II

Lorenz kam von einer abenteuerlichen Fahrt nach Chalmer-Ju zurück, einer Siedlung sechzig Kilometer nördlich von Workuta, fast an der Karasee. Drei Tage war er unterwegs gewesen. Der Kalender zeigte Frühling, doch vom Eismeer wehte ein heftiger Schneesturm herein. Die Tundra lag wieder in Weiß. Die Blüten des Polarmohns zitterten im Wind. Mit der Draisine war es erst bis zu jener unwirtlichen Siedlung gegangen, in der es aber immerhin einen Kohleschacht gab, dann weiter mit Pferden. Auf der Basisstation am «Toten Fluss» hatten die Geologen zum wiederholten Mal und sehr zu Lorenz’ Verdruss die Bohranlage abgewürgt. Er musste versuchen, sie in der Wildnis wieder in Gang zu bringen.

Die neue Aufgabe als Hauptmechaniker der geologischen Expedition, deren Hunderte Mitarbeiter in der Region verstreut nach Öl, Gold und seltenen Mineralien suchten, interessierte ihn mehr als die Arbeit im Baustoffwerk. Doch er spürte die Strapazen der Wildnis, seine Kräfte hatten nachgelassen. Jetzt war er hundemüde. Dennoch schaute er im Hauptquartier vorbei, um mitzuteilen, dass alles wieder in Ordnung sei. Er stutzte, auf seinem Schreibtisch lag ein Zettel. Noch an diesem Nachmittag sollte er sich in der KGB-Zentrale melden, Hauptmann Moskin wünsche ihn zu sprechen.

Sofort verflog alle Müdigkeit. Die Angst war sofort wieder da. Der KGB blieb wie der NKWD unberechenbar und allgegenwärtig. Es waren immer noch fast hunderttausend Mann, die in den Lagern Workutas saßen, die Verbannten nicht mitgerechnet. Nach und nach verließen ganze Völkerschaften die Region. Die Polen waren schon fast alle weg. Auch die Deutschen hatte Adenauer den Russen abverhandelt. Nach menschlichem Ermessen musste Lorenz für sich und seine Familie die Ausreisepapiere in diesen Tagen erhalten. Ein entsprechender Ukas, ein Befehl Moskaus, sollte es jetzt endlich ermöglichen. Doch die Entscheidung verzögerte sich immer wieder.

Sicher, er war kein Kriegsverbrecher, kein Angehöriger der Wehrmacht, er hatte sich auch nicht an Gräueltaten beteiligt. Dann hätte er die Ausreisepapiere aus der Sowjetunion bestimmt längst. Nein, es war viel schlimmer, er war ein Politischer, ein Zeuge, und die blieben am besten dort, wo sie waren. So hatte das sowjetische Rote Kreuz, das pro forma mit den Formalitäten der Rückführung von Gefangenen betraut war, seinen Fall ablehnend beschieden. Für ihn sollte es keine Ausreise geben. In einem lapidaren Schreiben hieß es, aus sowjetischer Sicht sei das «nicht zielführend». Wieder setzte sich Lorenz hin, wieder schrieb er an Pieck, wieder bekam er von dem einstigen KPD-Chef und DDR-Präsidenten keine Antwort. Das Büro Pieck delegierte die lästige Angelegenheit an das ZK und ließ wissen, man wolle nicht mehr damit behelligt werden. Unmissverständlich schrieb ein Mitarbeiter: Man möge in der Angelegenheit entscheiden, was man wolle, eine Information an das Pieck-Büro sei nicht nötig.

Vier dürre Zeilen der Gleichgültigkeit. Was ging diese Menschen das Schicksal eines politischen Emigranten an? Und hätte Lorenz damals den Wisch in die Hand bekommen, so wäre vielleicht einiges anders gelaufen in seinem Leben. Statt Ostberlin hätte das Ziel seiner Bemühungen dann vielleicht doch Dortmund geheißen. Aber so hoffte er weiter auf seine Chance im neuen Deutschland und war davon überzeugt, dass er genau dort gebraucht würde. Ein paar Freunde, vor allem Horst Seydewitz, versuchten zu helfen. Horst hatte bald nach Kriegsende die Ausreiseerlaubnis erhalten. Sein Vater war inzwischen sächsischer Ministerpräsident, es machte keinen guten Eindruck, dass sein Sohn in einem russischen Lager festsaß. Seydewitz achtete vor allem darauf, dass die Anträge aus Workuta im ZK nicht einfach in der Ablage oder im Papierkorb einer Sachbearbeiterin landeten.

Wenn auch nur langsam, so kam doch Bewegung in die Sache. Eine vorsichtige Anfrage aus dem ZK der SED flatterte in Moskau auf den Tisch eines gewissen Juri Andropow, der sie nicht einfach zusammenknüllte, sondern sich tatsächlich mit dem Fall befasste. Andropow war gerade aus Budapest zurückgekehrt, wo er als sowjetischer Botschafter eine zentrale Rolle bei der Niederschlagung des ungarischen Aufstandes spielte. Jetzt hatte er, quasi zur Belohnung, einen ruhigen Posten in Moskau abbekommen. Noch konnte keiner ahnen, dass er in der späten Sowjet-Ära die graue Eminenz im Kreml sein würde, als KGB-Chef, als Generalsekretär des ZK der KPdSU und einflussreicher Förderer eines gewissen Michail Gorbatschow.

Aber vorerst musste er sich mit weit weniger wichtigen Angelegenheiten plagen. Zum Beispiel mit diesem lästigen Deutschen aus Workuta. Der wollte so gar nicht in die üblichen Muster passen. Ein merkwürdiger Mensch. Zwanzig Jahre Arktis, der Mann konnte eigentlich froh sein, dass er überhaupt noch lebte, aber nein, er hatte offenbar von der Weltrevolution noch immer nicht die Nase voll. Er wollte partout in den Osten, obwohl er aus dem Westen stammte. So etwas erlebte man nicht oft. Was also tun? Die Genossen waren der Auffassung, zumindest ging das aus den Papieren hervor, so einen könne man nicht gehen lassen. Der solle schön im Sowjetland bleiben, sonst komme er noch auf dumme Gedanken. Dazu ein Journalist. Das machte die Entscheidung nicht einfacher. Man hatte diesen Lochthofen zwar rehabilitiert, aber das stand nur auf dem Papier. Ein «Ehemaliger» blieb für die einschlägigen Behörden, vor allem aber für Partei und KGB, immer ein «Ehemaliger». Andererseits, was sollte schon passieren? In der DDR hatte man alles im Griff. Der brauchte nur einen Mucks zu tun, schon saß er wieder in seiner alten Baracke.

Andropow diktierte der Sekretärin:

 

«An die Kommission für Ausreisen ins Ausland beim ZK der KPdSU
 
Das Zentralkomitee der SED (Gen. Ulbricht) hat sich mit der Bitte an das ZK der KPdSU gewandt, dabei behilflich zu sein, Lorenz Lochthofen gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern die Ausreise in die DDR zu genehmigen.
Lorenz Lochthofen ist Deutscher, geboren 1907, er kam 1930 in die UdSSR, ist Bürger der UdSSR und absolvierte die KUNMS, er wurde 1937 durch die Organe des NKWD in der Zeit seiner Arbeit in einer Zeitungsredaktion in der Republik der Wolgadeutschen verhaftet. Seine Strafe verbüßte er in der Stadt Workuta und wurde 1946 entlassen.
Bei der Beschäftigung mit den Akten von Lorenz Lochthofen und seiner Frau stellte sich heraus, dass der Vater der Frau – Alförow P. A., Geburtsjahr 1890, Gießer von Beruf – gleichfalls seine Strafe in Workuta von 1934 bis 1942 verbüßte und derzeit Rentner ist. Aus diesem Grund hält das Komitee für Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR eine Ausreise der Familie Lochthofen für nicht empfehlenswert.
Elena Pawlowna Alförowa-Lochthofen ist 1926 geboren. Sie war acht Jahre, als ihr Vater verhaftet wurde und die Mutter starb. Nach der Beendigung der Schule und einer Berufsschule 1944 arbeitete sie in einem Schacht. Im gleichen Jahr fuhr sie zu ihrem Vater nach Workuta, der zu diesem Zeitpunkt seine Frist abgesessen hatte, und arbeitete als technische Zeichnerin auf dem Schacht Nr. 8. 1947 heiratete sie L. Lochthofen und bekam zwei Kinder.
Unter Berücksichtigung dessen, dass die Alförowa-Lochthofen ohne Vater und Mutter aufgewachsen ist, sie im Komsomol und in einer Berufsschule erzogen wurde, aber auch der Tatsache, dass ihr Vater als Rentner ihr keinerlei ernsthafte materielle Unterstützung bei der Erziehung der Kinder gewähren kann, falls Lorenz Lochthofen in die DDR allein ausreist, hält es das ZK für möglich, der Bitte des ZK der SED zu entsprechen, die Ausreise der Familie Lochthofen zum ständigen Wohnsitz in die DDR zu genehmigen.
Leiter der Abteilung des ZK der KPdSU für die Verbindungen mit kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder
J. Andropow»

 

Für ihn schien damit der Fall erledigt. Für einen Apparatschik hatte er eine ungewöhnliche Entscheidung getroffen. Doch «die Organe» spielten nicht mit. Mit fettem Rotstift schrieb der zuständige KGB-Mann quer über den Brief des ZK-Aufsteigers: «Es bedarf überhaupt keiner Antwort». Das hieß, der Ausreiseantrag war damit abgelehnt. Die Kommission für Ausreisefragen beim ZK der KPdSU schloss sich der Meinung des Geheimdienstes an und lehnte den Antrag Nr. 186-A/116 des Bürgers Lorenz Lochthofen auf Ausreise in die DDR samt Frau und Kindern gleichfalls ab. Ein gewisser Schechanow berichtete in der entscheidenden Sitzung Unerhörtes über diesen Lochthofen: «Der Antragsteller ist nicht nur in Dortmund geboren, sondern hat sogar Verwandte (Mutter und zwei Schwestern) in der BRD. Nicht genug, die Schwester seiner Frau, Nina Alförowa, lebt in England.»

Die Akte Lochthofen wurde auf Betreiben des KGB geschlossen.

Doch es blieb nicht dabei. Nicht antworten mochte in Moskau ein probates Mittel sein, lästigen Entscheidungen auszuweichen. In den Beziehungen über Ländergrenzen hinweg gelang das immer seltener, auch wenn von Souveränität der sozialistischen Bruderstaaten kaum die Rede sein konnte. Es kamen weitere Briefe aus Ostberlin, vorsichtig im Ton, aber klar in der Zielsetzung. Wieder wanderte die Mappe «Lochthofen» in Moskau von Tisch zu Tisch, ein ganzes Jahr lang.

 

Von all diesen Vorgängen wusste Lorenz nichts, aber er ahnte, dass die Einladung ins «schlaue Häuschen» etwas mit dem Ausreiseantrag zu tun haben musste. Bevor er die Wattejacke überstreifte, zog er ein Jackett an und band sich eine Krawatte um, dann machte er sich auf den Weg. Er wollte diesen Herrschaften auf Augenhöhe begegnen. Unterwegs wurde er von vielen Leuten gegrüßt. Nach Workutiner Maßstäben hatte er es zu etwas gebracht. Nicht umsonst suchte sein Schwiegervater ihn davon zu überzeugen, das mit der Heimreise nach Deutschland zu überdenken. Fast dreißig Jahre hatte Lorenz in Russland zugebracht. Inzwischen kannte er sich hier besser aus als zu Hause. Was ihn in Deutschland erwartete, wusste niemand.

Pawel Alexandrowitsch konnte sich nur schwer an den Gedanken gewöhnen, seine Tochter gehen zu lassen. Vor allem die Kinder würden ihm fehlen. Gewiss, nach Jahren der Ungewissheit gab es endlich auch Kontakt zu Nina. Die westdeutsche Verwandtschaft von Lorenz hatte ihre Spur gefunden. Nina war auf den verschlungenen Wegen des Krieges in London gelandet. Sie arbeitete als Krankenschwester in einem Hospital und dachte nicht daran, je in die Sowjetunion zurückzukehren. Nicht allein, weil es ihr in England besser ging. Sondern vor allem, weil Nina wusste, dass bei der Rückkehr auf sie nur eines wartete: das Lager. Zigtausenden, die aus deutscher Gefangenschaft oder von der Zwangsarbeit heimkehrten, erging es so. Sie, deren Vater Jahrzehnte in Gefängnissen und Lagern zugebracht hatte, konnte mit keinerlei Nachsicht der sowjetischen Behörden rechnen. Von vornherein stünde sie unter Verdacht. Spionin des Kapitals, Verräterin an der sowjetischen Sache – der Einfallsreichtum des Geheimdienstes kannte keine Grenzen. Was spielte es da schon für eine Rolle, dass man sie als junges Mädchen nach Deutschland verschleppt hatte, dass sie fast krepiert wäre. Nein, all das galt nichts. Der KGB witterte überall Beute. Nie wieder sollte Nina russischen Boden betreten.

Im «schlauen Häuschen» ging es zu wie immer. Jeder, der dorthin kam, wurde grundsätzlich wie Dreck behandelt. Eine geschlagene Stunde musste Lorenz in einem schmuddeligen Korridor warten. Den einzigen Stuhl hatte eine dicke Frau eingenommen, sie kontrollierte die Passierscheine. Er wollte nur in das Zimmer 124, dahin war er bestellt. Doch es rührte sich nichts. Der Sergeant an der Pforte hatte ihn telefonisch angekündigt und den Hinweis erhalten, der Besucher möge nicht unaufgefordert in das Zimmer eintreten. So musste er warten, ewig warten. Die Müdigkeit kehrte zurück. Lorenz wollte schon gehen, da sah er auf dem Gang einen Offizier kommen.

«Oh, da sind Sie ja, Lorenz Lorenzowitsch!», grüßte der Mann übertrieben höflich. «Darf ich mich vorstellen: Hauptmann Moskin.»

Er gab Lorenz die Hand. Als Lorenz kräftig zupackte, hörte der Hauptmann für einen Moment mit dem Lächeln auf. Doch schon hatte er die Kontrolle wiedergewonnen und schloss mit einem dicken Schlüsselbund klimpernd die Tür auf.

«Das ist ja wirklich schade. Ich habe die ganze Zeit in der 224 auf Sie gewartet und dachte schon, Sie seien aufgehalten worden.»

«Wieso 224?» Lorenz war außer sich. «Hier auf dem Zettel steht eindeutig 124. Sehen Sie?»

Der Major betrachtete interessiert das Papier.

«Da muss bei Ihnen jemand am Telefon etwas missverstanden haben. Und dann heißt es wieder, der KGB sei unhöflich. Aber kommen Sie doch. Das Zimmer ist gerade frei. Alles, was wir brauchen, habe ich in meiner Mappe. Möchten Sie Tee?»

Er wandte sich zu der Frau auf dem Stuhl:

«Mascha, wären Sie so freundlich, uns zwei Gläser Tee zu bringen.» Es erfolgte keine Reaktion. «Maschenka, Täubchen, tun Sie bitte, was ich sage. Und das mit den Passierscheinen, ich passe so lange auf, keine Sorge.»

Die Frau erhob sich und setzte sich in Bewegung. Moskin drehte sich zu Lorenz um und lächelte.

«Wissen Sie, Lorenz Lorenzowitsch, es gibt viele Menschen, die verstehen höfliche Umgangsformen nicht. Das ist nicht wie bei Ihnen in Deutschland. Du kannst so freundlich sein, wie du willst, sie sind unwillig und grob. Sehen Sie, eigentlich gibt es diese Arbeit, der Mascha nachgeht, überhaupt nicht. Es reicht, wenn jemand an der Pforte die Dokumente kontrolliert. Weil sie aber die Frau eines verstorbenen Genossen ist, haben wir sie untergebracht. Nun geht sie allen auf die Nerven. Und wenn man sie bittet, Tee zu holen, knurrt sie auch noch. Da soll man an das Gute im Menschen glauben.»

Lorenz hörte zu und fragte sich, worauf der Mann hinauswollte. Der Schlenker mit den höflichen Deutschen wäre noch vor Jahren undenkbar gewesen. Ohne Grund würde der Hauptmann einen solchen Ausfall gegen die eigenen Landsleute nicht riskieren. Moskin schwatzte und schwatzte, bis Mascha endlich mit zwei Gläsern heißen Tees hereinkam. Sie setzte sie mitten in die Papiere auf dem Schreibtisch ab, warf einige Stücke Zucker hinterher und wogte hinaus. Im Raum blieb ihr Maiglöckchenparfüm.

«Ach ja, beinahe hätte ich es vergessen. Wir haben da Post für Sie. Aus Moskau!»

Lorenz erfasste mit einem Blick, worum es sich handelte. Das Ministerium des Inneren hatte verfügt, dass seiner Ausreise und der seiner Familienangehörigen nichts mehr im Wege stand. Bis Ende Oktober 1958 sollten sie das Land verlassen haben. Des Weiteren wurde bestätigt, dass er auf Grundlage eines Beschlusses des Obersten Sowjets aus der Staatsbürgerschaft der UdSSR entlassen wird. Das war’s. Er schaute auf das langersehnte Stück Papier und war mit seinen Gedanken schon weit in der Zukunft, da holte ihn die Stimme des Hauptmanns zurück:

«Es steht also fest, dass Sie fahren.»

«Ja, ich glaube, es steht fest.»

«Nun können Sie aber auch glauben, dass man Sie dort nicht mit offenen Armen empfängt …»

Lorenz horchte auf.

«Ich denke, ich habe mich hier durchgesetzt, und das war nicht einfach. Ich werde auch dort nicht der Letzte sein …»

«Ja, Sie sind hier ein hochgeschätzter Mann. Aber es wird dort mit Sicherheit nicht leicht …»

«Natürlich nicht. Aber Sie haben mich doch nicht hierhergerufen, um mit mir über den schweren Anfang in der Heimat zu sprechen?»

«Verstehen Sie es nur richtig …»

«Was?»

Lorenz war sich sicher, dass es die beste Strategie für dieses Gespräch sei, so zu tun, als verstünde er rein gar nichts.

«Wir haben mit der DDR einen engen Kontakt, viele Freunde, die unter Umständen auch Ihnen behilflich sein könnten. Nicht nur Russen. Auch Deutsche. In wichtigen Positionen.»

«Das glaube ich Ihnen aufs Wort, dass Sie dort gute Freunde haben. Aber danke, ich komme schon zurecht.»

«Meinen Sie etwa, Sie bräuchten keine Hilfe?»

«Schon, aber ich erinnere mich gut, Sie und Ihre Kollegen haben mir schon einige Male im Leben auf Ihre ganz spezielle Weise geholfen. Ich glaube, ich verzichte in Zukunft lieber darauf.»

«Aber …»

«Abgesehen von der unumstrittenen Tatsache, dass ich nur dank Ihrer Hilfe überhaupt hier bin, erinnere ich mich gut daran, wie Ihre Genossen behilflich sein wollten, mich an die falsche Seite auszuliefern. Um genau zu sein, an die Gestapo.»

«Ausliefern? Das muss vor meiner Zeit gewesen sein. Ich dachte nicht, dass ein so kultivierter Mensch wie Sie so nachtragend sein könnte.»

«Nachtragend? Nein, nachtragend bin ich nicht. Aber ich vergesse nichts.»

«Sie müssen verstehen, solch eine Zusammenarbeit wäre für beide Seiten von Vorteil. Sie würden Informationen liefern», Moskin machte eine Pause, «und wir passen auf, dass Ihnen nichts passiert.»

Der KGB-Mann setzte ein breites Lächeln auf.

«Ich kann auf mich selbst aufpassen. Immerhin das habe ich in Workuta gelernt. Nein. Ein klares Nein.»

Lorenz ging zur Tür. Für ihn war das Gespräch beendet. Doch Moskin war schneller. Er legte seine Hand auf die Türklinke und fragte ernst:

«Glauben Sie etwa, dort gibt es keine Feinde? Und meinen Sie nicht, dass wir alles über die wissen müssten?»

«Das ist Ihre Arbeit. Meine ist eine andere. Von mir kriegen Sie keine Informationen. Sagen Sie das auch Ihren Kollegen, die schon dort sind.»

Lorenz drückte mit seiner Hand auf die von Moskin, die Tür sprang auf. Dem Hauptmann entgleisten die Gesichtszüge.

«Sie fahren also.»

«Ja, ich fahre.»

«Und Sie sind davon überzeugt, dass das Leben dort, in Deutschland, besser ist?»

«Ja, ich bin davon überzeugt.»

«Tja, da ist wohl nichts zu machen. Wie sagt doch unser großer Poet Puschkin: Es ist überall schön, wo wir nicht sind …»

«Sie sagen es!»

Mit weit ausholenden Schritten ging Lorenz aus dem Zimmer, er verzichtete darauf, auf Wiedersehen zu sagen. Auf dem Flur schaute die dicke Mascha für einen Moment hinter ihrer Zeitschrift hervor, er nickte ihr zu, aber sie drehte sich um, immer noch erbost, dass sie für so einen Tee holen musste. Lorenz sprang die Treppe hinunter, über den Hof, vorbei am Pförtner auf die Straße. Erst da blieb er stehen, holte tief Luft und schaute sich ein letztes Mal um.

«Es ist überall schön, wo sie nicht sind …»

Puschkin ist ein großer Poet.

Schwarzes Eis: Der Lebensroman meines Vaters
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