I

Die Sekretärin verschwand endlich mit dem Tablett aus der Lounge, er war mit Benzon allein. Etwas bedrückte den Dänen. Lorenz wartete gespannt darauf, dass er mit der Sprache rausrückte. Wie Chauvin in Frankreich, so war Ole Benzon in Dänemark ein treuer Abnehmer der Sömmerdaer Erzeugnisse. Eigentlich ein Viehhändler, der sich auf das lukrative Geschäft mit den Ostdeutschen verlegt hatte. Die stellten keine schlechten Sachen her, mussten aber aufgrund ihrer Situation hohe Abschläge bei den Preisen hinnehmen. Benzon war beweglich nach allen Seiten. Konnte einer seiner Kunden in Kopenhagen für eine Fakturiermaschine nicht sofort zahlen, nahm er auch ein paar Kisten guten Rotweins in Zahlung. Wenn er in Sömmerda mit dem «Volvo» vorfuhr, hatte er immer den Kofferraum voller schöner Dinge.

Sein Verhältnis zum Osten Deutschlands war ein besonderes: Seine junge Frau kam aus Ostberlin. Für den devisenhungrigen Arbeiter-und-Bauern-Staat wickelte er allerlei Nebengeschäfte mit Schweinehälften und Butterbergen ab. Immer dann, wenn das Fleisch knapp war und die Arbeiter in ihrem Paradies zu murren begannen, war Benzon mit einer schnellen Lieferung zur Stelle. Es hieß, die DDR zeige sich ihrerseits erkenntlich und bewahre den umtriebigen Geschäftsmann vor dem Bankrott. Lorenz schaute den Mann mit der Zigarre fragend an; von dessen «Cohiba» wusste man nie genau, ob sie nicht schon seit Tagen kalt war.

«Herr Benzon, was ist los? Haben Sie etwas auf dem Herzen? Kann ich etwas tun?»

«Das ist schön, dass Sie es ansprechen. Aber ich glaube, es ist genau umgekehrt, vielleicht kann ich Ihnen behilflich sein.»

«Schießen Sie los, was ist?»

«Sie wissen doch, dass die Generalvertreter am Abend vor der Leipziger Messe in Auerbachs Keller sitzen.»

«Gab es Ärger? Hat man Sie schlecht behandelt?»

«Nein. Die Klöße waren ausgezeichnet. Das Gespräch nicht.»

«Sie spannen mich auf die Folter.»

«Es ging um die Preise für die Rechenmaschinen.»

«Die Preise? Was ist damit? Ich glaube, die sind fair. Vergleicht man sie mit den anderen, sogar sehr fair.»

«Das sehen nicht alle so. Die Herren haben gestern beschlossen, einen kräftigen Nachlass zu fordern.»

«Das klingt ärgerlich.»

«Ihr Landsmann aus dem Westen, der aus Frankfurt, führt das große Wort.»

«Und was meinen Sie?»

«Ich bin an dauerhaft guten Geschäften mit Ihnen interessiert. Wenn ich die Materialkosten und die Entwicklung auf dem Markt einrechne, dann glaube ich nicht, dass Ihre Preise überzogen sind.»

«Danke für Ihre Offenheit. Und danke für die Warnung. Wie viel weniger soll es sein?»

«25 Prozent.»

Lorenz pfiff leise.

«Diese Rechnung würde bedeuten, dass wir noch drauflegen müssten.»

Als man am nächsten Mittag im Kreis der Händler aus dem «nicht-sozialistischen Wirtschaftsgebiet» im «Thüringer Hof» versammelt saß, hob Lorenz zur Begrüßung das Glas:

«Meine Herren, ich freue mich, dass Sie meiner Einladung vollzählig gefolgt sind. Dieses Treffen einmal im Jahr ist eine gute Tradition, die hilft, unsere fruchtbaren Beziehungen über die Grenzen hinweg zum Wohl aller Beteiligten zu vertiefen. Leider ist unser Treffen überschattet von einer unübersehbaren Zuspitzung der Weltlage, die nicht nur uns alle beunruhigt, sondern sich auch negativ auf die Handelsbeziehungen zwischen den Ländern niederschlägt. Wohin man schaut, Embargos, steigende Rohstoffpreise, Säbelrasseln. All das führt dazu, dass selbst wir die moderaten Preise für unsere hochwertigen Erzeugnisse anpassen müssen: Ich glaube, eine 25-prozentige Anhebung der Preise für unsere Maschinen ist überfällig. Auf Ihr Wohl und auf gute Abschlüsse in Leipzig!»

Als Lorenz getrunken hatte, schaute er sich um. Doch keiner folgte seinem Beispiel. Wie vom Donner gerührt standen die Vertreter um den Tisch, die Gläser noch in der Hand.

«Ist etwas mit dem Kognak, Monsieur Chauvin, Sie trinken doch den armenischen besonders gern?»

Der Franzose rollte nur die Augen und schaute hilfesuchend zum Händler aus Frankfurt. Der Mann von der Firma Dasch hatte als Erster die Fassung wieder. Er setzte sein Glas ab, schaute zu Lorenz und wiederholte:

«25 Prozent mehr? Das kann nicht Ihr Ernst sein. Das bekommen Sie nie durch. Keinen Pfennig mehr!»

«Nicht mein Ernst? Aber Sie wissen doch, dass ich Ihre analytischen Kenntnisse sehr schätze. 25 Prozent ist natürlich das, was mir meine Experten aufgeschrieben haben. Es wäre schön, wenn wir uns darauf einigen könnten, doch wir sind ja nicht im Wunschkonzert. Ich weiß, dass auch Sie hart an unserem gemeinsamen Erfolg arbeiten. Natürlich würden wir die Maschinen mit Handkuss in Osteuropa los. Für den Bedarf allein in der Sowjetunion reichen selbst hundert Prozent unserer Kapazitäten nicht aus. Sie würden sich sicher eine solche Gelegenheit nicht entgehen lassen, aber wir wissen, dass der Handel nicht nur ein Geschäft ist. Vor allem hier in der Mitte Europas. Ich höre mir Ihre Vorschläge gern an.»

Es folgte eine lange Pause.

«25 Prozent ist völliger Unsinn!»

«Sie ’aben wohl viel zu viel von diesem ’errlischen Kognak getrunken?»

«25 Prozent weniger», brummte Benzon über den Tisch, womit er keinen Zweifel aufkommen ließ, auf welcher Seite er stand.

«Aber meine Herren, wir produzieren doch keinen Schrott. Sie wissen so gut wie ich, dass unsere Rechner, würden sie aus Düsseldorf kommen, das Doppelte kosten müssten. Sie widersprechen mir nicht? Das ist schon mal gut. Es ist deutsche Wertarbeit. Die hat ihren Preis. Und nun lassen Sie uns vernünftig miteinander reden.»

In dem folgenden Durcheinander konnte man nur eines heraushören: Die am Vorabend geschmiedete Front bröckelte. Benzon gab noch eine ganze Zeit lang den Bockbeinigen, bis er um eine Auszeit bat. Es folgte der Auszug der Vertreter, die sich in einem Nebenraum besprechen wollten. Das wiederholte sich zweimal. Schließlich endete das Treffen unter Vermittlung des Dänen mit einer moderaten Erhöhung von zwölf Prozent, und als sie am Nachmittag den «Thüringer Hof» verließen, hatten die meisten so viel getankt, dass sie sich schnurstracks ins Hotel fahren ließen.

Benzon hatte richtig kalkuliert. Er war der Einzige, für den die Preiserhöhung nicht galt.

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters
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