KAPITEL 26

NEW YORK CITY – GEHEIME AUSSENSTELLE DER CIA

Clarks Jet war pünktlich in New York gelandet. Während des Flugs hatten Strieber und zwei seiner Verbündeten aus Europa versucht, ihn telefonisch zu erreichen. Doch Clark hatte die Anrufe seelenruhig weggeklickt und sich mit dem Beratungsausschuss des Geheimdienstes abgestimmt. Schon für den nächsten Tag waren weltweite Einsätze gegen Anonymous geplant.

»Wir kriegen euch, ihr Bastarde«, murmelte er, als er aus dem Jet stieg. Jetzt musste er nur aufpassen, dass er kein Detail übersah. Das geheime Büro der CIA in New York hatte lange im Haus 7 des World Trade Center gelegen. Nach den Anschlägen des 11. September 2001 war man auf einen unscheinbaren Bürokomplex in der 45. Straße ausgewichen, ganz in der Nähe der UNO. Nichts ließ erkennen, wer hier wirklich residierte. Auf den polierten Messingschildern neben dem Eingang standen Dienststellen des Außenministeriums.

Während Clark mit dem Aufzug in den vierten Stock fuhr, ging er in Gedanken noch einmal den Ablaufplan durch. Madlow und Arnström würden nach ihrer Ankunft direkt ins Mandarin Hotel in der 60. Straße eskortiert werden. Bis spät in die Nacht hatten dort die besten IT-Experten der Welt konferiert und die neuesten Sicherheitskonzepte erörtert. Es waren nur Schattenspiele gegen das, was wirklich notwendig war, Beruhigungspillen für Unternehmer und Politiker, die noch nicht begriffen hatten, wie bedroht ihre sensible digitale Welt wirklich war. Am kommenden Tag würden Miles und seine Kollegen neueste Erkenntnisse über die Computerkriminalität vortragen. Der CIA-Chef spielte auf Zeit. Vorerst ging es um Schadensbegrenzung. Dann aber würde er zuschlagen.

Penny saß schon im Vorraum, als Clark gegen 17 Uhr nach einem kurzen Abstecher zum Essen sein New Yorker Büro betrat.

»Bestellen Sie für heute Abend um neun einen Tisch für drei Personen im Per Se«, ordnete Clark an und gähnte. »Und sagen Sie dem Kellner, dass wir ungestört sein wollen, er weiß schon, was gemeint ist.«

»Jawohl, Sir.« Die Sekretärin griff sofort zum Telefonhörer.

Wenigstens auf Penny ist Verlass, dachte Clark. Das war aber auch das Einzige, was hier rundlief. Schon während des Fluges war er einmal ausgerastet und hatte Miles in Grund und Boden gebrüllt, als der ihm mitteilte, dass er das Programm ohne Hilfe tatsächlich erst in einigen Wochen von den Servern entfernen könnte.

Manchmal überlegte er, ob es ein Fehler gewesen war, Eliston nicht daran zu hindern, Miles als neuen Leiter der Operation Mindvision zu engagieren. Er hätte sich einen eigenen Kandidaten suchen sollen. Die Tatsache, dass er selber zu wenig Wissen hatte, um dessen Arbeit als Informatiker zu beurteilen, nagte an seiner sonst allumfassenden Sicherheit. Das war sein einziger schwacher Punkt und ein riskanter dazu. Wenigstens könnte seine Idee, die Kooperation zwischen der CIA und Google auszuweiten, aufgehen. Vielleicht würde die Firma Recorded Future helfen, die Prognosefähigkeit von Mindvision noch zu verbessern. Zwanzig Millionen Dollar waren das wert, fand der CIA-Chef.

Das Büro nutzte Clark nur einmal im Monat. Es war mit einem Schreibtisch im Kolonialstil und ebensolchen antiken Schränken ausgestattet. Ansonsten hingen ein paar Fotos der Manhattan Skyline an den grün-weiß gemusterten Tapeten. Das Gebäude war beim Einzug nicht einmal renoviert worden. Es hatte den Touch der Achtzigerjahre.

Ächzend setzte sich Clark und checkte die Nachrichten. Sofort rutschte seine ohnehin schlechte Laune noch weiter in den Keller. Die Vernetzung der weltweit protestierenden Massen nahm langsam beängstigende Züge an. In den wichtigsten Industrieländern begannen die Demonstranten, Finanzinstitute und große Unternehmen mit Sitzblockaden von der Außenwelt abzuschneiden. Mitarbeiter und Kunden kamen weder hinein noch hinaus. Allein in London hatte man Tausende Polizisten eingesetzt, die mühsam die Blockierer von den Straßen trugen.

Mit zusammengekniffenen Augen las er weitere Berichte der Nachrichtenportale. Die allgemeine Verschärfung des Demonstrationsrechts wurde flächendeckend ignoriert. In Italien waren in der Nacht zuvor sechs Demonstranten erschossen worden, nachdem sie mehrere Finanzämter mit Molotowcock- tails in Brand gesetzt hatten. Die Kampagnen der Occupy-Bewegung im Netz hatten sichtlich Wirkung gezeigt. Doch die überwiegende Masse der Menschen blieb friedlich und ließ sich nicht zu Gewalt hinreißen. Strieber hatte recht. Friedliche Massen konnte man nicht einfach wegsperren, jedenfalls nicht auf herkömmliche Weise und nicht unter den bisherigen Bedingungen.

»Was für ein verdammter Schlamassel. Es wird Zeit für einen alten Plan, mein lieber Norris!«

Ungehalten sah Clark zur Tür. Sie öffnete sich, ohne dass jemand geklopft hatte. Es war Lou Strieber. Der Lobbyist wirkte nicht so selbstsicher wie sonst. Er hatte einen knallroten Kopf. Er schien förmlich auseinanderzufallen.

»Wieso gehen Sie nicht ans Telefon? Herrgott, da draußen ist die Hölle los!«

Auch wenn Clark ihm beipflichten musste, weidete er sich an der Panik des Diplomaten der Finanzoligarchie. Letztlich bekam Strieber jetzt die Quittung für die Gier, mit der die Banken weltweit die Staatsverschuldung vorangetrieben hatten.

»Jetzt mal ganz ruhig, Lou. Setzen Sie sich. Was sollen wir denn Ihrer Meinung nach tun?«

»Wir müssen die Sitzung in London vorziehen«, japste Strieber, während er sich in einen Sessel fallen ließ. »Die Sache entgleitet uns. Polizei und Militär sind nicht mehr fähig, die Lage unter Kontrolle zu halten.«

»Stimmt. Und was erwarten Sie von uns?«

»Wir brauchen Ihre Dienste wohl etwas zügiger, als geplant. Was ist mit Ihren Geheimprojekten? Was ist mit Mindvision? Himmel, so tun Sie doch was!«

Clark war sich seiner Rolle als Söldner stets bewusst gewesen. Er schaffte den Müll dieser einflussreichen Männer weg. Und das war nicht immer leicht. Nur in einer Sache waren sich alle einig: Die Zukunft konnte nicht irgendwelchen Träumern überlassen werden. Nach den letzten geheimen Treffen von Managern multinationaler Unternehmen aus den entscheidenden Bereichen der Welternährung, der Energieversorgung und der Finanzindustrie, die in der Öffentlichkeit so gut wie unbekannt waren, schickten sie Terrier wie Strieber nach Brüssel, London, Berlin oder Washington, um die Politiker auf Linie zu bringen. Aber nichts ging schnell genug. Diese Männer hatten keine Geduld mehr mit dem Mob, der alles zum Erliegen brachte. Sie wollten ein Ende dieser Lähmung ihrer Geschäftsinteressen, egal um welchen Preis.

»Was ist los, gehen Ihnen langsam die Ideen aus?«, fragte der CIA-Chef sarkastisch.

Strieber legte ihm ein Papier auf den Tisch. Es trug das Siegel des Weißen Hauses. Schon nach den ersten Zeilen verdüsterte sich Clarks Miene.

Nach Einschätzung des Sicherheitsberaters John Forrest haben Anonymous durch Helfer in den Reihen der CIA und des NSA Zugang zu streng geheimen Datenbanken. Die Frage sei nicht, ob diese Informationen veröffentlicht würden, sondern nur, zu welchem Zeitpunkt. Sicher sei außerdem, dass die Zugangsdaten von Insidern stammten, die mit der Administration der Systeme betraut sind.

Mit weit aufgerissenen Augen stand Strieber vor dem CIA-Direktor. »Ich habe es Ihnen prophezeit, Clark! Anonymous sind keineswegs so hierarchiefrei, wie viele behaupten. Sie wählen zwar keinen Anführer, aber offenbar gibt es Spitzenleute, die die Organisation bedienen.« Er setzte sich wieder und schlug mit der rechten Hand auf die Armlehne des Sessels. »Wer weiß schon, wer in Wirklichkeit dahintersteckt.«

Jetzt bekam Clark wieder Oberwasser. Er hatte einen Trumpf im Ärmel – Torben Arnström. Vorausgesetzt natürlich, dass dieser kleine Terrorist endlich umschwenkte.

»Tja, Lou«, sagte er, jedes seiner Worte auskostend, »ich habe jemanden, der uns heute noch zu einem der Anführer bringt. Und was die Bedrohungslage angeht – wir haben gestern in allen relevanten Behörden das neue RSA-Verschlüsselungssystem installiert. Die Passwörter werden im Sekundentakt durch einen unabhängigen Algorithmus verändert. Das macht es unmöglich, sie zu knacken.«

Lou Strieber schien das nicht zu beeindrucken. Im Gegenteil. Er atmete schwer und rückte auch schon mit der nächsten Hiobsbotschaft heraus.

»Das wird uns nicht mehr helfen. Wir stehen kurz davor, die Hoheit über die öffentliche Meinung zu verlieren. Was aber weit katastrophaler ist: Die Stimmung bei den Politikern kippt, allen voran beim Präsidenten. In zehn Tagen will er auf dem vertraulichen G20-Gipfel die Verstaatlichung der FED und anderer wichtiger Banken bekannt geben.«

Im Grunde hatte Clark diesen Schritt erwartet. In den letzten Monaten hatte die FED zunehmend in der Kritik gestanden. Sie hatte ihr Rettungspaket für den Finanzsektor großzügiger geschnürt, als offiziell zugegeben. Statt der verlautbarten 700 Milliarden Dollar hatte sie inzwischen vier Billionen Dollar verliehen. Ähnliche Gerüchte kursierten bereits über die Europäische Zentralbank, die unlängst in atemberaubendem Ausmaß die Gelddruckmaschine angeworfen hatte und Staatsanleihen aufkaufte, um die Märkte zu kontrollieren. Das brachte die Währungen an den Rand des Kollapses. Nur die Bindung des Dollars an den Ölpreis verhinderte noch den totalen Zusammenbruch. Die Drohung einer Klage durch den Präsidenten beeindruckte die FED herzlich wenig. Sie weigerte sich strikt, zu offenbaren, wer das Geld des amerikanischen Steuerzahlers bekommen hatte.

Clark wusste, dass im Internet darüber die wildesten Verschwörungstheorien kursierten und dass der Präsident zum Gespött werden würde, wenn er nicht durchgriff.

Ungeduldig wartete Strieber auf eine Reaktion Clarks, der sich bemühte, seine Fassung zu bewahren.

»Das ist Politik, Lou«, winkte er ab. »Damit haben wir nichts zu tun. Was das Internet angeht, halten wir in wenigen Tagen alle Fäden in der Hand. Der Rest ist Ihre Party.«

Zweifelnd hörte Lou Strieber dem CIA-Chef zu. Er schien zu spüren, dass bei Clark nicht alles so gut lief, wie sein selbstgefälliges Verhalten es vorgab.

»Hören Sie zu«, sagte er, seine Stimme dämpfend. »Wir haben Sie nicht auf diesen Stuhl gesetzt, damit Sie schalten und walten, wie Sie wollen. Machen Sie Ihren Job und servieren Sie uns diese Systemfeinde auf dem Silbertablett. Falls Sie versagen …«

Er ließ die letzten Worte in der Luft hängen.

»Was dann?«

Strieber beschränkte sich darauf, die flache Hand an die Kehle zu führen. Eine unmissverständliche Warnung.

»In London wollen wir eine globale Strategie sehen, wie Sie das Netz ohne Aufsehen säubern und zensieren. Wir haben Milliarden in das Projekt gesteckt. Also zeigen Sie endlich, was Sie können.«

Wie erstarrt hatte Clark zugehört. Noch nie hatte Strieber derart die Maske fallen lassen. Zum ersten Mal wurde Clark bewusst, dass seine Position an einem seidenen Faden hing. Jetzt musste er Terrain zurückgewinnen. Auch wenn er dabei die Hosen runterlassen musste. Mit beiden Händen rieb er sich das müde Gesicht.

»Was ich Ihnen jetzt sage, wird Sie vermutlich noch mehr beunruhigen. Wir haben ein ernstes Sicherheitsproblem, das sich auf Mindvision auswirkt. Doch ich bin dabei, es zu lösen.«

Schweißperlen traten auf Striebers gelblich blasse Stirn.

»Was soll das heißen?«

Clark holte aus seiner Top-Secret-Mappe ein paar Skizzen hervor. »Erkläre ich Ihnen später, aber zumindest haben wir für den entfesselten Mob eine vorübergehende Lösung.«

Er stand auf und reichte Strieber die Blätter. »Mit diesem Gerät können wir große Menschenmengen in Angst und Schrecken versetzen, sodass sie ohne weitere Anwendung von Gewalt das Gebiet verlassen. Ganz so, wie wir es im Augenblick brauchen.«

Strieber studierte kurz die Skizzen und verzog das Gesicht. »Das ist doch Blödsinn. Wie soll das funktionieren?«

Der ewig zweifelnde, aber alles fordernde Lobbyist, dachte Clark und verdrehte die Augen.

»Wir sind in einer Woche in einer völlig neuen Situation, glauben Sie mir. Auch, was das G20-Treffen betrifft.«

Ein feines Lächeln glitt über das Gesicht des Lobbyisten.

»Handelt es sich bei diesen Skizzen um das Projekt EBI?«

Clark fuhr zusammen. »Woher …«

»Nun, Eliston hat mich gestern über diese delikate, aber durchaus praktikable Lösung informiert.« Er machte es sich demonstrativ gelassen in seinem Sessel bequem.

Eliston also! Dieser miese Verräter! Clark war außer sich. Dieses Waffensystem unterlag absoluter Geheimhaltung. Nur sein Stellvertreter hatte Zugang zu dem Dossier. Mit diesem Vertrauensbruch hatte er eine Grenze überschritten. Das sollte er bitter bereuen.

»Das Projekt ist nicht ausgereift«, grummelte Clark, wohl wissend, dass Orlando kurz vor dem Ziel war.

»Da hatte ich aber einen ganz anderen Eindruck.« Strieber erhob sich. »Vielleicht ist es Zeit für einen Generationswechsel beim CIA, finden Sie nicht auch, Roy?«

Zeit für einen Generationswechsel. Die Worte gellten in Clarks Ohren. Innerlich brodelte es in ihm. Er stand auf und trat ans Fenster.

»Das Spiel ist noch nicht vorbei, Lou«, murmelte er bissig.

June Madlow hatte Torben nach der Landung in die Obhut zweier Agenten gegeben, jetzt war sie auf dem Weg in Clarks New Yorker Büro. Danach würde Arnström mit Fakten konfrontiert werden, die seine Sicht der Dinge verändern sollten. June glaubte nicht wirklich daran, dass dies gelingen würde. Arnström war ein Überzeugungstäter, und er hatte gute Argumente, wie sie sich eingestand. Einen Agenten aber konnte sie beim besten Willen nicht in diesem Milchgesicht erkennen.

Sie zog einen Handspiegel aus ihrer Tasche und überprüfte ihr Make-up. Im Hotel hatte sie den Overall gegen ein schwarzes Kostüm vertauscht, darunter trug sie eine schneeweiße Bluse. Ihr Haar hatte sie zu einem Knoten hochgebunden.

Nach einer halben Stunde Fahrt hielt das Taxi kurz vor 18 Uhr vor dem unauffälligen Bürogebäude in der 45. Straße. Während June ausstieg, dachte sie immer noch über Torben Arnström nach. Sie glaubte ihm seine Geschichte. Außerdem – wenn er einer der üblichen Aktivisten gewesen wäre, hätte er seine Recherchen längst ohne Bedenken im Netz veröffentlicht.

Am Eingang musste die Agentin zwei bulligen Sicherheitsbeamten in schwarzen Uniformen ihren elektronischen Ausweis vorlegen. »Sie werden bereits erwartet«, sagte einer von ihnen.

»Ach wirklich? Erzähl mir was Neues, Dickerchen.« Ihr breites Grinsen konnte der Beamte nur verkrampft erwidern.

Als sich der Aufzug zu Clarks Flur öffnete, hörte sie schon von Weitem die knarrende Stimme ihres Chefs. Im Gegensatz zu den Büros in der Zentrale der CIA waren die Türen hier zwar von innen mit Lederpolstern isoliert, aber nicht schalldicht.

Langsam ging sie den Flur entlang, den ein paar Bilder des Pentagons und des Weißen Hauses zierten. Was hatte Clark mit Arnström vor? Was, wenn Arnström sich nicht umstimmen ließ? Diese Fragen gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf.

Vor Clarks Büro blieb sie unwillkürlich stehen. Nun hörte sie die Stimme des CIA-Direktors klar und deutlich.

»Wegen dieses verdammten Nerds steht die ganze Operation infrage. Er könnte uns sogar enttarnen. Aber mit dem werde ich fertig, glauben Sie mir. Er wäre nicht der Erste, den ich auf meine Art überzeuge.«

Sie erstarrte. Arnström war also zum Abschuss freigegeben, wenn er nicht kooperierte. Widerstrebend spürte sie, dass sie den kleinen schwedischen Hacker irgendwie mochte.

Eine zweite Stimme antwortete so leise, dass sie nichts verstand. Dann dröhnte Clark wieder los.

»Missbrauchen Sie nie wieder mein Vertrauen, Lou! Ich habe einigen Einfluss und ich kann Ihnen empfindlich schaden!«

Ein Mitarbeiter lief an ihr vorbei, deshalb konnte sie unmöglich länger herumstehen und die Ohren spitzen. Sie klopfte an die Tür. Schlagartig wurde es mucksmäuschenstill. Die Tür wurde aufgerissen. Ein kleiner Mann mit hochrotem Gesicht stürzte ihr entgegen.

Geschickt wich June ihm aus. Dann betrat sie den Raum.

Clark wirkte aufgewühlt. Als er die Agentin sah, nickte er ihr nur kurz zu und setzte sich hinter seinen massiven Tisch.

»Braucht der Typ ein Valium?«

»Besser eine Giftspritze«, grollte Clark. »Was haben Sie für mich?«

»Nicht viel.« Sie nahm ungefragt in einem Sessel Platz und strich ihren Rock glatt. »Dieser Arnström ist nichts weiter als ein Mix aus Paranoia und Halbwissen. Er quatscht das gleiche Zeug wie die Netzlobby.«

Angespannt legte Clark seine Arme auf den Tisch und beugte sich vor. »Weiß er, was ihm droht?«

»Vermutlich schon. Ich werde ihn vor dem Essen weiter bearbeiten. Aber es kann sein, dass Norris ihn auf halber Strecke aufgegeben hat. Wenn es stimmt, was er sagt, hat er keinen Schimmer, worauf er angesetzt werden sollte.«

»Unterschätzen Sie ihn nicht. Der ist nicht so einfältig, wie er tut. Die Lage spitzt sich zu. Ich muss den Sack heute Abend zumachen. Danach bringen Sie ihn zurück nach Whitestar. Jetzt sollten Sie zu der Konferenz fahren und sehen, wie er sich macht. Ich habe noch etwas zu erledigen, und Sie kommen um 21 Uhr ins Per Se. Ich versuche, rechtzeitig dort zu sein.«

June Madlow stand auf. »Bin schon unterwegs.«

Sie ging hinaus und zog die Tür leise ins Schloss. Einige Gänge weiter suchte sie vergeblich einen Raum mit einem freien Rechner. Schließlich fand sie ein offenes Büro, in dem eine unscheinbare junge Sekretärin in einer Zeitschrift blätterte. June legte ein kollegiales Lächeln auf.

»Hallo, könnte ich kurz an Ihren Rechner? Ich habe mein Smartphone im Hotel liegen lassen und muss dringend einen Flug buchen.« Sie zwinkerte der jungen Frau verschwörerisch zu. »Sonst wird nichts aus dem Urlaub mit meinem neuen Freund.«

Die Sekretärin lächelte verständnisvoll.

»Aber sicher, Agent …«

»… Madlow, June Madlow.«

Hastig räumte die Sekretärin ein paar Unterlagen zusammen und schnappte sich ihre Handtasche. »Ich wollte sowieso eine Pause machen. Bedienen Sie sich. Und viel Glück mit dem neuen Lover.«

»Vielen Dank. Wir Frauen müssen zusammenhalten, stimmt’s?«

Die Sekretärin nickte, dann verabschiedete sie sich mit einem fröhlichen Winken.

Sofort öffnete June den internen Browser und gab eine Adresse sowie ein Passwort ein. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich Informationen verschaffte, die ihr in ihrer Geheimhaltungsstufe eigentlich nicht erlaubt waren. Das Passwort hatte sie Eliston in einer schwachen Minute abgeschwatzt. Seither trieb sie sich regelmäßig auf verbotenen Seiten herum.

Schnell hatte sie das Dossier über Torben Arnström gefunden. Im Eiltempo klickte sie es durch. Es enthielt keinerlei Hinweise auf eine einschlägige Ausbildung, nichts, was auf eine subversive Laufbahn hindeutete. Andererseits wusste sie, dass zuweilen Leute in die Fänge der Geheimdienste gerieten, ohne es zu ahnen. Dann wurden sie von den Agenten als Kanonenfutter missbraucht, um die eigene Tarnung zu schützen.

Ratlos las sie das Dossier noch einmal durch. Dann öffnete sie die Datenbank der CIA und suchte in den Personalakten nach Peter Norris. Doch sie fand nichts. Die Datei war entweder gelöscht oder sogar für Eliston gesperrt worden. Hier lief sie vor eine Wand. Aber nichts war unwiderstehlicher für June Madlow als Geheimnisse, die man ihr vorenthalten wollte.