22

»Ohne Zweifel sind es Chacole und Torellia, Sarabian!« beharrte Elysoun einige Tage später. »Chacole hält mehr oder weniger die Zügel in der Hand. Sie ist älter und gerissener. Die Fremden begeben sich für gewöhnlich geradewegs zu ihr. Zuerst führen sie vertrauliche Gespräche; dann schickt Chacole ihre Besucher zu Torellia. Zuvor mochten sie einander gar nicht besonders; jetzt aber stecken sie ständig die Köpfe zusammen.«

»Wahrscheinlich erhalten sie Anweisungen von zu Hause«, meinte Sarabian. »König Jaluah von Cynesga ist Chacoles Bruder, und Torellia ist die Tochter König Rakyas von Arjuna. Hast du schon eine Ahnung, was sie im Schilde führen?« Elysoun schüttelte den Kopf. »Dazu ist es noch zu früh.« »Zu früh?«

»Es handelt sich auch hier um Frauenpolitik. Wir sind viel schlauer als Männer. Chacole will erst alles im Griff haben, ehe sie ihre nächsten Schritte plant. Torellia hat sie bereits auf ihre Seite gebracht, aber sie ist noch nicht ganz so weit, das auch bei anderen zu versuchen.« »Du bist sicher, daß Torellia ihr blindlings gehorcht?«

Elysoun nickte. »Chacoles Diener spielen die Herren; Torellias Lakaien haben nichts mehr zu sagen. Das ist das erste Zeichen einer Veränderung der Vorrangstellung im Frauenflügel. Cieronnas gesamte Dienerschaft ist von unerträglicher Hochnäsigkeit, weil sie die erste Gemahlin ist, und wir alle sind ihr untergeordnet – außer Liatris, natürlich.«

»Natürlich.« Sarabian lächelte. »Niemand, der bei Verstand ist, legt sich mit Liatris an. Hat sie in letzter Zeit jemanden getötet?«

»Nicht, seit sie im vergangenen Jahr einen von Cieronnas Lakaien niedergemetzelt hat.«

»Hm, da kommt mir ein guter Gedanke. Sollen wir Liatris einweihen?«

Elysoun schüttelte den Kopf. »Später vielleicht, jetzt wäre es noch zu bedenklich. Atana Liatris ist zu geradeheraus. Machte ich sie auf die Lage aufmerksam, würde sie Chacole und Torellia sofort töten. Warten wir, bis Chacole sich an mich wendet, bevor wir mit Liatris reden.«

»Glaubst du denn wirklich, daß Chacole dich einbeziehen wird?«

»Ich bin mir sicher. Meine Dienstboten haben mehr Bewegungsfreiheit als ihre – meiner gesellschaftlichen Aktivitäten wegen.«
»So kann man es wohl auch nennen.«

»Du wußtest, daß ich Valesianerin bin, als du mich zur Gemahlin genommen hast, Sarabian, und unsere Sitten und Gebräuche waren dir nicht fremd. Deshalb dürfen meine Dienstboten sich innerhalb der Schloßanlage frei bewegen. Das ist von alters her so üblich.«

Sarabian seufzte. »Wie viele sind es zur Zeit, Elysoun?«

»Gar keine, um ehrlich zu sein.« Sie lächelte ihn an. »Du verstehst das nicht wirklich, oder, Sarabian? Der größte Spaß an diesen kleinen Abenteuern war immer die Intrige, und für Intrigen ist die Politik die bessere Spielwiese.«

»Fühlst du dich da nicht in anderer Hinsicht ein wenig … benachteiligt?«

»Es ist auszuhalten …« Sie zuckte die Schultern. »Außerdem habe ich ja immer noch dich, oder nicht?« Sie bedachte ihn mit einem kessen Lächeln.


»Also, Meister Valash«, Caalador lehnte sich auf dem Stuhl im überfüllten Speicherraum zurück, »der olle Vymer hier hat gesagt, daß Ihr bereit seid, gutes Geld für Informationen zu zahlen, und er meint, daß Ihr von dem Zeug hören wollt, das wo ich in Südwestatan höchstpersönlich geseh'n hab'.«

»Ihr zwei kennt euch wohl schon geraume Zeit?« fragte Valash.

»Und ob, Meister Valash! Wir kennen uns schon eine Ewigkeit. Wir war'n beisammen bei diesem Aufruhr in Matherion – er und ich und Fron und Reldin und noch zwei andere, wie diese Kerle von den Geheimen sich auf uns gestürzt haben. Da war was los, in jener Nacht, das dürft Ihr mir glauben. Jedenfalls, wie wir die Polizei schließlich abgehängt hatten, verschwanden wir jeder in eine andere Richtung, 's ist keine gute Idee zusammenzubleiben, wenn das Gesetz hinter einem her ist.« Stragen lehnte sich aus dem Lichtkreis der Kerze auf dem Tisch zurück und beobachtete Valashs Gesicht. Caalador war eben erst angekommen, um Sperber und Talen bei der von ihnen begonnenen Täuschung Valashs abzulösen, und wieder beeindruckte es Stragen, wie gewandt sein Freund diese Rolle spielte. Caaladors gedehnter Dialekt hatte offenbar jedwedes Mißtrauen Valashs eingelullt. Stragen konnte diese schludrige Redeweise zwar nicht ausstehen, mußte aber zugeben, daß sie nützlich war. Sie wirkte immer so echt, so selbstverständlich. »Wo ist Fron eigentlich?« erkundigte sich Valash.

»Er und Relish sind vor 'ner Woche abgehau'n.« Caalador zuckte die Schultern. »Auf 'm Weg nach hier war ich kurz in 'ner Schenke in Delo, da hat so 'n Kerl, dem man den Polizisten meilenweit anmerkte, Fron und den Jungen haargenau beschrieb'n. Sobald ich hier war, hab' ich's ihnen erzählt, und sie dachten, daß es vielleicht besser wär', wenn sie gleich weiterzieh'n. Jedenfalls hat Vymer hier mir erzählt, daß Ihr daran interessiert seid, was da und dort vorgeht. Na ja, und nachdem wir aus Matherion verschwinden mußten, hab' ich so allerhand geseh'n, was ich glaub', daß Euch es was wert sein könnt'.«

»Ich höre es mir auf jeden Fall an, Ezek.« Valash hob scharf den Kopf, als der halb bewußtlose Ogerajin im Schlaf zu murmeln begann.
»Fehlt ihm irgendwas?« fragte Stragen.

»Es hat nichts zu bedeuten«, antwortete Valash knapp. »Das macht er ständig. – Redet weiter, Ezek.«

»Also, das war vor etwa zwei Wochen, glaub' ich, und weil mir das Gesetz dicht auf'n Fersen war, war ich in Eile, Atan hinter mir zu lassen, um quer durch Astel nach Darsas zu kommen. Ich bin grad aus'n Bergen runtergekommen und hab' mich schnell versteckt, weil ich da plötzlich mehr verdammte Ataner sehen konnt', als ich gedacht hab', daß es überhaupt auf der ganzen Welt gibt – ich mein', da waren meilenweit unheimlich viele von diesen riesigen Burschen, und alle bis an die Zähne für'n Krieg bewaffnet, und sie haben verdammt entschlossen und unfreundlich ausgesehen.« »Die ganze atanische Armee!« rief Valash.

»Mir is's mehr wie die Auswanderung der ganzen verdammten Rasse vorgekommen, Meister Valash. So viele auf ein'm Haufen hat man nie geseh'n!« »Wo, genau, war das?« fragte Valash aufgeregt.

»Na ja, soweit ich's sagen kann, war ich ziemlich nah droben an der cynesganischen Grenze, nicht weit vor 'ner kleinen Stadt – Zhubay heißt sie, soviel ich weiß. Wenn Ihr vielleicht 'ne Karte habt, kann ich's Euch genau zeigen.« Caalador blickte den Daziter an. »Was, meint Ihr, is' Euch diese Information wert, Meister Valash?« Valash zauderte nicht, als er nach seinem Beutel griff.


»Es war sehr seltsam, Domi Tikume«, berichtete Kring seinem Freund, als sie am Morgen nach ihrer Besprechung auf Aphraels Insel an der Spitze ihrer Mannschaften hinaus in die cynesganische Wüste ritten. »Die Kindgöttin sagte, daß wir träumen, aber es ist mir alles so wirklich vorgekommen. Ich konnte die Blumen und das Gras riechen, ganz bestimmt, und ich habe noch nie zuvor in einem Traum etwas gerochen!«

Tikume blickte ihn besorgt an. »Bist du sicher, daß es nicht Ketzerei war, dich dorthin zu begeben, Domi Kring?«

Kring lachte ein wenig schief. »Falls dem so sein sollte, war ich zumindest in guter Gesellschaft. Patriarch Emban war dort, und Patriarch Bergsten ebenfalls. Jedenfalls sollen du und ich diese Angriffe auf Cynesga fortsetzen und dann zu diesen Bergen in der Mitte der Wüste weiterreiten. Wir hoffen, daß es Prinz Sperber gelingt, die genaue Lage von Cyrga herauszufinden, bevor wir dort eintreffen.«

Einer der Kundschafter, die vorausgeritten waren, um sich in der sonnenverbrannten Wüste umzusehen, kam zurückgaloppiert.

»Ungefähr zwei Meilen voraus ist ein ausgetrockneter Fluß, Domi. Dort haben sie sich versteckt. Ich würde sagen, sie planen einen Hinterhalt.« »Was sind es für Soldaten?« fragte Kring.

»Cynesganische Reiterei. Außerdem einige von diesen Riesen mit den Stahlmasken, die wir kürzlich in den Tod gehetzt haben. Fußsoldaten waren ebenfalls dort, aber ich konnte sie nicht erkennen.«

»Brustpanzer? Kurze Röcke? Helme mit hohen Kämmen, und große Rundschilde?« »Ja, genau, Domi Kring.«

Kring rieb sich mit der Hand über den barbierten Kopf. »Wie breit ist das trockene Flußbett?«
»Gut fünfzig Schritt, Domi.«
»Krumm? Ziemlich tief?«
Der Kundschafter nickte.

»Dann ist es tatsächlich ein Hinterhalt«, meinte Kring. »Die Reiterei wird sich wahrscheinlich kurz sehen lassen und zieht sich dann ins tiefe Flußbett zurück. Wenn wir ihr folgen, stoßen wir direkt auf die Fußsoldaten. Wir haben Klæls Krieger auf offenem Terrain zu Tode gehetzt, jetzt wollen sie uns eine Falle stellen und in die Enge treiben.« »Was sollen wir tun?« fragte Tikume.

»Wir halten uns dem Flußbett fern, Freund Tikume, und schwärmen nach rechts und links aus, um ihre Reiterei abzuschneiden, sobald sie sich von der Fußtruppe löst. Dann metzeln wir sie nieder – und das dürfte Klæls Soldaten ins Freie locken.« »Was ist mit den Cyrgai? Gibt es ihrer noch mehr aus der Vergangenheit, mit denen wir es zu tun bekommen könnten?«

»Das glaube ich nicht. Der Hinterhalt befindet sich innerhalb der cynesganischen Grenzen. Es dürfte sich bei ihnen um lebende Krieger aus Cyrga handeln.« Kring hielt plötzlich inne, und ein Grinsen legte sich auf sein Gesicht. »Mir ist da gerade etwas eingefallen, Freund Tikume. Bring deine Leute schon mal zu beiden Seiten in Stellung. Das wird mir Zeit geben, die ganze Sache zu durchdenken.«

»Das ist aber ein besonders schadenfrohes Grinsen, Freund Kring.«

»Ich bin ja auch manchmal besonders schadenfroh, Freund Tikume«, erwiderte Kring, und sein Grinsen wurde noch breiter.


»Sklavenhändler!« erklärte Mirtai, nachdem sie den Felshang hinunter zu der Karawane gespäht hatte, die sich scheinbar unendlich langsam über den kahlen braunen Kies auf die Ortschaft um die Oase zubewegte. Der beinahe übergangslose Wechsel von der feuchten Hitze des arjunischen Dschungels zur staubtrockenen cynesganischen Wüste hatte Sperber leichte Kopfschmerzen verursacht.

»Wie könnt Ihr das aus dieser Entfernung erkennen?« fragte Bevier.

»An den schwarzen Kapuzengewändern«, antwortete Mirtai und spähte wieder über den Felsblock, hinter dem sie Sichtschutz gefunden hatten. »Sklavenhändler tragen diese Gewänder, sobald sie Cynesga betreten, damit die Gesetzeshüter sie in Ruhe lassen. Soweit bekannt ist, ist Cynesga das einzige Land, in dem Sklavenhandel offiziell erlaubt ist. Die anderen Königreiche mißbilligen ihn.«

»Das ist eine Idee, Sperber!« rief Bevier. »Wenn wir uns solche schwarzen Gewänder besorgen, könnten wir durch die Wüste ziehen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.«

»Aber wir sehen überhaupt nicht wie Arjuner aus«, gab Kalten zu bedenken. »Das brauchen wir auch gar nicht«, meldete Talen sich zu Wort. »Nach allem, was ich in Beresa gehört habe, gibt es zahlreiche Räuberbanden in der Wüste, die Karawanen auflauern, um die Sklaven zu stehlen. Deshalb heuern die arjunischen Sklavenhändler ganze Scharen von Wächtern aller Rassen an, um ihre Ware zu beschützen.«

»Oh!« sagte Kalten. »Ich frage mich, wie wir zu solchen schwarzen Kapuzengewändern kommen könnten.«

»Ich sehe hundert oder mehr direkt vor unserer Nase.« Bevier deutete auf die Karawane.

»Elenier!« Xanetia verdrehte seufzend die Augen himmelwärts.

»Ihr fangt sogar schon an, wie Sephrenia zu klingen, Anarae«, stellte Sperber mit leichtem Lächeln fest. »Was gefällt Euch nicht an unserem Plan?«

»Kapuzengewänder jeder Farbe erfüllen den gleichen Zweck, Anakha«, erklärte sie. »Und zweifellos kann man sie in Vigayo kaufen, das unweit jener Oase liegt.« »Sie müssen schwarz sein, Anarae!« wandte Bevier ein.

»Farbe ist ein Teil des Lichts, Ritter Bevier, und ich bin sehr geschickt darin, das Licht zu beeinflussen.«
»Oh!« hauchte er. »Daran hatte ich nicht gedacht.«
»Das ist mir nicht entgangen – fast von Anfang an.«
»Schon gut«, murmelte er.


Bergstens Ritter und ihre verbündeten Peloi überquerten die cynesganische Grenze an einem wolkenverhangenen, kalten Nachmittag, nach scheinbar mehreren Tagen anstrengenden Reitens, und schlugen eine südöstliche Richtung ein, auf Cynestras Hauptstadt zu. Peloikundschafter bildeten die Vorhut, stießen an diesem Tag jedoch auf keinen Widerstand. Sie schlugen ihr Lager auf, postierten Wachen und begaben sich früh zur Ruhe.

Nicht lange, nachdem sie ihr Lager abgebrochen hatten und am nächsten Morgen, wie es den Anschein hatte, weitergeritten waren, galoppierte Daiya herbei und schloß sich Bergsten und Heldin an der Spitze der Kolonne an. »Meine Späher melden, daß sich etwa eine Meile von hier Soldaten sammeln, Eminenz«, meldete er. »Cynesganer?« erkundigte Bergsten sich rasch. »Es sieht nicht so aus, Eminenz.« »Schaut nach, Heldin«, befahl Bergsten.

Der Pandioner nickte und lenkte sein Pferd auf die Kuppe eines felsigen Hügels etwa eine Viertelmeile voraus. Sein Gesicht war düster, als er zurückkehrte. »Es gibt Schwierigkeiten, Eminenz«, meldete er. »Da sind weitere von diesen Ungeheuern, mit denen wir es schon in Ostzemoch zu tun hatten.«

Bergsten stieß eine heftige Verwünschung aus. »Ich wußte, daß bisher alles zu glatt gegangen ist!«

»Domi Tikume hat uns auf diese fremden Soldaten aufmerksam gemacht«, sagte Daiya. »Würde es Eure Eminenz kränken, wenn ich euch bitte, uns zu gestatten, daß wir uns ihrer annehmen? Domi Tikume und Domi Kring haben gewisse Taktiken entwickelt, die offenbar gute Erfolge erzielten.«

»Ich fühle mich nicht im geringsten gekränkt, Freund Daiya«, versicherte Bergsten ihm. »Wir haben uns nicht gerade mit Ruhm bekleckert, als wir auf diese Ungeheuer stießen. Deshalb würde ich sehr gern etwas miterleben, das wirkungsvoller ist, als unsere Taktiken es waren.«

Daiya besprach sich kurz mit seinen Stammeshäuptlingen; dann führte er Bergsten, Heldin und noch einige Ritter auf die Hügelkuppe, von wo aus sie die Auseinandersetzung beobachten konnten.

Bergsten erkannte sofort die Überlegenheit der leichten Reiterei; die gepanzerten Ritter auf ihren schweren Streitrossen hatten keine große Chance gegen diesen Gegner. Die riesenhaften Soldaten in ihren enganliegenden Rüstungen waren sichtlich verwirrt von den blitzschnellen Angriffen der mit Wurfspeeren bewaffneten Peloi. Sie versuchten verzweifelt, an diese Quälgeister heranzukommen, doch die leichtfüßigen Pferde der Peloi waren einfach zu schnell. Die Speere forderten ihren Tribut, und immer mehr von den schwerfälligen Monstren fielen in ihrem tödlichen Regen.

»Der Sinn der Sache ist, sie zum Laufen zu bringen, Eminenz«, erklärte Daiya. »Im Nahkampf sind sie sehr gefährlich, aber sie haben offenbar kein Durchhaltevermögen. Deshalb sind sie bei weitem keine so große Bedrohung, wenn sie laufen müssen.«

»Vanion hat mir schon davon erzählt«, sagte Bergsten. »Hat Domi Tikume erwähnt, wie lange es ungefähr dauern kann, bis sie außer Atem sind?« »Nur in etwa, Eminenz.«

Bergsten zuckte die Schultern. »Ist schon gut, Freund Daiya. Hier gibt es reichlich offenes Gelände, und es ist erst Morgen. Wir können sie den ganzen Tag hetzen, wenn es sein muß.«

Wütend über die wiederholten Angriffe, setzten die riesenhaften Soldaten sich in einer Art schlurfendem Trott in Bewegung. Sie schwenkten ihre grauenvollen Waffen und brüllten heisere Schlachtrufe.

Die Peloi jedoch gingen nicht auf ihre Herausforderung ein, sondern setzten ihre Taktik der wechselnden Offensive und Defensive fort.

Über alle Maßen erzürnt und angestachelt, versuchten die Kreaturen einen schwerfälligen Sturmangriff.

»Es wäre möglich«, brummte Ritter Heldin mit seinem tiefen, grollenden Baß. »Aber wir bräuchten andere Ausrüstung.« »Wovon redet Ihr, Heldin?« fragte Bergsten verwundert.

»Von einem Blick in die Zukunft, Eminenz«, antwortete Heldin. »Wenn diese Ungeheuer zur ständigen Einrichtung werden, müssen wir so manches ändern. Es wäre bestimmt keine schlechte Idee, einige Schwadronen Ordensritter als leichte Reiterei auszubilden und auszurüsten.«

»Heldin«, rügte Bersten ihn verärgert, »diese Riesen werden nur dann zur ständigen Einrichtung, um Eure Worte zu benutzen, falls wir diesen Krieg verlieren. Wie kommt Ihr darauf, daß es dann noch irgendwelche Ordensritter geben wird?«

»Sie geben auf, Eminenz!« rief Daiya aufgeregt. »Sie rennen davon!«

»Aber wohin laufen sie, Daiya?« fragte Bergsten heftig. »Es ist die Luft, die sie umbringt – und die Luft ist überall! Wohin könnten sie flüchten, Daiya. Wohin?« »Wohin könnten sie laufen?« fragte Kring verblüfft, als Klæls Soldaten ihre schwerfällige Verfolgung der Peloireiter aufgaben und in die Wüste flohen. »Wen kümmert das schon?« Tikume lachte. »Sollen sie doch laufen. Wir haben immer noch die Cyrgai im Flußbett. Sorgen wir dafür, daß sie sich in Bewegung setzen, ehe irgendein schlauer kleiner Offizier in den hinteren Reihen dazu kommt, unsere Taktik zu durchschauen.«

Die Cyrgai befolgten eine Strategie aus grauer Vorzeit. Ihre langen Speere vor sich ausgestreckt, rückten sie hinter ihren großen Rundschilden im Gleichschritt näher. Sobald die Peloi auf sie einstürmten, blieben sie stehen und bildeten ein Bollwerk aus Leibern. Die vordere Reihe kniete nieder und hielt die Speere in Angriffsposition; die hinteren Reihen schlossen mit ebenfalls gezückten Speeren auf, während die Schilde eine stählerne Wand bildeten.

Es sah sehr beeindruckend aus, konnte gegen die Reiterei jedoch nicht das geringste ausrichten.

»Wir müssen ihnen Bewegung verschaffen, Domi Tikume!« rief Kring seinem Freund zu, während sie wieder von den geballten Cyrgai-Regimentern fortritten. »Zieh deine Kinder nach dem nächsten Angriff ein Stück weiter zurück! Es bringt nichts, wenn diese veralteten Krieger sich weiterhin bloß schrittweise bewegen! Bring sie zum Laufen!«

Tikume brüllte ein paar Befehle, und seine Reiter änderten ihre Taktik. Sie zogen sich eine Viertelmeile und mehr zurück und zwangen die Cyrgai, bis zu ihnen vorzudringen.

Eine Trompete erschallte aus der Mitte eines der näher rückenden regimentgroßen Karrees, und die Cyrgai gingen in einen Trott über, wobei sie ihre Reihen immer noch perfekt ausgerichtet hielten.

»Eine vorbildliche Marschordnung, nicht wahr?« Tikume lachte.

»Vor allem, wenn das hier ein Paradeplatz wäre«, antwortete Kring. »Stacheln wir sie wieder an. Dann ziehen wir uns noch weiter zurück.«
»Wie weit ist es bis zur Grenze?« fragte Tikume.

»Keine Ahnung. Niemand, mit dem ich gesprochen habe, ist sich da sicher. Aber weit kann sie jedenfalls nicht sein. – Bring die Burschen zum Laufen, Tikume!«

Tikume richtete sich in den Steigbügeln auf. »Weitergeben!« brüllte er. »Voller Rückzug!«

Die Peloi machten kehrt und galoppierten über den knirschenden braunen Kies nach Osten.

Spärlicher Jubel stieg von den Regimentern der Cyrgai auf, und wieder erschallte die Trompete. Noch immer mit vollkommen gerade ausgerichteten Reihen, setzten die vorzeitlichen Soldaten sich wieder in Bewegung – zuerst langsam, dann immer schneller. Unteroffiziere brüllten ihre abgehackten Befehle, und die auf den harten Boden stampfenden Halbstiefel der Krieger verursachten ein Geräusch wie Trommelwirbel.

Plötzlich verdunkelte sich das strahlende Licht des winterlichen Mittags, als hätten sich riesige schwarze Schwingen vor die Sonne gelegt. Ein eisiger Wind fegte über die Wiese, und ein jammernder, klagender Laut ertönte.

Die von der Bö erfaßten Cyrgai starben lautlos mitten im Schritt und sanken zu Boden, wo sie von ihren blind nachrückenden Kameraden zertrampelt wurden, ehe diese ebenfalls tot auf die Erde fielen.

Bleich und zitternd beobachteten Kring und Tikume in erschrockenem Staunen, wie der uralte styrische Fluch auch jetzt noch seine grauenvolle Wirkung entfaltete. Ehe sich ihnen der Magen umdrehte, rissen sie ihre Pferde herum, um ostwärts zurückzureiten und nicht mehr erleben zu müssen, wie diese vollkommenen Soldaten blindlings in ihr Verderben rannten.


»Diese Umhänge mögen vielleicht gut genug für Arjuna und das Land Tamul sein«, sagte Sperber später an diesem Tag zu dem Kaufmann, »aber in einem Staubsturm nutzen sie nicht viel. Ich glaube, der letzte Sturm hat mir eimerweise Staub den Rücken hinuntergepeitscht.«

Der Kaufmann nickte verständnisvoll. »Die Angehörigen anderer Völker spotten oft über unsere übliche Gewandung, guter Meister. Aber sie spotten nur so lange, bis sie durch ihren ersten Staubsturm reiten.« »Weht der Wind dort draußen die ganze Zeit?« fragte Talen.

»Nun ja, nicht die ganze Zeit, junger Herr. An den Nachmittagen ist es normalerweise am schlimmsten.« Er blickte Sperber an. »Wie viele Kapuzengewänder werdet Ihr brauchen, guter Herr?«

»Wir sind sechs, Nachbar, und keiner von uns liebt den anderen so sehr, daß wir uns ein Gewand teilen möchten.«
»Wollt Ihr bestimmte Farben?«
»Hält eine Farbe den Staub besser fern als andere?«
»Nicht, daß ich wüßte.«
»Dann spielt die Farbe keine Rolle.«

Der Kaufmann rannte in sein Lager und kehrte mit einem Stoß ordentlich zusammengefalteter Kleidungsstücke zurück. Dann lächelte er, rieb sich die Hände und nannte seinen Preis.

»Er hat Euch übervorteilt, das ist Euch doch klar?« sagte Talen, als sie wieder auf der staubigen Straße waren.
Sperber zuckte die Schultern. »Vielleicht.«

»Irgendwann werde ich Euch die Kunst des Feilschens schon noch beibringen.« »Spielt das wirklich eine Rolle?« Sperber befestigte das Bündel cynesganischer Gewänder hinten an seinem Sattel. Er schaute sich um. »Anarae?« »Ich bin hier, Anakha«, hörte er ihr Wispern. »Konntet Ihr etwas entdecken?«

»Nein, Anakha. Offenbar ist der Bote noch nicht eingetroffen.«

»Berit und Khalad sind immer noch Tage entfernt, Sperber«, erinnerte Talen ihn.

»Und hier ist kein so ansprechender Ort, als daß der Bote lange warten möchte, um vielleicht die Landschaft zu genießen.« Er schaute auf die jetzt, im Winter, traurig aussehenden Palmen und den schlammigen Teich in der Mitte zwischen den weiß getünchten Häusern.

»Ansprechend oder nicht, wir müssen uns eine Ausrede einfallen lassen, warum wir bleiben«, sagte Sperber. »Wir dürfen nicht aufbrechen, ehe der Bote hier eintrifft und Anarae Xanetia seinen Gedanken lauschen kann.«

»Ich könnte alleine hier bleiben, Anakha«, schlug Xanetia ihm vor. »Niemand hier kann mich entdecken; deshalb benötige ich auch keinen Schutz.«

»Wir bleiben trotzdem bei Euch, Anarae«, sagte Sperber entschlossen. »Höflichkeit, gutes Benehmen – nennt es, wie Ihr wollt. Ein elenischer Edelmann läßt nicht zu, daß eine Dame ohne Begleitung auf die Straße geht.«

Auf der schattigen Veranda einer Schenke oder eines Weinhauses oder dergleichen war ein Streit entbrannt. »Du weißt ja nicht, wovon du sprichst, Echon!« stieß ein schnaufender alter Mann in geflicktem, schmutzigem Gewand hervor. »Es sind gute hundert Meilen vom Sarna-Fluß bis nach hier, und auf der ganzen Strecke gibt es keinen Tropfen Wasser.«

»Entweder säufst du zu viel, oder du warst zu lange in der Sonne, Zagorn!« entgegnete Echon, ein dürrer Mann in dunkelblauem Gewand, höhnisch. »Auf meiner Karte sind es sechzig Meilen – und keine mehr!«

»Wie gut kennst du denn den Mann, der die Karte gezeichnet hat? Ich lebe seit meiner Geburt hier, und ich weiß, wie weit es bis zum Sarna ist! Aber zieh ruhig los! Nimm Wasser für nur sechzig Meilen mit! Dann werden deine Maultiere verrecken, und du selbst wirst die restlichen vierzig Meilen Sand saufen! Mir ist es egal. So sehr habe ich dich sowieso nie gemocht. Aber glaub mir, Echon. Es sind hundert Meilen von der Oase von Vigay bis zum Ufer des Sarna.« Der alte Mann spuckte in Richtung des bleichbraunen Teiches. Talen fing plötzlich zu lachen an. »Was ist so lustig?« fragte Sperber.

»Wir haben soeben einen Glückstreffer erzielt, hochverehrter Führer«, antwortete der Junge vergnügt. »Wenn wir hier oben mit allem fertig sind, kehren wir am besten schnell zu den anderen zurück. Wir sollten möglichst früh schlafen gehen – da wir wahrscheinlich schon im Morgengrauen aufbrechen werden.« »Ach? Wohin?« »Nach Cyrga, natürlich. Dorthin wolltet Ihr doch, oder?« »Ja, aber wir wissen nicht, wo Cyrga ist.«

»Da täuscht Ihr Euch, Sperber. Wir kennen den Weg nach Cyrga – oder ich zumindest.«