16

»Ich weiß, daß er es ist, Majestät«, beharrte Alean.

»Alean, Liebes«, sagte Ehlana sanft. »Er sieht überhaupt nicht wie Ritter Kalten aus!«

»Ich weiß nicht, wie sie es gemacht haben, aber da draußen auf der Straße, das ist wirklich Kalten«, versicherte das Mädchen ihr überzeugt. »Jedesmal, wenn er vorbeigeht, singt mein Herz.«

Ehlana spähte durch die kleine Öffnung im Fenster. Der Mann sah wie ein Elenier aus, daran bestand kein Zweifel, und immerhin war Sephrenia eine Magierin. Beim Gedanken an Sephrenia kamen Ehlana wieder Tränen. Sie richtete sich auf und fuhr sich rasch über die Augen. »Der Mann ist jetzt nicht mehr zu sehen«, sagte sie. »Wie kommt es, daß Ihr so sicher seid, Liebes?«

»Weil ich ihn an tausenderlei Dingen erkenne, meine Königin – an Kleinigkeiten. Die Art und Weise, wie er den Kopf hält, die seltsame Art, wie er beim Gehen die Schultern bewegt, sein Lachen, und wie er seinen Schwertgürtel umgeschnallt hat. Irgendwie wurde sein Gesicht verändert, aber ich weiß, daß er es ist.«

»Ihr könntet recht haben, Alean«, gab Ehlana zu, wenngleich immer noch zweifelnd. »Ich würde Sperber wahrscheinlich in einer Menschenmenge erkennen, egal, wessen Gesicht er gerade trägt.«

»So ist es, Majestät. Unsere Herzen erkennen die Männer, die wir lieben.« Ehlana schritt unruhig auf und ab, zupfte unbewußt immer wieder nervös ihr Kopftuch zurecht. »Unmöglich ist es nicht. Sperber hat mir erzählt, wie er sich in Rendor viele Male unkenntlich machte. Und styrische Magie ist vielleicht sogar imstande, Gesichter zu verändern. Und selbst wenn Sephrenia es nicht geschafft hätte – Bhelliom hätte bestimmt keine Schwierigkeiten damit. Vertrauen wir unserem Herzen, und gehen wir davon aus, daß der Mann da draußen wirklich Kalten ist.« »Ich weiß, daß er es ist, Majestät.«

»Es wäre plausibel«, sagte Ehlana nachdenklich. »Wenn Sperber irgendwie herausgefunden hat, daß wir hier sind, möchte er gewiß einige von unseren Freunden in der Nähe wissen, wenn die anderen kommen, um uns zu befreien.« Sie zog die Stirn kraus, als ihr etwas einfiel. »Aber vielleicht weiß er es doch nicht sicher. Kalten ist möglicherweise nur hier, um sich umzusehen. Wir müssen ihn auf uns aufmerksam machen, müssen ihm die Gewißheit geben, daß wir hier sind, ehe er vielleicht aufgibt und weiterzieht.«

»Aber meine Königin!« protestierte das Mädchen mit den großen sanften Augen. »Wenn wir ihm zurufen, bringen wir ihn in schreckliche Gefahr.« Sie bückte sich und schaute wieder auf die Straße hinaus. »Er kommt zurück!« sagte sie. »Singt, Alean!« rief Ehlana rasch. »Wa-as?«

»Singt! Wenn irgend jemand auf der Welt Eure Stimme erkennt, dann Kalten.« Aleans Augen weiteten sich plötzlich. »Ja, ganz bestimmt!«

»Ich werde mich ans Fenster stellen und sein Gesicht beobachten. Ihr müßt aus tiefster Seele singen, Alean! Ihr müßt ihm das Herz brechen!«

Aleans Stimme zitterte leicht, als ihr klarer Sopran mühelos ungeahnte Höhen erklomm. Sie sang die uralte Ballade von einem blauäugigen Liebsten; ein Lied, das eine ganz besondere Bedeutung für ihre Kammermaid und den blonden Pandioner hatte, wie Ehlana wußte.

Wieder spähte die Königin aus dem Fenster. Der ziemlich ärmlich gekleidete Mann auf der Straße stand stockstill, wie angewurzelt, beim Klang von Aleans heller Stimme.

Ehlanas Zweifel verflogen. Es war Kalten! Tränen strömten ihm über die Wangen, und sein Gesicht hatte einen sehnsüchtigen, ehrfürchtigen Ausdruck angenommen. Und dann tat er etwas so Unerwartetes, daß Ehlana sich gezwungen sah, ihre überkommene Meinung über seinen Mangel an Intelligenz zu revidieren. Kalten setzte sich auf die moosigen Kopfsteine, zog einen Schuh aus und pfiff eine Begleitung zu Aleans Lied. Er wußte Bescheid. Und er pfiff, um es ihnen zu verstehen zu geben. Nicht einmal Sperber hätte so rasch reagieren oder ihnen auf so geschickte Weise mitteilen können, daß er sich ihrer Lage bewußt war.

»Das genügt, Alean!« flüsterte Ehlana. »Er hat unsere Botschaft verstanden.« Alean hörte zu singen auf.

»Was tust du da?« rief einer der arjunischen Wachtposten, die an der Tür standen, mit schroffer Stimme und erschien im Blickfeld der Frauen.

»Hab' einen Stein im Schuh«, erklärte Kalten und schüttelte den Schuh, den er soeben ausgezogen hatte. »Hat mir wie ein Messer in den Fuß geschnitten!« »Sieh zu, daß du endlich weiterkommst!«

Kaltens schlüpfte wieder in seinen Schuh und stand auf. »Freund«, sagte er mit eiskalter Ruhe, »du wirst bald dienstfrei haben und möchtest dir dann in Sengas Schenke vielleicht gern ein paar Krüge Bier genehmigen. Ich bin dort für die Ordnung zuständig. Wenn du hier mit mir Streit anfangen willst, könnte ich vielleicht auf die Idee kommen, daß du ein Randalierer bist und dort Hausverbot bekommst. Kapiert?« »Ich hab' den Befehl, alle von diesem Haus fernzuhalten«, erwiderte der Posten, dessen Stimme mit einemmal freundlich klang.

»Aber auf höfliche Weise, Freund, ganz höflich! Hier ist jeder bis an die Zähne bewaffnet, also sollten wir nett zueinander sein.« Kalten warf einen verstohlenen Blick auf das vergitterte Fenster, durch das Ehlana ihn beobachtete. »Ich habe Höflichkeit und Demut gelernt, als ich mich mit Shallag zusammentat – du weißt schon, der Einäugige mit der Lochaberaxt.«

Der Posten schauderte. »Ist er wirklich so gefährlich, wie er aussieht?«

»Noch gefährlicher. Er hackt dir den Kopf ab, wenn du ihn bloß anniest.« Kalten straffte die Schultern. »Wird Zeit, daß ich in die Schenke zurückkehre. Wie mein Freund Ezek immer zu sagen pflegt: ›Wer bloß auf der faulen Haut liegt, der hat's noch nie zu 'nem reichen Mann gebracht.‹ Komm in die Schenke, wenn du Feierabend hast, mein Bester. Ich spendier' dir einen Krug Bier.«

Immer noch das Lied vom blauäugigen Liebsten pfeifend, schlenderte er die Straße hinauf.

»Er ist großartig, Alean!« rief Ehlana frohen Herzens. »Und laßt Euch nicht von diesem Gesicht täuschen. Er hat mir in zwei Minuten mehr mitgeteilt, als Sperber es in einer Stunde vermocht hätte.«
Alean blickte sie verwundert an. »Majestät?«

»Er weiß, daß wir hier sind. Während Ihr gesungen habt, pfiff er die Begleitung. Er ließ mich auch wissen, daß Ritter Bevier und Caalador bei ihm sind.« »Wie hat er Euch das denn mitgeteilt?«

»Er sprach zu dem Posten. In Daresien ist Bevier zur Zeit wahrscheinlich der einzige Mann mit einer Lochaberaxt, und der Sprechweise nach, die er seinem anderen Freund in den Mund legte, kann es sich bei dem nur um Caalador handeln. Die Männer wissen, daß wir hier sind, Alean – und wenn sie es wissen, weiß Sperber es erst recht! Wir könnten schon zu packen anfangen, wenn wir etwas zu packen hätten. Wir werden nicht mehr lange hier sein! Wir kehren nach Matherion zurück!« Sie lachte glücklich und umarmte ihre Kammermaid.

Kalten mühte sich, eine unverfängliche Miene zu wahren, als er durch die moosbedeckten Straßen zu Sengas Schenke zurückkehrte, doch die Erregung über das soeben Geschehene war noch nicht abgeklungen, und es fiel ihm schwer, sich das Lachen zu verkneifen.

Scarpas Armee hatte bei ihrer Ankunft das nördliche Viertel von Natayos in einen halbwegs bewohnbaren Zustand versetzt, doch der Großteil der einstigen Stadt war immer noch eine von Pflanzen überwucherte Ruine. Senga hatte für seine Schenke mehrere Standorte in Betracht gezogen und klugerweise beschlossen, sich ein gutes Stück tiefer in der alten Stadt niederzulassen, um Einmischung durch wichtigtuerische Sergeanten oder kleine elenische Offiziere mit vielen Vorurteilen, aber wenig Verstand möglichst von vornherein zu vermeiden. Senga hatte ein gedrungen wirkendes Gebäude gefunden, mit festen Wänden, jedoch ohne Dach. Aber dieser Mangel ließ sich mit Zeltleinwand leicht beheben. Senga hatte erwogen, für gutes Geld Soldaten während ihrer Freizeit damit zu beschäftigen, die Straße, die von Scarpas Hauptlager zur Schenke führte, von Gestrüpp und anderen Hindernissen zu säubern, doch Caalador hatte ihm abgeraten. »'s ist unnötig, Senga«, hatte der Cammorier mit dem neuen Gesicht dem geplagten Geschäftsmann versichert. »Die durstigen Soldaten werden die Straße von selber frei räumen, da brauchst du ihnen keine Kupfermünze dafür zu bezahlen.« Die Schenke kauerte inmitten von Ruinen. Von den benachbarten leeren Gebäuden hob sie sich nur durch ihr Zeltplanendach und das schlichte Schild vor der Tür ab, auf dem »BEI SENGA« stand.

Kalten betrat die Schenke durch den Seiteneingang und blieb kurz stehen, damit seine Augen sich an das schummrige Licht gewöhnen konnten. Obwohl erst Mittag, war die Schankstube ziemlich voll, und die sechs beschürzten Gesetzlosen aus Narstils Lager eilten hinter einer Theke aus einfachen Brettern hin und her, schenkten schäumendes Bier ein und kassierten.

Kalten schaute sich nach Bevier und Caalador um und bahnte sich einen Weg zu ihnen. Sie saßen an einem Tisch an der nächsten Seitenwand. Beviers Lochaber mit dem verkürzten Schaft und Caaladors schwere Keule lagen gut sichtbar auf der Tischplatte, als ständige Mahnung an die durstigen Gäste, daß hier keine Schlägereien geduldet wurden.

Kalten nahm bei seinen Freunden Platz und bemühte sich, seine Begeisterung im Zaum zu halten. »Sie sind hier!« flüsterte er.

Caalador blickte sich in der Schankstube um. »Na ja«, sagte er gedehnt. »Nicht alle, aber wohl doch die meisten, die dienstfrei haben.«

»Ich rede nicht von dieser Meute, Ezek. Ich meine das Haus mit den vergitterten Fenstern. In diesem Haus sind zweifellos die Leute, die wir suchen.«

»Woher weißt du das?« flüsterte Bevier angespannt. »Hast du sie gesehen?« »War gar nicht nötig. Eine der beiden steht mir sehr nahe. Sie hat mich erkannt – sogar mit diesem Gesicht. Aber fragt mich nicht, wie.«

»Bist du sicher?« bohrte Bevier nach.

»Ganz sicher. Sie hat zu singen angefangen. Diese Stimme würde ich sogar inmitten eines Gewitters erkennen. Sie sang ein sehr altes Lied, das eine ganz besondere Bedeutung für uns beide hat. Unsere Freundinnen in dem Haus haben mich erkannt, da besteht nicht der geringste Zweifel. Und die eine, von der ich gesprochen habe, singt dieses Lied nur für mich!«

»Du hattest wohl keine Möglichkeit, sie wissen zu lassen, daß du ihre Botschaft erhalten hast?« fragte Caalador. »Ich meine, ohne daß du ihnen die Tür eingerannt hättest.«

»Ich brauchte die Tür gar nicht einzurennen. Ich hab' das Lied mitgepfiffen. Das hab' ich früher schon getan, um mich meiner Freundin mitzuteilen. Dann habe ich ein Gespräch mit einem Wachtposten angefangen. Ich ließ dabei genug Hinweise fallen, daß die beiden im Haus jetzt wissen, was sie wissen sollten.«

Caalador lehnte sich auf dem Stuhl zurück. »Deine Idee mit dieser Schenke erweist sich als wirklich gut, Shallag. Seit wir hier sind, haben wir eine Menge nützliche Informationen aufgeschnappt.«

Kalten schaute sich in der Schenke um. »Zur Zeit ist es ziemlich ruhig. Der Radau wird bestimmt nicht vor Sonnenuntergang beginnen. Wie wär's, wenn wir einen kleinen Spaziergang durch die Ruinen machen? Ich finde, wir sollten ein bißchen mit einem gewissen kleinen Mädchen plaudern. Diesmal haben wir wirklich gute Neuigkeiten für sie.«

»Gehen wir's an.« Caalador stand auf, bahnte sich einen Weg zur Theke und sprach kurz zu dem Gesetzlosen, der soeben Bier ausschenkte; dann schritt er voraus ins Freie. Sie begaben sich hinter die Schenke und gingen durch eine überwucherte Nebenstraße, die an zerfallenen Häusern vorbeiführte, auf deren Trümmern laut schreiende bunte Vögel saßen. Die drei Gefährten traten in eine Ruine. Kalten und Caalador standen Wache, während Bevier den Zauber wirkte.

Der Cyriniker grinste, als er sich zu den Freunden gesellte. »Du solltest dich wappnen, Kalten!« warnte er.
»Wogegen?«

»Aphrael will dich mit Küssen überhäufen, sobald sie dich wiedersieht.«

»Ich glaube, damit kann ich leben. Darf ich daraus schließen, daß sie sich gefreut hat?«

»Bei ihrem Begeisterungsschrei wäre mir beinahe das Trommelfell geplatzt.« »Tja, wie sagt sie so gern? ›Wir leben nur, um unseren Lieben Freude zu machen‹.« Scarpa schrie, noch ehe er durch die Tür kam. Seine Stimme war hoch und schrill, seine Augen quollen aus den Höhlen, und seine behelfsmäßige Krone saß ihm schief auf dem Kopf. Er tobte vor wilder Wut. Geifer schäumte ihm von Lippen und Bart, als er in das Gemach stürmte. »Dein Gemahl hat dich verraten, Weibsbild!« schrie er Ehlana gellend an. »Für seinen Verrat wirst du mit dem Leben bezahlen!« Die Hände zu Klauen gekrümmt, ging er auf sie zu. Plötzlich stand Zalasta an der Tür. »Nein!« befahl er eisig.

Scarpa wirbelte zu seinem Vater herum. »Halte dich heraus!« kreischte er. »Sie ist meine Gefangene! Ich werde sie für Sperbers Verrat bestrafen!«

»Nein, das wirst du nicht. Du wirst tun, was ich dir befehle!« Zalasta sprach nun Elenisch; von seinem früheren Akzent war nicht das geringste zu bemerken. »Er hat meinen Befehlen zuwidergehandelt! Das muß er mir büßen!«

»Bist du so dumm, daß du nicht damit gerechnet hast? Ich hatte dir gesagt, wie listig dieser Mann ist! Aber dein beschränkter Verstand ist vom Größenwahn so sehr umnebelt, daß du nicht hören wolltest.«

»Ich habe ihm den Befehl erteilt!« Scarpas Stimme hatte sich zu einem schrillen Quieken erhoben. Er stampfte mit dem einen Fuß auf, dann mit dem anderen. Schließlich fing er vor Wut wie ein Derwisch zu tanzen an. »Ich bin der Kaiser! Er muß mir gehorchen!«

Diesmal machte Zalasta sich gar nicht erst die Mühe, sich der Magie zu bedienen. Er schwang lediglich den Stab und streckte seinen tobenden Sohn mit einem einzigen Schlag zu Boden. Die Krone rollte davon.

»Du drehst mir den Magen um.« Seine Stimme troff von Verachtung. »Ich kann weder deinen mangelnden Respekt noch deine kindischen Wutanfälle dulden. Du bist nicht der Kaiser. In diesem Zustand bist du nicht einmal zurechnungsfähig!« Sein Gesicht war ausdruckslos, und seine Augen schienen in weite Fernen zu blicken. »Hüte dich, Scarpa«, warnte er mit furchterregender Stimme. »Es gibt auf dieser Welt nichts mehr, das ich noch liebe. Du hast mich von allen menschlichen Bindungen befreit. Wenn du mich ärgerst, zerquetsche ich dich wie eine Laus!« Scarpa, auf dessen Gesicht immer noch Geifer schäumte, wich auf allen vieren vor dem furchterregenden alten Mann zurück. »Was ist geschehen?« fragte Ehlana besorgt.

»Einer meiner Leute – Cyzada von Esos – ist soeben von Cynesga gekommen«, antwortete Zalasta ruhig. »Er brachte Neuigkeiten, mit denen wir eigentlich hätten rechnen müssen. Euer Gemahl ist ein listenreicher Mann, Ehlana. Wir dachten, wir hätten ihn erwischt, doch es ist ihm gelungen, uns wieder ein Schnippchen zu schlagen.« »Ich verstehe nicht …«

»Wir hatten ihm Anweisungen hinterlassen, als wir Euch entführten. Er sollte nach Beresa in Südarjuna reiten, nur in Begleitung seines Knappen. Wir ließen ihn beobachten, und scheinbar tat er wie geheißen. Aber eben nur scheinbar. Offensichtlich liebt er Euch nicht so sehr, wie wir annahmen.«

»Er hat lediglich meine Anweisung befolgt, Zalasta. Ich befahl ihm, Bhelliom unter keinen Umständen aus der Hand zu geben.«

»Wie ist Euch das gelungen?« fragte Zalasta sichtlich erstaunt.

»Euer vom Wahn besessener Sohn befahl Elron, Baronesse Melidere zu töten. Elron ist in jeder Beziehung ein hoffnungsloser Versager. Es gelang Melidere, seinen Schwertstich abzulenken. Ich habe einige sehr tüchtige Leute, Zalasta. Melidere stellte sich tot; sie war eine sehr überzeugende Schauspielerin. Ich täuschte Hysterie vor und flüsterte ihr Anweisungen zu, während ich eine Decke über sie zog.« Ehlana bedachte den alten Mann mit einem zutiefst spöttischen Blick. »Ihr werdet alt und nachlässig, Zalasta. Euch fiel nicht einmal auf, daß ich meinen Ring nicht mehr trage. Ich hatte ihn Melidere zugesteckt.«

»Sehr einfallsreich, Ehlana«, murmelte er. »Ihr und Euer Gemahl seid höchst anregende Feinde.«

»Wie schön, daß es Euch gefällt. Wie hat Sperber Euch hereingelegt?«

»Das wissen wir nicht so genau. Von dem Moment an, als er die Schloßanlage in Matherion verließ, stand er unter Beobachtung. Er hat unsere Anweisungen buchstabengetreu befolgt. Wir änderten sogar mehrmals den ursprünglichen Plan, um mögliche Täuschungen zu verhindern. Dann entfloh Klæl aufs neue und suchte nach Bhelliom. Der Mann, den wir für Sperber hielten, überquerte mit seinem Knappen Khalad auf einem Schiff das Binnenmeer von Arjun. Klæl warf nur einen Blick auf ihn und erkannte sofort, daß der Mann, der Euer Gemahl zu sein schien, nicht Anakha war. Das ist die Neuigkeit, die Cyzada soeben brachte.«

Ehlana lächelte ihn fast selig an. »Also ist Sperber jetzt irgendwo da draußen – mit Bhelliom in der Hand und Mordlust im Herzen – und Ihr habt nicht die leiseste Ahnung, wo er sein könnte. Wahrscheinlich wißt Ihr nicht einmal, wie er aussieht. Ein ziemliches Problem für Euch, Zalasta.«

»So ist es, Majestät. Ihr begreift wesentlich schneller als meine Kollegen.«

»Das ist wirklich nicht schwierig. Ihr seid ja von Schwachsinnigen umgeben. Welchen meiner Geistesblitze bewundert Ihr gerade?«

Er lächelte schwach. »Ich mag Euch, Ehlana. Ihr habt Mut und Verstand. Meine Schwachsinnigen, wie Ihr sie nennt, haben den wesentlichen Punkt noch nicht erkannt, was die List Eures Gemahls angeht. Wenn es ihm gelungen ist, daß jemand wie er aussieht, dann ist er bestimmt ebenso imstande, seine eigenen Züge zu verändern.«

»Das tut er oft, Zalasta. Er hat große Erfahrung darin, aus seiner Zeit in Rendor. Um Euch herum bricht alles zusammen, nicht wahr? Ich würde Euch raten, schnellstens zu verschwinden.«

»Ich werde tatsächlich in Kürze abreisen, aber Ihr kommt mit. Erteilt Eurer Kammermaid die Anweisung, Vorbereitungen für eine Reise zu treffen.«

»Was sagst du da?« Scarpa plagte sich auf die Füße. »Sie darf nicht von hier weg! Wir nehmen den Austausch hier vor!«

»Du Schwachkopf!« sagte Zalasta verächtlich. »Du bildest dir doch nicht wirklich ein, ich nehme deine Unbotmäßigkeit noch länger hin, oder? Ich hatte nie die Absicht, dich auch nur in die Nähe von Bhelliom kommen zu lassen!« Scarpa starrte ihn an.

»Es war ein unüberlegter Versuch, dein Leben zu retten, du Narr. Bhelliom hätte dich in dem Augenblick vernichtet, da du nach ihm greifen wolltest.«

»Nicht, wenn ich die Ringe hätte. Sie würden mich schützen!« Wieder loderte der Wahnsinn in Scarpas Augen.

»Die Ringe sind fauler Zauber!« erklärte Zalasta höhnisch. »Sie haben nicht die geringste Macht über Bhelliom.«
»Du lügst!«

»Das möchtest du gern glauben, nicht wahr, Scarpa? Du hattest gedacht, die größte Macht des Universums beherrschen zu können, in dem du dir ein Paar Ringe an die Finger steckst. Ghwerig, der Trollzwerg, hat diese Ringe auf Bhellioms Geheiß angefertigt. Sie waren bestimmt, einen Troll zu täuschen und ihn glauben zu machen, er besäße ein wenig Macht über den Stein. Bhelliom hat Ghwerig dazu gebracht, die Ringe zu schmieden; dann sorgte er dafür, daß Aphrael sie stahl. Alle Aufmerksamkeit war dermaßen auf die Ringe gerichtet, daß niemand auch nur daran dachte, Bhelliom aus der thalesischen Königskrone zu stehlen.«

Scarpa sagte hämisch. »Du hast dich gerade selbst verraten, alter Mann! Wenn Bhelliom so tödlich ist, wie konnten ihn da die Könige von Thalesien berühren, ohne zu sterben?«

»Weil Bhelliom lebt, Dummkopf! Er hat ein Bewußtsein! Er tötet nur jene, die er töten will – und du gehörst zweifellos dazu. Obwohl du mein Sohn bist, gerate sogar ich nicht selten in Versuchung, dich zu töten. In deiner Unüberlegtheit hast du dir gedacht, du brauchtest dir Bhelliom nur zu nehmen, dann könntest du ihm sogleich Befehle erteilen. Habe ich recht?« Scarpa lief aus Verlegenheit rot an.

»Geht es denn nicht in deinen kranken Kopf, daß nur ein Gott – oder Anakha – Bhelliom unbeschadet in die Hand nehmen und ihm Anweisungen geben kann? Warum, glaubst du, habe ich ein Bündnis mit Azash geschlossen – und später mit Cyrgon? Dachtest du etwa, ich hätte religiöse Gründe dafür?« Er lächelte grausam. »Hast du dir wirklich eingebildet, Bhelliom hätte dich mir ebenbürtig gemacht, Scarpa? Du wolltest dir die Ringe über die Finger ziehen, dir Bhelliom schnappen und ihm befehlen, mich zu töten, nicht wahr? Fast wünschte ich, die Lage wäre anders. Wie gern hätte ich deinen Gesichtsausdruck gesehen, wenn Bhelliom dich in Stein verwandelt!« Zalasta richtete sich hoch auf. »Genug!« Er ging zur Tür. »Kommt herein!« brüllte er. »Ihr alle!«

Furchtsam und zögernd traten die Männer ein. Krager war vor lauter Angst fast nüchtern, und Elron hätte sich am liebsten verkrochen. Der dritte war ein dürrer Styriker mit langem Bart, struppigen Brauen und eingesunkenen fanatischen Augen. »Meine Herren«, begann Zalasta, »diese neue Entwicklung erfordert Änderungen unserer Pläne. Mein Sohn und ich haben die Angelegenheit besprochen. Offenbar hat er beschlossen, weiterleben zu wollen, denn er hat sich einverstanden erklärt, meine Anweisungen zu befolgen. Ich werde die Königin und ihre Kammermaid an einen anderen Ort bringen. Natayos ist nicht mehr sicher. Sperber könnte buchstäblich überall sein. Möglicherweise ist er bereits hier. Ich möchte, daß ihr mit Scarpa dableibt. Schickt die Botschaften weiterhin an diesen falschen Sperber. Unsere Feinde dürfen nicht erfahren, daß wir sie durchschaut haben. Wartet zwei Tage; dann sendet Anweisungen nach Panem-Dea. Man soll eine angemessene Unterkunft für zwei sehr hochgestellte Damen herrichten. Anschließend wartet noch einmal zwei Tage; dann schickt eine geschlossene Kutsche dorthin. Diese Schwachköpfe in Panem-Dea kennen so etwas wie Sicherheitsmaßnahmen überhaupt nicht; deshalb dürfte der Wortlaut Eurer Nachricht in ganz Südarjuna bekannt sein, noch ehe Euer Bote eintrifft. Cyzada, ich möchte, daß Ihr ein wachsames Auge auf meinen geistesgestörten Sohn habt. Befolgt er meine Anweisungen nicht bis aufs Wort, befehle ich Euch, einen von Azashs Dienern aus der Unterwelt zu rufen, auf daß er diesen Schwachkopf tötet. Laßt Euch etwas einfallen, alter Junge. Sucht den grausamsten und gräßlichsten Dämon aus, den Ihr finden könnt. Falls Scarpa mir wieder nicht gehorcht, sorgt dafür, daß er einen sehr langen und qualvollen Tod erleidet. Man soll ihn von hier bis Matherion schreien hören!«

Cyzadas Augen leuchteten in plötzlicher, grausamer Vorfreude auf. Er bedachte Scarpa, der mit einemmal einen vollkommen vernünftigen Eindruck machte, mit einem furchtbaren Lächeln. »Ich kümmere mich darum, Zalasta«, versprach er mit hohl klingender Stimme. »Ich weiß jetzt schon, wen ich für diesen Zweck beschwören werde.« Scarpa wich entsetzt zurück.

»Wohin werdet Ihr die Gefangenen bringen, erhabener Zalasta?« fragte Elron zittrig. »Wo könnt Ihr sicher sein vor diesem rachsüchtigen Ungeheuer, das Anakha genannt wird?«

»Das braucht Ihr nicht zu wissen, Elron«, erwiderte Zalasta. »Die Pandioner sind für ihre Strenge bei der Befragung von Gefangenen bekannt. Wenn Ihr es nicht wißt, könnt Ihr es ihnen nicht verraten – nicht einmal, wenn sie Euch foltern.«

»Foltern?« Elrons Augen weiteten sich, und seine Stimme klang wie ein angstvolles Quieken.

»Dies ist die wirkliche Welt, Elron, nicht der Tagtraum eines weltfremden Poeten. Die Zeit der Possenreißerei ist nun vorbei. Aber ich bin sicher, Ihr werdet eine gelungene Vorstellung geben und uns mit dem Heldenmut beeindrucken, mit dem Ihr die Qualen ertragt, die man Euch ohne Zweifel zufügen wird, wenn man Euch erwischt.« Elron war der Ohnmacht nahe.