17
Blutgeruch hüllte ihn ein, beißend und metallisch. Das süße, kupferige Aroma flutete seine Nase. Zum Teil war es sein eigenes, wie er mit gedämpfter Neugier zur Kenntnis nahm. Er knurrte, als er die Schusswunde an seiner linken Schulter entdeckte.
Er spürte keinen Schmerz, nur die wachsende Energie, die ihn stets erfüllte, wenn er Nahrung zu sich genommen hatte.
Aber er wollte mehr.
Die Stimme der Bestie in ihm wurde lauter. Fordernder. Drängte ihn in Richtung der Grenze.
Andererseits – war er nicht ohnehin seit langer Zeit in diese Richtung gegangen?
Lucan biss die Zähne so fest zusammen, dass sie fast zerbrachen. Er musste sich zusammenreißen, musste so schnell wie möglich hier verschwinden und zum Quartier zurückkehren, wo er vielleicht in der Lage war, wieder zu sich zu finden.
Seit zwei Stunden streunte er durch die dunklen Straßen. Noch immer hämmerte das Blut hart in seinen Schläfen, Wut und Hunger beherrschten sein Bewusstsein fast ganz. In diesem Zustand bedeutete er Gefahr für alle und jeden, aber sein rastloser Körper kam einfach nicht zur Ruhe.
Er ging in der Stadt um wie ein Geist, bewegte sich, ohne bewusst zu denken, auch wenn seine Füße – alle seine Sinne – ihn zielstrebig zu Gabrielle lenkten.
Sie war nicht nach Hause gegangen, wie er es ihr gesagt hatte. Lucan war erst nicht sicher, wohin sie geflohen war, bis die unsichtbare Verknüpfung, die ihn durch Duft und Sinne mit ihr verband, ihn zu einem Wohnhaus am Nordende der Stadt führte. Bestimmt wohnte hier eine Freundin von ihr.
Licht drang aus einem Fenster im Obergeschoss, und er wusste, dass das bisschen Glas und Backstein alles war, was ihn von ihr trennte.
Aber er würde nicht versuchen, zu ihr zu gelangen. Nicht nur wegen des roten Mustangs mit dem Polizeilicht auf dem Armaturenbrett, der draußen parkte. Lucan brauchte sein Spiegelbild in der Windschutzscheibe nicht anzusehen, um zu wissen, dass die Pupillen im Zentrum seiner riesigen Iris noch immer Schlitze waren und seine Fangzähne aus seinen zusammengepressten Kiefern ragten.
Er sah ganz und gar nach dem Monster aus, das er war.
Das Monster, das Gabrielle heute Nacht mit eigenen Augen gesehen hatte.
Lucan ächzte, als er an ihre entsetzte Miene dachte. Immer wieder und wieder stand sie ihm vor Augen, seit er den Lakaien getötet hatte.
Er sah sie vor sich, wie sie zögernd einen Schritt zurückwich, die Augen vor Angst und Abscheu geweitet. Sie hatte ihn als das gesehen, was er wirklich war – hatte ihm sogar anklagend das Wort entgegengeschleudert, unmittelbar bevor sie die Flucht ergriff.
Er hatte sie nicht aufzuhalten versucht, weder mit Worten noch mit Gewalt.
Reine, rasende Wut hatte ihn erfasst und für nichts anderes mehr Platz gelassen, als er seine Beute aussaugte bis auf den letzten Tropfen. Dann ließ er den Körper fallen wie Müll, was er auch war. Der Gedanke, was Gabrielle hätte zustoßen können, wenn sie den Rogues in die Hände gefallen wäre, weckte aufs Neue seinen rasenden Zorn. Er wollte den Menschen in Stücke reißen – und beinahe hatte er das, wie er sich eingestehen musste. Nur ungern erinnerte er sich an sein blutiges Werk.
Er, der kühle Krieger mit der sagenhaften Selbstbeherrschung.
Was für ein beschissener Witz.
Seine sorgsam gehütete Maske hatte schon zu bröckeln angefangen, als er Gabrielle Maxwell begegnete. Sie machte ihn weich, entblößte seine Schwächen.
Brachte ihn dazu, das zu wollen, was er niemals haben konnte.
Er starrte zu dem Fenster im ersten Stock hinauf. Seine Brust hob und senkte sich schwer. Mächtig war der Drang, mit einem Satz dort hinaufzuhechten, sich Zutritt zu erzwingen und Gabrielle irgendwohin zu bringen, wo er sie ganz für sich hatte.
Sollte sie ihn doch fürchten. Sollte sie ihn ruhig verachten für das, was er war, solange er ihren warmen Leib unter sich spüren konnte, um seinen Schmerz zu lindern, wie nur sie es vermochte.
Ja, knurrte die Bestie in ihm, die nur Gier und Verlangen kannte.
Bevor der Trieb, Gabrielle zu besitzen, die Oberhand gewinnen konnte, ballte Lucan eine Faust und rammte sie in die Motorhaube des Wagens, der dem Polizisten gehörte. Die Alarmanlage jaulte los, und in jedem Fenster der Umgebung teilten sich die Vorhänge bei dieser Ruhestörung. Lucan aber glitt vom Gehsteig und verschmolz mit den Schatten der allmählich zu Ende gehenden Nacht.
„Alles in Ordnung“, sagte Megans Freund, als er in die Wohnung zurückkam. Er war hinausgegangen, um nachzusehen, warum die Alarmanlage seines Wagens plötzlich losgegangen war. „Das verdammte Ding ist schon länger überempfindlich. Tut mir leid. Es ist ja nicht so, als bräuchten wir heute Nacht noch mehr Aufregung, was?“
„Wahrscheinlich waren es bloß jugendliche Unruhestifter“, meinte Megan, die neben Gabrielle auf dem Sofa saß.
Gabrielle nickte unverbindlich zum Beschwichtigungsversuch ihrer Freundin, aber sie glaubte kein Wort davon.
Das war Lucan gewesen.
Sie hatte ihn draußen gespürt, mit einem inneren Sinn, den sie nicht beschreiben konnte. Es lag keine Angst oder Furcht darin, nur eine tiefe Gewissheit, dass er ganz in der Nähe war.
Dass er sie brauchte.
Sich nach ihr sehnte.
Großer Gott, sie hatte wahrhaftig gehofft, dass er an die Tür kam, sie hier rausholte und ihr half, das Grauen zu verstehen, das sie vorhin erlebt hatte.
Aber jetzt war er weg. Sie spürte seine Abwesenheit so deutlich, wie sie gefühlt hatte, dass er ihr zu Megan gefolgt war.
„Ist dir warm genug, Gabby? Möchtest du noch Tee?“
„Nein, danke.“
Gabrielle hielt sich mit beiden Händen an dem lauwarmen Becher Kamillentee fest und fühlte eine Kälte in ihrem Innern, die weder Decken noch heißes Wasser vertreiben konnten. Ihr Herz schlug noch immer wie rasend, und in ihrem Kopf drehte sich alles vor Verwirrung und Fassungslosigkeit.
Lucan hatte dem Kerl die Kehle aufgeschlitzt.
Mit den Zähnen.
Er hatte seinen Mund auf die Wunde gelegt und das Blut getrunken, das ihm übers Gesicht gesprudelt war.
Er war ein Ungeheuer, direkt aus einem Albtraum. Wie diese Teufel, die den Punk beim Nachtclub getötet hatten – was inzwischen so weit zurückzuliegen schien, dass es kaum noch wahr war.
Aber es war geschehen, genau wie das Blutbad heute Nacht, nur dass diesmal Lucan beteiligt war.
Gabrielle hatte sich aus Verzweiflung zu Megan geflüchtet. Sie brauchte eine vertraute Umgebung, hatte aber Angst, ihre eigene Wohnung aufzusuchen – falls Lucans Freund dort auf sie wartete, wie er es ihr angekündigt hatte. Megan und ihrem Freund Ray hatte sie erzählt, dass sie auf der Straße von dem Psychopathen aus der Polizeiwache belästigt worden war. Sie hatte auch erwähnt, dass er ihr bereits einige Tage zuvor nachgestellt hatte und dass er heute mit einer Waffe in der Hand auf sie losgegangen war.
Sie war nicht sicher, warum sie Lucan ganz aus der Geschichte herausgehalten hatte, obwohl er eine so wichtige Rolle darin spielte. Vermutlich lag es teilweise daran, dass er ungeachtet seiner Methoden heute Nacht getötet hatte, um sie zu schützen. Sie fühlte sich spontan gehalten, ihm die gleiche Rücksichtnahme zu erweisen.
Selbst wenn er ein Vampir war.
Gott, es klang lächerlich, dieses Wort auch nur zu denken.
„Gabby, mein Schatz. Du musst melden, was passiert ist. Es klingt ernstlich danach, als sei der Kerl verrückt. Die Polizei muss davon erfahren, sie müssen ihn aus dem Verkehr ziehen. Ray und ich können dich hinbringen. Wir machen uns auf in die Innenstadt und besuchen deinen Freund, den Kriminalbeamten –“
„Nein.“ Gabrielle schüttelte den Kopf und stellte ihren kalten Tee auf den Couchtisch, wobei ihre Hände nur ganz leicht zitterten. „Ich will heute Nacht nirgends mehr hin. Bitte, Megan. Ich brauche nur ein bisschen Ruhe. Ich bin so müde.“
Megan ergriff Gabrielles Hand und drückte sie sanft. „Na, gut. Ich hole dir ein Kissen und noch eine Decke. Du musst nirgendwohin, wenn du nicht dazu bereit bist, meine Süße. Ich bin nur froh, dass du unversehrt bist.“
„Du kannst von Glück sagen, dass du entkommen bist“, warf Ray ein, als Megan Gabrielles Becher nahm und in die Küche brachte, um dann auf einen Wäscheschrank am Ende des Flurs zuzusteuern. „Jemand anders hat vielleicht nicht so viel Glück. Nun, ich bin nicht im Dienst, und du bist Megs Freundin, also werde ich dich nicht zwingen, aber du hast die Pflicht, den Kerl anzuzeigen. Bei dem, was er heute Nacht getan hat, sollte er nicht ungeschoren davonkommen.“
„Er wird niemandem mehr etwas tun“, flüsterte Gabrielle. Zwar sprachen sie die ganze Zeit über den Kerl, der sie mit der Waffe bedroht hatte, aber sie wurde den Gedanken nicht los, dass sie fast dasselbe auch über Lucan hätten sagen können.
Er konnte sich nicht erinnern, wie er zum Quartier zurückgekommen war oder wie lange er schon hier war. Wenn er zum Anhaltspunkt nahm, wie sehr er im Waffenraum der Trainingsanlage ins Schwitzen gekommen war, mussten es Stunden gewesen sein.
Der Raum war düster, da Lucan gar nicht erst Licht gemacht hatte. Seine Augen taten ihm auch in der Dunkelheit schon weh genug. Alles, was er brauchte, war das Schmerzen seiner Muskeln, die er zu unablässiger Anstrengung zwang. Sinn der Übung war, die Kontrolle über seinen Körper wiederzuerlangen, während sein Organismus langsam runterkam. Er war der Blutgier gefährlich nahe gekommen.
Lucan griff nach einem der Dolche auf dem Tisch neben ihm, und seine Finger strichen über die rasiermesserscharfe Schneide. Er drehte sich, bis der lange, schmale Zielübungs-Gang der Trainingsanlage vor ihm lag. Das Ziel am Ende dieser Strecke konnte er nur erspüren, doch als er die Klinge in die Dunkelheit schickte, meldete ihm der harte Knall einen Volltreffer genau ins Zentrum der Scheibe.
„Ja, zum Teufel“, murmelte er ins Dunkel.
Seine Stimme klang immer noch rau, und seine Fangzähne waren noch nicht wieder verschwunden. Aber seine Zielsicherheit hatte sich sehr verbessert. Seine letzten paar Versuche mit den Klingen waren nur um Haaresbreite am Volltreffer vorbeigegangen. Und er gedachte nicht aufzuhören, bis er die Folgen seiner Nahrungsaufnahme vollends überwunden hatte. Das allerdings konnte noch dauern, dachte er und fühlte sich noch immer krank, weil er fast eine Überdosis Blut zu sich genommen hatte.
Lucan ging zur Zielscheibe, um sich seine Waffe zurückzuholen. Er zog den Dolch heraus und bemerkte mit Genugtuung, wie tief die Wunde gewesen wäre, die er einem Rogue oder Lakaien damit zugefügt hätte, wäre sein Ziel nicht eine harmlose Scheibe gewesen.
Als er zurückkam, um eine weitere Runde zu üben, hörte er vor sich ein leises Klicken. Dann durchflutete sengendes Licht die gesamte Trainingsanlage.
Lucan prallte zurück. Von der plötzlichen Helligkeitsattacke drohte sein Kopf zu explodieren. Er versuchte den gleißenden Nebel wegzublinzeln und zwinkerte mit zusammengekniffenen Augen in das grelle Licht. Die Spiegelwände, die den Bereich für Verteidigung und Waffentraining säumten, reflektierten und vervielfältigten das schmerzhafte Leuchten. Doch dann erkannte er die große Gestalt eines anderen Vampirs, der mit einer kräftigen Schulter an der Wand lehnte.
Einer der Krieger hatte ihn aus den Schatten beobachtet.
Tegan.
Verdammt. Wie lange stand er schon dort?
„Geht es dir gut?“, fragte Tegan, teilnahmslos wie immer in seinem dunklen T-Shirt und der locker sitzenden Jeans. „Wenn dir das Licht zu hell ist –“
„Schon gut“, knurrte Lucan. Sternenregen blendete ihn, als er versuchte, sich auf die Beleuchtung einzustellen. Er hob den Kopf und zwang sich, Tegans Blick quer durch den Baum zu begegnen. „Ich wollte sowieso gerade gehen.“
Tegans Blick blieb auf ihn geheftet. Seine Miene war zu vielsagend, als er Lucan unverblümt anstarrte. Dann blähten sich seine Nasenflügel leicht, und der ironisch verzogene Mund nahm einen überraschten Ausdruck an. „Du warst heute auf der Jagd. Und du blutest.“
„Und?“
„Und es sieht dir nicht ähnlich, einen Schuss abzubekommen. Normalerweise bist du dafür zu schnell.“
Lucan stieß einen Fluch aus. „Würde es dir was ausmachen, im Augenblick nicht hinter mir herzuschnüffeln? Ich bin nicht in Stimmung dafür. Mir ist nicht nach Gesellschaft.“
„Nein, wirklich? Fühlen wir uns ein wenig angespannt?“ Tegan stieß sich von der Wand ab und trat vor, um die bereitgelegten Waffen zu inspizieren. Jetzt sah er Lucan nicht an, aber er erkannte seine Qual, als läge sie mit all den Dolchen, Messern und anderen Waffen ausgebreitet auf dem Tisch. „Hast du noch Aggressionen, die du loswerden musst? Ich wette, es ist schwer, sich zu konzentrieren, wenn der Kopf so dröhnt. Das Blut fließt so schnell, dass du sonst nichts mehr hörst. Alles, woran du denken kannst, ist der Hunger. Und als Nächstes hat er die Kontrolle über dich.“
Lucan wog eine Waffe in der Hand und schätzte die Beschaffenheit und die Balance des handgeschmiedeten Dolchs ab. Seine Augen konnten nichts länger als eine Sekunde scharf fokussieren. Seine Finger sehnten sich danach, die Waffe für mehr als Zielübungen zu benutzen. Mit einem wilden Knurren hob er den Arm und ließ den Dolch fliegen. Er traf die Zielscheibe hart – ein Volltreffer in die Brust, mitten durchs Herz.
„Verpiss dich, Tegan. Ich brauche keinen Kommentar. Und auch kein Publikum.“
„Nein, du magst es nicht, wenn jemand dich zu genau beobachtet. Ich verstehe allmählich, warum.“
„Einen Dreck verstehst du.“
„Ach ja?“ Tegan starrte ihn lange an. Dann schüttelte er langsam den Kopf und stieß einen leisen Fluch aus. „Sei vorsichtig, Lucan.“
„Ach, Scheiße“, zischte Lucan und funkelte den Vampir wütend an. „Willst du mir Ratschläge erteilen, T?“
„Was auch immer.“ Der Mann hob die Schultern zu einem lässigen Achselzucken. „Vielleicht ist es eine Warnung.“
„Eine Warnung.“ Lucans bellendes Auflachen hallte in dem großen Raum wider. „Köstlich, dass das gerade von dir kommt.“
„Du bist hart an der Grenze, Mann. Das kann ich in deinen Augen sehen.“ Tegan schüttelte den Kopf, und lohfarbenes Haar fiel ihm ins Gesicht. „Der Abgrund ist tief, Lucan. Ich würde dich ungern fallen sehen.“
„Erspar mir dein Mitleid. Du bist der Letzte, von dem ich mir das anhöre.“
„Klar, du hast alles im Griff, nicht?“
„Genau.“
„Ja, sag dir das selbst, Lucan. Vielleicht glaubst du es irgendwann. Aber wenn ich dich so sehe, glaube ich es todsicher nicht.“
Die Unterstellung stachelte Lucans Jähzorn maßlos an. In einem Wirbel aus Geschwindigkeit und Wut stürzte er sich auf den anderen Vampir, die Fangzähne zu einem wilden Fauchen gebleckt. Ihm war nicht mal bewusst, dass er eine Waffe in der Hand hielt, bis er die Silberschneide sah, die hart gegen Tegans Kehle drückte. „Geh mir verdammt noch mal aus den Augen. Hörst du mich jetzt klar und deutlich?“
„Willst du mich verletzen, Lucan? Musst du mich bluten lassen? Mach doch. Mach schon, verdammt noch mal! Es ist mir scheißegal.“
Lucan warf den Dolch weg, brüllte auf und packte Tegan mit beiden Fäusten am Hemd. Mit Waffen war es zu einfach. Er musste Fleisch und Knochen in den Händen spüren, musste fühlen, wie es zerriss, wie sie zerbrachen, wenn er sich der Bestie beugte, die kurz davor stand, seinen Geist zu unterwerfen.
„Scheiße.“ Tegan begann zu kichern, sein unverschämter Blick taxierte die fieberhafte Wildheit, die in Lucans Augen leuchtete. „Du stehst ja schon mit einem Fuß im Abgrund. Oder etwa nicht?“
„Fick dich selbst, du Arschloch“, knurrte Lucan den Vampir an, der einst, vor langer Zeit, ein treuer Freund gewesen war. „Ich sollte dich töten, Tegan. Ich hätte dich damals töten sollen.“
Tegan zuckte mit keiner Wimper. „Du suchst nach Feinden, Lucan? Dann sieh mal in den Spiegel. Das ist der einzige Scheißkerl, der dich jedes Mal besiegen wird.“
Lucan riss Tegan herum und knallte ihn an die gegenüberliegende Wand des Trainingsraums. Das Spiegelglas zerbrach unter dem Aufprall, und die Scherben flogen um Tegans Schultern und Rumpf wie ein blitzender Heiligenschein.
Ganz gleich, wie sehr er die Wahrheit in dem Gesagten auch leugnete – Lucan erhaschte einen Blick auf sein eigenes entfesseltes Spiegelbild, hundertfach zurückgeworfen von dem Spinnennetz aus Scherben. Er sah die geschlitzten Pupillen, die glühenden Iris – er starrte in die Augen eines Rogue. Riesige Fangzahne ragten aus dem Mund, das Gesicht war zu einer grausigen Fratze verzerrt.
Er sah alles, was er verabscheute, alles, was zu zerstören er geschworen hatte, genau wie Tegan gesagt hatte.
Und dann sah Lucan in den tausend Spiegelungen, die ihn hatten erstarren lassen, wie durch die Türen hinter ihm Nikolai und Dante hereinkamen. Ihre Mienen waren wachsam.
„Niemand hat uns gesagt, dass hier eine Party läuft“, sagte Dante lässig, doch der Blick, mit dem er die beiden Duellanten ins Auge fasste, war alles andere als unbekümmert. „Was ist hier los? Alles in Ordnung?“
Ein langes, angespanntes Schweigen breitete sich im Raum aus.
Lucan entließ Tegan aus seinem Griff und ging langsam auf Abstand. Er senkte automatisch den Blick, um die Wildheit seiner Augen vor den anderen Kriegern zu verbergen. Die Scham, die er empfand, war etwas Neues für ihn. Ihr bitterer Geschmack gefiel ihm nicht. Er war so angewidert, dass er Brechreiz verspürte und nicht sprechen konnte.
Schließlich brach Tegan das Schweigen. „Ja“, sagte er, ohne seinen starren Blick von Lucans Gesicht abzuwenden. „Alles okay.“
Lucan wandte Tegan und den anderen den Rücken. Auf dem Weg zum Ausgang stieß er mit dem Oberschenkel gegen den Waffentisch, der mit einem metallischen Scheppern erbebte.
„Verdammt, ist der heute Nacht mies drauf“, murmelte Niko. „Und er riecht nach frischer Beute.“
Als Lucan durch die Türen der Trainingsanlage in den Flur trat, hörte er Dante leise entgegnen: „Nein, Mann. Er riecht nach einer Überdosis.“