13
Zweifelhafte
Absichten
»Marta!«, rief ich aus meinem Schlafzimmer.
»Haben Sie meine cremefarbene Bluse von Dolce und Gabbana gesehen?«
Zum dritten Mal an diesem Montagmorgen durchforstete ich meinen
begehbaren Kleiderschrank. Als hätte das gesuchte Kleidungsstück
aus dem Nichts auftauchen und sich wie von Zauberhand bewegt auf
einen Bügel hängen können, während ich damit beschäftigt war, den
Inhalt meines Wäschekorbs auf dem Fußboden auszubreiten.
Vergebens.
Dafür tauchte Marta wie aus dem Nichts mit einem
Lächeln auf den Lippen in der Tür zu meinem Schlafzimmer auf. An
ihrem ausgestreckten Zeigefinger baumelte meine frisch gebügelte
Bluse.
Ich seufzte erleichtert auf. »Sie sind die Beste!
Danke, danke, danke!«
Rasch nahm ich ihr das gute Stück ab. Ich war schon
zirka zehn Minuten zu spät dran für meinen Zehn-Uhr-Termin mit
Roger Ireland.
»Gern, Miss Hunter. Muy
bonita. Heute arbeiten?«
Ein Glück, dass Marta vor einer halben Stunde
gekommen war, um klar Schiff zu machen. Ich empfand schon ihre
bloße Anwesenheit als Wohltat. Keine Ahnung, ob es an Marta
selbst lag oder daran, dass die Wohnung stets so blitzsauber war,
wenn sie hier gewesen war.
»Immer.« Ich zog mir die Bluse über den Kopf und
schüttelte dann lächelnd meine Mähne.
Sie erwiderte mein Lächeln und machte auf dem
Absatz kehrt, um sich wieder ihrer Arbeit zu widmen.
Ich überprüfte im Badezimmerspiegel mein Make-up,
verpasste meinen Locken mit der Bürste frischen Schwung und ging in
die Küche.
Marta war bis zur Taille im Ofen verschwunden,
sodass nur ihre Beine und ihr ausladender Po zu sehen waren, der
beim Schrubben hin und her wackelte.
»Ich lege Ihnen Ihren Scheck auf die Anrichte«,
verkündete ich, riss eine Seite aus meinem Scheckheft und verstaute
alles, was ich für den vor mir liegenden Tag brauchen würde, in
meiner Gucci-Handtasche: Portemonnaie, Telefone,
Pfefferminzbonbons, Sonnenbrille. Dann schnappte ich mir meine
Schlüssel und schulterte die Tasche.
»Sie hatten Anruf wegen Auto, während Sie
duschen!«, ertönte es aus dem Inneren des Ofens.
Ich hielt inne und wandte mich noch einmal um.
»Worum ging es denn?«
»Rückrufaktion.«
Seufz. Das hatte mir gerade noch gefehlt – als
müssten in meinem Leben nicht schon genügend Mängel behoben werden.
Schade, dass ich nicht alle einfach auf einen Produktionsfehler
schieben konnte. Ein kurzer Besuch in der Werkstatt und schon läuft
alles wieder rund.
»Rückrufaktion? Weswegen denn?«
»Weiß nicht«, hallte es aus dem Ofen. »Sie haben
Termin um elf.«
»Heute?« Ich zückte sogleich mein Treo, um einen
Blick auf meinen Terminkalender zu werfen.
»Nein.« Sie tauchte aus dem Ofen auf und wischte
sich eine Haarsträhne aus der verschwitzten Stirn.
»Mittwoch.«
Ein Glück, am Mittwochvormittag hatte ich Zeit. Ich
trug den Termin ein. »Okay, wird erledigt. Vielen Dank,
Marta.«
Als ich im leeren Aufzug hinauf zu Roger Irelands
Büro fuhr, wirbelten mir alle möglichen Gedanken durch den Kopf.
Von den verspiegelten Lifttüren starrte mir mein Alter Ego mit
unbewegtem Blick entgegen. Ich sah ihm in die müden Augen. Blass
sah es aus, erschöpft und besorgt. Da nützte das beste Make-up
nichts mehr. Wann war mein Leben so kompliziert geworden? Ich hatte
mich mit meiner besten Freundin verkracht, ich hatte meine naive
zwölfjährige Nichte angefahren und wäre von Parker Colman beinahe
in einem Hotelaufzug zusammengeschlagen worden.
Dagegen ist selbst ein Abdeckstift von Revlon
machtlos.
Und so sehr ich mich auch bemühte, es gelang mir
nicht, Jamies Gesicht zu vergessen. Er schien sich hartnäckig in
einer meiner Gehirnwindungen eingenistet zu haben. Das war ein
absolutes Novum.
Sobald ich dieses Meeting hinter mir hatte, musste
ich endlich etwas Ordnung in mein Leben bringen. Da gab es in
einigen Bereichen dringenden Handlungsbedarf.
Die Fahrstuhltüren glitten auseinander. Ich
straffte die Schultern, schüttelte mir das Haar auf, zupfte die
Bluse zurecht und öffnete dann eine der großen Doppelglastüren, die
zu Roger Irelands Kanzlei führten.
»Sollte ja nicht allzu lange dauern«, murmelte ich
vor mich hin.
Mr. Ireland hatte auf mich einen sehr vernünftigen
Eindruck gemacht. Direkt und unkompliziert. Ich nahm nicht an, dass
es irgendwelche Schwierigkeiten geben würde; schließlich war er mit
Parker weder verheiratet noch verlobt.
»Guten Morgen, Ashlyn«, begrüßte mich die
Empfangsdame und führte mich umgehend zum Büro am Ende des
Korridors. »Mr. und Miss Ireland erwarten Sie bereits.«
Ich bedankte mich, blieb dann aber wie angewurzelt
stehen. »Sagten Sie gerade Miss
Ireland?«
Die Empfangsdame lächelte unbedarft. »Ganz recht,
seine Tochter.«
Ich hatte plötzlich das Gefühl, durch knietiefen
Schlamm zu waten. Was zum Teufel wollte die denn hier? Mr. Ireland
hatte doch gesagt, er wollte seine Lauren persönlich einweihen.
Später. Sprich, nachdem ich aus dem Haus und außer Reichweite war.
Ich war nicht vorbereitet auf das Zusammentreffen mit einer
gestressten Braut, schon gar nicht mit einer, die zwei Wochen vor
der Hochzeit herausfindet, dass ihr Zukünftiger ehebrecherische
Tendenzen hat.
Ich versuchte, mir meine Panik nicht anmerken zu
lassen, als ich meinen Weg fortsetzte. So musste es sich anfühlen,
wenn man vor ein Exekutionskommando trat.
Die Empfangsdame öffnete mir die Tür, und ich trat
zögernd ein. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
»Ashlyn!«, begrüßte mich Roger freundlich und kam
auf mich zu, um mir die Hand zu schütteln. »Schön, Sie
wiederzusehen.«
An seinem Schreibtisch saß eine attraktive Brünette
und hackte emsig auf seiner Tastatur herum. »Kein Wunder, dass du
die Quelle dieses Datenstroms nicht findest, Dad. Deine
Verzeichnisse sind alle total durcheinander.«
Mein Auftraggeber lächelte mich an. »Das ist
Lauren, meine Tochter.«
Lauren warf kopfschüttelnd einen letzten Blick auf
den Computerbildschirm ihres Vaters, dann erhob sie sich,
durchquerte fröhlich lächelnd das Büro und streckte mir die Hand
hin. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Ashlyn. Vielen Dank,
dass Sie gekommen sind. Setzen Sie sich doch.« Sie deutete auf die
Couch und sank in einen Polstersessel.
Ich nahm verdattert gegenüber von ihr Platz; in
sicherer Entfernung, obwohl sie die Angelegenheit recht locker zu
nehmen schien. Vielleicht machte sie sich in Bezug auf die Treue
ihres Zukünftigen ja auch etwas vor. Da wäre sie nicht die
Erste.
Jedenfalls war sie hübscher, als ich angenommen
hatte. Ich bin normalerweise vorsichtig mit Klischees, aber nach
Roger Irelands Schilderung ihrer umfangreichen Computerkenntnisse
hatte ich sie mir etwas weniger... elegant vorgestellt.
Lauren Ireland war groß und schlank und hatte sich
das lange dunkle Haar zu einem strengen Pferdeschwanz
zusammengebunden. Ihre Kleidung – braune Hose, passender Blazer –
wirkte eine Spur bieder, ihr beigefarbener Rollkragenpulli ließ
keinen Zentimeter nackte Haut sehen.
Ich sah unauffällig an mir herunter. Mein grauer
Bleistiftrock war körperbetont geschnitten, und die Knöpfe der von
Marta frisch gebügelten cremefarbenen Bluse standen gerade so weit
offen, dass man den Ansatz meines Dekolletés erahnen konnte. Ich verspürte den Drang, mich
umzudrehen und den obersten Knopf zu schließen. Was mochte Laura
wohl von meinem Ensemble halten? Es tat
zwar nichts zur Sache, aber es war doch anzunehmen, dass sie sich
eine Meinung über diese Ashlyn gebildet hatte, deren berufliche
Tätigkeit darin bestand, verlobte Männer zu verführen.
Roger wirkte fahrig. Ich hätte schwören können,
dass Schweißperlen auf seiner Stirn glänzten. Lauren dagegen hatte
die Ruhe weg. Ihre Gelassenheit und Freundlichkeit waren
beeindruckend. Die meisten Frauen in ihrer Lage liefen erregt auf
und ab, rangen die Hände oder knabberten an ihren sorgfältig
manikürten Fingernägeln. Doch nicht so Lauren. Ich hegte bereits
ernsthafte Zweifel an Mr. Irelands
Einschätzung seiner Tochter. Er hatte behauptet, sie sei Männern
gegenüber unsicher und neige zu Eifersucht, doch danach sah die
Frau, die mir hier gegenübersaß, ganz und gar nicht aus. Ich hatte
sie mir ein bisschen wie Sophie vorgestellt – skeptisch, überspannt
und vor allem misstrauisch.
Ich entspannte mich ein wenig. Vielleicht würde es
ja gar nicht so schlimm werden.
»Mein Dad meinte, ich müsste unbedingt herkommen und mir Ihre Blumenarrangements
ansehen.« Sie sah auf meine leeren Hände. »Haben Sie denn Bilder
davon mitgebracht?«
Ach du liebe Zeit. Mir blieb beinahe das Herz
stehen vor Schreck.
Lauren sah fragend von mir zu ihrem Vater.
Allmählich ging ihr auf, dass etwas nicht stimmte.
»Dad?«
Mr. Ireland wischte sich mit dem Handrücken über
die Stirn, dann setzte er sich auf die Armlehne ihres
Polstersessels. »Ashlyn ist nicht hier, um mit dir über die Blumen
für die Hochzeit zu reden, Liebes.« Er legte ihr den Arm um die
Schultern.
Sie setzte sich aufrecht hin und beäugte mich
argwöhnisch. »Warum ist sie dann
hier?«
Er räusperte sich und sah mich Hilfe suchend an.
Ich saß regungslos da und hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte.
Gedemütigte Hausmütterchen, hoffnungsfrohe Verlobte, zickige
Geschäftsfrauen, das hatte ich alles bereits erlebt, aber eine
angehende Braut, die unter einem Vorwand zu einer Zusammenkunft
dieser Art gelockt wurde, war mir noch nie untergekommen.
Roger runzelte entschuldigend die Stirn. »Ich bin
zu dem Schluss gekommen, dass es das Beste ist, wenn sie von Ihnen
hört, wie es ausgegangen ist. Ich war nicht sicher, ob sie mir
glauben würde.«
In Laurens Gesicht spiegelte sich Angst. »Wie was
ausgegangen ist? Wovon redest du?«
Ich versuchte, genauso freundlich zu lächeln wie
sie, als ich hereingekommen war. Vergeblich.
Roger Ireland war davon überzeugt, dass sein
Schwiegersohn in spe schlecht abgeschnitten hatte, so viel war
klar. Sonst würde er Lauren jetzt nicht einweihen wollen. Hätte
Parker nämlich bestanden, dann hätte Roger
seiner Tochter die ganze Sache vermutlich am liebsten verschwiegen.
Doch wie es aussah, hatte mir mein Auftraggeber die
(zugegebenermaßen falsch) prognostizierte Durchfallsquote nicht
abgenommen und darauf gesetzt, dass Parker versagen würde.
Roger sah seine Tochter eindringlich an. In ihren
Augen standen riesige Fragezeichen. Sie fühlte sich sichtlich
unwohl in ihrer Haut, teils, weil sie nicht wusste, was hier
gespielt wurde, aber vor allem, weil sie bereits ahnte, dass ihr
dieses Spiel, besser gesagt sein Ausgang, ganz und gar nicht
gefallen würde.
»Schätzchen, Ashlyn ist eine professionelle
Treuetesterin.«
Sie riss entsetzt die Augen auf. »Was?«
»Sie unterzieht Männer... wie Parker... einer
Prüfung, um festzustellen, ob sie fremdgehen würden.«
Lauren schnellte in die Höhe.
»Du hast diese Frau angeheuert, damit sie Parker
testet?«
Jetzt war mir unwohl in meiner Haut. Laurens
abfällige Betonung der Worte »diese Frau« tat ein Übriges.
Großartig. Nicht genug damit, dass ich Roger Ireland und seiner Tochter das ernüchternde Ergebnis
beibringen musste, ich durfte obendrein auch noch miterleben, was
Lauren davon hielt, dass ihr Vater mich engagiert hatte.
»Ich kann nicht fassen, dass du das getan hast!«,
schrie sie denn auch prompt und begann, vor seinem Schreibtisch auf
und ab zu tigern.
Das kam dem typischen Verhalten einer »gespannt
wartenden Verlobten« schon viel näher.
Hätte ich mir eigentlich denken können, dass sie
keine Ahnung hatte. Welche Verlobte empfängt eine Treuetesterin
schon so überschwänglich wie eine Floristin, mit der sie die
Gestecke für ihre Hochzeit diskutieren will? Womit bewiesen wäre,
dass Frauen schwerer einzuschätzen sind als Männer.
»Lauren, ich habe das doch nur getan, weil ich dich
liebe und mich um dich sorge. Weil ich Angst hatte, Parker könnte
dich nicht mit dem gebührenden Respekt behandeln.«
»Ach, was! Du hast Parker doch noch nie gemocht!
Nie! Keinen meiner Freunde hast du
gemocht!«
Da saß ich nun, gefangen inmitten einer
Vater-Tochter-Auseinandersetzung, die ich selbst aller
Wahrscheinlichkeit nach nie erleben würde.
»Unsinn! Schätzchen, bitte setz dich und hör dir
einfach an, was Ashlyn zu sagen hat.«
»Niemals! Ich werde mir auf keinen Fall anhören,
was sie zu sagen hat.«
So schnell avanciert man vom willkommenen Gast zu
jemandem, über den man in der dritten Person spricht. Das war mir
zwar nicht neu, aber das bedeutete nicht, dass es mir gefiel. Zumal
ich gerade heute wirklich nicht damit gerechnet hatte.
»Schätzchen, bitte...«
Lauren lief weiter auf und ab. »Wo treibt man so
jemanden überhaupt auf? Inseriert sie in
den Gelben Seiten unter F wie
Flittchen?«
»Lauren Marie Ireland!«, wies Roger sie mit
erhobener Stimme und väterlicher Strenge zurecht. »Das geht jetzt
wirklich zu weit! Ashlyn ist sehr professionell. Sie wurde mir von
einer guten Bekannten empfohlen.«
Ich erhob mich. »Vielleicht sollte ich ein andermal
wiederkommen, wenn Sie diese Angelegenheit untereinander
ausdiskutiert haben.«
»Nein, warten Sie«, bat er mich leise. »Bitte
bleiben Sie. Sie hat es nicht so gemeint. Sie ist wütend auf
mich, nicht auf Sie.« Dann fuhr er, zu
seiner Tochter gewandt, fort: »Setz dich, Lauren. Ashlyn wird uns
jetzt das Testresultat mitteilen, und sobald sie weg ist, kannst du
deinen Zorn an mir auslassen.«
Lauren starrte mich mit verschränkten Armen an.
»Ich bleibe stehen.«
Ich nickte verständnisvoll und setzte mich wieder.
»Ganz wie Sie wünschen«, sagte ich, um einen beschwingten Tonfall
bemüht.
Mr. Ireland atmete tief durch und beugte sich
gespannt in seinem Sessel vor.
Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Okay. Lassen Sie
mich Ihnen kurz meine Vorgehensweise erläutern: Ich werde Ihnen
jetzt das Ergebnis des Treuetests mitteilen, und dann können Sie
entscheiden, wie detailliert mein Bericht ausfallen soll. Ich kann
mich auch ganz kurz fassen. Sie bestimmen.«
Lauren verdrehte die Augen und schnaubte, womit sie
sich einen mahnenden Blick von Mr. Ireland einhandelte. Ich tat,
als würde ich beides nicht bemerken.
»Mr. Ireland, ich habe Parker Colman einem
Treuetest unterzogen, wie Sie es mir bei unserem ersten Gespräch
aufgetragen haben.« Ich wählte meine nächsten Worte mit Bedacht und
ließ Lauren dabei nicht aus den Augen. »Das heißt, ich sollte
eindeutig feststellen, ob Mr. Colman geneigt wäre... Ihrer Tochter
sexuell untreu zu werden.«
»Oh mein Gott!«, heulte Lauren empört auf.
Roger ignorierte sie und nickte mir aufmunternd
zu.
Ich holte tief Luft. Sah von Lauren zu Roger und
wieder zurück. »Leider hat Parker Colman den Test nicht
bestanden.«
Roger lehnte sich zufrieden zurück, wobei ich nicht
so recht wusste, ob seine Erleichterung darauf zurückzuführen war,
dass er seine Tochter noch ein Weilchen für sich haben würde, oder
dass er dieses Aas nun doch nicht in seine Familie aufnehmen
musste.
Lauren war zur Salzsäule erstarrt und offenbar noch
damit beschäftigt, die unerwarteten Ereignisse und die damit
verbundene höchst unerfreuliche Enthüllung zu verarbeiten. Sie sah
mich an, verstört, perplex, und sank schließlich fassungslos auf
die Schreibtischkante.
Roger erhob sich sogleich, um sie zu umarmen, doch
sie stieß ihn von sich. »Fass mich nicht an.«
»Lauren, ich weiß, du bist wütend auf mich, und ich
kann es dir nicht verdenken. Aber ich hoffe, du wirst mir eines
Tages dankbar dafür sein.«
»Das ist doch wohl nicht dein Ernst!«, fauchte sie.
»Woher willst du überhaupt wissen, ob diese Frau die Wahrheit sagt?
Wie kommt sie dazu, zu behaupten, Parker würde mich betrügen? Sie
kennt ihn doch gar nicht!«
Ich hatte schon viele Frauen erlebt, die die
Wahrheit leugneten, und ich wusste, wenn man der Lüge bezichtigt
wird, ist die beste Art der Gegenwehr, sich nicht zu wehren.
»Lauren«, sagte ich betont ruhig. »Es gehört nicht
zu meinen Aufgaben, Sie von irgendetwas zu überzeugen. Meine
Aufgabe besteht darin, zu berichten, was vorgefallen ist, als Ihr
Verlobter die Gelegenheit zum Seitensprung bekam. Das ist
alles.«
»Was ist denn alles
vorgefallen?«, fragte sie sarkastisch, als würde sie alle weiteren
Aussagen meinerseits ohnehin für Unsinn halten. Aber neugierig war
sie offenbar trotzdem.
»Nun, das erste Zusammentreffen fand beim Pokern im
Hotel Bellagio statt und das zweite im Palms Casino, im dortigen
Nachtclub.«
Sie riss die Augen auf. Die Namen der Lokalitäten
waren ihr also nicht unbekannt. Vermutlich hatte der Zettel mit den
diversen Programmpunkten des Junggesellenabschieds wochenlang an
einer Korkwand oder an der Kühlschranktür gehangen.
»Im Nachtclub hat mir Parker einige Drinks
ausgegeben. Dann haben wir getanzt, und anschließend hat er mich
mit auf sein Hotelzimmer genommen.«
»Er hat Sie mit auf sein Zimmer genommen?«, wiederholte
sie.
Genau deshalb warte ich immer auf die Einladung.
Reagieren statt agieren. Alles andere bringt nur Ärger ein.
»Ganz recht«, bestätigte ich.
»Ich hab dir doch gesagt, er ist ein Spieler,
Schätzchen«, sagte Roger sanft. »Er ist nicht der Richtige für
dich. Ich habe Ashlyn engagiert, damit du es aus erster Hand
erfährst. Damit dir klar wird, was für ein Riesenfehler es wäre,
ihn zu heiraten.«
Lauren starrte mich an, ohne auf die Worte ihres
Vaters einzugehen. »Und was dann? Haben Sie es mit ihm getrieben?«,
fragte sie aufgebracht. Ihre Stimme triefte vor Verachtung.
Ich schloss die Augen und mahnte mich zur Ruhe.
»Nein, bei meinem Test kommt es nicht zu sexuellen Handlungen. Ich
stelle lediglich fest, ob der Kandidat die Absicht hat, fremdzugehen.«
»Und was zum Geier soll das heißen?«, bellte sie
trotzig.
Ich musste sehr an mich halten, um nicht
aufzuspringen und ihr an die Gurgel zu gehen. Schwer zu sagen, ob
es bloß daran lag, dass mich diese Lauren unheimlich nervte.
Vielleicht
brauchte ich auch einfach dringend einen Sündenbock, an dem ich
meinen ganzen aufgestauten Frust und Ärger auslassen konnte.
Verdient hätte sie es allemal.
Zum Glück schritt Roger Ireland ein. »Das heißt,
Ashlyn hat bewiesen, dass Parker ein Casanova ist. Dass er mit
einer anderen ins Bett geht, wenn sich ihm die Möglichkeit
bietet.«
»Woher will sie das denn so genau wissen, wenn sie
gar nicht wirklich mit ihm geschlafen
hat?«
Roger stöhnte laut auf. Ihm ging bereits die Puste
aus, und zwar ziemlich rasch.
Diesmal kam ich ihm zu
Hilfe. »Lauren, ich ziehe immer erst im allerletzten Moment die
Notbremse, und ich bin überzeugt, dass es zum Geschlechtsverkehr
gekommen wäre, wenn ich nicht abgebrochen hätte.«
Roger sah seine Tochter erwartungsvoll an.
Beobachtete ihr Mienenspiel. Fragte sich vermutlich, ob sie nun
endlich zur Vernunft kommen würde.
Sie lehnte an der Kante seines Schreibtisches, die
Arme vor der Brust verschränkt. »Das beweist gar nichts. Sie haben keine Ahnung, ob er es
wirklich durchgezogen hätte. So wie ich Parker kenne, wäre ihm
bestimmt irgendwann klar geworden, dass er einen Fehler macht, und
dann hätte er von sich aus aufgehört.«
Ich hätte sie am liebsten an den Schultern gepackt,
kräftig geschüttelt und gebrüllt: »Wach endlich auf, du dumme Gans!
Er hat mich geküsst und überall begrapscht! Er war so scharf auf
mich, dass er mich vermutlich sogar dafür bezahlt hätte, mit ihm zu
schlafen! Und du verteidigst diesen Mistkerl auch noch? Du
verschwendest deine Zeit! Wenn du wirklich so naiv bist, dass du
das nicht kapierst, dann hast du gar nicht verdient, Bescheid zu
wissen.«
Stattdessen erhob ich mich, nahm meine Tasche und
ging
schweigend zur Tür. Ich war nicht sicher, wie lange ich mir diesen
Schwachsinn noch anhören konnte. »Meine Arbeit ist getan.«
Damit nahm ich einen kleinen Umschlag aus der
Tasche und reichte ihn Mr. Ireland. »Das ist die Abrechnung und der
Rest von Ihrem Spesenvorschuss. Falls Sie noch irgendwelche Fragen
haben, können Sie mich jederzeit anrufen.«
Ich spürte förmlich, wie mir Laurens wütender Blick
ein unsichtbares Loch in die Bluse brannte, als ich an ihr
vorbeistolzierte. Sie musterte mich vom Kopf bis zu den Zehen,
taxierte mich abschätzig auf der Suche nach etwas, das sie an mir
hassen konnte. Etwas, das ihr als Ausrede dafür dienen konnte, um
ihrem betrügerischen Verlobten zu verzeihen.
An der Tür blieb ich noch einmal stehen, wandte
mich um und zwang mich, möglichst viel Mitgefühl in meine Stimme zu
legen, als ich sagte: »Ich weiß, wie schwierig das alles ist. Und
es steht mir nicht zu, mir ein Urteil zu bilden oder Ihnen zu
sagen, was Sie tun sollen. Es ist ganz Ihnen überlassen, was Sie
mit der von mir gelieferten Auskunft machen. Aber eines sollten Sie
wissen...« Ich senkte den Kopf und holte tief Luft. Was ich im
Begriff war, zu sagen, hatte ich in diesem Zusammenhang noch nie
ausgesprochen, aber ich hatte das deutliche Gefühl, dass es gesagt
werden musste.
Lauren Ireland sah mich an. Sie tat, als würde sie
nicht im Geringsten interessieren, was ich auf dem Herzen hatte,
aber der verlorene Blick in ihren Augen sprach Bände. Bitte, sagen Sie es. Ich weiß nicht, was ich tun
soll.
»Parker Colman gehört zu den notorischen
Schürzenjägern. Das war mir klar, sobald ich ihn das erste Mal
gesehen hatte. Und ich versichere Ihnen, ganz egal, ob Sie mir
glauben oder nicht, dass es nicht zu Intimitäten gekommen ist, er
wird es wieder versuchen. Mit einer anderen. So viele Ehen
zerbrechen, weil Männer fremdgehen und ihre Frauen viel
zu lange die Augen vor den Tatsachen verschließen. Ich habe Ihnen
heute einen Blick in die Zukunft gewährt. Sie haben diese Zukunft
in der Hand. Glauben Sie mir... es ist ein Geschenk.«
Ich drückte die Türklinke nach unten. Ehe ich ging,
warf ich noch einen letzten Blick über die Schulter. »Das Leben ist
zu kurz, um einen Großteil davon im Dunkel der Unwissenheit zu
verbringen«, sagte ich. Zu Lauren, und ein bisschen wohl auch zu
mir selbst.