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Cooper eilte durch den Wald. Die Toten lauerten überall im Gehölz, doch der Weg voraus schien frei zu sein. Sie waren immer noch weit entfernt und bemerkten ihn bislang nicht.

Er wollte nicht riskieren, umzingelt zu werden, und setzte deshalb zu einem lockeren Lauf an. Er war gerade 20 Schritte weit gekommen, als ein alter Mann hinter einem Baum hervortrat. Reflexartig hob Cooper einen Arm, winkelte ihn an und stieß dem Fremden den Ellbogen kräftig gegen eine Seite seines Kopfes. Die Reaktion erfolgte so rasch, dass er sich gar nicht gefragt hatte, ob er Gewalt gegen einen lebenden oder toten Menschen anwendete. Doch der Alte war wirklich ein Zombie. Knurrend versuchte er, wieder aufzustehen. Cooper lief weiter, in der Hoffnung, ihn abzuhängen.

Nach kurzer Zeit erreichte er den Waldrand und fand sich auf einer einspurigen Straße wieder, einem schmalen Streifen Asphalt, der sich durch die Hügel schlängelte. Vor ihm ragte eine Wand erodierter Erde auf, wo man den Hügel abgetragen hatte. Diese Richtung blieb ihm also verwehrt. Er schaute sich nach links und rechts um. Die Straße sah nach beiden Seiten frei aus.

Er wandte sich nach rechts und legte nur wenige Yards zurück, als er jemanden aus dem Dickicht auf die Fahrbahn treten sah, dicht gefolgt von einer weiteren Person. Als er sich umdrehte, erkannte er, dass die Leichen den Wald in größerer Zahl verließen und auf die Straße strömten. Jetzt galt es, die Beine in die Hand zu nehmen.

Während er lief, hörte er Äste peitschen und gelegentlich einen dumpfen Knall, wenn eines der Biester das Gleichgewicht verlor und fiel. Ihre Zahl war ungeheuerlich, und die meisten blieben vorerst noch Schattenrisse im tieferen Unterholz. Ohne abzubremsen, stieß er einer Untoten beide Hände ins Kreuz, die vor ihm auf die Straße stolperte. Durch den Schwung flog die nackte Frau in den Graben am Straßenrand. Sie fauchte.

Cooper wollte sie nicht ansehen. Sie schien annähernd so alt zu sein wie er, also bestand eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass er sie kannte. Wenige Schritte weiter hatte er die nächste Leiche vor sich, ein Mädchen im Teenageralter. Es drehte sich um und hob die Arme. Ihr Ächzen löste eine erschreckende Kettenreaktion aus, der Wald bebte geradezu vom Stöhnen der Untoten.

Die junge Frau war groß, ihre Arme sahen aus, als seien sie zu lang für den Körper. Cooper hielt es für möglich, dass ihm seine Sinne einen Streich spielten. Sie stürmte auf ihn zu. Ihre beiden Brüste waren bis auf die Rippen abgebissen, und ihr Mund klaffte auf wie ein ausgefranstes Loch. Mit den Zähnen schnappte sie geräuschvoll. Er rannte ihr entgegen und drehte im letzten Moment scharf zur Seite ab, um ihr auszuweichen. Ihrer Kehle entstieg ein Zischen. Er duckte sich an ihr vorbei, doch dahinter traten weitere Untote zwischen den Bäumen hervor.

Cooper drehte sich um. Die Leichen füllten die Straße bereits aus. Er musste weiter vorankommen, eine andere Wahl blieb ihm nicht. Die Erdwand erstreckte sich links von ihm, der Wald voller Toter zu seiner Rechten, und nur vor ihm war noch eine schmale Lücke, die sich aber bald schließen würde. Er wurde panisch. Weil sein Puls raste, spürte er ein schmerzhaftes Pochen an den wunden Stellen seiner Hand und am Hals.

Die Pistole fiel ihm ein, die er aus dem letzten Haus mitgenommen hatte, die .22er. Er zückte sie und rannte auf den nächsten Zombie zu. Diesen stieß er nieder, einen weiteren alten Mann mit großen schwarzen Flecken – Blutergüssen – und ebenso schwarzen Füßen und Händen. Seine Augen schienen ausgestochen worden zu sein. Er hatte keinen Unterkiefer mehr und war so dünn und gebrechlich, dass ein Stoß genügte, um ihn zu Fall zu bringen.

Doch als Nächstes trat Cooper einem dicken Kerl entgegen. Dieser Mann war schmutzig. Er sah aus, als klebte getrocknetes Blut an seinem ganzen Körper, und am grausigsten war das riesige Loch in seinem Unterbauch. Es wurde von Metallklammern aufgehalten, die Eingeweide hingen heraus. Mehrere dünne Schläuche, die mit Pflaster an seinem Arm befestigt waren, schlackerten hinter ihm her. Sein Penis war seitlich fixiert worden, und im Schaft steckte ein Katheterschlauch. Er drehte sich um und zischte, doch Cooper schoss ihm in den Kopf. Zwei weitere Untote fällte er rasch auf die gleiche Weise. Dennoch wurde sein Fluchtweg zusehends enger.

Er drohte den Kopf zu verlieren, wusste aber, dass er ruhig bleiben musste, wenn er überleben wollte. Um wieder Luft zu bekommen, lief er langsamer weiter. Dazu blieben ihm nur wenige kostbare Momente. Er hatte wohl nur noch eine Wahl, nämlich auf gut Glück in den Wald zu stürzen und zu versuchen, den Untoten dort auszuweichen.

Er rannte zwischen die Bäume und kam zügig voran, bis er frontal mit einer Untoten zusammenstieß und auf die nackte alte Frau fiel, wobei er ihre kalte, graue Haut mit den Händen berührte. Sein Knie drückte auf ihren geschwollenen Bauch als sie niedergingen, und beim Aufprall am Boden hörte er es laut schmatzen. Die Gedärme platzten aus ihrem durchbrochenen Unterleib. Während er sich bemühte, ihren schnappenden Händen und Zähnen auszuweichen, hörte er es dumpf knacken, da ihre Knochen unter seinem Gewicht nachgaben. Das hielt sie jedoch nicht auf. Sie kam mit Mühe wieder hoch, kippte aber erneut vornüber, weil sie sich mit den Beinen in ihren eigenen Eingeweiden verhedderte. Cooper war aufgesprungen und lief bereits weiter, bevor sie sich befreien und ihm folgen konnte.

Drei weitere Untote kamen auf ihn zu. Der Sturz hatte wertvolle Zeit gekostet. Am Nächsten war ihm ein stämmiger Mann, der vermutlich einmal Krankenwärter oder -pfleger gewesen war. Cooper trat ihm zwischen die Beine, sodass er rücklinks in die anderen stürzte.

Als er eine Hand an seinem Arm spürte, wirbelte er herum und stand Auge in Auge mit einem weiteren Krankenwärter. Diesen hatte Cooper gar nicht bemerkt. Lange Fingernägel bohrten sich durch den Ärmel in seine Haut. Er schoss dem Kerl in den Kopf.

Nach mehreren langen Schritten sprang Cooper über einen verrottenden Baumstamm und lief weiter. Der liegende Stamm schien ein Hindernis darzustellen, das seine Verfolger vorerst aufhielt.

Er wollte nicht dorthin zurückkehren, wo er hergekommen war, und schlug sich deshalb nach Osten, falls ihn sein Orientierungssinn nicht täuschte. Einen Moment blieb er stehen, um zu Atem zu kommen. Er war schweißgebadet und hatte Schmerzen.

Heiliges Kanonenrohr, ich bin fast draufgegangen. Er sah etwas an seinem Shirt, einen Fingernagel, und schnippte ihn angewidert weg.

Auf seinem weiteren Weg war er vorsichtiger, ehe er endlich einen grünen Hang erreichte, der hinunter zum Highway 68 führte. Die Sonne ging unter und verwandelte die Wolken am Himmel in bunte Schlieren. Cooper blieb kurz auf der Anhöhe stehen und blickte auf die Straße unterhalb. Es handelte sich um die Hauptstraße von und nach Monterey, die jedoch nur zwei Spuren besaß. Der städtische Flughafen befand sich auf der gegenüberliegenden Seite. Cooper bemerkte keine Bewegungen oder andere Auffälligkeiten. Er entfernte sich von den Ballungsgebieten und hoffte deshalb, seinen Weg vorübergehend ruhiger fortsetzen zu können.

Er folgte dem Highway ungefähr eine Stunde. Das Landschaftsbild wandelte sich von dichter Vegetation, die fast unmöglich zu durchdringen war, zu weit offenen Feldern und Golfplätzen. Dabei überquerte er Privatstraßen sowie schmalere öffentliche Verkehrswege und begegnete keinem Menschen, weder lebendig noch tot.

Er wagte es nicht, sich hinzusetzen, wenn er rastete. Da er erschöpft war, wusste er, dass er einschlafen würde, falls er sich niederließ. So trieb er sich weiter an und hoffte, einen sicheren Unterschlupf für die Nacht zu finden.

Einerseits schätzte er sich glücklich, noch am Leben zu sein, doch andererseits fragte er sich wozu: Um allein durch ein von Toten bevölkertes Ödland zu ziehen? Er beschloss, sich auf sein Ziel zu konzentrieren und keine weiteren Gedanken an seine Situation zu vergeuden. Während er parallel zum Highway ging, näherte er sich dem nächsten größeren Ort. Salinas. Um die Stadt zu meiden, musste er sich von der Schnellstraße abwenden und über eher unwegsames Terrain die Distanz zur 101 zurücklegen. Der Highway, so befürchtete er, würde ein Albtraum liegengebliebener Fahrzeuge und Zombies sein, je näher er Salinas kam.

Nach einem anstrengenden Marsch über mit Sträuchern überwucherte Hügel, gelangte er in ein breites Tal. Die Hänge führten an den Rand einer Straße, auf deren anderer Seite Äcker lagen – Agrarland, das sich über viele Meilen hinweg fortsetzte. Das Gelände war flach und offen. Cooper plante, weiterhin querfeldein zu gehen, um den Hauptverkehrsadern und größeren Siedlungen fernzubleiben. Er war froh, die raue Landschaft der Halbinsel von Monterey hinter sich gelassen zu haben, doch diese weitläufige Ebene bot keine Möglichkeit, sich zu verstecken. Das Tal bestand aus schier unendlichen Landwirtschaftsflächen, die Hunderte von Meilen weit bis in die Mitte des Staates Kalifornien reichten.

Cooper erblickte die Stadt Salinas in der Ferne und den dorthin führenden Highway, der verblüffend leer war. Während er weiterging, stieg er den Hügel hinunter und überquerte die Fahrbahn. Nur wenige Fuß dahinter betrat er die ersten Äcker.

Er hielt sich eine gute halbe Stunde in dieser Richtung, wobei er tiefe Furchen und Gräben überwinden musste. Niemand schien ihm zu folgen. Nach einer Weile näherte er sich einem kleinen Betongebäude mit Flachdach, das von einem hohen Maschendrahtzaun umgeben war. Es schien das Pumpenhaus eines Bewässerungssystems zu sein. Das Zauntor war abgeschlossen, also kletterte Cooper hinüber und dann auf das Dach des niedrigen Gebäudes, wozu er sich an breiten Rohren hochzog, die von innen herausführten. Zu dem Zeitpunkt, da er auf dem Häuschen einschlief, war die Sonne bereits untergegangen.

Am Morgen weckte sie ihn wieder. Er blieb einen Moment reglos liegen und atmete tief die frische Morgenluft ein, ehe er sich hinsetzte. Die Umgebung war still und wunderbar – kein Anhaltspunkt für die Ereignisse, die er während der vergangenen Tage erleben musste. Cooper wünschte sich, für den Rest seines Lebens auf dem Dach dieses kleinen Betonbaus zu bleiben. Schließlich aber rutschte er an den Rohren herunter. Er war hungrig und etwas verkrampft, nachdem er auf dem harten Untergrund geschlafen hatte, fühlte sich aber dennoch ausgeruht. Seine Beine und Füße taten weh, doch seufzend machte er sich wieder auf den Weg.

Nach ein paar Stunden erreichte er eine überschaubare Ansammlung von Gebäuden – eine Insel inmitten der riesigen Ackerflächen. Zu seinem Hunger gesellte sich nun auch Durst, und obwohl es noch früh am Tag war, beschloss er, die Gegend auszuspähen, ob sie sich als Schlafplatz für die kommende Nacht eignete. Der vorangegangene Tag hatte einem Gewaltakt geglichen, und er brauchte Ruhe, denn die Nacht auf dem Betondach war nicht genug gewesen.

Schon aus der Ferne erkannte er, dass es sich um ein Betriebsgelände handelte. In sicherer Distanz umrundete er das Gelände, doch nichts regte sich.

Dann näherte er sich vorsichtig. An einer Kreuzung zweier jeweils gerader, geteerter Wege standen vier Gebäude, eine verrammelte Tankstelle, ein leeres, teilweise eingestürztes Haus, eine große Lagerhalle und ein Haus mit breiten Fenstern, geschmückt mit Transparenten und Fahnen. Auf einem Schild stand: Landwirtschaftsgeräte – Verkauf und Reparatur. Davor parkten mehrere große Agrarfahrzeuge. Cooper verschaffte er sich einen schnellen Überblick über die ersten drei Gebäude, indem er durch Fenster schaute und an Türen rüttelte. Bei dem letzten Gebäude wurde er etwas vorsichtiger.

Erst als er genau davor stand, bemerkte er ein kleineres Schild, das zu einem Waffenladen auf der Rückseite führte. Als er sicher war, dass sich keine Menschenseele hier aufhielt, schickte er sich an, ein Fenster oder eine Tür aufzubrechen. Als er sich am Eingang des Waffenladens zu schaffen machte, ließ sich dieser ohne weiteres öffnen.

Sofort nachdem er eintrat, erkannte er, dass das Geschäft geplündert worden war. Glasscherben knirschten unter seinen Schuhen, während er zwischen den Auslagen hindurchging. Das gesamte Inventar war verschwunden oder lag zerstört auf dem Boden. Cooper durchschritt die Ladenfläche einmal, bevor er sich umdrehte und wieder nach draußen wollte.

Da fielen ihm ein paar Gegenstände am Boden auf, und er bückte sich danach. Dort lag ein kleines Multifunktionswerkzeug, das noch verpackt war. Er nahm es und hätte dabei fast ein Zielfernrohr übersehen, das er ebenfalls aufgriff und genauer betrachtete. Es war leicht, und als er hindurchschaute, staunte er nicht schlecht, weil es sehr stark vergrößerte. Er steckte es ebenfalls ein. Dann entdeckte er noch ein kleines, schwarzes Metallrohr, das nicht breiter als seine flache Hand war. An einem Ende baumelte eine kurze Schlaufe aus Nylon, das andere verjüngte sich zu einer kleinen Kugel, gleichfalls aus Metall. Cooper hielt es für eine Taschenlampe, bis er es hochhob. Es war ein ausziehbarer Schlagstock, perfekt geeignet zur Selbstverteidigung.

Als er gehen wollte, fiel ihm ein, dass es in Waffenläden immer Geheimräume gab. Oder war das nur in Filmen so? Er wusste es nicht genau, wollte aber sichergehen, nichts übersehen zu haben, deshalb nestelte er an den Regalen hinter der Verkaufstheke, in denen sich Bücher befanden. Dabei ging er in die Hocke, um nach etwaigen Klinken oder Knäufen zu suchen, und entdeckte sie – Scharniere, nahezu unauffällig und mattschwarz lackiert. Sie gehörten zu einer Tür direkt hinter einem der Schränke. Dieser rollte, als er daran zog, auf ihn zu. Die Tür an sich und die Wand waren schwarz wie die Scharniere gestrichen. Er drehte am Knauf und öffnete sie. Dann erstarrte er.

Nicht weit hinter der Tür stand, als habe er gewartet, ein Mann mit einer Pistole, die er auf Coopers Gesicht richtete. Er sah verärgert aus.