KAPITEL 32

NEW YORK – MANHATTAN

Nach einer halben Stunde Fahrt hielt Chui vor einem heruntergekommenen zweistöckigen Haus. An mehreren Stellen war der Putz von der Fassade abgefallen, die Fensterläden hingen schief in den Angeln. Die Gegend wirkte wenig vertrauenerweckend. Die meisten Straßenlampen waren defekt, überquellende Müllbeutel säumten die Fahrbahn.

Mit einem mulmigen Gefühl folgte Torben Chui und Jackson durch einen verwahrlosten Vorgarten in das Haus. Im Erdgeschoss schloss Jackson eine hölzerne Wohnungstür auf, deren Lack abgeblättert war. Er ließ Torben und Chui den Vortritt.

Ganz anders, als Torben es erwartet hatte, war das Wohnzimmer relativ geschmackvoll eingerichtet. Wenige ausgefallene Designermöbel verliehen dem Raum eine individuelle Note. Neben einer weiß gelackten Bar mit passenden Barhockern stand ein opulentes schwarzes Ledersofa mit einem niedrigen Couchtisch davor. Die Tischplatte war bedeckt mit halb leeren Gläsern, schmutzigen Tellern und überfüllten Aschenbechern, von denen ein abgestandener, muffiger Geruch ausging. Gegenüber stand ein überdimensional großer Flachbildschirm, auf dem Boden lagen Zeitschriften herum. Ein vertrautes Setting für Torben.

Er betrachtete die gerahmten Schwarz-Weiß-Fotos an den Wänden, Impressionen aus der Bronx und Momentaufnahmen aus der Subway.

Torben kannte die Motive. Der Fotograf Walker Evans hatte in der Krisenzeit zwischen 1938 und 1941 Menschen in der New Yorker U-Bahn mit der Kamera festgehalten. Dazwischen hingen Porträts, die der Tradition von Evans zu folgen schienen. Die Bilder zeigten Wall-Street-Demonstrationen kurz nach dem Ausbruch der Finanzkrise, Gesichter von wütenden, enttäuschten Menschen. Es waren intime Einblicke in Ängste, die jenen der Dreißigerjahre glichen. Ob sich die Geschichte wiederholen würde?

»Komm schon, ich zeige dir mein Reich.« Jackson bedeutete ihm zu folgen. Über eine Treppe im Flur der Wohnung ging es hinunter in den Keller.

Wie Torben schon vermutet hatte, war dort der Rechnerraum. Auf knappen zwanzig Quadratmetern standen mehrere Bildschirme und Rechner auf wackligen Tischen. Die Luft war zum Zerschneiden. Torben witterte sofort den Elektrosmog.

Fünf Rechnerplätze gab es, alle Computer waren hochgefahren. Eine der Wände war blau gestrichen, davor stand eine Kamera. Auf dem Tisch daneben lagen eine Guy-Fawkes-Maske und eine schwarze Perücke.

Auch von hier aus werden also die berühmten Drohbotschaften der Anonymous gesendet, dachte Torben fast ehrfürchtig. Nächtelang hatte er sich die Messages im Netz angesehen. Es war seltsam, das alles jetzt aus nächster Nähe zu erleben.

Während Chui sich in einem abgewetzten Sessel zusammenrollte, setzte sich Jackson an einen Rechner und öffnete das Forum anonworkblog.

»Mal sehen, ob das Internet wieder funktioniert. Ich will noch schnell eine Nachricht über den gelungenen Angriff auf das Justizministerium absetzen.« Er lachte bitter auf. »Das ist die Rache für die letzte Verhaftungswelle. Der Jüngste, den sie erwischt haben, war gerade mal dreizehn. Die da oben drehen langsam durch.«

Gespannt sah Torben ihm über die Schulter. Für den Bruchteil einer Sekunde erschien die Analysemaske auf dem Monitor, die er selbst in Stockholm programmiert hatte. Doch im nächsten Moment war sie wieder verschwunden, und Jacksons Nachricht wurde automatisch gelöscht.

»Tja, Alter, dein Programm leistet ja ganz tolle Arbeit«, sagte sein Gastgeber spöttisch. »Scheinbar hast du denen eine Steilvorlage geliefert, um es für ihre Zwecke zu nutzen, und sie zensieren das Web schon.«

Torben gab sich Mühe, den Schock darüber zu verbergen, dass Spygate Fehler hatte. Irgendwas lief richtig schief, da der Countdown eigentlich noch nicht beendet war. Die Geschwindigkeit, mit der alles funktionierte, war gespenstisch. War sein Programm die Ursache für dieses Chaos? Konnte es sein, dass die CIA es geknackt hatte und Teile sogar dafür verwendete, das Netz zu zensieren? Nein! Unmöglich. Da war er sich sicher!

Missmutig stand Jackson auf, ging zu einem verbeulten Kühlschrank und holte zwei Bierdosen heraus. Er öffnete sie und hielt Torben eine hin. Chui bediente sich selbst. Er schien hier wie zu Hause zu sein.

»Wie kommst du darauf, dass die mit meinem Programm arbeiten?«, fragte Torben vorsichtig.

Jackson setzte die Bierdose ab. »Sobald bestimmte Schlüsselsätze, also nicht nur einzelne Wörter vorkommen, ist Schluss mit lustig. Wir haben rausgefunden, dass es auch nur bestimmte Rechner betrifft. Man kann also nicht von totaler Zensur sprechen, aber es ist zu dem Zeitpunkt losgegangen, als du deinen Wurm abgesetzt hast.«

Torben trat wütend ein paar Kabel beiseite, die den Boden bedeckten.

»Jetzt reicht’s mir! Ihr seid ja alle paranoid, Anonymous, die CIA, einfach alle. Das Programm dient der Transparenz, du Irrer. Es kann unmöglich zur Spionage verwendet werden. Ich bin nicht hier, um mich anpöbeln zu lassen. Ich will nur wissen, wie ich sicher nach Washington komme. Meine Nerven liegen blank, okay?«

Jackson drehte sich zu Chui um und hob gleichgültig die Schultern. Dann wandte er sich wieder Torben zu.

»Weißt du, was merkwürdig ist? Sie sabotieren längst nicht alle kritischen Sites.«

Torben verdrehte die Augen. »Das ist doch klar. Würden sie das tun, und das auch noch global, würde es zu einem weltweiten Aufschrei kommen. Das, was du hier erlebst, ist bestenfalls ein Test für das, was dem Netz noch bevorsteht. Mein Programm wird zeigen, wer das gerade zensiert hat, sofern es denn überhaupt noch startet!«

Er drängte Jackson zur Seite und setzte sich an den Rechner. Chui war aufgestanden und stellte sich neben Jackson, der erregt sein grünes Haar verzwirbelte. Mit rasanter Geschwindigkeit öffnete Torben ein Hackertool von Anonymous.

»Hey, was machst du?«, protestierte Jackson. »Ich will hier keine Bullen anlocken!«

»Lass dich überraschen.« Er tippte unbeirrt weiter.

Chui hechtete an Jackson vorbei und entriss Torben die Tastatur. »Ist saugefährlich. Wir machen das besser mobil, im Auto.« Jackson nickte und klemmte sich einen Laptop unter den Arm.

»Wir machen eine Spritztour nach Washington. Wir sind an etwas dran, was extrem wichtig für uns alle ist. Regierungsdokumente, du weißt schon. Aber dazu müssen wir sicher sein, dass uns dein Programm nicht verrät. Wenn du es eliminiert

hast, setzen wir dich sicher vor der schwedischen Botschaft ab, ist das ein Deal?«

Das war ein Deal, wenn auch ein zweifelhafter. Er hatte etwas Luft zum Durchatmen bekommen. Wie paralysiert war er von dem Gedanken gewesen, dass er nur noch die Wahl zwischen einem Gefängnis in Schweden und der Hinrichtung in den Staaten hatte. Er stand zwischen zwei Fronten, die unbedingt den digitalen Krieg führen wollten. Immer deutlicher zeichnete sich Torbens Situation ab. Seine Bemühung, den Cyberwar zu beenden, hatte vielleicht genau das Gegenteil bewirkt. Es war, als würde sich jetzt der ganze Wahnsinn auf seine Person fixieren. Er hatte nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Wie ein verdammter Gutmensch hatte er alles erdacht und angepackt. Für ihn blieb nur diese kleine Hoffnung, jetzt fliehen zu können. Wenn auch sein Verstand ihm sagte, dass diese beiden Freaks sehr wahrscheinlich im Gefängnis landen würden oder gar auf dem elektrischen Stuhl.

Jetzt spürte er, wie angespannt er war. Seine Glieder schmerzten ihm wie bei einer schweren Grippe.

»Mann, Alter, du bist ja voll durch den Wind.« Jackson hielt Torben ein halb vertrocknetes Muffin hin, das neben dem Rechner gelegen hatte. »Bestimmt Unterzuckerung.«

Torben stopfte sich den Muffin in den Mund. Wahrscheinlich war er wirklich unterzuckert. Die letzte Mahlzeit war lange her.

Jackson sah ihm grinsend zu, dann fuhr er den Rechner herunter. »Nichts wie weg hier!«

Draußen vor der Tür war es stockdunkel. Die Straße war menschenleer, bis auf einen alten Mann, der mit seinem struppigen Hund den Gehsteig entlangschlurfte. Torben setzte sich auf den Rücksitz des Cadillacs, öffnete den Laptop und regulierte die Helligkeit des Bildschirms auf ein Minimum.

In mäßigem Tempo fuhr Chui los. Nur vereinzelt sah man noch Lichter in den Fenstern, so weit nach Mitternacht war hier kaum noch eine Seele wach. Jackson hatte sich zu Torben gesetzt und legte seine Hand auf die Tastatur.

»Keine Warnungen oder andere Mails an Freunde. Nichts, was auf dich hindeuten könnte, sonst blasen die uns weg.« Zum ersten Mal war der coole Koloss nicht mehr cool. »Wir müssen raus aus der Stadt, dann kannst du loslegen. Aber du gehst alle vier Minuten offline, verstanden?«

Torben nickte.

Ausgepowert lehnte er sein Gesicht an die kühle Scheibe des Wagenfensters. Was er auf Jacksons Monitor gesehen hatte, gab ihm Rätsel auf. Er musste einen Fehler bei der Programmierung gemacht haben.

Tausend Theorien schossen ihm durch den Kopf. Er hatte längst erkannt, dass sein Programm nicht perfekt war. Am meisten fürchtete er, dass dieser Robert Miles schon irgendetwas mit seinem Programm angestellt haben könnte. Er starrte in das Dunkel der Nacht, das von den vorbeifliegenden Lichtern der Straßenlaternen durchschnitten wurde.

Neben ihm brütete Jackson vor sich hin, in seine eigenen Überlegungen versunken.

»Der Mega-GAU wäre es, wenn du das Freenet infiziert hättest«, meldete er sich nach einer längeren Pause wieder zu Wort. »Für den Fall brauchen wir eine Lösung.«

Schläfrig sah Torben weiter aus dem Fenster. Er hatte das Gefühl, den Überblick zu verlieren. »Ja, ja der alte Traum vom alternativen Internet«, kommentierte er abwertend.

Jacksons Finger hatten sich in seine Goldketten verhakt, die leise auf seiner Brust klimperten. »Genau. Große Sache.« Sein Tonfall steigerte sich ins Theatralische. »Ein Ort ohne Hierarchien. Egal, ob schwarz oder weiß, Mann oder Frau, alle User wären garantiert anonym und gleichberechtigt.«

Torben hatte die Idee eines alternativen Internets immer skeptisch verfolgt, da ihm nicht einleuchtete, warum dort nicht die gleiche Spionage des Staates Einzug halten würde wie im gewöhnlichen Internet. Doch ein paar Wochen zuvor war die erste Version eines alternativen Internets weltweit über zivil verwaltete Server online gegangen.

»Es kann natürlich sein, dass dein Scheißprogramm alles zunichte macht.

Jackson knuffte ihn in die Seite. »Nicht einschlafen, Superhirn. Also, was sagst du?«

Torben rutschte tiefer in seinem Sitz.

»Na jaaa«, antwortete er gedehnt, »löschen kann ich das Programm wahrscheinlich nicht mehr, bestenfalls seine Potenz schwächen. Keine Ahnung. Seit ich auf der Flucht bin, habe ich keine Minute mehr an einem Rechner gesessen.«

Jackson rieb sich das Gesicht.

»Okay, bis Washington hast du Zeit. Wir ändern alle paar Sekunden die IP-Adresse. So sollten wir unbehelligt durchkommen.«

In sicherem Abstand folgte das FBI dem schwarzen Cadillac. June Madlow wartete währenddessen am New Yorker JFK in einem startbereiten Helikopter. Ihr Handy klingelte.

»Madlow, hier Clark. Wie es aussieht, schlagen wir heute Nacht gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Das FBI bekommt durch Arnström Zugriff auf Commander Zero, einen der wichtigsten Hacker der Peoples Liberation Front. Ich habe Anweisung gegeben, dass wir möglichst lange warten, bevor wir sie hochgehen lassen. Miles ist sicher, dass Arnström versuchen wird, sein Programm anzusteuern. Damit besteht die Chance, dass er an den Code kommt. Das bedeutet, dass er das Programm endlich knacken kann.«

Die Agentin starrte auf das Rollfeld des Flughafens, das taghell erleuchtet war und auf dem trotz der späten Uhrzeit unablässig kleinere Maschinen starteten und landeten. Nur widerwillig hörte sie zu. Es widerstrebte ihr zunehmend, wie zynisch ihr Chef diesen kleinen schwedischen Hacker für seine Zwecke nutzte. Für sie war längst klar, dass der Kerl unfreiwillig zwischen die Fronten geraten war.

»Den Zugriff überlassen wir dem FBI«, erläuterte Clark die weitere Vorgehensweise. »Ich bin denen noch was schuldig. Als Dank wird uns das FBI öffentlich gut aussehen lassen. Mal sehen, vielleicht können wir mit der konzertierten Aktion den Präsidenten davon überzeugen, dass die enge Zusammenarbeit von CIA und FBI von Vorteil ist.«

Was für ein schlauer Fuchs, dachte June Madlow. Nicht nur, dass Clark den Präsidenten ködern wollte – zugleich kickte er damit seinen Stellvertreter Eliston aus dem Rennen. Wäre es nach Eliston gegangen, hätte man Torben Arnström schnurstracks in die Folterkammer geschickt. Doch der CIA-Boss hatte drauf bestanden, ihn als Lockvogel einzusetzen. Eine gerissene Taktik, die Eliston ziemlich alt aussehen ließ, wenn sie aufging.

»Alles klar, Sir!« June gab sich betont munter. »Ich warte auf den Befehl, ihn nach Whitestar zu bringen!«

Auf einmal bedauerte sie, wie oberflächlich sie Arnström im Mount Valley abgekanzelt hatte. Sie kaute auf ihrer Unterlippe, während sie weiter aus dem Fenster des Helicopters schaute. Arnström hatte wenigstens ein Ziel, ein höheres Anliegen. Und sie? Tja, sie war nur eine unbedeutende Figur in einem Spiel, dessen Ziel sie nicht einmal kannte – ganz so, wie Torben es ihr vorgeworfen hatte. Aber war es nicht ihr Leben lang so gewesen?

Ihre Gedanken schweiften zurück in ihre Kindheit, zu ihrem Vater, der bei der Armee war. Vor mehr als dreißig Jahren hatte er in West Point die Kaderschmiede der US-Armee mit Auszeichnung absolviert. Respekt vor Autoritäten und unbedingter Gehorsam waren ihm in Fleisch und Blut übergegangen. Und genauso hatte er auch seine einzige Tochter erzogen. Wie einen jungen Kadetten hatte er sie behandelt.

Seither hatte sich das Verhältnis zu ihrem Vater merklich abgekühlt. Heute lebte General William C. Madlow in der Kaserne von Fort Myers bei Washington. Besucht hatte sie ihn schon seit Längerem nicht mehr, bestenfalls zu Thanksgiving oder an Geburtstagen telefonierten sie einmal.

Ihrer Karriere war seine strenge, fast harte Erziehung förderlich gewesen. Doch wie stand es mit ihrer Selbstachtung?

Als junge Frau hatte sie sich solche Fragen nie gestellt. Sie hatte keinesfalls wie ihre Mutter werden wollen, die liebe Holly, die perfekte Hausfrau, die dem General die Schuhe putzte, die Uniform bügelte und mit den anderen Soldatenfrauen den tristen Alltag am Stützpunkt teilte. Deshalb war ihr Vater zum strahlenden Vorbild geworden. Auf seinen Vorschlag hin hatte sie sich zur Kampfpilotin ausbilden lassen.

Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie hoch der Preis für dieses Leben war. Nicht nur, dass sie wegen ihres Ehrgeizes und ihres dominanten Auftretens wenig Glück mit Männern gehabt hatte. Vor allem erschien ihr die blinde Einordnung in das System plötzlich falsch.

Sie lehnte sich auf ihrem Sitz zurück und rief sich in Erinnerung, was seit dem Auftauchen von Arnström geschehen war. Er passte weder in die kriminelle Hackerszene noch war er ein professioneller Agent. Allerdings war er weit mehr als ein naiver Idiot.

Seufzend hob sie den Kopf und starrte in den nächtlichen Sternenhimmel. Ich hätte ihm besser zuhören sollen, dachte June. Am meisten aber schmerzte sie, dass sie nichts mehr für ihn tun konnte.

Chui hatte das Tempo beschleunigt, und schon nach einer guten halben Stunde bog er auf die Interstate 95 ein. Torben wurde zusehends unruhiger. Was sie vorhatten, war extrem gefährlich. Das Überwachungspotenzial der CIA hatte beängstigende Ausmaße. Allein die Satelliten konnten ihn rasend schnell erwischen.

»Vielleicht lassen mich dann auch die Bullen endlich in Ruhe, wenn ich den Schlamassel hier erledigt habe«, murmelte er vor sich hin. Geschickt öffnete er mit einer Hand die Coladose, die Jackson ihm gereicht hatte. Los jetzt, feuerte er sich an.

Jackson rückte immer näher an ihn heran. So nah, dass der Geruch des süßlichen Haargels des Hackers in seine Nase strömte. Torben war bereits bis zur Tür gerutscht und konnte ihm nicht mehr ausweichen. Ihm brach kalter Schweiß aus, als er ins Netz ging.

Verblüfft schaute Jackson zu, mit welcher Geschwindigkeit Torben Programme herunterlud, öffnete und dann die Server anwählte, auf denen sein Wurm aktiv war.

»Ich werde einiges zaubern müssen, aber keine Sorge, ich krieg das schon hin.«

Normalerweise gab es für ihn kein Programm oder System, das er nicht knacken konnte. Mit schlafwandlerischer Intuition fand er deren Schwachstellen. Doch das war jetzt anders. Jackson und seine Leute hatten es Tage versucht und nichts entdeckt. Das tröstete ihn, machte die Sache aber nicht besser.

Er war durch mit der Rolle des coolen Hackers. Was die letzten Tage klargemacht hatten, war, dass er sich nach einem ruhigen Zuhause sehnte, fernab des ganzen Irrsinns, den er erlebt hatte. Immer schneller hieben seine Finger die Befehle in die Tasten. Gute zehn Fenster waren simultan geöffnet, in denen Zahlen und Buchstaben nur so herunterratterten.

»Wie machst du das? Wie kannst in dem Durcheinander etwas finden?«, fragte Jackson erstaunt.

Anfänger, dachte Torben. Er grinste Jackson an. »Musst du vorm Pinkeln noch überlegen, wie du den Hosenstall aufbekommst?«

In Windeseile begann er, ein Programm zu schreiben, das Spygate blockieren könnte. Doch die Fahrt nach Washington würde dafür kaum ausreichen.

»Hey, Chui, fahr langsamer, ich brauche mehr Zeit. Ich muss …«

Das grelle Quietschen von Reifen schnitt ihm das Wort ab. Bevor er begriff, was geschah, überholte ein schwarzer Van den Cadillac und scherte direkt vor ihm ein. Ein zweiter Van schob sich neben den Wagen, ein dritter fuhr dicht auf. Sie waren umzingelt.

»Fuck, wer sind die?«, schrie Jackson.

Mit fliegenden Fingern zog er sein Handy aus der Tasche und tippte eine Mail. Obwohl er das Handy dicht vor seine Brust hielt, konnte Torben die Botschaft lesen. Sie bestand nur aus einem einzigen Wort: Attack!

»Festhalten!«, brüllte Chui. »Ich zwinge den Van hinter uns zum Aufprall! Dann nutze ich die Lücke, um abzuhauen!«

Er bremste hart ab.

Der Van hielt trotz des Bremsmanövers seinen Abstand, der vordere verlangsamte das Tempo. Chui trat das Gaspedal durch und prallte gegen die Stoßstange des Vans vor ihm. Die anderen Wagen schlossen auf. Sie drosselten das Tempo, bis die Kolonne zum Stillstand kam.

Zwei Männer mit gezogenen Pistolen stürmten zum Cadillac. Die Türen wurden aufgerissen. Ein Mann zerrte Chui so brutal aus dem Wagen, dass er mit dem Kopf auf den Asphalt schlug.

»FBI!«, brüllte er. »Steigen Sie mit den Händen hinter dem Kopf aus!«

Unfähig, sich zu bewegen, betrachtete Torben das gewalttätige Treiben. Er war völlig durcheinander. Warum war auf einmal das FBI hinter ihm her? Hatte Clark ihn zum Abschuss freigegeben? Oder galt das gar nicht ihm, sondern Jackson?

Der sagte kein Wort, aber im Scheinwerferlicht der Vans konnte Torben sein hassverzerrtes Gesicht erkennen. Er hatte vermutlich geahnt, dass es so kommen würde. Lange waren die Hacker ihren Feinden technisch immer einen kleinen Schritt vorausgewesen. Jetzt wurden sie für ihre Überheblichkeit und Sorglosigkeit bitter bestraft. Den Staat im Cyberwar zu provozieren ist mittlerweile so sinnlos, als wollte man gegen einen Tsunami anschwimmen, dachte Torben resigniert.

In dem Moment öffneten zwei weitere Beamte die hinteren Türen des Cadillacs und zerrten Torben und Jackson vom Rücksitz. Das kalte Metall der Handschellen schnitt in Torbens Handgelenke. Zwei Beamte drückten ihn gegen den Wagen und durchsuchten ihn nach Waffen, während ein Dritter telefonierte.

Jackson trat wie von Sinnen mit den Füßen um sich, während er mehr abgeschleppt als abgeführt wurde. Drei Männer waren nötig, um ihn zu bändigen.

»Du bist tot, Mann, du bist so tot!«, brüllte Commander Zero in Torbens Richtung, als man ihn rabiat in einen der Vans verfrachtete.

Torbens Herz raste. Das war keine leere Drohung. Einmal hätte es noch Zufall sein können. Aber dass Jackson nun ein zweites Mal hochgenommen wurde, nachdem Torben aufgetaucht war, brandmarkte ihn als Verräter. Jetzt hatte er die weltweite Hackerszene gegen sich.

Diese Erkenntnis traf ihn wie ein Hieb mit einem Baseballschläger: Niemals hätte er sich noch einmal in Jacksons Nähe wagen dürfen, das wurde ihm schockartig bewusst. Zu spät.

Aus östlicher Richtung näherten sich zwei Hubschrauber dem kleinen See, an dem die Wagenkolonne stand. Er lag unmittelbar neben einer Brücke, gegenüber befand sich eine beleuchtete Fabrikhalle. Sonst war in der Dunkelheit kaum etwas zu sehen. Jeweils etwa eine halbe Meile in beide Fahrtrichtungen entfernt, blinkten Warnlichter von Polizeiwagen, die jetzt die Autobahn absperrten.

Knatternd landeten die Helikopter auf dem Asphalt.

»Los, los, Bewegung«, rief ein kleiner, korpulenter Beamter. Er löste Torbens Handschellen und zog seine Waffe, mit der er ihm in den Rücken stieß und ihn vor sich hertrieb. Geduckt liefen sie zu einem der Hubschrauber.

Als sich die Tür unter den kreisenden Rotorblättern öffnete, schaute Torben in das Gesicht von June Madlow. Sie wirkte müde. Vermutlich hatte sie ohne Pause an seiner Verfolgung gearbeitet.

Er stieg ein und ließ sich von June Ohrenschützer und Mikro geben.

»Verdammt noch mal«, schrie er gegen den Lärm an. »Wie habt ihr uns gefunden?«