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Zwei volle Tage verstrichen.

Gabrielle versuchte das Entsetzen über das, was sie in jener Nacht erlebt hatte, aus ihrem Gedächtnis zu verbannen. Was für eine Rolle spielte das überhaupt? Niemand hatte ihr geglaubt. Nicht die Polizei, die noch immer niemanden geschickt hatte, obwohl man es ihr versprochen hatte, und nicht einmal ihre Freunde.

Jamie und Megan, die miterlebt hatten, wie die Schlägertypen in der Lederkluft den Jungen belästigt hatten, erzählten, dass die Gruppe irgendwann im Lauf der Nacht ohne Zwischenfall den Club verlassen hatte. Kendra war zu beschäftigt mit Brent gewesen, dem Typen, den sie auf der Tanzfläche aufgelesen hatte, um irgendetwas um sich herum zu bemerken. Laut Aussage der Polizisten in der Polizeiwache hatten alle, die von den Streifenpolizisten im La Notte befragt worden waren, die gleiche Geschichte erzählt. Ein kurzes Handgemenge an der Bar, aber keine Berichte über eine Schlägerei im oder vor dem Club.

Niemand hatte den Kampf gesehen, den sie gemeldet hatte. Es hatte keine Einlieferungen in Krankenhäuser oder Leichenschauhäuser gegeben. Nicht einmal einen Schadensbericht des Taxifahrers, den sie in jener Nacht angehalten hatte.

Überhaupt nichts.

Wie konnte das sein? Hatte sie ernsthaft Wahnvorstellungen?

Es schien, als ob sie die Einzige gewesen war, die in dieser Nacht etwas gesehen hatte. Entweder war sie wirklich die einzige Zeugin dieses Unerklärlichen – oder aber sie verlor den Verstand.

Vielleicht etwas von beidem.

Es war ihr unmöglich, sich mit diesen Gedanken weiter zu befassen. Also suchte sie Trost in der einzigen Sache, an der sie überhaupt Spaß hatte. Hinter der verschlossenen Tür ihrer Dunkelkammer, die ganz nach ihren Wünschen gebaut worden war, legte Gabrielle ein Blatt Fotopapier in die Wanne mit Entwicklungslösung. Aus dem bleichen Nichts heraus begann das Bild unter der Oberfläche der Flüssigkeit Gestalt anzunehmen. Sie sah zu, wie es zum Leben erwachte – die makabre Schönheit kräftiger Efeuranken, die sich über dem verfallenen Bauwerk einer alten Nervenheilanstalt im gotischen Stil ausbreiteten, das sie kürzlich außerhalb der Stadt entdeckt hatte. Es war besser geworden, als sie gehofft hatte. Ihr künstlerischer Instinkt war geweckt; sie dachte an eine ganze Serie, die sich um das trostlose Spukhaus drehen würde. Sie legte das Bild beiseite und entwickelte das nächste. Dieses hier war eine Nahaufnahme einer jungen Kiefer, die aus einem Riss in dem gesprungenen Asphalt eines vor langer Zeit verlassenen Holzlagers wuchs.

Die Bilder entlockten ihr ein Lächeln, als sie sie aus der Lösung nahm und sie zum Trocknen an die Leine hängte. Sie hatte oben auf ihrem Arbeitstisch noch fast ein Dutzend anderer Fotos wie diese, Zeugnisse von der Widerspenstigkeit der Natur und der Dummheit der Menschen, ihrer Gier und ihrer Arroganz.

Gabrielle hatte sich immer irgendwie als Außenseiterin gefühlt, wie eine stumme Beobachterin, schon seit ihrer Kindheit. Sie führte es darauf zurück, dass sie keine Eltern hatte – überhaupt keine Familie, nur das Paar, das sie adoptiert hatte, als sie ein zwölfjähriges Mädchen voller Probleme gewesen war, das von einer Pflegefamilie zur nächsten weitergereicht worden war. Die Maxwells, ein Paar aus der gehobenen Mittelschicht ohne eigene Kinder, hatten sich ihrer freundlicherweise erbarmt, aber selbst ihre Akzeptanz war voller Distanz gewesen. So war Gabrielle auf Internate, Sommerlager und schließlich eine Universität in einem anderen Bundesstaat geschickt worden. Ihre Eltern, wenn man sie so nennen konnte, waren bei einem Autounfall ums Leben gekommen, als sie weit entfernt auf dem College gewesen war.

Gabrielle war nicht zur Beerdigung gegangen, aber die erste ernsthafte Fotografie, die sie gemacht hatte, waren zwei im Schatten eines Ahorns liegende Grabsteine auf dem Friedhof Mount Auburn gewesen. Seitdem hatte sie regelmäßig fotografiert.

Sie hatte nie zu den Leuten gehört, die um die Vergangenheit trauerten. Gabrielle schaltete das Dunkelkammerlicht aus und machte sich wieder auf den Weg nach oben, um sich um das Abendessen zu kümmern. Sie stand noch keine zwei Minuten in der Küche, als es an der Tür klingelte.

Jamie war großzügigerweise die vergangenen zwei Nächte bei ihr geblieben, nur um sicherzustellen, dass es Gabrielle gut ging. Er machte sich Sorgen um sie, war fürsorglich wie ein großer Bruder, den sie niemals gehabt hatte. Als er am Morgen gegangen war, hatte er ihr angeboten, später wiederzukommen, aber Gabrielle hatte darauf bestanden, dass sie auch alleine zurechtkäme. Tatsächlich brauchte sie etwas Zeit für sich, und als die Türglocke erneut klingelte, verspürte sie einen leichten Anflug von Ärger, dass sie auch heute Abend nicht allein sein durfte.

„Ich komme gleich“, rief sie aus dem Vorraum der Wohnung.

Wie immer streckte sie sich, um durch den Spion zu sehen, aber statt Jamies blondem Haarschopf erblickte Gabrielle den dunkelhaarigen Kopf und die markanten Gesichtszüge eines unbekannten Mannes, der vor ihrer Tür wartete. Eine nachgebaute Gaslampe stand auf dem Bürgersteig direkt vor ihrer Vordertreppe. Der weiche gelbe Lichtschein legte sich um den Mann wie ein goldener Umhang. Es lag etwas Bedrohliches, aber dennoch Fesselndes in seinen blassgrauen Augen, die in den engen Glaszylinder hineinstarrten, so als könne er auch sie auf der anderen Seite sehen.

Sie öffnete die Tür, hielt es aber für das Beste, die Sperrkette nicht zu entfernen. Der Mann trat vor den offenen Türspalt und blickte auf die Kette, die zwischen ihnen straff gespannt war. Als sein Blick wieder auf den von Gabrielle traf, schenkte er ihr ein leichtes Lächeln, als fände er es amüsant, dass sie glaubte, ihm so leicht den Einlass verwehren zu können, wenn er wirklich hineinwollte.

„Miss Maxwell?“ Seine Stimme streichelte ihre Sinne wie schwerer, dunkler Samt.

„Ja?“

„Mein Name ist Lucan Thorne.“ Die Worte rollten ihm in einem weichen, getragenen Tonfall über die Lippen, der ihr sofort einen Teil ihrer Angst nahm. Als Gabrielle schwieg, sprach er weiter. „Ich habe gehört, dass Sie vor einigen Nächten einige … Schwierigkeiten auf der Polizeiwache hatten. Ich komme vorbei, um sicherzugehen, dass es Ihnen gut geht.“

Sie nickte.

Offensichtlich nahm die Polizei sie doch wenigstens ein bisschen ernst. Da es nun schon einige Tage her war, in denen sie nichts von den Beamten gehört hatte, hatte Gabrielle nicht erwartet, noch einmal einen Polizisten bei sich zu sehen, selbst wenn man versprochen hatte, jemanden bei ihr vorbeizuschicken. Auch wenn sie sich nicht sicher sein konnte, dass dieser Kerl mit seinem elegant frisierten schwarzen Haar und seinen scharf geschnittenen Gesichtszügen wirklich Polizist war.

Er sah ganz schön finster aus, dachte sie, aber abgesehen von seinem düsteren, gefährlich guten Aussehen schien er es nicht darauf anzulegen, ihr irgendeinen Schaden zuzufügen. Trotzdem hielt Gabrielle es nach allem, was sie erlebt hatte, für klug, lieber etwas vorsichtiger zu sein.

„Haben Sie einen Ausweis?“

„Natürlich.“

Mit bedächtigen, fast sinnlichen Bewegungen öffnete er eine dünne Lederbrieftasche und hielt sie vor dem schmalen Türschlitz in die Höhe. Es war fast dunkel draußen. Vermutlich dauerte es deswegen eine Weile, bis sich Gabrielles Augen auf die glänzende Polizeimarke und den Ausweis mit Foto, auf dem sein Name stand, eingestellt hatten.

„Okay. Kommen Sie herein, Detective.“

Sie öffnete zuerst die Kette und dann die Tür und ließ ihn eintreten, seine breiten Schultern füllten die Türöffnung fast gänzlich aus. Tatsächlich schien seine Anwesenheit den gesamten Vorraum zu füllen. Er war ein großer Mann, hochgewachsen und in seinem schwarzen Mantel recht massig. Seine dunkle Kleidung und sein seidiges schwarzes Haar verschluckten das weiche Licht der Hängelampe an der Decke. Er hatte ein selbstsicheres, fast majestätisches Auftreten, sein Gesichtsausdruck war grimmig und ernst. Es schien, als würde es besser zu ihm passen, eine Legion von Rittern zu kommandieren, als nach Beacon Hill zu fahren, um einer Frau mit Wahnvorstellungen Händchen zu halten.

„Ich hätte nicht gedacht, dass jemand herkommen würde. Nach dem Empfang, der mir in jener Nacht auf der Wache bereitet wurde, dachte ich, dass man mich als Verrückte abgeschrieben hätte.“

Weder bestätigte er ihre Worte, noch stritt er sie ab. Er ging nur stumm durch ihr Wohnzimmer und ließ seinen Blick ungeniert durch den Raum schweifen. An ihrem Arbeitstisch hielt er inne. Dort waren die Entwürfe von einigen ihrer letzten Bilder arrangiert. Gabrielle lief hinter ihm durch den Raum und beobachtete beiläufig seine Reaktion auf ihre Arbeit. Eine dunkle Augenbraue wanderte in die Höhe, als er die Fotografien betrachtete.

„Sind das Ihre?“, fragte er und blickte sie mit seinen hellen Augen durchdringend an.

„Ja“, antwortete Gabrielle. „Sie gehören zu einer Sammlung, die ich Städtische Erneuerung nenne.“

„Interessant.“

Er sah sich nun wieder die stattliche Reihe von Bildern an, und Gabrielle bemerkte, wie sie über seine vorsichtige, aber gleichgültige Antwort die Stirn runzelte. „Das ist nur etwas, mit dem ich im Augenblick herumspiele – nichts, was schon bereit für eine Ausstellung wäre.“

Er grunzte, während er noch immer schweigend die Fotografien betrachtete.

Gabrielle trat näher an ihn heran, versuchte so, seine Reaktion oder eher das Fehlen einer solchen besser greifen zu können. „Ich mache eine Menge Auftragsarbeit überall in der Stadt. In diesem Monat werde ich wohl noch einige Aufnahmen für das Haus des Gouverneurs auf The Vineyard machen.“

Halt die Klappe, ermahnte sie sich selbst. Warum versuchte sie diesen Kerl zu beeindrucken?

Detective Thorne schien nicht übermäßig beeindruckt zu sein. Ohne ein Wort streckte er die Hand aus und arrangierte mit Fingern, die viel zu fein für einen Polizisten waren, zwei der Bilder auf dem Tisch neu. Merkwürdigerweise stellte sich Gabrielle vor, wie diese langen, geschickten Finger ihre nackte Haut berührten, sich in ihr Haar gruben, ihren Kopf hielten … ihn nach hinten beugten, bis er auf seinem starken Arm zu liegen kam und seine kühlen, grauen Augen sie in sich aufnahmen.

„Also“, sagte sie und holte sich damit in die Wirklichkeit zurück. „Ich wette, Sie möchten sich lieber die Bilder ansehen, die ich Samstagnacht bei dem Club gemacht habe, stimmt’s?“

Ohne seine Antwort abzuwarten, ging sie in die Küche und nahm ihr Mobiltelefon vom Tisch. Sie klappte es auf, rief dann ein Bild auf und hielt Detective Thorne das Gerät hin.

„Das ist das erste Bild, das ich gemacht habe. Meine Hände haben gezittert, sodass es ein bisschen verschwommen ist. Und durch das Blitzlicht werden eine Menge Einzelheiten undeutlich. Aber wenn Sie genau hinsehen, werden Sie erkennen, dass da sechs dunkle Gestalten auf dem Boden zusammengedrängt sind. Das sind sie – die Killer. Ihr Opfer ist dieser Haufen, der vor ihnen liegt und an dem sie zerren. Sie haben … ihn gebissen. Wie Tiere.“

Thorne heftete seinen Blick fest auf das Bild, und sein Gesichtsausdruck blieb unveränderlich finster. Gabrielle klickte das nächste Foto an.

„Der Blitz hat sie erschreckt. Ich weiß nicht – ich glaube, er hat sie geblendet oder so. Als ich die nächsten Bilder gemacht habe, hielt einer von ihnen inne und sah mich an. Ich kann eigentlich keine richtigen Gesichtszüge erkennen, aber das ist das Gesicht von einem von ihnen. Diese seltsamen Lichtschlitze sind seine reflektierenden Augen.“ Sie schauderte, als sie sich an das gelbe Glühen der grauenhaften, unmenschlichen Augen erinnerte. „Er hat mich direkt angesehen.“

Der Detective schwieg weiterhin. Er nahm Gabrielle das Handy aus der Hand und klickte sich durch die übrigen Bilder.

„Was meinen Sie?“, fragte sie, auf Bestätigung hoffend. „Sie können es ebenfalls sehen, oder?“

„Ich sehe … etwas, ja.“

„Gott sei Dank. Ihre Kollegen auf der Wache haben versucht, mir einzureden, dass ich verrückt wäre oder unter Drogen stünde, ein Junkie, der nicht weiß, was er redet. Nicht einmal meine Freunde haben mir geglaubt, als ich ihnen erzählt habe, was ich in dieser Nacht gesehen habe.“

„Ihre Freunde“, sagte er vorsichtig nach einem Moment der Überlegung. „Also gibt es da noch jemand anders als den Mann, mit dem Sie auf der Wache waren – Ihr Liebhaber?“

„Mein Liebhaber?“ Sie brach in Lachen aus. „Jamie ist nicht mein Liebhaber.“

Thorne sah von dem Handydisplay auf, um ihren Blick zu suchen. „Er hat die beiden vergangenen Nächte allein mit Ihnen verbracht, hier in dieser Wohnung.“

Woher wusste er das? Gabrielle spürte Entrüstung in sich aufsteigen bei dem Gedanken, von irgendjemandem, einschließlich der Polizei, ausspioniert zu werden, zumal die das vermutlich mehr aus Misstrauen als zu ihrem Schutz getan hatte. Aber als sie neben Detective Lucan Thorne in ihrem Wohnzimmer stand, verrauchte ihr Ärger allmählich und machte einem Gefühl der Ruhe, des Einverständnisses Platz. Seltsam, dachte sie, aber der Gedanke ließ sie ziemlich kalt.

„Jamie ist ein paar Nächte bei mir geblieben, weil er nach dem, was in dieser Nacht passiert ist, besorgt um mich war. Er ist ein guter Freund, das ist alles.“

Gut.

Thornes Mund hatte sich nicht bewegt, aber Gabrielle hatte das sichere Gefühl, dass sie seine Antwort gehört hatte. Seine unausgesprochenen Worte, seine Freude, als sie abstritt, einen Liebhaber zu haben, schienen tief in ihr etwas anzusprechen. Vielleicht war es nur Wunschdenken. Es war schon lange her, dass sie etwas Ähnliches wie einen Freund gehabt hatte, und allein die Anwesenheit von Lucan Thorne rief merkwürdige Reaktionen ihres Verstandes hervor. Oder eher ihres Körpers.

Als er sie anstarrte, spürte Gabrielle, wie sich ein angenehmes Gefühl der Wärme in ihrem Bauch ausbreitete. Unter seinem Blick wurde ihr ganz heiß. In ihrem Kopf formte sich plötzlich ein Bild – sie und er, wie sie sich gemeinsam nackt in der vom Mondlicht erhellten Dunkelheit ihres Schlafzimmers wanden. Explosionsartig durchströmte Hitze ihren Körper. Sie konnte seine harten Muskeln unter ihren Fingerspitzen spüren, seinen starken Körper, der sich über ihr bewegte … seinen großen Schaft, der sie ausfüllte und tief in ihr explodierte.

Oh ja, dachte sie und wand sich innerlich vor Verlegenheit. Jamie hatte recht. Sie hatte wirklich zu lange enthaltsam gelebt.

Thorne zwinkerte langsam, seine dichten schwarzen Wimpern schlossen sich wie Blenden über seinen sturmsilbernen Augen. Gabrielle fühlte, wie sich ein Teil der Anspannung in ihr löste, wie eine kühle Brise, die über ihre erhitzte nackte Haut strich. Noch immer klopfte ihr Herz schnell, und der Raum erschien ihr immer noch seltsam warm.

Er drehte seinen Kopf von ihr weg, und ihr Blick wurde von seinem Haaransatz angezogen, dort, wo sein gepflegtes schwarzes Haar auf den Kragen seines maßgeschneiderten Hemdes traf. Da war eine Tätowierung auf seinem Hals zu sehen – zumindest dachte sie, es wäre eine Tätowierung. Verschlungene Wirbel und geometrisch wirkende Symbole aus Tinte, nur wenig dunkler als seine Haut, verliefen über seinen Nacken und über die Seite des Halses. Sie verschwanden unter seinem dichten schwarzen Haar. Gabrielle fragte sich, wie der Rest aussah und ob das schöne Muster eine besondere Bedeutung hatte.

Sie verspürte einen fast unbezähmbaren Drang, die Zeichnungen mit ihrer Fingerspitze nachzuzeichnen. Vielleicht auch mit ihrer Zunge.

„Sagen Sie mir, was Sie Ihren Freunden über den Kampf erzählt haben, den Sie vor dem Club gesehen haben.“

Sie schluckte, ihre Kehle war ganz trocken, und sie schüttelte den Kopf, um sich wieder auf das Gespräch konzentrieren zu können. „Ja. Richtig.“

Gott, was stimmte nicht mit ihr? Gabrielle ignorierte das merkwürdige Rasen ihres Herzschlags und konzentrierte sich auf die Ereignisse der Nacht von neulich. Sie erzählte dem Polizisten die Geschichte ausführlich, wie sie es auch bei den anderen Polizeibeamten und später ihren Freunden getan hatte. Sie berichtete ihm jedes schreckliche Detail, und er hörte ganz genau zu, unterbrach sie nicht. Sein Blick ruhte zustimmend auf ihr, was Gabrielles Erinnerung an den Mord zu schärfen schien.

Als sie ihren Bericht beendete, bemerkte sie, dass Thorne sich ein weiteres Mal durch die Bilder auf ihrem Handy klickte. Die grimmige Linie seines Mundes hatte nun einen ernsten Ausdruck angenommen. „Miss Maxwell, was denken Sie – was genau zeigen diese Bilder?“

Sie blickte auf und begegnete seinem Blick, diesen klugen, durchdringenden Augen, die sich in ihre bohrten. In diesem Augenblick schoss Gabrielle ein Wort durch den Kopf – unglaublich, lächerlich, erschreckend klar.

Vampire.

„Ich weiß nicht“, antwortete sie lahm und versuchte das lauter werdende Flüstern in ihrem Kopf zu übertönen. „Ich meine, ich bin mir nicht sicher, was ich denken soll.“

Falls der Detective nicht sowieso schon dachte, dass sie verrückt war, dann würde er es bestimmt tun, wenn sie mit dem Wort herausplatzte, das nun durch ihre Gedanken trieb und ihr einen kalten Schauder über den Rücken jagte. Das war die einzige Erklärung, die sie für den grausigen Mord hatte, deren Zeugin sie in jener Nacht geworden war.

Vampire?

Oh Gott. Sie war wirklich verrückt.

„Ich werde dieses Gerät mitnehmen müssen, Miss Maxwell.“

„Gabrielle“, bot sie ihm an. Sie lächelte unbehaglich. „Meinen Sie, dass die gerichtsmedizinische Abteilung, oder wer auch immer diese Art von Sachen macht, in der Lage sein wird, die Bilder deutlicher zu machen?“

Er neigte den Kopf ein wenig, eine Bewegung, die nicht ganz ein Nicken war, und steckte dann ihr Handy in die Tasche. „Ich bringe es Ihnen morgen Abend zurück. Sie sind dann zu Hause?“

„Sicher.“ Wie konnte er eine einfache Frage dermaßen nach einem Befehl klingen lassen? „Ich danke Ihnen für Ihren Besuch, Detective Thorne. Es waren ein paar harte Tage für mich.“

„Lucan“, entgegnete er und betrachtete sie einen Moment lang eingehend. „Nennen Sie mich Lucan.“

Hitze schien aus seinen Augen nach ihr zu greifen, doch da war noch etwas anderes in diesen Augen: ein geradezu stoisches Verständnis, als habe dieser Mann mehr Schrecken gesehen, als sie jemals würde begreifen können. Sie konnte das Gefühl nicht benennen, das sie in diesem Augenblick durchströmte, aber es brachte ihren Puls zum Rasen, und der Raum fühlte sich an, als sei ihm die gesamte Luft entzogen worden. Der Mann sah sie immer noch an, abwartend, als erwartete er, dass sie seinen Wunsch, sie möge seinen Namen aussprechen, umgehend befolgte.

„In Ordnung … Lucan.“

„Gabrielle“, erwiderte er, und der Klang ihres Namens auf seinen Lippen ließ einen lustvollen Schauder durch ihre Adern schießen.

Etwas an der Wand hinter ihr erregte seine Aufmerksamkeit. Er warf einen Blick dorthin, wo eine von Gabrielles umjubeltsten Fotografien hing. Sein Mund kräuselte sich leicht, eine sinnliche Bewegung seiner Lippen, die auf Belustigung hindeutete, vielleicht auch auf Überraschung. Gabrielle drehte sich um, um das Bild eines Parks in der Innenstadt anzusehen, der gefroren und trostlos unter einer dichten Schneedecke im Dezember lag.

„Ihnen gefällt meine Arbeit nicht“, meinte sie.

Er schüttelte sanft seinen dunkelhaarigen Kopf. „Ich finde sie … faszinierend.“

Jetzt war ihre Neugierde geweckt. „Und warum?“

„Sie finden Schönheit an den ungewöhnlichsten Orten“, antwortete er nach einer langen Pause. Seine Aufmerksamkeit war nun auf sie gerichtet. „Ihre Bilder sind voller Leidenschaft …“

„Aber?“

Zu ihrer Verblüffung streckte er die Hand aus und strich mit dem Finger über die Linie ihres Kinns. „Es sind darauf keine Menschen zu sehen, Gabrielle.“

„Natürlich sind da …“

Sie wollte seine Behauptung schon abstreiten, aber bevor die Worte ihre Zunge erreichten, wurde ihr plötzlich bewusst, dass er recht hatte. Ihr Blick fiel rasch auf jede gerahmte Fotografie, die sie in ihrer Wohnung aufbewahrte, und in ihrer Erinnerung ging sie all die anderen Bilder durch, die in Galerien, Museen und Privatsammlungen überall in der Stadt hingen.

Er hatte recht. Auf allen Bildern waren nur leere Plätze, einsame Plätze zu sehen, egal, was ihr Thema war.

Keines von ihnen enthielt ein einziges Gesicht oder auch nur den Hauch von menschlichem Leben.

„Oh mein Gott“, flüsterte sie, fassungslos über diese Enthüllung.

In nur wenigen Momenten hatte dieser Mann ihre Arbeit definiert, wie es noch nie jemand zuvor getan hatte. Sie hatte nicht nur die offensichtliche Wahrheit in ihrer Kunst gesehen, sondern Lucan Thorne hatte ihr unerklärlicherweise die Augen geöffnet. Es war, als habe er einen Blick in ihre innerste Seele geworfen.

„Ich muss jetzt gehen“, sagte er und steuerte bereits auf die Tür zu.

Gabrielle folgte ihm und wünschte sich, er würde noch länger bleiben. Vielleicht würde er später noch einmal zurückkehren. Fast hätte sie ihn darum gebeten, aber sie zwang sich dazu, zumindest einen Rest an Selbstbeherrschung aufrechtzuerhalten. Thorne war schon halb zur Tür hinaus, als er plötzlich auf der Schwelle anhielt. Er wandte sich ihr zu und stand in der Enge des Vorraums viel zu dicht vor ihr. Sein großer Körper drängte sich gegen sie, aber Gabrielle hatte nichts dagegen einzuwenden. Sie wagte nicht einmal zu atmen.

„Stimmt irgendwas nicht?“

Seine feinen Nasenlöcher weiteten sich fast unmerklich. „Was für ein Parfüm benutzen Sie?“

Die Frage machte Gabrielle nervös. Sie war so unerwartet, so persönlich. Gabrielle spürte, wie Hitze in ihren Wangen aufstieg, obwohl sie keine Ahnung hatte, warum sie eigentlich verlegen war. „Ich benutze kein Parfüm. Es geht nicht. Ich bin allergisch.“

„Tatsächlich.“

Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln, als seien seine Zähne plötzlich zu viel für seinen Mund geworden. Er beugte sich zu ihr und neigte langsam den Kopf, bis er über ihrem Hals schwebte. Gabrielle hörte seinen sanften Atem und spürte, wie er ihre Haut erst kühl, dann warm liebkoste – als er ihren Duft in seine Lungen sog und durch seine Lippen wieder entließ. Hitze versengte ihren Hals, und sie hätte schwören können, dass sie kurz den Druck seines Mundes fühlte, der ihren Puls streifte. Dieser begann unregelmäßig zu pochen, als der Kopf des Mannes ihrem Körper so nahe kam. Sie vernahm ein leises Knurren in der Nähe ihres Ohrs, etwas, das sich beinahe wie ein Fluch anhörte.

Thorne löste sich abrupt von ihr, aber er wich ihrem erschrockenen Blick aus. Er entschuldigte sich auch nicht für sein seltsames Benehmen.

„Sie riechen nach Jasmin“, war alles, was er sagte.

Und dann schritt er, ohne sie anzusehen, durch die Tür und trat auf die dunkle Straße hinaus.

 

Es war falsch, die Frau zu verfolgen.

Lucan wusste das und hatte es auch gewusst, als er an diesem Abend auf den Stufen zu Gabrielle Maxwells Wohnung gewartet und ihr dann die Polizeimarke und den Fotoausweis eines Kriminalbeamten gezeigt hatte. Sie gehörten nicht ihm. Tatsächlich existierten sie noch nicht einmal wirklich, waren nichts als eine hypnotische Manipulation, die Gabrielle vorspiegelten, er sei derjenige, als der er sich vorgestellt hatte.

Ein einfacher Trick für die Ältesten seiner Art, wie er selbst einer war, aber er ließ sich nur selten dazu herab, diese List anzuwenden.

Aber dennoch war er nun wieder hier, irgendwann nach Mitternacht, und strapazierte seinen persönlichen Ehrenkodex, der sowieso schon ziemlich überreizt war, noch mehr, als er den Türknauf an ihrer Haustür drehte und ihn unverschlossen vorfand. Lucan hatte gewusst, dass es so sein würde; am Abend hatte sich Gabrielle seinen Annäherungen gegenüber äußerst empfänglich, wenn auch überrascht gezeigt.

Er hätte sie schon da nehmen können. Sie hätte seinen Durst bereitwillig gestillt, da war er sich sicher; der unendliche Genuss, den sie gehabt hätten, hätte seinen Untergang bedeuten können. Aber Lucan war in erster Linie dem Stamm und seinen Mitstreitern im Kampf gegen die Rogues verpflichtet.

Schlimm genug, dass Gabrielle den Mord vor dem Club gesehen und der Polizei und ihren Freunden davon berichtet hatte, bevor ihre Erinnerung an das Ereignis gelöscht werden konnte, aber es war ihr außerdem noch gelungen, Aufnahmen davon zu machen. Sie waren körnig und fast nicht zu erkennen, bedeuteten aber dennoch belastendes Material. Er musste die Bilder sicherstellen, bevor sie die Chance hatte, sie noch mehr Leuten zu zeigen. Zumindest das hatte er erreicht. Eigentlich sollte er bei Gideon im Techniklabor sein und den Rogue identifizieren, der vor dem La Notte entkommen war, oder mit Dante, Rio, Conlan und den anderen durch die Stadt fahren, um weitere ihrer kranken Brüder zur Strecke zu bringen. Und das würde er auch, wenn er erst diesen letzten Teil der Angelegenheit um die hinreißende Gabrielle Maxwell erledigt hatte.

Lucan schlüpfte in das alte Backsteingebäude in der Willow Street und schloss die Tür hinter sich. Gabrielles unwiderstehlicher Duft erfüllte seine Nase und führte ihn zu ihr, so wie in der Nacht am Club und später bei der Polizeiwache im Stadtzentrum. Leise bahnte er sich seinen Weg durch ihre Wohnung, durch das Erdgeschoss und die Treppe zu ihrem Schlafzimmer hinauf. Oberlichter in der Gewölbedecke ließen das blasse Leuchten des Mondes herein, das sanft über Gabrielles anmutige Kurven spielte. Sie schlief nackt in ihrem Bett, als erwarte sie seine Ankunft. Das zerwühlte Bettzeug war um ihre langen Beine geschlungen, und ihr langes, bronzefarbenes Haar lag in verschwenderischen Wellen aus rotem Gold um ihren Kopf herum ausgebreitet.

Ihr Duft hüllte ihn ein, süß und sinnlich, und ließ seine Zähne schmerzen.

Jasmin, dachte er lächelnd. Eine exotische Blume, die ihre duftenden Blütenblätter nur unter dem Einfluss der Nacht öffnete.

Öffne dich nun für mich, Gabrielle.

Aber er würde sie nicht verführen, entschied er, nicht auf diese Art. Heute Nacht wollte er nur kosten, nur so viel, dass er seine Neugier befriedigen konnte. Das war alles, was er sich selbst zugestehen würde. Wenn er damit fertig wäre, würde Gabrielle sich nicht daran erinnern, ihn getroffen zu haben, und auch nicht an das Grauen, das sie vor einigen Nächten in der Gasse erlebt hatte.

Sein eigenes Verlangen würde warten müssen.

Lucan trat an das Bett heran und ließ sich vorsichtig auf der Matratze neben ihr nieder. Er streichelte ihr weiches rotblondes Haar, strich mit den Fingern über die schlanke Linie ihres Arms.

Sie bewegte sich und stöhnte leise unter seiner sanften Berührung. „Lucan“, murmelte sie schläfrig, nicht ganz wach, aber im Unterbewusstsein spürend, dass er bei ihr im Zimmer war.

„Es ist nur ein Traum“, flüsterte er, erstaunt, seinen Namen auf ihren Lippen zu hören – und das, obwohl er keinerlei List, über die er als Vampir verfügte, angewandt hatte.

Sie seufzte tief auf und kuschelte sich gegen ihn. „Ich wusste, du würdest zurückkommen.“

„Das wusstest du?“

„Mm-hmm.“ Es war ein Schnurren in ihrer Kehle, rau und sinnlich. Ihre Augen blieben geschlossen, sie war noch immer im Reich der Träume. „Ich wollte, dass du zurückkommst.“

Lucan lächelte über ihre Worte und strich mit den Fingern über ihre glatte Stirn. „Hast du keine Angst vor mir, meine Schöne?“

Sie schüttelte leicht den Kopf und schmiegte ihre Wange an seine Handfläche. Ihre Lippen waren leicht geöffnet, und gleichmäßige weiße Zähne glänzten in dem spärlichen Licht, das von oben kam. Ihr Hals war anmutig, stolz, eine alabasterfarbene Säule über den zarten Schulterknochen. Wie süß sie schmecken würde, wie weich und köstlich auf seiner Zunge.

Und ihre Brüste … Lucan konnte der pfirsichzarten dunklen Brustwarze nicht widerstehen, die unter dem Bettzeug, das ihren Rumpf bedeckte, hervorlugte. Er reizte die kleine Knospe mit den Fingern, zog sanft daran und knurrte beinahe vor Verlangen, als sie sich zu einer festen Perle zusammenzog, unter seiner Berührung härter wurde.

Auch er wurde härter. Er leckte sich die Lippen, nun hungrig geworden, begierig darauf, sie zu besitzen.

Gabrielle wand sich träge unter dem zerwühlten Bettzeug. Lucan zog langsam die Baumwolldecke weg, sodass sie nun ganz nackt vor ihm lag. Sie war bezaubernd. Das hatte er vorher gewusst. Zierlich, aber kräftig, besaß ihr Körper eine jugendliche Geschmeidigkeit, war gelenkig und graziös. Feste Muskeln formten ihre eleganten Glieder; ihre Künstlerinnenhände waren schlank und ausdrucksstark und streckten sich im Schlaf, als Lucan mit seinen Fingern über ihr Brustbein strich, bis hinunter zu der Kuhle ihres Bauches. Ihre Haut dort war samtig und warm. Zu verführerisch, als dass er hätte widerstehen können.

Lucan glitt auf dem Bett über sie und ließ seine Handflächen über ihren Körper wandern. Er hob sie an, sodass sie sich ihm auf der Matratze entgegenwölbte. Dann küsste er die anmutige Kurve ihrer Hüfte und ließ seine Zunge über das kleine Tal ihres Nabels wandern. Sie keuchte, als er die flache Vertiefung auslotete, und der Duft ihres Begehrens hüllte seine Sinne ein.

„Jasmin“, krächzte er gegen ihre erhitzte Haut und kratzte leicht mit den Zähnen über ihre Haut, als seine Lippen sich weiter nach unten vorwagten.

Als sein Mund in ihre Scham eindrang, ließ ihr genussvolles Stöhnen eine heftige Welle der Lust durch seine Adern schießen. Er war bereits steif, und sein Schwanz pulsierte nun unter der Enge seiner Kleidung. Gabrielle war feucht und glitschig unter seinen Lippen, ihre Spalte ein heißes Futteral für seine suchende Zunge. Lucan saugte an ihr, als wollte er süßen Nektar trinken, bis ihr Körper von einem Orgasmus geschüttelt wurde. Trotzdem leckte er sie weiter und brachte sie zu einem zweiten Höhepunkt und dann noch zu einem weiteren.

Sie war in seinen Armen schlaff geworden und bebte. Lucan erbebte ebenfalls, und seine Hände zitterten, als er sie vorsichtig wieder zurück auf das Bett legte. Er hatte noch nie eine Frau so sehr gewollt. Er wollte noch mehr, das wurde ihm bewusst, seltsam berührt von dem Drang sie zu beschützen, den er verspürte. Gabrielle keuchte sanft, als ihr letzter Höhepunkt verebbte, und sie drehte sich auf die Seite und rollte sich zusammen, so unschuldig wie ein Kätzchen.

Lucan starrte in stummer Wut auf sie nieder und keuchte unter der Wucht seines Verlangens. Dumpfer Schmerz zog ihm den Mund zusammen, als seine Zähne aus seinem Zahnfleisch hervordrangen. Seine Zunge war trocken. Sein Bauch krampfte sich vor Hunger zusammen. Er gierte nach Blut und Erlösung, die Pupillen seiner blassen Augen verlängerten sich zu katzenartigen Schlitzen.

Nimm sie, drängte jener Teil von ihm, der unmenschlich war, außerirdisch.

Sie ist dein. Nimm sie.

Nur einmal von ihr kosten – das hatte er sich geschworen. Er würde ihr keinen Schaden zufügen, nur ihr Genuss bereiten, während er sich gleichzeitig seinem eigenen Genuss hingab. Am Morgen würde sie sich nicht einmal an diesen Moment erinnern. Sie würde seine Blutwirtin sein, ihn nähren und später müde, aber zufrieden erwachen, sich aber zum Glück nicht daran erinnern, was passiert war.

Das war ein kleiner Segen, sagte er sich selbst, obwohl sein Körper vor Verlangen nach Nahrung bebte.

Lucan beugte sich über Gabrielles matt daliegende Gestalt und schob sanft die prächtigen roten Wellen beiseite, die ihren Hals verdeckten. Sein Herz hämmerte in seiner Brust und drängte ihn, seinen brennenden Durst zu stillen. Nur einen Schluck, nicht mehr. Nur Genuss. Er näherte sich ihr mit geöffnetem Mund, ihr berauschender weiblicher Duft überschwemmte seine Sinne. Dann drückte er seine Lippen in ihre Halsbeuge, dort, wo der Puls pochte. Seine Fangzähne streiften die samtige Weiche ihrer Kehle, auch sie pulsierten nun, ebenso wie ein anderer fordernder Teil seines Körpers.

Und in dem Augenblick, als seine scharfen Zähne ihre zarte Haut durchdringen wollten, fiel sein Blick auf ein winziges Muttermal direkt hinter Gabrielles Ohr.

Das kaum sichtbare kleine Zeichen einer Träne, die in die Wiege eines zunehmenden Mondes fiel, ließ Lucan schockiert zurückzucken. Das Symbol, das bei menschlichen Frauen so selten vorkam, konnte bloß eines bedeuten …

Stammesgefährtin.

Er trat von dem Bett zurück, als habe er sich verbrannt, und zischte einen wilden Fluch in die Dunkelheit. Der Hunger nach Gabrielle pochte noch immer in ihm, auch wenn er in Gedanken schon mit den Konsequenzen dessen haderte, was er ihnen beiden beinahe angetan hätte.

Gabrielle Maxwell war eine Stammesgefährtin, ein Mensch, dessen Blut und Gene einzigartig waren und diejenigen seiner Rasse ergänzten. Gabrielle und die wenigen anderen Frauen wie sie waren die Königinnen unter den menschlichen Frauen. Für das Volk der Vampire, das nur aus Männern bestand, war eine Frau wie sie eine verehrte Göttin, Lebensspenderin, dazu bestimmt, sich im Blut mit ihnen zu verbinden und die Nachkommen einer neuen Generation von Vampiren zur Welt zu bringen.

Und in seinem rücksichtslosen Verlangen, von ihr zu kosten, hätte Lucan beinahe selbst Anspruch auf sie erhoben.