10

Auf der obersten Ebene des fünfstöckigen Parkhauses war es ruhig. Ein kalter, kräftiger Wind wehte, und man genoss einen weiten Ausblick. Alle waren aus dem Van gestiegen und an der Brüstung zusammengekommen, um auf die Dauerparkplätze des internationalen Flughafens von San José hinabzuschauen. Alle, dazu zählten nun auch Donna und Mary, Rons beziehungsweise Bills Ehefrau.

Die Sechs blieben einen Augenblick lang stehen und streckten sich. Alles war still. Die Kulisse mutete hübsch an, obwohl oder vielleicht gerade, weil es schlecht um die Welt stand. Nach nur einer Woche und ohne Tausende von Autos und Flugzeugen war die Luft gleich umso frischer. Egal was man von Erderwärmung und Umweltverschmutzung hielt, es ließ sich nicht abstreiten, dass es ohne den ganzen Lärm und die Abgase viel angenehmer war. Die Umgebung wirkte so gelassen, der Anblick so unbeschreiblich, dass die Gruppe mehrere Minuten lang nichts anders tat, als sich daran zu erfreuen, wobei sie fast vergaßen, welche fürchterlichen Dinge sie in den vergangenen Wochen erlebt hatten.

»Am schwierigsten zu erklären ist das himmelschreiend Offensichtliche, in Anbetracht dessen alle Welt entschieden hat, es nicht zur Kenntnis zu nehmen.«

Sals Stimme klang herb. Sein Äußeres machte sie noch immer nervös, wie es schon zuvor bei vielen Menschen der Fall gewesen war, doch jetzt hatte er sich weder rasiert noch gekämmt und wirkte noch wilder. Früher hätte er sich darum bemüht, sie mit einem Lächeln zu beruhigen, doch das war ihm jetzt egal. Sein Gesicht entsprach dem eines Unmenschen, eines düsteren, einschüchternden Rüpels, der Männern Angst einjagte und Frauen entsetzte.

»Was?« Alle sahen ihn an, doch es war Bill, der die Frage mit einem abschätzigen Blick stellte. Seine Frau Mary antwortete: »Das stammt von Ayn Rand«, sagte sie mit einem Lächeln. Sie war eine attraktive Blondine, Unterstufenlehrerin – oder war es gewesen, als es noch solche Jobs gegeben hatte. Mit ihrem dicken Rollkragenpullover sah sie ein paar Jahre jünger aus als ihr Ehemann.

»Na ja, ein ungefähres Zitat«, relativierte Sal plump, während er über die Stadt schaute.

Mary sah ihn an und musste schmunzeln.

Bill, dem ihr Blick auffiel, wurde argwöhnisch. Die beiden hatten sich im Lauf der Jahre immer weiter auseinandergelebt, besonders nachdem sie ihm gestanden hatte, dass sie keine Kinder bekommen konnte. Er war Anstreicher gewesen, hatte Bier trinken und Football schauen wollen, wohingegen sie sich für Bücher und alte Filme begeistert hatte. Zwar war sie unfruchtbar, doch er grämte sich damit, dass dies ein schlechtes Licht auf ihn als Mann werfen könnte. Deshalb war er darauf bedacht gewesen, dass jeder erfuhr, es sei ihr Defekt und nicht der seine. Bei jeder Gelegenheit, da das Thema Nachwuchs zur Sprache gekommen war, hatte er gemeinhin bemerkt, er feure aus allen Rohren, doch es gäbe kein Ziel zu treffen.

Mary hatte das über sich ergehen lassen und in Wahrheit schlicht verhütet. Sie war nie darauf aus gewesen, ein Kind mit Bill zu zeugen.

Rons Frau Donna war ebenfalls attraktiv und sportlich gebaut – eine Marathonläuferin, die wirklich jeden Tag trainiert hatte.

»Hier soll es also sein.« Sie klang nicht skeptisch. Donna vertraute ihrem Mann.

»Ich denke schon«, entgegnete Ron. »In Anbetracht dessen, was wir kürzlich erlebt haben, halte ich die Entscheidung für richtig.«

Bill lehnte sich übers Geländer, um nach unten zu schauen. »Die Rollen sind klar verteilt. Sal, bist du bereit, das durchzuziehen?«

Der Angesprochene nickte und grunzte bejahend. Er hatte sich einige von Rons Ideen angehört und war froh, auf diese Gruppe von Menschen gestoßen zu sein. Vielleicht war er deshalb verschont geblieben, hier fühlte er sich gebraucht, nützlich.

Auf dem Weg zum Parkhaus hatte der Van eine Schar von Verfolgern hervorgelockt. Ungefähr fünfzig träge Geher aus dem angrenzenden Gewerbegebiet befanden sich auf dem Weg zu ihnen und mussten demnach als erster Punkt der Tagesordnung abgehakt werden. Die vier Männer fuhren die Rampen hinunter, um sie auszuschalten, bevor sie das Gebäude erreichten.

Sie stiegen ein Stück weit vor den herankommenden Toten aus dem Van, und Ron sagte zu Sal: »Wir haben ein paar simple Regeln: Nicht trennen, nicht in die Enge treiben lassen und …«

»Nimm es nicht persönlich, wenn du gebissen wirst, schlagen wir dir den Schädel ein«, ergänzte Jeff.

»Eigentlich wollte ich sagen, dass es am wichtigsten ist, immer auf die Köpfe zu zielen. Tut mir leid, falls du das alles schon weißt. Ich werde dabei immer noch nervös.« Ron packte seinen Schürhaken noch fester.

»Nein, das ergibt schon Sinn. Ich habe so etwas noch nie getan.«

»Wirklich? Das musst du mir nachher erklären. Oh, und Bill meint, er spiele Golf, also musst du ihm viel Platz lassen. Er hat mir einmal fast die Rübe abgeschlagen.« Ron sah nicht aus, als mache er einen Scherz, vielmehr wirkte er verärgert.

Sie erreichten die Leichen. Bill näherte sich der Ersten mit seinem Schläger, einem Callaway Big Bertha. »Das Ding hat 500 Dollar gekostet. Ich kaufte ihn mir erst vor ein paar Wochen, ehe alles vor die Hunde ging, und bin nie dazu gekommen, ihn zu benutzen.« Er nahm die Haltung eines Golfers an, als stehe er auf einem Übungsplatz. Dabei stellte er sich übertrieben breitbeinig auf, beugte sich über den Schläger, fasste sein Ziel ins Auge und holte einmal probehalber aus. Das sah verdammt albern aus.

Die Toten waren ausnahmslos nackt, unterschiedlicher Rasse und beiderlei Geschlechts. Einige hatten noch ein paar Kleiderfetzen am Leib, eine Art von Montur, als hätten sie in der Gegend gearbeitet oder sich dort versteckt.

Jeder der Männer nutzte einen anderen Kampfstil, der seine Persönlichkeit widerspiegelte. Ron wählte sein Ziel jeweils ausgehend davon, für wie bedrohlich er es hielt, und ging dann zügig vor, indem er einen wohlplatzierten Schlag landete, der den Gegner stets fällte. Dann zog er sich kurz zurück und pickte sein nächstes Ziel heraus.

Jeff verwendete ein Brecheisen, das er mit einer Hand schwang, um die andere freizuhaben. Er neigte dazu, falls der Platz es zuließ, langsam rückwärtszugehen, nachdem die Toten gefallen waren. So bekamen die gefährlicheren und schnelleren Zombies Gelegenheit, sich nach vorne zu drängen, wo er sie beseitigen konnte, solange er noch bei vollen Kräften war.

Sal trug die Axt und hatte seinen ersten Mord an einem Untoten noch vor sich. Für ihn war das ein heikler Moment, da er die sich nähernden Gestalten noch immer als Menschen betrachtete, nicht als Monster. Er fragte sich: Bringe ich es wirklich fertig, einem den Schädel zu zertrümmern?

»Benutze die stumpfe Seite des Blattes«, riet ihm Ron, während sie zum Angriff übergingen. »Sie bleibt sonst hin und wieder stecken.«

Er schlug zuerst zu und traf einen großen, fettleibigen Weißen zwischen die Augen. Als der zusammenbrach, trat Ron bereits zurück. Ein anderer großer Mann kam auf ihn zu, ein Schwarzer mit abgerissenen Lippen, sodass man die Zähne sah. Er klapperte damit und schnappte in seiner Gier nach Frischfleisch ins Leere. Ron graute vor dem Geräusch, das entstand, als der Mann zubiss, seinen Schmelz zugrunde richtete, Zahnbeine und Wurzeln freilegte. Im Hinterkopf bewertete er als Zahnarzt den Schaden und überlegte, was zu tun wäre, um ihn zu beheben.

Dann die Augen … er tat sich schwer damit, ihnen nicht in die Augen zu sehen. Das brachte ihn immer aus der Fassung. Farbe und Ausdruck verstörten ihn – bereiteten ihm eine Heidenangst. Ron richtete seine Aufmerksamkeit auf einen kahlköpfigen Latino, der fast gar keine Haut mehr an den Armen und der Brust hatte.

Bill holte weit aus und drosch einem Zombie auf den Schädel, doch der Golfschläger rutschte weg, wobei er einen breiten Lappen Kopfhaut abschälte. »Fett!«, rief er. Die Gestalt, eine Frau, war jetzt zu nahe, um Golf mit ihr zu spielen. Der Hautfetzen hing über ihrem Ohr, sodass man den weißen Schädelknochen sah. Sie streckte ihre Hände nach Bill aus. Mehrere Fingernägel waren abgerissen, doch einige ragten noch schartig von den Spitzen hoch.

Bill musste sich eines ungelenken Schlags nach unten behelfen, um sie plattzumachen. Es sah so aus, als ob ihn mehr Zombies als die anderen bedrängten, doch eigentlich machten sie ihren Gegnern schlichtweg schneller den Garaus. Fast mussten sie Bill beispringen, weil er so viel Aufhebens darum machte, es elegant aussehen zu lassen, statt es einfach hinter sich zu bringen.

Dank Sal ging es überhaupt zügig vonstatten. Er hatte allein beinahe die Hälfte der Untoten niedergemacht. Der Zahnarzt wollte sich nicht mit Bill anlegen, doch dessen Herangehensweise gefiel ihm nicht. Er fand sie gewagt, unreif und respektlos.

Auf dem Rückweg zum Parkhaus fasste Ron seine Idee – seine Vision – noch einmal schnell für Sal zusammen. Er wollte das Gebäude in einen Hochsicherheitskomplex, eine Festung verwandeln – einen Ort, an dem sie bleiben konnten, statt von Loch zu Loch fliehen zu müssen, nur um nicht getötet zu werden. Während sie das gemeinsam diskutierten, nahm das Vorhaben Gestalt an, und sie konnten es kaum erwarten, damit zu beginnen.

Sal stellte eine Frage, die sich jedem aufdrängte, sobald er Rons Idee kennenlernte: »Warum verschanzen wir uns nicht einfach in einem normalen Gebäude?«

»Dort ist die Aussicht begrenzt, weil andere Häuser ringsherum stehen. Wir könnten nicht sehen, wenn Gefahr im Verzug ist.«

Sal nickte. »Und was ist mit –«

Ron schnitt ihm das Wort ab, er war nun in seinem Element. Über all dies hatte er sich lange den Kopf zerbrochen. »In einem gewöhnlichen Haus zu leben, wäre langfristig eine trostlose Angelegenheit. Flure und Zimmer sind eng, geschlossen und sogar tagsüber dunkel. Was mir an einem Parkhaus besonders gut gefällt, ist die Möglichkeit, es zu sichern, indem man einfach den Zugang auf die höheren Ebenen versperrt.«

»Klingt wirklich gut«, stimmte Sal zu, obgleich er nicht wusste, ob er selbst auf irgendeines von Rons Argumenten gekommen wäre.

»Wir müssen vorsichtig sein.« Jeff trat hinter sie. »Ich denke, wir sollten uns unauffällig verhalten und diesen Ort sogar tarnen. Vielleicht ist es nicht klug, jemanden herzulocken, solange er nicht sicher ist.«

»Du hast Recht«, erwiderte Bill.

Ron fügte hinzu: »Letzten Endes brauchen wir nicht nur eine Bleibe oder ein Fort, sondern eine Stadt – einen Platz, an dem wir leben können, nicht bloß überleben.«

Das Erste, was er umsetzen wollte, war die Absicherung der oberen Ebenen. Sie steckten erneut die Köpfe zusammen, um das Projekt zu besprechen. Jeff steuerte mehrere Vorschläge bei, doch Bill fiel ihm ständig ins Wort. Da Jeff einen Zwist vermeiden wollte, hielt er sich einfach zurück. Bill wollte einen großen Bagger für das Unterfangen einzusetzen, den sie ungefähr eine Viertelmeile vor dem Flughafen entdeckt hatten. Er wusste, wie man solche Geräte bediente, und schlug vor, die Treppen und Auffahrten der massiven Struktur niederzureißen.

Sal und Ron sollten mit dem Van losfahren, um Material zu beschaffen: Holz, Nägel, Farbe sowie alles andere, was sie finden konnten. Mary und Donna begannen, das Gelände ringsum vom Dach aus zu beobachten, und machten sich dabei Notizen. Sie benutzten Rons Feldstecher, um eine Karte der Umgebung anzufertigen und alles anzumerken, was vielleicht wichtig war, etwa Feuer, andere Gebäude sowie jegliche Umtriebe Toter und Lebender. Am Ende sollte ihnen ein richtiger Lageplan zur Verfügung stehen.

Während Bill der Gruppe seinen Vorschlag regelrecht aufdrängte, stand Jeff auf und verschwand. Ron wollte eine Frage stellen, doch Bill beendete die Debatte: »Ich brauche deine Erlaubnis nicht, Ronny.« Er fühlte sich angegriffen und war aggressiv, ohne dass es einen ersichtlichen Grund dafür gegeben hätte.

Ron seufzte. »Das wird nicht funktionieren, wenn jeder so dünnhäutig ist.«

***

Fast 40 Minuten später kam der Bagger aufs Parkhaus zugerollt. Das Gebäude war sehr groß und stand auf einem weitläufigen Areal in einiger Entfernung zum Flughafen. Drinnen gab es neben mehreren Treppenhäusern zwei Fahrstühle und ebenfalls zwei Auffahrten. Um Reise- oder Shuttlebusse und Campingwagen unterzubringen, war die Decke der unteren Ebene mit knapp 15 Fuß fast doppelt so hoch wie jene der darüber liegenden.

Ron ärgerte sich. Zuerst war Jeff abgehauen, dann hatte Bill einen Rappel bekommen. Er wollte kein Anführer sein oder den Ton angeben, aber das war lächerlich. Jemand musste die Initiative ergreifen und die Arbeit organisieren. Er stöhnte und wandte sich an Sal. »Macht es dir was aus, wenn ich die Führung übernehme? Nur damit wir eine eindeutige Richtung verfolgen und nicht aneinander vorbeireden.«

Sal zog die Schultern hoch. »Nein, es wäre klasse. Ich denke, wir brauchen das.«

»Danke. Ich habe Bedenken, Bill könnte Ärger stiften, dann läge es an dir und mir, mit ihm fertig zu werden. Ich möchte vorbereitet sein, falls das passiert.« Er ließ den Blick übers Gelände schweifen.

»Okay.« Sal mochte Bill nicht, er hielt ihn für einen Deppen.

Der Lärm, den der Bagger verursachte, bereitet sowohl ihm als auch Ron Unbehagen. Plötzlich donnerte es laut im Gebäude. Der Motor heulte auf, mehrere Erschütterungen waren zu spüren.

Ron fuhr erschrocken zu Sal herum. »Wir müssen ihn aufhalten.«

Er war schon unterwegs zur Treppe. Sal lief hinterher und rief, dass er gerade gesehen hatte, wie sich eine große Anzahl Toter vom Verwaltungs- und Gewerbebereich her auf sie zubewegte, der auf der dem Flughafengelände abgekehrten Seite des Parkhauses lag.

Die beiden mussten an der Längsseite des Gebäudes vorbeilaufen, als sie das Parterre erreichten. Sal fragte: »Ich will niemandem zu nahetreten, aber war er schon immer so? Starrsinnig und unangenehm, meine ich.«

»Nicht so schlimm, wie er sich jetzt aufführt. Ich vermute, der Stress der letzten Tage lastet wohl schwer auf ihm.«

»Möglicherweise müssen wir ihn gewaltsam aufhalten. Das könnte hässlich werden.« Sal suchte Rons Blick und wartete auf eine Reaktion.

Ron machte aber keinen empörten oder wütenden Eindruck. »Vielleicht können wir einfach den Bagger lahmlegen. Das nimmt er uns zwar sicherlich übel, aber so lässt sich das zumindest unterbinden.«

Sal atmete auf. Den Rest des Wegs legten die beiden im Lauf zurück.

***

Bill hatte damit begonnen, die beiden hinteren Treppenhäuser einzureißen. Das ging dank des Baggers zügig und mühelos vor sich. Als Anbaugerät verfügte er über eine Abrissbirne, bei der es sich praktisch um einen dicken Vorschlaghammer handelte, der den Beton ohne weiteres in kleine Stücke zerbrach. Die Treppen bestanden aus Metall und waren mit der Struktur verschraubt, also konnte er die Birne dort einhängen und das Gestänge einfach wegreißen. Er kam rasch voran. Zu dem Zeitpunkt, als Ron und Sal eintrafen, hatte er beide Treppen entfernt und ein Stück weit weggezogen.

Die Arbeit war außerdem laut. Er wusste, dass er einige Untote anlocken würde, aber die Sache musste eben erledigt werden. Den ganzen Tag nur darüber zu reden, führte zu nichts, und davon abgesehen war er völlig sicher, weil er in einer geschlossenen, verriegelten Kabine acht Fuß über dem Boden hockte, nicht zu vergessen die breiten, an Panzer erinnernden Kettengetriebe zu beiden Seiten des Führerhauses.

Als Sal und Ron unten ankamen, war der Schwarm schon auf dem Weg zwischen dem Bürokomplex und dem Parkhaus, aber immer noch Minuten entfernt. Die beiden Männer winkten, um Bill auf sich aufmerksam zu machen. Er sah verdrossen aus, als er den Motor abstellte.

»Du musst aufhören!«, rief Ron.

»Willst du mich gemeinsam mit deinem starken Freund aufhalten?«, fragte Bill trotzig.

»Mensch, komm schon, du ziehst alle Toten der Stadt an. Das darf nicht weitergehen.«

»Wenn du es mich zu Ende führen lässt, wird das kein Problem sein.« Bill neigte sich nach vorne, um den Bagger wieder zu starten.

Da trat Sal vor. »Hey, glaubst du, dass du das irgendwie noch rechtzeitig schaffen kannst?« Er zeigte auf die sich nähernde Meute.

Bill schaute nur kurz auf. »Jawohl.« Er griff zum Zündschlüssel.

»Warte!«, rief Ron. »Du schaffst es nicht rechtzeitig, das weißt du genau – und falls doch, was dann? Wir können uns vor Zombies nicht mehr retten. Du hast den Van weit weg geparkt. Was tun wir, wenn wir hier eingesperrt werden?«

Bill rührte sich nicht. Zwar startete er den Bagger nicht wieder, doch aussteigen wollte er genauso wenig. Ron befürchtete schon, dass kein Weg daran vorbeiführen würde, ihn mit Sals Hilfe zu überwältigen.

***

Jeff war nicht nachtragend, brachte aber auch kein Verständnis für solche Dummheit auf, wie Bill sie an den Tag legte. Der Kerl hielt sich für schlau und zögerte nicht, unvernünftige, gefährliche Maßnahmen zu ergreifen, um das zu beweisen. Jeff kannte diesen Schlag Mensch.

Er hatte kommen sehen, wie Bill handeln und dass der Bagger über Meilen hinweg alle Toten anlocken würde, weshalb er zu einer Lagerhalle in der Nähe geeilt war, um eine Idee umzusetzen. Jeff konnte von Glück reden, das getan zu haben, denn er hatte den Weg zu dem riesigen Hangar nicht einmal zur Hälfte hinter sich gebracht, als er sah, wie Bill mit dem Van losfuhr.

In dem Moment, da er den Bagger aufs Parkhaus zurollen hörte, war er fast soweit. Ihm blieben nur noch wenige Minuten, in denen er hastig die Büroräume in der Halle durchstöberte, um zu finden, was er benötigte. Dann wartete er. Kurz nachdem er sich mit Blick auf das gewaltige, offene Tor in den hinteren Teil der Halle gesetzt hatte, schleppte sich eine Flut von Leichen daran vorbei. Sie bewegten sich aufs Parkhaus zu.

Jeff wartete darauf, dass der Motor des Baggers ausging. Sal und Ron würden Bill Einhalt gebieten, darauf zählte er. Als die Maschine endlich Ruhe gab, durfte er keine Zeit mehr verlieren und setzte alle Hebel in Bewegung: Er schaltete einen alten CD-Spieler ein, den er entdeckt hatte. Der war voll aufgedreht und plärrte miese Musik, erfüllte aber seinen Zweck. Batterien zu finden, die noch Saft hatten, war schwieriger gewesen, als das Gerät aufzutreiben.

Daraufhin machte der Schwarm kehrt und steuerte auf die große Halle zu.

Ron und Sal hörten die Musik leise, nachdem Bill den Bagger abgestellt hatte. Sie beobachteten, wie die Toten in die Richtung zurückschwenkten, aus der sie gekommen waren, und bald außer Sicht gerieten. Diese Gelegenheit ergriffen die beiden, um zum Van zu laufen.

Ron fuhr. »Das muss Jeff getan haben«, bemerkte er lächelnd. »Der Kerl ist echt clever. Ich hätte nie zulassen dürfen, dass Bill ihn so unterbuttert.«

Sal stimmte zu. Er ertappte sich dabei, immer noch wegen Maria zu grübeln. Ron war zuversichtlich, mit dem Umbau des Parkhauses zu einem sicheren, behaglichen Hort zu beginnen, in dem so viel Raum zur Verfügung stand, wie man brauchte, um einzelne Wohnungen abzutrennen, Nahrungsmittelvorräte anzulegen und schließlich weitere Überlebende aufzunehmen oder anderen dabei zu helfen, selbst Gemeinschaften zu gründen. Er dachte sogar schon so weit, dass er sich fragte, was man mit all den Toten anstellen sollte: sie zunichtemachen, einsperren … Damit waren viele Schwierigkeiten verbunden, und vermutlich griff er zu weit voraus.

Sal riss ihn aus seinen Erwägungen: »Ist das ein Feuer?« Eine dunkelgraue Rauchsäule stieg an einer Stelle empor, die nur wenige Gebäudeblocks entfernt zu sein schien.

»Sieht so aus. Willst du nachsehen?«

»Ja, ich würde nur ungern sehen, dass die Stadt von einem Brand zerstört wird, den wir hätten verhindern können.«

Ron fuhr direkt auf den Flammenherd zu, über dem der dunkle Qualm langsam nach oben waberte.

»Sieht nicht allzu groß aus.« Unterwegs bemerkte er, dass das Feuer auch die Toten anlockte. Vielleicht waren dort Überlebende eingekesselt.

Als sie den Ursprung des Rauchs erreichten und das letzte Gebäude passierten, das die Sicht darauf versperrte, bot sich ihnen ein Bild, das sie beileibe nicht erwartet hätten.

»Donnerwetter!« Sal rutschte auf dem Sitz nach vorne, um zu ergründen, was auf dem Parkplatz vor sich ging.

Ron bremste. Er schwieg, weil auch er zu begreifen suchte, was er sah.

Der Van stand auf der Straße vor der Einfahrt eines weitflächigen Parkplatzes. Gegenüber befand sich ein ›Big Box‹-Getränkemarkt, und vor dessen Türen loderte das Feuer. Geschürt wurde es von einem hohen Stapel Holzpaletten, doch am unheimlichsten an dieser Szene waren die fünf Gestalten, die lichterloh brennend herumgingen. Sie mussten tot sein, da sie nicht den Eindruck machten, Schmerzen oder Panik zu empfinden.

Einer brach zusammen, die übrigen vier wandelnden Fackeln zuckelten weiter über den Parkplatz. Das Feuer schien sie zu verwirren. Sie bewegten sich langsam und schlingernd ohne Muster, indem sie alle paar Schritte willkürlich ihre Richtung änderten.

Drei Biker gossen, wie es aussah, Spirituosen auf die Leichen und zündeten sie an. Zwei weitere Tote gingen in Flammen auf. Die Männer lachten und traten nach den schwelenden Körpern.

Ron und Sal beobachteten das Schauspiel einige Augenblicke lang und setzten wieder zurück. Ron schaute in den Rückspiegel, während sie langsam auf gleichem Wege in die Gegenrichtung fuhren. Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn, und sein Herz klopfte so heftig, dass er es im Hals spürte.

»Ich wäre fast auf den Parkplatz gerast, weil ich helfen wollte. Ich dachte doch tatsächlich, diese Gestalten seien noch am Leben.«

»Ich bin froh, dass du es nicht getan hast. Sind dir die Westen der Biker aufgefallen?«

»Ja.« Ron konzentrierte sich darauf, ruhig zu fahren. Er wollte mit Vollgas abhauen, doch die Biker hätten den Motor aufjaulen und die Reifen quietschen gehört.

Sal blickte zurück. »Ich glaube nicht, dass sie uns gesehen haben.«

»Da bin ich mir ziemlich sicher, aber wir werden nicht umhinkommen, die Augen nach diesen Typen offenzuhalten.« Ron schaute andauernd in den Rückspiegel, bis er das Gefühl hatte, dass sie in sicherer Entfernung waren. Er hoffte, dass diese Typen nur auf der Durchreise waren. Wahrscheinlich handelte es sich um Gesetzlose, also niemandem, der von ihrer Anwesenheit erfahren sollte.

***

Die Toten füllten jeden Winkel, jede Nische der riesigen Lagerhalle aus. Sie standen derart eingezwängt da, dass sie ihre Arme nicht bewegen konnten. Alle schauten hinauf an die gleiche Stelle: zu Jeff.

Er harrte auf einem breiten Lüftungsschacht aus, der dankenswerterweise eckig war. Hoffentlich, so dachte er, würde die Konstruktion sein Gewicht aushalten, denn sie wackelte an den Metallseilen, mit denen sie hoch oben unter der Decke befestigt war. Sachte ließ er sich auf allen Vieren nieder, wobei seine Hände in gut einem Zoll hohen Staub einsanken. Dann kroch er langsam darauf entlang. Das Metall des Schachts gab unter ihm nach und knarrte, während er die Knie darauf setzte. Auf diese beschwerliche Weise musste er die gesamte Distanz von einem Ende des Hangars zum anderen zurücklegen. Jedes Mal, wenn ein Element laut unter ihm knarrte oder eines der Seile unter Spannung surrte, rutschte ihm das Herz in die Hose. Was sollte er tun, wenn die Aufhängung abstürzte?

Er wagte einen Blick über die Kante. Die Zombies glotzten ihn mit kalten Augen an wie Hunde, die darauf warteten, dass ein Happen Essen vom Tisch fiel.

Letztlich schaffte er es bis zur Vorderseite der Halle. Zum Glück führte der Schacht bis zur Frontwand, sodass er die Kette erreichen konnte, die das große Tor öffnete und schloss. Er griff danach und fing an, es zuzuziehen, um die Toten einzuschließen.

Was eine Vielzahl von ihnen betraf, so gelang ihm das tatsächlich, aber draußen hielten sich noch viele mehr auf. Er verbrachte die nächsten Stunden damit, sie in andere Lager zu locken und einzuschließen. Hunderte waren es, um die er sich kümmern musste, falls nicht Tausende, doch er durfte froh sein, dass die Zahl derer, die aufgekreuzt waren, verglichen mit dem, was in der Nähe einer dicht besiedelten Stadt wie San José durchaus möglich gewesen wäre, relativ niedrig blieb.

Jeff musste sich an dicken Kabeln zwischen den Hallen entlanghangeln, um sich fortzubewegen. Einen anderen Weg zum jeweils nächsten Bau gab es nicht.

Irgendwann waren alle Toten eingeschlossen oder abgewandert. Daraufhin nahm er sich ein wenig Zeit, um die Büroanlage zu durchsuchen. Nachdem er einen verwaisten Einkaufswagen gefunden hatte, schob er diesen durch mehrere Räumlichkeiten und bediente sich.

***

Als Jeff kurz vor Sonnenuntergang zurückkehrte, stieß er auf Bill, der gerade hinter dem Parkhaus hervorkam. Er hatte sich stundenlang abgerackert, um die Trümmer von Hand wegzutragen.

»Was willst du mit dem ganzen Müll?«, fragte Bill und spielte sich auf, als würde Jeff verrottenden Abfall vor sich herschieben, und er selbst müsse sich darum kümmern.

»Ist bloß Zeug, das wir vielleicht zum Überleben brauchen. Nahrung und Wasser genügen nicht.«

»Okay«, räumte Bill ein, auch wenn es eher klang wie: »Ist mir scheißegal.«

»Ich habe Sachen mitgebracht, von denen ich glaube, dass sie jedem von uns was bringen: Bücher, Süßigkeiten, Stifte und Blöcke für Mary. Für dich gibt’s sogar Trockenfleischchips.«

»Warum denkst du, dass ich auf so was stehe?«

»Na gut, du mich auch.«

»Wie war das?«

»Ich sagte: Gern geschehen. Was du, glaube ich, hättest antworten sollen, war Danke und nicht der Mist, den du von dir gegeben hast.«

»Sackgesicht«, raunte Bill, während er die Rampe hinaufging und Jeff den schweren Wagen alleine schieben ließ. Dann rief er zurück: »Hey, Kleiner. Glaubst du wirklich, man überlebt, indem man anderen Geschenke macht?« Er streifte sich in einer dramatischen Geste sein Shirt über den Kopf und ließ es auf den Betonboden fallen.

Jeff erreichte die obere Ebene Minuten später. Als Donna ihn kommen sah, lief sie zu ihm, um ihm dabei zu helfen, den Wagen das restliche Wegstück zu schieben.

»Danke.« Jeff gab Donna die Packung Trockenfleischchips. »Hoffentlich mögen Sal oder Ron dieses Zeug.«

»Ich glaube, es gibt keinen Mann, der es nicht mag, und außerdem ist das, was zählt, der Gedanke. Du bist wirklich lieb.« Sie küsste ihn auf die Wange. Dann rief sie Mary, und zu dritt stöberten sie dankbar durch Jeffs Ausbeute, nicht nur wegen der nützlichen Gegenstände, sondern auch um der Ablenkung willen, die sie nötig hatten. Mary gefiel besonders der Stapel Taschenbücher. Jeff hatte ihr außerdem Notizblöcke, Kugelschreiber und Bleistifte besorgt.

»Du hast sogar an den Spitzer gedacht!«, meinte sie freudestrahlend.

»Also, Santa-Jeff, so tolle Weihnachten hatte ich noch nie!«, versetzte Donna mit einem Lächeln. »Das meine ich ernst. Das war unheimlich lieb und eine sehr schöne Überraschung. Vielen Dank.«

»Ja, danke sehr, Jeff.« Mary hielt inne, um kurz über ihre Schulter zu schauen.

Donna bemerkte es nicht, er schon. »Scheiß auf ihn«, sagte er und verwies mit einem Nicken zum Dach, wohin sich Bill zurückgezogen hatte.

Donna betrachtete die sonderbare, aber nützliche Ansammlung von Geschenken, die ihr Jeff gemacht hatte, und schmunzelte, weil er so umsichtig war. Er hatte sich bei der Übergabe dessen, wofür er sein Leben hätte lassen können, sogar dafür gerechtfertigt, nicht gewusst zu haben, was er für sie mitnehmen sollte. Während sie einen Schal hochhielt, musste sie wieder lächeln, weil sie wahrscheinlich steinalt werden musste, um das Stück zu einem anderen Anlass als der Apokalypse tragen zu können. Da waren auch noch ein Reisekissen, das unbenutzt aussah, eine große Packung Kaugummi und anderer Kram.

Mit einem Mal fuhr sie auf und ließ eine Konserve Pfirsiche auf den Beton fallen, die sie gerade zur Hand genommen hatte. Ron und Sal waren schon seit Stunden fort. Dass sie ihren Ehemann nicht erreichen konnte, versetzte sie in Panik. Sie lief zur Brüstung und schaute durch den Feldstecher hinaus, um in der zunehmenden Dunkelheit nach ihm zu suchen.