11

»Ich finde einfach niemanden, der bereit wäre, lange genug an einem Fleck zu bleiben, daß ich ihm ein paar Fragen stellen könnte!« beklagte sich Komier, als er am Spätnachmittag eines wolkenverhangenen Tages mit seinen Kundschaftern zurückkehrte. Verärgert blickte er zurück über die winterbrachen Äcker, die alle säuberlich mit niedrigen Steinmauern eingezäunt waren, und bewegte behutsam seinen gebrochenen rechten Arm. »Diese astelischen Leibeigenen werfen einen Blick auf uns, und schon fliehen sie wie aufgescheuchtes Wild in den Wald.« »Wo befinden wir uns hier eigentlich?« erkundigte sich Darellon. Am Sattelknauf hing sein Helm, der an einer Seite dermaßen eingebeult war, daß er nicht mehr über den verbundenen Kopf paßte. Darellons Augen waren matt, und sein Verband war blutgetränkt.

Komier kramte seine Karte hervor und studierte sie. »So genau kann ich das nicht sagen. Vor uns liegt der Astel«, antwortete er. »Auf der anderen Seite haben wir eine Stadt gesehen – Darsas wahrscheinlich. Aber ich bin an niemanden herangekommen, der es mir hätte bestätigen können. Ich weiß ja, daß ich nicht gerade der bestaussehendste Mann auf der Welt bin, aber noch nie zuvor sind die Leute so in Panik vor mir geflohen wie hier.«

»Emban hat uns vorgewarnt«, erinnerte Bergsten ihn. »In den ländlichen Gegenden wimmelt es von Aufwieglern. Sie erzählen den Leibeigenen, wir alle hätten Hörner und Schwänze und kämen hierher, um ihre Kirchen niederzubrennen und sie mit dem Schwert zu Ketzereien zu zwingen. Dieser sogenannte Säbel scheint hinter all dem zu stecken.«

»Genau auf den Kerl habe ich's abgesehen«, murmelte Komier finster. »Ich werde ihn zur Strecke bringen und auf offener Flamme rösten!«

»Wir sollten die Einheimischen nicht noch mehr verschrecken, Komier«, warnte Darellon. »Unser derzeitiger Zustand eignet sich nicht gerade für irgendwelche weiteren Waffengänge.« Er warf einen bedeutungsvollen Blick auf die arg mitgenommene Kolonne und die lange Wagenreihe mit den Schwerverwundeten. »Seid Ihr irgendwo auf Hinweise für organisierten Widerstand gestoßen?« wandte Heldin sich an Komier.

»Noch nicht. Wie die Dinge tatsächlich stehen, werden wir vermutlich feststellen, wenn wir Darsas erreicht haben. Falls die Brücke über den Astel niedergerissen wurde und es auf der Brustwehr der Stadtmauer von Bogenschützen wimmelt, wissen wir, daß Säbels Botschaft von Friede und Freundschaft die Verantwortlichen erreicht hat.« Das Gesicht des genidianischen Hochmeisters verdunkelte sich, und er straffte die Schultern. »Na ja, es wäre nicht das erste Mal, daß ich mir den Weg in eine Stadt erkämpfen muß. Demnach wär's keine neue Erfahrung für mich.« »Du hast es bereits geschafft, daß Abriel und etwa ein Drittel der Ordensritter gefallen sind, Komier«, sagte Bergsten unverblümt. »Das allein schon sichert dir einen festen Platz in der Geschichte. Versuchen wir es erst einmal mit Unterhandlungen, bevor wir Stadttore zerschmettern und Häuser in Schutt und Asche legen!«

»Du hattest schon ein loses Mundwerk, als wir noch Novizen waren, Bergsten. Ich hätte etwas dagegen tun sollen, ehe du in deinen Priesterrock geschlüpft bist.« Bergsten prüfte die Schneide seiner Streitaxt. »Ich kann meinen Priesterrock ausziehen, wann immer du möchtest, alter Freund«, erbot er sich.

»Konzentrieren wir uns wieder auf das Wesentliche, meine Herren.« Darellons Stimme klang erschöpft. »Unsere Verwundeten müssen versorgt werden. Jetzt ist wirklich nicht die richtige Zeit, Streit anzufangen – weder mit den Einheimischen noch untereinander. Ich bin der Meinung, wir vier sollten mit einer weißen Fahne voraus reiten und feststellen, woher der Wind weht, ehe wir mit dem Bau von Belagerungsmaschinen beginnen.« »Höre ich hier die Stimme der Vernunft?« fragte Heldin.

Sie banden einen leuchtendweißen cyrinischen Umhang an Ritter Heldins Lanze und ritten durch den düsteren Nachmittag zum Westufer des Astels.

Die stolze alte Stadt auf der anderen Seite des Flusses, mit ihren prächtigen Bauten und hohen Türmen, konnte ihren elenischen Ursprung nicht verleugnen. Mit ihren flatternden rotblaugoldenen Fahnen schien sie zu verkünden, daß sie schon seit unendlicher Zeit hier stand und daß es ja niemand wagen sollte, ihre hohen, breiten Mauern und die schweren, geschlossenen Tore zu stürmen. Die Brücke über den Astel wurde von hünenhaften, bronzehäutigen Kriegern mit leichter Rüstung, aber sehr bedrohlich aussehenden Waffen bewacht. »Ataner«, stellte Ritter Heldin fest. »Gegen diese Leute wollen wir nun wahrhaftig nicht kämpfen!«

Die Reihen der düster blickenden Fußsoldaten teilten sich und ein greiser, runzeliger Tamuler in goldfarbenem Umhang kam mit einem ganz in Schwarz gekleideten, bärtigen astelischen Priester auf sie zu. »Seid gegrüßt, meine Herren Ritter«, wandte der haarlose greise Tamuler sich mit beinahe staubtrockener Stimme an die gepanzerten Männer. »König Alberen ist ein wenig neugierig, was Eure Absichten betrifft. Ordensritter sieht man in diesem Teil der Welt nicht oft.«

»Ihr dürftet Botschafter Fontan sein«, meinte Bergsten. »Emban hat Euch sehr gut beschrieben.«
»Ich dachte, er hätte bessere Manieren.«

Bergsten lächelte leicht. »Vielleicht möchtet Ihr einen Boten in die Stadt zurückschicken, Exzellenz. Versichert Seiner Majestät, daß wir durchaus friedliche Absichten hegen.«

»Ich bin sicher, er wird es mit Freuden zur Kenntnis nehmen.«

»Emban und Ritter Tynian sind vor etwa zwei Monaten nach Chyrellos zurückgekehrt«, fuhr Bergsten fort. »Sperber ließ ausrichten, daß die Dinge hier aus den Fugen gerieten. Deshalb hat Dolmant uns hierher geschickt. Wir sollen helfen, die Ruhe wieder herzustellen.« Der hünenhafte Patriarch verzog das Gesicht. »Leider haben die Dinge sich anders entwickelt als geplant. Bei Basne kam es zu einem höchst unliebsamen Zwischenfall, und jetzt haben wir viele Verwundete, die ärztliche Versorgung brauchen.«

»Ich werde sofort in den Abteien Bescheid geben lassen, Herr Ritter«, versprach der bärtige Priester, der neben Fontan stand.

»Bergsten ist kein Ritter mehr, Ehrwürden«, erklärte Komier ihm. »Früher war er einer, aber Gott hatte andere Pläne mit ihm. Jetzt ist er Patriarch der Kirche. Gewiß ist er ein frommer und sanftmütiger Mann, aber es ist uns noch nicht gelungen, ihm die Streitaxt abzunehmen.«

»Wo sind meine Manieren geblieben?« klagte Fontan. »Mein Freund hier ist Erzmandrit Monsel, das gesalbte Oberhaupt der Kirche von Astel.« »Eminenz.« Bergsten verneigte sich höflich.

»Eminenz«, erwiderte Monsel und blickte neugierig auf den Geistlichen, der wie ein Krieger aussah. »Euer Freund Emban und ich hatten einige sehr anregende Diskussionen über unsere unterschiedlichen Auffassungen, was die theologischen Grundsätze betrifft. Vielleicht hättet Ihr Lust, diese Gespräche mit mir fortzuführen? Aber sehen wir uns erst einmal eure Verwundeten an. Wie viele sind es in etwa?« »Zweitausend, grob geschätzt, Eminenz«, antwortete Komier düster. »Es ist schwierig, die genaue Zahl zu nennen, da Stunde für Stunde Dutzende wie die Fliegen dahinsterben.«

»Um Gottes willen! Gegen wen habt ihr da oben in den Bergen gekämpft?« stieß Monsel entsetzt hervor.

»Gegen den Fürsten der Hölle höchstpersönlich, soweit wir es erkennen konnten, Eminenz«, antwortete Darellon. »Dreißigtausend Gefallene mußten wir auf dem Schlachtfeld zurücklassen – hauptsächlich Cyriniker. Abriel, ihr Hochmeister, führte den Sturmangriff, und seine Ritter folgten dichtauf. Sie waren schon mitten im Kampfgetümmel, ehe sie zu erkennen vermochten, mit wem sie es zu tun hatten.« Er seufzte. »Abriel ging auf die siebzig zu. Offenbar war er der Ansicht, zum letzten Mal in die Schlacht zu ziehen.«

»Da hatte er recht«, brummte Komier grimmig. »Es blieb nicht einmal genug von ihm übrig, daß es für eine Beerdigung reichte.«

»Aber er starb einen Heldentod«, fügte Heldin hinzu. »Könntet Ihr uns schnelle Kuriere zur Verfügung stellen, Exzellenz? Sperber und Vanion rechnen mit unserer baldigen Ankunft in Matherion. Wir sollten die beiden lieber wissen lassen, daß unser Eintreffen sich verzögert.«


»Er heißt Valash«, sagte Stragen zu Sperber und Talen, als die drei, immer noch in ihren teerverschmierten Seemannskitteln, aus der lauten, fackelerhellten Straße in die dunkle, übelriechende Gasse gingen. »Er und seine beiden Freunde sind Daziter aus Verel.«

»Hast du herausfinden können, für wen sie arbeiten?« fragte Sperber, als sie anhielten, damit ihre Augen sich der Dunkelheit und ihre Nasen sich dem Gestank anpassen konnten. Die Gassen von Beresa waren schmutziger als die in jeder anderen Stadt.

»Ich hörte, wie einer von ihnen Ogerajin erwähnte«, antwortete Stragen. »Damit war eigentlich zu rechnen. Ogerajin und Zalasta sind ja offenbar alte Freunde.« »Ich dachte, Ogerajins Hirn wäre bereits im Zustand der Verwesung«, wandte Talen ein.

»Vielleicht hat er noch seine lichten Momente. Aber im Grunde spielt es gar keine Rolle, wer Valash und seine Freunde geschickt hat. Solange sie hier sind, erstatten sie Krager Bericht. Wenn ich es recht verstanden habe, sollen sie hier den Schaden abschätzen, den wir ihnen beim Erntedankfest zugefügt haben, und melden, was sie so nebenbei erfahren können. Sie haben Geld, aber sie wollen nicht gern viel davon ausgeben. Es geht ihnen hier nur um den Gewinn – und die Gelegenheit, wichtig und bedeutungsvoll zu erscheinen.«

»Kommt Krager hierher, um ihre Berichte entgegenzunehmen?« wollte Sperber wissen.

»In letzter Zeit war Krager nicht hier. Valash hält durch Boten Verbindung zu ihm. Die drei Daziter sind für diese Sache viel zu kleine Leuchten. Sie wollen soviel wie möglich von dem Geld für sich behalten, das Ogerajin ihnen gegeben hat; andererseits möchten sie auf keinen Fall etwas Wichtiges versäumen. Sie sind alles andere als Profis. Die meiste Zeit verbringen sie damit, Möglichkeiten zu finden, wie sie an Informationen kommen können, ohne dafür zu bezahlen.«

»Der große Traum jedes kleinen Gauners«, bemerkte Talen. »Womit haben sie sich denn in Verel ihren Lebensunterhalt verdient?«

»Sie verkauften Kinder an Leute, deren Neigung in diese Richtung geht«, erwiderte Stragen angewidert. »Ogerajin war einer ihrer besten Kunden.« »Die Kerle sind der schlimmste Abschaum, was?«

»Wahrscheinlich sogar noch schlimmer.« Stragen ließ den Blick in die Runde schweifen, um sicherzugehen, daß sie allein waren. »Valash möchte euch zwei kennenlernen.« Er wies zum Ende der Gasse. »Dort die Treppe geht's zu ihm hinauf. Einer seiner Hehler hat ihm einen Winkel dieses Speichers vermietet.«

Talen lächelte boshaft. »Falls diese Daziter ein bißchen zu viele falsche Informationen und an den Haaren herbeigezogene Gerüchte an Krager weitergeben, könnte er ziemlich schnell zu dem Schluß kommen, daß sie ihm nicht mehr von Nutzen sind. Meint ihr nicht auch?« »Anzunehmen.« Stragen zuckte die Schultern. »Das spornt in gewisser Hinsicht meine Kreativität an.« »Ach? Wieso?«

»Ich hab' was gegen Leute, die Kinder verkaufen. Es ist etwas Persönliches. Also, gehen wir zu diesem Valash. Ich muß wissen, ob er wirklich so einfältig ist, wie Ihr sagt.«

Sie stiegen die wacklige Außentreppe zu einer nicht gerade stabilen Tür hinauf, die vielfach zusammengeflickt war und die man, wie es aussah, bestimmt schon mehrmals eingetreten hatte. Der Speicher hinter dieser Tür war vollgestopft mit allen möglichen abgetragenen Kleidungsstücken, altersschwachen Möbeln und ramponierten Küchenutensilien. Selbst kaum noch reparaturfähige landwirtschaftliche Geräte standen, dick mit Staub bedeckt, in den Ecken. Talen rümpfte die Nase. »Offenbar gibt's Leute, die selbst den letzten Dreck stehlen.«

Eine einsame Kerze flackerte an der hinteren Wand des Speichers, und ein knochiger Elenier döste in ihrem unsteten Licht an einem Tisch. Er trug ein kurzes, grünes Brokatwams von dakonischem Schnitt, und sein schütteres lehmfarbenes Haar stand beinahe senkrecht von seinem flachen Schädel ab und ließ unwillkürlich an einen dünnen, schmutzigen Heiligenschein denken. Als die Gefährten durch den Speicherraum zu ihm gingen, rührte er sich und griff rasch nach einigen Papieren, die er auf wichtigtuerische Weise aufeinanderlegte. Kurz bevor sie ihn erreichten, blickte er mit gespielter Ungeduld auf. »Ihr habt Euch verspätet, Vymer!« rügte er ihn mit hoher, näselnder Stimme.

»Verzeiht, Meister Valash«, entschuldigte Stragen sich unterwürfig. »Fron und ich waren damit beschäftigt, Reldin, unseren jungen Kameraden hier, aus einer ziemlich angespannten Lage zu befreien. Reldin ist sehr tüchtig, übernimmt sich manchmal aber ein wenig. Doch Ihr wolltet ja meine Mitarbeiter kennenlernen.« Er legte eine Hand auf Sperbers Schulter. »Das ist Fron. Er ist ein Schläger; deshalb überlassen wir ihm alle Probleme, die sich mit ein paar schnellen Hieben oder einem Tritt in die Magengegend aus der Welt schaffen lassen. Der Junge ist Reldin, der geschickteste Dieb, der mir je untergekommen ist. Er kann sich durch Mauselöcher hindurchwinden, und seine Ohren sind so scharf, daß er hört, wenn am anderen Ende der Stadt Ameisen die Straße überqueren.«

»Ich will ihn nur anwerben, Vymer«, brummte Valash, »nicht kaufen.« Er kicherte über seinen Witz; dann grinste er die Freunde an und erwartete sichtlich, daß sie in sein Lachen einstimmten. Talen dachte gar nicht daran. Seine Augen glitzerten eisig. Die Reaktion der Gefährten auf seinen dürftigen Witz machte Valash ein wenig verlegen. »Warum tragt ihr alle Seemannskleidung?« fragte er, mehr um etwas zu sagen als aus echter Neugier.

Stragen zuckte die Schultern. »Beresa ist eine Hafenstadt, Meister Valash. Auf den Straßen wimmelt es von Seeleuten, da fallen ein paar mehr nicht sonderlich auf.« »Habt ihr was für mich, das mich möglicherweise interessieren könnte?« Er bemühte sich vergeblich um einen überlegenen, gelangweilten Tonfall.

Talen nahm die Mütze ab. »Das müßt Ihr selbst entscheiden, Meister Valash.« Er verbeugte sich unbeholfen. »Mir ist da tatsächlich etwas aufgefallen. Wenn Ihr es hören wollt …?«
»Rede!« forderte Valash ihn auf.

»Na ja, Meister, da ist dieser reiche tamulische Kaufmann, der ein Haus im besten Viertel der Stadt besitzt. An der Wand seiner Studierstube hängt ein Teppich, auf den ich schon eine Weile ein Auge geworfen hab'. Es ist ein sehr teures Stück – ganz fein geknüpft, und die Farben sind kaum verblaßt. Das Problem ist bloß, daß er die ganze Wand bedeckt. Ein guter Wandteppich kann ein Vermögen einbringen – allerdings nur, wenn er in einem Stück ist. Doch um diesen Teppich aus dem Haus zu bekommen, muß man ihn zerschneiden, und dann ist er nicht mehr viel wert. Jedenfalls bin ich vor kurzem in dieses Haus eingestiegen, um vielleicht eine Möglichkeit zu finden, ihn hinauszuschaffen, ohne ihn zu zerstückeln. Der Kaufmann saß jedoch in seiner Studierstube und hatte einen Besucher – irgendeinen Edlen vom Kaiserhof in Matherion. Ich lauschte an der Tür. Der Edelmann erzählte dem Kaufmann Klatsch und Tratsch aus dem kaiserlichen Schloß. Alle sagen, daß der Kaiser gar nicht erfreut über diese Leute aus Eosien ist. Der Umsturzversuch im vergangenen Herbst hat ihn ganz schön erschreckt, und er möchte gern zu einer Einigung mit seinen Feinden kommen. Doch dieser Sperber aus Eosien läßt es nicht zu. Sarabian ist überzeugt, daß sie nicht siegen können; deshalb hat er heimlich eine Flotte zusammengestellt und die Schiffe mit Schätzen beladen. Sobald es so aussieht, als würde es zu größeren Schwierigkeiten kommen, wird er auf das Flaggschiff fliehen. Die Höflinge wissen von seinen Plänen, darum treffen sie heimlich ihre eigenen Vorbereitungen, um sich in Sicherheit zu bringen, ehe der Kampf beginnt. Eines gar nicht so fernen Morgens wird dieser Sperber aufwachen, und vor seinen Toren wird eine feindliche Armee aufmarschiert sein. Und keiner ist mehr da, der an seiner Seite kämpft.« Talen legte eine Pause ein. »War das die Art von Information, an der Ihr interessiert seid?«

Der Daziter bemühte sich, seine Erregung zu verbergen und eine gleichgültige Miene aufzusetzen. »Das alles bestätigt nur, was wir bereits erfahren haben.« Großmütig schob er zwei kleine Silbermünzen über den Tisch. »Ich werde Panem-Dea informieren. Mal sehen, was sie davon halten.«

Talen blickte auf die Münzen, dann auf Valash. Heftig setzte er seine Mütze wieder auf. »Ich geh' jetzt, Vymer«, sagte er stumpf, »und vergeud' nie wieder meine Zeit mit diesem Geizhals!« »Warte!« sagte Stragen. »Laß mich erst mit ihm reden.«

»Ihr macht da einen großen Fehler, Valash«, warnte Sperber den Daziter. »Ihr tragt unübersehbar einen schweren Beutel an Eurem Gürtel. Wenn Ihr versucht, Reldin zu betrügen, kommt er eines Nachts zurück, schneidet den Boden auf und läßt Euch nicht einmal soviel übrig, daß Ihr ein Frühstück bezahlen könnt.«

Valash legte schützend die Hand um den Beutel. Dann öffnete er ihn sichtlich widerstrebend.

»Ich dachte, Scarpa ist in Natayos«, sagte Stragen gleichmütig. »Hat er sein Hauptquartier nach Panem-Dea verlegt?«

Valash schwitzte, als er widerstrebend ein paar Münzen herausnahm. Bei jeder einzelnen zögerte er, so, als würde er sich von einem alten Freund trennen. »Es gibt vieles, das Ihr über unser Unternehmen noch nicht wißt, Vymer«, entgegnete er. Er bedachte Talen mit einem beinahe flehenden Blick, als er das Geld zaudernd über den Tisch schob. Talen machte keine Anstalten, danach zu greifen.

Nach einem beinahe wimmernden Laut legte Valash noch ein paar Münzen hinzu. »So ist es ein bißchen besser«, murmelte Talen und steckte das Geld ein. »Dann ist Scarpa umgezogen?« fragte Stragen.

»Natürlich nicht!« erwiderte Valash. »Ihr habt doch nicht gedacht, daß er seine ganze Armee in Natayos hat, oder?«

»So hatte ich es gehört. Dann hat er also noch andere Stützpunkte?«

»Natürlich! Nur ein Narr sammelt seine gesamten Streitkräfte an einem Ort – und Ihr dürft mir glauben, Scarpa ist alles andere als ein Narr. Er rekrutiert bereits seit Jahren Männer aus den elenischen Königreichen von Westtamul. Er schickte sie alle nach Lydros und von dort nach Panem-Dea zur Ausbildung. Später kommen sie entweder nach Synaqua oder Norenja. Nur seine Elitetruppen liegen in Natayos. Seine Streitkräfte sind mindestens um ein Fünffaches größer, als die meisten Leute ahnen. In den Urwäldern wimmelt es nur so von seinen Männern.«

Sperber verbarg sein Lächeln. Valashs Geltungsbedürfnis schien so riesig zu sein, daß er Dinge verriet, über die er nicht hätte reden dürfen.

»Ich wußte wirklich nicht, daß Scarpas Armee so groß ist«, gab Stragen zu. »Aber jetzt fühle ich mich besser. Es wäre schön, zur Abwechslung mal auf der Seite des Siegers zu sein.«

»Ja, das wär' an der Zeit«, warf Sperber brummig ein. »Ich werd' es leid, aus jeder Stadt vertrieben zu werden, bevor ich auch nur dazu komm', meinen Seesack auszupacken.« Er blickte Valash an. »Da wir gerade dieses Thema angeschnitten haben – was meint Ihr? Könnten wir damit rechnen, daß Scarpas Männer uns draußen im Busch aufnehmen, falls sich irgendwelche Schwierigkeiten ergeben und wir die Beine in die Hand nehmen müssen?« »Was sollte denn schiefgehen?«

»Habt Ihr Euch je einen Ataner näher angesehen, Valash? Sie sind so groß wie Bäume und haben Nacken wie Stiere. Und sie sind nicht gerade freundlich. Deshalb würde ich gern ein ruhiges Plätzchen haben, falls ich mich unerwartet in Sicherheit bringen muß.«

Valashs Miene wurde argwöhnisch, als wäre ihm plötzlich bewußt geworden, daß er bereits zu viel gesagt hatte.

»Ah, ich glaube, wir haben alles gehört, was wir wissen müssen, Fron«, warf Stragen beruhigend ein. »Es gibt also sichere Plätze, falls wir welche brauchen sollten. Gewiß weiß Meister Valash viele Dinge, über die er nicht reden sollte.«

Valash nahm eine noch wichtigtuerische Haltung an und blickte verschwörerisch drein. »Ihr begreift die Situation vollkommen, Vymer. Es wäre nicht angebracht, daß ich über Dinge rede, die Freiherr Scarpa mir unter dem Siegel der Vertraulichkeit mitgeteilt hat.« Wieder griff er geschäftig nach seinen Papieren.

»Wir werden Euch nicht mehr von wichtigen Dingen abhalten, Meister Valash«, versicherte Stragen ihm in entschuldigendem Tonfall und machte einige Schritte rückwärts. »Wir werden uns noch ein wenig in der Stadt umsehen und Euch Bescheid geben, falls wir auf etwas Interessantes stoßen sollten.«

»Ich wäre Euch sehr dankbar, Vymer.« Während seine Besucher gingen, blätterte Valash noch immer in seinen obskuren Papieren.

»So ein eingebildeter Esel«, murmelte Talen, als sie die baufällige Treppe zur Gasse hinunterstiegen.

»Woher weißt du so viel über Wandteppiche?« fragte ihn Sperber. »Ich weiß überhaupt nichts darüber.«

»Du hast aber so geredet, als verstündest du eine Menge davon.«

»Ich rede über viele Dinge, von denen ich nicht das geringste verstehe. Das füllt Gesprächspausen, wenn man versucht, jemandem was anzudrehen, das vollkommen wertlos ist. Als ich das Wort ›Wandteppich‹ erwähnte, erkannte ich an Valashs Augen, daß er nicht mehr davon versteht als ich. Er war zu sehr damit beschäftigt, uns vorzuspielen, was für eine wichtige Persönlichkeit er ist, als daß er auf irgendwas anderes geachtet hätte. An ihm ließe sich ein Vermögen verdienen. Ich könnte ihm blaue Butter verkaufen.« Sperber blickte ihn verdutzt an.

»Das ist eine Redewendung in Betrügerkreisen«, erklärte Stragen. »Die Bedeutung ist ziemlich anrüchig.«
»Das glaube ich gern!«
»Soll ich's dir erklären?«
»Nicht unbedingt.«


»Ist das Familientradition oder eine Ausdrucksweise der Ehrerbietung deinem Vater gegenüber?« fragte Berit Khalad, als die beiden in Kettenrüstung und grauen Umhängen an der Bugreling des schmuddeligen Frachters lehnten, der sich über das Binnenmeer von Arjun von Sopal nach Tiana plagte.

Khalad zuckte die Schultern. »Nein, nichts dergleichen. Alle Männer in unserer Familie haben einen sehr starken Bartwuchs – von Talen abgesehen. Würde ich mir keinen Bart wachsen lassen, müßte ich mich täglich zweimal rasieren. So stutze ich ihn einmal die Woche mit einer Schere und lasse es darauf beruhen. Auf diese Weise spart man viel Zeit.«

Berit rieb sich die Wange. »Ich frage mich, was Sperber tun würde, falls ich mir einen Bart wachsen ließe.«

»Er würde vermutlich nichts tun, aber Königin Ehlana würde dich wahrscheinlich schälen wie einen Apfel. Sie liebt sein Gesicht genau so, wie es ist. Sie liebt sogar seine krumme Nase.«

»Sieht so aus, als hätten wir da ein Unwetter vor uns.« Berit wies in Richtung Westen.

Khalad runzelte die Stirn. »Woher ist das so plötzlich gekommen? Noch vor einer Minute war der Himmel klar. Komisch, daß ich sein Aufkommen nicht gerochen habe.«

Die Wolkenbank am westlichen Horizont war von tiefem Rotschwarz. Sie wogte heftig und schwoll mit unglaublicher Geschwindigkeit nach oben an. Blitze flackerten tief in ihrem Innern, und Donnergrollen breitete sich über dem dunklen, kabbeligen Wasser aus.

»Ich hoffe, diese Seeleute wissen, was sie tun«, sagte Berit nervös. »Das scheint ein gefährlicher Sturm zu werden.«

Sie beobachteten die tintige Wolke weiterhin, die bereits den gesamten westlichen Himmel verdunkelte.

»Das ist kein natürliches Gewitter, Berit.« Khalads Stimme klang angespannt. »Es kommt viel zu schnell.«

Plötzlich krachte ein ohrenbetäubender Donnerschlag, und die Wolke schien zu erbleichen und erzitterte unter der Wucht der Blitze, die in ihrem Innern tobten. Die beiden jungen Männer sahen die schattenhafte Form in dem Augenblick, als die bläulich grellen Blitze die Dunkelheit vertrieben und enthüllten, was in der Wolke verborgen gewesen war.

»Klæl!« keuchte Berit, während er auf die monströse, geflügelte Gestalt in der wogenden Sturmfront starrte.

Der nächste Donnerschlag zerriß den Himmel, und das ärmliche Schiff erschauderte. Klæls keilförmige Fratze, von einer Wolke verschleiert, schien sich zu kräuseln und seine Form zu verändern. Seine Schlitzaugen flammten in plötzlicher Wut. Die gewaltigen Fledermausflügel peitschten auf den herannahenden Sturm ein, und aus dem grauenvollen Maul Klæls drang ohrenbetäubendes Gebrüll, als das Ungeheuer in wilder Raserei tobte. Seine riesigen Arme streckten sich in die trübe Luft, und die Klauen zuckten, als würden sie gierig nach irgend etwas packen.

Dann war das Monstrum verschwunden, und die unnatürliche und jetzt harmlose Wolke trieb zerfetzt gen Südosten, bis sie nur noch ein schmutziger Punkt am Horizont war. Doch die Luft stank nun, Übelkeit erregend, nach Schwefel.

»Gib Aphrael sofort Bescheid«, riet Khalad seinem Freund. »Klæl ist wieder erschienen. Er hat nach irgend etwas Ausschau gehalten, konnte es aber nicht finden. Weiß der Himmel, wo er als nächstes suchen wird!«


»Komiers Arm ist dreifach gebrochen!« brummte Ritter Heldin, als er sich Patriarch Bergsten, der das Kettenhemd noch nicht abgelegt hatte, Botschafter Fontan und Erzmandrit Monsel in Monsels von Büchern überquellendem Studiergemach im Ostflügel des Schlosses zugesellte. »Und Darellon sieht immer noch alles doppelt. Komier braucht keine Bettruhe; er kann mit uns kommen. Aber ich glaube, wir sollten Darellon lieber hier lassen, bis er sich erholt hat.«

»Wie viele von unsren Männern können noch aufrecht auf einem Pferd sitzen?« erkundigte sich Bergsten.
»Höchstens vierzigtausend, Eminenz.«

»Wir müssen eben das Beste aus dem machen, was wir haben. Offenbar wußte Emban, daß wir diesen Weg nehmen würden, denn er hat dutzendweise Boten gesandt. In Südosttamul spitzen die Dinge sich zu. Sperbers Gemahlin wurde als Geisel entführt, und unsere Feinde wollen sie gegen Bhelliom austauschen. In den Dschungeln von Arjuna macht eine Rebellenarmee sich bereit, gegen Matherion zu marschieren, und zwei weitere Heere sammeln sich an der Ostgrenze von Cynesga. Falls alle diese Streitkräfte sich zusammentun, ist das Spiel aus. Sperber möchte, daß wir nach Osten über die Steppen reiten, bis die Marschen von Astel hinter uns liegen, dann gen Süden ziehen und die cynesganische Hauptstadt belagern. Er braucht eine Ablenkung, um diese Armeen von der Grenze wegzulocken.« Ritter Heldin holte seine Karte hervor. »Das wäre machbar«, sagte er, nachdem er sie eingehend studiert hatte. »Aber sind wir dafür nicht ein bißchen zu wenig Leute?« »Wir werden es schon schaffen. Vanion ist auf dem Schlachtfeld und wird an der cynesganischen Grenze von einer zahlenmäßig starken Übermacht bedrängt. Falls es uns nicht gelingt, die Feinde durch ein paar gezielte Aktionen abzulenken, steht Vanion auf verlorenem Posten und wird hoffnungslos überrannt.«

Heldin blickte den hünenhaften thalesischen Patriarchen nachdenklich an. »Es wird Euch nicht gefallen, Eminenz«, sagte er, »aber wir haben keine Wahl.« »Heraus damit!« forderte Bergsten ihn auf.

»Ihr solltet Eure Soutane ablegen und den Befehl übernehmen. Abriel ist gefallen, Darellon ist kampfunfähig, und wenn Komier zu kämpfen versucht, wird das Gewicht seiner Streitaxt ihn zum Krüppel machen.« »Ihr seid noch da, Heldin. Ihr könnt unser Feldherr sein.«

Heldin schüttelte den Kopf. »Ich bin kein Hochmeister, Eminenz, und das weiß jeder in der Armee. Außerdem bin ich Pandioner, und die anderen Orden hegen keine sehr freundlichen Gefühle für uns. Wir haben uns in den letzten zwei Jahrhunderten nicht viele Freunde gemacht. Die anderen werden mich nicht als Befehlshaber akzeptieren. Ihr aber seid Patriarch und sprecht für Sarathi – und die Kirche. Die Männer werden Euch ohne Widerspruch folgen.« »Das kommt nicht in Frage!«

»Dann werden wir hier warten müssen, bis Dolmant uns einen neuen Heerführer schickt.«
»Wir dürfen nicht warten!«

»Ganz meine Meinung. Habe ich Eure Erlaubnis, den Rittern mitzuteilen, daß Ihr den Oberbefehl übernehmt?«

»Das kann ich nicht, Heldin. Ihr wißt, daß es mir untersagt ist, mich der Magie zu bedienen!«

»Da wird sich schon ein Weg finden, Eminenz. Unter allen Dienstgraden gibt es viele fähige Männer, die sich auf Magie verstehen. Ihr braucht uns nur zu befehlen, was geschehen soll, und wir kümmern uns darum.«
»Ich habe einen Eid geleistet!«

»Zuvor habt Ihr noch einen anderen Eid geleistet, Patriarch Bergsten. Ihr habt geschworen, die Kirche zu verteidigen. Dieser Eid hat in unserer derzeitigen Lage Vorrang.«

Der schwarzberockte Erzmandrit mit dem gewaltigen Bart sah den zaudernden Thalesier nachdenklich an. Dann fragte er beinahe gleichmütig: »Würdet Ihr gern eine unabhängige Meinung hören, Bergsten?«
Bergsten funkelte ihn finster an.

»Ihr bekommt sie trotzdem zu hören«, erklärte der astelische Geistliche ungerührt. »Aufgrund des Wesens unseres Gegners sehen wir uns einer ›Krise der Kirche‹ gegenüber – und die Macht setzt andere Regeln außer Kraft. Gott braucht Eure Axt, Bergsten, nicht Eure Theologie.« Er blickte den thalesischen Patriarchen mit halb zusammengekniffenen Augen an. »Das scheint Euch nicht zu überzeugen.« »Ich möchte wirklich nicht beleidigend sein, Monsel, aber die Floskel von der ›Krise der Kirche‹ kann nicht jedesmal hervorgekramt, entstaubt und als Ausrede benutzt werden, wenn wir irgendeine Regel beugen wollen.«

»Also gut, versuchen wir es anders. Hier ist Astel, und Eure Kirche in Chyrellos erkennt meine Autorität hier an. Solange wir in Astel sind, spreche ich für Gott.« Bergsten nahm seinen Helm vom Kopf und polierte abwesend die glänzend schwarzen Ogerhörner. »Theoretisch«, gab er zu.

»Theorien sind die Seele der Doktrin, Eminenz.« Monsels Bart sträubte sich im Eifer des Disputs. »Erkennt Ihr an, daß ich hier in Astel für Gott spreche?« »Also gut, um des lieben Friedens willen, ja.«

»Ich bin froh, daß Ihr es so betrachtet; es wäre mir nämlich gar nicht leicht gefallen, Euch zu exkommunizieren. Nun denn, ich spreche hier für Gott, und Gott will, daß Ihr den Befehl über die Ordensritter übernehmt. Zieht aus und vernichtet Gottes Feinde, mein Sohn, und möge der Himmel Euren Arm stärken!«

Bergsten schaute blinzelnd aus dem Fenster, blickte nachdenklich auf den schmutziggrauen Himmel und ließ sich dieses Scheinargument noch einmal durch den Kopf gehen. »Ihr übernehmt die volle Verantwortung, Monsel?« fragte er schließlich. »Ja.«

»Das genügt mir.« Bergsten stülpte sich den Helm wieder über den Kopf. »Ritter Heldin, teilt den Männern mit, daß ich den Befehl über die vier Orden übernehme. Weist sie an, die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Wir brechen im Morgengrauen auf.« Heldin nahm Haltung an. »Jawohl, General Bergsten.«


Anakha, erschallte Bhellioms Stimme in Sperbers Kopf. Erwache! Erwache! Noch ehe er die Augen öffnete, spürte Sperber, daß etwas leicht das Band um seinen Hals berührte. Er packte die kleine Hand und hob die Lider. »Was erlaubst du dir?« fuhr er die Kindgöttin an.

»Ich brauche den Bhelliom, Sperber!« rief Aphrael verzweifelt, wobei ihr Tränen über die Wangen liefen.

»Was ist los, Aphrael? Beruhige dich und erzähl mir, was geschehen ist.«

»Sephrenia ist erstochen worden! Sie stirbt! Bitte, Sperber! Gib mir den Bhelliom!« Sperber war so schnell wie nie auf den Beinen. »Wo ist das geschehen?«

»In Dirgis. Sie wollte gerade zu Bett gehen, als Zalasta auf ihr Zimmer kam. Er stieß ihr einen Dolch ins Herz, Sperber! Bitte, Vater, gib mir den Bhelliom! Ich brauche ihn, um Sephrenia zu retten!«
»Sie lebt?«

»Ja, aber ich weiß nicht, wie lange noch. Xanetia ist bei ihr. Sie hält Sephrenias Atem mit einem delphaeischen Zauber in Gang, aber sie stirbt, meine Schwester stirbt!« Aphrael wimmerte und warf sich hilflos weinend in Sperbers Arme. »Hör auf, Aphrael. Das nutzt nichts! Wann ist es passiert?« »Vor knapp zwei Stunden. Nur Bhelliom kann sie retten!«

»Das geht nicht, Aphrael. Wenn wir Bhelliom aus der Schatulle nehmen, wird Cyrgon sofort erkennen, daß wir ihn zu überlisten versuchen, und dann tötet Scarpa deine Mutter!«

Die Kindgöttin klammerte sich an ihn und schluchzte heftig. »Ich weiß«, jammerte sie. »Was sollen wir tun, Vater? Wir dürfen sie doch nicht einfach sterben lassen!« »Kannst du denn nichts tun?«

»Der Dolch ist ihr ins Herz gedrungen, Sperber! Das kann ich nicht ungeschehen machen. Diese Macht hat nur Bhelliom!«

In Sperbers Innerem tobte ein Aufruhr, und er hämmerte die Faust an die Wand. »Was kann ich tun?« brüllte er zum Himmel. »Was, in Gottes Namen, kann ich tun?« Beherrsche dich, Anakha! Bhellioms Stimme erklang tadelnd in seinem Kopf. Mit diesem ungeziemenden Benehmen nützt du weder Sephrenia noch deiner Gefährtin! Wir müssen etwas tun, Blaurose!

In deiner gegenwärtigen Verfassung bist du nicht fähig, Entscheidungen zu treffen.
Deshalb mußt du meinen Anweisungen folgen. Mache dich sofort auf den Weg und tue, worum die Kindgöttin dich bittet!
Damit verurteilst du meine Gemahlin!

Das ist nicht gewiß, Anakha. Sephrenia aber steht bereits mit einem Fuß im Grab. Daran besteht kein Zweifel. Ihr Leben ist in unmittelbarer Gefahr! Nein! Das kann ich nicht tun!

Du hast mir zu gehorchen, Anakha! Du bist mein Geschöpf und unterstehst meinem Willen! Geh und tue, was ich dir befohlen habe!