Ein Jahr zuvor …

»Wir kriegen dich, du Bastard!«, echote es durch den Wald. Sie verfolgten ihn schon lange und waren ihm nun sehr nahe – aber nur, weil er es zuließ.

Cooper hatte selbst bestimmt, wann und wo er sich ihnen entgegenstellen würde. Er wartete geduldig darauf, dass sie zu ihm kamen. Er beruhigte seinen Atem und blieb völlig still.

Sie jagten ihn in einer geschlossenen, großen Gruppe, also alle acht, und versuchten, ihm Angst zu machen, damit er sich aufscheuchen ließ. Er wusste jedoch, dass sie sich vielmehr vor ihm fürchteten. Das machte er anhand ihrer Stimmen aus: angespanntes Flüstern, wütende Befehle.

Glauben sie wirklich, ich sei so dumm und wollte ihnen allen auf einmal die Stirn bieten? Er würde das im Rambostil durchziehen, indem er sich einen nach dem anderen vorknöpfte.

»Wir wissen, wo du steckst, Mann!« Eine andere Stimme, näher.

Ihr wisst, wo ich stecke? So was von lächerlich, dachte er. Einer seiner Jäger gab mehrere Schüsse ab.

»Spar deine verdammte Munition«, brüllte ihr Anführer.

Cooper drückte sich seine Pistole fest an die Brust – längs, damit sie nicht vom Körper abstand – und seinen Rücken gegen einen riesenhaften Baum. Er befand sich tief in einem urgewaltigen Wald; die Wasserfälle, kolossalen Tannen, üppigen Farne und moosbedeckten Felsen waren schön, eigneten sich aber auch trefflich zum Verstecken.

Schweiß rann an seinem Rücken und den Beinen hinunter. Etwas kitzelte ihn im Genick, doch er verdrängte das Jucken in der Hoffnung, es sei kein beißendes Insekt. Die raue Rinde blieb an seiner Montur haften. Rechterhand fiel ihm eine Bewegung auf, doch er hielt sich steif wie der Tod, verborgen zwischen zwei breiten Farnen.

Sein Herz raste. Acht gegen einen – ein irrsinniges Handicap, doch er war entschlossen, lebendig hier herauszukommen. Einen Gegner ließ er vorbeilaufen, dann noch einen und schließlich zwei weitere.

Der Angriff traf sie überraschend. Er tötete drei von ihnen, bevor sie überhaupt bemerkten, wo er war. Der vierte Mann machte Anstalten, zurück zu feuern, handelte sich für seinen Heldenmut jedoch einen Schuss mitten in die Brust ein.

Cooper dezimierte ihre Gruppe binnen Sekunden um die Hälfte und stand geschützt vor den Verbliebenen hinter einem Baumriesen. Er grinste, als die übrigen vier in Panik gerieten.

»Zurück! Verflucht, er ist gleich dort!«

Cooper hörte, dass mindestens zwei von ihnen davonliefen, und kicherte. Wenn er nach ihnen ruft, sucht er mich nicht, schlussfolgerte er. So lehnte er sich zur Seite und feuerte rasch. Die Kugel traf den Anführer am Visier seines Helms. Eigentlich hatte er mittig auf den Körper gezielt, doch ein Kopfschuss ließ ihn viel cooler dastehen.

»Scheiße!« Der Teenager zog den Helm aus, um sich den Rest des Kampfes ansehen zu können. Er war verblüfft und auch ein bisschen enttäuscht. Beim Paintball gewann Cooper immer, aber das war wirklich lächerlich: Acht gegen einen, unfassbar. Er hätte ihn des Schummelns bezichtigt, wäre es nur annähernd möglich gewesen, dass Cooper dies getan hatte.

»Kommt schon, er steht direkt hinter dem Baum.«

»Du bist tot, Harlan«, sagte Cooper ruhig.

»Ich bin ein Zombie.«

»Zombies können nicht sprechen.« Cooper lächelte. Er hörte, wie die anderen beiden sich anschickten, den Baum zu umrunden, um ihn von beiden Seiten anzugreifen. Ein weiterer harrte rechts hinter ihm aus, es sei denn, Norman hatte fliegen gelernt; der Kerl war nicht in der Lage, leise zu gehen.

»Hetze ihn, Dicker!«, rief Harlan.

»Er wird mich abschießen«, jammerte Norman.

»Nicht, wenn du ihm zuvorkommst.«

Cooper ärgerte sich darüber, dass jeder Norman „den Dicken“ nannte; das war einfach gemein. Jeder kam mit jedem aus, aber die Kids konnten sich immer noch unreif und grausam verhalten.

»Norman, zielst du auf mich?« Cooper sprach diese Worte gegen den Baum, sodass sie von überall her hätten kommen können.

»Äh, nein.«

»Solltest du aber. Richte die Waffe direkt auf den Baum. Ob ich von links oder rechts komme: Du kannst mich in jedem Fall leicht erwischen.«

»Du wirst mir auch nicht böse sein?«

Herrje, Norman, stöhnte er innerlich. »Ich bin tot! Du schießt großartig. Nur weil du keine zehn Schritte schaffst, ohne verschnaufen zu müssen, heißt das nicht, dass du das hier nicht gewinnen kannst.« Cooper lächelte wieder. Er stichelte Norman gerne, doch beide wussten, dass es nie fies gemeint war.

»Ha, ha.« Norman hob sein Gewehr und zielte auf den Baumstamm. Er wusste, Cooper würde ihm helfen, den Sieg aber nicht gleich schenken, sondern im Gegenteil sein Bestes geben, um selbst zu gewinnen und es vermutlich auch schaffen. Norman hatte tatsächlich Angst.

»Nicht vergessen … warte.« Cooper drückte ab und traf einen der beiden, die sich herangepirscht hatten und ihm zu dicht auf den Leib gerückt waren. Der andere hielt sich zurück – weit zurück – und gab ein paar Schüsse ins Blaue auf ihn ab.

Eine Farbkugel sauste über Normans Kopf hinweg. »Hey, nicht die eigenen Leute abballern, pass auf!«

Ein leises »’Tschuldigung« folgte aus dem fernen Unterholz.

Cooper belehrte ihn: »Norman, vergiss nicht, in Deckung zu gehen.«

Der Dicke rückte ein paar Fuß zur Seite hinter eine dünne, junge Kiefer.

Der tote Anführer lachte wiehernd: »Du brauchst einen Baum, der wesentlich breiter ist als der, Norm.«

»Halt die Fresse«, blaffte Norman, obwohl auch er es witzig fand; er war locker viermal so dick wie der Baum.

»Du siehst aus wie ein Elefant, der sich hinter einem Stoppschild verstecken will.« Harlan war sein eigener größter Fan und lachte am lautesten über seine Witze.

»Wenigstens sieht mein Riechkolben nicht aus wie ein Pimmel«, konterte Norman. Er hatte tagelang darauf gewartet, diesen Spruch zum Besten geben zu können. Dass Harlan empfindlich reagierte, wenn es um seine Nase ging, wusste er, deshalb brachte das den Jungen auch zum Schweigen.

Auch Cooper musste schmunzeln. Harlan konnte ein ziemlicher Trottel sein.

Sein zweiter Häscher stürzte plötzlich los und feuerte, ohne zu zielen. Cooper schaute seelenruhig zu, wie die Platzpatronen überall hinflogen, bloß nicht einmal annähernd auf ihn. Dem Schützen ging ungefähr 30 Fuß vor Cooper die Munition aus.

»Oh, Kacke.« Er warf sich dramatisch auf die Erde, dann »Autsch.«

Daraufhin prusteten alle los.

Cooper ging seelenruhig auf den Liegenden zu, wobei er zusah, dass der Baum zwischen ihm und Norman blieb. Der Jäger versuchte händeringend, neue Farbkugeln in die Zuführung seiner Waffe zu schütten, doch dann stand Cooper vor ihm. Der gescheiterte Nachlader sackte resignierend zusammen.

Cooper ging in die Hocke, hielt ihm den Lauf seiner Pistole im Abstand von einem Fuß vor die Brust und wisperte: »Ich werde es kurz und schmerzlos machen.«

»Okay.«

»Irgendwelche letzten Worte?«

»Komm schon, tu’s einfach.«

»Möchtest du eine Nachricht für deine Lieben aufgeben?«

»Los jetzt, du Arsch, erschieß mich.«

Cooper feuerte und schlich zurück hinter den Baum.

»Jetzt sind nur noch wir beide übrig, Norman. Bist du bereit?«

»Ja, nur zu.« Er versuchte, zuversichtlich zu klingen, aber seine Stimme brach sich dabei.

»Bist du sicher? Auf welcher Seite des Baumes werde ich vortreten? Stehe ich überhaupt noch dahinter? Vielleicht lauere ich in Wirklichkeit hinter dir.«

Norman wollte den Kopf drehen, um zurückzuschauen, wusste aber, dass Cooper bloß versuchte, ihn zu verwirren. Darum ließ er den Baum nicht aus den Augen und fixierte eine Stelle etwa drei Fuß über dem Boden. Als er eine Bewegung an einer Seite wahrnahm, duckte er sich, und schon rauschte ein Farbball an ihm vorbei.

»Scharfes Auge, Norm!«, lobte Harlan.

Norman blickte wieder dorthin, wo er Cooper gerade gesehen hatte. Er suchte diesen Bereich ab, entdeckte aber keine Spur von ihm. Ein lautes Klatschen an seinem Brustpanzer ließ ihn zusammenzucken, woraufhin rechts über seinem Herzen ein grüner Klecks auftauchte. Dass es Cooper gelungen war, sich mehrere Yards von der Stelle fortzubewegen, an der er gestanden hatte – völlig unbemerkt – war verblüffend.

»Ach, Mensch.« Norman tat enttäuscht, war aber eigentlich froh; so knapp hatte er bei Paintball noch nie unterlegen, was eine beachtliche Leistung darstellte, wenn man von Cooper gejagt wurde.

»Gut, gut, gut.« Der Sieger stolzierte nun auf Harlan zu, und der Rest der Gruppe schloss sich den beiden an. »Ich schätze, jemand muss mir eine Pizza ausgeben.«

Sie zogen auf dem Weg zu der langen Straße, die sie tiefer in den Nationalforst führte, ihre Helme und verschiedene Elemente ihrer Kunststoffpanzer aus. Dabei lachten sie und rissen Witze – ein typisch sorgenfreier Tag für alle. Schließlich warfen sie ihre Ausrüstungen in die Autos. Später am Abend würden sie sich am Strand treffen und ein Lagerfeuer machen.

In wenigen Wochen begann Coopers Abschlussjahr, aber er freute sich schon jetzt aufs College. Obwohl er diese Zeit vermissen würde, konnte er es kaum erwarten, die Kleinstadt zu verlassen und in die Ferne zu ziehen.

Allerdings sollte er es nie bis aufs College schaffen. Beinahe auf den Tag genau ein Jahr später würde er auf echte Killer mit scharfen Waffen stoßen – und wieder allein sein.

Neun Monate zuvor …

»Ich wollte nur sagen, dass ich nicht mit heruntergelassenen Hosen dort reingehen will«, grollte General Mason Schaumberg. Er stand vor einer dunkelhäutigen Frau im Laborkittel, die deutlich kleiner war als er, und rückte ihr viel zu dicht auf die Pelle.

»Na ja, viel zu sehen gäbe es dann ja nicht«, erwiderte sie, ohne vor ihm zurückzuweichen. Dr. Aimee Sarin war indischer Abstammung, aber Amerikanerin in der dritten Generation. Sie hatte in Astrophysik promoviert und zeigte sich unbeeindruckt, während er das Machoarschloch heraushängen ließ; genauer gesagt fand sie es niedlich, wenn er das versuchte.

Der General lächelte. »Heißt das also ja? Diese Berechnungen sind ganz sicher korrekt?«

Die Doktorin verdrehte bloß ihre Augen. »Was denkst du denn?«

General und Dr. – so nannten sie einander sogar außerhalb ihrer Arbeitszeit. Sie hatten vor etwas über einem Jahr begonnen, miteinander auszugehen. Dr. Sarin war für Seeker verantwortlich, einem Teleskop auf der dunklen Mondseite, von dessen Existenz nicht einmal 50 Personen wussten. General Schaumberg wiederum war für Dr. Sarin verantwortlich – jedenfalls beruflich, und selbst darüber ließ sich streiten.

Seeker übertraf alle anderen Teleskope, die man je gebaut hatte, und sie durfte darüber verfügen, was sie in die Situation des ersten Menschen der Welt brachte, der wusste, dass ein möglicherweise verheerender Asteroid auf die Erde zuraste – und zwar noch ehe dem US-Kongress klar wurde, wer das Projekt subventionierte.

»Und du kommst wirklich nicht mit mir?«, fragte der General, obwohl er die Antwort bereits kannte.

Sie hasste diese Besprechungen und hatte heute einen triftigen Grund, um fernzubleiben. »Ich bin mir sicher, du schaffst es allein, vor einem Saal voller Männer zu reden, die deine Karriere mit einem Telefonanruf zerstören könnten.« Sie lächelte über diese Spitze.

»Du verstehst es wirklich sehr gut, mich zu beruhigen, vielen Dank.« Er salutierte mit einem schiefen Grinsen, bevor er zum Konferenzraum ging.

Normalerweise würde sie einem so wichtigen Treffen beiwohnen, doch es galt, weiter an den Berechnungen zu arbeiten. Um mit hundertprozentiger Gewissheit zu sagen, dass der Asteroid einschlagen würde, war es noch zu früh, doch die Wahrscheinlichkeit dafür stand hoch. Dennoch hoffte sie, sich zu irren.

Sie war aufgeregt gewesen, als man sie auserwählt hatte, jenes Team zu leiten, welches das geheime Teleskop bedienen sollte. Dessen Stärken begeisterten sie, doch sobald sie die tatsächliche Zahl der Flugkörper gesehen hatte, die eine erhebliche Bedrohung für die Erde darstellten, war sie dazu übergegangen, nach der Arbeit zu trinken, um schlafen zu können. Innerhalb weniger Monate hatte sie sich auf dem besten Wege befunden, ihre Karriere zu zerstören. Mithilfe des Generals war sie wieder auf die richtige Spur gekommen, und eine Beziehung hatte sich entwickelt.

Dass man der Öffentlichkeit weismachte, man sei vor Asteroideneinschlägen sicher, regte sie immer noch auf, doch mit der Wahrheit umzugehen, wäre zu arg für die Menschen. In diesem Fall war Unwissen ein Segen, aber am schlimmsten fand Dr. Sarin, dass selbst das überragende Teleskop nicht jedes Objekt ausmachte, das die Erde treffen konnte.

Während sie beobachtete, wie der General den Konferenzraum betrat – selbstbewusst wie immer –, zwickten sie leise Gewissensbisse, weil er es war, nicht sie. Ich mach’s mit einem gemeinsamen Abendessen wieder gut. Vielleicht schaue ich mir sogar diese dämliche Fernsehserie über die Motorradgang an und tue so, als würde sie mir gefallen, sinnierte sie.

Drei Monate zuvor …

Der General saß mit der Doktorin hinten im Pressesaal und tat etwas, was die beiden während ihrer Arbeit nie wagten: Händchen halten. Als er sie drückte, schlossen sich ihre Finger um seinen Verlobungsring, und sie schüttelte leicht ihre Hand, damit er sich entspannte.

Der Pulk verstummte, als der Präsident der Vereinigten Staaten mit einem einzelnen Blatt Papier in den Händen aufs Podium trat.

»Guten Abend. Ich bin heute hier, um Ihnen diese Neuigkeit persönlich zu übermitteln. Während ich spreche, werden diese Informationen an andere Staatsregierungen und Medien weltweit weitergereicht, um eine grundlose Panik zu verhindern. Alles wird in Ordnung bleiben, und ich wiederhole dies ausdrücklich: Alles ist und wird in Ordnung bleiben.

Ein Asteroid befindet sich auf dem Weg zu uns – uns, das bedeutet: die Erde. Er wird in der russischen Stadt Ufa einschlagen; diese Stadt wird vernichtet, aber –«

»Moment mal!«, rief ein Reporter und sprang auf. »Sie haben gelogen, was Ufa angeht, richtig? Wie lange wissen Sie bereits von diesem Asteroiden?« Wütendes Gemurmel kam unter den anderen Medienvertretern auf.

Eine ältere Frau erhob sich. »Es ging also nicht um ein Arsenal biologischer Kampfstoffe, das zu gewaltig war, um es zu bewegen. Sie haben uns rundheraus belogen. Wie können Sie es wagen?«

Auf eine Handbewegung des Präsidenten hin traten rasch zwei Agenten in Aktion, um die Reporterin hinauszubringen. Sie widersetzte sich. Andere standen auf und fingen lauthals an, Fragen zu stellen.

»Setzen Sie sich! Tun Sie es sofort, oder ich lasse diesen Saal räumen!«, rief der Präsident ins Mikrofon. Niemand reagierte. Die Lage wurde so chaotisch, dass der Geheimdienst ihn aus dem Saal geleiten musste.

Der General schnitt ein finsteres Gesicht. Für diese Trottel ist es so schlimm, nicht informiert worden zu sein, dass sie gar nicht hören wollen, welche Nachricht der Präsident mitzuteilen hat.

Ein Journalist stellte sich auf einen Stuhl und begann zu schreien. Ein Agent des Geheimdienstes versetzte ihm einen Elektroschock, woraufhin der Mann zu Boden ging. Zwei andere Agenten drehten ihn auf den Bauch und legten ihm Handschellen an. Das war eine klare Ansage. Man würde nicht lange fackeln. Die anderen Medienvertreter beruhigten sich wieder und verließen nacheinander den Saal.

Sobald Ruhe eingekehrt war, durfte eine Handvoll zurückkehren. Der Präsident richtete sich an sie, doch das Kind war bereits in den Brunnen gefallen. Man wollte dem Staatsoberhaupt eine Lektion erteilen, weil man von ihm für dumm verkauft worden war. Den Reportern war anscheinend egal, dass die weltweite Panik, die sie zu schüren gedachten, zu Chaos führen würde – zu Zerstörung, Gewalt und Mord.

***

»Diese Arschlöcher.« Der General war es leid, dabei zuzusehen, wie kindisch sich die Medien aufführten. Man berichtete, der Asteroid würde die ganze Welt verwüsten und die Menschheit auslöschen. Er war zu verdrossen, um das Sandwich zu essen, das er sich gerade gemacht hatte, und lehnte sich an die Küchentheke.

Die Doktorin konnte ihm nur beipflichten: »Die spielen sogar Szenen aus Katastrophenfilmen als authentisches Material ein. Nicht zu fassen. Ganz ehrlich, ich fand schon immer, wir hätten es der Welt preisgeben sollen, als wir es erkannten, aber so zu reagieren, ist kriminell.«

»Ich weiß.« Der General betrachtete sein Sandwich. Er hatte mehrere hitzige Debatten mit ihr über die Situation hinter sich.

Sie war gerade vom Joggen zurückgekommen und trank Wasser aus einer Flasche. »Sieht nicht so aus, als würde die Mehrheit der Menschen die Lage begreifen und sich normal benehmen. Ich glaube, langfristig wird doch alles glattgehen.«

»Ja, sicher. Aber die Schäden, die daraus entstehen … Du hast die Geschichten gehört: Menschen werfen ihre Leben und Karrieren weg, ja töten sogar aufgrund dessen, was die Presse heraufbeschworen hat.«

Sie sah ungern, dass sich der General derart empörte, und schmiegte sich an ihn. »In ein paar Wochen ist alles wieder normal.«

»Für die meisten Menschen.« Er biss in sein Sandwich.

»Na ja, für uns aber auf jeden Fall.« Sie versuchte, ihn zu beschwichtigen und ihm Zuversicht zu spenden.

Er erwiderte ihre Umarmung, schnupperte an ihrem Haar und versuchte den ganzen Mist zu vergessen, der ihm gerade durch den Kopf ging.

»Für uns schon, definitiv.« Er gab ihr einen Kuss auf den Kopf. »Uns wird es besser gehen als je zuvor.«

Dabei irrte er sich jedoch, denn in wenigen Wochen sollten die beiden nicht mehr am Leben sein.

***

Der Tag kam, und die Welt hielt den Atem an. Der Asteroid trat in die Atmosphäre ein und ging über Osteuropa nieder – und das war es dann. Die Stimmung weltweit vermittelte einen Eindruck von Enttäuschung, den meisten Menschen entging der Einschlag völlig.

Während die Menschen jedoch allerorts zur Ruhe kamen und anfingen, ihre Leben wieder in geregelte Bahnen zu lenken, setzte eine Gruppe von neun Männern einen Plan um. Und dieser sollte eine wirkliche weltweite Katastrophe auslösen.

Drei Wochen zuvor …

Die Neun ließen in einem fürstlichen Hotel die Seele baumeln. Ihre Suite umfasste die oberen drei Etagen des vornehmsten Etablissements in Las Vegas, doch die Männer schienen einander nicht zur Kenntnis zu nehmen. Jeder wartete auf die Apokalypse, und sie waren die Einzigen auf Erden, die wussten, dass sie kommen würde … weil sie sie selbst in die Wege geleitet hatten.

Milliardäre. Neun Milliardäre an einem Ort. Trugen sie ihre Vermögen zusammen, konnten sie alles erreichen, doch sie hatten entschieden, die Welt zu vernichten. Der Plan war über Jahrzehnte hinweg ausgearbeitet worden, und die Zeit zur Umsetzung nun endlich reif. Von der Glaubwürdigkeit der Medien konnte keine Rede mehr sein, nachdem sie eine derartige Story aus dem Asteroiden gemacht hatten.

Im Rahmen einer beiläufigen Abstimmung, bei der es nur eines einträchtigen Kopfnickens bedurfte, fassten sie den Beschluss, die Weltbevölkerung fast vollständig auszumerzen. Im Lauf der folgenden Stunde führten sie mehrere Telefonate und verschickten ein paar E-Mails. Dann waren die Weichen gestellt und alle Hebel in Bewegung gesetzt; fast alle Menschen auf der Welt sollten binnen weniger Tage sterben.

Sie gingen davon aus, dass ihr Plan aufgehen würde, vor allem weil die bevorstehenden Ereignisse merkwürdig anmuten mussten. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung würde körperliche Krankheitssymptome ignorieren, die eigentlich erschreckend waren. Die Milliarden, die sich im Lauf der nächsten Wochen infizierten, würden sich besser, glücklicher und gesünder denn je fühlen – ja geradezu euphorisch sein. Diese Gruppe von neun Männern hatte festgelegt, wer auf globaler Ebene überleben und wer sterben sollte. Jetzt strahlten sie und prosteten einander zu. Bald würde das Paradies ihnen gehören.

Ihr Vorhaben, den Planeten zu entvölkern, verlief aber nicht wie beabsichtigt. Die Gruppen und Einzelpersonen, die sie geimpft hatten, steckten sich zwar an, als sie mit dem Virus in Berührung kamen, und viele fanden in den darauffolgenden Wirrnissen den Tod, allerdings verhielt sich der Erreger selbst nicht wie vorgesehen. Die Infizierten starben nicht nach der anfänglichen Euphorie, sie fielen ins Koma. Ihre Gehirne vollzogen einen nicht vorhergesehenen Wandel, der sie wieder erwachen ließ. Doch das Menschliche in ihnen war gestorben, ein Monster geboren – und alles, was dieses Monster wollte, war fressen.

Diese neun mächtigen Männer, die Gott spielten, indem sie Milliarden Menschen mit nur ein paar Anrufen und Mails umgebracht hatten, waren auch Menschen. Folglich steckten sie sich an und erlitten das gleiche Schicksal wie ihre Opfer.