Anmerkung der Autorin
Die historische Quellenlage für
Eigons Existenz ist alles andere als eindeutig. Wir wissen nicht,
wer sie war, ja nicht einmal, ob sie überhaupt existiert hat
…
Aufmerksam wurde ich auf sie, als mein Vater vor
gut vierzig Jahren ein Cottage in der Gemeinde Llanigon im Südosten
von Wales kaufte. Sehr bald fragten wir uns, wer - oder was - Eigon
war. Darauf wusste der Kirchenführer Antwort, oder vielmehr: zwei
Antworten. Es gibt nämlich zwei Theorien. Entweder war er
ein Bischof, oder sie war die Tochter des großen Waliser
Helden Caratacus. Wie Sie sich denken können, sprach mich die
zweite Variante weit mehr an.
Aber sofort tauchte die nächste Frage auf: Wenn
Caratacus eine Tochter namens Eigon hatte und wenn sie, wie wir aus
der Geschichtsschreibung wissen, als Gefangene nach Rom gebracht
wurde, wie kam sie dann dazu, Schutzpatronin einer uralten Kirche
an der Waliser Grenze zu sein, dreihundert Jahre, bevor die
Christianisierung der britischen Inseln offiziell begann? Das war
die Frage, die den Anstoß zu diesem Buch gab. Meine Neugier wurde
noch weiter geweckt durch eine großartig gerahmte Radierung von
Füsslis Gemälde Caractacus beim Tribunal des Claudius in
Rom, die seit Jahren vor meinem Arbeitszimmer im Flur hängt.
Auf dem Bild wird Caratacus als edler Krieger
dargestellt, eine Hand ist in Ketten gefesselt, mit wildem
Schnurrbart und eherner Stirn steht er vor dem Kaiser. Seine
Tochter und seine Frau und selbst Kaiserin Agrippina scheinen
allesamt einer Ohnmacht oder zumindest einem Schwächeanfall nahe.
Ich muss zugeben, das Bild ist nicht ganz nach meinem Geschmack,
aber für mich ist es von zweifachem Interesse: zum einen, weil es
ein Abbild Eigons zeigt und eine dramatische Geschichte schildert,
zum anderen aber auch, weil der Radierer mein Urururgroßvater war:
Andrew Birrell. Ich musste unbedingt mehr in Erfahrung
bringen.
Caratacus der Kriegerkönig, der sich gegen die
vordringenden Römer zur Wehr setzte, war der Sohn Cunobelinus’, des
Königs der Catuvellaunen. Sein Widerstand gegen Rom, seine
Schlachten und seine Niederlage wurden ausführlich dokumentiert.
Seine Gefangennahme durch Cartimandua beschrieb ich in Die
Königin des Feuers, danach allerdings verschwand er aus ihrer
Geschichte genau in dem Moment, in dem sein Leben außerordentlich
spannend wurde. Wir wissen, dass er mit seiner Familie nach Rom
gebracht wurde und - einen zweifellos grauenvollen Tod vor Augen -
seine berühmte Rede vor dem Kaiser hielt, durch deren Brillanz er
Claudius’ Gunst errang. Er wurde begnadigt und bekam ein Haus zur
Verfügung gestellt. (Tacitus zitiert seine Rede ausführlich in den
Annalen, die rund fünfzig Jahre später entstanden.
Möglicherweise kannte der Geschichtsschreiber in etwa den Inhalt
von Caratacus’ Rede, doch wir sollten uns vor Augen halten, dass
der überlieferte Wortlaut möglicherweise mehr Tacitus’ eigenen
politischen Ansichten geschuldet ist als Caratacus’ tatsächlicher
Rede.)
So viel also hielten die römischen
Geschichtsschreiber fest. Doch es gibt auch einen anderen
Caratacus, wahlweise
auch Caractacus oder Caradoc genannt. Dies ist der legendäre,
mythische Held, der Vater vieler Kinder, ein Spross der Götter. Für
eine Romanautorin sind natürlich die Fragen interessant, die die
vielen Lücken und Widersprüche in der Flut von Informationen und
Fehlinformationen, die uns aus dieser Zeit überliefert wurde,
aufwerfen, und mit ihnen habe ich mich in diesem Roman beschäftigt.
Hier stehen wir am Scheideweg von Geschichte und Legende, und aus
ebendieser Mischung habe ich den roten Faden meiner Geschichte
gewoben.
(Auf meiner Website gehe ich ausführlicher auf
die Legenden ein, die sich um Caratacus und seine möglichen
Verwandtschaften und Nachkommen ranken. So faszinierend das Thema
ist, sprengt es doch den Rahmen dieses Romans.)
Es waren ganz spezifische Fragen, die ich mir
stellte: Wie und warum konnte Caratacus einfach aus der Geschichte
verschwinden? Wo lebte er in Rom? Warum schmiedete er nicht sofort
Pläne, nach Britannien zurückzukehren und den Kampf in den Bergen,
die wir heute als Wales kennen, wieder aufzunehmen? Ein derart
großer Held ließ sich doch bestimmt nicht durch einen behaglichen
Altersruhesitz in Rom von seinen hehren Idealen abbringen! Als
einzig plausible Erklärung wollte mir einfallen, dass er starb.
Aber wenn das der Fall war - was passierte dann mit seiner Tochter,
die mit ihm nach Rom gebracht worden war?
Die Gestalt Eigons ist, gelinde gesagt,
schemenhaft, und das wenige, das wir über sie wissen, ist
ausgesprochen rätselhaft und widersprüchlich. »Caratacus’ Tochter«
(Tacitus erwähnt ihren Namen nicht, und auch auf der bisweilen sehr
fantasievollen Liste von Caratacus’ Kindern taucht sie nicht auf)
verschwindet nach der großen Ansprache in Rom aus dem Blickfeld der
Geschichte, um dann plötzlich in den
Vorbergen der Black Mountains als Heilige wieder
aufzutauchen.
Fragen über Fragen also. Wenn Eigon tatsächlich
existierte, war sie dann eher wie Elgars Eigon, die in seiner
Kantate Caractacus alt genug ist, um einen Geliebten zu
haben, und wie Füsslis Eigon, der sie zum Zeitpunkt der
Gefangennahme als erwachsene Frau zeigt? Oder war sie doch eher ein
Kind? Das erscheint mir logischer, immerhin war sie während des
Feldzugs noch bei ihrer Mutter. Ich beschloss, Eigons Mutter zu
einer »Waliserin« zu machen. Caratacus wurde vermutlich als junger
Mann mit einer Frau aus seinem eigenen oder einem benachbarten
Stamm verheiratet, um ein Stammesbündnis zu festigen, und wenn er
tatsächlich andere Kinder hatte, müsste diese Frau ihre Mutter
gewesen sein. Caratacus ging erst später ein Bündnis mit den
Silurern ein, als er wegen seines Widerstands gegen Rom immer
weiter nach Westen gedrängt wurde. Also schien die Vermutung
naheliegend, dass er zum Anführer der Silurer und zur Legende der
Waliser Geschichte aufstieg, weil er eine Ehe mit der Tochter des
dortigen Königs einging, dem er aufgrund seiner Leistungen als
militärischer Führer später auch nachfolgte. Wenn diese Vermutungen
zutreffen, dann wären seine Kinder mit der Frau, die ich Cerys
nenne, zur Zeit der Schlacht noch recht klein gewesen, und sie
hätten Südwales als Zuhause gekannt.
Dann fragte ich mich, wie das Christentum ins
Spiel kam. Hier lag die Antwort allerdings auf der Hand. Das Rom,
in das Caratacus und seine Familie verschleppt wurden, war das Rom
von Petrus und Paulus. Wenn die beiden späteren Heiligen
tatsächlich so lange lebten - ihr genaues Todesjahr ist ja nicht
überliefert -, wären sie zur Zeit des Großen Brands und der
Christenverfolgungen unter Nero in Rom gewesen, und dort wären sie
fast zwangsläufig Pomponia
Graecina begegnet. Deren Festnahme im Zuge der Anklage, sie hänge
einer fremden Religion an, ist geschichtlich überliefert, wiederum
von Tacitus. Einige sagen, sie sei während ihres Aufenthalts in
Britannien unter den Einfluss von Druiden geraten, einige deuteten
die »fremde Religion« als das Christentum. Ich habe alle
Eventualitäten abgedeckt und unterstelle ihr Interesse an
beidem.
Es erschien mir plausibel, dass Eigon schließlich
in ihre Heimat zurückkehrte, und wenn sie hier als Heilige bekannt
wurde, dann muss sie als Christin zurückgekommen sein. In der
frühen keltischen Kirche verstand man unter einem oder einer
Heiligen eine Person, die Gott diente und ein frommes Leben führte.
Das »Llan« in Llanigon (das noch zu viktorianischer Zeit
»Llaneigon« geschrieben wurde) bedeutete nicht, dass der alte Ort
ursprünglich eine Gemeinde oder auch nur eine Kirche war; diesen
Sinn nahm das Wort »Llan« im Walisischen erst später an.
Ursprünglich bedeutete »Llan« so viel wie eine kleine religiöse
Gemeinschaft, die um eine besonders spirituelle Person herum
entstand.
So habe ich aus all diesen Hinweisen Eigons
Geschichte konstruiert. Ich kann nicht behaupten, die historische
Wahrheit geschildert zu haben, aber meines Erachtens könnte ich der
Wahrheit durchaus nahekommen.
Ein großes Rätsel hinterließ Caratacus trotzdem
noch: Wo fand diese letzte, entscheidende Schlacht statt? So
merkwürdig es klingen mag, man weiß es nicht, auch wenn es viele
Orte gibt, die den Ruf für sich in Anspruch nehmen. In diesem
Streit der Meinungen fühlte ich mich nicht berufen, eine
Entscheidung zu treffen, und so habe ich mein eigenes Schlachtfeld
erfunden - mein Tal der Raben existiert gar nicht! Mehr Information
über die möglichen Schauplätze der Schlacht finden Sie auf meiner
Website (barbaraerskine.com),
wo ich einige nenne und auch mit eigenen Aufnahmen
bebildere.
Die Recherchen zu diesem Roman haben mir - wie zu
all meinen vorherigen Büchern - großes Vergnügen bereitet. Mein
Dank geht an Pat Taylor, die mich während der Arbeit an Die
Königin des Feuers mit ihrem geliebten Yorkshire bekannt machte
und sich heldenhaft anerbot, mich nach Rom zu begleiten und dafür
zu sorgen, dass ich mich auf die Orte konzentrierte, die ich
während dieses Aufenthalts wirklich besichtigen musste. Bei diesem
Besuch stellte sie mich ihrer Freundin Anne Marie Doran Marchetti
vor, die mich mit Speis und Trank, der Lebensweise und vielen
anderen Alltäglichkeiten dieser Stadt, der großartigsten Stadt auf
der ganzen Welt, vertraut machte.
Zu Hause gilt mein herzlicher Dank Christian
Chilton, der mich über die Arbeitsweise der Polizei aufklärte.
Letzten Endes beschränken sich die Auftritte der Polizei in diesem
Roman auf Statistenrollen; doch nur, wenn man weiß, was die
Polizisten in welchem Stadium genau tun, kann man sie realistisch
in die Handlung einbauen. Danke auch an Raymond und Christine
Nickford, die mich vor einem groben Fauxpas bewahrten und mir CDs
von Elgars Kantate Caractacus schickten, von der ich nie
gehört hatte. Ich muss gestehen, ich empfinde ähnlich wie Jess: Es
ist nicht unbedingt meine Art Musik, aber allmählich könnte ich
Gefallen daran finden!
Nachdem Rachel Hore jahrelang meine Bücher als
Lektorin begleitete, hat sie ihren blauen Stift zumindest
zwischenzeitlich beiseitegelegt, um selbst großartige Romane zu
schreiben. Ihre Nachfolgerin ist Susan Opie, die als meine neue
Lektorin gemeinsam mit Lucy Ferguson und natürlich meiner
brillanten Agentin Carole Blake Wunder gewirkt hat; sie alle haben
sich mit großem Einsatz um dieses Buch
verdient gemacht. Danke euch allen. Und natürlich darf ich Fiona
McIntosh nicht vergessen, die mir seit Jahren als Werbeagentin zur
Seite steht und den Startschuss zur Veröffentlichung jedes meiner
Bücher zu einem wunderbaren Erfolg gemacht hat - und vor allem zu
einem ungemein großen Spaß!