21

Cordz von Nelan war vollkommen. Der fromme Edomer hatte es sich wahrhaftig nicht leicht gemacht, zu dieser Einsicht zu gelangen. Erst nach eingehender Gewissensprüfung und einem sorgfältigen neuerlichen Studium der heiligen Schriften seiner Religion war er bei dieser unausbleiblichen Schlußfolgerung angelangt. Er war vollkommen! Er befolgte alle Gebote Gottes, fügte niemandem ein Leid zu und tat nichts Verbotenes. Wenn das keine Vollkommenheit war, was dann?

Es war beruhigend zu wissen, so ohne Fehl und Tadel zu sein, doch Cordz beabsichtigte nicht, sich auf seinen Lorbeeren auszuruhen. Nun, da er in den Augen Gottes den höchsten Grad der Vollkommenheit erreicht hatte, war es an der Zeit, seine Aufmerksamkeit den Fehlern seiner Mitmenschen zuzuwenden. Sünder vergehen sich jedoch selten in aller Öffentlichkeit gegen die Gebote, deshalb sah Cordz sich gezwungen, zu allerlei Tricks Zuflucht zu nehmen. Er spähte des Nachts heimlich durch Fenster; er belauschte private Gespräche; und wenn seine sündigen Nachbarn ihre Untaten geschickt vor ihm verbargen, stellte er sich vor, welche Sünden sie wohl begehen mochten – und was er da in seiner Phantasie sah, erschreckte ihn über alle Maßen. Der Sabbat war ein ganz besonderer Tag für Cordz, aber nicht wegen der Predigten. Wozu brauchte ein vollkommener Mann Predigten? Nein, der Sabbat war deshalb ein ganz besonderer Tag für Cordz, weil er sich dann erheben und die Sünden seiner Nachbarn anprangern konnte – sowohl die Sünden, die sie wirklich begangen hatten als auch jene, die sie begehen könnten. Wahrscheinlich verärgerte er den Teufel. Weiß Gott, seine Nachbarn verärgerte er ganz sicher.

Doch dann war es zu einer Krise in Edom gekommen. Die zügellose und ketzerische Kirche von Chyrellos machte sich nun daran – nach zwei Äonen der Verschwörungen und Intrigen – über die Gerechten herzufallen. Die Ordensritter befanden sich auf dem Marsch, und unvorstellbares Grauen begleitete sie.

Cordz war unter den ersten gewesen, die sich Rebals Armee angeschlossen hatten; der vollkommene Mann überließ seine Nachbarn hilflos ihrem sündigen Leben, um sich einer heiligeren Sache zu widmen. Er wurde Rebals vertrauenswürdigster Kurier und ritt während er lebenswichtige Botschaften in den elenischen Königreichen von Westtamuli übermittelte – Pferde dutzendweise zuschanden.

An diesem einen Tag peitschte Cordz sein erschöpftes Tier voran, auf daß es sich beeilte, nach Süden zu gelangen, zu den korrupten Städten von Süddakonien, diesen Pfuhlen der Schande und der Ausschweifungen, wo die Bürger sich weder über ihre Sünden noch über die schrecklichen Folgen für ihr Seelenheil Gedanken machten. Schlimmer noch, eine obskure und wahrscheinlich ketzerische Tradition der dazitischen Kirche untersagte, daß Laien sich während der Sabbat-Gottesdienste zu Wort meldeten. So ward es Gottes persönlichem Sprecher, dem vollkommenen Mann, nicht gestattet, all die Sünden anzuprangern, deren er ringsum ansichtig wurde. Manchmal war er deshalb nahe daran, seinen Zorn darüber in die Welt hinauszuschreien.

Die ganze vergangene Woche war er dahingaloppiert und deshalb jetzt sehr müde. Mit Erleichterung sah er nun, daß die Hafenstadt Melek unter ihm lag.

Doch plötzlich verließen ihn alle Gedanken an die Sünden anderer. Cordz riß am Zügel seines taumelnden Pferdes und starrte entsetzt auf das Bild, das sich ihm bot. Auf dem in der Wintersonne glitzernden Meer breitete sich eine gewaltige Flotte aus. Unzählige Schiffe segelten unter dem rot-goldenen Banner der Kirche von Chyrellos majestätisch die Küste entlang.

Der vollkommene Mann war so fassungslos vor Schrecken, daß er nicht einmal die schwermütigen Töne einer einfachen Hirtenflöte vernahm, die links von ihm eine styrische Weise in Moll spielte. Offenen Mundes starrte er eine Weile auf seinen schlimmsten Alptraum; dann stieß er seinem Pferd verzweifelt die Sporen in die Flanken und beeilte sich, Alarm zu schlagen.


General Sirada war Herzog Milanis' jüngerer Bruder und Befehlshaber der Rebellenarmee in Panem-Dea. König Rakya hatte dafür gesorgt, daß Scarpas Generäle fast allesamt Arjuner waren. Sirada wußte von den Risiken, doch den jüngeren Söhnen hochgestellter Edelleute blieb gar nichts anderes übrig, als Wagnisse einzugehen, wenn sie es zu etwas bringen wollten. Sie mußten Rang und Stellung erst durch mutige Taten gewinnen. Jahrelang hatte Sirada, in der Hoffnung auf seine Chance, die Zusammenarbeit mit dem irrsinnigen Bastard einer Schenkendirne und die Strapazen eines Dschungellagers ertragen.

Jetzt war seine Stunde gekommen. Der Wahnsinnige in Natayos hatte endlich den Marschbefehl erteilt. Der Feldzug konnte beginnen. In dieser Nacht gab es keinen Schlaf in Panem-Dea. Die Vorbereitungen für den Marsch zogen sich während der dunklen Stunden dahin, und das disziplinlose Geschmeiß, dessen Befehlshaber Sirada war, grölte und schrie in Vorfreude auf die Schlacht. Der General verbrachte die Nacht mit dem Studium seiner Karten.

Es war eine vernünftige, durchdachte Strategie, das mußte er zugeben. Er sollte sich mit seinen Streitkräften Scarpa und den anderen Rebellen bei Derel anschließen. Dann würden sie gemeinsam nordwärts zu den Tamulischen Bergen ziehen, wo die Cynesganer sich zu ihnen gesellen würden. Von dort sollten sie, als Vorbereitung für den endgültigen Angriff auf Matherion, nach Tosa marschieren.

General Siradas eigene Strategie war viel simpler. Scarpa würde in Tosa jeglichen Widerstand brutal zerschlagen, aber danach nicht mehr lange genug leben, um die schimmernden Kuppeln der Hauptstadt des Reiches zu erblicken. Sirada lächelte dünn und tätschelte das Giftfläschchen in seiner Innentasche. Nach der Eroberung Matherions würde General Sirada, Feldherr der siegreichen Armee, Kaiser Sarabian das Schwert mit eigener Hand durchs Herz stoßen. Die Erhebung in den Grafenstand war das mindeste, was Herzog Milanis' jüngerer Bruder sich von diesem Feldzug erwartete.

Die Tür flog knallend auf. Siradas Adjutant stürmte mit hervorquellenden Augen und teigig weißem Gesicht herein. »O Gott, mein General!« schrillte er.

»Was erlaubt Ihr Euch!« brüllte Sirada. »Dafür werde ich Euch auspeitschen lassen!« »Wir stehen unter Angriff, mein General!«

Sirada konnte nun die Schreckensschreie von draußen hören. Er sprang auf und trat durch die Tür.

Der Tag war noch nicht ganz angebrochen, und aus dem Gewirr der Bäume breitete sich geisterhafter Nebel aus, der die zerfallenen Mauern und Häuserruinen von Panem-Dea verhüllte. Feuer und flackerndes Fackellicht verdrängten stellenweise die Dunkelheit mit ihrem rötlichen Schein. Doch in den unkrautüberwucherten Straßen schienen auch andere Lichter: blasse, kalte, die weder brannten, noch flackerten. Leuchtende Geschöpfe, bleich wie wandernde Monde, schlichen durch die Straßen von Panem-Dea. Grauen griff nach dem Herzen des Generals. Das war unmöglich! Die Leuchtenden waren eine Mär! Es gab sie gar nicht!

Sirada schüttelte seine Furcht ab und zückte das Schwert. »Stehenbleiben!« brüllte er seine verängstigten Männer an. »Aufstellen! Lanzen nach vorn!« Er bahnte sich einen Weg durch die kopflos umherlaufende Menge und schlug mit der flachen Klinge um sich. »Aufstellen! Reihe bilden!«

Doch über die von Panik erfüllten Männer hatte er keine Befehlsgewalt mehr. Sie machten ihm lediglich schreiend Platz und stürmten zu beiden Seiten in wilder Flucht an ihm vorbei. Da schwang Sirada sein Schwert und hieb auf die eigenen Leute ein. Er versuchte so verzweifelt, wieder Ordnung herzustellen, daß er das Messer nicht spürte, das ihm ins Herz drang. Er verstand nicht einmal, weshalb die Knie unter ihm nachgaben, und aus welchem Grund er unter die trampelnden Füße seiner Soldaten fiel, die schreiend in den weglosen Dschungel flüchteten.


»Seid Ihr sicher, daß diese Karte stimmt, Tynian?« fragte Patriarch Bergsten und starrte auf die Miniaturwelt unter seinen Füßen.

»Es ist die genaueste Karte, die Ihr je zu Gesicht bekommen werdet, Eminenz«, versicherte Tynian ihm. »Bhlokw sprach den Zauber, und die Trollgötter steckten die Hände in den Boden und fühlten die Form des Kontinents. Das ist er – bis zum letzten Baum und Strauch. Es ist alles hier!«

»Nur Cyrga nicht, Tynian-Ritter«, berichtigte Engessa. Der atanische General war völlig genesen und sah so gesund und kraftstrotzend aus wie eh und je. Doch er machte einen besorgten Eindruck. Seine Königin hatte ihn nach ihrer Ankunft nur kurz und knapp begrüßt und mied seither offensichtlich seine Gesellschaft. Sephrenia saß auf einer Bank in Aphraels Alabastertempel, und das Regenbogenlicht dieses jenseits allen Begriffsvermögens befindlichen Himmels spielte über ihre Züge. »Wir hatten gehofft, Schlee könnte Cyrga spüren, als er den Kontinent nachbildete, Eminenz. Doch Cyrgons Täuschung scheint vollkommen zu sein. Nicht einmal ein trollischer Zauber vermag sie zu durchschauen.«

»Was ist die wahrscheinlichste Vermutung?« fragte Bergsten.

Aphrael schritt leichtfüßig über die Miniaturwelt, die Bhlokw für sie herbeibeschworen hatte. Sie trat über die winzige Stadt Cynestra hinweg, ging nach Süden zu einem gebirgigen Gebiet in der Mitte der Wüste und deutete mit einer unbestimmten Handbewegung über die Berge. »Sie war früher irgendwo hier in dieser Gegend.« »Früher?« fragte Bergsten scharf.

Die Kindgöttin zuckte die Schultern. »Manchmal versetzen wir bestimmte Dinge.« »Ganze Städte?« »Durchaus. Aber damit gesteht man schlechte Planung ein.«

Bergsten schauderte und machte sich daran, mit einem langen Stück Schnur Entfernungen auf dem Miniaturkontinent abzumessen. »Ich bin hier oben in Pela.« Er deutete auf einen Punkt in Mittelastel. »Von dort sind es fast hundertfünfzig Meilen bis in die Gegend, in der Cyrga liegen könnte, und ich muß unterwegs erst noch Cynestra einnehmen. Ihr anderen befindet euch viel näher – und das bedeutet, ihr müßt euch ein wenig zurückhalten, wenn wir in etwa alle gleichzeitig dort eintreffen wollen.«

Aphrael zuckte die Schultern. »Ich werde mich darum kümmern.« Bergsten blickte sie verwirrt an.

»Die Göttin Aphrael hat die Möglichkeit, Zeit und Entfernung zu beeinflussen, Eminenz«, erklärte Sperber. »Sie kann …«

»Ich will nichts davon hören, Sperber!« sagte Bergsten scharf und preßte die Hände auf die Ohren. »Ihr habt bereits meine Seele gefährdet, indem Ihr mich hierher brachtet. Bitte, macht es nicht noch schlimmer, indem ihr mir Dinge erzählt, die ich nicht zu wissen brauche.« »Wie Ihr meint, Eminenz«, entgegnete Sperber.

Emban schritt um die Berge herum, die sich in der Mitte der cynesganischen Wüste erhoben. »Wir kommen allesamt bei diesen Bergen zusammen«, sagte er. »Ich bin kein Fachmann, aber wäre es nicht das beste, an ihrem Fuß anzuhalten und zu warten, bis alle in Stellung sind, ehe wir zum Angriff übergehen?«

»Nein, Eminenz«, widersprach Vanion entschieden. »Wir halten uns mindestens einen Tagesritt von den Ausläufern der Berge fern. Falls wir auf Klæls Kreaturen stoßen, brauchen wir Platz zum Manövrieren. Ich möchte möglichst viel ebenes Gelände um mich, sollte es dazu kommen.«

Der wohlbeleibte Kirchenmann zuckte die Schultern. »Ihr seid der Soldat, Vanion.« Er deutete nach Süden. »Dort ist unser Schwachpunkt. Unsere Streitkräfte stoßen aus dem Osten, dem Nordosten und dem Norden vor, nicht jedoch aus dem Süden.« »Und dem Westen«, fügte Sarabian hinzu.

»Ich werde den Westen sichern, Majestät«, warf Bergsten ein. »Ich kann meine Ritter und die Peloi so einsetzen, daß sie den gesamten Quadranten absperren.« »Bleibt immer noch der Süden«, murmelte Emban.

»Dafür ist bereits gesorgt, Emban«, versicherte Aphrael ihm. »Stragen hat das Gerücht von einer ungeheuren Flotte der Kirchenritter vor der Südküste in die Welt gesetzt, und ich unterstütze ihn mit Trugbildern. Wie lange wird es dauern, die Trolle nördlich von Zhubay in Stellung zu bringen, Ulath?«

»Gerade so lange wir brauchen, die Trollgötter zu überzeugen, daß wir ihre Kinder dort benötigen, statt in den Tamulischen Bergen«, antwortete der hünenhafte Thalesier. »Etwa einen Tag, würde ich sagen. Sobald sie es einsehen, holen sie ihre Kinder in die Nichtzeit. Müßten wir nicht hin und wieder anhalten, um die Trolle mit Nahrung zu versorgen, könnten wir in Zhubay sein, noch ehe ihr zu zwinkern vermögt. Wüßte ich, wo Cyrga liegt, dann könnte ich bereits am nächsten Morgen fünfzehnhundert Trolle an der Schwelle absetzen.«

»Eile mit Weile!« mahnte die Kindgöttin und schaute sich um. »Niemand – und damit meine ich auch niemand – wird gegen Cyrga vorgehen, ehe ich nicht weiß, daß Ehlana und Alean in Sicherheit sind. Wenn es sein muß, kann ich euch da draußen in der Wüste für Generationen im Kreis herumlaufen lassen, also versucht nicht, mich hereinzulegen.«

»Ist Euch diese Königin von Elenien denn so wichtig, Göttin?« fragte Betuana sanft. »Ein Krieg ist bitter, und wir müssen mit Verlusten rechnen.«

»Das ist eine persönliche Sache, Betuana«, erwiderte Aphrael knapp. »Hier sind unsere Stellungen.« Sie deutete über den Miniaturkontinent. »Bergsten wird die Stadt vom Nordwesten her einnehmen. Ulath, Tynian und Bhlokw werden die Trolle von Zhubay herunterbringen und sich Betuanas Atanern an ihrer linken Flanke zugesellen. Vanion wird aus dem Osten kommen, und Kring und die Peloi schließen sich ihm an seiner Linken an. Stragen machte diesem widerlichen Daziter in Beresa weiß, daß eine Million Ordensritter oder mehr an der Küste um Verel und Kaftal landen werden; das dürfte den Großteil der cynesganischen Armeen ablenken. Unser gemeinsames Ziel ist Cyrga. Es gibt einige Abweichungen in der Entfernung; aber darum werde ich mich kümmern. Wenn es soweit ist, werdet ihr alle an Ort und Stelle sein – und wenn ich euch dorthin tragen muß, einen nach dem anderen.« Sie hielt abrupt inne. »Was ist mit dir, Bergsten? Lach mich nicht aus, oder ich pack' dich an der Nase und schüttle dich!«

»Ich habe nicht gelacht, Göttin«, erwiderte er. »Ich habe anerkennend gelächelt. Wo hast du so viel über Strategie und Taktik gelernt?«

»Seit eure Vorfahren das Feuer entdeckt haben, beobachtete ich euch Elenier beim Kriegführen. Da mußte ich ja den einen oder anderen taktischen Kniff aufschnappen.« Plötzlich wandte sie sich an Bhlokw. »Was?« fragte sie ein wenig gereizt auf Trollisch.

»U-lat hat mir erklärt, was du gesagt hast, Kindgöttin. Warum tun wir das?« »Um die Verruchten zu bestrafen, Priester der Trollgötter.«

»Wa-as?« wandte sich Sperber verblüfft an Ulath. »Wie hat sie ihn genannt?«
»Was denn?« entgegnete Ulath mild. »Hast du das denn nicht gewußt? Unser zottiger Freund ist gewissermaßen von hohem Rang.«
»Die Trolle haben tatsächlich Priester?«
»Natürlich. Haben das nicht alle?«

»Es ist gut, die Verruchten zu bestrafen, die Anakhas Gefährtin verschleppt haben!« sagte Bhlokw. »Aber brauchen wir dazu so viele? Khwaj wird die Verruchten bestrafen. Jetzt ist Schlees Jahreszeit, und wir sollten auf Jagd gehen. Die Jungen müssen gefüttert werden, sonst sterben sie, und das wäre nicht gut.« »O je«, murmelte Aphrael. »Worum geht es, Ritter Ulath?« fragte Sarabian.

»Die Trolle sind Jäger, Majestät«, erklärte Ulath, »keine Soldaten. Sie verstehen nichts vom Kriegführen. Sie essen, was sie töten.«
Sarabian schüttelte sich.

»Das widerspricht keineswegs dem sittlichen Empfinden, Majestät«, meldete Ulath sich zu Wort. »Vom Standpunkt eines Trolls ist es eine Sünde, Fleisch verkommen zu lassen.«

Aphrael blickte den Priester der Trollgötter nachdenklich an. »Es ist gut, zu jagen und zugleich die Verruchten zu bestrafen. Wenn wir auf diese Weise jagen, werden wir den Verruchten Schmerz zufügen und den Jungen während Schlees Jahreszeit viel Fleisch bringen.«

Bhlokw dachte darüber nach. »Die Jagden der Menschendinge sind nicht-einfach«, murmelte er zweifelnd. »Aber es ist mein Gedanke, daß die Jagden der Gottdinge sogar noch mehr nicht-einfach sind.« Er dachte auch darüber nach. »Aber es ist gut. Eine Jagd, die mehr als Fleisch bringt, ist eine gute Jagd. Du jagst sehr gut, Kindgöttin. Vielleicht essen wir einmal zusammen und unterhalten uns über frühere Jagden. Es ist gut, das zu tun. Es bringt Rudelgefährten enger zusammen, und sie jagen besser miteinander.« »Es würde mich freuen, Bhlokw.«

»Dann werden wir es tun. Ich werde einen Hund für uns töten. Hund ist sogar noch mehr gut-zu-essen als Schwein.«
Aphrael stieß einen leicht würgenden Laut aus.

Sperber eilte ihr zu Hilfe. »Würde es dich verärgern, wenn ich in Vogeltönen zu unseren Rudelgefährten spreche, Bhlokw? Es wird bald Zeit, die Jagd zu beginnen, und alles muß vorbereitet werden.«

»Es wird mich nicht verärgern, Anakha. U-lat kann mir sagen, was ihr sagt.« »Also gut«, wandte Sperber sich an die Gefährten. »Wir alle wissen, auf welche Weise wir nach Cyrga kommen, aber einige von uns müssen die Stadt als erste betreten. Bitte wartet mit dem Angriff, bis wir in Stellung sind. Haltet uns den Rücken frei, und klebt uns nicht auf den Fersen.«

»Wen nehmt Ihr mit hinein, Sperber?« erkundigte sich Vanion.
»Kalten, Bevier, Talen, Xanetia und Mirtai.«
»Ich verstehe nicht recht …«

Sperber hob eine Hand. »Aphrael hat die Auswahl getroffen, Eminenz. Falls Ihr irgendwelche Bedenken habt, tragt sie ihr vor.«

»Du mußt diese Personen unbedingt mitnehmen, Sperber!« erklärte Aphrael geduldig. »Nur mit ihnen kannst du in diesem Kampf siegen.« »Wie du meinst, Göttin«, sagte er ergeben. »Dann werdet Ihr also vor Berit und mir sein?« fragte Khalad.

Sperber nickte. »Die andere Seite wird damit rechnen, daß wir euch folgen. Uns vor euch zu sehen, wird sie möglicherweise verwirren – das hoffen wir zumindest. Aphrael wird uns direkt nach Vigayo bringen; dort werden wir uns ein wenig umsehen. Falls der Bursche mit der nächsten Botschaft bereits dort ist, wird Xanetia in Erfahrung bringen, wo ihr als nächstes hingeschickt werden sollt. Früher oder später muß jemand euch Bescheid geben, wie ihr das Trugbild durchschauen könnt, das Cyrga verbirgt – und genau das ist die Information, die wir brauchen. Sobald wir sie haben, ist alles andere einfach.«

»Es gefällt mir, was er unter einfach versteht«, murmelte Caalador Stragen zu.
Emban kritzelte eine weitere Bemerkung auf seine unvermeidliche Liste. Dann räusperte er sich.
»Muß das sein, Emban?« Bergsten seufzte.

»Es erleichtert mir das Denken, Bergsten, und hilft, uns zu vergewissern, daß wir nichts übersehen haben. Wenn es Euch so langweilt, braucht Ihr ja nicht zuzuhören.«

»Die Menschendinge reden viel, wenn sie beschließen, wie sie jagen werden, U-lat«, beklagte sich Bhlokw. »Das liegt im Wesen der Menschendinge.«

»Es liegt daran, daß ihre Jagden zu sehr nicht-einfach sind. Es ist mein Gedanke, daß ihre Jagden nicht-einfach sind, weil sie nicht essen, was sie töten. Sie jagen und töten aus Gründen, die ich nicht verstehe. Es ist mein Gedanke, daß dieses Ding, das die Menschendinge ›Krieg‹ nennen, ein sehr großes Ärgernis ist.«

»Es ist nicht in unseren Gedanken, den Priester der Trollgötter zu verärgern«, versicherte Patriarch Bergsten ihm in einwandfreiem Trollisch. »Das Ding, welches die Menschendinge ›Krieg‹ nennen, ist wie das Ding, das passiert, wenn zwei Trollrudel im gleichen Revier jagen.«

Bhlokw dachte darüber nach. Als seine Miene verriet, daß er es schließlich verstanden hatte, brummte er: »Jetzt ist es mir klar. Dieses Ding, das die Menschendinge ›Krieg‹ nennen, ist wie das Jagen von Gedanken. Deshalb ist es nicht-einfach. Aber trotzdem redet ihr zuviel.« Der Troll blickte Emban scheel an. »Das da ist am schlimmsten. Sein Gedanken-Bauch ist so groß wie sein BauchBauch.« »Was hat er gesagt?« erkundigte Emban sich neugierig.

»Das läßt sich nicht verständlich übersetzen, Eminenz«, antwortete Ulath scheinheilig.

Patriarch Emban bedachte ihn mit einem leicht mißtrauischen Blick; dann ging er noch einmal peinlich genau ihre Aufstellung durch und hakte jeden Punkt sorgfältig ab. Als er damit fertig war, schaute er in die Runde. »Fällt jemandem noch etwas ein, das wir übersehen haben?«

»Vielleicht.« Sephrenia zog die Stirn kraus. »Unsere Feinde wissen, daß Berit nicht wirklich Sperber ist, aber sie glauben offenbar, daß Sperber keine Wahl hat, als ihm zu folgen. Meines Erachtens wäre es nicht schlecht, sie in diesem Glauben zu bestärken. Ich denke, ich kann die Geräusche und Gefühle nachahmen, die von Bhelliom ausgehen. Wenn es klappt, werden unsere Feinde annehmen, daß Sperber sich in jener Kolonne von Rittern aufhält, die Vanion in die Wüste hinausführen wird. Sie werden sich auf uns konzentrieren, statt Sperber zu suchen.«

»Du würdest dich in Gefahr bringen, Sephrenia!« wandte Aphrael ein.

»Das wäre nichts Neues für mich.« Sephrenia lächelte. »Und wenn du bedenkst, was wir versuchen werden, ist es nirgendwo wirklich sicher.« »Das wär's dann?« Engessa erhob sich.

»Wahrscheinlich, Freund Engessa«, erwiderte Kring. »Nur dürfen wir bei der Zeitplanung natürlich die Stunde nicht vergessen, die wir brauchen werden, einander zu ermahnen, ja vorsichtig zu sein.«

Engessa straffte die Schultern, drehte sich um und blickte seine Königin fest an. »Wie lauten Eure Befehle, Betuana-Königin?« fragte er mit militärischer Förmlichkeit. Sie richtete sich majestätisch auf und antwortete ebenso förmlich: »Ihr werdet mit uns nach Sarna zurückkehren, Engessa-Atan. Dort werdet Ihr wieder den Befehl über unsere Armeen übernehmen.« »Wie Ihr befehlt, Betuana-Königin.«

»Sofort nach unserer Rückkehr werdet Ihr Kuriere zu meinem Gemahl, dem König, senden. Teilt ihm mit, daß die Gefahr für Tosa gebannt ist. Die Leuchtenden werden sich Scarpas annehmen.«
Engessa nickte steif.

»Teilt ihm außerdem mit, daß ich seine Truppen in Sarna benötige. Dort werden wir uns auf die Schlacht vorbereiten, und er sollte dort den Oberbefehl übernehmen.« Sie machte eine Pause. »Nicht, daß wir mit Eurer Führung unzufrieden sind, Engessa-Atan, doch Androl ist schließlich der König. Ihr habt ausgezeichnete Dienst geleistet. Das Königshaus von Atan ist Euch dankbar.«

»Ich tue nur meine Pflicht, Betuana-Königin«, erwiderte er und schlug salutierend die Faust auf den Brustpanzer, daß es krachte. »Dankbarkeit ist unnötig.«
»O je«, seufzte Aphrael. »O je, o je.«
»Was ist los?« erkundigte sich Sephrenia.
»Ach nichts.«