Kapitel 4

St. Petersburg, Russland,
März 1908

Anki van Campen hob ihren Rock an und rannte über die feuchten Pflastersteine, wobei sie immer wieder ängstlich über ihre Schulter zurückblickte. Ihr trotz der Kälte nicht geschlossener Mantel flatterte wild um ihre Beine. Im Licht der Straßenlaternen warf ihre Gestalt einen lang gezogenen Schatten auf die Straße und über die flache Mauer, hinter der die Mojka durch den Kanal sprudelte. Zu dieser späten Stunde glich die Farbe des Wassers schwarzer Tinte und sein Gurgeln klang unheilvoll. Um sie her ragten elegante Herrschaftshäuser und Paläste in den nächtlichen Himmel, doch die imposanten Gebäude hatten für Anki längst ihre Faszination verloren.

St. Petersburg bestand zu einem großen Teil aus diesen prunkvollen Schmuckkästen – zumindest der Teil von St. Petersburg, in dem sie sich gewöhnlich aufhielt. Doch St. Petersburg war eine von Unruhen geschüttelte Stadt. Obwohl die Streiks und die Aufstände seit dem Blutigen Sonntag2 im Januar 1905 nur noch vereinzelt aufflackerten und das daraufhin verfasste Zarenmanifest dem russischen Volk die Duma3 gebracht hatte, schwelte der revolutionäre Gedanke der Gewerkschaften und der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands nach wie vor im Untergrund. Ebenso allgegenwärtig blieben die Geheimpolizei und die Kosaken4.

Anki wandte sich ein weiteres Mal um und blickte am Kanal entlang zurück. Es waren weder die im Untergrund agierenden Aufständischen noch die Justizorgane des Zaren, vor denen sie an diesem Abend durch die Straßen der Hauptstadt Russlands davonlief. Vielmehr verfolgten sie zwei durchdringende graublaue Augen, der Geruch eines ungewaschenen Körpers und die Stimme eines unheimlichen Heilers.

Die junge Frau wusste im Grunde, dass ihr niemand folgte, konnte sich aber des Gefühls nicht erwehren, von feindlich gesinnten Blicken beobachtet zu werden.

Während sie mit schnellen Schritten weiterhastete, lief die vergangene halbe Stunde noch einmal vor ihrem inneren Auge ab.

Sie war mit Gräfin Ljudmila Sergejewna Zoraw unterwegs gewesen, die einem gewissen Grigori Jefimowitsch Rasputin ihre Aufwartung machen wollte. Nachdem sie einige Zeit vergeblich in der Kutsche auf ihre Freundin gewartet hatte, war ihr unangenehm kalt geworden. Schließlich war sie ausgestiegen, um sich durch Auf- und Abgehen warm zu halten.

Irgendwann war die Tür aufgeschwungen, und Anki hatte die Luft angehalten, als sie in die mit Stuckornamenten und Säulen überfrachtete Eingangshalle blicken konnte. Lautes Gelächter und der schrille Aufschrei einer Frau drangen auf die dunkle Straße hinaus und ließen sie noch mehr erschauern, als sie es in der frostigen Kälte der Nacht ohnehin schon tat. Ihre Freundin Ljudmila trat auf das feuchte Pflaster vor dem Palast. Sie hatte sich bei einem Mann untergehakt, an dessen anderem Arm Herzogin Jevgenia Ivanowna Bobow hing und ebenfalls um seine Aufmerksamkeit buhlte.

Anki betrachtete den Mann zwischen den kichernden Frauen. Sein dunkles Haar stand ihm wirr um den Kopf, und er trug einen struppigen, bis zur Brust reichenden Bart. In seiner Bauerntunika und der weiten schmutzigen Hose wirkte er vor dem imposanten Gebäude und in Gesellschaft der beiden adeligen Damen vollkommen fehl am Platz.

Es war das erste Mal, dass Anki Rasputin zu Gesicht bekam, wenngleich sie schon viel von ihm gehört hatte. Grigori Jefimowitsch Rasputin hatte sich innerhalb kürzester Zeit nach seinem Auftauchen in St. Petersburg in allen Gesellschaftsschichten als Mann Gottes und Heiler etabliert. Vor allem im Zarenpalast ging er ein und aus, wie es ihm gefiel. Es hieß, er habe den Zarewitsch mehrmals durch seine Gebete geheilt, wofür ihm Zariza Alexandra Fjodorowna verständlicherweise überaus dankbar war. Mit Alexej Nikolajewitsch war nach vier Mädchen und einer Scheinschwangerschaft endlich der lang ersehnte Thronfolger geboren worden, doch wie die Gerüchte besagten, litt er an einer unheilbaren und lebensbedrohlichen Erkrankung.

Vor allem die Damen des Adels waren fasziniert und begeistert von dem Wunderheiler aus dem Gouvernement Tobolsk, so auch Ljudmila, eine der Hofdamen und Freundinnen der älteren Zarentöchter.

Seit Beginn dieses Jahres war allerdings die Stimmung um den Mann gekippt. Die Gerüchte, er unterhalte sexuelle Beziehungen zu einigen seiner Bewunderinnen, eingeschlossen der Zariza, kursierten inzwischen nicht einmal mehr hinter vorgehaltener Hand. Viele bezeichneten ihn als einen unzivilisierten Bauern, und seit diesem Augenblick wusste Anki auch, weshalb.

Eine Dame näherte sich dem fröhlichen Dreiergespann und Anki erkannte in ihr Anna Alexandrowna Wyrubowa, die Hofdame und gute Freundin der Zariza. Der Starez5 besaß die Unverfrorenheit, die Vertraute Alexandra Fjodorownas zu ignorieren und weiterhin mit den jungen Damen herumzualbern. Die Hofdame zögerte einen Moment irritiert und wartete darauf, zumindest begrüßt zu werden, doch schließlich betrat sie unbeachtet das Haus der Bobows.

Ljudmila raunte Rasputin etwas zu, worauf dieser sich von den beiden Frauen löste und zu Ankis Überraschung zu ihr kam. Seine durchringenden graublauen Augen hielten ihren Blick sofort gefangen, und obwohl sie die Ausdünstungen seines offenbar seit Tagen ungewaschenen Körpers beinahe betäubend einhüllten, rührte Anki sich nicht von der Stelle. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen.

»Du bist also Ludatschkas kleine Freundin?« Rasputins Stimme klang rau und leicht verwaschen.

Es ärgerte Anki, dass dieser Fremde Ljudmila bei ihrem Kosenamen nannte. Ob sie ihm diese Vertrautheit erlaubt hatte? Oder scherte sich dieser Mann weder um Herkunft noch um Höflichkeit?

»Komm mit mir, Anki. Im Palast der Bobows gibt es einen Raum, in dem du dich aufwärmen kannst, und wir können uns ungestört unterhalten.«

Bei der Vorstellung, mit diesem Mann allein zu sein, schüttelte sie entsetzt den Kopf. Sie war von Natur aus nicht besonders wagemutig und ging allem, was ihr fremd oder unheimlich war, aus dem Weg. Und in diese Kategorie gehörte unzweifelhaft auch dieser eigentümliche Starez, mit dem sie ganz sicher nirgendwo hingehen würde.

»Nein? Ludatschka, hast du gesehen? Und du auch, Jevgenia? Sie weigert sich, meine Einladung anzunehmen. Was mag der Grund dafür sein?«

»Komtess Ljudmila und ich fahren jetzt nach Hause, Grigori Jefimowitsch«, erwiderte Anki mühsam. Es gelang ihr, den Blickkontakt mit ihm zu brechen, woraufhin sie sich der Situation zumindest ein bisschen besser gewachsen fühlte.

»Anki van Campen, du kommst jetzt mit. Du brauchst das Gespräch mit mir. Es wird dein Leben verändern, dein Leben retten!« Rasputin sprach fordernd, beinahe drohend, und Anki wich unwillkürlich einen Schritt zurück.

Eine eiskalte Hand schien nach ihrem Herzen zu greifen, wollte es umschließen und einfrieren, jegliche Wärme aus ihrem Leben ziehen.

Mit einem flehentlichen Blick bat sie Ljudmila um Hilfe, doch die Freundin hatte nur Augen für Rasputin.

»Danke, Grigori Jefimowitsch, aber das ist nicht nötig …«

»Nicht nötig?«, brauste er auf und kam ihr wieder so unangenehm nah.

Sein aggressives Vorgehen, aber auch die Ausdünstungen, die sie erneut wie eine dunkle Wolke einhüllten, machten Anki ganz schwindelig.

»Gott allein weiß, was nötig ist! Er gibt dir das Nötige, die Veränderung, die Rettung – durch mich!«

Anki wollte sich abwenden und eilends zurück in die Kutsche steigen, die zu verlassen ihr nun als großer Fehler erschien. Doch aus irgendeinem Grund gelang es ihr nicht, sich von Rasputin abzuwenden.

Eine nicht greifbare, eigentümliche Macht, anziehend und abstoßend zugleich, ging von diesem Mann aus und ließ sie verharren.

»Komm, süße Anki. Ich werde dir den Weg in den Himmel zeigen«, lockte Rasputin nun gleichermaßen fordernd wie freundlich.

Anki atmete tief durch, flehte Gott innerlich um Hilfe an und schaffte es immerhin, den Kopf zu schütteln. Daraufhin packte Rasputin sie an beiden Oberarmen. Angeekelt betrachtete sie die langen, teilweise eingerissenen und schmutzig-gelben Fingernägel des Mannes, der sie unbarmherzig in seinem Griff hielt. Wollte er sie zwingen, ihm zu folgen? Warum schritt niemand ein und half ihr?

Ihre Knie drohten nachzugeben. Schweißtropfen rannen ihr über den Rücken und eine Welle der Übelkeit überkam sie. Wieder bat sie Gott um Hilfe. Denselben Gott, von dem diese bedrohliche Gestalt gesprochen hatte? Sie brachte diese Überlegung nicht zu Ende.

In diesem Moment stieß Rasputin ein hämisches Lachen aus, in das Herzogin Jevgenia mit einem Kichern einfiel. Ljudmila hingegen blieb stumm. In ihrem Gesicht, von der flackernden Gaslampe unruhig beschienen, zeigten sich Verwirrung und Zweifel.

Anki drehte sich zur Seite, um sich Rasputins Griff zu entwinden, und tatsächlich ließ er ihre Arme los – allerdings nur, um sie bei den Haaren zu packen und fest an sich zu drücken. Aus Verzweiflung, Wut und Angst schossen ihr die Tränen in die Augen. Dieser widerwärtige Mann ließ sie einfach nicht in Ruhe!

Da hob Rasputin den Kopf, als wolle er den Nachthimmel über St. Petersburg bestaunen, und begann voller Inbrunst zu beten! Anki konnte den schnellen russischen Sätzen nicht folgen, doch der Wunsch, sich aus seinen Fängen zu befreien, wurde übermächtig. Sie stieß den Mann von sich, so fest sie konnte, ignorierte den Schmerz, als er ihr ein ganzes Haarbüschel ausriss und hastete zur Kutsche zurück.

»Lassen Sie mich in Ruhe, Grigori Jefimowitsch. Ich habe nichts mit Ihnen zu schaffen. Und ich bezweifle, dass das, was Sie tun und sagen, tatsächlich nach Gottes Willen ist!«, schleuderte sie ihm mehr verzweifelt als mutig entgegen.

»Du gotteslästerliches Weibsstück!«, brüllte er und trat zwischen sie und die Kutsche. »Gott, ich flehe dich an, vergib dieser Frau ihre Sünde. Lass sie erkennen, dass du mich geschickt hast, um sie zu befreien. Befreie sie von dem Dunklen, Grausamen, das ich für ihre Zukunft voraussehe.« Er krümmte sich wie unter Schmerzen zusammen, und sein Blick traf erneut den ihren.

Anki konnte die Nähe dieses Mannes nicht einen Moment länger ertragen. Sie wirbelte herum und trat die Flucht an. Ihre Schuhe klackerten über das Pflaster, das Geräusch wurde von den Mauern und Hauswänden vielfach zurückgeworfen. Schließlich verschluckte die Dunkelheit den Platz mit der Kutsche und den dort stehenden Personen.

***

Ob Rasputins ungepflegter, bedrohlicher Anblick und seine stechenden Augen sie ihr Leben lang verfolgen würden, ebenso wie die Worte des Mannes? Allein der Gedanke jagte Anki einen kalten Schauer über den Rücken und trieb sie weiter.

Sie glitt auf einer Eisfläche aus, die sich, der Märzsonne zum Trotz, im Schatten der Mauer gehalten hatte. Mit einem erschrockenen Aufschrei versuchte sie das Gleichgewicht zu halten, was ihr jedoch nicht gelang. Sie stürzte, und ein scharfer Schmerz durchzuckte ihre Knie. Ihr Brustkorb hob und senkte sich heftig, ihr Atem ging keuchend von ihrem langen, schnellen Lauf.

»Hör auf zu rennen«, sagte sie zu sich selbst, sah sich dabei aber schon wieder ängstlich um. »Es ist doch Unsinn zu glauben, er komme hinter dir her.« Trotzdem bat sie Gott leise um Schutz. Aber hatte nicht genau das auch Rasputin getan, nachdem er sie an sich gezogen hatte, sodass sie seinen ungewaschenen Körper und den ekelhaften Mundgeruch aus nächster Nähe hatte ertragen müssen?

Laut von den Palastfassaden widerhallendes Klappern von Pferdehufen, begleitet vom knirschenden Geräusch eisenbeschlagener Kutschräder, näherte sich ihr.

Anki war einen Moment versucht, sich direkt an die Steinmauer zu rollen, um unbemerkt zu bleiben. Sie verwarf den Gedanken rasch wieder, zumal der aus den beleuchteten Sprossenfenstern der Häuser fallende Schein und die orangefarbenen Lichtkegel der Straßenlaternen sie unbarmherzig anstrahlten. Mühsam erhob sie sich und taumelte weiter, bis sie zu ihrem Schrecken bemerkte, dass das Fahrzeug neben ihr stoppte. Die Tür sprang auf, noch ehe der Kutscher abgestiegen war, um diese für seinen Fahrgast zu öffnen.

Schon längst hatte Anki das Wappen an der Tür erkannt, und so knickste sie, als Fürst Felix Felixowitsch Jussupow vor sie trat. Er kam von einer Festlichkeit bei der Familie Chabenski und musste Anki nicht nur gesehen, sondern auch sofort erkannt haben.

»Du bist Anki, das Kindermädchen der Chabenski-Mädchen, nicht? Warum läufst du um diese späte Stunde allein durch die Straßen?«

Die Mischung aus Sorge und Schrecken in der Stimme des jungen russischen Adeligen trieb ihr vor Erleichterung die Tränen in die Augen.

»Bist du überfallen worden, Mädchen? Geht es dir nicht gut?« Der Fürst trat einen Schritt näher und musterte sie besorgt. Mit ihrer aufgelösten Frisur, den erhitzten Wangen und den aufgeschlagenen Knien sah sie furchtbar aus. Dennoch befahl er über die Schulter hinweg seinem Kutscher, das Gefährt zu wenden. »Ich bringe dich zu den Chabenskis.«

»Aber bitte, Hoheit, es sind doch nur ein paar Schritte. Sie brauchen nicht …«

»Oksana Andrejewna würde es mir nie verzeihen, wenn ich das Kindermädchen ihrer Töchter in diesem Zustand auf der Straße stehenließe. Komm, ich helfe dir in die Kutsche.«

Der Kutscher hatte unterdessen die Equipage in der Glinkistraße gewendet und vor ihnen angehalten. Anki gehorchte, weniger, weil der Adelige es wünschte, sondern vielmehr, um der dunklen, kalten Straße und den lauernden Augen in ihrer Erinnerung zu entkommen.

Nach ihr kletterte Fürst Jussupow in das angenehm warme Innere und setzte sich ihr gegenüber auf die roten Samtpolster. Während der kurzen, schweigsamen Fahrt betrachtete Anki durch das Fenster angestrengt die Lichtspiegelungen auf dem nassen Pflaster.

Als der Kutscher das Gefährt vor dem in sanftem Orange und leuchtendem Weiß gehaltenen Chabenski-Palais zum Stehen brachte, stieg der Adelige zuerst aus, ließ Anki von seinem Kutscher aus dem Gefährt helfen und geleitete sie zu der monumentalen Eingangspforte mit dem Stuckdach, das von weißen Säulen getragen wurde.

Anki stolperte die niedrigen Stufen hinauf, weshalb Fürst Jussupow sie stützte und ihr einen fragenden Blick zuwarf, dem sie mit einem beschämten Senken des Kopfes auswich.

Es war Jakow, der ihnen öffnete, kaum dass der tiefe Klang der Glocke verhallt war. Anki sah in seinem Gesicht zuerst Verwunderung über die unerwartete Rückkehr des Gastes, den er soeben erst verabschiedet hatte, als auch seinen Schreck über Ankis aufgelösten Zustand.

Aus dem Festsaal drang fröhliche Klaviermusik ins Foyer; offenbar unterhielt Fürstin Chabenski ihre Gäste am Flügel. Zu Ankis Entsetzen blieb Fürst Jussupow an ihrer Seite. Ihr Wunsch, unbemerkt in ihr Zimmer zu flüchten, war somit hinfällig.

Das Klavierspiel verklang. Für einen Moment herrschte Stille im Erdgeschoss des Palasts, die gleich darauf vom begeisterten Beifall der Gäste abgelöst wurde. Die Fürstin hob den Kopf, erblickte ihren jungen Gast im Türrahmen und lächelte ihm etwas irritiert zu, doch als ihr Blick auf die neben ihm stehende Anki fiel, wurde sie sofort ernst.

»Fräulein Anki, was ist mit Ihnen geschehen?«, rief sie in ihrem fast perfekten Deutsch erschrocken aus, erhob sich vom Klavierhocker und eilte zur ihr.

»Bitte, Jakow, einen Stuhl für Fräulein Anki!«, wies sie den Diener an, der ihrem Auftrag unverzüglich nachkam. Inzwischen näherten sich weitere Gäste und betrachteten im Licht der Kronleuchterkerzen das verschmutzte und zerzauste Mädchen.

»Sie waren doch gemeinsam mit Ljudmila Sergejewna unterwegs. Was ist euch nur zugestoßen?«, wiederholte die Fürstin aufgewühlt ihre Frage.

Anki, der bewusst war, dass sie ohne eine befriedigende Antwort kaum die Flucht in ihr Zimmer antreten durfte, murmelte: »Ljudmila traf heute diesen Heiler. Ich wollte sie nicht begleiten und beschloss, in der Kutsche zu warten. Als es mir kalt wurde, bin ich ausgestiegen. Da kam dieser Mann aus dem Haus. Anna Wyrubowa traf in diesem Augenblick ein …«

Anki bemerkte selbst, dass ihr Bericht ausgesprochen planlos und verwirrend ausfiel, und obwohl sie sich inzwischen beruhigt hatte, beließ sie es dabei. Vielleicht ließ man sie dadurch schneller in Ruhe. Doch machten die Blickwechsel zwischen Fürst Jussupow, Fürstin Chabenski und einigen anderen Anwesenden diesen Wunsch schnell zunichte, denn sie erfassten trotz Ankis wirr vorgebrachter Erzählung, mit wem das Kindermädchen zusammengetroffen war.

Anki schloss bekümmert die Augen, und mit erschreckender Intensität holten sie die Erinnerungen an den stechenden Geruch und die ihren Blick gefangen nehmenden Augen des Mannes ein.

»Was ist mit Ljudmila Zoraw?«, erkundigte sich Fürstin Chabenski sanft und setzte sich neben Anki auf einen zweiten von Jakow bereitgestellten Stuhl.

»Sie ist bei ihm geblieben. Ich …« Anki hob endlich den Kopf, um ihre Arbeitgeberin anzuschauen. »… ich bin geflohen, denn dieser Mann machte mir Angst, Hoheit.«

»Berührte er Sie etwa unsittlich?«, hörte sie eine weibliche Stimme aus dem Hintergrund fragen.

Anki verneinte. Zwar hatte sie seine Nähe als überaus unangenehm empfunden, dennoch konnte sie seine Berührungen nicht unsittlich nennen.

»Sie zittern, Fräulein Anki. Ich schicke nach Nadezhda, damit sie Sie auf Ihr Zimmer bringt.« Ihre Arbeitgeberin strich ihr fürsorglich über die Wange und lächelte ihr beruhigend zu.

Nadezhda, eines der älteren Dienstmädchen im Hause Chabenski, kam herbeigeeilt, stützte Anki fürsorglich und erklomm mit ihr die geschwungene Treppe in den oberen Stock. Als sei Anki nicht ebenfalls eine Angestellte in diesem Haushalt, sondern vielmehr eine der Herrschaften, half Nadezhda ihr beim Entkleiden, was Anki beinahe willenlos geschehen ließ. Seufzend kuschelte sie sich anschließend in die Kissen ihres Bettes, während das Dienstmädchen leise die Tür hinter sich schloss.

Allerdings erweckte die nun herrschende Dunkelheit die Erinnerungen an das heutige Erlebnis wieder zum Leben. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zitternd die Decke über sich zu ziehen und die unheimlichen Bilder zu ertragen.

Himmel ueber fremdem Land
titlepage.xhtml
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_000.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_001.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_002.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_003.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_004.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_005.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_006.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_007.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_008.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_009.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_010.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_011.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_012.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_013.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_014.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_015.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_016.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_017.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_018.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_019.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_020.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_021.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_022.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_023.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_024.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_025.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_026.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_027.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_028.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_029.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_030.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_031.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_032.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_033.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_034.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_035.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_036.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_037.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_038.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_039.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_040.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_041.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_042.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_043.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_044.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_045.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_046.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_047.html
Himmel_uber_fremdem_Land__Roman_split_048.html