15

Lucan zog das Mobiltelefon aus der Tasche seiner Lederjacke, wobei ihm ein kräftiger Fluch über die Lippen drang.

Gabrielle … schon wieder.

Sie hatte ihn vorhin schon angerufen. Aber da konnte er nicht rangehen, denn er jagte gerade einen Dealer, den er vor einer zwielichtigen Bar erspäht hatte, als der Mann mieses Crack an eine minderjährige Prostituierte verkaufte. Lucan hatte seine Beute mental in eine ruhige Seitengasse dirigiert und stand kurz davor anzugreifen, als Gabrielles erster nächtlicher Anruf einen Lärm auslöste, als hätte er eine Autoalarmanlage in der Tasche. Rasch hatte er das Gerät stumm geschaltet und sich selbst innerlich runtergeputzt für die unverhältnismäßige Blödheit, das verdammte Ding allen Ernstes auf die Jagd mitzunehmen.

Sein Hunger und seine Verletzungen hatten ihn so leichtsinnig gemacht. Aber der plötzliche Lärm in der dunklen Gasse hatte sich schließlich als Vorteil für ihn herausgestellt.

Er war nicht in Bestform, und der durchtriebene Dealer ahnte die Gefahr, obwohl Lucan sich in den Schatten hielt, um seiner Beute ungesehen nachzustellen. Der Kerl war schreckhaft und nervös. Er zog mitten in der engen Gasse eine Handfeuerwaffe, und auch wenn Schusswunden für Leute von Lucans Art selten tödlich waren – wenn es nicht gerade um einen Kopfschuss aus nächster Nähe ging –, war der Vampir sich nicht sicher, ob sein angeschlagener, gerade erst genesender Körper jetzt schon die Wucht einer weiteren Verletzung aushalten konnte.

Ganz zu schweigen davon, dass es ihn wahnsinnig wütend gemacht hätte, und er hatte schon extrem schlechte Laune.

Beim Klingeln des Handys wirbelte der Dealer erschrocken von links nach rechts und dann wieder nach links, um die Geräuschquelle hinter sich zu orten, und da griff Lucan ihn an. Im Nu hatte er den Kerl zu Boden geworfen. Ehe die Angst genügend Atem in die Lungen des Mannes trieb, dass er schreien konnte, versenkte Lucan seine Fangzähne in die prall hervortretende Ader seitlich am Hals.

Blut schoss über seine Zunge, ekelhaftes Blut, verunreinigt und verdorben von Drogen und Krankheit. Dennoch schluckte er es herunter, einen Schluck nach dem anderen, wobei er seine sich windende, keuchende Beute ohne Gnade gepackt hielt. Er würde den Kerl töten, und es machte ihm nicht das Geringste aus. Von Bedeutung war jetzt nur, dass er seinen Hunger stillte. Den Schmerz seines heilenden Körpers linderte.

Lucan langte zu und trank sich satt.

Mehr als satt.

Er hatte den Dealer fast völlig leer getrunken, aber sein Heißhunger ließ einfach nicht nach. Es wäre jedoch blanker Leichtsinn, noch mehr Nahrung aufzunehmen, für heute Nacht war es genug. Er musste diese Stärkung erst mal wirken lassen. Wenn er seiner Gier nachgab, riskierte er, die Kontrolle zu verlieren und in Richtung Blutgier getrieben zu werden.

Lucan starrte erbost auf das Gerät, das in seiner Hand summte, und wusste, dass er den Anruf einfach nicht entgegennehmen sollte.

Aber das verdammte Handy summte hartnäckig immer weiter, und in der Sekunde, bevor es verstummen würde, nahm er ab. Zuerst schwieg er und lauschte, wie der weiche Klang von Gabrielles Atem durch den Hörer drang. Dann kam ihre Stimme, mit leichtem Zittern, aber doch kräftig, obwohl sie offenkundig ziemlich aufgeregt war.

„Du hast mich angelogen“, sagte sie als Begrüßung. „Wie lange schon, Lucan? Und wobei – bei allem?“

Lucan warf einen abschätzigen Blick auf den leblosen Körper seiner Beute. Er ging in die Hocke und durchsuchte den Dreckskerl rasch. Er fand ein mit einem Gummiband zusammengehaltenes Bündel Hundertdollarnoten, das er den Straßengeiern hinterließ, die sich darum schlagen würden. Die Drogen – ein beachtlicher Vorrat an Crack und Heroin – würden ein Bad in einem der Abwässerkanäle der Stadt nehmen.

„Wo bist du?“, bellte er barsch ins Handy und dachte nicht mehr an das Raubtier, das er auf seiner Jagd eliminiert hatte. „Wo ist Gideon?“

„Du versuchst ja nicht mal, es abzustreiten! Warum machst du so was?“

„Hol ihn ans Telefon, Gabrielle.“

Sie ignorierte seine Forderung. „Es gibt noch was anderes, was ich wissen möchte: Wie bist du gestern Nacht in meine Wohnung gekommen? Alle Schlösser waren verriegelt, sogar die Kette war vorgelegt. Was hast du angestellt? Hast du meine Schlüssel gestohlen, als ich nicht aufgepasst habe, und einen neuen Satz machen lassen?“

„Wir können später darüber reden, wenn ich weiß, dass du sicher im Quartier bist –“

„Was für ein Quartier?“ Ihr hartes Lachen verblüffte ihn. „Und du kannst mit der Show des wohltätigen Beschützers aufhören. Ich weiß, dass du kein Bulle bist. Alles, was ich will, ist etwas Ehrlichkeit. Ist das zu viel verlangt, Lucan? Gott – ist das überhaupt dein richtiger Name? Kommt irgendwas von dem, was du mir erzählt hast, der Wahrheit auch nur nahe?“

Plötzlich wusste Lucan: Dieser hilflose Zorn, dieser Schmerz war nicht das Ergebnis eines Crashkurses von Gideon über den Stamm und Gabrielles vom Schicksal vorgegebene Rolle. Eine Rolle, bei der Lucan ohne Bedeutung war.

Nein, davon wusste sie noch gar nichts. Dies hier war etwas anderes. Es war keine Angst vor den Tatsachen. Es war Angst vor dem Unbekannten.

„Wo bist du, Gabrielle?“

„Was interessiert es dich?“

„Es … interessiert mich sehr wohl“, gestand er, wenn auch widerstrebend. „Verdammt, ich habe im Augenblick nicht den Kopf für so was. Hör mal, ich weiß, dass du nicht in deiner Wohnung bist – also, wo bist du? Gabrielle, du musst mir sagen, wo du bist.“

„Ich bin bei der Polizeiwache. Ich bin heute Abend hergekommen, um dich zu besuchen, und stell dir vor, niemand hat je von dir gehört.“

„O Gott. Du hast da nach mir gefragt?“

„Natürlich. Woher hätte ich wissen sollen, dass du mich verarschst?“ Wieder erklang das harte, höhnische Lachen. „Ich hab dir sogar Kaffee und Gebäck mitgebracht.“

„Gabrielle, ich bin in ein paar Minuten da – nein, noch schneller. Rühr dich nicht von der Stelle. Bleib genau da, wo du bist. Bleib an einem öffentlichen Platz, am besten irgendwo im Inneren eines Gebäudes. Ich komme dich abholen.“

„Vergiss es! Lass mich in Ruhe.“

Ihr scharfer Befehl ließ ihn kurz innehalten. Doch dann hämmerten seine Stiefel noch entschlossener über den Asphalt.

„Ich bleibe nicht hier, um auf dich zu warten, Lucan. Weißt du was? Bleib verdammt noch mal von mir weg.“

„Zu spät“, sagte er gedehnt ins Telefon.

Er bog bereits um die letzte Ecke, bevor er die Straße erreichen würde, an der die Polizeiwache lag. Wie ein Geist huschte er über den Beton und durch die kleinen Gruppen von umherlaufenden Fußgängern hindurch. Er spürte, wie das Blut, das er zu sich genommen hatte, mit seinen Zellen zu verschmelzen begann und ihn stärkte, bis er nur noch ein kalter Luftzug im Nacken derer war, an denen er vorbeikam, da seine Vampirgeschwindigkeit weit jenseits der Wahrnehmungsfähigkeit eines menschlichen Auges lag.

Aber Gabrielle erblickte ihn sofort, mit der außergewöhnlichen Wahrnehmung einer Stammesgefährtin.

Er hörte durch das Telefon, wie sie unvermittelt scharf Luft holte. Sie nahm das Gerät wie in Zeitlupe von ihrem Ohr, und ihre Augen weiteten sich ungläubig, als sie seinem schnellen Herannahen entgegenstarrte.

„Mein Gott“, flüsterte sie, und der Klang ihrer Worte erreichte sein Ohr nur einen Sekundenbruchteil, ehe er vor ihr stand und die Hand ausstreckte, um sie am Arm zu packen. „Lass mich!“

„Wir müssen reden, Gabrielle. Aber nicht hier. Ich bringe dich woandershin –“

„Nein, verdammt!“ Sie wand sich aus seinem Griff und wich auf dem Gehsteig vor ihm zurück. „Ich gehe nirgendwohin mit dir.“

„Du bist hier draußen nicht mehr sicher, Gabrielle. Du hast zu viel gesehen. Du bist jetzt ein Teil davon, ob du willst oder nicht.“

„Ein Teil wovon?“

„Von diesem Krieg.“

„Krieg“, echote sie, wobei Zweifel in dem Wort mitklang.

„Ja, genau. Es ist ein Krieg. Früher oder später wirst du dich für eine Seite entscheiden müssen, Gabrielle.“ Er stieß einen Fluch aus. „Nein. Vergiss das. Ich wähle jetzt sofort eine Seite für dich.“

„Ist das irgendeine Art von Witz? Was bist du, einer von denen, die beim Militär nicht genommen wurden und die sich einen darauf runterholen, wenn sie Autoritätsfantasien ausleben? Vielleicht bist du noch was Schlimmeres.“

„Das ist kein Witz. Es ist kein gottverdammtes Spiel. Ich habe in meiner Lebensspanne eine Menge Kampf und Tod erlebt, Gabrielle. Du kannst dir nicht annähernd vorstellen, was ich schon erlebt habe, was ich schon getan habe. Aber das ist nichts im Vergleich zu dem Unwetter, das jetzt aufzieht. Und ich werde nicht dabeistehen und zusehen, wie du ins Kreuzfeuer gerätst.“ Er streckte die Hand aus. „Du kommst mit mir. Jetzt.“

Sie wich seiner Hand aus. Angst und Empörung trafen in ihren dunklen Augen aufeinander. „Fass mich noch einmal an, und ich schwöre, ich rufe die Bullen. Verstehst du, die richtigen, da in dem Gebäude der Wache. Sie haben echte Polizeimarken. Und echte Waffen.“

Lucans gereizte Stimmung, die bereits sehr strapaziert war, begann sich in Wut zu verwandeln. „Drohe mir nicht, Gabrielle. Und du solltest nicht glauben, dass dir die Polizei irgendeinen Schutz bieten kann. Schon gar nicht vor der Gefahr, die dich verfolgt. Nach allem, was wir wissen, könnte das halbe Revier von Lakaien durchsetzt sein.“

Sie schüttelte den Kopf. Als sie seinem Blick standhielt, wurde sie etwas ruhiger. „Okay, diese Unterhaltung ist sowieso schräg und wird jetzt langsam ernstlich abgedreht. Ich will nichts mehr hören, verstehst du?“ Sie sprach langsam und leise mit ihm, als müsse sie einen Hund mit Schaum vor dem Maul beruhigen, der sprungbereit vor ihr kauerte und sie jederzeit angreifen konnte. „Ich werde jetzt gehen, Lucan. Bitte … folge mir nicht.“

Als sie den ersten Schritt machte, riss Lucan der Geduldsfaden. Er heftete seinen Blick hart auf ihren und sandte einen scharfen Befehl in ihr Gehirn, damit sie aufhörte, Widerstand gegen ihn zu leisten.

Gib mir deine Hand.

Jetzt sofort.

Eine Sekunde lang hörten ihre Beine auf, sich zu bewegen. Ihre Finger wurden an ihrer Seite ein wenig rastlos, dann begann sich ihr Arm langsam in seine Richtung zu heben.

Und plötzlich zerbrach seine Kontrolle über sie.

Er spürte, wie sie gewaltsam ihren Geist von ihm befreite und die Verbindung zwischen ihnen unterbrach. Die Kraft ihres Willens war wie ein Eisentor, das krachend zwischen ihnen heruntergelassen wurde. Er hätte sogar in Bestform Schwierigkeiten gehabt, es zu durchdringen.

„Was zum Teufel –“, keuchte sie und erkannte den Trick als das, was er war. „Ich habe dich gehört, gerade eben, in meinem Kopf. Mein Gott. Du hast mir das schon vorher angetan, oder?“

„Du lässt mir keine Wahl, Gabrielle.“

Er versuchte es erneut. Und spürte, wie sie sich ihm entgegenstemmte, dieses Mal verzweifelter. Ängstlicher.

Sie schlug ihren Handrücken gegen den Mund, aber konnte den Schrei, der sich ihr entrang, nicht ganz unterdrücken.

Nun taumelte sie zurück.

Drehte sich um und trat vom Gehsteig herunter.

Und rannte über die dunkle Straße, um ihm zu entkommen.

„He, Junge. Kannst du mir mal die Tür aufhalten, ja?“

Es dauerte einen Augenblick, bis der Lakai bemerkte, dass jemand mit ihm sprach. Der Anblick der Maxwell-Frau auf der Straße vor der Polizeiwache nahm seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Auch als er jetzt die Tür aufzog, um einen Pizzaboten hereinzulassen, der vier dampfende Pizzaschachteln trug, blieb sein Blick auf die Frau geheftet. Da stolperte sie vom Gehsteig und rannte über die Straße.

Als ob sie versuchte, jemanden abzuhängen.

Der Lakai folgte ihrer Blickrichtung zu der Stelle, wo eine große Gestalt in Schwarz stand und zusah, wie sie flüchtete. Der Mann war riesig – gut und gerne zwei Meter. Die Schultern unter seiner dunklen Lederjacke sahen aus, als gehörten sie zu einem Footballspieler. Und die bedrohliche Ausstrahlung des Kerls war über die ganze Strecke von der Straße bis zu der Stelle, an der der Lakai stand, zu spüren. Sprachlos und wie gelähmt hielt er immer noch die Tür der Wache auf, auch wenn die Pizzen längst auf dem Rezeptionstisch im Gebäude lagen.

Obwohl er noch nie einen der Vampirkrieger gesehen hatte, die sein Meister so offen verachtete, wusste der Lakai ohne jeden Zweifel, dass er genau das gerade erblickte.

Dies war seine Gelegenheit, eine Menge Punkte zu machen. Er brauchte nur seinen Meister auf die Existenz sowohl der Frau als auch des Vampirs hinzuweisen, mit dem sie vertraut schien, wenn sie nicht sogar ein wenig Angst vor ihm hatte.

Der Lakai trat ins Innere der Wache, die Handflächen feucht von der Vorfreude auf die erwartete Anerkennung. Mit gesenktem Kopf spurtete er durch die Vorhalle und verließ sich ganz auf seine gewohnte Fähigkeit, so gut wie unbemerkt herumzulaufen.

Er sah nicht, dass der Pizzatyp seinen Weg kreuzte, bis er frontal mit ihm zusammenstieß. Eine Pappschachtel stieß gegen seinen Bauch und verströmte einen Schwall knoblauchgeschwängerten Dampf, bevor sie auf das schmutzige Linoleum fiel und ihren Inhalt über die Füße des Lakaien ergoss.

„Au, Mann! Das ist meine nächste Lieferung, auf der du stehst. Guckst du nicht, wohin du unterwegs bist, Mensch?“

Er entschuldigte sich nicht und blieb nicht einmal stehen, um den fettigen Käse und die Peperoni von seinem Schuh zu kicken. Der Lakai schob die Hand in die Tasche seiner Khakihose, wo er sein Handy fand, und suchte nach einem ungestörten Ort, um seinen wichtigen Anruf zu tätigen.

„Warte eine Sekunde, Sportsfreund.“

Es war der alternde, allmählich kahl werdende Wachtmeister, der müßig in der Vorhalle herumstand und plötzlich laut hinter ihm herbrüllte. Für seine, wie er prahlerisch jedem auf die Nase band, letzten Stunden im Dienst hatte sich Carrigan in seine Uniform gezwängt und schlug die Zeit tot, indem er die Rezeptionistin in der Vorhalle vollschwatzte.

Der Lakai beachtete die donnernde Stimme des Polizisten gar nicht und eilte mit gesenktem Kinn weiter in Richtung der Treppenhaustür neben den öffentlichen Toiletten.

Carrigan plusterte sich auf. Fassungslos starrte er den Lakaien an und konnte offenbar nicht glauben, dass seine selbst ernannte Zuständigkeit für diesen Zwischenfall dermaßen ignoriert wurde.

„He, Schwächling! Ich rede mit dir! Ich sagte, komm auf der Stelle her und hilf dabei, diese Schweinerei sauber zu machen – und zwar sofort, du hirnloser Idiot!“

„Mach’s doch selbst, du arroganter Wichser“, murmelte der Lakai, stieß die Metalltür zum Treppenhaus auf und lief in schnellem Tempo die abwärts führenden Stufen runter.

Über ihm flog die Tür wieder auf, schlug krachend gegen die Mauer und erschütterte das Treppenhaus wie ein Überschallknall. Carrigan beugte sich über das Treppengeländer, seine fetten Hängebacken bebten vor Wut. „Was hast du gerade zu mir gesagt? Wie zum Teufel hast du mich gerade genannt, Arschloch?“

„Sie haben es gehört. Jetzt lassen Sie mich in Ruhe, Carrigan. Ich habe Wichtigeres zu tun.“

Er nahm sein Mobiltelefon aus der Tasche, um den Einzigen anzurufen, der ihm wirklich Befehle erteilen durfte. Aber bevor er noch die Kurzwahltaste drücken konnte, die ihn mit seinem Meister verbinden würde, kam der stämmige Polizist unerwartet schnell die Treppe heruntergestürmt. Eine schinkenartige Hand traf den Lakaien seitlich am Kopf. Die Wucht des Schlages ließ ihm die Ohren klingen, und ihm verschwamm alles vor den Augen, sodass er das Handy fallen ließ. Es schepperte zu Boden und blieb etliche Stufen unter ihm liegen.

„Danke, dass du mir an meinem letzten Arbeitstag Grund zum Lächeln gibst“, höhnte Carrigan. Er fuhr mit einem dicken Finger unter den Rand seines zu engen Kragens und griff sich dann mit lässiger Geste an den Kopf, um die wenigen verbliebenen Haarsträhnen auf seiner Glatze wieder dahin zurückzustreichen, wo sie zuvor geklebt hatten. „Jetzt schieb deinen dürren Arsch die Treppe hoch, bevor ich ihn dir auf einer Platte serviere. Haben wir uns verstanden?“

In früheren Zeiten, bevor er auf jenen getroffen war, den er Meister nannte, hätte er sich einer Herausforderung wie dieser – insbesondere von einem Wichtigtuer wie Carrigan – in jedem Fall gestellt.

Aber der schwitzende, schwankende Bulle, der ihn jetzt wütend von oben herab anfunkelte, war unbedeutend. Unbedeutend angesichts der Pflichten, die Auserwählten wie ihm anvertraut waren. Der Lakai blinzelte nur ein paar Mal; dann wandte er sich ab, hob sein Handy auf und eilte weiter, um seine anstehende Aufgabe zu erledigen.

Er kam nur zwei Stufen weit, bevor sich Carrigan wieder auf ihn stürzte. Schwere Finger packten die Schulter des Lakaien hart und zwangen ihn gewaltsam herum. Sein Blick fiel auf einen teuren Kugelschreiber, der in der Hemdtasche von Carrigans Uniform steckte. Das Jubiläumsemblem auf dem Klemmbügel füllte sein Gesichtsfeld, als er einen weiteren harten Schlag gegen den Schädel bekam.

„Was bist du, taub und dumm? Geh mir aus den Augen, zum Teufel, sonst –“

Plötzlich erstickte ein Gurgeln und Pfeifen Camgans Stimme, und der Lakai kam wieder zu Bewusstsein. Er sah auf seine eigene Hand, die den Kugelschreiber des Wachtmeisters umklammerte und nun ein zweites Mal brutal zustach, sodass die Spitze des Stiftes sich tief in Carrigans fleischigen Hals bohrte.

Wieder und wieder stieß der Lakai mit der behelfsmäßigen Waffe zu, bis der Polizist übel zugerichtet und leblos auf dem Boden zusammensackte.

Er öffnete seine Faust, und der Stift fiel in eine Blutlache auf der Treppe. Er vergaß ihn bereits in der kurzen Zeit, die er brauchte, um die paar Stufen hinabzulaufen und einmal mehr nach seinem Mobiltelefon zu greifen. Eigentlich wollte er nun schleunigst seinen äußerst wichtigen Anruf tätigen, aber immer wieder wanderte sein Blick zurück zu dieser neuen Schweinerei, die er angerichtet hatte. Dies konnte man nicht so leicht wegputzen wie die Pizza in der Vorhalle.

Das war ein Fehler gewesen. Alle Pluspunkte, die es ihm eintrug, wenn er seinen Meister über den Aufenthaltsort der Maxwell-Frau informierte, würden futsch sein, sobald entdeckt wurde, dass er hier so impulsiv gehandelt hatte. Töten ohne Billigung konnte alles zunichte machen.

Aber vielleicht gab es einen besseren Weg, ihm seines Meisters Gunst zu sichern – nämlich indem er die Frau persönlich festsetzte und seinem Meister direkt auslieferte.

Ja, dachte der Lakai – das war eine Trophäe, mit der er auf jeden Fall Eindruck schinden würde.

Er steckte das Handy weg und ging zurück, um Carrigans Waffe aus ihrem Halfter zu nehmen. Dann stieg er über den Leichnam hinweg und eilte durch den Hinterausgang auf den Parkplatz der Wache hinaus.