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Die warme Tasse in beiden Händen haltend, nippte Gabrielle an ihrem schwachen Oolong-Tee, während Jamie ihren Rest Lo Mein verdrückte. Er würde ihr auch ihren Glückskeks abschwatzen – das tat er immer –, aber das war ihr egal. Es war einfach schön, mit ihren Freunden unterwegs zu sein. Damit trat nach den Ereignissen vom Wochenende wieder so etwas wie Normalität in ihr Leben.

„Ich habe was für dich“, sagte Jamie und unterbrach so ihre Gedanken. Er wühlte in einer cremefarbenen Ledertasche, die zwischen ihnen auf der Bank stand, und zog einen weißen Umschlag hervor. „Die Einnahmen der Privatausstellung.“

Gabrielle öffnete das Siegel und zog den Scheck der Galerie heraus. Es war mehr Geld, als sie erwartet hatte. Einige Tausend Dollar mehr. „Wow.“

„Überraschung“, gab Jamie mit einem breiten Grinsen in einem Singsang von sich. „Ich habe den Preis viel höher angesetzt, und die Typen haben zugeschlagen, ohne auch nur den geringsten Versuch zu machen zu handeln. Meinst du, ich hätte noch mehr verlangen sollen?“

„Nein“, meinte Gabrielle. „Nein, das ist, äh … wow. Ich danke dir.“

„Kein Problem.“ Er deutete auf ihren Glückskeks. „Willst du den?“

Sie schob ihn ihm über den Tisch hinweg zu. „Also, wer ist der Käufer?“

„Oh, das bleibt ein großes Geheimnis“, antwortete er und zerbrach den Keks in seiner Plastikhülle. „Sie haben bar bezahlt, also war es ihnen offenbar ernst mit dem ,anonymen‘ Teil des Kaufs. Und sie haben ein Taxi hergeschickt, um mich mit der Sammlung abzuholen …“

„Worüber redet ihr?“, fragte Megan. Sie starrte die beiden an und runzelte verwirrt die Stirn. „Ich schwöre, ich bin die Letzte, die alles erfährt.“

„Unsere talentierte kleine Künstlerin hier hat einen geheimen Verehrer“, antwortete Jamie äußerst dramatisch. Er zog den Zettel mit dem Spruch heraus, las ihn und rollte dann mit den Augen, als er den Papierstreifen auf seinen leeren Teller warf. „Was ist aus den guten alten Zeiten geworden, als diese Dinger tatsächlich noch eine Bedeutung hatten? Wie auch immer, vor ein paar Tagen wurde ich eines Abends in ein Penthouse bestellt, um Gabbys gesamtes Werk einem anonymen Käufer zu zeigen. Und alles wurde gekauft – bis auf das letzte Stück.“

Megans Augen wurden groß, als sie Gabrielle anblickte. „Das ist wunderbar! Ich freue mich so für dich, Süße!“

„Wer auch immer sie gekauft hat, muss eine ausgeprägte Vorliebe für Maskeraden haben.“

Gabrielle warf ihrem Freund einen Blick zu, während sie den Scheck in ihre Handtasche schob. „Was meinst du damit?“

Jamie schluckte ein Stück des zerbrochenen Glückskekses herunter und wischte sich dann die Krümel von den Fingern. „Also, als ich an der Adresse ankomme, die sie mir gegeben haben – eines dieser Firmengebäude mit vielen Parteien –, treffe ich in der Eingangshalle auf so eine Art Bodyguard. Er sagt nichts zu mir, sondern murmelt bloß irgendwas in eine drahtlose Sprechmuschel und führt mich dann in einen Aufzug, der uns ins oberste Stockwerk des Gebäudes bringt.“

Megans Augenbrauen wanderten in die Höhe. „Das Penthouse?“

„Ja. Aber jetzt kommt es. Der Raum ist leer. Alle Lichter in der Suite brennen, aber drinnen sind keine Leute. Keine Möbel, keine Ausstattung, nichts. Nur Wände, die aus Fenstern bestehen, aus denen man die ganze Stadt überblicken kann.“

„Das ist merkwürdig. Findest du nicht, Gabby?“

Sie nickte, und ein schleichendes Gefühl von Unbehagen breitete sich in ihrem Körper aus, als Jamie fortfuhr.

„Also, der Bodyguard sagt mir, ich soll das erste Foto aus der Mappe nehmen und es zu der Fensterreihe in Richtung Norden bringen. Draußen ist es dunkel, und ich drehe ihm jetzt den Rücken zu, aber er sagt zu mir, ich soll jedes Foto vor mir in die Höhe halten, bis er mir die Anweisung gibt, es beiseite zu legen und das nächste zu holen.“

Megan lachte. „Mit dem Rücken zu ihm? Warum wollte er, dass du das tust?“

„Weil der Käufer von woanders zusah“, antwortete Gabrielle leise. „Irgendwo in Sichtweite der Penthousefenster.“

Jamie nickte. „Offensichtlich. Ich konnte nichts hören, aber ich bin mir sicher, dass der Bodyguard – oder was auch immer er war – durch den Hörer seines Headsets Anweisungen erhielt. Um ganz ehrlich zu sein, wurde ich allmählich ein bisschen nervös wegen der ganzen Sache, aber es war cool. Und schließlich ist ja nichts Schlimmes passiert. Alles, was man wollte, waren deine Fotografien. Ich war erst bis zum vierten vorgedrungen, bevor ich nach dem Gesamtpreis für alle Bilder gefragt wurde. Also habe ich hoch gepokert, wie ich schon sagte, und der Preis wurde akzeptiert.“

„Seltsam“, bemerkte Megan. „He, Gab, vielleicht hast du das Interesse eines wahnsinnig attraktiven, aber zurückgezogen lebenden Milliardärs erweckt. Nächstes Jahr um diese Zeit tanzen wir vielleicht auf eurer prächtigen Hochzeit auf Mykonos.“

„Igitt, bitte“, keuchte Jamie. „Mykonos ist so out. All die Schönen und Reichen sind in Marbella, Liebling.“

Gabrielle schüttelte das merkwürdige Gefühl von Zweifel und Argwohn ab, das Jamies seltsamer Bericht in ihr hervorgerufen hatte. Wie er schon gesagt hatte, es war ja nichts Schlimmes passiert, und außerdem hatte sie einen fetten Scheck in ihrer Brieftasche. Vielleicht würde sie Lucan zum Abendessen einladen, da das Essen, das sie gestern Abend zur Feier des Tages gemacht hatte, auf ihrer Küchentheke verkommen war.

Nicht dass sie auch nur das kleinste bisschen Reue über den Verlust ihrer Manicotti aufbringen konnte.

Ja, ein romantisches Abendessen mit Lucan klang großartig. Hoffentlich würden sie auch ein Dessert haben … und Frühstück ebenfalls.

Sofort hob sich Gabrielles Laune. Sie lachte mit den beiden anderen, als diese weiterhin skurrile Ideen darüber austauschten, wer der mysteriöse Sammler tatsächlich sein mochte und was das für Gabrielles Zukunft bedeuten konnte – und damit auch für ihre. Sie waren noch immer mit diesem Thema beschäftigt, als der Tisch bereits abgeräumt und die Rechnung bezahlt war. Die drei verließen das Restaurant und betraten die sonnenbeschienene Straße.

„Ich muss mich beeilen“, erklärte Megan und umarmte Gabrielle und Jamie schnell. „Sehen wir uns bald wieder?“

„Ja“, antworteten die beiden unisono und winkten, als sich Megan zu Fuß zu dem Bürogebäude aufmachte, in dem sie arbeitete.

Jamie hob die Hand, um ein Taxi zu rufen. „Fährst du direkt nach Hause, Gabby?“

„Nein, noch nicht.“ Sie klopfte auf die Kameratasche, die ihr über die Schulter hing. „Ich dachte, ich gehe rüber zum Stadtpark, vielleicht ein bisschen Film verbrauchen. Und du?“

„David kommt in ungefähr einer Stunde aus Atlanta zurück“, antwortete er lächelnd. „Ich schwänze den Rest des Tages. Und vielleicht morgen auch.“

Gabrielle lachte. „Viele Grüße an ihn.“

„Werde ich ausrichten.“ Er beugte sich zu ihr und küsste sie auf die Wange. „Es ist schön, dich wieder lächeln zu sehen. Ich war letztes Wochenende wirklich besorgt um dich. Ich hatte dich noch nie so aufgewühlt gesehen. Alles in Ordnung mit dir, oder?“

„Ja. Mir geht es gut, wirklich.“

„Und jetzt hast du Detective Dunkel und Sexy, der sich um dich kümmert, und das doch gar nicht schlecht.“

„Nein. Das ist überhaupt nicht schlecht“, gab sie zu. Es gab ihr ein warmes Gefühl, wenn sie nur an ihn dachte.

Jamie zog sie in eine brüderliche Umarmung. „Also, meine Süße, wenn du irgendwas brauchst, was er dir nicht geben kann – und das bezweifle ich zutiefst –, dann rufst du mich einfach an, verstehst du? Ich hab dich lieb, meine Süße.“

„Hab dich auch lieb.“ Sie trennten sich, als ein Taxi am Straßenrand hielt. „Viel Spaß mit David.“

„Den werde ich haben, Mädchen.“ Er entfernte sich grinsend. „Pass auf dich auf.“

„Klar“, meinte sie und hob die Hand, um Jamie zum Abschied zu winken, als er in das Taxi stieg und das Auto sich wieder in den dichten Mittagsverkehr einfädelte.

Es dauerte nur wenige Minuten, um die wenigen Blocks von Chinatown bis zum Stadtpark zu Fuß zu gehen. Über das ausgedehnte Gelände schlendernd, machte Gabrielle ein paar Aufnahmen. Dann legte sie eine Pause ein, um eine Gruppe von Kindern zu beobachten, die in einem grasbewachsenen Picknickbereich Blindekuh spielten. Sie sah dem Mädchen im Zentrum des Spiels zu, dessen Augen mit einer Augenbinde bedeckt waren. Seine blonden Zöpfe hüpften, als es sich zuerst in eine Richtung drehte und dann in eine andere, die Hände ausgestreckt, und seine davonlaufenden Freunde zu fangen versuchte.

Gabrielle hob die Kamera und fing damit die herumrennenden, kichernden Kinder ein. Sie zoomte heran und folgte mit dem Objektiv dem Gesicht des hellhaarigen Mädchens mit den verbundenen Augen, hörte dabei dem ausgelassenen Lachen der Kinder zu, das durch den Park schallte. Sie machte kein Foto, sondern beobachtete das sorglose Spiel nur mit ihrer Kamera und versuchte, sich an eine Zeit zu erinnern, in der sie sich ähnlich zufrieden und sicher gefühlt hatte.

Gott, war das überhaupt jemals der Fall gewesen?

Einer der Erwachsenen, die die Kinder beaufsichtigten, rief sie zum Essen und beendete damit ihr wildes Spiel. Als die Kinder zu der Picknickdecke stürmten, ließ Gabrielle den Fokus ihrer Kamera wieder über den Park wandern. In dem verschwommenen Bild, das sie durch die Linse sah, erhaschte sie einen Blick auf jemanden, der sie aus dem Schatten eines großen Baumes heraus beobachtete.

Sie nahm den Fotoapparat herunter und blickte zu der Stelle, wo der junge Mann stand, der teilweise von dem Stamm der alten Eiche verdeckt war.

In dem trubeligen Park fiel er kaum auf, doch kam er ihr vage vertraut vor. Gabrielle bemerkte sein aschbraunes wuscheliges Haar, sein eintöniges Buttondown-Hemd und seine Standard-Khakihose. Er gehörte zu der Art von Leuten, die leicht mit einer Menschenmenge verschmolzen, aber sie war sich sicher, dass sie ihn erst kürzlich irgendwo gesehen hatte.

War er nicht letztes Wochenende in der Polizeiwache gewesen, als sie ihre Aussage gemacht hatte?

Wer auch immer er war, er musste bemerkt haben, dass sie ihn entdeckt hatte, denn er zog sich ganz plötzlich zurück, verschwand hinter dem Baum und verließ den Park dann in Richtung der Charles Street. Er holte ein Mobiltelefon aus seiner Hosentasche und warf ihr einen Blick über die Schulter zu, als er schnell in Richtung der Straße verschwand.

Gabrielles Nacken kribbelte vor Misstrauen und einem flauen Gefühl der Beunruhigung.

Er hatte sie beobachtet – aber warum?

Was zum Teufel sollte das? Irgendetwas ging hier vor sich, aber sie würde nicht länger nur hier herumstehen und darüber nachdenken.

Die Augen auf den Typen mit der Khakihose geheftet, folgte Gabrielle ihm, nachdem sie ihre Kamera wieder in ihre Tasche gepackt und den kleinen gepolsterten Rucksack aufgesetzt hatte. Der junge Mann war ihr etwa einen Häuserblock voraus, als sie die große Rasenfläche des Parks verließ und die Charles Street betrat.

„He!“, rief sie hinter ihm her und begann zu laufen.

Der Typ, der noch immer telefonierte, drehte den Kopf und sah sie an. Er sprach eindringlich in den Hörer, dann klappte er das Handy zusammen und umschloss es mit der Hand. Als er sich von ihr wegdrehte, beschleunigte sich sein schneller Schritt zu einem Sprint.

„Halt!“, schrie Gabrielle. Sie zog damit die Aufmerksamkeit anderer Leute auf der Straße auf sich, aber der junge Mann ignorierte sie weiterhin. „Ich sagte Halt, verdammt! Wer bist du? Warum spionierst du mir nach?“

Er rannte die überfüllte Charles Street entlang und verschwand in der Menge aus bummelnden Passanten. Gabrielle folgte ihm, den Touristen und Büroangestellten, die in ihrer Mittagspause unterwegs waren, ausweichend, den Blick auf den auf und ab hüpfenden Rucksack des Jungen gerichtet. Er bog in eine Straße und dann in eine andere ein, drang immer tiefer in die Stadt vor, weg von den Läden und Geschäften auf der Charles Street und zurück nach Chinatown mit seinem Menschengedränge.

Sie wusste nicht, wie weit sie den jungen Mann verfolgt hatte oder wo genau sie sich befand, aber plötzlich merkte sie, dass sie ihn verloren hatte. Sie bog um eine Straßenecke – und fühlte sich ganz allein, in einer Gegend, die ihr vollkommen fremd war. Ladeninhaber starrten sie unter Markisen und durch offen stehende Türen, die die Sommerluft hereinlassen sollten, an. Passanten warfen ihr ärgerliche Blicke zu, weil sie stocksteif mitten auf dem Bürgersteig stand und dem Strom der Fußgänger den Weg versperrte.

Und da bemerkte sie die Gegenwart einer bedrohlichen Macht hinter sich auf der Straße.

Gabrielle blickte sich um und sah eine schwarze Limousine mit dunkel getönten Fenstern, die langsam zwischen den anderen Autos entlangfuhr. Sie rollte elegant, bedächtig, wie ein Hai, der auf der Suche nach einer besseren Beute einen Schwarm von Elritzen durchquert.

Kam sie auf sie zu?

Vielleicht saß der junge Mann, der ihr hinterherspioniert hatte, darin. Vielleicht hatten sein Erscheinen und das dieses unheilvoll aussehenden Wagens etwas mit der Person zu tun, die Jamie ihre Fotografien abgekauft hatte.

Oder vielleicht war es etwas Schlimmeres.

Vielleicht hatte es etwas mit dem schrecklichen Mord zu tun, den sie am Wochenende gesehen hatte. Mit ihrem Bericht bei der Polizei. Vielleicht war es doch einfach eine Abrechnung unter Banden gewesen, über die sie gestolpert war. Vielleicht hatten diese bösartigen Kreaturen – sie konnte sich selbst nicht so recht davon überzeugen, dass sie Menschen waren – entschieden, dass sie ihr nächstes Ziel sein sollte.

Eiskalte Angst breitete sich in ihrem Körper aus, als das Fahrzeug aus der Fahrspur ausscherte, die dicht an dem Bürgersteig vorbeiführte, auf dem sie noch immer stand.

Sie begann zu gehen. Und beschleunigte ihren Schritt.

Hinter ihr heulte der Motor des Wagens auf.

Oh Gott.

Er verfolgte sie!

Gabrielle wartete nicht das Quietschen der Reifen hinter sich ab, sie schrie auf und rannte in blinder Hast davon, so schnell sie nur konnte.

Es waren zu viele Menschen um sie herum. Zu viele Hindernisse auf ihrem direkten Weg. Sie wich den umherlaufenden Fußgängern aus, zu panisch, um sich bei denen zu entschuldigen, die sie angerempelt hatte und die ihr einen Fluch oder eine Beschimpfung hinterherschickten.

Es war ihr egal, sie war sich sicher, dass es hier um Leben und Tod ging.

Ein rascher Blick hinter sich bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen. Das Auto war ihr dicht auf den Fersen. Gabrielle senkte den Kopf und beeilte sich noch mehr, betete, dass sie es schaffte, die Straße zu verlassen, bevor das Fahrzeug sie überfahren konnte.

In ihrer Eile vertrat sie sich den Fuß.

Sie stolperte, verlor das Gleichgewicht und stürzte hart auf den rauen Beton. Sie fiel auf ihre bloßen Knie und ihre Hände, schürfte sich alles auf. Der brennende Schmerz ließ ihr die Tränen in die Augen steigen, aber sie ignorierte ihn. Gabrielle stolperte auf die Füße. Sie hatte sich kaum aufgerappelt, als sie den harten Griff eines Fremden an ihrem Ellbogen spürte.

Sie keuchte auf, geriet noch mehr in Panik.

„Sin’ Sie in Ordnung, Lady?“ Der grauhaarige Kopf eines städtischen Arbeiters erschien in ihrem Gesichtsfeld. Der Blick seiner von Falten umgebenen blauen Augen fiel auf ihre Wunden. „O je. Seh’n Sie sich das an, Sie bluten ja.“

„Lassen Sie mich los!“

„Ha’m Sie nich’ die Pylonen da drüben gesehen?“ Er zeigte mit dem Daumen über die Schulter zu den orangefarbenen Kegeln, an denen sie vorbeigerannt war. „Ich hab den ganzen Abschnitt vom Bürgersteig aufgerissen.“

„Bitte – es ist okay. Mir geht es gut.“

Gefangen in seinem gut gemeinten Griff, der sie jedoch an ihrer Flucht hinderte, wandte Gabrielle den Kopf und sah gerade noch, wie die dunkle Limousine an die Ecke, an der sie noch vor einem Augenblick gestanden hatte, heranfuhr und abrupt am Straßenrand stehen blieb. Die Fahrertür öffnete sich, und ein riesengroßer Mann mit breiten Schultern stieg aus.

„Oh Gott. Lassen Sie mich los!“ Gabrielle entriss dem Mann, der ihr zu helfen versuchte, ihren Arm, den Blick auf dieses monströse Auto und die Gefahr, die herauskroch, geheftet. „Sie verstehen nicht – sie sind hinter mir her!“

„Wer?“ Die Stimme des Straßenarbeiters klang ungläubig. Er folgte ihrem Blick und ließ ein Lachen ertönen. „Sie meinen diesen Kerl? Mensch, das is’ der verdammte Bürgermeister von Boston!“

„Wa…“

Es stimmte. Etwas verwirrt angesichts dieser neuen Situation beobachtete sie das Geschehen. Die schwarze Limousine war überhaupt nicht hinter ihr her. Sie hatte am Straßenrand angehalten, wo der Fahrer nun wartete und die hintere Tür aufhielt. Der Bürgermeister selbst verließ ein Restaurant, flankiert von Bodyguards in Anzügen. Sie alle stiegen hinten in das Fahrzeug ein.

Gabrielle schloss die Augen. Ihre aufgeschlagenen Handflächen brannten. Ihre Knie ebenfalls. Ihr Puls raste immer noch, aber ihr gesamtes Blut schien aus ihrem Kopf geströmt zu sein.

Sie fühlte sich wie eine komplette Idiotin.

„Ich dachte …“, murmelte sie, als der Fahrer die Tür schloss, vorne einstieg und dann den Wagen des Bürgermeisters wieder in den Verkehr einfädelte.

Der Arbeiter ließ ihren Arm los. Er trat ein paar Schritte von ihr weg und ging kopfschüttelnd zu der Tüte mit seinem Mittagessen und seinem Kaffee zurück. „Was is’ los mit Ihnen? Sin’ Sie verrückt oder so?“

 

Scheiße.

Sie sollte ihn nicht sehen. Sein Auftrag hatte gelautet, die Maxwell zu observieren. Ihre Aktivitäten aufzuschreiben. Ihre Gewohnheiten kennenzulernen. Alles seinem Meister zu berichten. Aber das Wichtigste war, zu vermeiden, entdeckt zu werden.

Der Lakai fluchte erneut in seinem Versteck, seine Wirbelsäule flach gegen das Innere einer unscheinbaren Tür in einem unscheinbaren Gebäude gepresst, einem von zahlreichen solcher Orte, die zwischen den Märkten und Restaurants in Chinatown eingebettet lagen. Vorsichtig zog er die Tür auf und spähte umher, um zu sehen, ob er die Frau irgendwo draußen entdecken konnte.

Da war sie, auf der anderen Seite der stark befahrenen Straße, ihm direkt gegenüber.

Und er war froh zu sehen, dass sie die Gegend verließ. Er konnte gerade noch ihr kupferfarbenes Haar sehen, als sie durch den Strom der Fußgänger auf dem Bürgersteig lief, mit gesenktem Kopf. An der Art, wie sie ging, war zu erkennen, dass sie aufgeregt war.

Er blieb in seinem Versteck und beobachtete sie, bis nichts mehr von ihr zu sehen war. Dann schlüpfte er wieder auf die Straße zurück und ging in die entgegengesetzte Richtung. Er hatte mehr als eine Stunde Mittagspause verschwendet und sollte besser zur Polizeiwache zurückkehren, bevor er vermisst wurde.