KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG
Der Bau der Pyramiden war nur durch den Größenwahn vampirischer Herrscher und das Leid menschlicher Sklaven möglich. Das Gleiche kann man über fast jede übermenschlich erscheinende Leistung sagen, da sie im Zweifelsfall denen abgerungen wurde, die durch Betörung weder freien Willen noch Lebenswillen besaßen.
Bedeutet dies, dass die Kinder Echnatons die Pyramiden abreißen würden, wenn sie es könnten?
Ja.
– Die geheime Geschichte der Welt von MJB
Zwei Stunden zuvor
Die Augen der Vampire schienen Friedrich zu folgen, als er durch das Labor zu seinem Projekt ging, dem Weltenveränderer, wie Gunther und Roderick es immer noch nannten, obwohl er ihnen erklärt hatte, wie arrogant das klang.
In Gläsern auf den Labortischen trieben die Augen von mehr als fünfzig Vampiren wie Soleier. Jedes einzelne hatte Friedrich berührt, sie waren zu so etwas wie seinem Schatz geworden.
Ohne euch, dachte er beinah liebevoll, wäre das Experiment niemals geglückt.
Seine beiden Assistenten standen rechts und links neben der Maschine. Sie trugen dunkle Anzüge und polierte Schuhe. Friedrich warf einen kurzen Blick an sich hinab. Sein Anzug saß, die Schuhe glänzten. Es hätte Seine Eminenz sicherlich nicht erfreut, wenn der Leiter seines großen Projekts weniger elegant erschienen wäre als die Helfer.
Gunther und Roderick schlugen die Hacken zusammen, Friedrich nickte knapp und stellte sich vor sie, mit dem Rücken zur Maschine. Gerade mal drei Meter lang war sie nach den Umbauten noch. Er fragte sich, wie er je auf die Idee gekommen war, sie größer zu machen. Hatte er das überhaupt? Einen Moment lang kamen ihm Zweifel. Nervös drehte er an seinem Manschettenknopf. »Ist Seine Eminenz unterwegs?«
Gunther nickte. »Ja, Professor.«
Seit der letzten Sporenentnahme hatte er ein blaues und ein braunes Auge, was ihm ein unerfreulich verschlagenes Aussehen gab.
»Gut.«
Er hörte, wie die Tür zum Labor geöffnet wurde und sah zur Treppe. Seine Eminenz hatte sich ebenfalls dem Anlass entsprechend gekleidet. Sein dunkler Anzug erinnerte entfernt an eine Uniform mit angedeuteten Ordensleisten und Schulterklappen, während seine spitzen Schuhe höfischer erschienen, ohne aufdringlich zu sein. Er wirkte beinah hoheitlich in seiner eleganten Bescheidenheit.
Friedrich schlug die Hacken zusammen. Zufrieden bemerkte er, dass seine Assistenten zeitgleich dasselbe taten. Sie waren in den letzten Monaten zu einer Einheit verschmolzen.
»Ist es vollbracht?«, fragte Seine Eminenz.
»Das ist es.« Friedrich trat zur Seite, damit die Maschine besser zur Geltung kam, und verneigte sich. »Mein Projekt.«
»Der Weltenveränderer«, sagte Roderick. »Er …«
»Das ist natürlich ein wenig hoch gegriffen, Eminenz. Bitte entschuldigen Sie den Ausdruck.«
Seine Eminenz schwieg. Langsam ging er um die Maschine herum, betrachtete sie von allen Seiten und blieb schließlich neben Friedrich stehen. »Sagen Sie mir etwas dazu.«
»Selbstverständlich.« Es war die Gelegenheit, auf die er gewartet hatte. »Die Augen, die Sie mir freundlicherweise gebracht haben, waren der Schlüssel zu unserem Erfolg. Wir stellten fest, dass die Taschen, über die wir ja bereits gesprochen haben, mit der Sporenproduktion fortfahren, solange sie durch die Zufuhr von Blut stimuliert werden. Der vampirische Organismus ist einzigartig in dieser Beziehung. Die Taschen in der Maschine …«
»Reichen sie aus für unsere Zwecke?« Seine Eminenz strich mit der Hand über das glatte Metall der Maschine.
Etwas enttäuscht unterbrach Friedrich seine Erklärungen. »Mehr als das, denn wie unser Feldversuch beweist, den Gunther und Roderick in meiner Abwesenheit so gewissenhaft dokumentiert haben, tragen die Befallenen sie an ihrer Kleidung und den Haaren und übertragen sie auf andere. Sie sollten vielmehr über die Frage nachdenken, wie Sie die Ausbreitung der Sporen eindämmen und sie Ihrem Willen unterordnen können, denn ohne eine solche Kontrolle sterben sie erst ab, wenn sie die höheren Gehirnfunktionen des Wirtskörpers vollständig zerstört haben.« Er lächelte. »Und das ist ja nicht in unserem Sinne.«
Wir haben uns darüber schon einige Gedanken gemacht, wollte er sagen, doch dann sah er den Blick Seiner Eminenz, die ruhige Kälte, die darin lag.
Sein Lächeln erstarb. »Nein, das …« Er sah zu Roderick und Gunther, erhoffte sich ein beruhigendes Wort von ihnen, aber sie standen nur starr und reglos da, als sei das Leben aus ihnen gewichen.
Friedrich schluckte. Sein Herz begann zu hämmern. »Wir sprachen darüber, die Volksversammlung in Paris unter unsere Kontrolle zu bringen, Frankreich zurück in den Schoß der natürlichen Ordnung zu holen und dem Volk das Privileg zurückzugeben, von denen regiert zu werden, die Gott dazu ausersehen hat, aber …«
»Schweig.«
Friedrich schloss den Mund.
Seine Eminenz stellte sich vor ihn, sah auf ihn herab, ohne Freundlichkeit, ohne den Respekt, den Friedrich immer sosehr genossen hatte. »Wir sprachen darüber, das zu tun, was ich verlange. Nichts weiter. All deine Erklärungen, all deine Rechtfertigungen sind sinnlos. Du denkst, du wüsstest, was mich ausmacht? Du glaubst, wenn du nur lange genug fragst, wirst du herausfinden, was ich bin?«
Friedrich versuchte den Mund zu öffnen, aber seine Lippen bewegten sich nicht.
»Deine Taschen voller Sporen …« Seine Eminenz spuckte das Wort aus. »Weißt du, warum es sie gibt? Ich habe sie erschaffen, ich habe ihnen die Fähigkeiten gegeben, die du ihnen angedichtet hast, weil sie das Einzige waren, womit dein kleiner Geist umgehen konnte.«
Was soll das heißen? Habe ich ihm die Waffe in die Hand gegeben, die er brauchte? Mein Gott, was geschieht hier?
Friedrich fuhr sich mit beiden Händen durchs Gesicht. Er spürte raues, verfilztes Haar unter seinen Fingerspitzen und einen zahnlosen, eingefallenen Mund. Erschrocken zuckte er zurück und starrte auf seine Hände. Sie gehörten einem alten Mann, waren faltig und voller Flecken. Er blinzelte. Sein Blick war trüb, Erschöpfung zog seine Lider nach unten.
»Deine Fragen«, hörte er Seine Eminenz sagen, »deine ständigen impertinenten Fragen … achtzehn Jahre lang.«
Achtzehn Jahre? Friedrich schrie lautlos auf.
»Aber nun hast du dein Werk vollendet. Du hast die eine Frage, die ich dir gestellt habe, damals, als ich dich aus deinem Haus verschleppte, beantwortet. Ist es möglich, das, was sich jeder Erklärung verweigert, durch das, was ihr Fortschritt nennt, zu imitieren?«
Friedrich blickte an sich hinunter. Lumpen hingen an einem ausgemergelten Körper, Läuse krochen durch seinen Bart. Das bin nicht ich!
»Die Antwort lautet ja. Ich bedauere fast schon, dass du der Letzte sein wird, der das erkennt, denn wenn die Arbeit deiner Sporen getan ist und ich die Armee der wilden Stämme, die noch im Norden schläft, erweckt und über den Rest der Welt gebracht habe, wird es keine Fragen mehr geben, nur noch Frieden.«
Seine Umgebung verschwamm vor Friedrichs Augen. Die Höhle verschwand, wurde zu einer verfallenen Ruine, an deren Wänden Schimmel wuchs. Stroh lag am Boden, alles war voller Kot. Roderick und Gunther waren nicht mehr zu sehen; plötzlich war er sicher, dass es sie nie gegeben hatte. Nur sein Labor blieb unverändert – und die Maschine darin.
Ich werde sie zerstören. Es war der erste klare Gedanke, zu dem er fähig schien. Friedrich wusste, dass er betört worden war, achtzehn lange Jahre, doch er drängte das Entsetzen darüber zurück.
Zitternd setzte er einen Fuß vor den anderen, streckte die Hand nach dem Hammer auf einem der Labortische aus.
»Ihr werdet glücklich sein«, sagte Seine Eminenz. Es klang nicht ironisch. »Kein Nachdenken mehr, keine Wünsche, kein Hass, nur noch essen, schlafen, vermehren und die stumme Verehrung für eure Herren. Sag mir, ist das nicht ein besseres Schicksal als das, was euer Schöpfer euch beschieden hat?«
Friedrich spürte, wie Seine Eminenz seine Zunge freigab, aber er machte sich nicht die Mühe, zu antworten. Er war nicht sicher, ob sein Gehirn dazu noch in der Lage war. Seine Gedanken wurden bereits wirr, das Zittern in seinen Beinen schlimmer. Nicht mehr lange und sein zerfressenes, geschundenes Gehirn würde versagen.
Der Hammer war so schwer, dass Friedrich ihn kaum heben konnte. Er brauchte beide Hände, um ihn überhaupt zu bewegen, mit ihm auszuholen und …
»Dreh dich um.« Die Stimme Seiner Eminenz klang nicht mehr weich, sondern knirschend und kratzend wie Nägel, die man über Holz zog.
Er drehte sich um. Das Gesicht Seiner Eminenz verschwamm durch seine Tränen der Enttäuschung, aber er glaubte zu sehen, wie es sich verzerrte und zerfloss, zu etwas wurde, mit dem sein Gehirn nicht umgehen konnte.
»Lass den Hammer fallen.«
Er befolgte den Befehl, ohne es zu wollen.
Seine Eminenz wandte sich von ihm ab. »Lauf«, sagte die fremde Stimme. »Lauf, bis du stirbst.«
Und Friedrich lief.