12

VERGESSENE VERGANGENHEIT

Mit Dante in den Armen ging De Noir mit angeborener Anmut durch das verdunkelte Schlafzimmer und wich dabei den auf dem Boden verstreuten CD-Hüllen, Klamotten und Büchern aus oder stieg über sie hinweg. Das Bett, ein Futon, war ungemacht und zerwühlt, die Bettwäsche und das Leintuch waren komplett schwarz – oder eventuell auch dunkelblau, dachte Heather, als sie De Noir ins Zimmer folgte.

Er kniete sich neben das Bett und ließ Dante langsam herunter. Dann schob er ein paar Kissen unter seinen Kopf und tupfte das Blut an seiner Nase mit einem Geschirrtuch ab, das er aus der Küche mitgenommen hatte. Mondlicht ließ De Noirs charakteristische Gesichtszüge weicher erscheinen und verwandelte seine grimmige Miene in eine traurige.

Heather legte den Kopf schief und betrachtete den Mann, während er sich um Dante kümmerte. Seine große Hand berührte sanft Dantes Haar, um es ihm aus dem Gesicht zu streichen. Was war zwischen den beiden?

»Wird er sich bald erholen?«, fragte sie. »Nimmt er eigentlich Medikamente gegen seine Kopfschmerzen? Oder hat er einen Arzt?«

»Er braucht nur Ruhe«, erklärte De Noir.

»Haben Sie ihn nach seiner Vergangenheit gefragt?«, sagte eine Stimme unter der Tür. »Dann bekommt er nämlich üblicherweise seine schlimmsten Anfälle.«

Heather sah auf und entdeckte Silver. Er lehnte am Türrahmen, einen Fuß auf der Schwelle hinter ihm. Seine silbernen Augen schimmerten im Mondlicht.

»Ich habe ihm nur ein paar einfache Fragen gestellt«, erklärte Heather.

»Der Staat Louisiana hatte für Dante das Sorgerecht, Agent Wallace«, brummte De Noir. Er hielt das blutbefleckte Geschirrtuch hoch.

»Ja …«, murmelte Silver, stieß sich vom Türrahmen ab und schlurfte ins Zimmer, um De Noir das Tuch abzunehmen. Dann war er verschwunden.

Heather blinzelte überrascht. Übernatürliche Schnelligkeit schien in diesem Haushalt etwas ganz Normales zu sein. Sie atmete tief durch und konzentrierte sich wieder auf De Noir.

»Ich weiß«, sagte sie. »Er war bei der Familie Prejean untergebracht. «

De Noir schüttelte den Kopf. »Das war nur die letzte Familie. Man reichte ihn von einer Familie zur anderen weiter, und zwar jahrelang.«

Heather verstummte. De Noir hatte ihr gerade eine Information geliefert, die nicht in Dantes Akte stand. Warum war nur die letzte Pflegefamilie aufgelistet?

»Die Vergangenheit ist etwas, an das sich Dante nicht genau erinnern kann«, erläuterte der große Mann leise, »und das ist in diesem Fall vermutlich auch das Beste.« Er streckte die Hand aus.

Eine kühle Brise blies Heather entgegen und spielte einen Atemzug lang mit ihrem Haar. Silver tauchte vor ihr auf und legte das nun feuchte Geschirrtuch in De Noirs ausgestreckte Hand. Mit einem raschen Grinsen, bei dem seine scharfen Eckzähne blitzten, verschwand der Junge blitzschnell wie zuvor.

»Vielleicht muss er sich ja an seine Vergangenheit erinnern«, meinte Heather. »Vielleicht ist sie der Grund für seine Migräne.«

»Nein«, murmelte De Noir. Er tupfte mit dem feuchten Tuch den allmählich schwächer werdenden Blutfluss unter Dantes Nase ab. »Nein.«

Heather spürte trotz ihrer Erschöpfung eine plötzliche Woge des Mitgefühls, und in diesem Augenblick wurde ihr klar, dass De Noir Dante liebte und dass es Reue war, die sein Gesicht überschattete und seine Stimme so schroff klingen ließ.

Reue. Wofür? Weshalb sollte sich Dante an seine Vergangenheit nicht erinnern? Zu welchem Preis?

»Dante meinte, er sei ein Vampir«, sagte sie.

De Noir schloss die Augen. An seinem Kiefer zuckte ein Muskel. »Glauben Sie an Vampire, Agent Wallace?«

»Nein. Aber ich habe den Eindruck, Dante glaubt an sie.«

De Noir öffnete die Augen. Sie blitzten golden. »In der Tat«, flüsterte er. Er machte Dantes Stiefel auf und zog sie ihm von den Füßen. Beide fielen mit einem dumpfen Schlag auf den Boden.

»Er hält sich für unverwundbar, und das könnte ihn das Leben kosten«, sagte Heather und trat vorsichtig an den Futon heran.

De Noir sagte nichts. Die Hand an Dantes Schläfe strich durch dessen zerzaustes schwarzes Haar, dann zog sie sich zurück.

»Das werde ich nicht zulassen«, sagte De Noir. Er wandte sich von ihr ab.

Sie starrte ihn an, erstaunt über seine fehlende Angst. Sie trat zu ihm und berührte seinen Unterarm. Die Haut fühlte sich hart und kalt wie Marmor an. Doch in ihr loderte ein Feuer, das ihre Muskeln verkrampfte.

»Irgendwo da draußen ist ein Mann, der … der sich darauf freut, ihn foltern zu können«, sagte sie, wobei ihre Stimme hart klang. »Ihn zu schänden, zu verstümmeln, zu ermorden. Das ist nichts, das Sie kontrollieren können, Mr. De Noir. Sie haben da gar nichts zu melden.« Sie ließ seinen Arm los.

De Noir stand eine Weile lang still da. Einige Strähnen seines langen Haars umwehten seinen Kopf. Ein kaum sichtbares blaues Licht blitzte um ihn auf. Heathers Haut kribbelte. Der scharfe Geruch von Ozon erfüllte plötzlich die Luft. Dante regte sich auf dem Futon. Plötzlich schien er ruhelos zu sein, und sein blasses Gesicht wirkte angespannt. Silver tauchte wieder in der Tür auf, seine leuchtenden Augen waren argwöhnisch.

Dann war alles wieder verschwunden, als hätte ein jäher Donnerschlag oder eine Implosion alle Luft aus dem Zimmer gesogen. Kein blaues Licht. Kein wehendes Haar. Nur ein großer Mann, der regungslos neben einem Bett stand. Etiennes Stimme flüsterte in Heathers Bewusstsein: die Gefallenen.

»Ich werde es nicht zulassen«, wiederholte De Noir. Er beugte sich hinunter und zog die Decke über Dantes Körper. Dann setzte er sich an den Rand des Futons und berührte den jungen Mann erneut an der Schläfe.

»Gute Nacht, Agent Wallace«, grollte De Noir.

Heather schritt aus dem Zimmer, vorbei an Silver, und ihr Körper war so hart wie ihre Fäuste. Sie hatte Dante versprochen, ihn zu beschützen, und das hatte sie auch so gemeint. De Noir konnte sich seine gute Nacht in den Arsch schieben. Sie trottete die Treppe hinunter, wobei eine Hand über das polierte Holzgeländer glitt.

Als sie wieder in den Salon kam, sah Simone von einem Sessel auf. In ihrem Schoß lag ein Buch. Jordan lag noch immer auf der Couch, eine Hand hing auf den Boden, sein Mund stand leicht offen.

»Danke, dass Sie ihn im Auge behalten haben«, sagte Heather.

Simone klappte ihr Buch zu und stand auf. »Ich wollte schon länger mal wieder in Ruhe lesen«, sagte sie achselzuckend. »Wie geht es Dante?«

Heather schüttelte den Kopf. »Er ist noch besinnungslos, aber zumindest hat das Nasenbluten aufgehört. Mr. De Noir meint wohl, er braucht nur etwas Ruhe.«

»Aha«, brummte die Blondine. Sie wirkte besorgt. »Ich glaube nicht, dass es Ruhe ist, was er braucht«, meinte sie dann und ging in Richtung Flur.

»Seit wann kennen Sie Dante?«, fragte Heather.

»Seit drei, vier Jahren.«

»Werden seine Kopfschmerzen schlimmer?«

Simone blieb auf der Schwelle stehen. »Oui. Warum fragen Sie?« Sie warf einen Blick über die Schulter. Ihre Miene wirkte wachsam und verschlossen.

»Er braucht Hilfe …«

»Wir werden ihm helfen«, sagte Simone. »Sie können das nicht. Er hat Ihnen die Wahrheit gesagt, M’selle. Er ist ein Nachtgeschöpf.« Simone verließ das Zimmer.

Seufzend sank Heather in den Sessel, der der Couch gegenüber stand, und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Diese Leute waren anscheinend alle verrückt und litten unter Wahnvorstellungen.

Oder sie waren alle Vampire. Wie um Himmels willen sollte das nur in ihrem Bericht schreiben?

Der Befragte verweigert eine Schutzhaft, da er Vampir ist. Als ich ihm mitteilte, dass Serienmörder in der Lage sind, einen Pfahl durch ein Herz zu rammen, lachte er nur. »Stellen Sie die Falle auf«, erklärte er.

Heather ließ die Hände sinken. Sie starrte auf den Boden, ihr Puls raste. Eine Falle stellen. Vampir oder nicht – sie war bisher höchstens bereit, die Möglichkeit einzuräumen, dass er ein Vampir war –, würde das funktionieren? Konnte sie nach drei Jahren dieses Monster zur Strecke bringen? Einen Köder auslegen und dann die Leine einholen?

Was, wenn es nicht funktionierte? Wenn ihr Täter mit Dante zwischen den Zähnen durch die Löcher im Netz entkam? Sie stand auf und ging in die Küche. Als sie die Tür öffnete, hielt sie einen Moment lang inne und betrachtete den Cognac und das Blut auf dem Boden. Sie glaubte wieder Dantes gequält klingende Stimme zu hören: Soll er mich ruhig haben.

Was, wenn der Mörder ebenfalls glaubte, Dante wäre ein Vampir?

Die meisten Inferno-Fanseiten schienen diesem Glauben anzuhängen. Wenn man Dante bei einem seiner seltenen Interviews danach fragte, weigerte er sich stets zu antworten.

Wach auf. Wach auf S.

Warum wollte er Dante aufwecken? Zu welchem Zweck – und wofür stand das S? Für Dantes richtigen Nachnamen? Dachte er, es sei an der Zeit, dass Dante dem Vampir in ihm endlich gerecht wurde? Wollte er die Antwort bekommen, die kein Journalist je erhielt?

Aus Gewohnheit ging sie um die Blutflecke herum zum Tisch und zu ihrer Tasche, die noch dort lag. Sie nahm ihr Handy heraus. Während sie in den Salon zurückkehrte, klappte sie es auf. Kein Saft mehr. Ihr Ladegerät war im Hotel. Vielleicht hatte hier jemand ein Ladegerät, das sie benutzen konnte …

Ihr Blick fiel auf das Handy des schlummernden Jordan auf dem Boden neben seiner Geldbörse. Sie ging hinüber, bückte sich und schnappte sich das Handy. Guter Empfang. Sie ließ sich auf dem Sessel nieder und gab Collins’ Nummer ein.

Collins nahm nach dem zweiten Klingeln ab. »Collins«, sagte er knapp. »Wer ist da?« Heather wurde klar, dass er auf seinem Display natürlich Jordans Nummer sah, die ihm nicht bekannt war. »Hier Heather Wallace. Ich musste mir ein Mobiltelefon leihen.«

»Mensch, Wallace!«, antwortete er. Er klang erleichtert. »Ich habe mehrfach versucht, Sie zu erreichen …«

»Hören Sie«, unterbrach Heather den Detective, da sie ihm unbedingt ihre Entdeckungen mitteilen wollte. »Ich habe Dante gefunden und bleibe in seiner Nähe, falls sich unser Täter zeigt.«

»Aber …«

»Nein, hören Sie, sind Sie nach Lafayette gefahren und haben Sie mit den Prejeans gesprochen – haben Sie etwas über Dantes Vergangenheit herausgefunden? Hatten die Prejeans und die Spurrells je Kontakt zueinander?«

»Musste ich nicht«, erklärte Collins. »Unser Täter wird niemanden mehr bedrohen oder töten.«

»Was?« Heather setzte sich aufrecht hin.

»Anscheinend haben Sie noch nicht mit Ihrem Vorgesetzten gesprochen«, sagte Collins. »Man hat das Schwein in Pensacola zur Strecke gebracht.«

»Pensacola?«, wiederholte Heather skeptisch. »Das ist unmöglich. Er ist hier. Zumindest war er das noch heute Morgen, als er …«

»Ein Reisender, Agent Wallace«, meinte Collins. »Genau deshalb hat man ihn den Cross-Country-Killer genannt, oder?«

»Ja, ja. Sie sagten, man hätte ihn zur Strecke gebracht. Heißt das, er ist tot?«

»Ja. Ein anderer Agent hat ihn zufällig auf frischer Tat ertappt. « Collins hielt einen Augenblick inne, und man konnte das Rascheln von Papier im Hintergrund hören. »Das Opfer hat es nicht überlebt.«

»Hatte er wieder eine Botschaft an die Wand oder sonstwohin geschrieben?«

Weiteres Papierrascheln. »Nein, aber er konnte das Ganze nicht mehr zum Abschluss bringen, wenn Sie wissen, was ich meine.«

Tot – und das in Florida. Wie hatte sie so falsch liegen können? Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander – Lafayette, das Anarchiezeichen, Club Hell, Dante … alles hatte sich so richtig angefühlt.

»Ich fliege morgen früh nach Pensacola«, sagte Collins. »Ich nahm an, Sie würden mitkommen wollen, also habe ich Ihnen einen Platz reserviert.«

Heather lächelte. »Guter Mann«, murmelte sie. »Ich werde Sie am Flughafen treffen. Wann?«

»Acht Uhr morgens, Sonnenschein«, antwortete Collins. »Bis dann.« Er legte auf.

Heather klappte das Handy zu, machte es dann aber wieder auf. Sie wählte erneut, diesmal Stearns’ Nummer. Keine Antwort. Nur die Mailbox. Vielleicht lag es auch hier an der unbekannten Nummer auf dem Display. »Hier Wallace, Sir«, sagte sie nach dem Piepton. »Ich fliege morgen früh nach Pensacola, um den toten Verdächtigen zu begutachten und mir die Beweise anzusehen. Dann melde ich mich bei Ihnen.«

Sie legte auf und lehnte sich im Sessel zurück. Das Mobiltelefon legte sie auf die Armlehne. Sie fuhr sich durchs Haar und überlegte. Zum einen wollte sie Dante die neuesten Entwicklungen mitteilen. Zum anderen wollte sie mit diesem Mr. Jordan ein Wörtchen über die Gefahren heimlichen Schnüffelns auf fremden Grundstücken reden.

Sie schloss die Augen. Erschöpfung zog sie in die Tiefe wie Betonschuhe. Pensacola. Nachdem er kurz vor Sonnenaufgang Gina getötet hatte? Ein weiteres Opfer am selben Tag?

Jack the Ripper hatte zwei Frauen in einer Nacht getötet, mit nicht einmal einer Stunde zwischen den beiden Verbrechen. Man hatte ihn nie erwischt – zumindest offiziellen Angaben zufolge.

Sie war fast sicher, dass man auch den Cross-Country-Killer noch nicht gefasst hatte. Weder offiziell noch inoffiziell.

Heather versank in einem dunklen Ozean. Ihre Betonschuhe zogen sie bis zum Grund hinab. Irgendwo in der Dunkelheit sang Leigh Stanz, dessen heisere Stimme durch das Wasser wogte.

I long to drift like an empty boat on a calm sea

I don’t need light

I don’t fear darkness …

Solltest du aber, dachte Heather und sank und sank und sank …

 

Sie torkelt am Rand des Highways entlang, hat den Daumen ausgestreckt und blinzelt ins Dunkel. Ihr Auto wollte nicht anspringen, weshalb sie es auf dem Parkplatz einer Kneipe stehen ließ. Sie muss dringend heim. Sie machte nur einen kurzen Zwischenstopp, um etwas zu trinken, während sie ein paar Dinge erledigte. Die Kinder waren beim Fußballtraining, beim Gitarrenunterricht oder bei den Pfandfindern, und sie hatte endlich einmal einige Augenblicke für sich.

Das Nächste, was sie weiß, ist, dass es dunkel um sie ist und der Mond am Himmel steht. Ihre neuen Bekannten versuchen, sie dazu zu überreden, noch zu bleiben, und einen Moment lang zieht sie das in Betracht. Doch dann reißt sie sich von den fordernden Händen ihrer Freunde los und flieht in die kühle Oktobernacht. Sie kann ihr Mobiltelefon nicht finden. Hat sie es auf der Arbeit gelassen? In der Kneipe?

Sie lässt den Wagen gezwungenermaßen stehen und beschließt, per Anhalter zu fahren. Sie stolpert, ein Absatz verfängt sich am unebenen Asphaltrand der Straße. Sie lacht. Gut, dass sie nicht Auto fährt. Immerhin etwas Gutes an der Sache. Sie leckt sich die Fingerspitzen und zeichnet damit eine unsichtbare Linie in die Luft. Sie zieht ihren Schuh aus und betrachtet den Absatz.

Scheinwerfer durchdringen die Nacht. Sie streckt den Schuh statt des Daumens raus und balanciert dabei lachend auf einem Bein. Der Wagen hält an, die Reifen knirschen auf dem Kies des Seitenstreifens, der Auspuff stößt eine Abgaswolke aus, der Geruch von Benzin in der Luft.

Sie schwankt, als sie versucht, ihren Schuh wieder anzuziehen. Sie hüpft ein paar Schritte rückwärts, ehe sie auf den Hintern plumpst. Sie wirft den Kopf zurück und lacht lauthals. Gut, dass sie sich keinem Alkoholtest unterziehen muss. Noch etwas Gutes, was die Sache hat. Sie zieht eine weitere unsichtbare Linie in die Luft. Dann zieht sie den anderen Schuh aus und steht auf, wobei sie nur ein klein wenig schwankt. Sie klopft sich den Schmutz vom Hintern, als der Fahrer die Autotür öffnet.

Ein Mann steigt aus. Der Motor läuft noch. Etwas schimmert düster in seiner Hand.

 

Dante stand unter der Tür, die Hände auf beiden Seiten des Rahmens abstützend. Wallace – Heather schlief zusammengerollt im Sessel, ihr Kopf war nach links gesackt. Ihr rotes Haar fiel ihr ins Gesicht und berührte ihre halb geöffneten Lippen. Ihr Atem ging langsam und entspannt. Kerzenlicht flackerte orange und golden über ihr Antlitz.

Wunderschön, dachte er. Leicht zu vergessen, dass sie ein Bulle war.

Barfuß schlich er in den Salon und nahm eine zusammengefaltete Wolldecke von der Rückenlehne der leeren Couch, schüttelte sie auf und breitete sie dann über die Frau. Seine Armbänder klirrten leise, doch sie rührte sich nicht.

Er setzte sich im Schneidersitz ihr gegenüber auf den Boden. Sie hatte sich für ihn eingesetzt – vor den anderen Bullen. Sie hatte sogar diesen kleiner Scheißer mit der Waffe angegriffen. Warum setzt sie sich für mich ein? Was soll das? Er atmete ihren frischen Regenduft ein und nahm einen Hauch von Flieder und Salbei wahr. Dann lauschte er dem tiefen, regelmäßigen Schlag ihres Herzens.

Schlafend sah sie jünger aus als die achtundzwanzig oder dreißig Jahre, auf die er sie schätzte. Schlafend, zusammengerollt und warm war sie kein Bulle und keine FBI-Agentin, sondern eine Frau mit einem pochenden Herzen und stählernem Rückgrat. Eine Frau, die bisher Wort gehalten hatte.

Vertrauen Sie mir. Ich möchte nur, dass Sie mir vertrauen.

Wie oft hatte er diese Worte schon gehört? Von Sterblichen wie von Nachtgeschöpfen, leere, bedeutungslose Worthülsen: Vertrau mir.

Aber bei Heather war es anders. Er hatte in sie hineingeblickt, und sie hatte seinen Blick erwidert – frei und direkt, nichts verbergend. Als er ihr in die blauen Augen geschaut hatte, waren die tobenden Stimmen in seinem Inneren für einen Augenblick verstummt.

Deshalb hatte er auch die Hände hinter den Rücken genommen und sich Handschellen anlegen lassen.

Die Decke knarrte. Lucien bewegte sich auf seinem Ausguck auf dem Dach, von wo aus er in die Nacht schaute. Er lauschte ihrem Rhythmus, den Dante auch manchmal hörte und im Gleichtakt mit dem Rauschen des Blutes in seinen Adern wahrnahm.

Heather rutschte auf dem Ohrensessel hin und her. Ihre Lippen zogen sich leicht zusammen, und ihr Herz begann, schneller zu schlagen. Träumte sie schlecht? Dante richtete sich auf die Knie auf und strich ihr das Haar aus dem Gesicht. Adrenalin verfeinerte ihren Duft. Sie runzelte die Stirn. Ihre Miene wirkte aufgeregt, vielleicht sogar verängstigt. Schweißperlen zeigten sich am Haaransatz.

»Heather.« Dante schüttelte sie sanft an der Schulter. »Heather, aufwachen.«

Sie zuckte zusammen und riss die Augen auf. Dann setzte sie sich auf, schlug Dantes Hand beiseite und schob die Decke von ihren Beinen, die sich wie eine Pfütze auf dem Boden ausbreitete. Sie hielt beide Hände zusammen, als halte sie eine Pistole.

»Nicht!«, flüsterte sie. »Nicht in das Auto steigen …«

»He«, sagte Dante. »Es ist alles in Ordnung.«

Beim Klang seiner Stimme zuckte sie zusammen. Dann beugte sie sich vor, stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel und den Kopf in die Hände. Sie atmete tief durch. Langsam ließ das panische Pochen ihres Herzens nach.

Einen Augenblick später richtete sie sich auf. Ihr Gesicht war bleich wie das eines Nachtgeschöpfs. Ihre Pupillen hatten sich sichtbar geweitet und waren mit einem strahlenden Blau umrandet.

»Vous êtes blême comme une morte«, sagte Dante. »Ein Alptraum?«

Heather blickte ihn an. Ihr Herz begann, noch schneller zu pochen. Ihr stockte einen Augenblick lang der Atem. Dante spannte sich an und begann, die Fäuste zu ballen. Beinahe hätte er den Blick abgewandt, da er nicht die enttäuschende Mischung aus Bewunderung, Leidenschaft und Verwirrung sehen wollte, die er in fast allen Augen entdeckte, die ihn anschauten. Aber sie hielt seinen Blick fest, und ihr Herz begann sich ebenso wieder zu beruhigen wie ihre Atmung. Sie sah in ihn hinein.

»Ja«, wisperte sie. »Ein Alptraum.«

»Damit kenne ich mich aus.«

Heather neigte den Kopf zur Seite und sah ihn fragend an. »Das glaube ich«, sagte sie. »Wie geht es Ihrem Kopf?« Sie fasste nach ihrer eigenen Schläfe.

»Ganz gut«, murmelte er und zuckte dann die Achseln.

Heather sah sich suchend um. Ihr Blick blieb an der Couch hängen. »Wo ist er geblieben?«, fragte sie und sprang auf.

»Der Assistent des Voyeurs?«, fragte Dante. Heather nickte. »Er war weg, als ich herunterkam.«

»Seine Sachen sind auch nicht mehr da«, stellte sie enttäuscht fest. »Die, die Sie aus seinen Taschen geholt haben.«

Sie begann, den Sessel abzusuchen, in dem sie geschlafen hatte. Mit den Fingern glitt sie zwischen die Kissen und die Rückenlehne und kniete sich hin, um darunter zu schauen. »Sein Handy auch«, sagte sie und schob sich das Haar aus dem Gesicht. Ihre Wangen waren gerötet. »Es lag auf der Armlehne.«

Dante verstand, was sie damit sagen wollte. »Dann hat er sich also über Sie gebeugt, als Sie schliefen, nicht wahr?«

Heather nickte mit zusammengepressten Lippen. Enttäuschung und erneute Erschöpfung zeigten sich auf ihrer Miene. »Ich wollte ihm raten, sich einen weniger widerlichen Chef zu suchen, aber …«

»Bon à rien, alle beide«, sagte Dante und stand auf. »Ein perfektes Paar.«

Sie lächelte für einen kurzen Augenblick, und er merkte, dass ihr Geist auf einmal schutzlos weit offen war. Er hätte hineingehen und jeden ihrer Gedanken betrachten können – wenn er gewollt hätte.

Aber wenn jemand ungebeten in sein Bewusstsein eingedrungen wäre, sich durch die Barrieren gekämpft oder ihn irgendwie verführt hätte, um sich zu nehmen, was er wollte … Dante spannte sich an. Nein, er hatte kein Bedürfnis, in Heathers schutzloses Inneres zu blicken.

»Ich muss mit Ihnen reden«, sagte sie. »Könnten wir irgendwo hingehen, wo wir ungestört sind?«

Dante nickte. »Sicher.«

»Sieht so aus, als würden Sie sich von diesem Kooperationsproblem erholen.«

Er schnaubte. »Wenn Sie meinen.«

Wieder lächelte sie.

Er führte sie aus dem Salon den Flur entlang zu seinem Tonstudio. Als er die Tür öffnete, stürzte Trey aus dem Computerraum, seine Brille in der Hand. Er hielt inne, als er Dante sah, der sofort merkte, dass der Junge Adrenalin nur so ausströmte.

Als er ihm in die Augen sah, spürte er plötzlich große Angst. »Schlechte Nachrichten, mon ami«, sagte Trey leise, dessen Sprache noch mehr Cajun klang als die Simones. »Man hat Jay aus dem Fluss gefischt. Mit durchschnittener Kehle.«

Dante lehnte sich an die Wand. »Nein«, murmelte er bestürzt.

»Das ist noch nicht alles«, sagte Trey. Er zögerte und musterte Dante, während sein Geist gegen dessen Schilde schlug.

»Nur zu«, murmelte Dante.

Trey nickte, wenn er auch aussah, als würde es ihm schwerfallen, dieser Aufforderung nachzukommen. Er schluckte vernehmlich. »Die Bullen glauben, du seist für die beiden Morde verantwortlich.«

 

Heather wich einen Schritt zurück, als Dante mit wild funkelnden Augen herumwirbelte und mehrmals auf die Wand einschlug. Putz und Mörtel bröselten zu Boden.

»Haben Sie sich ins Computersystem der Polizei von New Orleans gehackt?«, fragte sie Trey.

Der zuckte zuerst die Achseln und nickte dann zaudernd. »Oui.«

Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich Simone neben Trey auf. Sie richtete einen besorgten Blick auf Dante. Über ihnen knarrte und ächzte die Decke. Dann wurde es wieder mucksmäuschenstill. Danach vernahm Heather etwas, das wie das Rauschen großer Fittiche klang. Sehr großer Fittiche.

Sie sah Dante an. Er stand reglos da, jeder seiner Muskeln war gespannt, und eine Faust steckte noch in dem Loch, das er in die Wand geschlagen hatte. Mit der anderen Hand stützte er sich ab. Er hielt den Kopf gesenkt, so dass sein Gesicht hinter dem schwarzen Haar verborgen war. Dennoch war deutlich zu sehen, dass er am ganzen Körper erregt bebte.

»Es tut mir furchtbar leid wegen Jay.« Heather berührte seine Schulter. »Die Polizei hat nichts gegen Sie in der Hand, und ich weiß, dass Sie es nicht waren. Die Polizei weiß das auch. Genau darüber wollte ich gerade mit Ihnen sprechen.«

Ein Stück Mauerwerk fiel zu Boden, als Dante die Faust herauszog. Er neigte den Kopf und warf das Haar zurück. Dann sah er sie an. Zorn und Qual mischten sich in seinen dunklen Augen. Seine Muskeln zuckten unter ihren Fingern. Sie starrte ihn an, unfähig, den Blick abzuwenden. Vielmehr wurde sie regelrecht in seine Augen, in den Wirbel seiner Emotionen gesogen.

Dante blickte in sie hinein. Seine Pupillen schimmerten so warm, als liebkose er sie. Sie ließ ihn los und sah zu Boden. Ihre Wangen brannten.

»Dann reden Sie mit mir«, sagte er.

Die Haustür ging auf, De Noir trat ein und warf die Tür hinter sich zu. »Aber allein«, sagte Heather und trat in das Zimmer, zu dem er sie geführt hatte. Dante folgte ihr und machte die Tür hinter ihnen zu.

Heathers Blick wanderte durch den Raum – das Studio, wie sie sich in Gedanken korrigierte. Hier standen mehrere Keyboards, ein Synthesizer, ein Mischpult, ein Verstärker, ein Computer und ein Monitor. Eine schwarze Gitarre lehnte in einer Ecke. Eine halbleere Flasche französischen Absinths stand neben dem Computer auf einem Tisch, der ansonsten mit Kopfhörern, Papieren und zahlreichen Notenblättern bedeckt war.

Ihr Blick fiel auf die gegenüberliegende Wand. Dort hatte jemand in der Farbe von getrocknetem Blut das Anarchiezeichen hingesprayt.

Dasselbe Zeichen erschien vor Heathers innerem Auge, doch diesmal sah sie es auf Daniel Spurrells Brust. Der Mörder – ob es der CCK oder jemand anderer gewesen war – versuchte augenscheinlich zu beweisen, dass er und Dante Seelenverwandte waren, die an dieselben Dinge glaubten. Doch statt das Symbol auf Mauern, Gebäude oder Polizeiwagen zu malen, hatte es der Mörder in die Haut seines Opfers geritzt.

Der Mord an Gina war als Ohrfeige für Dante gedacht. Eine Herausforderung. Schau, wie weit ich zu gehen bereit bin. Kannst du das toppen? Hast du den Mumm, dich diesem Zeichen gemäß zu verhalten? Falls sich der Mörder Dante gegenüber überlegen fühlte, so, als ob er die Fäden in der Hand hätte, dann bedeutete das, dass er sich auch selbstbewusst und stark genug fühlte, sich an Dante heranzuwagen und diesen zu seinem nächsten Opfer zu machen.

Aber falls er bereits tot war … dann stellte er offensichtlich keine Bedrohung mehr dar. Sie riss sich von dem Symbol an der Wand los und warf einen Blick auf ihre Uhr. Es war kurz nach halb fünf morgens. Nachdem sie sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht gestrichen hatte, wandte sie sich an Dante.

»Ich habe vor ein paar Stunden herausgefunden, dass unser Täter in Pensacola getötet wurde«, sagte sie. »Ich verstehe es nicht, aber …«

»Sie glauben nicht, dass er es war, nicht wahr?«

»Ich bin auf dem Weg nach Florida, um es herauszufinden.«

Dante ging an Heather vorbei. Sein Körper streifte für einen Augenblick den ihren. »Sie wissen doch gar nicht, wie er aussieht«, meinte er und nahm eine Sonnenbrille, die auf der Computerkonsole lag. Er setzte sie auf. »Wie wollen Sie dann …«

»Ich studiere seine … Arbeit … seit drei Jahren aufs Genaueste«, erklärte sie. »Ich werde es wissen.«

Dante kam näher. »Träumen Sie von ihm?«

Heather schaute weg. Er war näher an sie herangekommen, als sie nicht auf der Hut gewesen war. Zu nah. Viel zu nah. Sie hob den Kopf und sah in Dantes Augen, die jedoch hinter der Sonnenbrille verborgen lagen. »Wofür steht für Sie das Anarchiesymbol?«

Dante zuckte die Achseln. »Sie meinen außer einem allgemeinen ›Ihr könnt mich mal‹?«

Heather schüttelte den Kopf. »Ich bin sicher, dass es mehr für Sie bedeutet.«

Dante nahm die Sonnenbrille ab. In seiner dunklen Iris waren rote Linien zu sehen. Seine Augen, die plötzlich todernst wirkten, brannten sich in die ihren. »Na gut. Zorn. Feuersturm. Wahrheit.«

»Wahrheit?«

»Ja. Freiheit ist das Ergebnis von Zorn.«

Heather fixierte ihn. Es schnürte ihr den Hals zu. Er redete wie ein Überlebender des staatlichen Fürsorgesystems. Er sprach mit Intelligenz und Überzeugungskraft, und genau das ließ sie aufhorchen.

Wer hatte diese Wut in ihm ausgelöst? Wer hatte sie geschürt?

Dante setzte die Sonnenbrille wieder auf. »Was jetzt?«

Sie seufzte und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Ich will, dass Sie vorsichtig sind, bis Sie wieder von mir hören.«

Ein schiefes Lächeln zeigte sich auf Dantes Gesicht. »Das wäre das erste Mal.«

»Versuchen Sie es«, sagte Heather. »Ich will, dass Sie am Leben bleiben.« Ihr Blick wanderte wieder zu dem Anarchiezeichen. Einen Herzschlag lang war er Teil des Symbols – eine scharfe, schwarze Klinge, die sich in das Herz des Chaos bohrte, nachtumweht und unberechenbar.

Der Mörder hätte New Orleans niemals verlassen, ohne Dante zu töten oder mitzunehmen. Wer auch immer im Leichenschauhaus von Pensacola lag, war nicht ihr Täter. Da war sie sich absolut sicher. Aber sie musste dennoch sichergehen. Collins erwartete sie in wenigen Stunden am Flughafen, und sie musste noch im Hotel vorbei.

»Begleiten Sie mich noch ein Stück«, sagte sie und öffnete die Tür.

Sie spürte Dante hinter sich im Flur. Seine Lautlosigkeit machte sie nervös. Selbst barfuß und auf einem Teppich hätte sie eigentlich etwas hören müssen.

»Was ist, wenn das in Pensacola nicht Ihr Killer ist?«

»Dann komme ich zurück.«

 

Heather schloss den Subaru auf und stieg ein. Sie ließ den Motor an und schaltete Heckscheibenheizung und Autoheizung an. Dante stand neben dem offenen Fester auf der Fahrerseite, barfuß an einem kalten Februarmorgen, die Sonnenbrille oben auf die Stirn geschoben.

Ihm muß doch kalt sein, dachte Heather. Ich weiß, dass ich halb erfrieren würde.

»Ich werde Sie anrufen, sobald ich etwas weiß«, sagte sie.

Dante beugte sie zu ihr herunter und hielt ihr ein Stück Papier hin. Heather nahm es, zog es zwischen seinen Fingern hervor und warf einen Blick darauf. Auf dem Blatt standen in der typisch schrägen Schrift eines Linkshänders einige Telefonnummern. Neben einer der Nummern stand CLUB, neben einer anderen DAHEIM. Sie sah zu ihm auf.

Er verschränkte die Arme und zuckte die Achseln. »Nur für den Fall«, sagte er. Er sah an ihr vorbei. »Das ist meine Jacke.«

»Hm?« Heather rutschte zur Seite und schaute in die Richtung, in die er sah. Auf dem Beifahrersitz lag zusammengeknüllt Dantes Lederjacke. »Oh! Ja.« Sie nahm sie und gab sie ihm. »Ich habe sie hier, seitdem Sie verhaftet wurden.«

Dante zog sie an. Das Klirren von Metall war zu hören, als er in die Ärmel schlüpfte. »Merci«, sagte er. »Haben Sie die Taschen durchsucht?«

Heather grinste. »Was glauben Sie?«

»Ich glaube …« Er hielt inne und sah sie einen Moment lang an. »Ja, ich glaube, ich hätte es getan.«

Heathers Grinsen wurde breiter. »Sie scheinen im Durchsuchen von Taschen recht erfahren zu sein.«

Er lachte, und für einen kurzen Augenblick sah Heather seine schmalen langen Reißzähne. Entweder litt Dante unter Wahnvorstellungen, oder er war tatsächlich ein Untoter. Warum fühlte sie sich in seiner Gegenwart wie ein Teenager, der sich in den ersten bösen Jungen in Lederjacke und Stiefel verliebt hatte, dem sie jemals begegnet war?

»Hören Sie, wenn das alles vorbei ist …«

»Dann?« Dante kam einen Schritt näher. Das schwache grünliche Licht des Armaturenbretts erleuchtete sein Stahlhalsband.

Sie nahm seinen Geruch wahr – frisches Herbstlaub und dunkle Erde, ein warmes Bett und Sex. Ihre Wangen brannten, als es in ihrem Bauch heiß zu werden begann. »Äh … ich werde Sie anrufen, sobald ich mehr weiß.« Sie zwang sich zu einem Lächeln und fuhr dann das Fenster hoch.

Er richtete sich auf, dann trat er einen Schritt zurück, als sie aufs Gas trat.

Nachdenklich folgte sie der geschwungenen Einfahrt, vorbei an dem Van und dem MG. Die Harley war verschwunden. Ich wollte gerade fragen, ob wir uns wiedersehen. Wirklich unglaublich professionell und objektiv. Sie warf einen Blick in den Rückspiegel. Dante stand noch in der Einfahrt und sah ihr nach. Eine Brise fuhr ihm durchs Haar und wehte einige Strähnen in sein nicht mehr erkennbares Gesicht.

Unerwartet tauchte neben ihm eine Gestalt auf. Heather trat auf die Bremse. Der Subaru hielt quietschend an. Die roten Rücklichter reichten nicht, um genau zu sehen, was dort passierte, und sie wollte gerade den Rückwärtsgang einlegen oder herausspringen und ihre Achtunddreißiger ziehen, als Dante den Arm um die Schultern dieser Person legte.

Der Mond zeigte sich einen Augenblick lang hinter einer Wolke. Winterliches Südstaatenmondlicht erhellte die Bäume, das Eisentor und das vor dem Himmel aufragende Haus. Silvers zu Zacken gegeltes Haar und seine silbernen Augen blitzten auf. Das Mondlicht vergoldete sein Lachen. Er legte den Arm um Dantes Taille.

Heather atmete aus und riss sich von dem Anblick im Rückspiegel los. Zu viel Adrenalin und zu wenig Schlaf machten sie fahrig und fast willenlos. Sie trat aufs Gas und fuhr durch das offene Tor.

Vielleicht hatte sie die Falle schon gestellt, indem sie abfuhr.

In diesem Augenblick wünschte sie sich nichts mehr, als dass Dante tatsächlich ein Vampir war.

Möglicherweise hatte er dann eine Überlebenschance – falls der Killer den Köder schluckte.