10

Seit seinem Anruf beim Orden und auf ihrer Rückfahrt zum Detroiter Flughafen hatte Hunter keine zwei Worte mit ihr gewechselt. Nicht dass Corinne nach Konversation gewesen wäre. Ihr brummte immer noch der Kopf von allem, was im Dunklen Hafen geschehen war, ihr Herz tat immer noch weh, es fühlte sich an wie eine klaffende Wunde.

Sie hatte in den Schoß ihrer Familie zurückkehren wollen und war stattdessen so niederträchtig von ihr verraten worden. Und was noch schlimmer war: Ihre Hoffnungen, mithilfe von Victor Bishops Macht und Einfluss ihren verlorenen kleinen Jungen zu finden, hatten sich nun völlig zerschlagen.

Wem sollte sie jetzt noch trauen, wenn die einzige Familie, die sie je gehabt hatte, sie wissentlich einem Monster ausliefern konnte?

Verzweiflung schnürte ihr die Kehle zusammen, als sie im dunklen Wagen saß und stumpfsinnig die im Mondlicht vorbeirasende Umgebung betrachtete, während Hunter sie durch das Labyrinth der privaten Zufahrtsstraßen des Flughafens navigierte und auf einen Komplex von gewölbten Hangargebäuden direkt neben dem öffentlichen Terminal und den Start- und Landebahnen zuhielt.

Corinne musste die ganze Zeit an ihr Kind denken, das kostbare Baby, das Dragos ihr gleich nach seiner Geburt aus den Armen gerissen hatte. Er musste jetzt schon ein großer Junge sein – ein Teenager, der seine Mutter nie gekannt hatte.

Dragos’ Gefangene hatten weder Kalender noch Uhren gehabt, nicht einmal den kleinsten Komfort. Wie alt ihr Kind war, hatte sie nur auf eine einzige Weise schätzen können: In Abschnitten von neun Monaten, indem sie die Schwangerschaften anderer gefangener Stammesgefährtinnen beobachtete. Seit sie ihren neugeborenen Sohn in den Armen gehalten hatte, waren bis zu ihrer Rettung vor einer Woche dreizehn Geburtszyklen vergangen.

Trotz der entsetzlichen Art und Weise, wie es gezeugt worden war, hatte Corinne ihr Baby vom ersten Augenblick an innig geliebt. Es gehörte zu ihr, war ein unverzichtbarer Teil von ihr, egal, wie brutal es auf diese Welt gekommen war. Sie erinnerte sich daran, wie schrecklich sie den Jungen vermisst hatte. Diesen Kummer spürte sie immer noch – ihr Körper sagte ihr, dass er am Leben war, aber sie wusste nicht, wohin man ihn gebracht hatte oder was aus ihm geworden war.

Das nagte auch jetzt noch an ihr. Wieder überkam sie dieses Gefühl abgrundtiefer Trauer, als Hunter in einem anonymen Hangargebäude parkte, wo der schnittige weiße Privatjet auf sie wartete. Er nahm sein Handy heraus und telefonierte. Seine tiefe Stimme, die sie jetzt bloß als Hintergrundgeräusch wahrnahm, war seltsam tröstlich. Ihn einfach nur reden zu hören, so stark und ruhig, und seine selbstbewusste Präsenz zu spüren, die alles in seiner Umgebung so mühelos kontrollierte, schien die anschwellende Gezeitenwelle ihrer Erinnerungen für sie irgendwie beherrschbarer zu machen.

Sie fand Halt in seiner Stimme, als die schmerzhafte Woge der Erinnerung an ihr Baby und ihre Unfähigkeit, es festzuhalten und zu beschützen, jetzt immer weiter auf sie einströmte.

Wenn das katastrophale Wiedersehen mit ihrer Familie heute Nacht ihr etwas gegeben hatte, um sich daran festzuhalten, dann war es ihr fester Entschluss, der umso eiserner geworden war, jetzt, wo sie erfahren hatte, wie brutal es sich anfühlen konnte, im Stich gelassen zu werden: Sie würde ihr Kind nicht aufgeben. Sie würde durch die Feuer der Hölle gehen, um es zu finden. Nicht einmal Dragos und sein dämonischer Wahnsinn würde sie davon abhalten können, ihren Sohn wiederzusehen. Sie würde nichts und niemandem erlauben, sich ihr in den Weg zu stellen.

Hunter beendete sein kurzes Telefongespräch, stellte das Handy ab und ließ das winzige Gerät wieder in die Manteltasche gleiten.

Sie sah zu ihm hinüber, und im dämmrig erleuchteten Wageninneren trafen sich ihre Blicke. »Alles okay bei deinen Freunden in Boston?«

Obwohl er ihr nicht von seinem ersten Anruf im Hauptquartier des Ordens erzählt hatte, hatte Corinne genug mitgehört, um zu wissen, dass während Hunters Abwesenheit etwas Schlimmes geschehen war. Dragos’ Name war gefallen und der eines Jungen aus einem Dunklen Hafen, der durch Dragos erst kürzlich seine Familie und sein Zuhause verloren hatte. Von dem wenigen, das sie verstanden hatte, und so ausweichend und fast unfreundlich, wie Hunter sie jetzt ansah, musste es Dragos irgendwie gelungen sein, die Oberhand zu bekommen.

»Ist es schlimm, Hunter? Sind sie in Gefahr?«

»Wir sind mitten in einem Krieg«, antwortete er, und seine entnervend ruhige Stimme klang düster, aber nicht resigniert. »Bis Dragos tot ist, sind alle in Gefahr.«

Er redete nicht nur von den Bewohnern des Hauptquartiers, nicht einmal nur von den Kriegern und der ganzen Vampirbevölkerung zusammen. Der Krieg, von dem Hunter sprach, hatte viel größere Dimensionen. Dragos war eine Gefahr für die ganze Welt.

Wenn ein anderer so etwas gesagt hätte, hätte sie es vermutlich als dramatische Übertreibung verbucht. Aber das hier war Hunter, und Übertreibungen waren ihm fremd. Er war sachlich und knapp, wählte seine Worte so exakt, wie er seine Taten ausführte. Und dadurch wog seine Bemerkung so ungleich viel schwerer.

Corinne ließ sich zurücksinken, unfähig, seine durchdringenden goldenen Augen auszuhalten. Sie drehte den Kopf und sah aus dem getönten Fenster auf der Beifahrerseite, beobachtete, wie sich die Einstiegstür des kleinen Jets öffnete und die Gangway auf den Betonboden des Hangargebäudes hinabgelassen wurde.

»Schickst du mich nach Boston zurück?«

»Nein.« Hunter stellte den Motor des Wagens ab. »Ich schicke dich nirgendwo hin. Du sollst vorerst bei mir bleiben. Lucan hat mich mit deinem Schutz beauftragt.«

Sie sah von dem wartenden Flugzeug weg und wagte einen erneuten Blick auf ihren distanzierten Begleiter. Sie wollte argumentieren, dass sie keinen Beschützer brauchte, nicht jetzt, wo sie doch eben erst die Freiheit gewonnen hatte, so bitter diese erste Kostprobe auch gewesen war. Aber nun stellte sich ihr eine wichtigere Frage. »Wenn wir nicht nach Boston zurückgehen, wohin fliegt dann dieses Flugzeug?«

»New Orleans«, antwortete er. »Gideon konnte bestätigen, was Regina Bishop über Henry Vachon sagte. Ihm gehören mehrere Liegenschaften im Großraum New Orleans, und er soll dort auch wohnen. Momentan ist Vachon unsere beste Verbindung zu Dragos.«

Corinne schlug das Herz bis zum Hals. Henry Vachon die beste Verbindung des Ordens zu Dragos … was bedeutete, dass er auch ihre beste Verbindung zu Dragos war. Vielleicht die einzige, die sie hatte, um herauszufinden, was mit ihrem Sohn geschehen war.

So sehr sie die Vorstellung auch ablehnte, an Hunter oder sonst jemanden gebunden zu sein, sagte ihr ihr Verstand, dass ihr wenig anderes übrig blieb, denn mittellos und auf sich allein gestellt konnte sie nichts erreichen. Wenn sie Henry Vachon und damit ihrem Kind näher kam, indem sie sich mit Hunter zusammentat, dann musste es eben sein. Für ihr Kind würde sie alles tun.

»Was wirst du machen, wenn du Vachon findest?«, fragte sie.

»Meine Mission ist einfach: Seine Verbindung zu Dragos feststellen und alles an nützlichen Informationen aus ihm herausholen, was ich kann. Dann die Zielperson neutralisieren, um potenzielle negative Auswirkungen zu verhindern.«

»Du meinst, du hast vor, ihn umzubringen«, sagte Corinne, das war keine Frage, sondern eine grimmige Feststellung.

Hunters Augen blickten unerschütterlich. »Wenn ich feststelle, dass Vachon tatsächlich mit Dragos verbündet ist oder war, muss er eliminiert werden.«

Sie nickte schwach, war aber unsicher, was sie denken sollte. Sie konnte kein Mitleid für Henry Vachon empfinden, wenn er irgendetwas mit ihrer Entführung und Gefangenschaft zu tun hatte, aber ein anderer Teil von ihr fragte sich, wie Hunters brutaler Beruf und das viele Töten sich wohl auf ihn auswirken würden.

»Macht dir nie zu schaffen, was du tun musst?« Die Frage war ihr entschlüpft, bevor sie entscheiden konnte, ob sie ihr zustand oder nicht. Bevor sie Zeit gehabt hatte zu überlegen, ob sie die Antwort überhaupt wissen wollte. »Bedeutet dir ein Leben wirklich so wenig?«

Hunter verzog keine Miene. Sein gut aussehendes Gesicht mit den hohen Wangenknochen und dem eckigen Kinn war starr, so unerbittlich wie scharfkantiger Stahl. Nur sein Mund schien weich, seine vollen Lippen, die weder grimmig waren noch lächelten, entnervend neutral.

Aber es waren seine Augen, die sie am meisten faszinierten. Unter seinem kurz geschorenen hellbraunen Haarschopf waren seine Augen durchdringend, prüfend. Aber so scharf, wie er sie jetzt ansah, schien er umso entschlossener, nichts von sich preiszugeben.

»Ich bin ein Killer«, antwortete er ihr, ohne Entschuldigung oder Rechtfertigung. »Dazu bin ich geboren, man hat mich hervorragend ausgebildet, und ich bin gut in meinem Job.«

»Und dir kommen nie Zweifel?« Sie konnte einfach nicht anders, sie musste weiterbohren, musste es wissen. Wollte diesen furchterregenden Stammesvampir verstehen, der so einzelgängerisch und allein wirkte. »Du hast nie hinterfragt, was du tust – kein einziges Mal?«

In diesem Augenblick huschte ein düsterer Ausdruck über sein Gesicht. Sie meinte, ein ausweichendes Flackern in seinen Augen gesehen zu haben, kurz aber unübersehbar. Doch eine Sekunde später blinzelte er es fort, zog den Zündschlüssel ab und ließ ihn in die Mittelkonsole des Wagens fallen.

»Nein«, antwortete er schließlich. »Ich hinterfrage nie, was meine Pflicht von mir verlangt. Niemals.«

Er öffnete die Tür auf der Fahrerseite und stieg aus dem Wagen. »Das Flugzeug wartet. Wir müssen jetzt gehen, solange die Nacht noch auf unserer Seite ist.«

»Sie sind jetzt auf dem Weg nach New Orleans.«

Lucan sah auf, als Gideon sein Gespräch mit Hunter beendete und zurück zum Konferenztisch des Techniklabors kam, wo Tegan und er über einigen ausgerollten Skizzen grübelten. »Gab es noch irgendwelche Probleme mit Corinne Bishop oder ihrer Familie in Detroit?«

»Klang nicht so«, antwortete Gideon. »Hunter hat gesagt, er hätte alles unter Kontrolle.«

Lucan stieß einen ironischen Grunzlaut aus, trotz des Ernstes ihrer Lage belustigt. »Wo hab ich den Spruch bloß schon mal gehört? Berühmte letzte Worte von einigen von uns in den letzten anderthalb Jahren.«

»Jep.« Gideon hob eine Augenbraue über den Rand seiner hellblau getönten Sonnenbrille. »Und normalerweise kam kurz darauf ein Anruf, dass die Situation, die angeblich so absolut unter Kontrolle war, gerade komplett den Bach runterging.«

In der Hinsicht hatte auch Lucan selbst sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert, und das galt auch für Tegan oder Gideon. Trotzdem war es Hunter, über den sie jetzt redeten.

Tegan schien zu ahnen, was er gerade dachte. »Wenn ich den Mann nicht ab und an hätte bluten sehen, als er von einigen seiner übleren Missionen zurückkam, würde ich sagen, der Mann ist aus Stahl und Kabeln statt aus Muskeln und Knochen, eine Maschine. Der baut keinen Scheiß – so was ist in seiner DNA nicht vorgesehen. Mit Hunter wird es keine Überraschungen geben.«

»Das will ich hoffen«, antwortete Lucan. »Wir haben weiß Gott auch so schon genug am Hals.«

Damit wandten die drei ihre Aufmerksamkeit wieder den Plänen zu, die Lucan auf dem Tisch ausgerollt hatte. Die Blaupausen waren ein Projekt, an dem er die letzten Monate über allein gearbeitet hatte, nachdem ihm aufgegangen war, wie anfällig das Hauptquartier wurde, je länger Dragos auf freiem Fuß war.

Es waren die Pläne für ein neues Hauptquartier.

Das Grundstück hatte er bereits gekauft – achtzig Hektar in den Green Mountains in Vermont, und die Planung für das ausgedehnte, hoch gesicherte Anwesen mit einem Bunkersystem auf dem allerneuesten Stand der Technik, das in seinen vielen unterirdischen Räumen und speziellen Einrichtungen eine ganze Kleinstadt beherbergen konnte, war fast abgeschlossen. Es war schlichtweg riesig, genau der Ort, wie ihn der Orden jetzt brauchte, wo Dragos ihr Hauptquartier geortet hatte.

Das Problem war nur, eine Anlage dieser Größe und Dimension zu bauen, würde noch mindestens ein Jahr dauern.

Und sie brauchten jetzt sofort etwas.

»Vielleicht sollten wir uns aufteilen«, schlug Gideon nach einer Weile vor. »Jeder von uns hat doch eigenes Geld und Immobilienbesitz. Von denen ist natürlich keines so sicher, wie es dieses Hauptquartier ist – oder vielmehr war. Aber es ist nicht so, dass wir keine Handlungsmöglichkeiten haben. Vielleicht wäre es die klügste und schnellste Lösung, wenn jeder von uns sich seine Gefährtin schnappt und mit ihr woanders unterkommt.«

Tegans grüne Augen glitzerten finster, als er Lucan einen ernsten Blick zuwarf. Es war nur zu offensichtlich, was der andere Gen-Eins-Krieger dachte. Auch wenn Lucan und er in der Vergangenheit nicht immer das beste Verhältnis zueinander gehabt hatten, sie waren die letzten beiden Gründungsmitglieder des Ordens. Seit der Gründung des Ordens vor über siebenhundert Jahren hatten sie Seite an Seite gekämpft und zusammen unzählige Höllen und Triumphe erlebt. Sie hatten füreinander getötet, füreinander geblutet … manchmal sogar füreinander geweint. Nur, um heute gemeinsam hier anzukommen.

Gemeinsam, nicht getrennt.

Und nun sah Lucan in Tegans Blick eine raue, mittelalterliche Wildheit. Er verstand sie. Ihm ging es genauso.

»Der Orden teilt sich nicht auf«, antwortete Lucan knapp, wütend, dass Dragos sie zwang, so etwas auch nur in Erwägung zu ziehen. »Wir sind Krieger. Brüder. Wir sind eine Familie. Wir werden niemandem erlauben, uns auseinanderzutreiben.«

Gideon nickte stumm und feierlich. »Ja«, sagte er schließlich und sah ihnen in die Augen. »Schön bescheuert von mir, was? Absolute Schnapsidee. Weiß auch nicht, wie mir so was einfallen konnte.«

Sie kicherten angespannt, alle drei waren sich nur allzu deutlich der Tatsache bewusst, dass die restlichen Bewohner des Hauptquartiers ihnen die Entscheidung übertragen hatten, wie es mit ihnen allen weitergehen sollte. Und ihnen blieben verdammt wenig Möglichkeiten. Dragos hatte sie jetzt in der Falle und konnte jeden Augenblick zum Angriff übergehen.

»Reichen und Claire haben Immobilien in Europa«, bemerkte Gideon. »Wobei, ideal wäre es nicht, es wäre ein Riesenaufwand, das Hauptquartier zu verlassen und ins Ausland umzuziehen, besonders so kurzfristig.«

Lucan dachte über den Vorschlag nach. »Was ist mit dem Techniklabor? Wir können es uns nicht leisten, den Druck von Dragos zu nehmen, selbst wenn wir hier ausziehen müssen. Wie schnell kannst du das alles woanders wieder aufgebaut haben?«

»Ganz übergangslos geht es nicht, es wird schon eine Unterbrechung geben«, antwortete Gideon. »Aber nichts ist unmöglich.«

»Was ist mit Tess?« Tegans Frage traf sie wie eine Keule. »Denkt ihr wirklich, sie kann in ihrem Zustand einen anstrengenden Umzug mitmachen? Und denkt ihr, Dante würde ein solches Risiko eingehen?«

Tegan schüttelte den Kopf, und Lucan wusste, dass er recht hatte. Sie konnten Tess und Dante nicht bitten, ihre Gesundheit oder die ihres Babys durch einen Umzug dieser Größenordnung aufs Spiel zu setzen.

Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Lucan seine Zweifel hatte, wie sinnvoll es war, das neue Hauptquartier des Ordens so weit fort von Dragos’ mutmaßlicher Kommandozentrale zu errichten. Vor Ort war es so viel leichter, den Bastard unter Druck zu setzen.

Als Lucan so hin und her überlegte, bemerkte er eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Lazaro Archer ging eben an der Glaswand des Techniklabors vorbei. Der Zivilist der Ersten Generation blieb an der Glastür stehen, hob die Hand und bat um Einlass.

Lucan sah zu Gideon hinüber. »Lass ihn rein.«

Gideon lehnte sich zu seiner Computerkonsole hinüber und drückte auf einen Knopf. Die Glastür des Techniklabors glitt mit einem leisen hydraulischen Zischen auf.

Lazaro Archer trat ein, zwei Meter groß und respekteinflößend. Seine Gen-Eins-Gene verliehen ihm das Aussehen eines Kriegers, auch wenn er die neunhundert Jahre seines Lebens fernab von Kampf und Blutvergießen verbracht hatte.

Bis Dragos Archers Familie ins Visier genommen und ausgelöscht hatte.

»Wie geht es Kellan?«, fragte Lucan den Stammesältesten, dem die schrecklichen Belastungen der letzten Zeit mittlerweile anzusehen waren.

»Jede Stunde besser«, antwortete Archer. »Dieses Ortungsgerät war offenbar der Grund, dass es ihm so schlecht ging. Der Junge ist zäh, er schafft das schon, da habe ich keine Zweifel.«

Lucan nickte ihm langsam zu. »Das freut mich für euch beide, Lazaro. Es tut mir unendlich leid, dass deine Familie zwischen die Fronten unseres Krieges mit Dragos geriet. Du hast nicht darum gebeten und hast weiß Gott nicht verdient, was man dir angetan hat.«

Archers dunkle Augen wurden etwas lebhafter, als er auf den Tisch zuging, um sich zu den Kriegern zu gesellen. Sein Blick fiel auf die ausgerollten Pläne, dann sah er wieder zu Lucan auf. »Weißt du noch, was ich in der Nacht zu dir gesagt habe, als mein Dunkler Hafen in Schutt und Asche gelegt wurde und mein einziger Sohn Christophe neben mir im Wagen erschossen wurde, wo wir auf Kellans Rettung warteten? Ich habe dir etwas versprochen.«

Lucan erinnerte sich nur allzu gut daran. »Du hast mir gesagt, dass du uns helfen willst, Dragos zu vernichten. Du hast uns deine Hilfe angeboten.«

»Ganz genau«, antwortete Archer. »Was immer ihr braucht, gehört euch. Der Orden hat meinen Respekt und meine ganze Loyalität, Lucan. Und besonders jetzt, nachdem das heute mit Kellan passiert ist. Mein Gott, wenn ich daran denke, dass ihr alle jetzt in viel größerer Gefahr seid, einfach nur, weil ihr uns geholfen habt …«

»Lass das«, unterbrach ihn Lucan. »Niemand macht euch einen Vorwurf, weder dir noch dem Jungen. Dragos hat euch benutzt. Er wird bezahlen für alles, was er getan hat.«

»Ich will helfen«, sagte Archer wieder. »Ein paar von den Frauen haben mir gesagt, dass ihr eben darüber beratschlagt, mit dem Hauptquartier umzuziehen.«

Lucans Blick wanderte von Tegan und Gideon zurück zu Archer. »Wir hatten gehofft, das tun zu können, aber derzeit dürfte es nicht machbar sein.«

»Warum nicht?«

Lucan zeigte auf die Entwürfe auf dem Tisch. »Die Pläne sind fast fertig, aber sie können nicht rechtzeitig umgesetzt werden, um uns derzeit wirklich weiterzuhelfen. Unsere einzige andere Alternative wäre, unsere Operation ins Ausland zu verlegen. Aber soweit wir wissen, konzentriert Dragos seine Operation auf Neuengland, da wäre es unklug, hier alle Zelte abzubrechen und ein paar tausend Meilen fortzurennen.«

»Was ist mit Maine?«

Lucan runzelte die Stirn. »Wir haben ein paar Hektar Land hier und dort, aber nichts, was als Basis für das ganze Hauptquartier geeignet wäre, auch nicht als Übergangslösung.«

»Ihr vielleicht nicht«, antwortete Archer langsam. »Aber zufällig habe ich genau das Richtige.«