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»Allererste Pflicht: Du musst dich mit einer Stahlbürste und Terpentin abschrubben.« Dale hatte das Fenster heruntergelassen und den Kopf hinausgestreckt.

»Darauf musst du mich nicht hinweisen.« Cooper tat es ihm gleich. »Ich würde mich übergeben, wenn ich nicht schon alles ausgekotzt hätte.«

Plötzlich lenkte Dale scharf ein. Der Pickup rumpelte über einen Bordstein und auf den Parkplatz eines Hotels. Er fuhr geradeaus auf ein eingezäuntes Schwimmbecken zu, bevor er fluchte: »Scheiße, der Pool ist voller Fresser.«

Nachdem er das Hotel umrundet hatte, kehrte er auf die Hauptstraße zurück.

Cooper fühlte sich von Sekunde zu Sekunde elender. Der Gestank der Körpersäfte Hunderter Toter entzog sich jedweder Beschreibung. Er versuchte, sich nicht zu bewegen. Die Flüssigkeit wurde kalt und gerann wohl auch zum Teil, aber er verzichtete darauf, genau nachzuschauen. Er bemühte sich, seinen Würgereflex zu unterdrücken.

»Halt einfach an – dort drüben an der Tankstelle.« Er öffnete die Tür, noch ehe der Wagen stillstand, sprang hinaus und streifte sich die Kleidung bis auf die Unterwäsche vom Körper. Er betete, dass die Wasserversorgung in diesem Teil der Stadt noch funktionierte. Als er an einem Hahn drehte, spritzte ein kräftiger, eiskalter Strahl aus dem Schlauch darunter. Er ließ die klirrende Nässe mehrere Minuten lang auf sich einprasseln, bis seine Haut rot war.

Dale war ausgestiegen, um auf Cooper aufzupassen. Die frische Luft tat ihm ebenfalls gut. Er schmunzelte, während er dabei zuschaute, wie sich der junge Mann die Dusche seines Lebens verpasste.

Nachdem er alle seine Habseligkeiten aus den dreckigen Kleidern genommen hatte, stand Cooper vor ihm – nass und frierend, aber mit einem Lächeln im Gesicht. »Schon viel besser.«

Dale untersuchte den Truck. »Wir brauchen was Neues, die Kiste ist widerlich.«

Und das war noch untertrieben. Am Rückfenster klebte etwas, das wie ein Auge aussah; verknotete Eingeweide hatten sich um den Überrollbügel hinter dem Führerhaus gewickelt, und mehrere Stücke hingen vom Dach herab wie schleimige Wimpel. Wirklich jeder Zoll der Karosserie war mit Gewebematsch und Flüssigkeiten überzogen, die immer noch daran herunterliefen. Am Fahrwerk baumelten Fleisch- und Kleiderfetzen, nicht zu vergessen die zahlreichen Köpfe, die zwischen einigen Torsos auf der breiten Ladefläche lagen. Das Grausigste daran? Die Schädel lebten noch, denn die Augen und Münder bewegten sich. Dieser Anblick war wirklich verstörend.

»Tug ruinierte die Fahrerkabine schon vor langer Zeit, aber außen …«

Dale verließ den Vorplatz der Tankstelle, und Cooper folgte ihm. »Lass uns nach etwas suchen, wo wir uns ausruhen können, vielleicht auch Kleider beschaffen und uns gründlicher waschen. Ich muss uns einen neuen Schlitten besorgen.«

Cooper hatte sein Hauptanliegen nicht vergessen. »Ich muss weiterziehen.«

»Nach Verwandten schauen, was?«

In der Nähe fanden sie einen Waschsalon. Obwohl die Tür offenstand, hatte ihn niemand geplündert. Die beiden traten ein. Dale ging vor und durchsuchte die Räume. Nachdem Cooper die Tür geschlossen hatte, schob er einen Riegel vor.

Cooper fühlte sich barfuß in Unterwäsche und mit seinem ganzen Kram in beiden Armen immer noch angreifbar. Er legte das Zeug auf einem breiten Tisch ab, wo man vormals Wäsche gefaltet hatte, und hob eine einzelne Socke auf, die zurückgeblieben war.

Er stank immer noch. Cooper griff zu einer Flasche Flüssigreiniger, zog sich in ein Hinterzimmer zurück und drehte den Hahn an einem großen Becken auf. Dann begann er, seinen Körper mit der Socke und dem starken Putzmittel abzureiben. Seine Haut fing an zu jucken und brannte schließlich, doch nach der Prozedur roch er deutlich sauberer.

Dale kam herein.

»Hier, probiere das mal.« Er hielt ihm ein Stück Handseife hin. »Am besten wäschst du das Putzmittel gründlich ab. Es frisst sich in dich hinein, und zwar buchstäblich.«

»Schon passiert.«

Später verließen die beiden den Salon und gingen zu einem Sportwarengeschäft. Es war zwar ausgeraubt worden, doch es lagen noch jede Menge Kleider, Schuhe und Socken darinnen. Cooper pickte sich einige passende Stücke heraus.

Dale fand ein Überlebensmesser mit schwarzem Griff in einem passenden Futteral. Er zog es heraus und hielt es hoch. »Das ist ein Messer erster Klasse.« Er sah Cooper grinsend an. »Kommt uns bestimmt noch zugute.«

***

Schließlich betraten sie einen verwüsteten Supermarkt, um nach Lebensmitteln zu suchen. Cooper bückte sich nach einer am Boden liegenden Konserve und warf sie in den Raum. Sehr schlau, dachte Dale. Gleich darauf hörten sie ein Stöhnen, Schlurfen und Poltern, als ein paar Waren auf den Boden fielen.

»Los geht’s.«

Gemeinsam liefen sie los und trafen wenige Augenblicke später auf die erste Tote.

Cooper schwang seinen Schlagstock. »Dale, lenk ihre Aufmerksamkeit auf dich. Halt dich ein Stück von der Tür fern.«

Der Polizist beobachtete, wie die Zombies schwerfällig zum Vorschein kamen. Cooper schlug ihnen mühelos die Schädel ein. Zuletzt lagen 16 Leichen vor ihm. Dale war beeindruckt. Wie der junge Kerl mit den Toten umsprang, verlangte ihm Respekt ab.

Sie deckten sich mit Esswaren ein und saßen 20 Minuten später in einem SUV.

Dale sagte: »Also, ich bin auf dem Weg zu einer Hütte in den Bergen. Soll ich dich irgendwo rauslassen?«

»Sieht so aus, als zöge es uns in entgegengesetzte Richtungen. Du kannst mich gleich hier oben absetzen.« Es war gerade erst nach Mittag, also hatte Cooper noch eine Menge Tageslicht.

»Wohin willst du?«

»Zu einem Haus nördlich von hier. Ich will nach meiner Schwester schauen.«

Dale schnaufte. »Ach, was soll’s? Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gerne einfach mitkommen.« Es kam Cooper seltsam vor, als Dale das sagte. Dieser spürte sein Unbehagen und hob eine Hand. »Tut mir leid, vergiss es wieder.«

Cooper kannte Dale nicht und wollte ihn auch nicht mit zu seiner Schwester nehmen. Dass der Mann seinen Vorschlag sofort zurückzog, erleichterte ihn.

»Lass uns noch ein Auto suchen, bevor ich verschwinde. Ich überlasse dir eine Karte, um die Hütte zu finden, nur sicherheitshalber.«

Dale willigte ein und nahm sich vor, noch bei den Menschen im Parkhaus vorbeizuschauen, bevor er die Gegend verließ.

***

Cooper kam seinem Ziel endlich nahe, sehr nahe. Er konnte nicht glauben, wie lange es gedauert hatte, um hierher zu gelangen. Die Straßen waren frei, und er würde in wenigen Minuten da sein. Er freute und ängstigte sich zugleich, während er versuchte, nicht darüber nachzudenken, was er vorfinden mochte.

Als er sich dem Appartementkomplex näherte, mehrten sich die Anzeichen dafür, dass hier eine gewaltige Orgie stattgefunden hatte. In solchem Ausmaß war er noch nie darauf gestoßen. Es stank erbärmlich – wirklich, wirklich grauenhaft. Cooper fuhr mit äußerster Vorsicht weiter.

Der Komplex war vollständig ummauert. Cooper blieb am Eingang stehen. Die Zombies standen eng zusammengedrängt, sie schlugen gegen die Stahltore, und nur sehr wenige bewegten sich. Die Wohnungen waren auf mehrere Gebäude zu je acht Einheiten verteilt. Hineinzukommen, gestaltete sich unmöglich. Cooper setzte zurück, um eine Runde um den gesamten Komplex zu drehen.

Unzählige flatternde Papierschnipsel waren an die Mauer geklebt worden. Er kannte das bereits. Die Menschen hinterließen an manchen Orten Nachrichten für ihre Lieben. Ob seine Schwester auch dazugehörte? Cooper stieg aus, um nachzusehen. Während er an der Wand entlangging, überflog er die Zettel. Seine Schwester hätte etwas aufgehängt, das ihm auffallen würde. Nachdem er nichts entdeckt hatte, wurde ihm bewusst, dass sie etwas himmelschreiend Auffälliges hinterlassen hätte, nicht bloß ein Stück Papier an einer Mauer.

Er fuhr weiter um den Komplex. Dann sah er es: Eine Plastikfolie, die mit je einem Klebeband an Ober- und Unterkante an einem Telefonmast befestigt war. Es handelte sich um eine Mülltüte, und was sie so augenfällig als Hinweis seiner Schwester zu erkennen gab, war die Zeichnung darauf.

Sie zeigte ihn selbst, aufgemalt mit schwarzem, wasserfestem Stift – eine Strichzeichnung von ihm, die sie erstmals viele Jahre zuvor in einem Restaurant auf ein Platzdeckchen aus Papier gezeichnet hatte. Damals war er sechs gewesen und so böse auf sie, dass sie es umso häufiger zeichnete, jedes Mal auf weniger schmeichelhafte Weise. Es war zu einem Scherz geworden, den nur sie beide verstanden.

Er stieg wieder aus und sah es sich an. Die Zeichnung haftete fest an dem Mast, und er bemerkte, dass die Rolle Klebeband hinten herunterhing, als habe die Person, welche die Tüte festgemacht hatte, schnell fliehen müssen. Als Cooper anfing, den Beutel abzureißen, fiel ihm ein gefaltetes Stück Plastik daraus in die Hände. Nachdem er den Fetzen gelesen hatte, ließ er ihn fallen. Er fühlte sich gleichzeitig empört, erleichtert und erheitert.

Lieber Bruder,

ich bin in Sicherheit und bei Freunden. Wir müssen noch andere einsammeln. Weiß nicht genau, wann ich in Monterey sein werde, sie sagen es dauert Wochen. Will versuchen, nach Hause zu kommen, falls du da bist oder eine Nachricht hinterlassen hast. Falls du das hier liest, bist du dumm. Ich hatte dich gebeten, nicht herzukommen.

In Liebe,

Ellen

»Verdammt noch mal«, sagte Cooper laut und machte sich wieder auf den Weg zurück zu der Stelle, an der er sich von Dale verabschiedet hatte.

Gerne hätte er seine Schwester gesund und munter angetroffen, war aber andererseits auch froh, sie nicht tot aufgefunden oder überhaupt keine Spur von ihr entdeckt zu haben. Die Chancen, dass sie wohlauf war, standen gut. Außerdem dachte er an Ana und was er nun tun sollte. Er hatte ein Zeitfenster.

***

Als Dale eine Autotür zufallen hörte, war es später Nachmittag. Er lief mit der Pistole zum Fenster. Es war der Jungspund – Cooper –, aber warum schon so schnell zurück? Hatte er etwas vergessen? Dale machte sich Sorgen, bis Cooper ihm seine Geschichte erzählte.

»Also, ich bin jetzt nicht in Eile. Schätze, ich bleibe eine Weile in dem Parkhaus, bevor ich nach Monterey fahre.«

»Ich wollte auch dort hingehen, aber nun bist du zurückgekommen, und jetzt ist es fast dunkel. Sollen wir bis morgen warten?«

»Ja, ich bin ziemlich müde – und ich stinke, also werde ich mich waschen und meine Klamotten wechseln … wieder einmal.«

Später lag Cooper auf einem Sofa und schlief, bis ihn ein Geräusch weckte. Es war Dale, der an den Fenstern des Hauptbüros hin und her ging.

»Alles okay mit dir?«

»Ja. Ich dachte, du würdest schlafen wie ein Stein. Tut mir leid, dich geweckt zu haben.«

Weniger als eine halbe Meile entfernt fielen Dale mehrere Lichtblitze auf, welche die Fassade eines Gebäudes erhellten. Es erinnerte ihn an Geschützfeuer. Zunächst dachte er sich nicht viel dabei, aber es ließ ihn nicht los und weckte sein Interesse. Wer war das – jemand in Not? Er versuchte, den Gedanken zu verdrängen, und wandte sich vom Fenster ab.

»Gibt es hier irgendetwas zu essen?« Dale war hungrig und versuchte, die Blitze aus dem Kopf zu bekommen. Er war kein Cop mehr. Vermutlich handelte es sich um einen Kurzschluss in einer Trafostation oder jemand, der auf die Toten schoss. Es konnte alles Mögliche sein.

»Hier.« Cooper reichte ihm einen warmen Softdrink und Käsecracker. Dale nahm es und starrte weiter aus dem Fenster.

»Was hast du?«

»Nichts, wirklich«, antwortete Dale geistesabwesend. Du bist kein Cop mehr. Vergiss es einfach. Er aß ein paar Cracker und trank die Limonade halbleer. Falls die Zombies ihn nicht umbrachten, würde er es selbst tun, indem er solchen Mist zu sich nahm. Schließlich drehte er sich wieder vom Fenster weg.

»Ich muss etwas tun. Bleib hier, bis ich zurückkomme.« Dale prüfte seine Pistole. Dann ging er zur Tür. Nur ein kurzer Blick …

»Hey, wohin willst du?« Cooper war mehr als nur etwas neugierig. »Ich meine, wenn ich fragen darf.«

»Ich habe da drüben ein Flackern gesehen. Wollte mir das genauer anschauen. Bin bald wieder da.«

»Du willst nach draußen gehen … mitten in der Nacht?«

»Einmal Bulle, immer Bulle, schätze ich.« Dale schickte sich an, die Tür zu öffnen.

»Warte, ich würde gern mitkommen.«

»Das kann ich nicht von dir verlangen.«

»Das tust du nicht. Ich bitte dich darum.« Cooper nahm bereits seine Sachen zusammen und zog sich die Schuhe an. »Außerdem sollten wir zusammenbleiben.«

***

In der stillen Finsternis zogen sich die Minuten dahin. Cooper behielt aufmerksam die Umgebung im Auge, während er sich so vorsichtig bewegte, wie er konnte. Dale stapfte dafür umso lauter. Cooper ertappte sich dabei, dass er sich hinter ihm zurückfallen ließ. Mann, wenn er so unvorsichtig weitergeht, wird es einen von uns oder uns beide das Leben kosten.

Er tippte Dale auf die Schulter und flüsterte: »Ich will nicht meckern, aber wir sollten so leise wie möglich sein – und geh nicht so dicht an den Gebäudeecken vorbei. Also, na ja – tut mir leid, aber auf dem Weg hierher habe ich so einiges erlebt. Wenn wir uns langsamer bewegen, kommen wir schneller voran, falls das Sinn für dich ergibt.«

Dale stimmte zu und bat ihn, die Führung zu übernehmen. Er wollte sehen, wie sich der Kerl verhielt. Cooper schien einen natürlichen Instinkt für heimliches Vorgehen zu haben.

Als sie sich ihrem Ziel näherten, erkannte Cooper die Straße und die Umzäunung wieder. Tote schienen nicht in der Nähe zu sein. Sobald sie auf dem eingezäunten Gelände waren, fühlte er sich etwas sicherer und blieb stehen.

»Hier irgendwo hast du das Flackern gesehen?«

»Genau«, wisperte Dale. »Es muss von dem Gebäude am anderen Ende des Platzes gekommen sein.«

»Klingt logisch, denn dort waren auch die Menschen, von denen ich dir erzählt habe, und das riesige Loch«, entgegnete Cooper. Dale nickte zustimmend.

Während sie mit äußerster Vorsicht auf dem riesigen Gelände weitergingen, drehte der Wind, und plötzlich stank es nach verwesendem Fleisch.