13
Zweifelhafte Absichten
»Marta!«, rief ich aus meinem Schlafzimmer. »Haben Sie meine cremefarbene Bluse von Dolce und Gabbana gesehen?« Zum dritten Mal an diesem Montagmorgen durchforstete ich meinen begehbaren Kleiderschrank. Als hätte das gesuchte Kleidungsstück aus dem Nichts auftauchen und sich wie von Zauberhand bewegt auf einen Bügel hängen können, während ich damit beschäftigt war, den Inhalt meines Wäschekorbs auf dem Fußboden auszubreiten. Vergebens.
Dafür tauchte Marta wie aus dem Nichts mit einem Lächeln auf den Lippen in der Tür zu meinem Schlafzimmer auf. An ihrem ausgestreckten Zeigefinger baumelte meine frisch gebügelte Bluse.
Ich seufzte erleichtert auf. »Sie sind die Beste! Danke, danke, danke!«
Rasch nahm ich ihr das gute Stück ab. Ich war schon zirka zehn Minuten zu spät dran für meinen Zehn-Uhr-Termin mit Roger Ireland.
»Gern, Miss Hunter. Muy bonita. Heute arbeiten?«
Ein Glück, dass Marta vor einer halben Stunde gekommen war, um klar Schiff zu machen. Ich empfand schon ihre bloße Anwesenheit als Wohltat. Keine Ahnung, ob es an Marta selbst lag oder daran, dass die Wohnung stets so blitzsauber war, wenn sie hier gewesen war.
»Immer.« Ich zog mir die Bluse über den Kopf und schüttelte dann lächelnd meine Mähne.
Sie erwiderte mein Lächeln und machte auf dem Absatz kehrt, um sich wieder ihrer Arbeit zu widmen.
Ich überprüfte im Badezimmerspiegel mein Make-up, verpasste meinen Locken mit der Bürste frischen Schwung und ging in die Küche.
Marta war bis zur Taille im Ofen verschwunden, sodass nur ihre Beine und ihr ausladender Po zu sehen waren, der beim Schrubben hin und her wackelte.
»Ich lege Ihnen Ihren Scheck auf die Anrichte«, verkündete ich, riss eine Seite aus meinem Scheckheft und verstaute alles, was ich für den vor mir liegenden Tag brauchen würde, in meiner Gucci-Handtasche: Portemonnaie, Telefone, Pfefferminzbonbons, Sonnenbrille. Dann schnappte ich mir meine Schlüssel und schulterte die Tasche.
»Sie hatten Anruf wegen Auto, während Sie duschen!«, ertönte es aus dem Inneren des Ofens.
Ich hielt inne und wandte mich noch einmal um. »Worum ging es denn?«
»Rückrufaktion.«
Seufz. Das hatte mir gerade noch gefehlt – als müssten in meinem Leben nicht schon genügend Mängel behoben werden. Schade, dass ich nicht alle einfach auf einen Produktionsfehler schieben konnte. Ein kurzer Besuch in der Werkstatt und schon läuft alles wieder rund.
»Rückrufaktion? Weswegen denn?«
»Weiß nicht«, hallte es aus dem Ofen. »Sie haben Termin um elf.«
»Heute?« Ich zückte sogleich mein Treo, um einen Blick auf meinen Terminkalender zu werfen.
»Nein.« Sie tauchte aus dem Ofen auf und wischte sich eine Haarsträhne aus der verschwitzten Stirn. »Mittwoch.«
Ein Glück, am Mittwochvormittag hatte ich Zeit. Ich trug den Termin ein. »Okay, wird erledigt. Vielen Dank, Marta.«
 
Als ich im leeren Aufzug hinauf zu Roger Irelands Büro fuhr, wirbelten mir alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Von den verspiegelten Lifttüren starrte mir mein Alter Ego mit unbewegtem Blick entgegen. Ich sah ihm in die müden Augen. Blass sah es aus, erschöpft und besorgt. Da nützte das beste Make-up nichts mehr. Wann war mein Leben so kompliziert geworden? Ich hatte mich mit meiner besten Freundin verkracht, ich hatte meine naive zwölfjährige Nichte angefahren und wäre von Parker Colman beinahe in einem Hotelaufzug zusammengeschlagen worden.
Dagegen ist selbst ein Abdeckstift von Revlon machtlos.
Und so sehr ich mich auch bemühte, es gelang mir nicht, Jamies Gesicht zu vergessen. Er schien sich hartnäckig in einer meiner Gehirnwindungen eingenistet zu haben. Das war ein absolutes Novum.
Sobald ich dieses Meeting hinter mir hatte, musste ich endlich etwas Ordnung in mein Leben bringen. Da gab es in einigen Bereichen dringenden Handlungsbedarf.
Die Fahrstuhltüren glitten auseinander. Ich straffte die Schultern, schüttelte mir das Haar auf, zupfte die Bluse zurecht und öffnete dann eine der großen Doppelglastüren, die zu Roger Irelands Kanzlei führten.
»Sollte ja nicht allzu lange dauern«, murmelte ich vor mich hin.
Mr. Ireland hatte auf mich einen sehr vernünftigen Eindruck gemacht. Direkt und unkompliziert. Ich nahm nicht an, dass es irgendwelche Schwierigkeiten geben würde; schließlich war er mit Parker weder verheiratet noch verlobt.
»Guten Morgen, Ashlyn«, begrüßte mich die Empfangsdame und führte mich umgehend zum Büro am Ende des Korridors. »Mr. und Miss Ireland erwarten Sie bereits.«
Ich bedankte mich, blieb dann aber wie angewurzelt stehen. »Sagten Sie gerade Miss Ireland?«
Die Empfangsdame lächelte unbedarft. »Ganz recht, seine Tochter.«
Ich hatte plötzlich das Gefühl, durch knietiefen Schlamm zu waten. Was zum Teufel wollte die denn hier? Mr. Ireland hatte doch gesagt, er wollte seine Lauren persönlich einweihen. Später. Sprich, nachdem ich aus dem Haus und außer Reichweite war. Ich war nicht vorbereitet auf das Zusammentreffen mit einer gestressten Braut, schon gar nicht mit einer, die zwei Wochen vor der Hochzeit herausfindet, dass ihr Zukünftiger ehebrecherische Tendenzen hat.
Ich versuchte, mir meine Panik nicht anmerken zu lassen, als ich meinen Weg fortsetzte. So musste es sich anfühlen, wenn man vor ein Exekutionskommando trat.
Die Empfangsdame öffnete mir die Tür, und ich trat zögernd ein. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
»Ashlyn!«, begrüßte mich Roger freundlich und kam auf mich zu, um mir die Hand zu schütteln. »Schön, Sie wiederzusehen.«
An seinem Schreibtisch saß eine attraktive Brünette und hackte emsig auf seiner Tastatur herum. »Kein Wunder, dass du die Quelle dieses Datenstroms nicht findest, Dad. Deine Verzeichnisse sind alle total durcheinander.«
Mein Auftraggeber lächelte mich an. »Das ist Lauren, meine Tochter.«
Lauren warf kopfschüttelnd einen letzten Blick auf den Computerbildschirm ihres Vaters, dann erhob sie sich, durchquerte fröhlich lächelnd das Büro und streckte mir die Hand hin. »Freut mich, Sie kennenzulernen, Ashlyn. Vielen Dank, dass Sie gekommen sind. Setzen Sie sich doch.« Sie deutete auf die Couch und sank in einen Polstersessel.
Ich nahm verdattert gegenüber von ihr Platz; in sicherer Entfernung, obwohl sie die Angelegenheit recht locker zu nehmen schien. Vielleicht machte sie sich in Bezug auf die Treue ihres Zukünftigen ja auch etwas vor. Da wäre sie nicht die Erste.
Jedenfalls war sie hübscher, als ich angenommen hatte. Ich bin normalerweise vorsichtig mit Klischees, aber nach Roger Irelands Schilderung ihrer umfangreichen Computerkenntnisse hatte ich sie mir etwas weniger... elegant vorgestellt.
Lauren Ireland war groß und schlank und hatte sich das lange dunkle Haar zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihre Kleidung – braune Hose, passender Blazer – wirkte eine Spur bieder, ihr beigefarbener Rollkragenpulli ließ keinen Zentimeter nackte Haut sehen.
Ich sah unauffällig an mir herunter. Mein grauer Bleistiftrock war körperbetont geschnitten, und die Knöpfe der von Marta frisch gebügelten cremefarbenen Bluse standen gerade so weit offen, dass man den Ansatz meines Dekolletés erahnen konnte. Ich verspürte den Drang, mich umzudrehen und den obersten Knopf zu schließen. Was mochte Laura wohl von meinem Ensemble halten? Es tat zwar nichts zur Sache, aber es war doch anzunehmen, dass sie sich eine Meinung über diese Ashlyn gebildet hatte, deren berufliche Tätigkeit darin bestand, verlobte Männer zu verführen.
Roger wirkte fahrig. Ich hätte schwören können, dass Schweißperlen auf seiner Stirn glänzten. Lauren dagegen hatte die Ruhe weg. Ihre Gelassenheit und Freundlichkeit waren beeindruckend. Die meisten Frauen in ihrer Lage liefen erregt auf und ab, rangen die Hände oder knabberten an ihren sorgfältig manikürten Fingernägeln. Doch nicht so Lauren. Ich hegte bereits ernsthafte Zweifel an Mr. Irelands Einschätzung seiner Tochter. Er hatte behauptet, sie sei Männern gegenüber unsicher und neige zu Eifersucht, doch danach sah die Frau, die mir hier gegenübersaß, ganz und gar nicht aus. Ich hatte sie mir ein bisschen wie Sophie vorgestellt – skeptisch, überspannt und vor allem misstrauisch.
Ich entspannte mich ein wenig. Vielleicht würde es ja gar nicht so schlimm werden.
»Mein Dad meinte, ich müsste unbedingt herkommen und mir Ihre Blumenarrangements ansehen.« Sie sah auf meine leeren Hände. »Haben Sie denn Bilder davon mitgebracht?«
Ach du liebe Zeit. Mir blieb beinahe das Herz stehen vor Schreck.
Lauren sah fragend von mir zu ihrem Vater. Allmählich ging ihr auf, dass etwas nicht stimmte.
»Dad?«
Mr. Ireland wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn, dann setzte er sich auf die Armlehne ihres Polstersessels. »Ashlyn ist nicht hier, um mit dir über die Blumen für die Hochzeit zu reden, Liebes.« Er legte ihr den Arm um die Schultern.
Sie setzte sich aufrecht hin und beäugte mich argwöhnisch. »Warum ist sie dann hier?«
Er räusperte sich und sah mich Hilfe suchend an. Ich saß regungslos da und hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte. Gedemütigte Hausmütterchen, hoffnungsfrohe Verlobte, zickige Geschäftsfrauen, das hatte ich alles bereits erlebt, aber eine angehende Braut, die unter einem Vorwand zu einer Zusammenkunft dieser Art gelockt wurde, war mir noch nie untergekommen.
Roger runzelte entschuldigend die Stirn. »Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es das Beste ist, wenn sie von Ihnen hört, wie es ausgegangen ist. Ich war nicht sicher, ob sie mir glauben würde.«
In Laurens Gesicht spiegelte sich Angst. »Wie was ausgegangen ist? Wovon redest du?«
Ich versuchte, genauso freundlich zu lächeln wie sie, als ich hereingekommen war. Vergeblich.
Roger Ireland war davon überzeugt, dass sein Schwiegersohn in spe schlecht abgeschnitten hatte, so viel war klar. Sonst würde er Lauren jetzt nicht einweihen wollen. Hätte Parker nämlich bestanden, dann hätte Roger seiner Tochter die ganze Sache vermutlich am liebsten verschwiegen. Doch wie es aussah, hatte mir mein Auftraggeber die (zugegebenermaßen falsch) prognostizierte Durchfallsquote nicht abgenommen und darauf gesetzt, dass Parker versagen würde.
Roger sah seine Tochter eindringlich an. In ihren Augen standen riesige Fragezeichen. Sie fühlte sich sichtlich unwohl in ihrer Haut, teils, weil sie nicht wusste, was hier gespielt wurde, aber vor allem, weil sie bereits ahnte, dass ihr dieses Spiel, besser gesagt sein Ausgang, ganz und gar nicht gefallen würde.
»Schätzchen, Ashlyn ist eine professionelle Treuetesterin.«
Sie riss entsetzt die Augen auf. »Was?«
»Sie unterzieht Männer... wie Parker... einer Prüfung, um festzustellen, ob sie fremdgehen würden.«
Lauren schnellte in die Höhe.
»Du hast diese Frau angeheuert, damit sie Parker testet?«
Jetzt war mir unwohl in meiner Haut. Laurens abfällige Betonung der Worte »diese Frau« tat ein Übriges. Großartig. Nicht genug damit, dass ich Roger Ireland und seiner Tochter das ernüchternde Ergebnis beibringen musste, ich durfte obendrein auch noch miterleben, was Lauren davon hielt, dass ihr Vater mich engagiert hatte.
»Ich kann nicht fassen, dass du das getan hast!«, schrie sie denn auch prompt und begann, vor seinem Schreibtisch auf und ab zu tigern.
Das kam dem typischen Verhalten einer »gespannt wartenden Verlobten« schon viel näher.
Hätte ich mir eigentlich denken können, dass sie keine Ahnung hatte. Welche Verlobte empfängt eine Treuetesterin schon so überschwänglich wie eine Floristin, mit der sie die Gestecke für ihre Hochzeit diskutieren will? Womit bewiesen wäre, dass Frauen schwerer einzuschätzen sind als Männer.
»Lauren, ich habe das doch nur getan, weil ich dich liebe und mich um dich sorge. Weil ich Angst hatte, Parker könnte dich nicht mit dem gebührenden Respekt behandeln.«
»Ach, was! Du hast Parker doch noch nie gemocht! Nie! Keinen meiner Freunde hast du gemocht!«
Da saß ich nun, gefangen inmitten einer Vater-Tochter-Auseinandersetzung, die ich selbst aller Wahrscheinlichkeit nach nie erleben würde.
»Unsinn! Schätzchen, bitte setz dich und hör dir einfach an, was Ashlyn zu sagen hat.«
»Niemals! Ich werde mir auf keinen Fall anhören, was sie zu sagen hat.«
So schnell avanciert man vom willkommenen Gast zu jemandem, über den man in der dritten Person spricht. Das war mir zwar nicht neu, aber das bedeutete nicht, dass es mir gefiel. Zumal ich gerade heute wirklich nicht damit gerechnet hatte.
»Schätzchen, bitte...«
Lauren lief weiter auf und ab. »Wo treibt man so jemanden überhaupt auf? Inseriert sie in den Gelben Seiten unter F wie Flittchen?«
»Lauren Marie Ireland!«, wies Roger sie mit erhobener Stimme und väterlicher Strenge zurecht. »Das geht jetzt wirklich zu weit! Ashlyn ist sehr professionell. Sie wurde mir von einer guten Bekannten empfohlen.«
Ich erhob mich. »Vielleicht sollte ich ein andermal wiederkommen, wenn Sie diese Angelegenheit untereinander ausdiskutiert haben.«
»Nein, warten Sie«, bat er mich leise. »Bitte bleiben Sie. Sie hat es nicht so gemeint. Sie ist wütend auf mich, nicht auf Sie.« Dann fuhr er, zu seiner Tochter gewandt, fort: »Setz dich, Lauren. Ashlyn wird uns jetzt das Testresultat mitteilen, und sobald sie weg ist, kannst du deinen Zorn an mir auslassen.«
Lauren starrte mich mit verschränkten Armen an. »Ich bleibe stehen.«
Ich nickte verständnisvoll und setzte mich wieder. »Ganz wie Sie wünschen«, sagte ich, um einen beschwingten Tonfall bemüht.
Mr. Ireland atmete tief durch und beugte sich gespannt in seinem Sessel vor.
Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Okay. Lassen Sie mich Ihnen kurz meine Vorgehensweise erläutern: Ich werde Ihnen jetzt das Ergebnis des Treuetests mitteilen, und dann können Sie entscheiden, wie detailliert mein Bericht ausfallen soll. Ich kann mich auch ganz kurz fassen. Sie bestimmen.«
Lauren verdrehte die Augen und schnaubte, womit sie sich einen mahnenden Blick von Mr. Ireland einhandelte. Ich tat, als würde ich beides nicht bemerken.
»Mr. Ireland, ich habe Parker Colman einem Treuetest unterzogen, wie Sie es mir bei unserem ersten Gespräch aufgetragen haben.« Ich wählte meine nächsten Worte mit Bedacht und ließ Lauren dabei nicht aus den Augen. »Das heißt, ich sollte eindeutig feststellen, ob Mr. Colman geneigt wäre... Ihrer Tochter sexuell untreu zu werden.«
»Oh mein Gott!«, heulte Lauren empört auf.
Roger ignorierte sie und nickte mir aufmunternd zu.
Ich holte tief Luft. Sah von Lauren zu Roger und wieder zurück. »Leider hat Parker Colman den Test nicht bestanden.«
Roger lehnte sich zufrieden zurück, wobei ich nicht so recht wusste, ob seine Erleichterung darauf zurückzuführen war, dass er seine Tochter noch ein Weilchen für sich haben würde, oder dass er dieses Aas nun doch nicht in seine Familie aufnehmen musste.
Lauren war zur Salzsäule erstarrt und offenbar noch damit beschäftigt, die unerwarteten Ereignisse und die damit verbundene höchst unerfreuliche Enthüllung zu verarbeiten. Sie sah mich an, verstört, perplex, und sank schließlich fassungslos auf die Schreibtischkante.
Roger erhob sich sogleich, um sie zu umarmen, doch sie stieß ihn von sich. »Fass mich nicht an.«
»Lauren, ich weiß, du bist wütend auf mich, und ich kann es dir nicht verdenken. Aber ich hoffe, du wirst mir eines Tages dankbar dafür sein.«
»Das ist doch wohl nicht dein Ernst!«, fauchte sie. »Woher willst du überhaupt wissen, ob diese Frau die Wahrheit sagt? Wie kommt sie dazu, zu behaupten, Parker würde mich betrügen? Sie kennt ihn doch gar nicht!«
Ich hatte schon viele Frauen erlebt, die die Wahrheit leugneten, und ich wusste, wenn man der Lüge bezichtigt wird, ist die beste Art der Gegenwehr, sich nicht zu wehren.
»Lauren«, sagte ich betont ruhig. »Es gehört nicht zu meinen Aufgaben, Sie von irgendetwas zu überzeugen. Meine Aufgabe besteht darin, zu berichten, was vorgefallen ist, als Ihr Verlobter die Gelegenheit zum Seitensprung bekam. Das ist alles.«
»Was ist denn alles vorgefallen?«, fragte sie sarkastisch, als würde sie alle weiteren Aussagen meinerseits ohnehin für Unsinn halten. Aber neugierig war sie offenbar trotzdem.
»Nun, das erste Zusammentreffen fand beim Pokern im Hotel Bellagio statt und das zweite im Palms Casino, im dortigen Nachtclub.«
Sie riss die Augen auf. Die Namen der Lokalitäten waren ihr also nicht unbekannt. Vermutlich hatte der Zettel mit den diversen Programmpunkten des Junggesellenabschieds wochenlang an einer Korkwand oder an der Kühlschranktür gehangen.
»Im Nachtclub hat mir Parker einige Drinks ausgegeben. Dann haben wir getanzt, und anschließend hat er mich mit auf sein Hotelzimmer genommen.«
»Er hat Sie mit auf sein Zimmer genommen?«, wiederholte sie.
Genau deshalb warte ich immer auf die Einladung. Reagieren statt agieren. Alles andere bringt nur Ärger ein.
»Ganz recht«, bestätigte ich.
»Ich hab dir doch gesagt, er ist ein Spieler, Schätzchen«, sagte Roger sanft. »Er ist nicht der Richtige für dich. Ich habe Ashlyn engagiert, damit du es aus erster Hand erfährst. Damit dir klar wird, was für ein Riesenfehler es wäre, ihn zu heiraten.«
Lauren starrte mich an, ohne auf die Worte ihres Vaters einzugehen. »Und was dann? Haben Sie es mit ihm getrieben?«, fragte sie aufgebracht. Ihre Stimme triefte vor Verachtung.
Ich schloss die Augen und mahnte mich zur Ruhe. »Nein, bei meinem Test kommt es nicht zu sexuellen Handlungen. Ich stelle lediglich fest, ob der Kandidat die Absicht hat, fremdzugehen.«
»Und was zum Geier soll das heißen?«, bellte sie trotzig.
Ich musste sehr an mich halten, um nicht aufzuspringen und ihr an die Gurgel zu gehen. Schwer zu sagen, ob es bloß daran lag, dass mich diese Lauren unheimlich nervte. Vielleicht brauchte ich auch einfach dringend einen Sündenbock, an dem ich meinen ganzen aufgestauten Frust und Ärger auslassen konnte. Verdient hätte sie es allemal.
Zum Glück schritt Roger Ireland ein. »Das heißt, Ashlyn hat bewiesen, dass Parker ein Casanova ist. Dass er mit einer anderen ins Bett geht, wenn sich ihm die Möglichkeit bietet.«
»Woher will sie das denn so genau wissen, wenn sie gar nicht wirklich mit ihm geschlafen hat?«
Roger stöhnte laut auf. Ihm ging bereits die Puste aus, und zwar ziemlich rasch.
Diesmal kam ich ihm zu Hilfe. »Lauren, ich ziehe immer erst im allerletzten Moment die Notbremse, und ich bin überzeugt, dass es zum Geschlechtsverkehr gekommen wäre, wenn ich nicht abgebrochen hätte.«
Roger sah seine Tochter erwartungsvoll an. Beobachtete ihr Mienenspiel. Fragte sich vermutlich, ob sie nun endlich zur Vernunft kommen würde.
Sie lehnte an der Kante seines Schreibtisches, die Arme vor der Brust verschränkt. »Das beweist gar nichts. Sie haben keine Ahnung, ob er es wirklich durchgezogen hätte. So wie ich Parker kenne, wäre ihm bestimmt irgendwann klar geworden, dass er einen Fehler macht, und dann hätte er von sich aus aufgehört.«
Ich hätte sie am liebsten an den Schultern gepackt, kräftig geschüttelt und gebrüllt: »Wach endlich auf, du dumme Gans! Er hat mich geküsst und überall begrapscht! Er war so scharf auf mich, dass er mich vermutlich sogar dafür bezahlt hätte, mit ihm zu schlafen! Und du verteidigst diesen Mistkerl auch noch? Du verschwendest deine Zeit! Wenn du wirklich so naiv bist, dass du das nicht kapierst, dann hast du gar nicht verdient, Bescheid zu wissen.«
Stattdessen erhob ich mich, nahm meine Tasche und ging schweigend zur Tür. Ich war nicht sicher, wie lange ich mir diesen Schwachsinn noch anhören konnte. »Meine Arbeit ist getan.«
Damit nahm ich einen kleinen Umschlag aus der Tasche und reichte ihn Mr. Ireland. »Das ist die Abrechnung und der Rest von Ihrem Spesenvorschuss. Falls Sie noch irgendwelche Fragen haben, können Sie mich jederzeit anrufen.«
Ich spürte förmlich, wie mir Laurens wütender Blick ein unsichtbares Loch in die Bluse brannte, als ich an ihr vorbeistolzierte. Sie musterte mich vom Kopf bis zu den Zehen, taxierte mich abschätzig auf der Suche nach etwas, das sie an mir hassen konnte. Etwas, das ihr als Ausrede dafür dienen konnte, um ihrem betrügerischen Verlobten zu verzeihen.
An der Tür blieb ich noch einmal stehen, wandte mich um und zwang mich, möglichst viel Mitgefühl in meine Stimme zu legen, als ich sagte: »Ich weiß, wie schwierig das alles ist. Und es steht mir nicht zu, mir ein Urteil zu bilden oder Ihnen zu sagen, was Sie tun sollen. Es ist ganz Ihnen überlassen, was Sie mit der von mir gelieferten Auskunft machen. Aber eines sollten Sie wissen...« Ich senkte den Kopf und holte tief Luft. Was ich im Begriff war, zu sagen, hatte ich in diesem Zusammenhang noch nie ausgesprochen, aber ich hatte das deutliche Gefühl, dass es gesagt werden musste.
Lauren Ireland sah mich an. Sie tat, als würde sie nicht im Geringsten interessieren, was ich auf dem Herzen hatte, aber der verlorene Blick in ihren Augen sprach Bände. Bitte, sagen Sie es. Ich weiß nicht, was ich tun soll.
»Parker Colman gehört zu den notorischen Schürzenjägern. Das war mir klar, sobald ich ihn das erste Mal gesehen hatte. Und ich versichere Ihnen, ganz egal, ob Sie mir glauben oder nicht, dass es nicht zu Intimitäten gekommen ist, er wird es wieder versuchen. Mit einer anderen. So viele Ehen zerbrechen, weil Männer fremdgehen und ihre Frauen viel zu lange die Augen vor den Tatsachen verschließen. Ich habe Ihnen heute einen Blick in die Zukunft gewährt. Sie haben diese Zukunft in der Hand. Glauben Sie mir... es ist ein Geschenk.«
Ich drückte die Türklinke nach unten. Ehe ich ging, warf ich noch einen letzten Blick über die Schulter. »Das Leben ist zu kurz, um einen Großteil davon im Dunkel der Unwissenheit zu verbringen«, sagte ich. Zu Lauren, und ein bisschen wohl auch zu mir selbst.
Treuetest - Brody, J: Treuetest - The Fidelity Files
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