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Cooper hielt ein paar Sekunden lang inne, um zu beobachten, wie sich die dichtgedrängte Menge nackter Leiber durch die zerbrochenen Scheiben drängte. Dicke, scharfe Dreiecke aus Glas schlitzten ihr Fleisch bis auf die Knochen auf, unnachgiebige Metallrahmen durchschnitten Haut und Muskeln. Es war entsetzlich, aber er konnte sich nicht abwenden. Ein Mann verlor seinen Penis, da er ihn fest gegen Scherben drückte, während die Menge von hinten schob, und ein weiterer langer Zacken weidete gleich mehrere Leiber hintereinander aus. Jede Person, die ins Haus trat, zog Gedärme hinter sich her. An einigen Körpern fehlten große Teile der Haut, sodass man blutiges Muskelgewebe sah. Dennoch zuckte niemand auch nur mit der Wimper.

Ein paar der Ersten, die es in die Wohnung geschafft hatten, näherten sich ihm. Cooper musste sich zwingen, in die Gänge zu kommen. Zwar wollte er das Haus nicht verlassen, doch ihm war klar, dass es schlicht keine Alternative gab. So stellte sich nun die Frage, wie er das anstellen konnte: Wie sollte er fliehen?

Er lief über den Flur und geduckt in sein Schlafzimmer, wo er die Tür hinter sich zuschlug. Er wusste, sie würden sich nicht lange aufhalten lassen, doch jetzt war jede Sekunde wertvoll. Da der Raum keine Fenster besaß, hoffte er, die Außenmauer durchbrechen zu können, um ins Freie zu gelangen. Er trat gegen Gipskartonplatten, die dabei in Stücke gingen. Das war der leichte Teil. Als er es bis zur äußeren Wand geschafft hatte, musste er dickes Sperrholz überwinden, nicht zu vergessen zwei Schichten stuckiertes Drahtgeflecht. Cooper sah ein, wie zwecklos dieses Unterfangen war, und gab es auf.

Die Tür wölbte sich langsam nach innen, und er hörte, wie das Holz zusehends unter dem Gewicht der Masse auf dem Flur knirschte. Bald würden sie hereinbrechen. Ihm war nach Panik zumute, doch er zwang sich zur Ruhe. Während er sich im Zimmer umschaute, überlegte er, was er noch unternehmen konnte. Die Decke war zu hoch, um hinaufzugelangen, und obendrein genauso schwierig aufzubrechen wie die Gipsmauer. Cooper wusste keinen Rat mehr.

Schließlich flog die Tür auf und knallte gegen die Wand. Cooper nahm sich vor, den letzten verfügbaren Rückzugspunkt aufzusuchen: seinen Wandschrank. Er trat mit einem langen Schritt hinein, drehte sich um und zog die Tür zu. Was er erblickte, erinnerte ihn an ein Video, das er gesehen hatte. Dort war eine Menge bemüht gewesen, aus einem brennenden Gebäude zu flüchten. Die Menschen hatten sich geradezu in der Tür gestapelt und verkeilt. Alle waren außerstande gewesen, sich zu bewegen, nicht einmal mithilfe von Feuerwehrmännern, so fest eingezwängt hatten sie dagestanden. Sie waren einer ausgewachsenen Panik verfallen – diejenigen, die noch gelebt hatten. So etwas zu sehen, war fürchterlich gewesen, selbst auf einem kleinen Bildschirm. Ebendies geschah nun in seinem Zimmer, doch sie alle lächelten, sogar die, deren Rippen so laut knackten, dass er es über ihr Grölen hinweg hörte.

Nachdem Cooper die Tür zugemacht hatte, setzte er sich in seinem dunklen Schrank auf den Boden und hielt sie geschlossen. Er wagte es nicht, sich zu bewegen, und zwar mehrere Stunden lang, bis er die abgestandene Luft nicht mehr ertragen konnte. Sein Körper war verkrampft und tat weh, aber im Haus blieb es nun still. Mit der Zeit hatte das Grunzen, Stöhnen und dumpfe Pochen der Menschen nachgelassen, während sie gestorben waren. Übrig blieben seines Wissens nach nur einige wenige, die es in den Raum geschafft hatten, doch die verhielten sich ziemlich ruhig. Niemand war versucht, den Schrank zu öffnen, seit er sich darin eingeschlossen hatte. Das erleichterte ihn, obwohl er immer noch im Haus gefangen war.

Er ließ den Knauf los, um sich auf eine Seite zu legen und unter der Tür durchzuschauen. Alles, was er sehen konnte, waren ein paar Füße, die sich hin und her bewegten. Es schien so, als hielten sich drei Personen im Raum auf, alle an der gegenüberliegenden Wand.

Cooper versuchte, sich zu vergegenwärtigen, was in seinem Schrank steckte. Klamotten, Sportsachen – viel mehr fiel ihm nicht ein, und er wollte nicht stöbern, denn das hätte Geräusche verursacht. Als er den Boden ringsum abtastete, bekam er grobes Leinen zu fassen. Das war sein Rucksack, der sich zwar leer anfühlte, aber er schob seine Hand trotzdem in mehrere Fächer. Darin stieß er auf einen Gegenstand, den er sofort identifizieren konnte: sein Taschenmesser.

Ihm kam der Gedanke, sich von hier aus durch den Gips nach nebenan zu arbeiten, doch auch das wäre zu laut geworden. Die Personen im Zimmer hätten die ungeschützte Tür geöffnet, lange bevor er durch die Wand gestoßen wäre. Jetzt aber hatte er die Chance dazu.

Cooper nahm behutsam eine Position ein, aus der er sich gegen das Messer stemmen konnte. Er wollte es mehrmals in den Gips stechen, bis er sich durchschneiden konnte. Es dauerte lange, doch dann schaffte er es endlich, ein Loch zu schneiden, das er für breit genug hielt, um sich hineinzwängen zu können. Dahinter tat sich noch eine Wand auf, die er ebenfalls mit dem Messer bearbeiten musste. Gerade als er das Messer ansetzte, ging die Tür mit einem Klick auf. Er streckte sich nach hinten aus, um sie zuzuziehen. Wer auch immer versuchte, sie zu öffnen, ließ nicht locker, legte sich aber auch nicht großartig ins Zeug. Als Cooper mit seiner freien Hand nach oben langte, fand er einen Gürtel. Diesen wickelte er um den Knauf, sodass er die Tür einhändig geschlossen halten konnte, während er anfing, gegen die Wand im hinteren Teil des Schranks zu treten. Lärm war jetzt kein Problem mehr, und er durchstieß die Wand mühelos. Blieb nur zu hoffen, dass sich niemand im Nebenraum aufhielt.

Er ließ den Gürtel los und machte einen Satz durch die Öffnung. Zwar war er sich nicht sicher, ob die Schranktür aufgehen würde, aber das spielte auch keine Rolle: Er hatte die Wand überwunden und steckte jetzt im Schrank des Gästezimmers. Zum Glück war es leer. Die Tür erzitterte zwar ebenfalls im Rahmen, weil sich die Menschen auf dem Flur dagegen warfen, es sah aber so aus, als würde sie halten.

In diesem Zimmer gab es ein Fenster, das er sofort öffnete, um hinauszuschauen. Auf der Straße war es ruhig. Anscheinend war die Party im Laufe der letzten Stunden weitergezogen. Cooper kletterte hinaus und ging fort, ohne Pläne oder Proviant.

Jetzt wandelte er inmitten der Nachwehen des Wahnsinns. Nach jener Orgie von Tausenden war auf dem Boden, so weit das Auge reichte, ein dicker, abstoßender Wust zurückgeblieben: Es handelte sich um eine Collage aus Pfützen geronnenen Blutes, zerrissenen Kleidern und Schuhen, Schmuck und Körperteilen, breiten Lachen von Erbrochenem, Handfeuerwaffen, leeren Flaschen und Dosen, einem Sofa sowie mehreren Leichen. Gallertartiger Brei, entstanden aus den aufgewühlten Abfallprodukten des massiven Exzesses, bedeckte die Straße.

Cooper schritt vorsichtig zwischen Kleiderhaufen, Blutlachen und größeren Glasscherben einher. Die Kotze und die Toten mied er, so gut er konnte. Ihm war, als erkenne er eine alte Lady von weiter unten auf der Straße in einem weißen Fleischberg wieder. Ein Mann, den er aber noch nie gesehen hatte, lag auf seinem Rücken im Rinnstein und starrte mit einem gruseligen Grinsen in die Luft. Eingeweide quollen aus einem Riss in seiner Seite hervor. Vermutlich war er von einem Auto angefahren worden. Alle anderen Leichname waren aus diesem oder jenen Grund nicht identifizierbar. Einige Häuser weiter wurde der Bodenbelag noch grausiger. Weite Teile der Stadt schienen komplett ausgestorben zu sein. Cooper legte eine gute Strecke zurück, bis er sich dem Zentrum näherte. Dort irrten wieder mehr Menschen herum. Er begann, sich nach einem Gebäude umzuschauen, in das er sich zurückziehen konnte, um seinen nächsten Schritt zu planen und sich vielleicht mit Vorräten einzudecken. Im Augenblick wollte er wirklich niemandem über den Weg laufen.

Während der vergangenen Tage war ihm aufgefallen, dass die Infizierten ihresgleichen suchten, zu essen und zu trinken, weshalb sie in die Innenstadt wollten, wo es das alles im Überfluss gab. Cooper wollte sich nicht vorstellen, wie es nun in der Stadtmitte aussah.

Er fand ein leerstehendes Haus. Die Besitzer hatten es verlassen, ohne abzusperren. Von drinnen hatte man eine blendende Aussicht auf die Bucht und weite Teile der City. Überall brannte es, und Rauch stieg in hohen Säulen auf, sodass es über der gesamten Stadt dunstig war. Sie wirkte wie leergefegt, still – tot. Cooper machte die Bewegungen weniger Fahrzeuge aus, die den Ort in Kolonnen verließen. Eine Stunde lang schaute er zu, doch mehr gab es nicht zu sehen.

Nach einiger Zeit, in der er vergeblich versucht hatte, Ruhe zu finden, beschloss er, den Berg hinunterzufahren, um nachzusehen, wie es im Zentrum aussah. Er suchte den Schlüssel zu einem Range Rover, der vor dem Haus parkte, und machte sich auf den Weg durch steile abfallende Straßen, die sich zwischen hohen Bäumen und hübschen Häuschen wanden. In Monterey wuchsen viele unterschiedliche Arten, deren berühmteste wohl die Mammuttannen waren, wie man sie überall entlang der kalifornischen Küste sehen konnte.

Der Stadtkern befand sich am Fuß des Hügels. Soweit Cooper sagen konnte, war er als Einziger mit einem Auto unterwegs. Auch weiterhin liefen hier und dort Menschen umher, teils nackt und teils angezogen, Arm in Arm und freudestrahlend. Nun tanzte niemand mehr oder tobte sich anderweitig aus. Diejenigen, die noch auf den Beinen waren, schienen sich dahinzuschleppen, bis ihre Körper endgültig kollabierten. Je weiter er nach unten fuhr, desto mehr Menschen lagen herum. Viele sahen tot aus, wohingegen einige noch mit letzter Kraft zuckten. Cooper wich mehreren Feuern aus und musste Rauchwände durchdringen. Dabei versuchte er, durch sein Shirt zu atmen, was ihm jedoch nur leidlich gut gelang. Er hustete, und seine Augen tränten, was das Fahren zusätzlich erschwerte.

Während er sich dem Zentrum näherte, kam er an Straßen vorbei, durch die Räumfahrzeuge gezogen waren. An deren Rändern stapelten sich Berge von Leichen, die es teilweise zerrissen hatte. Allerdings grinste jedes Gesicht, in das Cooper schaute, und der eine oder andere bewegte sich noch. Er sah offene Augen, sich drehende Köpfe – schwache Versuche, wieder rege zu werden. Etwas derart Unheimliches hatte er noch nie erlebt.

Er wusste, die Menschen starben, doch diese Körper gaben ihm Rätsel auf. In einer Straße lagen sie zu beiden Seiten mindestens zehn Fuß hoch aufgeschichtet. Zu Tausenden bildeten sie Wände, die sich über mehrere Häuserblocks hinwegzogen. Ein besonders hoher Fleischwall umgab einen ganzen Bereich der Innenstadt. In diesem gewaltigen Berg gab es nur wenige Lücken, und in jeder davon hatte man einen Kontrollpunkt errichtet, den jeweils vier Soldaten bemannten. Cooper konnte nur spekulieren, dass er viele Menschen kannte, die auf diesen Haufen lagen. Nachdem er durch eine der Lücken in dem aufgetürmten Massengrab gefahren war, stieß er auf den ersten Posten.

Über den Notfunk hatte er erfahren, dass alle Exekutivorgane und das gesamte Militäraufgebot des Landes im Einsatz waren. Von Kleinstädten bis zu Metropolen – überall in den Staaten wimmelte es vor Uniformen. Man hatte eine Ausgangssperre verhängt und jegliches Reisen verboten. Zivilisten wurden aufgefordert, in ihren Wohnungen zu bleiben und ihre Radios einzuschalten. Einzig Mitglieder des Katastrophenschutzes, medizinisches Personal, Polizei- und Regierungsbeamte durften sich im Rahmen ihrer Arbeit fortbewegen. Man wurde an zahlreichen Kontrollpunkten angehalten – und ungefragt niedergeschossen, falls man nicht sofort gehorchte und auf der Stelle stehenblieb. Viele Bürger wurden festgenommen, weil sie die Ausgangssperre missachteten, und Plünderer brachte man um.

Selbst strenges Kriegsrecht genügte jedoch nicht. Die Infizierten strömten weiter in rauen Mengen in die Straßen und taten, wozu sie gerade Lust hatten. Einige Straßensperren wurden überrannt, weil nicht wenige Soldaten außerstande waren, strahlende, lachende Menschen hinzurichten; andere wiederum streckten unzählige Grinsegesichter nieder. Es grenzte an Irrsinn, sich ins Freie zu wagen.

Als Cooper nun bei den Soldaten am Kontrollpunkt vorfuhr, als wollte er einen Big Mac bestellen, lag es also nahe, dass sie ihn für völlig übergeschnappt hielten. Die Männer trugen schwere Atemschutzmasken, die den Kopf mitsamt dem Hals schützten und über Schläuche zur Brust sowie dem Rücken verfügten. Man konnte ihre Gesichter aber durch die Kunststoffvisiere erkennen. Sie winkten ihn heran. Zwei hielten ihn mit Gewehren in Schach, die sie auf Höhe seines Kopfes anlegten, einer stand an einem Geschütz auf der Ladefläche eines Humvee, und der Letzte näherte sich dem Wagen.

»Wohin wollen Sie?«, schnauzte er durch die schwere Maske.

»Ich mache nur eine Spritztour«, antwortete Cooper verschmitzt.

»Nur eine Spritztour …« Er sah die Augen des Soldaten, und seine ungläubige Miene machte es unerheblich, dass er den Satz zu Ende führte.

»Sir, die Situation ist brenzlig … Sir, Sie müssen nach Hause zurückkehren. Wir erschießen alle, die freudestrahlend herumlaufen. Bei Ihnen haben wir nur deshalb davon abgesehen, weil Sie nicht grinsen wie ein Honigkuchenpferd.«

»Ah, in Ordnung.« Cooper starrte und überlegte.

»Im Ernst, sehen Sie zu, dass Sie wieder nach Hause kommen. Wären Sie an einen anderen Diensthabenden geraten, hätte der Sie vielleicht abgeknallt. Theoretisch stehe ich in der Pflicht, Sie festzunehmen.«

»Wir dürfen die Stadt also nicht verlassen? Was ist mit –«

»Nein, und Sie müssen jetzt verschwinden, ansonsten sehe ich mich gezwungen, Sie in Gewahrsam zu nehmen. Wenn dies geschieht, landen Sie in einem Lager der Regierung, und glauben Sie mir, zu Hause sind Sie besser aufgehoben als dort.«

»Ich mache mir bloß Gedanken um meine Schwester. Sie wohnt im Norden in –«

»Sie werden es nie schaffen, durch alle Checkpoints zu gelangen. Außerdem werden die Straßen von Autowracks und gewaltigen Massenkarambolagen versperrt. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als nach Hause zu fahren.« Der Soldat war mit seiner Geduld am Ende. »Jetzt hauen Sie ab, oder ich werde Sie aus dem Wagen zerren.«

Cooper bedankte sich und kehrte um, allerdings nicht zurück zu seinem Haus. Jetzt wollte er die Stadt dringlicher den je verlassen, doch das kam ihm in Anbetracht der Hindernisse und Straßensperren umso unwahrscheinlicher vor. In der Stadt war es so still geworden, dass er sich große Hoffnungen machte, bald würden alle Kontrollpunkte aufgelöst und die Straßen von jeglichen Wracks befreit. Jawohl, nicht lange, und er würde nach Norden fahren können, um bei seiner Schwester nach dem Rechten zu sehen. Bis dahin aber wusste er nicht so genau, was er mit sich anfangen sollte.

***

Später am Abend war er in einem anderen Haus, erneut einem Eigenheim mit offener Tür, dessen Bewohner sich anderswohin aufgemacht hatten. Er zündete eine Kerze an, aß etwas aus ihrer Küche und ließ sich dann mit einem Buch nieder, das er gefunden hatte. Er wollte lesen, um sich abzulenken. Nach ein paar Stunden klopfte es leise aber beharrlich an der Haustür. Es war wirklich kaum zu hören und wurde noch schwächer, schwoll wieder an und erstarb abermals. Man mochte glauben, der Klopfende vergaß wiederholt, was er da tat, und musste alle paar Sekunden neu ansetzen. Cooper warf einen Blick hinaus, um zu sehen, wer dort war.

Er erblickte einen Mann in ungefähr seinem Alter, der dastand und lächelte, während er die Tür anglotzte und klopfte. Cooper fielen dicke, silberfarbene Furunkel überall an seinem Körper auf. Der Kerl trug keine Kleider und war am ganzen Leib mit getrocknetem Erbrochenen und Blut besudelt. Nach 20 Minuten, die sich wie zwei Stunden anfühlten, drehte er sich um und verschwand auf der Straße.

Diese Geschwulste brachten Cooper ins Grübeln, überraschten ihn aber nicht. Er hielt es für leichtsinnig, etwas als harmlos abzutun, dass sich so drastisch auf Verstand und Körper auswirkte. Die Menschen waren rasch zur Stelle, wenn es darum ging, etwas als harmlos oder sogar nützlich einzustufen, noch bevor alle Fakten bekannt wurden. Selbst die Gesundheitsbehörde vermochte nicht, dieses Leiden zu klassifizieren, abgesehen davon, dass es sich um ein Virus handelte. Dennoch nahm es die Bevölkerung vorschnell als etwas Gutes hin, nur weil Vergnügung zu den Nebenwirkungen zählte. Angesichts dieser schauderhaften Geschwüre fragte er sich, ob der Notfunkkanal schon etwas Neues zu vermelden hatte.

Er fand ein Radio und schaltete es ein, doch es blieb stumm. Er bemerkte, dass das Gerät über einen eigenen kleinen Trafo betrieben wurde. An der Seite war eine Kurbel angebracht, um eine Kraftfeder zu spannen. Diese trieb den kleinen Trafo im Inneren an und versorgte das Radio eine knappe Stunde mit Strom. Cooper kurbelte und lauschte. Wie sich herausstellte, hatte die Infektion ihre nächste Phase erreicht.

In den letzten 24 Stunden schon gelangten die Kranken an ihre körperlichen Grenzen. Sie hatten sich physisch ausgezehrt, entweder das Bewusstsein verloren oder ihre Bewegungen auf ein Minimum eingeschränkt. Zudem traten neue Symptome auf. Innerhalb weniger Stunden hatten sich dicke Furunkel auf ihrer Haut gebildet, die nun aufplatzten.

Dass sie Schmerzen empfanden, war vor dem Hintergrund ihres Hirnschadens im Zuge des hohen Fiebers unwahrscheinlich, aber ihre Körper reagierten offensichtlich auf die Qualen, welche die berstenden Geschwüre nach sich zogen. Ein paar Stunden lang spürten sie die Schnitte und Risse in ihrem Fleisch, gebrochene Knochen, Brandwunden und andere Verletzungen, die sie davongetragen hatten, aber der Schmerz, den die platzenden Blasen verursachten, war eindeutig am schlimmsten. Anscheinend setzte er ihnen dermaßen zu, dass sie daran zugrunde gingen.

Nun scharten sich Tausende auf den Straßen, die um sich schlugen und vor Qual brüllten. Einige wenige, die noch frühe Stadien der Infektion durchmachten, wankten weiterhin grinsend umher. Sie wohnten der Aufregung bei wie Kinder einem Zeichentrickfilm, doch bald barsten auch ihre Geschwulste.

Nachdem die Furunkel aufgeplatzt waren, brachen die Opfer bald zusammen und fielen in einen komatösen Zustand. Zu diesem Zeitpunkt schwebten sie zweifellos am Rande des Todes, und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie starben. Ihre Geister und Leiber waren derart in Mitleidenschaft gezogen worden, dass man nur noch von leeren Hüllen sprechen konnte. Sie verfügten kaum mehr über die nötigen Hirnfunktionen, um nur die Mindestanforderungen dessen zu erfüllen, was noch als Leben durchging.

In der Nacht hörte Cooper die ersten Schreie, als der Wind sie von der Bucht herantrug. Es wurden mehr, dann schien die ganze Stadt unter dem Schrillen und Heulen der Gemarterten zu beben. Auf jeden Leichnam, der auf einem Berg in der Innenstadt lag, kamen Tausende mehr, die kreischten und brüllten.

Coopers Bemühungen, den Ort zu verlassen, waren gescheitert, und er wusste nicht so recht, was er als Nächstes versuchen sollte. Sich zu Fuß auf den Weg zu machen, stand außer Frage, da es ganz einfach an Irrsinn grenzte. Er war zwar Pfadfinder gewesen und hatte sich um den Rang des Eagle Scouts verdient gemacht, was keine geringe Leistung darstellte, fühlte sich aber dennoch unvorbereitet. Sicher, er hatte Wanderwege zurückgelegt und unter den herbsten Bedingungen kampiert, allerdings nie allein und unter solchen Umständen. Selbst wenn alles friedlich gewesen wäre, hätte er einen Tag und länger ohne Unterbrechung marschieren müssen, um nach San José zu gelangen – und wenn er dort einträfe, würde er auf erheblich mehr Infizierte als hier in Monterey stoßen. Fürs Erste musste er sich ausruhen, doch das ging nicht, solange er die Schreie der Sterbenden hörte. Er fand einen iPod, zog die Ohrstecker an und schaltete das Gerät ein. Bei geschlossener Tür in einem der Schlafzimmer zu bleiben, kam ihm erträglich vor. Er legte sich aufs Bett, drückte sich ein Kissen ins Gesicht und döste endlich ein.