16

Es war dunkel und ruhig. Eine leichte Brise wehte. Sal dachte, lange genug gewartet zu haben, und startete den Motor. Die Lautstärke ließ ihn die Zähne zusammenbeißen. Es kam ihm vor, als hätte er damit eine Leuchtfackel in die Luft geschossen, um ihre Position preiszugeben. Während er vorwärtsrollte, dachte er, die Biker könnten irgendein Transportmittel gefunden haben und ihnen nachstellen.

Als sie davongefahren waren, hatte er einen von ihnen aufstehen sehen, offensichtlich unverletzt. In dem Moment war die geringe Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung zu einer erschreckend realistischen Aussicht geworden. Er hatte darauf bestanden, einen langen Umweg zurück zum Parkhaus zu nehmen und dabei immer wieder anzuhalten, um Augen und Ohren offenzuhalten. Das kostete viel mehr Zeit, auch weil sie es mit ein paar Horden Untoter zu tun bekamen. Ferner wusste er, dass sich wohl alle am Flughafen Sorgen darüber machten, wie lange sie brauchten, insbesondere Rons Ehefrau Donna.

Nach ihrer Flucht hatte Ron erklärt, was er mit den Motorrädern angestellt hatte. Das war zwar amüsant für sie beide gewesen, doch der unverletzte Biker und die Möglichkeit, bis aufs Blut gejagt zu werden, hatte die Heiterkeit des Augenblicks zerstört.

»Im Ernst, ich hätte gerne vorher gewusst, was du machst, und dich vielleicht aufgehalten. Wäre aber wohl nicht infrage gekommen.« Sal wünschte sich, die Zeit zurückdrehen und Ron abhalten zu können.

»Tut mir leid, Mann, ich hab’s in der Situation einfach für eine gute Idee gehalten, wirklich lustig, verstehst du?« Ron schaute aus dem Fenster. »Gott weiß, die haben es verdient, aber ja, jetzt fühle ich mich wie ein Vollidiot. Diese Wichser werden uns meinetwegen aufspüren und kaltmachen wollen.« Er hielt sich einen Handrücken vor den Mund und machte einen beklommenen Eindruck. »Es tut mir wirklich leid.«

»Mann, ich dachte, du würdest die Luft aus ihren Reifen lassen oder die Batterien abklemmen.« Jetzt musste Sal lachen. »Scheiße, mag sein, dass wir deshalb draufgehen, also verzeih mir, wenn ich sage, dass das ein Mordsspaß war. Du irrer Teufelskerl.«

Ron quittierte dies mit einem Lächeln. Dann wieherten beide los.

Nachdem sie sich beruhigt hatten, wollte Sal besprechen, was geschehen war, bevor sie zum Parkhaus zurückkehrten. »Mir ist ja klar, was sie getan haben – ich meine, natürlich hab ich es gesehen, und das tut mir leid.«

»Im Namen der weißen Rasse«, frotzelte Ron, doch der Witz kam nicht von Herzen.

»Nein, nein, ich bin nur … na ja … Also gut, die Welt ist zu kaputt, als dass man noch Zeit mit Taktgefühl verschwenden müsste. Die wollten dich aufknüpfen, das ist ziemlich beschissen, egal wer man ist. Als ich dich so sah, wurde mir echt übel – also buchstäblich, meine ich. Hast du je versucht, leise zu kotzen? Ich hatte schon genug Schiss, aber dieser Anblick … hat mich total verstört.«

»Jetzt mach aber mal ‘nen Punkt!«

»Tja, ich rege mich eben auf. Heute Nacht ist eine Menge falsch gelaufen, und ich fand, darüber zu sprechen, wäre angebracht, bevor wir zurückkehren. Schließlich war das, was vorhin dort passierte, nicht bloß schauerlich, sondern … Keine Ahnung, dich muss es doch auch getroffen haben. Ich weiß nicht, tut mir leid, Mann.«

»Nein, schon in Ordnung, und ja, es war schauerlich, zum Ausrasten.«

Eine halbe Stunde später, als sie die Hälfte der Strecke über den riesigen Flughafenparkplatz hinter sich gebracht hatten, bremste Sal und stellte den Motor des Vans ab, um zu horchen. Es war mitten in der Nacht, und das Parkhaus zeichnete sich als dunkler Schattenriss gegen den Himmel ab. Die Stille mutete unheimlich an.

Ron nahm eine kleine LED-Taschenlampe heraus und richtete sie aufs Gebäude. Dann blinkte er dreimal. Auf der vierten Ebene, gleich unterm Dach, flackerte viermal ein kleines Rotlicht auf, je zweimal mit einer kurzen Pause dazwischen.

»Alles sicher«, sagte Sal, als er die Zündung wieder betätigte. Es sei denn, die Biker lauern dort oben und halten Donna ein Messer an die Kehle.

»Haben wir ein Zeichen für: Wir werden von einer Motorradgang gejagt?«, fragte Ron ohne humorvollen Unterton.

Sal fuhr weiter, ohne die Scheinwerfer einzuschalten. Die Gruppe hatte Sicherheitsvorkehrungen für ihre neue Bleibe besprochen, und eine der Kernideen diesbezüglich bestand darin, den uninteressanten Eindruck des Gebäudes für jedermann zu wahren, der es sah. Damit einher ging die Notwendigkeit, des Nachts Licht zu vermeiden.

Während sie sich dem Parkhaus näherten, erblickten sie eine gewaltige Schar Toter, schätzungsweise mehrere Hundert. Die beiden waren verwirrt. Laut Lichtzeichen sollte die Luft doch rein sein. Viele der Zombies kamen auf sie zu.

»Irgendetwas hat sie angezogen. Gut möglich, dass oben noch niemandem aufgefallen ist, dass sie hier sind.« Ron neigte sich im Beifahrersitz nach vorne.

Sie hatten alle Scheiben geschlossen, doch es stank trotzdem intensiv. Schon knallten die ersten Leiber gegen den Van, und die Erschütterung der Metallkarosserie dröhnte im Innenraum. Sal unterdrückte einen Anflug von Panik und begann, langsam zurückzusetzen, um die Zombies vom Gebäude fortzulocken.

Sal hatte keinen blassen Schimmer, wohin er die Meute locken sollte. Plötzlich sackte das Heck des Vans mit einem markerschütternden Knall ab, und sie blieben ruckartig stehen. Die Hinterräder schienen in der Luft zu hängen, denn sie drehten sich ungehindert weiter, ohne dass sich das Fahrzeug bewegte.

Den beiden Männern fiel keine Möglichkeit ein, den Van wieder zum Fahren zu bringen, ohne auszusteigen. Sie blieben schweigend sitzen und grübelten. Da sie nicht genau wussten, was geschehen war, konnten sie unmöglich zu einer Lösung gelangen, ohne draußen nachzusehen. Doch unzählige Leiber schlugen und stießen gegen die Seitenwände des Wagens.

Viel Platz hatten sie nicht, weil der Van vollgepackt war. Große Schachteln mit Nägeln und Schrauben standen sogar in Rons Fußraum. Die Fenster hinunterzulassen, um einen Blick hinauszuwerfen, kam nicht infrage, doch Ron meinte, er könnte etwas aus dem Weg räumen und über den Rest ihrer Fracht klettern, um durch die Hecktür zu schauen.

Da alle Fenster geschlossen waren, wurde es stickig und warm im Innenraum; beide Männer schwitzten. Ron zog Gegenstände von hinten nach vorne und gab sie Sal, der versuchte, sie auf dem verlassenen Beifahrersitz unterzubringen. Der Van war eng und dunkel, während die Toten ihn mit ihrem Hämmern vibrieren ließen.

Ron stand zwischen den Sitzen und arbeitete sich nach hinten, doch Sal saß nach wie vor am Fenster der Fahrertür. Die Gesichter der Toten klatschten und rutschten neben ihm übers Glas. Er bemühte sich, nicht hinzusehen, doch die Angst, die Scheibe könnte zu Bruch gehen, zwang ihn ab und an dazu. Während er Waren auf dem Sitz und am Boden neben sich stapelte, kam er nicht umhin, auf gegenüber ans Fenster gedrückte Fratzen zu sehen.

»Oh, Shit«, wisperte Sal, während er beobachtete, wie ein weißer Finger in einen schmalen Spalt gezwängt wurde, wo die Scheibe nicht bündig an den Rahmen reichte. Ein zweiter Finger kam hinzu, und dann drei weitere. Die Hand zog am Fenster, doch es blieb oben. Sal sprang von seinem Sitz auf, streckte sich über eine große, noch verpackte Bohrmaschine aus, griff den Fensterheber und kurbelte. Sein Herz blieb beinahe stehen, als sich die Scheibe um einen halben Zoll senkte. Zahllose tote Finger schoben sich in den Spalt, packten zu und zogen. Sal versuchte, in die andere Richtung zu drehen, doch vergebens.

»Wie zur Hölle ist das passiert?« Ron streckte seinen Kopf wieder nach vorne.

»Die haben ihre Griffel in einen Spalt geschoben.« Sal ließ sich schweißgebadet zurück in seinen Sitz fallen.

Ron blickte fahrig auf die Reihe zuckender Leichenfinger. »Sieht aus, als würde es halten. Beeilen wir uns.«

Gemeinsam gelang es ihnen, eine freie Fläche im Laderaum des Vans zu schaffen. Nun quetschte sich Ron in die Lücke, und während er sich zum Heck hin wand, konnte Sal nur abwarten, indem er beobachtete, wie die Zombies mit ihren Fingern im Spalt des Fensters versuchten, es aufzuziehen. Das Glas war jetzt mit Dreck verschmiert.

Die Leichname schlugen gegen die Fenster, manchmal auch wie frustriert mit den Köpfen, wobei sie die Münder aufsperrten – erpicht auf einen Happen Fleisch, einen Tropfen Blut –, um dann doch nur mit ungeschütztem Gebiss gegen die harte, glatte Oberfläche zu knallen. Sal musste unweigerlich mit morbider Neugierde hinsehen. Es widerte ihn an. Er wusste, er würde Albträume bekommen und länger außerstande sein, etwas zu essen, konnte die Augen aber nicht abwenden.

Ron schob ein Brett nach vorne, um mehr Platz zu haben, und stieß es gegen die Windschutzscheibe. Sal zuckte zusammen. »Pass auf!«

Er wartete, während Ron grunzend weiterkroch. Das Gepolter griff allmählich sein Nervenkostüm an, er wollte nur noch, dass es aufhörte.

Endlich gelangte Ron zur Hecktür, deren Scheiben getönt waren. Er glaubte, dass hinter ihnen eine tiefe Rille verlief, weil hier keine Toten klopften, und außerdem schienen die Räder ja in der Luft zu hängen.

»Sal, ich muss die Tür öffnen, um zu sehen, woran es liegt.«

»Nein! Nein!«, schrie Sal, ohne zu wissen, dass niemand hinter ihnen war. Er dachte nur daran, dass Ron sterben würde, wenn er die Hecktür öffnete.

»Hier sind keine Toten. Wie es aussieht, hängen wir über einer Rille oder so.«

»Eine Rille? Ich kann mich nicht daran erinnern, so etwas irgendwo in der Nähe gesehen zu haben.« Sal entspannte sich wieder. Natürlich würde Ron die Tür nicht öffnen, wenn Tote darauf einschlugen.

Ron tastete im Dunkeln nach dem Griff und zog daran. Die Verrieglung sprang auf, und mit ihr die Tür. Die Zombies stöhnten wie zur Antwort. Das Heck des Vans hing über einer schwarzen Leere. Auf der anderen Seite des breiten Grabens hinter dem Fahrzeug drängten die Toten vorwärts und stürzten über den Rand. Trotz des unbeschreiblichen Gestanks verwesender Leiber roch die kalte Nachtluft wunderbar.

Unter ihrer Beute aus dem Heimwerkermarkt befanden sich mehrere Taschenlampen, und Ron schaltete eine davon ein. Nun erkannte er den Rand eines sehr tiefen Kraters oder von etwas Ähnlichem – und tief musste er sein, denn selbst als er senkrecht hineinleuchtete, sah er nur, dass die Leichen in die Finsternis fielen. Er fragte sich, ob die Toten, die am Van drückten und klopften, ihn in dieses sehr große, sehr tiefe Loch schieben konnten.

Ron schaute sich das Spektakel im Lichtkegel der Lampe noch ein paar Augenblicke an. Ein Ruck ging durch den Wagen, die Ladung geriet in Bewegung, rutschte nach hinten und stieß Ron hinaus. Falls der Sturz ihn nicht umbrachte oder das tonnenschwere Baumaterial, wenn es auf ihm landete, dann ganz sicher die Toten.