KAPITEL FÜNFZEHN
Nicht alle großen Herrscher und Eroberer der Welt waren Vampire. Im Gegenteil, bei einigen der bedeutendsten handelte es sich um Menschen, die von Vampiren entweder geduldet wurden oder sich trotz ihrer nach oben arbeiteten. Julius Caesar ist ein Beispiel für einen geduldeten Menschen, während Dschingis Khan sich durch ihre Reihen morden musste, um sein Ziel zu erreichen. Bei anderen berühmten Figuren der Geschichte wissen wir einfach nicht, welcher Spezies sie zuzuordnen sind. Ein beliebtes Streitobjekt ist Alexander der Große, den selbst die damaligen Kinder Echnatons nicht einwandfrei zuordnen konnten. Und das ist bis zum heutigen Tage so geblieben.
– Die geheime Geschichte der Welt von MJB
Ferdinand zog den Chinesen hinter sich her wie ein kleiner Junge eine Lumpenpuppe.
»Der ist ganz schön zäh«, sagte Karl, als er ihm in die Kutsche half.
»Und wohlschmeckend.« Ferdinand lehnte den fast bewusstlosen Mann an die gepolsterte Kutschenwand. Dann setzte er sich. Sein riesiger Kopf wackelte auf dem dürren Hals.
Franz-Josef wartete, bis auch Karl eingestiegen war, dann nahm er die beiden Metallsprossen und schloss die Kutschentür hinter sich. Nur noch der Platz neben Sophie war frei.
Natürlich, dachte er resignierend und setzte sich.
»Wir hätten wesentlich mehr Platz, wenn du deinen Chinesen nicht mitnehmen müsstest.«
»Aber auch wesentlich weniger Freude.« Ferdinand legte dem Mann eine Pferdedecke über die zitternden Beine. »Er bereichert meine Existenz.«
Franz-Josef hörte, wie der Kutscher mit der Zunge schnalzte, dann setzte sich das Gefährt in Bewegung. Rund dreißig Kutschen, Wagen und Karren waren vor zwei Tagen in Bad Ischl aufgebrochen, doch dank der unterschiedlichen Geschwindigkeiten hatten sich das Feld rasch auseinandergezogen. Die Reise nach Wien war lang und Sophie ungeduldig. Bereits nach wenigen Stunden hatte sie beschlossen, sich nur mit einem kleinen Trupp Leibwächter vom Rest der Reisenden abzusetzen.
Franz-Josef kam das gelegen. Je früher sie im Palast ankamen, desto eher konnte er alles für Sissis Eintreffen vorbereiten.
»Was machen wir mit den Wölfen?«, fragte er über das Rumpeln der Räder hinweg. »Wir müssen sie wenigstens aus meinem Trakt entfernen, sonst läuft Sissi noch in einen hinein.«
»Das wäre peinlich«, meinte Karl, ohne den Blick von Ferdinands Chinesen zu nehmen.
Die Halsschlagader des Menschen war selbst in der Dunkelheit deutlich zu sehen. Obwohl sie nur bei Nacht reisten und die Tage in sorgfältig ausgesuchten Herbergen verbrachten, hatte Sophie darauf bestanden, die Fenster mit schwarzem Stoff abzuhängen.
Sie hob kurz die Schultern. »Was du in deinem Trakt machst, interessiert mich nicht, aber meiner bleibt unangetastet. Sie hat dort nichts zu suchen, mach ihr das klar.«
»Ja, Sophie.« Franz-Josef lehnte sich in die Polster zurück. Er kannte Sissi noch nicht wirklich gut, war sich aber sicher, dass das nicht einfach sein würde.
Sie hat ihren eigenen Kopf, dachte er, bevor er sich in Tagträumereien verlor. Er stellte sich das Zusammenleben mit Sissi vor – wie sie gemeinsam im Bett lagen, frühstückten, wie sie zusammen einschliefen, aufwachten und den Tag mit einem Ausritt begannen. Alles würden sie gemeinsam tun, nie wollte er von ihr getrennt sein.
Er zuckte zusammen, als die Realität mit langen Schritten in seinen Traum marschierte. Nichts von dem wird so sein, sagte sie, du wirst dich von ihr fernhalten, dich nachts heimlich aus ihrem Bett schleichen, um zu trinken, Ausreden erfinden, damit sie nicht merkt, dass du den Tag verschläfst und die Sonne meidest. Du bist ein Vampir, und sie ist ein Mensch. Ihr habt keine Gemeinsamkeiten.
Franz-Josef öffnete die Augen. Sophie war neben ihm eingeschlafen, Ferdinand stützte seinen Kopf auf die Schulter des Chinesen und schnarchte. Nur Karl war wach. Mit einer Hand hatte er die Vorhänge einen Spalt auseinandergeschoben und blickte hinaus in die Nacht.
»Du warst doch schon mit Menschenfrauen zusammen, oder?«, fragte Franz-Josef leise.
Neben ihm seufzte Sophie im Schlaf.
Karl drehte den Kopf und sah ihn an. »Das stimmt, aber ich war auch mit Vampirinnen zusammen, falls du meine Männlichkeit infrage stellen möchtest oder darüber nachdenkst, ob mit deiner alles in Ordnung ist.«
Franz-Josef runzelte die Stirn. »Nein, daran habe ich nicht gedacht.«
»Gut. Die Frage wird nur sehr häufig gestellt.«
»Ich möchte etwas anderes wissen.« Franz-Josef beugte sich vor und sprach noch leiser. »Hast du je einer gesagt, was du bist?«
Karl ließ den Vorhang los. Der Spalt, durch den Sternenlicht sein Gesicht erhellt hatte, schloss sich. »Ich habe ihnen gesagt, was ich in dem Moment gewesen bin – ein König, ein Prinz, ein General. Mehr war nie nötig.«
»Wolltest du ihnen auch nie mehr sagen?«
Franz-Josef und Karl standen sich nicht nahe, aber in diesem Moment kam der ältere Vampir dem Vater, den er vor so langer Zeit verloren hatte, am nächsten. Ein solches Gespräch mit Sophie zu führen, wäre unmöglich gewesen, und Ferdinand war selbst an seinen klaren Tagen seltsam.
Karl zog die Lippen zusammen. »Du willst meinen Rat wegen Sissi«, sagte er, ohne es als Frage zu formulieren.
Franz-Josef nickte.
»Also gut, dann werde ich ihn dir geben. Lass es!« Er wandte sich ab und öffnete den Spalt im Vorhang. Sternenlicht ließ seine Augen funkeln.
Franz-Josef stützte die Ellbogen auf die Knie. »Aber wäre nicht alles viel einfacher, wenn sie es wüsste? Sie könnte ihren Rhythmus dem meinen anpassen. Ich müsste keine Ausreden erfinden und sie nicht anlügen. Sie …«
»Menschen verändern sich, wenn sie von uns erfahren.« Karl unterbrach ihn, ohne den Blick von der Nacht abzuwenden. »Sie fürchten und beneiden uns. Sie beginnen zu lügen, um zu bekommen, was wir haben. Alles würden sie tun, um den Verfall zu stoppen, um so zu werden wie wir. Deshalb hassen sie uns. Nicht weil wir ihr Blut trinken, sondern weil sie hundertmal Schlimmeres tun würden, um ihrem Tod zu entgehen.« Sein Blick kehrte aus der Ferne zu Franz-Josef zurück. »Sag ihr nichts. Sie wäre nicht mehr die Sissi, die du kennst, und wie ich vermute, liebst.«
Irgendwo röhrte ein Hirsch.
Eine Weile saßen sie sich schweigend gegenüber. Das Rumpeln der Räder nahm der Stille ihre Schärfe. Karl starrte in die Nacht hinaus und Franz-Josef wagte es nicht, ihn nach den Erinnerungen zu fragen, denen er so offensichtlich nachhing. Irgendwann öffnete Ferdinand die Augen.
»Möchte jemand eine Partie Schach spielen?«, fragte er.
»Wir haben kein Brett«, erwiderte Franz-Josef.
»Man benötigt zum Schachspielen ein Brett?« Ferdinand schloss die Augen wieder. »Das wusste ich nicht.«
»Es wird immer schlimmer mit ihm«, sagte Karl, als er zu schnarchen begann, »aber Sophie weigert sich, das zu erkennen. Es wird an dir und mir hängen …« Er unterbrach sich. Sein ganzer Körper spannte sich. Sein Kopf ruckte vor wie der eines Raubvogels. »Wir werden verfolgt«, sagte er.
»Was?« Franz-Josef zog den Vorhang neben seinem Platz zur Seite und sah hinaus in die Nacht. Unter dem sternenklaren Himmel erstreckten sich Felder bis zum Horizont. Zwischen ihnen lagen Hecken und dunkle Gebäude, aber nichts, was sich bewegte. »Bist du sicher?«
Es war eine dumme Frage. Wenn Karl sich nicht sicher gewesen wäre, hätte er geschwiegen.
»Sie sind auf den Feldern.«
»Wer ist auf den Feldern?«, fragte Sophie.
Franz-Josef hatte nicht bemerkt, dass sie aufgewacht war.
»Ich weiß es nicht«, sagte Karl. »Sie zeigen sich nicht. Es sind mehrere, das ist alles, was ich erkennen konnte.«
Sophie griff nach ihrem Stock und schlug mit dem Knauf gegen das Dach der Kutsche. »Anhalten«, rief sie, dann fügte sie leiser hinzu: »Wir müssen den Leibwächtern Bescheid geben.«
Die Kutsche wurde langsamer und blieb stehen. Franz-Josef hörte das Quietschen von Metall, als der Kutscher sich auf seiner Bank umdrehte. Er war ein Vampir, so wie die Leibwächter.
»Was kann ich für die Majestäten tun?«, fragte er dumpf durch das Holz, das den Innenraum vom Kutschbock trennte.
»Er möge den Soldaten Bescheid sagen, dass sie sich um uns sammeln sollen.« Sophie öffnete den Vorhang auf ihrer Seite einen Spalt.
Franz-Josef fiel auf, wie vorsichtig sie war. Nicht umsonst hatte sie ein höheres Alter erreicht als die meisten Vampire.
Ferdinand öffnete die Augen und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Zwei seiner Finger waren bis zum zweiten Glied zusammengewachsen. Er schien es erst in diesem Moment zu bemerken, denn er betrachtete sie, drehte die Hand einige Male hin und her und zuckte dann mit den Schultern, als handele es sich um keine besonders wichtige Veränderung.
»Ist es wirklich klug, in der Kutsche zu bleiben?«, fragte er dann mit erstaunlicher Klarheit. »Sollten wir nicht den Kampf auf offenem Gelände suchen, anstatt wie Kaninchen im Bau zu sitzen?«
»Noch ist es kein Kampf«, sagte Franz-Josef.
Ein Schatten huschte an ihm vorbei, im nächsten Moment schrie der Kutscher laut und durchdringend. Als sein Schrei erstarb, tropfte Schleim durch die Ritzen ins Innere der Kutsche.
»Jetzt ist es ein Kampf.« Franz-Josef trat die Tür mit dem Stiefel auf – und starrte in eine verzerrte Fratze. Doch die Tür warf die nackte, dreckverkrustete Gestalt auch schon zurück.
Wilde Vampire, dachte Franz-Josef. Er hörte Pferde wiehern; ein reiterloses Tier galoppierte an ihm vorbei. Mit einem Satz war er bei der Gestalt, die zu Boden gegangen war. Schwarzes Blut spritzte aus ihrer zerstörten Nase. Sie riss den Mund auf und zischte durch schwarz verschmierte Zähne. Franz-Josef rammte ihr das Knie gegen den Kopf.
Hinter ihm sprang Karl aus der Kutsche, schwang sich direkt aufs Dach zu dem Vampir, der den Kutscher getötet hatte und jetzt dessen Blut aufleckte.
Die wilde Vampirin vor Franz-Josef nutzte seinen Moment der Unaufmerksamkeit, um auf die Beine zu kommen. Sie hatte kurzes Haar, das aussah, als sei es von Tieren abgenagt worden.
Franz-Josef zog den Degen, den er auf Sophies Wunsch auf Reisen stets bei sich trug. Es war eine einfache Klinge aus schlechtem Stahl, mehr eine Zierde als eine Waffe, aber er trug sie, weil sie leicht war – und weil er nicht damit gerechnet hatte, sie wirklich benutzen zu müssen.
Die Vampirin wich seinem ersten Stich aus, schüttelte sich wie ein Hund und sprang ihm mit beiden Füßen voran gegen die Brust. Franz-Josef wurde gegen die Kutsche geschleudert, fing sich und holte erneut mit dem Degen aus. Die Vampirin schlug seinen Arm zur Seite, aber er hatte damit gerechnet, nutzte den Schwung, den sie ihm gab, für eine Drehung und schlug ihr den Kopf ab. Ein Gemisch aus Schleim und Asche klatschte zu Boden. Franz-Josef drehte sich um und versuchte Ordnung in das Chaos zu bringen, das er vor sich sah.
Karl stand breitbeinig auf dem Kutschendach. Er hatte einen Vampir an der Kehle gepackt und hielt ihn hoch, während er mit der anderen Hand nach dem Dolch in seinem Gürtel tastete.
Unter ihm, auf dem Boden der Kutsche, saß Ferdinand mit übereinandergeschlagenen Beinen und tröstete den Chinesen, der mit dem Kopf in seinem Schoß lag.
Franz-Josef wandte den Blick ab und konzentrierte sich stattdessen auf die ehemals sechs Leibwächter, von denen noch drei übrig waren. Einer von ihnen versuchte die wilden Vampire mit seinem Pferd niederzureiten, wurde jedoch abgeworfen, als zwei von ihnen sich gegen die Flanken des Tiers warfen.
»Kämpfe wie ein Mann, du Memme!«, schrie Karl vom Dach der Kutsche, bevor er seinen Gegner erdolchte.
Im ersten Moment dachte Franz-Josef, er sei gemeint, sosehr war er daran gewöhnt, als Feigling beschimpft zu werden, doch dann sah er, dass der abgeworfene Leibwächter über den Boden kroch und versuchte, in die Felder zu fliehen. Er stützte sich auf die Ellbogen und zog seine reglosen, anscheinend bei dem Sturz verletzten Beine hinter sich her. Die Vampire, die ihn angegriffen hatten, tanzten um ihn herum wie Derwische aus einem orientalischen Märchen und traten ihm immer wieder die Arme unter dem Körper weg. Der Leibwächter weinte trocken und schrie vor Schmerzen. Franz-Josef schämte sich für ihn.
Er wollte ihm helfen, doch im gleichen Moment traf ihn von hinten ein Schlag. Im Fallen drehte er sich, kam mit dem Rücken hart auf und stach mit dem Degen in die Luft. Zwei nackte Vampire stürzten sich fauchend auf ihn.
Wie viele sind das denn noch?, grübelte er, während er sich zur Seite rollte. Blind schlug er mit dem Degen um sich. Die Klinge traf Fleisch, dann Knochen und brach ab. Er fluchte und warf den Griff nach dem verletzten Vampir. Der wich aus, grinste und zog sich die Klinge aus den Rippen. Er schien den Schmerz nicht zu spüren.
Der zweite Vampir landete auf Franz-Josefs Brust und hieb ihm die Fäuste ins Gesicht. Sein Fauchen wurde zu einem dumpfen, weit entfernten Laut, als die Welt sich verdunkelte. Franz-Josef schüttelte den Kopf und versuchte benommen, die Hände, die sich um seinen Hals legten, wegzudrücken. Scharfer Schmerz zuckte durch seine Kehle und seinen Nacken.
Er will mir den Kopf abreißen, dachte er. Verzweifelt wehrte er sich, aber die Hände lagen so fest um seinen Hals, als hätte man sie angenagelt. Seine Haut riss auf, die Sehnen dehnten sich. Ein Schatten zuckte über sein Gesicht, dann verschwanden die Hände plötzlich von seinem Hals und der Druck von seiner Brust.
»Schluss jetzt!« Sophies Stimme kam von irgendwo über ihm.
Franz-Josef blinzelte Benommenheit und Schmerzen weg und starrte in den Nachthimmel. Sophie schwebte zwischen den Sternen. Eine Hand hatte sie in die Brust des Vampirs gebohrt, die andere hielt seinen Kopf fest. Windböen zerrten an ihrem dunklen Kleid und verwirbelten ihr sonst so sorgfältig hochgestecktes langes Haar.
Franz-Josef hatte sie noch nie fliegen sehen. Er hatte Gerüchte gehört, dass sie es konnte, aber auf seine Fragen hatte sie nicht geantwortet. Ihre schwebende Gestalt am Nachthimmel war ein Anblick aus einer anderen Welt.
Es wurde still auf der Straße zwischen den Feldern. Vampire ließen die Arme sinken, brachen ihre Kämpfe ab und starrten Sophie an.
»Geht«, sagte sie.
Die nackten Gestalten zögerten.
Sophie wartete einen Moment, dann schwebte sie zu Boden und setzte Franz-Josefs Angreifer ab. Der Vampir wich vor ihr zurück. In seinen Augen loderte Angst wie ein Feuer. Er musste ebenso wie die anderen wissen, dass Sophie sie alle töten konnte, wenn sie nur wollte.
Franz-Josef fragte sich, weshalb sie es nicht tat.
Wie auf einen unhörbaren Befehl wandten sich die wilden Vampire von ihren Gegnern ab. Mit langen Sprüngen verschwanden sie in den Feldern.
Karl sprang vom Dach. Er hielt immer noch den Dolch in der Hand und ging auf den verletzten, am Boden liegenden Leibwächter zu.
Der Mann schien zu ahnen, was ihn erwartete, denn er drehte sich auf den Rücken und hielt abwehrend die blutverschmierten Hände hoch. »Es tut mir leid«, stieß er hervor. »Ich habe die Fassung verloren.«
Karl rammte ihm den Dolch bis zur Klinge in den Bauch. Die beiden anderen Leibwächter sahen scheinbar regungslos zu.
»Trinkt«, sagte Karl. »Saugt ihn aus, bis nichts mehr in ihm ist außer Staub und Feigheit.«
Die Leibwächter traten zögernd einen Schritt vor. Franz-Josef richtete sich auf und rieb seinen Hals. Das Blut eines anderen Vampirs zu trinken, war ein Tabu, dessen Bruch mit dem Tod bestraft wurde.
»Trinkt!«, schrie Karl.
Die Leibwächter zögerten nicht länger. Sie hockten sich neben ihren schreienden und bettelnden Kameraden und tranken das Blut, das aus seinen Wunden floss.
Franz-Josef trat zu Karl. »Was soll das?«, fragte er, während er angewidert zusah, wie die Haut des Leibwächters zu Pergament wurde, seine Augäpfel austrockneten und zerfielen, seine Schreie verstummten. Staub rieselte aus seinem Mund.
»Wer uns entehrt, gehört nicht länger zu uns«, erklärte Karl. »Die beiden verstehen das jetzt und werden jedem, den sie kennen, erzählen, was sich hier zugetragen hat. Das ist einen Toten wert.« Er lächelte knapp. »Nicht erwähnen werden sie, wie gut sein Blut ihnen geschmeckt hat.«
Die Leibwächter tranken nicht mehr aus den Wunden, sondern saugten das letzte Blut aus der Halsschlagader des sterbenden Vampirs. Nur wenige Minuten später zerfiel er unter ihren Händen zu Staub.
Karl wandte sich ab. »Fangt eure Pferde ein und schließt zu uns auf«, sagte er. »Wir müssen weiter.«
Franz-Josef folgte ihm zurück zur Kutsche. Ferdinand saß wieder auf seinem Platz und redete mit dem Chinesen, der auf dem Boden hockte. Sophie stand vor der Kutsche und steckte ihre Haare hoch.
»Hast du gewusst, dass sie das kann?«, fragte Franz-Josef leise. Er brauchte nicht zu erklären, was er meinte. Das war Karl auch so klar.
»Sie ist nicht die Einzige«, sagte er.
»Mein Chinese fährt auf dem Boden mit«, sagte Ferdinand, als sie näher kamen. »Er sagt, es stört ihn nicht.«
Franz-Josef bezweifelte, dass der bewusstlose Mann tatsächlich irgendetwas gesagt hatte. »Wieso soll er nicht mehr neben dir sitzen?«, fragte er, während er bereits nach der Tür griff.
»Weil wir sonst nicht alle Platz haben.« Ferdinand zeigte neben sich.
Franz-Josef folgte seinem Blick und zuckte zurück.
»Jesus Christus«, stieß Karl neben ihm hervor.
Sophie ließ die Hände sinken und kam näher.
Der wilde Vampir saß auf ihrem Platz in der Kutsche. Er war nackt und dreckig wie die anderen, jedoch war sein Kopf kahl geschoren und verschorft.
»Raus«, sagte Sophie ruhig.
Der Vampir drehte den Kopf. Franz-Josef tastete nach dem Degen, der nicht mehr an seinem Gürtel hing. Die Augen des Mannes waren verdreht und leuchteten weiß in der dunklen Kutsche.
»Ihr seid Schwächlinge«, sagte er.
Aus einem Grund, den er selbst nicht verstand, war Franz-Josef sofort klar, dass eine fremde Stimme aus ihm sprach.
»Früher einmal hättet ihr die wilden Vampire in Stücke gerissen und jetzt kriecht ihr vor ihnen im Staub.«
»Einer ist gekrochen«, murmelte Karl, »nur einer.«
Der Vampir beachtete ihn nicht. Franz-Josef fragte sich, ob der, der aus ihm sprach, verstand, was um ihn herum gesagt wurde.
»Eine neue Zeit bricht an. Ich überlasse es euch, ob ihr daran teilhaben oder von ihr hinweggefegt werden wollt. Beim nächsten Vollmond erwarte ich eure Antwort.«
Der Vampir öffnete die Tür auf der anderen Seite der Kutsche. Ferdinand rutschte höflich zur Seite, sodass er aussteigen konnte.
Franz-Josef sah der nackten Gestalt nach, bis sie zwischen den Hecken verschwunden war. »Was war denn das?«, fragte er.
Sophie steckte die letzte Haarnadel in ihre Frisur und rückte sie zurecht. »Ich kenne nur einen Vampir, der einen anderen betören kann«, sagte sie, ohne auf Franz-Josefs Frage einzugehen.
Karl nickte. »Er ist also zurück.«Er wirkte besorgt und ein wenig ängstlich.
Ferdinand klatschte in die Hände. »Na, bravo!«