sie so etwas tun, wenn Sie …«

Ein Bild drängte sich vor ihr inneres Auge und schob jeden anderen Gedanken beiseite. Sie sah Dantes Gesicht und hörte seine Stimme, kristallklar und inständig: Warte auf mich.

Das Bild verschwand, und sie schwankte benommen. Ihr Herz raste. Dante war in der Nähe. Sie blickte in Johanna Moores geweitete blaue Augen, die plötzlich zu begreifen schien.

»Sie sind nicht Es wegen nach New Orleans zurückgekehrt«, sagte sie langsam. »Sie sind wegen S zurückgekehrt … wegen Dante. Sie haben mit ihm geschlafen, und er hat Ihr Blut getrunken, nicht wahr?«

Heather fasste nach der Glock, doch selbst fassungslos und erstaunt bewegte sich Johanna Moore noch blitzschnell. Sie riss die Waffe nach hinten, so dass Heather sie nicht erreichen konnte, legte ihre freie Hand um deren Hals und stieß sie nach hinten gegen die wattierte Wand. Heather rang um Luft und zerrte an den Fingern, die ihren Hals zudrückten und ihr den Atem nahmen. Sie fühlten sich wie Stahl an. Vor ihren Augen begann es zu flimmern.

»Ja, und jetzt kommt er Ihretwegen. Nicht meinetwegen.« Moore klang ernüchtert und wütend.

Sie ließ Heather los, und diese rutschte an der Wand nach unten. Keuchend holte sie Luft und hustete. Tränen in ihren Augen ließen alles um sie herum verschwimmen.

»Soll ich Sie ihm überlassen?«, flüsterte Johanna Moore. »Soll er es selbst tun?«

»Er ist kein kleiner Junge mehr«, sagte Heather mit schmerzendem Hals und heiserer Stimme. »Er wird nicht mehr auf Sie hereinfallen. Er wird Sie und Ihre Tricks durchschauen.«

»Wird er das?«, zischte die Vampirin. »Wohl kaum.«

Eine Stimme drang aus einem Lautsprecher irgendwo an der Decke. »Doktor Moore. Wir haben Gäste auf dem Parkplatz. «

»Ich komme.«

Sie nahm Heather am Arm und zog sie hoch. Auf ihren Lippen zeigte sich ein hässliches, kaltes Lächeln. »Ich denke, Sie haben noch etwas Bedenkzeit. Mein Vorschlag wäre: Sie stimmen zu, und ich gebe Sie Dante zurück.«

Heather riss sich los. »Er wird nicht auf Sie hören.«

Moore lachte. »Das hat er noch nie.« Sie verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Ein rotes Schild leuchtete auf. VERRIEGELT.

 

Donner und Blitz grollten am Himmel.

Plötzlich war Dantes Gewicht verschwunden, und E rang nach Luft. Er kam auf die Beine und riskierte einen Blick über die Schulter. Der große Mann hielt Dante am Kragen seiner Lederjacke fest. Lenkte seine Aufmerksamkeit vonE – Danke, Kumpel! Aber es wird dir nichts nützen – auf die nahenden Gestalten. Eine der Gestalten hob etwas Langes, Dunkles. Man sah Mündungsfeuer. Wieder krachte es laut und durchdringend.

Schrotflinte.

E rannte.

 

Johanna eilte den Gang entlang zum Sicherheitsraum. Ihre Absätze hallten auf dem gefliesten Boden wider. Ihr Herz flatterte in ihrer Brust wie ein Vogel im Käfig.

Mein père de sang und mein schöner Blutgeborener sind hier, und E.

Lange habe ich mich vor dieser Nacht gefürchtet. Lange habe ich sie herbeigesehnt.

Wallace und S. Johanna schüttelte den Kopf und wunderte sich, wie ihr so etwas Offensichtliches hatte entgehen können. Bei Heather Wallaces rotem Haar war es unvermeidbar, dass S sie begehrte. Glaubte er tatsächlich, sie bedeute ihm etwas? Er will sie retten.

Was, wenn er es tut?

Ah … und wenn er es nicht tut?

Sie zog ihre Karte durch das Schloss am Wachraum, riss die Tür auf und trat ein. Garth und Bennington, durch den Sturm dazu verdammt, im Büro zu bleiben, sahen auf. Nur zwei Wachleute, die wegen des Schneesturms auch nicht nach Hause konnten, waren noch im Gebäude. Johanna registrierte ihre Abwesenheit und nahm an, sie seien nach draußen gegangen, um die ungebetenen Gäste zu begutachten. Sie seufzte. Ronin würde sie natürlich töten.

»Lassen Sie mich sehen«, sagte Johanna und trat an den beiden Agenten vorbei zum Bildschirm. Sie setzte sich in den Stuhl, der davor stand, und betrachtete das Bild. Es zeigte den vorderen Parkplatz. Ein Van stand in der Mitte des völlig verschneiten Platzes. Drei Gestalten befanden sich in der Nähe des Autos, doch der starke Schneefall und der Wind machten es unmöglich, sie genau auszumachen. Eine schien viel größer als die anderen beiden zu sein, und alle waren Weiße. Johanna runzelte die Stirn.

»Wo ist Ronin?«

»War noch nicht zu sehen«, antwortete Garth. »Nur die drei.«

Vor Johannas Augen stieß eine der Gestalten eine andere in den Schnee und setzte sich auf sie. Als sie den Kopf senkte, erstarb der Wind einen Moment lang. Schimmerndes Leder und Ketten, langes schwarzes Haar, bleiche Haut – ihr wunderschönes Kind, und es sah aus, als würde es von E trinken.

Ein Lächeln huschte über Johannas Antlitz. Sieht aus, als könnte ich Wallace E doch nicht überlassen.

Dann erriet sie, wer die dritte Gestalt war. Lucien De Noir, S’ reicher Gefährte und Beschützer.

Kein Hemd. Muss auch Vampir sein.

Zwei Gestalten in Parkas mit hochgezogenen Kapuzen betraten den Parkplatz. McCutcheon und Ramm. Johanna erstarrte. Was hatten die beiden vor? Ihnen einen Parkschein ausstellen? Oder sie vom Anwesen jagen?

»Was …« Johannas Mund schloss sich, als einer der Wachleute eine Pistole – nein – ein Gewehr hob und feuerte. Sie starrte auf den Bildschirm, während der Puls in ihren Ohren dröhnte.

De Noir packte S am Kragen seiner Jacke und zog ihn von E weg, um das Kind mit seinem eigenen Körper zu schützen. Der Schuss verfehlte sein Ziel und ging ins Leere.

»Rufen Sie die beiden zurück«, sagte Johanna durch zusammengebissene Zähne. »Rufen Sie die Idioten zurück, ehe jemand dran glauben muss.«

Die Tür gab ein zischendes Geräusch von sich, als Bennington hinausrannte. Johanna starrte weiter auf den Monitor. E rollte zur Seite, stand mühsam auf und wankte dann in den Sturm davon. Einen Arm trug er in einer Schlinge, die andere Hand presste er sich auf seinen blutenden Hals.

Wieder ertönte ein Schuss. Johanna knirschte mit den Zähnen. S duckte sich und bewegte sich dann übernatürlich schnell. Sie hielt die Luft an, so überrascht war sie von seinem Tempo. Lag das an seinem reinen Blut? De Noir bewegte sich ebenfalls, und seine Geschwindigkeit war genauso erstaunlich. Inzwischen beugte sich S über den Leichnam eines Wachmanns und ballte die Fäuste. Eine hellrot dampfende Lache ließ den Schnee am Boden schmelzen. Johanna blinzelte. Sie hatte nicht einmal gesehen, wie S den Wachmann getötet hatte – wo war der andere? In diesem Augenblick ließ De Noir den gebrochenen Körper des Mannes in den Schnee fallen.

Eine dunkle Vorahnung befiel Johanna, als sie das sah. »Wir lenken sie«, erklärte sie. »Verschließen Sie Teile des Gebäudes und lassen Sie andere zugänglich. So sind wir im Vorteil. «

Schwarze Schwingen flatterten hinter De Noir. Johanna erstarrte und blickte mit offenem Mund auf ihn. Sie vermochte kaum mehr klar zu denken, als er einen Arm um S schlang, mit ihm vom Boden abhob und in den Sturm flog.

Ein Gefallener. Einer der Gefallenen steht S bei. Beschützt ihn – und ich hatte Angst vor Ronin?

Johanna stand auf und blickte in Garths fassungslose Miene. » Gut. Gut. Ich will, dass Sie alles verschließen, was …«

In diesem Moment erschütterte eine Explosion das Gebäude. Der Strom ging aus. Das Gebäude versank in Dunkelheit.

Jetzt spürte Johanna die eisigen Finger echter Angst, die nach ihr fassten.

Lucien ließ den leblosen Körper des Wächters in den Schnee fallen. Seine Flügel entfalteten sich und breiteten sich im Wind aus. Ehe Dante allein losrennen konnte, legte Lucien einen Arm um die Taille des Jungen und stieg gemeinsam mit ihm in die Luft.

»Was tust du?« Dante schlang automatisch einen Arm um Luciens Hals.

»Ich suche ihre Stromquelle.« Der Wind beutelte sie. Eis bildete sich an den Rändern von Luciens Fittichen. Er musterte die Strommasten und lauschte dem gefrorenen Land. Gefangener Strom surrte. Lucien lächelte. Er glitt zum hinteren Teil des Bauwerkes, landete mit nackten Füßen auf dem schneebedeckten Boden und ließ Dante los.

Dante sah die Tür, über der NOTAUSGANG stand und stürmte darauf zu.

Warte hier, bis ich den Strom abgeschaltet habe.

Nein.

Lucien erhob sich wirbelnd in den tosenden Himmel und beobachtete seinen Sohn, der vor dem Notausgang stand. Sein Haar wehte im Wind, während er nach der Türklinke fasste.

Als er auf einen Transformator zuflog, fragte sich Lucien, wo Jordan steckte und ob er wohl erfrieren würde. Er hoffte, das würde nicht der Fall sein. Lucien hatte einen anderen Tod für Elroy Jordan geplant, einen Tod, der seine eigenen Klingen und seine eigene Haut beinhalteten.

Er blieb neben dem Transformator in der Luft stehen und ließ blaue Flammen über den Himmel züngeln.

 

Eine laute Explosion erschütterte das Gebäude. Die Lichter erloschen. Heather starrte ins Dunkel und fasste in ihren BH, wo sie neben der warmen Rundung ihrer Brust die Nagelfeile ertastete, und zog sie heraus.

Sie tappte zur Tür. Kein rotes Licht mehr. Keine Verriegelung. Gab es kein Sekundärsystem? Falls doch, musste sie jetzt schnell sein, ehe es ansprang. Sie warf sich gegen die Tür, und sie ging auf. Mit rasendem Pulsschlag trat Heather aus der Gummizelle in den dunklen Gang hinaus. Dort presste sie sich an die Wand und lauschte, während sie ihren Augen Zeit gab, sich an die Finsternis zu gewöhnen.

Rote Lichter gingen an und ließen den Flur unheimlich erglühen. Mit der Nagelfeile in der Hand machte sich Heather auf. Während sie den Gang entlangeilte, fragte sie sich, wer wohl eingetroffen war. Jordan? Dante? De Noir musste bei Dante sein. Lebte Jordan überhaupt noch?

Sie dachte an Dantes Worte: Ich komme dich holen, chérie.

Ich bin hier, rief Heather in Gedanken. Ich bin hier.

Ein Bild Dantes erschien vor ihrem inneren Auge und ließ alle Sorge und Angst verschwinden. Ihr wurde schwindlig, und sie kam ins Stolpern. Gerade noch rechtzeitig stützte sie sich an der Wand ab, um nicht zu fallen. Schwer atmend schloss die Augen. In ihrem Körper flackerte ein Feuer.

Dante hatte sie gehört und geantwortet.

Er war auf dem Weg.

 

E zitterte am ganzen Körper, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Seine Hände und Füße waren taub vor Kälte, doch sein Herz stand in Flammen – ein Inferno. Ein Inferno, in das er seinen trügerischen Bad-Seed-Bruder reißen wollte. Er grinste hasserfüllt oder versuchte es zumindest. Aber auch sein Gesicht war steif vor Kälte. Möglicherweise zeigte sich auf seiner Miene aber doch ein Grinsen und würde dort bis in alle Ewigkeit festfrieren.

Er ließ sich hinter einen Busch nieder und beobachtete, wie sich De Noir – Wow. Schwingen. Verdammte Scheiße! – in die Luft erhob und Dante mit sich nahm. Noch etwas, das Ronin zu erwähnen vergessen hatte. Wichser.

E kam vor Wut die Galle hoch, und er schluckte. Er dachte an die Spritze, die in seiner Schlinge steckte. Dann fielen ihm der Duft der Schwarzkirschen und Ginas letzte Worte ein. Er wusste, dass Dante ihn nicht verlassen würde, ohne sie zu erfahren.

Wumm!

Es Herz hämmerte in seiner Brust, und er warf einen entsetzten Blick über die Schulter. Die Lichter im Forschungszentrum waren aus. Ohne zu zögern sprang er auf, drehte sich um und rannte auf die Eingangstür und die Wärme im Inneren zu. Noch im Laufen spürte er, dass Dante im gleichen Moment wie er das Gebäude betreten würde.

Ein Wettbewerb – genau das war es. Mochte der bessere Bad-Seed-Bruder gewinnen!

E griff nach der vereisten Klinke, riss die Tür auf und stürmte hinein.

 

Dante riss die Tür auf und rannte ins Haus. Dann blieb er stehen. Er fühlte sich plötzlich seltsam unbehaglich, und Furcht kroch ihm das Rückgrat hoch. Er atmete den Gestank von Pinien-Antiseptikum und Ammoniak ein. Sein Erinnerungsvermögen setzte ein.

Eine Frau mit blauen Augen, die vor Faszination und Begeisterung fast schwarz waren, beobachtete ihn, während sie ein Messer in seine Seite rammte …

Nein, das war der Perverse … oder …

Wespen dröhnten und stachen zu, um ihr Gift unter die Haut zu spritzen. Ich war schon mal hier. Schon oft. Dante verdrängte den Gedanken und versuchte, die Erinnerung zu vergessen, doch sie ließ sich nicht abschütteln. Zersplitterte Bilder wirbelten durch seinen Kopf: Fesseln, die in seine Handgelenke, seine Knöchel, seine Brust schnitten; ein Tropfen an der Spitze einer Injektionsnadel; weiße Wände, blutbeschmiert.

Das Dröhnen ließ nach, und Dante erschauderte. Heather. Verdammt, konzentrier dich auf Heather. Brich jetzt verdammt nochmal nicht zusammen. In seinen Schläfen und hinter seinen Augen pochte es. Er schob den Schmerz beiseite.

Rote Lampen gingen an. Unheimliches Licht erfüllte den Gang.

Heathers Stimme flüsterte in seinen Gedanken: Ich bin hier. Ich bin hier.

Dante lauschte auf ihr Herz, auf den ebenmäßigen, ruhigen Rhythmus. Da. Weißes Licht flackerte am Rand seines Sichtfelds auf.

Er rannte, wie er noch nie gerannt war.

 

Johanna trat auf den Gang. Die Notfallbeleuchtung schaltete sich ein und flutete das Gebäude mit Rotlicht. Garth kam hinter ihr aus dem Wachraum, die Waffe gezückt.

»Schießen Sie auf keinen Fall auf S«, sagte Johanna. »Für ihn habe ich ein Beruhigungsmittel.«

»Was soll ich tun, wenn er auf mich zurast? «, fragte Garth mit hochgezogenen Brauen. »Ihm meine Waffe entgegenwerfen? Ihm den Hals darbieten?«

»Sie wollten ihn doch sehen! Jetzt ist er da. Kommen Sie ihm nicht in die Quere. «

» Großartig. Was ist mit dem Typen mit den Flügeln?«

Gute Frage. »Ich würde auch in seinem Fall raten, ihm nicht in die Quere zu kommen.« Damit setzte sich Johanna übernatürlich schnell in Bewegung und ließ Garth mutterseelenallein und laut fluchend zurück.

Ihr kleiner, hübscher Blutgeborener lief durch Gänge, die er seit sechs Jahren nicht mehr betreten hatte. Das letzte Mal, als sie ihn unter Drogen gesetzt und abgeholt hatte, war er siebzehn gewesen. Natürlich konnte er sich nicht daran erinnern; es war ein weiterer weißer Fleck in seinem Gedächtnis.

Doch diesmal lief S durch diese Gänge, weil er es so wollte. Weil er Wallace retten wollte. Weil er Johanna entgegentreten wollte. Ihr Herz begann erneut zu rasen, als sie an seine Geschwindigkeit dachte.

Mir entgegentreten? Er ist gekommen, um mich zu ermorden. Das kennt er. Töten liegt ihm im Blut.

 

Heather warf einen Blick den rot erleuchteten Korridor entlang. Sie spürte noch immer die Wärme von Dantes geistiger Berührung, und seine gefühlte Stimme hallte in ihrem Inneren wider: Ich komme.

Sie stieß sich von der Wand ab und rannte in Strümpfen den Flur hinunter, wobei ihr das grüne Leuchten des AUSGANG-Schildes als Wegweiser diente. Sie konnte nicht hier warten, bis Dante sie fand. Sie konnte es nicht riskieren, dass Moore sie zuerst entdeckte und Dante sich vielleicht dazu gezwungen sehen würde, sich für sie zu opfern. Denn sie wusste, dass er das wenn nötig tun würde.

Pssst. Je suis ici.

Die Unterseite der Finger ihrer rechten Hand schmerzte eigentümlich. Heather warf einen Blick darauf und stellte fest, dass sie die Nagelfeile so festhielt, dass sie ihr ins Fleisch schnitt und die Knöchel weiß heraustraten. Als sie sich zwang, die Muskeln etwas zu entspannen, hörte sie leise Schritte hinter sich, die sich ihr verdammt schnell näherten …

»Stehen bleiben, Wallace. Bleiben Sie genau da stehen.«

Heather hörte das charakteristische Geräusch eines Geschosses, das in die Kammer glitt, und nahm den schwachen Duft von süßer Melone wahr. Trench. Parkas Partnerin.

»Ich bin nicht die, um die Sie sich Sorgen machen müssen«, sagte Heather und legte die Finger wieder über die Nagelfeile. »Er kommt und holt mich.«

»Psychoköder. Ich weiß. Drehen Sie sich um, und zwar langsam.«

»Gehen Sie«, drängte Heather, während sie die Entfernung bis zur nächsten Ecke im Korridor abschätzte. Wenn man sie als Köder brauchte, würde Trenchcoat es dann riskieren, sie zu ermorden?

»Denken Sie nicht mal daran. Ich werde Ihnen ins Knie schießen.«

Heather starrte geradeaus. Ließ die Feile mit der Spitze nach vorn zwischen die Finger ihrer schweißnassen Hand gleiten. Sie hörte Moore sagen: Soll ich Sie ihm überlassen?

Nicht deine Entscheidung. Heather wirbelte nach links herum, wobei sie die Hand hochriss, um Trenchcoat mit der Spitze der Feile einen Schlag gegen die Schulter zu verpassen. Dann erstarrte sie.

Elroy Jordan stand vor ihr und rammte der Frau gerade eine Spritze in den Hals. Die Agentin riss den Mund auf, und ihre Augen rollten nach hinten. Die Pistole fiel ihr aus der Hand und schlug scheppernd auf dem Fliesenboden auf. Er sah Heather an. In seinen Augen tat sich ein Abgrund auf – der emotionslose Blick eines Haifischs.

»Sieht aus, als ob sie sich meinetwegen hätte Sorgen machen müssen«, erklärte Jordan, während Trenchcoat mit zuckenden Gliedern auf den Boden stürzte. Er schüttelte amüsiert den Kopf. »Das war eigentlich für meinen Bad-Seed-Bruder gedacht.«

Trenchcoat regte sich nicht mehr. Ihre Augen waren weit aufgerissen, und der beißende Geruch von Urin erfüllte den Flur.

»Hoppla«, grinste Jordan.

Heather senkte die Hand und presste die Finger noch fester um die Nagelfeile. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust. Jordan lebte, wenn er auch mit seinem hämatomübersäten, zerbissenen Hals und dem Arm in der Schlinge mitgenommener als beim letzten Mal aussah.

Sein Blick richtete sich auf die Waffe, die zwischen ihnen lag. »Meine treue Heather«, flüsterte er. »Ich wusste, du würdest meinetwegen kommen.« Er blickte auf. »Aber S gehört trotzdem mir. «

»Falsch«, sagte Heather. Sie stürzte sich auf die Pistole.

Jordan hechtete im selben Atemzug auf die Waffe zu. Als sich seine Finger um den Griff legten, stach ihm Heather die Feile in den Handrücken. Er stieß einen Schrei aus, woraufhin sie die blutige Feile wieder herausriss und sie erneut hob.

Doch Jordan wirbelte auf den Knien herum und trat die Waffe über den Boden des Korridors. Sie schlitterte über die schimmernden Fliesen ins Dunkel, so dass Heather sie nicht mehr sehen konnte.

Jordan sprang auf. »Wer Dante zuerst findet, kann ihn behalten. « Er blickte Heather tief in die Augen. Das Kaleidoskop des Abgrunds tat sich einen Augenblick lang auf, und sie starrte in endlose, gierige Schwärze. »Auf die Plätze, fertig, los«, sagte er.

Heather rannte.

 

Johanna erreichte die medizinische Abteilung und legte die Finger auf die Klinke. Ein Schrei hallte durchs Gebäude, der sie innehalten ließ. Ein Mann – Bennington? E? Ein Schatten huschte am Ende des Gangs über die Wand. Sie riss die Tür auf und drängte hinein. Nachdem sie die Tür wieder geschlossen hatte, versuchte sie, ihr wild schlagendes Herz zu beruhigen. Vorsichtig warf sie einen Blick aus dem Fensterchen in der Tür.

Sie spürte ihn, ehe sie ihn sehen konnte – eine Mischung aus Schmerzen, Zorn und Verzweiflung bohrte sich in ihre Schilde. Er rang um Selbstbeherrschung. Er brannte.

Leise zog sie die Schuhe aus und schlich dann langsam rückwärts zu den Schränken mit den Medikamenten. S’ Schatten hielt inne und zuckte im roten Licht an der Wand. Schweißperlen liefen Johanna zwischen den Brüsten und an den Schläfen herab.

Noch während sie den richtigen Medikamentenschrank öffnete, flog die Tür auf und knallte gegen die Wand, so dass der Putz abbröckelte. Sie hob die Glock. S trat ins Zimmer, und einen Augenblick lang verschlug es ihr den Atem. Wie immer brachte sie seine unfassbare Schönheit vollkommen aus der Fassung.

»Willkommen daheim«, sagte sie schließlich nach einer längeren Pause.

S blieb stehen, seine dunklen Augen wirkten verblüfft. Er zuckte zusammen und fuhr sich mit den Hand an die Stirn. Blut troff ihm aus der Nase.

»Dante!«

Er wirbelte herum. Die rothaarige Agentin hielt sich am Türrahmen fest, als sie in Strümpfen auf den Fliesen schlitternd zum Stehen kam. Sie sah an S vorbei zu Johanna.

Er will Wallace retten.

Ah … und wenn er es nicht tut?

»Scheiße«, sagte Wallace.

Johanna schoss.

 

Ein Schuss hallte den Gang entlang. Es Herz blieb einen Augenblick lang stehen. Er schlich um die Ecke und hielt sich daran fest. Dante kniete auf dem Boden und hatte seine Heather in den Armen. Sie berührte mit zitternder Hand das hübsche Gesicht des Verräters. E erstarrte.

Hatten ihre Augen gerade golden geschimmert? Für Dante? Für diesen betrügerischen, verlogenen und hinterhältigen Bad-Seed-Bruder?

Sieht aus, als habe Heather das Rennen gewonnen. Feuer verbrannte Es Herz. Er fasste in seine Schlinge, seine Finger umschlossen die Spritze. Jetzt tat es ihm leid, dass er die ganze Ampulle in diese Blondine mit Pferdeschwanz gejagt hatte, und er wünschte sich, noch etwas für Dante aufgehoben zu haben. Mit vor kaltem Hass bebender Hand zog er die Spritze heraus.

Etwas schimmerte im tiefroten Licht auf dem Boden. Ein Geschenk für den übelgelaunten Gott?

Der widerwärtige Blutsauger beugte sich herab und küsste Heather auf den Mund.

Es Herz loderte auf und zerfiel zu Asche. Schmeckt sie nach Honig? Ich wette, sie schmeckt nach Honig. Mit der Spritze in der Hand schlich er weiter, den Rücken noch immer gegen die Korridorwand gepresst.

Ein Pfeil bohrte sich in Dantes Hals. Der Blutsauger erbebte zwar einen Augenblick, fuhr aber dennoch fort, Heather zu küssen. Oder gab er ihr Mund-zu-Mund-Beatmung? Nein, die Finger seiner Heather waren in Dantes schwarzem Haar vergraben.

Woher war der Pfeil gekommen?

E hielt hastig an und beobachtete, wie Johanna Moore aus dem Raum hinter Dante trat, sich über ihn beugte und den Pfeil wieder aus seinem Hals zog. Sie streichelte ihm übers Haar.

»Du hast versagt«, flüsterte sie. »Wieder einmal.«

Wieder erzitterte Dante. Ein Schauder schien ihm über den Rücken zu laufen, ehe er zur Seite sackte, Heather noch immer in den Armen, die ihre Finger noch immer in seinem Haar vergraben hatte.

Zusammen.

Ein seltsames Wehklagen erfüllte plötzlich den Flur, hob und senkte sich wie eine heulende Sirene. E bemerkte erst jetzt, dass er rannte, die Spritze in der verletzten Hand erhoben wie ein Messer. In diesem Moment blickte die Mamaschlampe hoch und sah ihn an.

» Llleeeeckmiiich!«

Mit der gesunden Hand hob er im Laufen das glänzende Geschenk vom Boden auf. Metallisch, scharf und dünn. Eine Nagelfeile.

Mamaschlampe Moore riss die Waffe hoch und schoss. Schmerz breitete sich wie eine aufgehende Blüte in Es Brust aus – brennend heiß und voller Dornen. Grinsend rannte er weiter. Mamaschlampe schoss erneut. Eine weitere Schmerzensblume ging in Es Bauch auf. Er hechtete und flog auf sie zu – ein goldener Pfeil, ein furchtbarer, mächtiger Gott des Todes. Eine goldene Aura umgab ihn, brannte heiß und erbarmungslos.

Der Gott knallte gegen Johanna Moore und riss sie ins Zimmer zurück. Die Spritze brach in ihrem Hals ab, die Nagelfeile bohrte sich in ihren Magen. Hustend stieß sie den Gott von sich. Aus dem Bauch des Gottes lief Blut, das ihm auch in den Mund floss. Er grinste noch immer. Mamaschlampe griff nach der abgebrochenen Spritze in ihrem Hals und zog sie heraus. Dann hob sie den Blick und sah hoch und höher.

Endlich sieht sie mich, dachte der Gott.

Mamaschlampes Gesicht wurde immer blasser.

Zufrieden schloss der Gott die Augen.

 

Etwas Heißes, Feuchtes breitete sich auf Heathers Bluse aus. Sie sah an sich hinab. Hellrotes Blut. Aus der Arterie. Dante fing sie auf, als sie fiel, und nahm sie in seine starken Arme. Sie sah ihn an und versuchte zu sagen: Es tut mir leid, aber sie konnte nicht sprechen.

Dante drückte sie an seine Brust und fiel auf die Knie. Mit bebender Hand strich sie über sein schönes, entsetztes Gesicht und fuhr mit dem Daumen unterhalb seines linken Auges entlang.

»Nicht um mich, Dante«, flüsterte sie und zeigte ihm die Träne an ihrem Finger. »Um mich musst du nicht weinen. Es ist nicht deine Schuld.«

Dante zog sie näher an sich. Seine Wärme strahlte in sie über. »Ich werde dich nicht verlieren.« Er hob den Arm und biss sich ins Handgelenk. Dunkles Blut trat auf seine bleiche Haut. Er presste die Wunde an ihre Lippen. »Trink«, drängte er. »S’il te plaît.«

Sein Blut verschmierte sich auf Heathers Lippen, als sie den Kopf wegdrehte. Es duftete nach blauen, sonnenwarmen Trauben und schmeckte wie Dantes Küsse – berauschend und verführerisch. Ihr Hals verengte sich.

»Nein«, wisperte sie. Die Welt um sie herum begann zu verschwimmen. »Nein, ich will bleiben … was … ich … bin …« Es schüttelte sie plötzlich vor Kälte, und sie fühlte sich schläfrig.

Goldenes Feuer blitzte in Dantes Augen auf. Er senkte den Kopf und küsste sie.

 

Dantes Gesang regte sich in seinem Inneren. Ein Akkord folgte dem nächsten. Er senkte den Kopf und küsste Heathers blutige Lippen, während er seine Melodie in sie hauchte. Er füllte sie mit seinem Wesen und entzündete einen blauen Glanz in ihrem Inneren. Er stellte sie sich heil und ganz vor und wob blaue Fäden durch ihre Wunde. Heathers Finger vergruben sich in seinem Haar. Ihr schwächer werdendes Herz schlug wieder kräftiger und schneller.

Etwas stach Dante in den Hals.

»Du hast versagt«, flüsterte eine Stimme. »Wieder einmal.«

Eiseskälte breitete sich in ihm aus, und er erbebte, als sich diese wie Eis in seinen Venen verhärtete. Sein Lied wurde schwächer und erstarb.

»Das ist nicht wahr«, murmelte Heather an seinen Lippen.

Er schmeckte das Salz ihrer Tränen. Einen Augenblick lang loderte erneut ein Feuer in ihm auf, das er in sie atmete, ehe sie gemeinsam unters Eis sanken und durch eine sternenlose Nacht stürzten.

 

Schmerz und Trauer brandeten wie zwei Orkane gegen Luciens Schilde und zogen sich dann zurück, nur um erneut noch heftiger und gefährlicher aufzubrausen. Er rannte los, um seiner Verbindung zu Dante zu folgen. Trauer und Verlust hallten in Lucien wider wie ein abgebrochenes Lied, während zugleich Energie aufstieg – erweckt durch die Macht eines Creawdwrs. Dann verlor Dante das Bewusstsein.

Als Lucien um die Ecke bog, sah er Jordan, der sich auf Moore stürzte, eine Spritze in der einen Faust, ein Metallstück in der anderen. Er beobachtete, wie Moore zweimal auf Jordan schoss, ehe der Sterbliche sie erreichte. Beide fielen. Ihre Waffe schlitterte über den Boden und blieb neben Dantes Rücken liegen.

Dieser lag im Korridor, die Arme um Agent Wallace geschlungen. Schwächer werdende blaue Flammen leuchteten und züngelten um sie herum. Lucien hörte Dantes Gesang und den gleichmäßigen Herzschlag, er roch die chemischen Substanzen, die durch sein Blut flossen. Das Herz der Agentin hingegen raste wie rennende Schritte auf Asphalt.

Mit einem Satz stand Lucien neben seinem betäubten Sohn und der Frau, die ihm so viel bedeutete – die ihm so viel bedeutete, dass er bereit war, seine Sicherheit aufs Spiel zu setzen, um sie zu retten. Aber war er im Grunde nicht immer so gewesen?

Das war eines der Dinge, die Lucien an Dante am meisten schätzte und liebte – sein mitleidiges Herz. Trotz all der Qualen und Torturen, denen Moore ihn ausgesetzt hatte, war es ihr doch nie gelungen, ihm sein Mitgefühl zu rauben oder seinen Geist zu brechen. Er war verletzt, ja, und vielleicht würden einige der Wunden nie ganz verheilen. Aber er würde überleben, und er würde lieben.

Lucien sah Genevieve in jeder liebevollen Tat Dantes, in jeder Freundlichkeit, die er zeigte. In diesem Moment glaubte Lucien seine lachende, dunkelhaarige, kleine Genevieve zu erblicken.

Aber was die Frau betraf, die sie umgebracht hatte …

Lucien drehte sich um und beobachtete, wie sich Moore von Jordans Körper befreite. Ihre Hand griff nach der Spritze in ihrem Hals. Sie riss sie heraus. Blut troff aus dem Einstich. Als ihr Blick an Luciens Körper nach oben wanderte, erstarrte sie.

Sie wurde leichenblass, und ihre Finger, die bereits nach dem Metallstück in ihrem Bauch gefasst hatten, hielten inne.

Jordans Lippen, auf denen blutiger Schaum stand, verzogen sich zu einem Lächeln. Er schloss die Augen.

»Erinnern Sie sich an Genevieve Baptiste? «, fragte Lucien und kniete sich neben Dante. »Die Mutter meines Sohnes?« Er hob Moores Waffe und schleuderte sie den dunklen Gang hinunter, so dass sie außer Sichtweite schlitterte.

Johannas Gesicht war leichenblass vor Entsetzen. Ihre Augen weiteten sich. »Ihr … Sohn?«, flüsterte sie.

»Oui, mon fils«, antwortete Lucien. Als er Heather ansah, schlug diese die Augen auf. »Aber Sie haben meine Frage nicht beantwortet: Erinnern Sie sich an Genevieve Baptiste? «

Lucien legte einen Arm um Heathers Schulter und zog sie hoch, so dass sie sich sitzend gegen die Wand lehnen konnte. Sie hielt den Blick auf Dante gerichtet; es widerstrebte ihr anscheinend, ihn loszulassen. Lucien berührte sie mit einer Kralle unter dem Kinn. Sie fixierte ihn mit schockgeweiteten Augen.

»Alles wird gut«, versprach er.

Sie holte tief und zitternd Luft und zuckte dann mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen. Lucien strich ihr das Haar aus dem Gesicht. Ihre Wunde blutete zwar nicht mehr, aber sie brauchte ärztlichen Beistand. Das Beruhigungsmittel hatte Dante davon abgehalten zu Ende zu bringen, was er begonnen hatte.

»Ich warte«, sagte Lucien.

»Ja … ich … ich erinnere mich an sie«, stammelte Johanna Moore heiser. Sie riss sich die Feile aus dem Bauch, und das Instrument fiel laut klirrend zu Boden.

Lucien fuhr sich mit einer Kralle übers Handgelenk. Blut trat aus. Er sah Moore von unten herauf an. »Sagen Sie ihren Namen.«

»Genevieve Baptiste«, hauchte Moore. »Das wusste ich nicht. Sonst hätte …«

»Still«, sagte Lucien und nahm Dante in die Arme.

Moore schloss den Mund.

Lucien presste sein blutendes Handgelenk an Dantes Lippen. Der Blutgeruch weckte Dantes vampirische Instinkte, und er saugte an der Wunde, um die heilende Flüssigkeit in sich aufzunehmen. Lucien wusste, dass er damit nicht völlig dem Betäubungsmittel entgegenwirken konnte, aber es würde den Effekt zumindest mindern.

Er hob den Kopf und starrte Moore an. »Ich kenne die Akte. Ich habe die CD gesehen. Ich weiß, was Sie Dante angetan haben. Ihm und seiner Mutter – meiner großen Liebe.«

Die Frau wandte den Blick ab. Mit bebender Hand fuhr sie sich durchs blonde Haar.

Warum hast du uns verlassen?

Lucien empfand bitterste Reue. Vielleicht verdiente er es, dass Dante ihn hasste.

Genevieve, ich bin jetzt bei unserem Sohn. Er ist in Sicherheit.

Er nahm sein Handgelenk von Dantes Mund, beugte sich vor und küsste ihn, um ihm mit jedem Atemzug neue Energie zu geben. Innerlich drängte er seinen Sohn, wieder zu sich zu kommen.

Wach auf, Kind. Es ist Zeit, Rache zu nehmen.

Es ist Zeit, dich von der Vergangenheit zu befreien.

Dante schlug die Augen auf. Sie waren weit und goldumrandet.

 

»Räche deine Mutter«, flüsterte Lucien, »und nimm Rache für dich selbst.«

Dante schob Luciens Arme weg und setzte sich auf. Der Korridor drehte sich. Bunte Punkte tanzten vor seinen Augen. Sein Kopf schmerzte, aber eine ganz andere Art Schmerz bohrte sich in sein Herz.

Heather.

Er sah zu ihr und stellte fest, dass sie an die Wand gelehnt dasaß, ein Lächeln auf den blutleeren Lippen. Ohne zu zögern stand er auf und trat zu ihr, um eine Hand auf ihre Wange zu legen.

Nun, da er wusste, dass sie am Leben war, konnte er aufatmen. Er hatte sie mit Energie und seinem Gesang durchflutet und nach dem gesucht, was in ihr zerstört worden war. Zwar war er nicht sicher, was er getan hatte, aber es hatte funktioniert. Er hatte sie nicht verloren, und nur das zählte.

Heather legte ihre Hand auf seine. Ihre Haut war kühl, während in ihren Augen Verwunderung stand. »Ich höre einen Gesang. Er ist dunkel, zornig und herzzerreißend. Großartig. Kommt er von dir? «

Dante nickte. Er beugte sich vor und küsste sie, ehe er seine Finger zwischen die ihren schob. »Hör nicht hin«, murmelte er an ihren Lippen. » Verschließe dich dagegen. D’accord?«

»Lass es. Ich kann Moore anklagen lassen«, antwortete Heather. »Lass los, Dante. Lass es.«

Er lehnte sich zurück. »Nein.« Noch einmal drückte er ihre Hand, ließ sie los und stand auf.

Heather schloss die Augen. »Dickkopf«, wisperte sie kaum hörbar.

Dante drehte sich auf dem Absatz um und ging durch den Gang an Lucien vorbei. Heathers Angst presste sich wie eine Rose gegen sein Herz. Um ihn … sie hatte nicht Angst um sich, sondern um ihn.

Pass auf sie auf.

Natürlich.

Der Körper Elroys des Perversen lag ausgestreckt unter der Tür. Sein Hemd war über und über voller Blut, seine Augen blickten leer, sein Herz schwieg. Die Leiche gab ihre letzte Wärme ab. Dantes Hände ballten sich zu Fäusten. Gina. Elroy hatte den letzten Teil von ihr mit ins Grab genommen.

»Nenne die Person, die du liebst«, flüsterte Dante und stieg über den Perversen hinweg.

Morgen wieder?

Immer, ma petite.

Er betrat ein Zimmer, das nach begrabenen Erinnerungen, altem Blut und Medikamenten stank. Er betrachtete die Frau, die an der gegenüberliegenden Wand stand – groß, blond, ein Nachtgeschöpf. Ohne den Blick von ihm abzuwenden, tastete sie nach einer Betäubungspistole, die sich hinter ihr auf einer Ablage befand.

 

Bilder schossen ihm durch den Kopf: Sie sieht lächelnd auf ihn herab. Er steckt in einer Zwangsjacke und riecht Chloes Blut, das auf dem Boden gerinnt. »Gut gemacht, mein Kleiner. Es ist dir nicht gelungen, sie zu beschützen, aber du hast dich selbst beschützt. Man wird dich nie mit anderen erpressen können, wenn du bereit bist, sie selbst umzubringen.«

Weitere Bilder: Sie zieht die Fesseln enger, streicht sich mit einer Hand das Haar glatt und tritt dann lächelnd zurück, als ein Mann in einem weißen Laborkittel und einer furchterregenden, durchsichtigen Maske das Zimmer durchquert. In einer Hand hat er einen Baseballschläger. Dann macht er sich ans Werk.

 

Wespen dröhnten. Schmerz flüsterte in Dantes Geist. Weißes Licht surrte und brannte am Rand seines Sichtfelds. Er beobachtete, wie ihre Hand zu der Betäubungspistole glitt. Dann gestattete er ihr, die Finger noch um den Griff zu legen.

Sie ist es, Dante-Engel.

Ich weiß, Prinzessin.

»Mein Blutgeborener«, sagte sie. Ein Lächeln huschte über ihre kalten Lippen. »Weißt du noch, wer ich bin, mein Junge?«

»Oui«, antwortete Dante langsam. »Das weiß ich.«

Er bewegte sich überirdisch schnell, packte sie am Handgelenk, als sie gerade die Betäubungspistole hochreißen wollte, und knallte sie gegen die Wand. Die Pistole fiel klappernd auf den gefliesten Boden. Moore wand sich und zuckte, aber Dante hielt sie gegen die Wand gepresst, die Hände um ihre Handgelenke gelegt, den Körper gegen den ihren gedrückt, sein Schenkel zwischen ihren Beinen.

Dante nahm das Blut wahr, das in ihren Adern floss und lauschte dem wilden Pochen ihres Herzens. Er roch ihr ganzes Wesen – Zimt, Nelken und eisige Kälte.

Er roch auch die Lust, die in ihr schwelte.

Sie hörte zu kämpfen auf und blickte Dante in die Augen. Als sie den Atem anhielt, brach ein weiteres Erinnerungsfragment in ihm los: Er sah Moore nackt und zusammengerollt neben ihm liegen. Sie stank nach Sex und Blut. Ihre Fänge steckten in seinem Hals, und ihre Finger waren in seinem Haar vergraben.

Zorn verkrampfte seine bereits angespannten Muskeln noch mehr. »Welcher Unterschied besteht zwischen euch?«, fragte er und nickte in Richtung des toten Perversen, der hinter ihm lag.

»Ich weiß, was gut für dich ist.«

»Das glaubte er auch zu wissen.«

»Keiner weiß das so wie ich«, sagte Moore mit heiserer Stimme. »Ich habe dein Bewusstsein, deinen Geist untersucht. Ich habe deine Seele nachgezeichnet. Aber das ist erst der Anfang. Da gibt es Geheimnisse, S …«

»Ich bin nicht S.«

Klang bahnte sich einen Weg durch Dante. Es war eine Arie, düster und dornenbewehrt, die sich in sein Herz bohrte, sich erhob und losdonnerte in einem Crescendo aus Wut, Chaos und Verzweiflung. Akkorde erklangen, und der chaotische Takt hämmerte disharmonisch und ungebremst.

Sein Gesang brannte weißglühend.

»Wollte meine Mutter zur Vampirin werden?«, fragte er. »Hat sie sich freiwillig dazu entschieden?«

»Ja. Aber später hat sie ihre Meinung plötzlich geändert. Doch da war es zu spät. Ich habe nie verstanden …«

»Lügnerin«, wisperte Dante.

»Was bedeutet dieses Schimmern?« Moore sah ihn neugierig an, als er ihre Handgelenke losließ und ihr Gesicht in die Hände nahm.

Der Chaos-Rhythmus zupfte an DNS-Strängen, brach sie ab, komprimierte sie, löschte sie. Entschuf sie. Moore schrie. Es war ein langer, auf- und abschwellender Ton, der durch Dantes schmerzenden Kopf drang. Sein Gesang zerriss sie. Er teilte sie in ihre Einzelteile und spielte einen gebrochenen Akkord mit ihrem innersten Kern. Ihr Wesen zerbrach, während die Haut von den Knochen und vom Blut getrennt wurde.

Johanna Moore sackte auf dem Boden zusammen. Ihre Schreie endeten in einem feuchten Gurgeln.

Blaue Energiepfeile flogen um Dante und blitzten in seinen Händen auf. Er erzitterte, gefangen in seinem eigenen Gesang, den Rhythmen des Chaos, dem Tempo der Schöpfung. Zitternd schloss er die Augen. Er sah Sterne und hörte das Rauschen von Flügeln.

Lass deinen Gesang verstummen, mein Kind. Du hast deine Mutter gerächt.

Dante öffnete die Augen. Der Gesang verklang. In seinem Kopf klopfte und kratzte es unerträglich. Er schmeckte Blut. Einen Augenblick lang sah er auf die nassen Stränge, die früher einmal Johanna Moore gewesen war, und trat sie beiseite. Dann drehte er sich um.

Lucien starrte ihn mit goldenen Augen und ausgebreiteten Schwingen an. Sein Gesicht wirkte sowohl anerkennend als auch … verängstigt? Dante wusste es nicht. Konnte Lucien denn verängstigt sein?

Creawdwr.

Dante trat zur Tür, wo er sich neben Elroys erkaltenden Leichnam kniete. Konnte er dem Toten Gina noch entreißen?

»Zu spät«, sagte Lucien. »Du hast dich für die Lebenden und gegen die Toten entschieden. «

Dante blickte auf und sah Heather, die noch immer an die Wand gelehnt dasaß, ihr Gesicht blass, die Augen dunkel und besorgt. » Oui. Die Lebenden statt die Toten.«

Vergib mir, Gina.

Dante richtete sich auf und stieg ein letztes Mal über den toten Perversen hinweg. Er hob Heather hoch und trug sie den Flur entlang. Seine Muskeln spannten sich an, als er Angst an ihr roch – Angst vor ihm. Er hielt sie eng an sich gedrückt, sein Herz schlug heftig.

Ein Mann in verschneitem Parka trat in den Gang und zeigte rasch seine Hände, um zu demonstrieren: Seht her, ich verberge nichts. »Ich rufe einen Krankenwagen«, erklärte er.

»Du kannst ihm vertrauen«, flüsterte Heather. »Er hat mir geholfen.«

»Gut«, sagte Dante. »Rufen Sie einen Krankenwagen.« Er atmete Heathers Duft von Regen, Salbei und Blut ein, und sog ihn tief in seine Lunge, denn er hatte Angst, dass es das letzte Mal sein könnte.