KAPITEL 22
WÜSTE NEVADA – BUNKER WHITESTAR
Entgeistert sah Torben zu, wie der Chef der CIA seine Fesseln löste. Er konnte es kaum fassen. Dieser mächtige Mann kümmerte sich persönlich um ihn? Trotz der Angst, die ihn immer noch lähmte, war er verblüfft, dass er so etwas wie Stolz empfand, eine innere Genugtuung, dass sein Programm die CIA offenbar herausforderte.
»Danke«, stöhnte er, während er sich die schmerzenden Handgelenke rieb. Dennoch war er auf der Hut. So freundlich der CIA-Boss auch wirkte, er flößte Torben Beklemmung ein.
Clark zog ein Tablettenröhrchen aus seiner Hosentasche und hielt es ihm hin.
»Hier, nehmen Sie eine. Dann lässt die Wirkung des Serums schneller nach.« Er musterte Torben prüfend. »Können Sie laufen?«
Er streckte vorsichtig seine Glieder. Alles tat ihm weh.
»Ich denke schon.«
Clark tätschelte ihm die Wange. »Na, dann sollten wir uns in einer angenehmeren Atmosphäre unterhalten.«
Er signalisierte Torben, ihm zu folgen.
Schon das Aufstehen fiel ihm schwer. Ein leichter Schwindel erfasste ihn. Mit schleppenden Schritten schlurfte er zu Clark, der an der Tür auf ihn wartete.
»Das wird schon, mein Junge. Zu ärgerlich aber auch. Meine Agenten hatten strikte Anweisung, Sie sofort zu mir zu bringen. Diese Mistkerle werden heute noch versetzt.«
Er fasste Torben unter die Arme, der Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten.
»Wir sind keine Unmenschen. Wir wollen nur, dass Sie uns Ihre brillanten Fähigkeiten zur Verfügung stellen. So etwas wie eben wird nicht noch einmal passieren.«
Torben hörte ihm skeptisch zu. Was er in den letzten Tagen erlebt hatte, war nicht dazu angetan, ihn in Sicherheit zu wiegen.
Stell dich dumm, dachte er. Gib ihm das Gefühl, dass du vor Ehrfurcht im Boden versinkst.
»Ich fühle mich geschmeichelt. Dabei war es doch nur ein harmloses, kleines Programm.«
Clark warf seinem Gefangenen einen misstrauischen Blick zu. Der bescheidene Tonfall gefiel ihm nicht. Einer wie er ließ sich nicht so leicht hinters Licht führen.
»Ich mache es kurz, Mr. Arnström. Ich könnte Sie weiter wie einen Terroristen behandeln. Dann landen Sie in Guantanamo. Vermutlich wissen Sie, was das bedeutet: kein Gerichtsverfahren, kein rechtskräftiges Urteil, lebenslange Haft. Oder Sie ergreifen eine einmalige Chance. Über die Chance reden wir gleich.«
Die plötzliche Härte, zu der Clark von einem Moment zum anderen übergegangen war, machte ihm klar, in welch bedrohlicher Lage er sich wirklich befand. So sprach nur jemand, der ohne mit der Wimper zu zucken über Leichen ging. Doch Torben war auch fasziniert von Clark. Sein Selbstbewusstsein und seine Entschlossenheit verliehen ihm die Aura unbegrenzter Macht. Endlich stand er einmal vor einem Vertreter jener Spezies von Macht, die tagtäglich über unendliche viele Schicksale entschied.
»Okay«, sagte er. »Ich bin gespannt.«
So unauffällig wie möglich musterte er seine Umgebung. Sie gingen durch lange, fensterlose Korridore. Offenbar befanden sie sich in einem unterirdischen Bunker. Etwa alle zehn Meter waren Türen in die Wände eingelassen, ausgestattet mit biometrischen Kontrollsystemen. Auf elektronischen Tafeln leuchteten rot-grüne Dioden mit den Raumnummern auf.
Als sie eine der Türen passierten, wurde diese gerade von einer uniformierten Agentin geöffnet. Er merkte sich die Raumnummer und erhaschte die ersten Ziffern, die sie an der Tastatur rechts neben der Tür eingegeben hatte. Als sich die Tür öffnete, sah er einen Raum mit Rechnern. Auf einem der Bildschirme erkannte er die Eingabemaske der CIA. Wo war er? Die Zentrale der CIA lag doch nicht in einem Bunker, so viel wusste er. Wie auch immer. Vielleicht würde ihm das noch weiterhelfen. Der Marsch dauerte ziemlich lange. Clark ging wortlos neben Torben her, während er ihn fest im Griff hielt. Er hatte sein Tempo erhöht, und Torben brauchte seine ganze Willenskraft, um seine müden Beine zu bewegen.
Endlich blieb Clark vor einer etwas breiteren Tür stehen. Torben sah, wie ein Laserstrahl die Iris von Clark abtastete. Dann öffnete sich die Tür.
»Bitte, nach Ihnen«, sagte Clark zuvorkommend. »Willkommen im sichersten Rechenzentrum der Welt.«
Torben hatte Herzklopfen, als er eintrat. Rechts neben einem Vorraum war ein kleineres Büro mit dickem Panzerglas, in dem ein Konferenztisch stand und ein extra Arbeitsplatz. Etwa zehn Meter vor ihm waren schräg nach vorn Fenster in Stahlrahmen eingelassen, die bis auf den Boden reichten, davor standen vier oder fünf Rechner mit Kristallbildschirmen. Dutzende Programme analysierten Daten. Als Clark ihn zu einem Tisch vor dem Glasbüro begleitete, konnte er in eine große Halle hinuntersehen. Es war kaum zu fassen. Wenn Torben sich nicht täuschte, war dies eines der elektronischen Spionagezentren der CIA. So etwas bekam kaum jemand zu sehen, und schon gar nicht irgendein kleiner Hacker aus dem fernen Europa.
Er starrte fasziniert in die große Halle. Vielleicht an die hundert Leute arbeiteten dort unten, umgeben von Computern, Kontrollpulten und Flat Screens.
So hatte er sich das immer ausgemalt. Ein Eldorado für einen Nerd. Allein die Vorstellung, welche Datenmengen hier zusammenliefen, verursachte ein Kribbeln in seinem Magen. Auf einem überdimensionalen Bildschirm, der die gesamte Längsseite des Rechenzentrums einnahm, sah er eine digitale Weltkarte, über der gepunktete Linien in grellen Farben verliefen. An manchen Stellen blinkten Markierungen auf, ohne dass Torben deren Sinn verstand.
Die Stimmung dort unten wirkte gereizt. Einige Mitarbeiter telefonierten laut, andere rannten von Platz zu Platz, reichten Unterlagen weiter oder diskutierten wild gestikulierend. Es ging zu wie auf dem Börsenparkett an der Wall Street.
Clark hatte sich neben Torben gestellt und wies, einem Feldherrn gemäß, auf das Gewimmel unter ihnen.
»Nun, vielleicht haben Sie jetzt einen kleinen Eindruck, wie viele Menschen die Funktionsfähigkeit unserer Wirtschaft und unserer Demokratie im Netz verteidigen.«
Torben hatte keine Ahnung, was jetzt kommen würde, doch sein Urteil stand fest: Es wäre Wahnsinn, einen Mann wie Clark zu reizen. Deshalb schluckte er den Kommentar hinunter, der ihm auf der Zunge lag: dass der CIA-Direktor leider eine wesentlich andere Vorstellung von Demokratie und Meinungsfreiheit hatte als er selbst.
Clark klopfte Torben auf die Schulter.
»Na, beeindruckt?« Er grinste selbstgefällig. »Sie fragen sich sicher, was die Linien auf der Weltkarte bedeuten. Für jemanden wie Sie ist das hochinteressant. Jede Linie symbolisiert nämlich den Versuch, in einen geschützten Server einzudringen. Unsere Satelliten beobachten diese Aktivitäten und verfolgen sie zu ihrem Ursprung zurück.«
Torben wurde blass. Vor ein paar Tagen war so vermutlich auch sein Hack entdeckt und zurückverfolgt worden.
»Sie sind ja ganz weiß im Gesicht«, stellte Clark fest. »Setzen Sie sich erst mal!«
Er rollte einen Schreibtischsessel heran und blieb stehen, während Torben darauf zusammensank.
Er fühlte sich grässlich. Noch hatte er seinen Körper nicht wieder unter Kontrolle. Seine Knie waren wie Pudding, in seinem Kopf drehte sich alles. Die letzten drei Tage hatten ihn ausgelaugt, und der Drogencocktail hatte ihm den Rest gegeben.
Clark zückte sein Handy. »Penny? Ja, ich bin’s. Bringen Sie einen doppelten Espresso ins Rechenzentrum. Dazu eine Flasche Wasser. Ja, jetzt sofort. Und ein Sandwich aus der Kantine. Beeilen Sie sich gefälligst!«
Er nickte Torben aufmunternd zu. »Ein kleiner Imbiss wird Sie wieder auf die Beine bringen.«
Torben nickte. Er hatte bemerkt, dass ein schlanker junger Mann immer wieder zu ihm herüberblickte, der direkt vor der Glasscheibe zum Rechenzentrum an einem Schreibtisch saß. Er wirkte übernächtigt und strich sich unablässig das schulterlange Haar aus dem Gesicht.
»Pro Jahr versuchen über hundert ausländische Geheimdienste, in die Datenbanken unserer Rüstungs- und Forschungsunternehmen zu gelangen«, dozierte Clark weiter. »Terabytes von Daten sind gefährdet, und wir verhindern das.«
Das hättest du wohl gern, dachte Torben. Ob dieser machtvolle Mann auch nur einen blassen Schimmer hatte, um welche Dimensionen es wirklich ging? Und wie weit die Techniken der globalen Hackernetzwerke schon waren?
Clarks Stimme wurde hofierend. »Leute mit Ihren Fähigkeiten haben hier eine goldene Zukunft. Nehmen Sie mein Angebot an, und Sie sind einer der bestbezahlten Computerspezialisten der Welt.«
Wie bei der guten alten Mafia, schoss es Torben durch den Kopf. Er macht dir ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst.
»Und wenn ich diese grandiose Chance nicht ergreife?«, fragte er.
Dabei kannte er die Antwort. Das harte Verhör und die Drogen waren weder eine Panne noch Zufall gewesen. Clark spielte nur den Retter, das hatte Torben schon begriffen. Die alte Taktik: good cop, bad cop. Einer macht dich fertig, der andere baut dich wieder auf.
Wie Torben erwartet hatte, wurde der CIA-Chef nun überdeutlich. Er straffte die Schultern und sah kalt auf seinen Gefangenen herab. »Ich kann Sie jederzeit verschwinden lassen, falls Sie das vorziehen.« Dann blickte er zu dem jungen Mann vor der Glasscheibe. »Sie haben jedoch Glück. Einer meiner besten Mitarbeiter meint, ich soll Sie nicht gleich umlegen.«
Er winkte den jungen Mann zu sich. »Hey, Miles, wollen Sie das verkrachte Genie kennenlernen?«
Robert Miles erhob sich und schlenderte zu Torben. In seinem Gesicht zeigte sich pure Neugier. Er wischte eine Hand an seiner Jeans ab, bevor er sie Torben reichte. Warum machte er das? War es ihm peinlich, hier zu arbeiten? Merkwürdiger Typ, dachte Torben.
»Hallo, ich bin Robert Miles«, sagte er leise und suchte verlegen den Blickkontakt zu Clark, bevor er fortfuhr. »Kompliment. Was Sie da gebaut haben, beschäftigt unsere besten Männer. Aber auch wenn der dazugehörige Schädling ziemlich tricky ist, in wenigen Tagen wird er sich erledigt haben.«
Torben stutzte. Hatte er sich überschätzt? Oder pokerte sein Gegenüber nur? Es war schwer, die Wahrheit aus dem Mienenspiel dieses Mannes herauszulesen. Allerdings wirkte er ziemlich sympathisch. Sieht aus wie einer von uns, dachte Torben. Doch Robert Miles stand auf der anderen Seite. Torben musste vorsichtig sein. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück.
»In wenigen Tagen schon? Na, dann ist doch alles in Ordnung. Was wollen Sie dann noch von mir?«
Wieder wechselte Miles einen schnellen Blick mit seinem Chef, unsicher, wie er sich verhalten sollte.
Gerade wollte Clark zu einer Antwort ansetzen, als eine ältere Dame in einem grauen Kostüm zu ihnen trat. Sie hielt ein Tablett in den Händen.
»Sir, hier kommen der Espresso und das Wasser. Außerdem zwei Sandwiches und ein Obstsalat.«
»Danke, Penny. Wurde auch Zeit. Der arme Kerl muss halb verhungert sein.«
Als die Sekretärin Torben das Tablett reichte, streifte sie ihn mit einem mitleidigen Blick. So, als ahnte sie, dass sie dem jungen Gefangenen möglicherweise seine Henkersmahlzeit servierte.
»Das ist alles, Penny«, sagte Clark.
Schweigend zog sie sich zurück.
Während Torben zu essen begann, ging Clark mit sichtlicher Ungeduld im Kontrollraum auf und ab.
»Das Internet ist Fluch und Segen zugleich«, verkündete er mit einem leichten Vibrieren in der Stimme, das Torben an seinen ehemaligen Saicom-Chef erinnerte. Das gleiche Pathos wie bei Wallins. Und vermutlich die gleiche Ignoranz, was die technischen Details betraf. Ihr habt nichts verstanden, dachte er. Ihr könnt nur billige Allgemeinplätze absondern. Vermutlich hatte dieser Miles wesentlich mehr verstanden als sein Chef. Aber er war ein Untergebener, das sah man ihm deutlich an.
»Die gesamte Weltwirtschaft ist vom Netz abhängig – und durch das Netz angreifbar«, fuhr Clark fort. »Der Cyberwar fordert einen hohen Einsatz, auch von Ihnen, mein Freund.«
Torben rührte etwas Zucker in seinen Espresso und trank einen Schluck. Er wollte Zeit gewinnen. Was sollte er schon zu diesem Kriegsgerede sagen? Aber einknicken wollte er auch nicht. Er wischte sich mit der Serviette über die Lippen.
»Meinen Einsatz habe ich bereits geleistet, auch wenn es für Sie wie ein Angriff aussah.«
»Wie meinen Sie das?«
»Es geht hier nicht nur um Zensur. Halten Sie mich für so beschränkt? Hier findet das Ende der Privatsphäre statt. Hier wird das Ende der freien Meinungsäußerung vorbereitet«, sagte Torben, allen Mut zusammennehmend.
Er registrierte, dass Robert Miles unmerklich nickte. Der Typ war nicht auf den Kopf gefallen. Warum arbeitete er hier? Torben fixierte ihn mit einem scharfen Blick, den Miles ignorierte.
Clark setzte ein abschätziges Grinsen auf. »Ihr Programm hat sicher ein heroisches Ziel, Mr. Arnström. Wenn ich es richtig begriffen habe, wollen Sie jeden Datenstrom vom Urheber bis zum Empfänger sichtbar machen. Aber Sie schätzen Ihre Lage genauso falsch ein wie die globale Situation. Ihr selbsternannten Helden. Ihr wollt das historische Stück ›Der König ist tot, es lebe der König‹ aufführen. Und dann? Die Menschen brauchen Sicherheit, keine Revolution. Genau das ist es, wofür ich verantwortlich bin. Jede Revolution frisst ihre Kinder, schon vergessen?«
Allmählich spürte Torben blanke Wut in sich aufsteigen. Doch er wusste, dass er sich beherrschen musste. Er hatte einfach die schlechteren Karten. Dies war kein IT-Kongress, dies war ein Drahtseilakt ohne Netz und doppelten Boden. Wenn er jetzt die Fassung verlor, würde Clark ihn sofort einsperren oder diskret um die Ecke bringen lassen.
Er öffnete die Wasserflasche und trank einen kräftigen Schluck, um sich etwas zu beruhigen.
»Ich kann nachvollziehen, was Sie meinen«, sagte er schließlich. »Doch im Netz gibt es keine Hierarchien mehr. Daran können auch Sie nichts ändern. Niemand kann das. Die technische Entwicklung überholt die alten Strukturen.«
Als wollte er eine lästige Fliege verscheuchen, wedelte Clark mit einer Hand in Torbens Richtung. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen etwas.«
Er ging zu dem Rechner, der auf Miles’ Schreibtisch stand, und loggte sich ein. Widerwillig stellte Torben die Wasserflasche ab und folgte ihm.
»Setzen Sie sich«, herrschte Clark seinen Gefangenen an.
Er zeigte eine Grafik, die Torben kannte. Es war die Statistik, die auch Wallins bei seinem Vortrag benutzt hatte, eine Aufstellung weltweit agierender Unternehmen, die Opfer von Hackerangriffen geworden waren.
Der CIA-Chef deutete auf die Grafik. »Anonymous verursachen jährlich einen Schaden in Milliardenhöhe. Aber viel brisanter ist die Tatsache, dass die Bürger durch die ungefilterte Veröffentlichung geheimer Dokumente immer mehr verunsichert werden. So droht uns in absehbarer Zeit ein Bürgerkrieg. Wollen Sie die Verantwortung dafür übernehmen? Trauen Sie sich zu, zwischen Information und Propaganda zu unterscheiden? Mr. Arnström, trauen Sie sich das zu? Glauben Sie wirklich, dass es das Beste ist, wenn sich die Menschen plötzlich in einem völlig unkontrollierten Schwarm organisieren?« Sein Blick durchbohrte Torben geradezu.
Torben war verwirrt. Diese Frage konnte er nicht ohne Weiteres beantworten. In seinen Diskussionen mit Peter stand oft die Frage im Raum, ob die Geheimdienste mehr Kriege verhindert oder ausgelöst hätten.
Clark schnaubte zufrieden. »Sehen Sie? Die Welt ist zu komplex geworden für unsere Demokratie. Wir brauchen andere Lösungen.«
Torben schüttelte unwillkürlich den Kopf. Worauf wollte Clark hinaus? Dass das Internet nur von Diktaturen in Schach gehalten werden konnte? War es das, was ihm vorschwebte? Digitaler Stalinismus?
»Mr. Clark, auch wenn Sie es nicht gern hören: Sie können das Internet nicht regulieren. Sonst hätten wir diktatorische Verhältnisse. Und das machen die Bürger der freien Welt nicht mit!«
Seltsamerweise ließ sich Clark nicht im Mindesten davon provozieren. »Die Bürger.« Er lächelte überheblich. »Die Bürger werden das tun, was ich will. Und sie werden es gerne tun.«
Woher nahm er nur die Sicherheit für solch eine abenteuerliche Behauptung? Torben dachte noch darüber nach, als er hörte, wie sich hinter ihm eine Tür öffnete. Ein kalter Lufthauch traf ihn.
Clarks Gesichtszüge entspannten sich. Torben folgte seinem Blick und sah direkt in die grünen Augen einer bemerkenswert attraktiven Frau.
»Ah, wunderbar«, sagte der CIA-Chef. »Darf ich vorstellen? Das ist Agentin June Madlow.«
Mit allem hatte Torben gerechnet, aber nicht mit solch einer Erscheinung in diesem trostlosen CIA-Bunker. Er errötete, da er sich dabei ertappte, auf das Äußere dieser Frau anzuspringen, und versuchte sofort, diese Regung zu unterdrücken. Der gewinnende Blick, das pechschwarze Haar und diese durchtrainierte Figur. Trotz seiner prekären Lage war er hingerissen.
June Madlow gab ihm die Hand. Er spürte ihre warme Haut und genoss es, endlich einmal wieder ein angenehmes Wesen vor sich zu haben.
»Darf ich die zurückbekommen?«
»Was? Äh, ja, Entschuldigung«, antwortete Torben, ließ die Hand los und errötete nochmals.
Aufmerksam verfolgte Clark die kleine Szene. Passt offensichtlich in sein Beuteschema, dachte er. Umso besser. Er legte June einen Arm um die Schulter.
»Miss Madlow wird Sie nach New York begleiten, Mr. Arnström. Dort nehmen Sie an einem Treffen der besten IT-Experten und einiger betroffener Unternehmen teil. Vielleicht begreifen Sie dann, wie brisant die Lage wirklich ist. Bringen Sie unseren Star in sein Quartier, Miss Madlow.«
Dumpf brütete Clark vor sich hin. Er hatte sein Jackett ausgezogen und über den Schreibtischstuhl gehängt. Das Licht in seinem Büro war gedimmt, nur der Monitor des Computers beleuchtete bläulich sein kantiges Gesicht.
Mit raschen Mausklicks ging er die Personalakte von June Madlow durch. Irgendetwas missfiel ihm an ihr, doch er kam nicht recht darauf, was eigentlich. Ihre Referenzen waren glänzend. Die Dreißigjährige hatte eine lupenreine Biografie. Alle Fortbildungen hatte sie mit Bestnoten absolviert. Dennoch war sie für Clark ein Ärgernis. In seinen Augen war sie bei der Spionageabwehr so fehl am Platz wie ein Wildpferd in der Großstadt. Deshalb hatte er sie ein Jahr zuvor als Sonderermittlerin in die Abteilung für Computerkriminalität versetzt. Ihre braun gebrannte Haut mit den keltischen Tattoos an den Handgelenken, ihre reizvolle Figur und ihr Hang zu ausgefallener Freizeitkleidung prädestinierten sie für eine Szene, in der es schwierig war, Agenten einzuschleusen.
Missmutig scrollte er sich durch die Datei. June Madlows militärische Ausbildung war hart gewesen, ihr Training mit dem Kampfhubschrauber Denel AH-2 Rooivalk hatte sie mit Auszeichnung abgeschlossen. Dazu kam ihr technisches Knowhow. Es reichte bei Weitem aus, um sich in Hackerkreisen zu bewegen. In den vergangenen Monaten hatte sie reihenweise Aktivisten von Anonymous beim FBI abgeliefert. Es würde ein Leichtes für sie sein, sich in das kranke Hirn dieses Arnström hineinzuversetzen.
Clark kratzte sich am Kopf und stand auf. Mit dem untrüglichen Instinkt des einstigen militärischen Befehlshabers spürte er, dass es eine Schwachstelle in der beeindruckenden Karriere dieser Agentin gab: ihre Loyalität. Er verlangte bedingungslosen Gehorsam. Doch June Madlow diskutierte gern. Sie stellte Entscheidungen infrage und wollte Begründungen hören. Das war definitiv nicht nach seinem Geschmack.
Nachdenklich ging er zur Bücherwand und holte einen dickleibigen Folianten aus dem Regal. Der war innen hohl und enthielt eine Flasche besten irischen Whiskeys sowie ein sauberes Glas. Brave Penny. Auf die war Verlass. War auch auf June Madlow Verlass?
Während er sich einen Drink eingoss, erinnerte er sich an eine Geschichte, die zu den gern kolportierten Legenden der CIA gehörte. Madlow hatte darin die Hauptrolle gespielt.
Mit eigens engagierten Escort-Girls hatte sie in Washington eine illustre Party organisiert und einige Pentagon-Mitarbeiter eingeladen – mit Wissen von Clark. Es war ihre Idee gewesen, ein Skandal, der den Verteidigungsminister zu Fall bringen sollte.
Anstatt aber die Party wie befohlen gleich anfangs zu sprengen, hatte sie eine wahre Orgie inszeniert. Erst danach hatte sie die Beamten des Ministers bloßgestellt. So hatte Clark gelassen zusehen können, wie der unliebsame Minister von den Medien abgeschossen wurde. Anschließend hatte er dafür gesorgt, dass Rodson den Posten bekam.
Clark trank einen kräftigen Schluck von seinem Whiskey und setzte sich wieder an den Schreibtisch. Die Aktion war ein voller Erfolg gewesen. Dennoch ärgerte ihn, dass June Madlow seine Anweisungen eigenmächtig übergangen hatte. Um sich von seinen aktuellen Problemen abzulenken, googelte er die Presseberichte von damals. Die Agentin selbst hatte die Fotos bei der Party mit ihrem Handy geschossen. Saftiges Bildmaterial, das umgehend an die Medien gegangen war.
»Durchtriebenes Weibsstück.« Clark grinste.
Das Klingeln des Tischtelefons riss ihn aus seinen Überlegungen.
»Was gibt’s, Penny? Ich sagte doch, dass ich nicht gestört werden will!«
»Eliston will Sie sprechen. Er sagt, es sei dringend.«
»Also gut, schicken Sie ihn rein.«
Entnervt klickte Clark die Skandalfotos weg. Immer wenn Eliston auftauchte, bedeutete das schlechte Nachrichten.
Eine Minute später betrat Eliston den Raum. Er war wieder einmal auffallend elegant gekleidet, vermutlich ein Maßanzug. Perfekt geschnitten, und der dunkelgraue Stoff hatte einen edlen Schimmer. Clark verachtete ihn dafür. Dies war immerhin die CIA, kein Laufsteg.
Eliston war sichtlich aufgeregt. »Sir! Wir haben das FBI soeben über einen Angriff von drei Hackern auf die Bank of America benachrichtigt. Sie wurden in Los Angeles und New York verhaftet. Sollen wir uns beim Verhör zuschalten?«
Clark zog eine Grimasse.
»Fragen Sie das bitte den Einsatzleiter: Sie sehen doch, dass ich zu tun habe«, blaffte er seinen Stellvertreter an.
»Sir, es sind jene Anonymous, die versucht haben, sich in das Weiße Haus zu hacken.«
Grimmig ballte Clark die Fäuste. Verdammt, die Einschläge kamen näher. June Madlow musste diesen Arnström so rasch wie möglich umdrehen.