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DAS FINSTERSTE HERZ

»Unter stillen Wassern liege ich
die Finger meiner Mutter verankern mein Haar
auf den Porzellanboden
sie schlägt Wellen über mir
eine Göttin
keine Frau
versucht, den Makel des Blutes abzuwaschen
Unter stillen Wassern liege ich
meine Mutter, mein Anker
ich schließe die Augen
und atme
unter stillen Wassern«

E las das Gedicht laut und übertönte dabei das gurgelnde Pfeifen, das vom Sofa kam. Er klappte das Buch zu und schob es wieder in seine Tasche.

»Ich liebe Navarros Gedichte«, sagte er zu dem röchelnden Ding auf dem Sofa. »Es spricht zum finstersten Herzen.«

E lehnte sich auf dem Sessel zurück, neigte den Kopf zur Seite und betrachtete sein jüngstes Werk. »Ding« war der richtige Ausdruck. Er hatte alles entfernt, was Keith zum Mann gemacht hatte und es kunstvoll im Zimmer drapiert. Auf dem Couchtisch neben einer Kerze. Auf dem Bücherregal neben einem gerahmten Foto von Keith und einem anderen Mann … Liebhaber? … Bruder? … Wen interessierte das?

Er lächelte. Na ja, Keith wahrscheinlich schon.

Das Würgen und Pfeifen ließ nicht nach. E strich sich mit den Händen, die in Latexhandschuhen steckten, über die Plastikschürze, die er trug. Darunter war er nackt. So wurden seine Klamotten nicht schmutzig, und außerdem hatte es etwas Befreiendes. Er beugte sich vor und suchte so lange in seiner Tasche, bis seine Finger fanden, wonach ihm der Sinn stand. Er holte einen Akkubohrer heraus und schaltete ihn ein. Die Maschine begann, schrill zu surren und sich zu drehen. Er zog die Lötbrille vor die Augen, die er hochgeschoben hatte, und trat zum Sofa.

Tot, ja?

Der Fall war abgeschlossen, ja?

Das Keuchen und Röcheln wurde lauter und unbändiger.

»Es ist Zeit, dass du mir ein Gedicht aufsagst«, murmelte E und senkte den Bohrer.