30

Als die Sonne aufging, bat Mary Ron und Sal, Bills Leichnam zu beseitigen. Wie, das war ihr gleich. Sie wollten ihn respektvoll behandeln und nicht einfach auf die Straße werfen, machten sich aber auch keine größeren Gedanken um eine Bestattung. Ron fühlte sich von Bill verraten, und Sal hatte ihn nicht gemocht. Am Ende lief es darauf hinaus, dass sie ihn mit dem Van in ein mehrere Meilen entferntes Industriegebiet fuhren, wo keine Toten lauerten. Dort fanden sie einen Haufen Holzpaletten und legten Bill darauf nieder. Dann zündeten sie das Holz an und ließen ihn verbrennen. Länger als eine Stunde schauten sie dabei zu, wie sich die Flammen ausbreiteten und schließlich langsam erloschen. Sie blieben vor Ort, um darauf zu achten, dass das Feuer nicht außer Kontrolle geriet, kehrten dann zum Parkhaus zurück und machten sich an die Arbeit.

An einem einzigen Tag gelang es Ron und Sal, Mauern rings um die Löcher hochzuziehen, durch welche die Rampen geführt hatten. Sie mit Böden abzudichten, wäre viel schwieriger und materialaufwändiger gewesen. Stattdessen strichen sie Pressspan mattschwarz und vernagelten es mit vorgefertigten Rahmen, die sie am Rand der Öffnungen aufstellten. Mit den Treppenhäusern und – weil Jeff darauf bestand – den Fahrstuhlschächten verfuhren sie genauso. Alle klotzten hart ran, doch dafür besaßen sie am Ende eine deutlich sicherere Burg. Jeff hatte sich den ganzen Tag lang nicht blickenlassen, doch sie waren mittlerweile soweit, ihm vertrauen zu können, und gespannt, was er ihnen enthüllen würde.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit tauchte er wieder auf. Die anderen aßen und tranken gemeinsam. Mary und Donna verschwanden hinter einem breiten Pfeiler, um sich frischzumachen. Erstere zog ihren Rollkragenpullover nur ungern aus.

»Na ja, am besten bringe ich es hinter mich«, bemerkte sie. »Dieses Ding zu tragen, ist eine Plage, und es gibt keinen Grund mehr, etwas zu verbergen.« Als sie ihn abstreifte, erschrak Donna.

Ron hörte sie aufschluchzen und rief: »Don, alles in Ordnung mit dir?«

Sal grinste. »Du nennst deine Frau Don?«

»Ach, sei still.«

Donna hielt sich eine Hand vor den Mund. Sie weinte. Marys Körper war mit Wundmalen übersät. An ihren Unterarmen erkannte man Handabdrücke, Blutergüsse zeichneten sich an Bauch und Rippen ab. Ihr Hals sah verheerend aus, voller Quetschungen und roter Striemen, anscheinend zugefügt mit einem Gürtel. Sie streckte ihre Arme aus und drehte sich um.

»Wenigstens keine Narben, richtig? Also jedenfalls nicht körperlich. Diese Wunden und blauen Flecken werden bald verschwunden sein, dann deutet nichts mehr in meinem Leben auf diesen Scheißkerl hin.«

»Das tut mir unheimlich leid.« Donna hielt ihr ein sauberes Shirt hin.

»Nein«, erwiderte Mary. »Ich will, dass die Männer das auch erfahren. Sie sollen wissen, warum mir egal war, was mit seiner Leiche passierte, und weshalb ich ihn umgebracht habe.« Sie zog nun auch ihre Hose aus, und ihre Beine waren genauso verschrammt. Dann trat sie in Unterwäsche hinter der dicken Säule hervor.

»Verzeiht mir, wenn euch das unangenehm ist, aber ich wollte, dass ihr das alle seht.« Sie breitete wieder die Arme aus und drehte sich um die eigene Achse. »Ich möchte es nicht verstecken müssen. Bald wird man nichts mehr davon bemerken, aber ihr sollt verstehen, warum ich Bill getötet habe. Niemand soll mich für einen schlechten Menschen halten.«

Die Männer schwiegen. Schließlich nickten sie. Mary kehrte hinter die Säule zurück.

»So, das wäre erledigt. Den verfluchten Rolli hätte ich keine Minute länger tragen wollen. Gib mir dieses Schlauch-Top.« Mary drehte sich um, knöpfte ihren Büstenhalter auf und legte das Oberteil an. Es war zu klein, fleckig und geschmacklos lindgrün.

»Finde ich super!« Sie strahlte, während sie das Top für Donna zurechtrückte. »Ich werde bald was anderes anziehen müssen, aber das ist echt gut.«

Ron schaute unter sich und flüsterte. »Ich fühle mich wie der letzte Dreck. Wäre mir das bewusst gewesen, hätte ich ihn selbst getötet.«

»Wie es aussieht, hat niemand davon gewusst.«

Jeff kam hinter einer Wand hervor, die er mit PVC-Rohren und einer schwarzen Plastikplane gebaut hatte.

Donna sah ihn zuerst, als sie mit Mary hinter dem Pfeiler vortrat. »Jeff?«

Alle blickten auf. Er näherte sich ihnen in Badelatschen und Morgenmantel, ein Handtuch um den Kopf gewickelt. Sein Gesicht zierte ein ausgelassenes Grinsen.

Sal unterbrach seine Suche nach sauberen Klamotten und richtete sich auf. »Hast du einen Wasserhahn gefunden?« Mary ging an ihm vorbei. Heiße Blondine? Welche heiße Blondine? Der Höhlenmensch in ihm wurde wahnsinnig, indem er versuchte, ihm begreiflich zu machen, wie lebenswichtig es sei, dass Sal das hübsche Ding anglotzte.

Als Donna an Ron vorbeiging, flüsterte sie ihm beiläufig zu: »Mister, sieh gefälligst zu, dass du deine verdammten Augen nicht von mir abwendest.«

Ron antwortete ein wenig zu überschwänglich: »Hey, Herzchen, ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«

Ohne zurückzuschauen hob Donna ihren rechten Arm und streckte den Mittelfinger aus. Dann drehte sie sich doch um und lächelte; so lief das Spiel bei ihnen. Er erwiderte das Lächeln. Der Urmensch in Ron war sehr zufrieden mit der heißen Braut, die er bereits in seiner Höhle hatte, fürchtete sich aber auch ein bisschen vor ihr. Die Höhle konnte zur Hölle werden, falls der Herrin etwas nicht passte.

»Einen Wasserhahn? Ach was, viel besser!« Jeff schmunzelte, ließ aber nicht mehr durchblicken.

»Oh, ich kann es kaum erwarten, mehr darüber zu erfahren.« Ron machte sich auf den Weg zu ihm. »Komm schon, erzähl uns, was du diesmal gemacht hast.«

»Na gut, folgt mir.« Jeff führte sie hinter die schwarze Trennwand, bei der es sich in Wirklichkeit um eine Kabine handelte. Die Einzelteile wurden fest mit Klebeband zusammengehalten. Mehrere Kunststoffrohre führten von der Decke des Gebäudes in jene der Zelle.

»Wer möchte heiß duschen?«

»Sagtest du gerade tatsächlich heiß duschen?« Donna drängte sich an ihm vorbei in die Kabine, aber Jeff hielt sie zurück.

»Warte. Tut mir leid, zuerst muss ich es euch erklären. Das Wasser wird brühend heiß, also aufpassen.«

»Wie ist das möglich?« Ron betrachtete die Nasszelle neugierig.

»Na, eigentlich ist es ganz einfach.« Jeff verwies auf Tanks voller Propan und einen Wasserboiler.

»Falls ich mich nicht verrechnet habe, wird diese Anlage eine große Menge Wasser erhitzen können. Der Tank fasst 75 Gallonen, und ich habe sogar eine Abdeckung dafür, nicht zu vergessen den Kram zum Wasserfiltern, also können wir es auch trinken. Das wird so lange funktionieren, bis die Wasserwerke vom Netz gehen. Keine Ahnung, wie lange das dauert.«

Es gab einen richtigen Brausekopf, und Jeff hatte selbst an ein Regal gedacht, um Handtücher, Seife und Haarwaschmittel unterzubringen. Donna quietschte vergnügt und nahm ihn beherzt in den Arm. Mary duschte zuerst. Sie fügte sich, nachdem Donna klargestellt hatte, dieses Angebot gelte nur fünf Sekunden lang. Angesichts der erhöhten Sicherheit und nach einer heißen Dusche schliefen sie in dieser Nacht deutlich ruhiger.

Ron indes konnte nicht aufhören, an die Motorradfahrer zu denken. Soviel er wusste, waren sie Hunderte von Meilen entfernt, mochten ihn aber andererseits ebenso gut in diesem Moment beobachten. Immer noch fehlte ihm eine Lösung für dieses Problem.

Er hatte gute Gründe, nervös zu sein. Banjo beobachtete ihn zwar nicht, war aber andererseits auch keine Hunderte von Meilen weit entfernt, sondern vielmehr in der Nähe, und grübelte über Ron nach. In diesen Tagen gab es sonst nicht viel auf der Welt, womit sich ein eingefleischter Rassist und Biker die Zeit vertreiben konnte, also genoss der namenlose Schuhputzer, der ihre Maschinen lahmgelegt hatte, oberste Priorität. Er hatte den Van gesehen, als dieser beinahe in das Loch gestürzt war, voller Materialien aus dem Heimwerkermarkt. Später, als er mit seinen neuen Brüdern in dem Pickup vorbeifuhr, sah er den Wagen nicht mehr. Er fuhr langsamer und erkannte, dass er nun auf der oberen Ebene des Parkhauses stand, und hätte schwören können, auch die Umrisse von Menschen dort zu sehen. Sobald Titty City offiziell gegründet und in Betrieb war, würde Banjo mit seinen Gefährten zurückkehren.