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Costco war das beste Großhandelskaufhaus überhaupt – groß in jeglicher Hinsicht. Alle hatten dieses riesige, hellerleuchtete Wunderland geliebt. Wer etwas anderes behauptete, war entweder ein Lügner oder dumm. Banjo war ein großer Fan der Kette und sogar Vorzugskunde mit Karte gewesen. Während einer Apokalypse konnte man sich kaum an einem besseren Ort aufhalten als bei Costco.
Folglich lag es nahe, dass sich bereits Menschen dort aufhielten. Banjo erklärte noch einmal seinen Plan für den Fall, dass sie sich mit den derzeitigen Bewohnern ihres neuen Zuhauses auseinandersetzen mussten.
Ein paar Mädchen kamen allmählich runter, sodass sie hibbelig wurden. Banjo hatte, was sie brauchten. Genauer gesagt besaß Jeeter zwei mit so viel Stoff vollgestopfte Satteltaschen, dass sie dafür wenige Wochen zuvor zehnmal lebenslänglich bekommen hätten. Banjo selbst hatte sie gefüllt, nachdem der Dealer ausgeschaltet worden war. Er wusste schon seit Beginn der Katastrophe, dass sich fortan jeder selbst der Nächste sein würde, und hatte sich einen Vorsprung beim Plündern verschafft. Ihm war klar gewesen, welche Güter in einer kaputten Welt schwierig zu beschaffen sein würden; jetzt hatte er zwei davon.
Als er vor Costco ankam, stellte er den Motor ab. Drei Männer mit Gewehren standen auf dem Dach. Banjo ging es alleine an. Jeeter und Fats hatten den Bus zuvor verlassen. Der Anführer war vor lauter „Schneegestöber“ völlig von der Rolle. Das Kokain sollte ihm Kraft für seine Mission geben. Fats würde ihm einfach folgen.
Banjo ging auf die beiden breiten Rolltore aus Metall zu und schaute zum Dach hinauf. »Hallo! Hey!«
Da ging eine kleine, ebenfalls metallene Tür rechts daneben einen Spaltbreit auf, gerade so weit, dass ein Armleuchter mit Drahtgestellbrille und Polohemd durchpasste. Alle drei Männer auf dem Dach schauten hinunter, während sie auf den Biker zielten. Der blieb ein paar Yards vorm Eingang stehen.
»Hallo, mein Freund. Ich bin mit ein paar Damen unterwegs, die medizinische Hilfe brauchen.«
»Wir haben hier keinen Arzt. Was fehlt ihnen denn?« Der Trottel blinzelte gegen die Sonne. Drinnen war es wohl dunkel.
»Sie haben Entzugserscheinungen, ist echt kein Pappenstiel. Uns sind die Drogen ausgegangen – eine gute Sache, schätze ich –, aber wir alle flippen langsam aus. Wir brauchen eine Menge Allerwelts- … äh, rezeptfreie Medikamente, um das zu überstehen.« Banjo war entspannt, ließ die Arme locker am Körper herunterhängen.
»Stellen Sie eine Liste zusammen, dann werde ich sehen, was sich machen lässt.«
»Sehr freundlich von Ihnen, Sir.« Banjo schenkte ihm ein Lächeln, jedoch nicht aus Freundlichkeit, sondern in Voraussicht dessen, was er mit ihm anstellen würde. »In der Zwischenzeit möchte ich, dass Sie die Damen kennenlernen. Sie werden erkennen, dass sie harmlos sind, und ihnen vielleicht erlauben, sich frischzumachen, na?«
Als der spießige Typ aufschaute, machte er riesige Augen, denn nun stiegen fünf splitterfasernackte Stripperinnen aus dem Bus. Sie strahlten und winkten den Männern.
Tja, jetzt gibt es auch Ware bei Costco, die nicht auf Paletten gestapelt steht, dachte Banjo. Ob hetero oder homo, Männlein oder Weiblein: eine nackte Blondine zog unweigerlich Aufmerksamkeit auf sich, fünf nackte Blondinen erforderten Aufmerksamkeit. Genaugenommen weckten fünf nackte Blondinen bei jedem heterosexuellen Mann die alte Fleischpeitsche, und mit ihr hatte er es nicht leicht. Sie war grausam und ließ sich, wenn sie einen Energiestoß bekam, der zur Erweckung von Frankensteins Monster gereicht hätte, auch nicht von wütenden Dorfleuten bändigen. Sie setzte sich über Sicherheit, Vernunft, richtig oder falsch, abgegebene Versprechen und vor allem ihren Schwinger hinweg, den besagten heterosexuellen Mann. Wenn die alte Fleischpeitsche knallen wollte, machte sie vor nichts halt.
Banjo sah, dass der Blödmann hetero war, weil er so breit grinste, dass ihm fast die obere Hälfte des Schädels abfiel. Jetzt war die alte Fleischpeitsche am Zug und hatte nur ein Ziel. Der Typ wurde unvorsichtig. Er war so gut wie tot.
Banjo hatte den restlichen Weg zur Tür im Nu zurückgelegt und schlug ihm mitten ins Gesicht. Der Mann wusste gar nicht, wie ihm geschah. Als Banjo durch den Eingang stürmte, schlang er ihm einen Arm um den Hals, und schon knallte die Tür zu. Die drei auf dem Dach blieben völlig machtlos.
Sekunden später, während sie den Angriff noch verarbeiteten, hörten sie Schritte hinter sich knirschen. Erneut reagierten sie nicht schnell genug.
Fats rempelte einen Mann um und landete auf ihm. Dann langte er ihm ins Gesicht und begann, zu drücken. So wie er ihn hielt, war nicht ersichtlich, ob er versuchte, ihm die Augen auszuquetschen, ihn zu erwürgen oder sein Gesicht abzureißen. In jedem Fall erstickte der Mann.
Jeeter hatte seinen Gegner zur gleichen Zeit erreicht, machte aber kürzeren Prozess mit ihm. Er stieß ihn rücklings vom Dach. Der Sturz aus 35 Fuß, zumal kopfüber, bedeutete den sicheren Tod.
Jeeter fuhr herum, duckte sich und rammte dem dritten Mann eine Schulter in den Bauch, dass ihm die Luft wegblieb. Die beiden rollten mehrere Yards weit, bevor sie auf einem Dachfenster liegenblieben, das laut knackte und riss. Gleich darauf stürzten sie in die Dunkelheit.
Jeeter landete ungefähr 15 Fuß tiefer auf dem Mann. Sie lagen auf dem obersten Boden eines hohen Regals, genauer gesagt auf einem großen Würfel in Plastikfolie gewickelter Konserven. Sein Opfer hatte sich verletzt. Jeeter fing an, ihn kräftig zu treten, bis er von dem hohen Gestell glitt und auf den glänzenden Betonboden plumpste.
Jeeter sprang hinterher und kam neben ihm auf. Diesmal bemerkte er trotz seines überhitzten, aufgeputschten Gehirns, dass ihm der harte Boden beim Landen Schmerzen verursachte. Das hielt ihn aber nicht davon ab, sofort wieder auf den Kerl einzutreten.
Ihm fiel auf, dass er irgendwann zu einer Dose gegriffen haben musste. Sein zeitweiliges, kurzes Hoch ebbte ab. Er betrachtete die Schweinerei auf dem Boden, ließ die blutbesudelte Konserve fallen und begann, durch das düstere Gebäude zu taumeln. Dabei trat er mitten in einen gut ausgeleuchteten Kreis. Ungefähr 30 Menschen starrten ihn an, ehe die meisten kreischend ins Dunkel flohen. Zwei jedoch kamen auf ihn zu und packten ihn an den Armen.
Jeeter wartete einfach in der Annahme, dass seine Kumpel bald auftauchen würden – und tatsächlich: Banjo erschien mit dem Einfaltspinsel, dem er eine Pistole an den Kopf hielt, am Rand des Lichtkreises. Der Kerl blutete aus einer Schnittwunde an der Stirn. Fats folgte kurz darauf, stark schwitzend und völlig außer Atem. Etwa zehn Personen waren stehengeblieben und glotzten sie an.
»Alle herhören!«, bellte Banjo durch die finstere Halle. »Ihr habt 30 Sekunden Zeit, den Laden in Frieden zu verlassen. Sollte danach noch jemand hier sein, schieße ich diesem Penner in die Rübe, dann werden wir euch jagen und genauso niedermachen.«
Einen Moment lang kam im Dunkeln Gemurmel aus allen Ecken, Winkeln und Entfernungen auf. »Ihr könnt uns mal!« und »Okay, okay, wir verschwinden«, »Jeder von euch, wir müssen abhauen« sowie »Hier gibt es genug für uns alle«, und so weiter und so fort.
»Es reicht!«, donnerte Banjo dazwischen. »Ihr alle verlasst das Gebäude und nehmt die Beine in die Hand – sofort!«
Ein lautes Durcheinander brach los: Man hörte die Flüchtigen springen, poltern und trappeln, dazu Erschütterungen, als Gegenstände zu Boden fielen, während das Licht in der Tür vor Schatten, die verzweifelt hinausstürzten, zuckte und tanzte. Auch die Personen zu Füßen der Biker standen auf und flüchteten schnellstmöglich.
Einen Augenblick später trat ein alter Mann ins Licht. »Ich brauche meine Medikamente oder werde sterben.« Er hielt seine Hände hoch, während er seitwärts zu einer Stelle im Kreis ging, an der Klappbetten und Kisten standen. Banjo ließ ihn auch nicht aus den Augen, als er sich eine gelbbraune Tasche schnappte und rasch zurückwich. »Danke«, sagte er, kurz bevor er im Dunklen verschwand. Fats rückte vor, um dem Alten eins überzuziehen.
Banjo hielt ihn auf. »Nicht, Fats. Er wäre nur eine weitere Leiche, die wir nach draußen schaffen müssten. Lass ihn laufen.«
Der Dicke nickte, woraufhin Banjo die Brillenschlange losließ. »Verpiss dich, Wichser.«
Der Mann rannte, wie er es wohl noch nie in seinem Leben getan hatte. Er stürzte durch die Tür ins Tageslicht. Während sich seine Augen daran gewöhnten, hielt er sich beide Arme vor. Was er dann sah, versetzte ihn in lähmende Panik. Verteilt auf dem Parkplatz scharten sich die Infizierten, kauerten bereits über den Leibern der Angehörigen seiner Gruppe. So wie es aussah, war niemand davongekommen.
Vor ihm lag die Leiche eines jungen Mannes, kaum älter als 20, und ein Zombie war gerade dabei, ihm die Haut großflächig abzuziehen, um ans Fleisch zu gelangen. Das begleitende Geräusch – ein Schmatzen, als das Gewebe zerriss – klang nur unerheblich weniger ekelhaft, als der Untote aussah, der die Innereien aus der Brusthöhle wühlte, bis er das Herz fand. Dann setzte er sich hin und fing an, es zu verzehren.
Zu dem Zeitpunkt, da der Mann mit der Brille seine Augen von diesem entsetzlichen Schauspiel losgerissen hatte und aufschaute, kamen bereits viele der Zombies auf ihn zu. Er drehte sich um, doch die Tür war schon wieder geschlossen.
***
Vor die Wahl gestellt, nackt in die tote Stadt zu laufen oder in dem Geschäft zu bleiben und sich besteigen zu lassen, um zu essen zu bekommen, zogen die fünf Mädchen Letzteres vor. An ihrem Leben würde sich dabei wenig ändern. Außerdem hatte Banjo ihnen die Satteltaschen gezeigt, in denen eine Menge Argumente dafür steckten, den Bikern ergeben zu sein.
Einige der Mädchen litten unter Schweißausbrüchen und erbrachen sich. Drinnen führte Banjo sie in einen vergitterten Bereich, wo Coscto einstmals unter Verschluss teure Waren lagerte. Dann sollte jede von ihnen die Arme ausstrecken, um sich eine satte Dosis Black Tar spritzen zu lassen.
Banjo, Fats und Jeeter begannen nun, ihr neues Zuhause einzurichten. Bald brannte ein Feuer in der Mitte des großen Gebäudes. Lebensmittel und Alkohol gab es reichlich. Sie ließen jeweils gleichzeitig eine oder zwei Tänzerinnen heraus. Fats hatte über eine Stunde lang einen großen Plastikeimer Käsebällchen gehalten, der nun leer war. Sowohl seine Hände als auch sein Gesicht glänzten orange, die Brust seines Shirts trug die gleiche Farbe. Banjo schüttelte den Kopf. Fats, wie er leibt und lebt, dachte er.
Ihm wurde klar, dass er gar nichts über den fetten Bastard wusste. Jeeter kannte er ziemlich gut, da sie jahrelang gemeinsam Motorrad gefahren waren, doch Fats … Er begleitete die beiden zwar fast schon genauso lange, blieb aber ein Fragezeichen für Banjo. Der nahm es nun gleichgültig hin, weil er vermutete, über einen Typen, der nichts weiter tat, als zu fressen und zu scheißen, gebe es nichts zu erfahren. Fats redete nie. Banjo hatte im Lauf der Jahre ein paar Worte aus seinem Mund gehört, aber eben nur sehr wenige, und die waren noch dämlicher gewesen als erwartet. Strenggenommen hatte der Dicke eigentlich nie darum gebeten, zur Gang zu gehören. Jeeter war eines Tages mit ihm aufgekreuzt und hatte es sich zur Aufgabe gemacht, ihm das Motorradfahren beizubringen. Das Rindvieh hatte bis heute nicht kapiert, wie es funktionierte. Banjo schmunzelte, bevor er sich wieder wichtigeren Dingen widmete.
Er ging in der dämmrigen Geschäftshalle herum. Banjo schaute sich nach Ein- beziehungsweise Ausgängen um, weil er sichergehen wollte, dass alles verriegelt war. Er musste erneut aufbrechen, und Jeeter würde in seiner Abwesenheit ohne Hilfe mit Fats allein sein. Er war überzeugt davon, dass Costco Überlebende wie ein Magnet anzog, und wollte nicht, dass sich irgendjemand in seiner Bleibe breitmachte.
Banjo brannte bereits darauf, zu dem Van zurückzufahren und grausam Vergeltung zu üben. Im Kopf malte er sich den Angriff schon aus: Er wollte Jeeter und Fats mit ein wenig weißem Pulver auf Zack bringen, dann selbst eine Line ziehen und gemeinsam mit den beiden Rache nehmen wie antike Götter. Niemand würde sie aufhalten, sie sollten keine Gnade walten lassen, und Banjos einzige Bedingung lautete: Der Buschmann gehörte ihm. Alles zu seiner Zeit, sinnierte er. Alles zu seiner Zeit.
Dann riss er sich zusammen. Seinen ruhmreichen Feldzug sparte er sich für später auf. Heute gab es noch viel zu erledigen, also musste er seinen Arsch in Bewegung setzen. Diese Pläne, sollten sie gelingen, würden ihm ermöglichen, es dem Schwarzen und seinen Freunden rasch heimzuzahlen – ein brutales, köstliches Unterfangen.