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Cooper ertappte sich dabei, dass er fand – und das nicht zum ersten Mal –, die Welt sei wunderschön. Er fragte sich, ob er es für gut oder schlecht befinden sollte, dass er selbst in Anbetracht des ganzen Elends nicht um die Feststellung herumkam, wie schön doch alles an einem frühen Morgen wirkte.

Es war ein typischer Tagesstart für Kalifornien: Den blauen Himmel trübten keine Wolken, die Temperatur lag knapp unter 20 Grad, und ein laues Lüftchen wehte. Cooper ging zum Parkplatz des internationalen Flughafens von San José – ein weites, flaches Gelände, durchzogen von Laternenmasten in Reihen und Haltestellen für Shuttlebusse. Er kam von der Südseite her, aus dem Büropark, der an das Areal grenzte.

Auch der Kontrolltower stand hier und war über mehrere Meilen hinweg deutlich zu erkennen. Allerdings war er immer noch ein gutes Stück weit vom Flughafen entfernt, da zwischen dem Dauerparkplatz und den Rollbahnen sowie dem Flughafenkomplex selbst eine Fernstraße verlief. Cooper näherte sich auf der Straße zum Tower, die durch ein großes Schild mit der Aufschrift ›Luftverkehrskontrolle‹ gekennzeichnet war. Er ging ein Stück darauf weiter, bis er ein breites Loch im Zaun entdeckte und zu dem riesigen Parkplatz hindurchschlüpfte.

Der Highway lag nun zu seiner Rechten, auf dessen anderer Seite erstreckten sich die gewaltigen Rollbahnen und linkerhand befand sich ein Industriegebiet, das in weitläufiges Flachland abfiel.

Ungefähr 30 Fuß vor Cooper schleppte sich ein Toter dahin. Er folgte ihm auf seiner dem Wind abgewandten Seite, damit er ihn nicht witterte, wenngleich das bedeutete, dass er ihn roch. Dabei trug Cooper Sorge dafür, möglichst keine Geräusche zu verursachen. Er wollte sein Verhalten studieren, so lange er konnte.

Bei aller Vorsicht im Umgang mit den Toten, bereiteten ihm die Lebenden aber mehr Kopfzerbrechen. Von ihnen ging stets die größere Bedrohung aus. Sicher, die Zombies waren gefährlich, aber eben langsam und vorhersehbar. Für die Toten war er Futter, sie attackierten ihn stumpfsinnig, wohingegen lebende Menschen voller Trug und Tücken steckten. Er hatte schon Raub, Vergewaltigung und Mord erlebt, war bestohlen worden, und fast hätte man ihn auch getötet.

Gewohnheitsmäßig ließ er den Blick in der Umgebung schweifen, während er der Leiche folgte. Er lauschte dem Rhythmus des nachgezogenen Fußes, dem leisen Schlurfen des anderen und dem unterschwelligen Kling-Kling-Kling einer Gürtelschnalle, die über den rauen Asphalt schleifte. Im Grunde genommen bedauerte er die Toten und deren noch lebende Angehörige. Er konnte sich vorstellen, wie entsetzlich es sein musste, jemanden in diesem Zustand zu sehen, den man liebte. Cooper durfte sich glücklich schätzen, alle seine Verwandten – nun ja, fast alle – verloren zu haben. Dass er sich überhaupt die Mühe machte, die Zombies auszuschalten, lag an der Würdelosigkeit ihres Daseins. Dieser vor ihm schien zu Lebzeiten ein Mann mittleren Alters gewesen zu sein, doch jetzt hing sein Haar welk vom Kopf, und eine Hose trug er praktisch nicht mehr. Der Stoff war zerfetzt und mit Schlamm bedeckt, der Gürtel schlackerte auf Höhe seiner Fußknöchel, während der Rest des Körpers ein Wust aus Fleisch und Dreck war.

Als der Wind drehte, hielt der Tote inne. Er ächzte in einem tiefen, rasselnden Ton, während er sich langsam umdrehte. Cooper geriet weder in Panik und lief davon, noch war ihm dieser Tote einen Angriff wert. Er umging ihn, wobei er sich außerhalb seines Sichtfeldes hielt. Sobald Cooper wieder in den Windschatten der Leiche gelangte, hörte sie auf, ihn zu suchen, und stand nur schwankend da.

Er wartete eine Weile ab und überlegte, was er tun sollte, während er beobachtete, wie der graubraune Haarschopf des Toten im Wind flatterte. Da seine Wangen zerfetzt waren, erkannte man die Zähne, angerissen und fleckig. Er ähnelte einem verschlagenen Schakal. Cooper fiel noch etwas auf: Die Muskeln, so dünn und leblos grau sie auch aussahen, muteten auf eigentümliche Weise feucht an. Ein schrilles Heulen ertönte, das rasch lauter wurde. Auch der Tote hörte es und schlug die Richtung ein, aus der es kam.

Ein kleiner, dunkler Kasten flitzte heran. Es war ein ferngesteuertes Modellauto, das dicht vor dem Toten stehenblieb, wendete und langsam davonfuhr, woraufhin er ihm zum Flughafen und den langen Rollbahnen folgte. Cooper blieb stehen und schaute sich um. Er suchte nach demjenigen, der das Auto bediente. Gleichzeitig behielt er den Toten genau im Auge, der weggelockt wurde, und stellte fest, dass er auf ein großes Loch inmitten des Geländes zusteuerte. Daneben waren dicke Klumpen Asphalt und Erde aufgeschichtet worden. Der Durchmesser betrug mindestens 20 Fuß, und jemand hatte eine breite Aluminiumleiter darübergelegt. Darauf lag ein flaches, langes Brett. Auf ebendieses rollte das Auto sachte, indem der unsichtbare Fahrer die Hürde mit Geschick nahm. Der Tote machte einen Schritt auf die Brücke zu, trat jedoch ins Leere. Er stürzte mit einem dumpfen Knall ins Loch, grollte einmal und verstummte. Das Auto setzte zurück und kam wieder zu Cooper. Als es vor ihm stehenblieb, fuhr es jeweils ein paar Zoll vor und zurück, wie um seine Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen. Schließlich schlingerte es, raste davon und auf das große Parkhaus am anderen Ende des Platzes zu.

Nun, da die unmittelbare Bedrohung gebannt war, schaute Cooper genauer auf das sechsstöckige Gebäude, bis zu dem er nach wie vor ein gutes Stück weit gehen musste. Er erkannte die Schattenrisse einer Handvoll Menschen auf dem Dach.

Dann schaute er in das Loch. Es war finster, weshalb es den Anschein unendlicher Tiefe vermittelte. Von dem Zombie fehlte jede Spur. Cooper überlegte, ob er einen weiten Bogen um das Gebäude machen oder den Überlebenden dort einen Besuch abstatten sollte, ehe er sich darauf festlegte, bei seinem Plan zu bleiben und weiterzugehen. Die Sonne stand immer noch niedrig am Morgenhimmel. Sein Tag hatte gerade erst begonnen, und er wollte San José heute noch erreichen. Bis dahin waren es nur noch wenige Meilen, wobei er noch Zeit zum Auskundschaften haben und sich dann eine Bleibe für die Nacht suchen würde.

Die Menschen auf dem Dach warteten und beobachteten ihn wohl, während er seinen Weg fortsetzte. Er lief über das brachliegende Land zum Highway, immerzu achtsam. Er hatte auf die harte Tour gelernt, wie leicht man sich sowohl von Lebenden als auch Toten einkesseln lassen konnte.

Er kam gut voran und hoffte, deutlich vor der Abenddämmerung bei seiner Schwester einzutreffen. Allmählich begab er sich in Wohngebiete. Dort sah er wenige Zombies, und die Lebenden, die er bemerkte, schauten mit befangenen Blicken aus Fenstern. Bislang gab es keine Belege für Orgien und Wahnsinn, wie sie sich im Zuge der Ausbreitung des Virus abgespielt hatten.

Cooper wähnte sich sicher – zu sicher – und ließ sich dazu hinreißen, ein paar Schritte auf einen Schulhof voller schwankender Leichen zu machen. Viele drängten sich vor dem Hintereingang des Gebäudes, einige waren nur wenige Yards von ihm entfernt. Er blieb unvermittelt stehen. Man schien ihn nicht wahrgenommen zu haben, also zog er sich sehr langsam und vorsichtig zurück.

Danach versuchte er eine andere Route, und als er zwischen zwei Häusern durchging, drang das Brummen eines Motors an sein Ohr. Er kehrte ein paar Schritte in Richtung Straße zurück, um zu sehen, was da kam. Ein Pickup mit zwei Personen im Führerhaus röhrte vorbei und bog am Ende der Straße rechts ab. Cooper wusste, das laute Fahrzeug musste Tote angelockt haben, weshalb er weiter auf die Straße trat, um nachzusehen. Und tatsächlich – es schien alle Toten angelockt zu haben.

Vom unteren Ende der Straße – noch lagen mehrere Häuserblocks dazwischen – näherte sich eine enorme Masse Leiber. Er würde, wenn er sich jetzt nicht sputete, von diesem massiven Schwarm verschluckt werden, den die Trottel mit dem Wagen heraufbeschworen hatten. Die Toten bewegten sich langsam, aber Cooper konnte sehen, dass sie von überall heranströmten und ihn bald umzingeln würden. Er rannte los.

Am Ende der Straße schaute er nach rechts. Der Pickup stand ungefähr zwei Gebäudeblocks entfernt am Rinnstein.

Cooper blieb hinter einer hohen Hecke stehen. Mehrere Tote wankten aus den Gassen zwischen den Häusern heran, während die Riesenmenge nach wie vor mehrere Blocks weit zurücklag. Als Cooper verstohlen aus seiner Deckung hervorschaute, erkannte er, dass der Truck vor einem Spirituosenladen parkte. Die Insassen waren ausgestiegen, doch aus dem Gebäude vernahm er ein Klirren, die Eingangstür hing offen an ihren Angeln. So wie es aussah, war das Lokal bereits früher ausgeplündert worden. Dann trat unerwartet ein Mann in den Türrahmen und schaute Cooper geradewegs in die Augen, er entsprach dem typischen Bild eines Rednecks.

Cooper kam nicht dazu, sich schnell genug zurückzuziehen. Er langte nach seinen Pistolen, doch ehe er sie ziehen konnte, winkte der Kerl, als wollte er ihn verscheuchen. Cooper duckte sich verwundert wieder hinter die Hecke. Nur wenige Yards neben ihm näherte sich eine Leiche. Leise zog er seinen Schlagstock aus. Dann ging er rasch auf sie zu und machte sie mit einem schnellen Hieb auf den Kopf unschädlich. Als er danach zurückblickte, kam gerade ein zweiter Mann aus dem Laden. Das war der Hinterwäldler, den er bewusstlos geschlagen hatte, um Ana zu retten. Cooper konnte es sich nicht erklären, doch der andere hatte ihm vermutlich gerade das Leben gerettet. Er hörte die beiden reden.

»Also, was jetzt?« Es freute Dale, dass der Mann, der ihm gerade aufgefallen war, seine Warnung schnell genug zu Herzen genommen und sich wieder versteckt hatte. Er fragte sich, ob er noch in Hörweite war.

Tug zog die Schultern hoch.

»Hey, Mann, wenn ich dein Mitstreiter sein soll, musst du mir sagen, was gespielt wird. Wir müssen unseren Angriff koordinieren, einen Plan B schmieden und so weiter.« Dale redete ein wenig lauter. Er hoffte, der Kerl, den er zurückgetrieben hatte, würde zuhören und sich einen Reim auf seine Botschaft machen können.

»Hä?« Tug war mit seinen Gedanken woanders.

»Ich meine das Parkhaus. Vorhin. Du hast Menschen darin gesehen, und dabei erkannte ich, dass du einen Plan hast. Ich weiß, du hast von einer ordentlichen Party geträumt, und will dabei sein.«

»Weiß nicht.« Tug hatte so eine Art an sich, sein Gegenüber anzusehen, ohne sich ihm direkt zuzukehren. Stets trug er ein verhaltenes Lächeln auf den Lippen, als habe er gerade etwas Amüsantes gehört. »Schätze, wir können zurückfahren und es uns genauer anschauen – herausfinden, wie viele es sind.«

»Und dann?«

»Keine Ahnung.«

»Sorry, ich dachte, du hättest einen Plan. Jedenfalls hatte ich das gehofft. Ich wollte dich wirklich mal in Aktion sehen. Du weißt schon, von einem Meister lernen. Ich ahne, dass du so etwas schon mal gemacht hast … also Typen aufgemischt. Ich versuchte das auch hin und wieder, aber es klappte nicht.«

»Wirklich, ich habe keinen Plan.«

»Schon klar, verstehe. Du bist so etwas wie ein Künstler, der sich von seiner Inspiration leiten lässt.« Dale verfluchte sich selbst für seine schlechte Wortwahl, da er ein bisschen zu anspruchsvoll für Tug daherredete. Der sah dementsprechend verwirrt aus.

»Also gut, sagen wir, du hättest all die Typen aus dem Parkhaus jetzt vor dir stehen – was würdest du tun?«

Tug lächelte wieder in gewisser Weise. »Ich würde ihnen die Köpfe wegblasen, sie aus dem Weg schaffen. Wer auch immer übrig ist, Seite 82.«

»Seite 82 wovon?«

»Tighter

»Ah, schön. Siehst du? Ich wusste, du hattest was Konkretes im Kopf.« Dale ging zu dem Stapel Zeitschriften, der nun auf der Sitzbank des Pickups lag, Tighter ganz oben.

»Seite 82. Mal sehen, was es auf Seite 82 gibt.« Er blätterte langsam und bewegte sich wie gedankenlos in Richtung des Fremden. »Moment, ich will raten, was mein Freund Tug tun würde. Äh, zuerst komplett ausziehen, daraufhin fesseln, während sie heulen und mit den Zähnen klappern, und von da aus direkt was Altbewährtes: Hände und Füße zusammenbinden. Dann kann der Spaß so richtig losgehen … liege ich weit daneben?«

Tug lächelte noch etwas fieser und seine Augen funkelten.

»Jawohl, ich glaube, ich weiß so langsam, was dem alten Tug am besten gefällt. Okay, ich wette, auf Seite 82 ist irgendeine fest verschnürte Fotze abgebildet. Sie hat Schmerzen, sie baumelt aufgehängt wie ein Schwein von der Decke und sieht aus, als hätte sie Schiss. Ihre Augen flehen dich geradezu an: Tug, lass mich frei, lass mich frei.«

Der Angesprochene nickte und grinste noch breiter.

Dale schlug Seite 82 auf. »Ah, doch recht knapp getroffen, was? Das musst du mir definitiv zugutehalten.«

»Sicher.« Tug lächelte eindeutig und nickte. Er errötete.

Dale wusste, er hatte ihn soweit, denn Tug genoss diese Konversation offensichtlich und würde sich nach mehr sehnen. Der Polizist schaute wieder in die Zeitschrift. Das Foto auf Seite 82 entsprach seiner Beschreibung beinahe exakt, weil es sich um eine Sonderausgabe von Tighter handelte, die sich auf Fesselungen konzentrierte.

»Seite 82!« Dale klopfte Tug auf den Rücken und bereute den intensiven Körperkontakt sofort. Der Mann zuckte leicht zusammen, schien diese Geste der Zuneigung jedoch zu mögen.

»Seite 82.« Er lächelte und nickte erneut. Damit war beschlossen, dass er Dale nicht umbringen würde.

»Also, mein Freund, wir leben in einer Welt, in der wir gehen können, wohin wir wollen, essen und schlafen dürfen, wann und wo wir wollen, und imstande sind, mit jedermann etwas anzustellen – alles, was wir wollen. Was steht als nächstes für Tug und Dale, das Fesselteam, auf dem Plan?«

Tug lächelte und nickte unentwegt, weshalb Dale nach ein paar Sekunden dachte, er sei irgendwie hängengeblieben oder erleide eine Art von Anfall. Dann aber hörte der Typ auf und glotzte ihn an.

»Bin mir nicht sicher. Hab schon über Villen und so nachgedacht – einfach ein großes, altes Haus finden und die Beine hochlegen. Vielleicht Partys schmeißen.«

»Na ja, lass mich wissen, was du vorhast und wann. Ich bin dabei, Master Tug. Bis dahin – warmes Bier gefällig?«

»Jepp.« Tug nickte bejahend … und lächelte.

Er wirkte so hohl, so völlig außerstande, vorauszuschauen oder Pläne zu entwerfen, dass Dale auch nicht mit einer konkreten Antwort gerechnet hatte.

»Eine Sache gibt es, einen Grund dafür, dass ich den weiten Weg hierher auf mich genommen habe.«

Nun, da er begann, sich Dale gegenüber zu öffnen, würde er ihm bestimmt alles mitteilen, was er die ganze Zeit über gedacht hatte. Jetzt musste der Ermittler nichts weiter tun, als abzuwarten und zuzuhören, doch Tug konnte ärgerlich langsam sein. Endlich plauderte er los: »Da ist so ein Arschloch; hat mir grundlos eins übergezogen, sich angeschlichen wie ein elender Feigling und mich geschlagen.« Er war wütend und überzeugt davon, selbst das Opfer zu sein.

Dale erkannte, dass weit mehr hinter dieser Geschichte steckte.

Cooper lauschte. Er hatte seit der Rettung des Mädchens vor dem Einkaufszentrum geahnt, dass Tug ihm folgte. Nun überlegte er, ob er vortreten und sich zeigen sollte, doch obwohl der andere Mann ihn abgewimmelt hatte, ließ sich nicht abschätzen, wie er reagieren würde.

»Was hast du dir ausgedacht für den Fall, dass du ihn schnappst?« Dale lehnte sich gegen den Wagen und tat entspannt, ja sogar beiläufig, war aber ganz Ohr.

Tug erzählte weiter: »Darüber habe ich lange nachgedacht. Ich weiß, dass ich ihm wehtun will, bevor er stirbt. Ich will den Stock nehmen, mit dem er mich geschlagen hat, und ihn selbst damit zu Brei prügeln, du weißt schon – seine Knochen zertrümmern, bis sich seine Arme und Beine anfühlen wie leere Säcke. Vielleicht benutze ich aber auch das Queue! Das hab ich dir ja noch gar nicht gezeigt!« Er ging zur Heckklappe, tastete auf der Ladefläche nach dem Billardstock und hielt ihn Dale dann strahlend vor.

»Wie sieht der Typ aus? Ich kann dir helfen, ihn zu jagen. Das wäre doch ein Riesenspaß.« Dale lächelte. Er wollte, dass Tug ihn weiter in seine Pläne einweihte, und die Aufmerksamkeit von dem Queue ablenken.

Ach, scheiße, dachte Cooper, der nun damit rechnete, um sein Leben rennen zu müssen.

Falls Tug ihn beschrieb und dem anderen Mann bewusst wurde, wen er fortgeschickt hatte, stürzten sie sich möglicherweise zu zweit auf ihn.

»Er ist ein Arschloch«, war aber alles, was Tug auf die Schnelle hervorbrachte, ohne seinen Blick von dem Queue abzuwenden. »Mann, wir müssen noch eins davon besorgen.« Er machte sich auf den Weg die Straße hinunter.

Cooper verharrte auf dem Gehsteig gleich hinter der Hecke am Ende der Auffahrt zu dem Spirituosenhandel und beobachtete die nahende Rotte Zombies. Einige Frühankömmlinge hatte er bereits mit seinem Schlagstock erledigen müssen, wozu er ihnen entgegengegangen war, um ihre Schädel in einiger Entfernung einzuschlagen, damit die beiden Männer es nicht hörten. So gewann er mehr Zeit zum Zuhören, doch die Toten rückten jetzt näher heran und würden ihn bald zwingen, sich zurückzuziehen.

Dale wusste nicht, ob der junge Kerl, den er gesehen hatte, verschwunden war oder nicht. »Hey, Mann, warte. Gib mir das Queue.«

Tug blieb stehen und drehte sich zu ihm um. »Versuchst du, meine Waffe zu klauen?« Er ballte die Hände zu Fäusten, ohne sie hochzuheben.

Cooper konnte Tug von hinten sehen, der nun dicht am Straßenrand stand, und wich etwas weiter zurück, um sich zu verbergen. Die Toten waren zu nahe, um noch viel länger zu warten. Mist, schimpfte er innerlich. Direkter Konfrontationskurs, etwas anderes war nun nicht mehr möglich. Er trat mit beiden Pistolen schussbereit hinter der Hecke vor. Tug stand nur ein Stück weit vor ihm.

Als Dale ihn sah, riss er die Augen auf. Er hob die Arme, als wollte er sich ergeben. Tug bekam nichts davon mit.

»Los, sag schon.« Tug war wütend.

Dale wiederum wurde lockerer.

»Ich wusste es, du bist genau wie alle anderen. Du kriegst das Queue nicht.«

Dale antwortete ruhig, während er die Hände oben behielt. »Mensch, Tug, du weißt genau, dass ich es dir nicht wegnehmen würde. Es gehört natürlich dir. Ich wollte nur wissen, wie es sich anfühlt, da du so begeistert davon bist.«

»Nein, du kriegst es nicht.«

»Hey, Seite 82, schon vergessen? Komm, fahren wir weiter, ich brauche dein Queue nicht auszuprobieren. Suchen wir ein Billardcafé, und ich schnappe mir dort eines. Wir können den Truck mit diesen verdammten Dingern vollladen.«

Tug beruhigte sich und lächelte wieder. »Das hättest du gleich sagen können. Es gibt genug Queues für alle – wirklich genug! Du brauchst meins also nicht.« Er ging auf den Pickup zu. »Hörst du die Toten kommen? Verschwinden wir.« Nachdem er eingestiegen war, betätigte er die Zündung. »Den Truck mit diesen verdammten Dingern vollladen!«, grölte er aus dem Fenster.

Cooper blieb gefasst stehen und zielte mit seinen Pistolen auf zwei anrückende Zombies. Sie schlurften heran und waren nur wenige Zoll vor ihm, als er den Motor aufheulen hörte. Dann feuerte er. Als die Toten zusammenbrachen, hatte er sich bereits umgedreht. Gebückt lief er hinter den Wagen.

Während der wenigen Sekunden, die Tug benötigt hatte, um den Motor zu starten, etwas warmes Bier zu trinken und den Rückwärtsgang einzulegen, war Cooper an die ausladende Stoßstange des Pickups getreten. Er fand sicheren Halt an der Heckklappe.

Während Tug zurücksetzte, kamen Cooper mehrere Tote sehr nahe. Zuerst ein nackter Mann, dessen Kopf schwarz verkohlt war. Er hatte den Mund aufgesperrt, ohne ihn zu bewegen, und keine Augen mehr, schien Cooper jedoch zu spüren. Dann schlug eine Kugel unter seiner linken Augenhöhle ein, und er fiel.

Der zweite tote Mann war groß, sodass Cooper genau auf seine Genitalien schaute, oder besser gesagt: in ein klaffendes Loch, wo seine Weichteile gehangen hatten. Er erkannte einen Teil des Beckens darin, und als er aufschaute, auch Zahnabdrücke rings um rote Fetzen, wo die Brustwarzen gewesen waren. Ein Schuss zwischen die Augen streckte ihn nieder.

Die nächsten toten beanspruchten Coopers gesamte Aufmerksamkeit. Als der Wagen stehenblieb, kamen vier von ihnen auf ihn zu. Dies war die Vorhut des massiven Schwarms. Nur ein kurzer Moment, dann würden sie wegfahren, hoffte er, doch dazu kam es nicht.

Plötzlich legte Tug den Rückwärtsgang ein. Die Reifen quietschten und Cooper ließ die eine Pistole an ihrem Band los, mit der er gefeuert hatte, weil er sich nun mit beiden Händen an der Klappe festhalten musste. Dabei schob er den Kopf zwischen die Heckwand und seinen Unterarm.

Leiber prallten gegen ihn. Er hatte furchtbare Angst, gebissen oder vom Wagen gezerrt zu werden, doch der rollte so schnell, dass die Zombies vermutlich gar nicht mitbekamen, dass Cooper daran hing. Die Erschütterungen waren dennoch brutal. Während der Truck rückwärts durch die Leichname fuhr, schlugen Schädel, Rippen und andere Knochen gegen Cooper.

Der Gestank war allerdings noch schlimmer als die Stöße, weil die Körper beim Zusammenstoß aufplatzten. Sie sonderten ekelhafte Flüssigkeiten unterschiedlicher Konsistenz ab – aus Nasen, Mündern und sogar Augenhöhlen. Als sie aufbrachen, wurde Cooper mit Eingeweiden und Körpersäften übergossen. Obwohl er die Luft anhielt, war ihm zum Kotzen zumute. Seine Füße drohten von der Stoßstange zu rutschen.

Er kniff die Augen fest zusammen. Tug bremste und ließ den Wagen nach vorne schnellen.

Cooper konnte sich nur mit Mühe festhalten. Er fragte sich, was als nächstes geschehen würde. Eines war zumindest unvermeidbar: Er erbrach sich über Tugs Heckklappe.

***

Als Dale einstieg, schaute er noch nach dem Fremden. Wo er wohl abgeblieben war? Hoffentlich würde er den Toten entrinnen. Die Horde hatte sie erreicht, weshalb seine Chancen schlecht standen. Dale überlegte, ob er versuchen sollte, dem Mann zu helfen, als Tug unvermittelt zurücksetzte. Er fuhr mit aufheulendem Motor und quietschenden Reifen geradewegs in die Zombies.

»Was zur Hölle?«, rief Dale, während er beinahe mit dem Kopf gegen das Armaturenbrett knallte. Zunächst dachte er, Tug wollte ihn außer Gefecht setzen, doch der Kerl grinste und drehte sich nach dem Rückfenster des Führerhauses um. Ein leises Gackern entstieg seiner Kehle.

Dale schaute nun auch nach hinten und fragte sich, was zum Teufel Tug vorhatte. Wollte er sie beide ums Leben bringen?

Dale kam die Galle hoch, doch er kämpfte gegen seinen Würgereiz an, während er mit ansah, wie Menschenköpfe ruckartig vor und zurück peitschten, als Tug sie überrollte. Sie wurden einfach unter den Wagen gerissen. Es glich einer Fahrt durch ein Maisfeld, war aber unendlich widerwärtiger.

Tug schien sich mit seiner Aktion bloß einen Spaß zu erlauben, was Dale ein wenig beruhigte, obwohl er sich Gedanken darüber machte, wozu diese Wahnsinnstat gut sein sollte. Er schaute auf die Ladefläche des Trucks und konnte die Augen nicht vor dem abscheulichen Schauspiel abwenden, das sich ihm bot.

Die Leiber explodierten geradezu. Zähflüssige Säfte färbten das Rückfenster, liefen daran hinunter, doch als der Wagen gegen eine fette Leiche stieß, die beim Aufprall platzte, war Dale drauf und dran, sich zu übergeben. Die Innereien wurden in einem dicken Wust aus dem Körper gequetscht und schienen einen Sekundenbruchteil in der Luft zu schweben, bevor sie gegen die Scheibe klatschten. Dale schloss die Augen und wandte sich ab.

»Woo-hoo! Scheiße, hast du den gerade gesehen?« Tug war schamlos von seiner eigenen Leistung beeindruckt … und trat plötzlich, so unverhofft wie wenige Momente zuvor, auf die Bremse, um den Schalthebel nach oben zu drücken und vorwärtszurasen.

Dale beobachtete, wie ein Meer verwesender Leiber auf die Straße hinter dem Fahrzeug flutete und die Bresche, die es geschlagen hatte, wie Wasser füllte.

»Ich liebe das«, bemerkte Tug breit grinsend.

Dale lächelte matt und fragte sich: Was kommt wohl als Nächstes?