Kapitel 7

Magdeburg, Deutsches Reich,
März 1908

Ein paar vorwitzige Sonnenstrahlen stahlen sich durch eine Lücke in der grauweißen Wolkendecke, doch dank der fast völligen Windstille war die Temperatur für einen Märztag dennoch angenehm.

Hannes stand an seinen Daimler gelehnt am Rand des Truppenübungsplatzes und unterhielt sich mit drei jungen Damen, die sich wie Philippe und er und viele andere Zuschauer bei Hans Grade eingefunden hatten, um dessen neuerlichen Flugversuch mit seinem Dreidecker-Flugzeug zu beobachten7. Der Kadett blinzelte gegen die tief stehende Sonne an und grinste, als er beobachtete, wie Philippe in das Fluggerät kletterte. Wie er erwartet hatte, war sein Freund begeistert von der auf dem Cracauer Anger stehenden Flugmaschine. Seit Stunden diskutierten die beiden Männer über Motoren, Holzräder, Propeller und die mit Leinwand bespannten Sperrholzflügel und hatten darüber alles andere vollständig vergessen. Dank der drei hübschen Damen aus Magdeburg war auch Hannes beschäftigt. So ließ er Philippe gerne die Zeit für seine Gespräche mit dem Maschinenbauer und Flugpionier.

»Sehen Sie nur, Ihr Freund möchte fliegen.« Edith Müller, eine der Frauen, wohl drei, vier Jahre älter als er selbst, legte für einen kurzen Moment ihre Hand auf seinen Arm.

Hannes beschattete mit seiner Rechten die Augen und trat besorgt einen Schritt nach vorn. Der Motor des Dreideckers knatterte bereits munter, während der Propeller an der Spitze des Gefährts sich zusehends schneller drehte.

Mit einer Ledermütze, Lederhandschuhen und einer Schutzbrille ausgestattet, ähnlich der, die er beim Autofahren trug, saß Philippe auf einem eigentümlichen Gestell zwischen dem mittleren und unterhalb der obersten Flügel, die eine Spannweite von acht Metern aufwiesen. Er konzentrierte sich auf die letzten Anweisungen von Grade und ignorierte die Zurufe der aufgeregten Zuschauer. Schließlich trat der Flugzeugbauer zurück.

Die instabil aussehende Konstruktion bewegte sich über die niedergetretene Wiese vorwärts, wurde zusehends schneller und hob schließlich sanft vom Boden ab.

Edith und ihre Freundinnen jubelten und klatschten begeistert Beifall, sobald die Maschine in einigen Metern Höhe dahinglitt. Als sich die linke Flügelspitze bedenklich dem Boden entgegensenkte, spurtete Grade gestikulierend los, doch Philippe manövrierte das Fluggerät geschickt zurück in die Waagrechte und landete, wenn auch verbunden mit ein paar größeren Hüpfern, am Ende des Truppenexerzierplatzes.

»Punktlandung«, sagte Hannes laut und freute sich über Ediths Lächeln.

Wie ein Großteil der deutschen Bevölkerung zeigte auch sie sich begeistert von diesen Flugzeugen. Die Zuschauergruppe beobachtete, wie Philippe sich zwischen den Befestigungsgestängen aus dem Sitz schälte. Inzwischen hatte Grade Philippe erreicht und schüttelte ihm kräftig die Hand.

»Kommt, lasst uns zu ihnen gehen«, schlug Sigrid vor, hängte sich bei Edith und Frida ein und marschierte mit ihnen davon.

Hannes zog eine Grimasse, ehe er den drei Damen folgte, deren Röcke über das noch feuchte Gras strichen. Beim Anblick dieses faszinierenden Flugzeuges und zweier tollkühner Männer, die sich todesmutig damit in die Lüfte zu erheben und frei wie die Vögel dahinzugleiten wagten, störten die Damen sich weder an verschmutzten Schuhen noch an durchnässten Rocksäumen.

Als Hannes am Flugzeug eintraf, hörte er, wie Sigrid flüsterte: »Ist er nicht einfach fabelhaft? Und diese schmucke Uniform aus diesem exotischen afrikanischen Land!«

Diesmal verdrehte Hannes die Augen und blickte an seiner blauen Uniform hinab. Von seinem Vater war ihm schon früh beigebracht worden, dass die gehobene Gesellschaft großen Wert auf eine militärische Laufbahn legte und ein angesehener Mann nur der war, der zumindest den Rang eines Leutnants vorweisen konnte. Philippe hatte ihm außerdem verraten, mit welcher Bewunderung Damen jeglichen Alters Männern in Uniform begegneten. Nun musste er feststellen, dass ein fliegender Uniformierter für das weibliche Geschlecht noch weitaus begehrenswerter war als ein bodenständiger, selbst wenn dieser einen hochmodernen Daimler fuhr.

Philippe blieb bei dem Dreidecker, während Grade sich den Zuschauern zuwandte. Er begrüßte die Damen, indem er seine Schirmmütze zog und dabei einen trotz seiner erst 30 Jahre bereits stark zurückweichenden Haaransatz offenbarte.

Gleich drauf schenkte er Hannes seine Aufmerksamkeit und strich mit einer Hand über seinen buschigen Schnurrbart. »Jetzt habe ich mit dem Bengel da drüben mehr Zeit zugebracht als mit Ihnen. Entschuldigen Sie bitte.«

»Ich wusste, Ihre Flugzeuge würden Philippe faszinieren; deshalb habe ich ihn ja mitgebracht. In dieser Zeit durfte ich mich mit diesen reizenden Damen unterhalten.«

»Ihr Freund ist ein Naturtalent, was das Fliegen anbelangt, zudem verfügt er über ein weitreichendes Wissen über Motoren. Ich habe ihm vorgeschlagen, Ingenieurswesen mit dem Schwerpunkt Maschinenbau zu studieren.« Grade gab ihm Grüße an Joseph mit und ließ sich dann von anderen Interessierten in ein Gespräch verwickeln.

Sigrid und Frida kamen näher und lauschten aufmerksam Philippes Erläuterungen zu dem Flugzeug.

In einigem Abstand hatte Edith geduldig auf das Ende von Hannes’ und Grades Unterhaltung gewartet, trat nun zu ihm und deutete lachend auf die Dreiergruppe bei dem Flugzeug. »Ich fürchte, Ihr Freund vergeudet seine Zeit. Weder Sigrid noch Frida oder ich wissen genug von Motoren und Flugmaschinen, um einen Bruchteil von dem zu verstehen, was er zu erklären versucht.«

»Ich denke fast, das stört ihn nicht.«

»Ja, den Eindruck gewann ich ebenfalls.« Edith musterte Philippe aus der Entfernung, wandte sich dann aber wieder Hannes zu. Dieser lächelte die ungewohnt ehrliche und deshalb bezaubernde Dame an.

Philippe gewann für gewöhnlich rasant die Zuneigung seiner Zeitgenossen und die Herzen der Damen noch viel schneller. Diese Tatsache hatte Hannes sich des Öfteren zunutze gemacht, sobald bei ihm das Interesse am weiblichen Geschlecht erwacht war.

Nur Demy, die er in ihrer fröhlichen Unkompliziertheit hinreißend fand, bildete eine Ausnahme. Um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, hatte er die Hilfe Philippes nicht benötigt, vielmehr sah es so aus, als hätten die beiden einen Kriegsschauplatz eröffnet. Ganz unzweifelhaft mochte Demy Philippe nicht, und auch die reizende Edith stand ihm anscheinend kritisch gegenüber, obwohl sie ihn nicht länger als ein paar Augenblicke kannte.

»Jetzt habe ich Sie verprellt«, sagte Edith und riss ihn dadurch aus seinen Überlegungen. »Es tut mir sehr leid. Manchmal bin ich einfach unmöglich direkt.«

Hannes musterte das rundliche, hübsche Gesicht der Frau, die trotz ihres guten Kleides ihre Zugehörigkeit zur Arbeiterschicht nicht verhehlen konnte, ebensowenig wie ihre für den derzeitigen Modegeschmack zu mollige Figur.

»Ehrlichkeit ist doch nichts Unehrenhaftes. Vielleicht wäre diese Welt noch ein klein wenig schöner, würden wir alle offener und ehrlicher miteinander umgehen«, philosophierte er und genoss das strahlende Lächeln seiner Gesprächspartnerin.

Schließlich trat Philippe zu ihnen, an dessen Arme sich Sigrid und Frida untergehakt hatten.

»Kommst du mit, Edith? Philippe hat uns eingeladen«, sagte Sigrid.

»Ich weiß nicht, Mädchen. Zu Hause wartet Arbeit auf mich. Obendrein muss ich morgen früh aufstehen.«

»Ach, sei doch keine Spielverderberin. Es wird bestimmt lustig. Es kommen so selten mal neue Gesichter in unseren Kreis.«

Mit zur Seite geneigtem Kopf betrachtete Edith sichtlich zwiegespalten Sigrids gerötetes, strahlendes Gesicht.

Nicht gewillt, ihre reizende Gesellschaft so leicht aufzugeben, beugte Hannes sich zu der jungen Frau hinunter und flüsterte: »Machen Sie mir die Freude, und begleiten Sie uns. Ich verspreche Ihnen, ich passe gut auf Sie auf und fahre Sie mit dem Automobil bis vor Ihre Haustür, sobald Sie es wünschen.«

Edith hob den Kopf und strich sich eine ihrer braunen Haarsträhnen aus dem Gesicht, damit sie ihn besser mustern konnte. Er hoffte inständig, sie würde seinem Vorschlag zustimmen, denn ihm gefielen ihr Lächeln und die Tatsache, dass sie lieber ihm als Philippe ihre Aufmerksamkeit schenkte. Mehr noch mochte er ihre Direktheit. In den Kreisen, in denen seine Familie verkehrte, traf man so etwas vor lauter vornehm zurückhaltender Höflichkeit selten an. Doch Edith zögerte; sie schien einen inneren Kampf auszufechten.

Während Edith darüber nachsann, wie sie sich entscheiden sollte, half Philippe Sigrid und Frida bereits auf die Rückbank des Automobils.

Hannes nahm Edith die Entscheidung letztendlich ab, indem er ihr galant den Arm bot, woraufhin die junge Frau sich geschlagen gab und sich zum Automobil führen ließ. Sie nahm auf dem Vordersitz Platz, da Philippe sich neben ihre Freundinnen nach hinten gesetzt hatte.

Hannes zündete vorschriftsmäßig die beiden Karbidlampen an, damit sein Fahrzeug in der einbrechenden Dunkelheit gesehen werden konnte, kurbelte den Motor an und klemmte sich hinter das Steuer.

Innerhalb kürzester Zeit erreichten sie das Gasthaus Luisenpark. Im verrauchten Inneren führten Sigrid, Frida und Edith sie zu zwei zusammengeschobenen Tischen mit einer lautstark diskutierenden Gruppe junger Menschen.

Die Besucher aus Berlin stellten sich knapp vor und setzten sich an den mit Gläsern überfüllten Tisch, über dem eine elektrische Birne hinter einer trüben Glasummantelung sparsames Licht spendete.

Frida begann ihnen enthusiastisch zu berichten, dass Rosa Luxemburg zwei Jahre zuvor in diesen Räumlichkeiten vor rund 3.000 Magdeburgern gesprochen hatte. Hannes erinnerte sich gut an dieses kleine Persönchen. Die in Russisch-Polen gebürtige Rosa Luxemburg hatte im Reichstagswahlkampf 1903 öffentlich über den Kaiser gesagt, dass »der Mann, der von den Tatsachen guten und gesicherten Existenz der deutschen Arbeiter spreche, keine Ahnung von den Tatsachen hat« und war aufgrund dieser Worte im Jahr 1904 wegen Majestätsbeleidigung zu drei Monaten Gefängnis verurteilt worden. Allerdings war Hannes zu Gehör gekommen, dass sie davon lediglich sechs Wochen verbüßt hatte. Dieser Eklat hatte seinen Vater damals außerordentlich aufgeregt und für große Diskussionen unter den Bediensteten des Hauses Meindorff gesorgt. Seither war Luxemburgs Name immer wieder im Zusammenhang mit der SPD gefallen, ebenso mit Gruppierungen, die gegen einen Krieg wetterten, obwohl alle Kolonialstreitpunkte zwischen den Ländern stets diplomatisch gelöst wurden und gar kein Krieg anstand. Hannes glaubte sich zu erinnern, dass die SPD eine Parteischule in Berlin unterhielt und Luxemburg dort als Dozentin für Marxismus und Ökonomie lehrte.

In der Runde junger Sozialisten entstand eine aufgeheizte Diskussion, bei der Hannes sich zunehmend unwohlfühlte. Immerhin stammte er aus einem der von den Anwesenden lautstark kritisierten Häuser des Großbürgertums. Auch fehlte ihm detailliertes Wissen darüber, was Marx oder Engels genau in ihrem Kommunistischen Manifest geschrieben hatten.

Philippe saß gewohnt lässig auf seinem Stuhl, die Hände im Nacken verschränkt und verfolgte die Gesprächsrunde mit einem fast schon süffisant zu nennenden Lächeln.

Hannes’ Blick glitt beunruhigt über die geröteten Gesichter der diskutierenden Männer und Frauen, die ihre Worte mit kräftigen Gesten unterstrichen. Dabei fiel ihm ein Kerl mit hellblondem Haar auf, der Philippe mit einem so finsteren Blick fixierte, als wolle er ihm an die Gurgel gehen. Seinen Eindruck, diesen Mann von irgendwoher zu kennen, schob er als Unsinn beiseite. Doch beim Anblick der geballten Fäuste des Mannes fragte sich Hannes, wann und weshalb Philippe dessen Unwillen auf sich gezogen hatte.

Plötzlich lachte Sigrid nahezu schrill auf, während Frida für einen Moment ihren Kopf an Philippes breite Schulter lehnte. Wurde die Wut des Mannes durch Sigrid oder Fridas Verhalten entfacht? Die Mädchen bemühten sich auffällig ausgelassen und beinahe aufdringlich um Philippe. Hatte eine der beiden vorher bereits mit dem Blonden angebandelt?

Hannes beobachtete, wie dieser sich eine Zigarette anzündete, wobei seine kräftigen Hände zitterten, als könne er nur mühsam die in ihm brodelnde Wut unterdrücken. Noch immer taxierte der Kerl den ihm schräg gegenübersitzenden Philippe. Der war mittlerweile dazu übergegangen, Geschichten aus seinem Soldatenleben in der afrikanischen Kolonie zum Besten zu geben, und wie immer zog er rasch die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich.

Im Laufe von Philippes Erzählung erhoben sich links von Hannes zwei Frauen und verabschiedeten sich. Mit einem erneuten Blick auf den wütenden Mann mit dem ausgebleichten Haar rutschte Hannes näher an die Ecke, sodass er neben dem Blonden zu sitzen kam. Es war weniger ein Beschützerinstinkt als vielmehr reine Neugierde, die Hannes dazu trieb. Er bat den Mann um eine Zigarette, obwohl er eigentlich nicht rauchte.

»Danke. Karl Roth, nicht?«

»Ja«, brummte sein Nachbar und schob ihm über die fleckige Tischplatte hinweg auch noch die Zündhölzer zu.

Automatisch nahm Hannes das Briefchen in die Hand und drehte es im Kreis, wobei er jeweils mit den schmalen Kanten auf den Tisch tippte. »Ihr wohnt alle hier in Magdeburg?«, versuchte er erneut, seinen schweigsamen Nachbarn zum Sprechen zu animieren.

»Die anderen schon. Ich früher.«

»Und jetzt bist du zu Besuch hier?«

»Urlaub.«

»Urlaub vom Heer?« Ein Gespräch mit einem Mann zu führen, der deutlich zeigte, dass er in Ruhe gelassen werden wollte, erwies sich als ausgesprochen anstrengend.

»Pflichtjahre.«

Hannes zuckte zusammen, als der Kerl seinen Kiefer lautstark knacken ließ. »Und wo bist du stationiert?«

Für einen kurzen Augenblick musterten ihn dunkle, im Licht der Deckenlampe funkelnde Augen, bevor sie sich wieder auf den lachenden Philippe richteten. Diese verbissene Fixierung auf seinen Freund ließ Hannes mulmig zumute werden. Hoffentlich eskalierte die undurchschaubare Situation nicht!

»Windhuk.«

Die Antwort kam zwischen zusammengepressten Zähnen hervor, weshalb Hannes ihn nur unter Mühe verstehen konnte. Eines jedoch war ihm jetzt klar: Philippe hatte nicht hier vor Ort das Missfallen dieses Kerls erregt, sondern irgendwann in den letzten Jahren während seines Einsatzes in der Kolonie Deutsch-Südwestafrikas. Und dabei erinnerte sein Freund sich ganz offensichtlich nicht an diesen Mann, denn er würdigte ihn keines Blickes. Allerdings trug Roth Zivilkleidung statt Uniform.

Hannes überlegte fieberhaft, ob er Philippe auf den Burschen aufmerksam machen sollte. Vielleicht war es besser, sie verschwanden, solange der Kerl sich noch im Griff hatte.

Eine Bewegung neben ihm ließ Hannes erschrocken hochfahren. Nur langsam kam sein Puls wieder zur Ruhe. Was befürchtete er eigentlich? Dass er als Mitglied der Bourgeoisie8 erkannt und die lautstarke Runde handgreiflich wurde? Immerhin hatten sie seinesgleichen, neben dem Kaiser und seiner Adelskreise, als Schuldigen an ihrer misslichen finanziellen und sozialen Lebenssituation ausgemacht. Oder fürchtete er vielmehr, dass dieser Blonde plötzlich über den Tisch auf Philippe losging, womöglich mit einer Waffe in der Hand?

Es war Edith, die auf dem freien Stuhl neben ihm Platz nahm und ihm ein schüchternes Lächeln schenkte. Dennoch – oder gerade deshalb? – wollte sich sein Herzschlag nicht beruhigen.

»Ich fürchte, das wird eine lange Nacht.« Sie nickte in die Runde. »Und dabei dachte ich, Sigrid und Frida würden mit mir zurückgehen …«

»Ich habe Ihnen doch versprochen, Sie nach Hause zu bringen«, erwiderte Hannes eilfertig. Es würde ihm gefallen, die junge Frau nochmals in seinem Automobil chauffieren zu dürfen und dabei ein klein wenig den Helden für sie zu spielen. Nebenbei würde er Philippe aus der Reichweite von Roth schaffen, es sei denn, sein Freund plante, noch länger zu verweilen. Dann musste er sich etwas einfallen lassen!

»Ich möchte nicht der Anlass dafür sein, dass Sie die Runde verlassen«, sagte Edith.

»Philippe und ich sollten ohnehin aufbrechen.« Um seine Worte zu unterstreichen, erhob er sich.

Auch Philippe nahm die im Nacken verschränkten Arme herunter und nickte ihm zu.

Ihr Fortgehen wurde kaum beachtet, was Hannes mit Erleichterung wahrnahm. Roth starrte ihnen zwar zornig nach, blieb aber auf seinem Platz.

In Begleitung von Edith verließen sie das verrauchte Gasthaus und atmeten draußen erleichtert die klare, kühle Nachtluft ein.

In seinem Daimler war es allerdings empfindlich kalt geworden. Obwohl er mit den Gedanken noch immer bei Roth war, fiel ihm dennoch ein, dass er Edith seinen Mantel anbieten könnte, damit sie ihn sich über ihre Beine legte.

Während der Fahrt beruhigten seine flatternden Nerven sich allmählich. Später, sobald sie unter sich waren, würde er Philippe aushorchen, was es mit diesem Roth auf sich hatte. Aber im Augenblick richtete Hannes seine Augen viel lieber auf Ediths hübsches Gesicht oder auf ihre im Schoß gefalteten Hände. Er fand ihre Stimme und ihr ungekünsteltes Lachen ausgesprochen sympathisch, ebenso wie die Ernsthaftigkeit, mit der sie seine oder Philippes Fragen beantwortete, wobei sich sein Freund dankenswerterweise sehr zurückhielt. Und er konnte nicht leugnen, dass ihm ihre rundlichen, fast kindlichen Gesichtszüge und ihr üppiger, aber durchaus wohlgeformter Körper gefielen.

Edith leitete ihn bis vor ein älteres Haus, ließ sich von ihm aus dem Fahrzeug helfen und verabschiedete sich höflich von Philippe.

Hannes begleitete sie bis an die Eingangstür und reichte ihr seine Hand. Ohne weiter nachzudenken wagte er zu sagen: »Ich würde Sie gern wiedersehen.«

Eine heiße Welle der Aufregung schwappte über ihn hinweg, nachdem die Worte ausgesprochen waren, und obwohl nur der Mond und eine entfernte Gaslampe Ediths Gesicht erhellten, sah er sie erröten.

»Sie wissen ja, wo Sie mich finden«, wich sie einer direkten Antwort aus und legte ihre Hand auf die Türklinke. Dennoch wandte sie sich nochmals nach ihm um und fragte: »Ich weiß nur, dass Sie Hannes heißen und aus Berlin stammen. Verraten Sie mir Ihren vollen Namen, vielleicht auch Ihre Adresse?«

Der Kadett grinste siegessicher. Wie gewohnt griff er in die Innentasche seines Jacketts, um eine seiner Karten hervorzuholen, doch in Erinnerung an Ediths Freundeskreis unterließ er dieses Vorhaben. Vermutlich war es besser, wenn Edith nicht erfuhr, zu welcher Familie er gehörte. Schließlich wollte er sich die Chance offenhalten, die bezaubernde Frau bald wiederzutreffen. Er nannte ihr seinen Nachnamen und die Gegend, in der er wohnte, wobei er beobachtete, wie sie einen kurzen Moment die Stirn runzelte. Es blieb ihm nur zu hoffen, dass sich Ediths Kenntnisse über Berlin in Grenzen hielten und sie mit der Schlossstraße nicht das unmittelbare Umfeld des Charlottenburger Schlosses in Zusammenhang brachte und somit letztendlich erriet, in welch exquisiter Wohngegend er zu Hause war.

»Vielen Dank für den schönen Tag«, flüsterte Edith und verschwand flink im Inneren des Hauses. Wenige Augenblicke darauf flackerte hinter einem Fenster im ersten Stock eine Lampe auf, und sie zog energisch den Vorhang vor.

Ein eigentümliches Geräusch hinter ihm ließ Hannes erschrocken herumfahren. Eine nur als schwarzer Schattenriss erkennbare Gestalt stürzte zum Automobil. Ihm blieb keine Zeit mehr, um Philippe vor dem Angreifer zu warnen.

Himmel ueber fremdem Land
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