Kapitel 35

Die Welle traf Kates Pferd und spülte dann über ihre nackten, sonnengebräunten Beine. Sie lachte über den Schwall kalten Wassers. Sie schmeckte das Salz des Meeres auf ihren Lippen, als sie zum strahlend blauen Himmel hinaufsah. Die Sonne ließ die Wassertropfen auf Matildas Mähne glänzen und wärmte Kates Rücken. Sie ritt Matilda ohne Sattel und trug nur einen roten Badeanzug und ihren großen Cowboyhut. Ihre offenen Haare waren durch den Wind und das Seewasser völlig zerzaust und so steif wie der Schweif eines Pferdes. Kate wickelte ihren Zügel um ihre schmutzigen Finger mit den gesplitterten und abgebrochenen Nägeln und wendete die Stute zum Ufer hin. Dort wartete bereits Nick in seinen Surfboardshorts und mit seinem Hut auf sie. Er saß auf Paterson, Wills großem Fuchs. Nick sah sie lachend an und richtete sein Pferd auf die schäumenden Wellen aus, die den Strand hinaufrollten. Neben ihm stand Henry. Er trug sein Arbeitshemd, seine King Gees hatte er bis zum Knie hochgekrempelt. Er stand mit den Füßen im Wasser und richtete seine Aufmerksamkeit voll und ganz auf Nell.

Er hielt einen pinkfarbenen Führzügel in der Hand, der mit einem großen Karabinerhaken aus Messing am Halfter eines stämmigen, kleinen, stichelhaarigen Ponys mit einer struppigen und drahtigen Mähne befestigt war. Nell saß in einem kleinen Westernsattel auf dem Rücken des Ponys. Sie trug einen orangefarbenen Badeanzug und Cowboystiefel. Ihre Augen wurden vom Schirm eines etwas zu großen Reithelms beschattet, und ihr Lächeln war so strahlend wie der Sand.

»Mach, dass er schnell rennt, Opa!«, quietschte sie begeistert. »Sag ihm, dass er ganz schnell rennen soll!«

Kate lächelte, während sie zusah, wie Henry den Strand entlangstapfte und das Pony zum Trab anspornte. Nell, die sich mit ihren kleinen Händen am Sattelknauf festhielt, bekam einen Lachanfall, als sie im Sattel durchgeschüttelt wurde und ihr Helm hin und her wackelte.

Auch Nick beobachtet die beiden lächelnd, bevor er sein Pferd ins Wasser und auf Kate zutrieb.

»Komm schon«, rief sie ihm zu. Sie drehte sich um und presste ihre Beine an Matildas warmen Bauch. Die Stute watete mit aufmerksam spielenden Ohren immer tiefer ins Meer hinein, dorthin wo sich die Wellen nicht mehr brachen. Kate spürte, wie das kühle Wasser an ihren Beinen immer höher stieg, und dann war da plötzlich diese Leichtigkeit, als die Stute zu schwimmen begann. Matildas Mähne strich an Kates nackten Schultern vorbei. Auch sie begann jetzt zu schwimmen und hielt sich dabei an der Mähne der Stute fest. Matilda schnaubte bei jedem Atemzug laut und rhythmisch. Während das Wasser sie beide in ein ruhiges, tiefes Blau einhüllte, trug es all die Mühen und Anstrengungen der vergangenen Tage mit sich fort.

An diesem Nachmittag hatten sie alle gemeinsam den Gemüsegarten umgegraben. Aber das Wetter war so strahlend schön gewesen, dass sie ihre Arbeitsgeräte weggelegt hatten und, ausgerüstet mit Handtüchern und einer großen Kühlbox, mit den Pferden zum Strand aufgebrochen waren. Das Salzwasser hatte zunächst noch in den Blasen an ihren Händen wie Feuer gebrannt, aber sie hatte dieses Gefühl genossen. Der Zustand ihrer Hände war nämlich ein Symbol für ihr neues Leben. Die Magie war in den Gemüsegarten von Bronty zurückgekehrt. Kate hatte gespürt, wie diese Magie im Boden pulsierte und unter ihren Händen nach oben drängte. Der hintere Zaun des Gartens war inzwischen repariert. Dave war vorbeigekommen und hatte in einer Ecke des Gartens, direkt unter den großen Pappeln, für Nell eine Hütte aus Wellblech gebaut. Neben der Hütte hatte Nells roter Schubkarren, gefüllt mit einem kleinen Berg getrockneter Pferdeäpfel, gestanden, die sie und die Zwillinge gesammelt hatten. Collie, das Kätzchen, hatte sich entspannt auf dem frisch geharkten Boden geräkelt, war aber aufgesprungen und davongerannt, als die lärmende Hackfräse zum Leben erwacht war. Es war Henrys Idee gewesen, dass sie an diesem Nachmittag alle zum Strand reiten sollten.

Als Nick, ein breites Lächeln auf seinem Gesicht, mit seinem Pferd jetzt auf sie zukam, ließ Kate ihren Blick an ihm vorbei zu den beiden geduckten Häuschen aus Stein hinüberwandern, die hinter den Kängurubäumen am anderen Ende der Bucht standen.

Dort war Alice jetzt wahrscheinlich gerade damit beschäftigt, Steine aufzuschichten, um so die alten Mauern wieder zu errichten, die den Garten des Häuschens direkt am Meer einrahmten. Vielleicht befand sie sich aber auch gerade im Haus und strich, fröhlich vor sich hin summend, die Wände. Sie schuf damit eine Art Leinwand, auf die sie ihr Leben mit neuen Farben malen konnte. Farben, die vom Meer inspiriert wurden. Eine Witwe, die langsam wieder lernte zu leben.

Nur eine Koppel weiter hatte sich Henry in einem zweiten, identischen Häuschen eingerichtet. Er lebte jetzt wieder allein, aber er fühlte sich bestimmt nicht einsam. Seit der Auktion waren inzwischen drei Monate vergangen, und Henry hatte diese Zeit dazu genutzt, die Renovierung der beiden kleinen Häuser in Angriff zu nehmen. Annabelle hatte zuerst so getan, als wäre sie von seiner Idee begeistert. Schon bald aber hatte sie erklärt, dass sie, jedenfalls so wie das Häuschen gegenwärtig aussah, unmöglich dort einziehen könne. Ihr Groll wegen der geplatzten Versteigerung hing wie eine giftige Staubwolke zwischen ihr und ihrem Mann. Also hatte Henry sich damit einverstanden erklärt, dass sie vorläufig wieder nach Sydney zog. Dort lebte sie jetzt mit Aden und Amy. Es war für alle das Beste.

Henry ließ sich mit der Renovierung des Häuschens viel Zeit. Er riss hier eine Wand heraus und setzte dort ein Fenster ein. Er arbeitete zwar hart, nahm sich dabei aber immer wieder einmal mehrere Tage am Stück frei, um sie mit Nell zu verbringen. Dann saß er auf der Veranda von Bronty in einem Sessel, sah ihr beim Spielen zu und machte dabei einen überaus zufriedenen Eindruck.

»Ach! Das wird schon noch«, pflegte er dann zu Kate und Nick zu sagen. »Solche Projekte brauchen Zeit. Viel Zeit. Das sage ich Annabelle auch immer. Möglicherweise dauert es noch Jahre, bis alles fertig ist. Aber das scheint sie nicht besonders zu stören. Ich glaube, dass sie im Grunde sogar froh darüber ist.«

Nick und Kate schwammen jetzt nebeneinander her, während sie sich an den Mähnen ihrer Pferde festhielten. Dann zog Kate am Zügel, und Matilda wandte sich wieder dem Ufer zu. Nick und Paterson folgten ihr. Schon bald wirbelte wieder Sand unter den Hufen der Pferde auf, und sie stiegen tropfnass aus dem Meer.

»Sollen wir?«, forderte Kate Nick heraus, und deutete dabei mit einem Kopfnicken auf den langen Strand. Sie trieben die Pferde jauchzend und lachend zum Galopp an und ritten dann platschend durch die Untiefen, während sie den kühlen Wind auf ihren nassen Körpern spürten. Ohne Sattel jagten sie Seite an Seite über den Strand.

Als sie ihre Pferde schließlich am Ende des Strandes zum Stehen brachten, waren sie völlig außer Atem.

»Ju-hu!«, rief Nick. »Seit ich ein kleiner Junge war, bin ich nicht mehr ohne Sattel geritten.« Er sah Kate an und sagte dann mit hoher Fistelstimme. »Ich weiß auch ganz genau, warum. Ich bin mir nämlich ziemlich sicher, dass Nell keine Geschwister bekommt, wenn ich das noch einmal mache!«

»Hast du dir etwa etwas abgequetscht?«, fragte Kate, ebenfalls im Falsett.

»Ganz genau!« erwiderte Nick. Dann plötzlich verschwand der schalkhafte Ausdruck von seinem Gesicht, und er sah Kate voller Liebe an.

Kate sah sein ernstes Gesicht. »Dann möchtest du also gern noch mehr Kinder?«, fragte sie.

Nick streckte seinen Arm aus und berührte dann ganz leicht ihre Hand, während sich seine breite, nackte Brust hob und senkte. Sand klebte auf seiner glatten Haut. Er dirigierte Paterson direkt neben Matilda.

»Natürlich will ich noch mehr Kinder von dir«, sagte er. »Irgendwann, wenn du dich dazu bereit fühlst.«

Er beugte sich zu Kate hinüber und gab ihr einen langen, nach Salz schmeckenden Kuss. Dann sah er ihr tief in ihre braunen Augen.

»Zuerst musst du mich aber heiraten«, sagte er.

Ein Lächeln erschien auf Kates Gesicht. Sie sah zum strahlend blauen Himmel hinauf und erblickte dort zwei weiße Möwen, die über ihnen in der klaren Luft schwebten.

»Ja!«, sagte sie lachend. »Ja!«