Kapitel 16

Was zum …?« Janie schob die Gardine in der Küche ein Stück zur Seite und beobachtete dann, wie Kate draußen mit ihrem Pick-up samt Pferdeanhänger vorfuhr. Im Licht der Scheinwerfer tanzte ein Schwarm Motten, der immer wieder gegen deren große Glasaugen prallte.

»Ich habe sie in dieser Woche zwar zum Abendessen eingeladen, aber bestimmt habe ich sie nicht zu einem nächtlichen Stelldichein des Ponyklubs gebeten«, sagte Janie.

Dave legte sein Besteck zur Seite und warf jetzt ebenfalls einen Blick durch das Fenster in die Dunkelheit hinaus. Er sah, wie Kate wütend die Tür des Pick-ups zuschlug, zur anderen Seite herumging und Nell aus ihrem Kindersitz hob. Auf der Ladefläche des Pick-ups saßen Sheila, BH und Grumpy. Sie hielten ihre Nasen in den Wind und versuchten so, die neue Umgebung zu erkunden. Sie spitzen die Ohren, als Daves Hunde in ihrem Zwinger zu bellen begannen. Im Pferdetransporter zupften zwei Pferde in alle Ruhe Heu aus einem Netz.

»Auf Bronty geht es anscheinend wieder einmal drunter und drüber«, sagte Dave und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. »Genau das, was wir jetzt brauchen. Die Zwillinge sind endlich im Bett, ich bekomme sogar noch vor Mitternacht etwas zu essen, und dann taucht sie auf.«

Janie ignorierte seine Bemerkung einfach und machte sich wortlos wieder daran, den halb getrockneten Brei aus Karotten und Pastinaken vom Tablett eines Kinderhochstuhls zu wischen.

»Ich hoffe, du hast dich auf eine lange Nacht eingestellt. Ich denke, sie braucht deine Hilfe, wenn geschehen ist, was ich vermute«, sagte er und sah seine Frau an.

»Sie braucht Hilfe, okay?«, sagte Janie barsch. »Was regst du dich eigentlich so auf? Sie hat keine Mutter mehr, und ihr Bruder ist vor Kurzem gestorben. Sei ein bisschen nachsichtiger mit ihr, Dave.«

»Ich weiß. Tut mir leid«, sagte Dave. »Ich versuche doch nur, ein wenig auf dich aufzupassen. Kate mag zwar deine beste Freundin sein, aber deine Energie ist auch nicht unerschöpflich. Oder?« Ihm war aufgefallen, wie müde Janie in letzter Zeit aussah. Ihre blonden Haare waren zerzaust, und unter ihren sanften blauen Augen hatten sich Tränensäcke gebildet. Sie trocknete sich ihre nassen Hände an ihrer schmutzigen Windjacke ab, verdrehte die Augen und zuckte mit den Schultern.

»Für die Mutter Teresas dieser Welt gibt es nie eine Pause«, sagte er lächelnd. Er nahm ihre Hand, küsste sie und zog Janie dann auf seinen Schoß. Janie erwiderte sein Lächeln, aber Dave spürte, noch lange nachdem er ihre gerötete Hand wieder losgelassen hatte und sie sich wieder von seinem Schoß erhoben hatte, um zur Tür zu gehen, ihre Müdigkeit.


»Geh doch einfach wieder zurück«, sagte Janie nur wenig später. Sie saß neben Kate, während Dave mit einer Schachtel Papiertaschentücher im Hintergrund stand. Kate schüttelte den Kopf. »Steig in deinen Wagen, fahr zur Farm zurück, und entschuldige dich. Sag, dass es dir leidtut und dass du einfach wieder einmal völlig übers Ziel hinausgeschossen bist. Dann könntest du bestimmt auf Bronty bleiben, und das ist doch das, was du willst. Habe ich nicht Recht?«

Kate runzelte die Stirn, rollte dabei nachdenklich ein Papiertaschentuch zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her.

»Da bin ich mir wirklich nicht mehr sicher.« Sie sah ihren Vater vor sich, wie er völlig ungerührt sein Glas Wasser getrunken hatte. Die Worte, die sie sich so gesehnt hatte zu hören, waren ungesagt geblieben.

»Vielleicht will er uns ja tatsächlich nicht auf Bronty haben. In diesem Fall wäre es wirklich das Beste, wenn ich die Farm endgültig vergesse.«

»Ach, Kate«, versuchte Janie sie zu beschwichtigen. Sie berührte ihre Hand und gab Dave dabei zu verstehen, dass er ihr noch ein Taschentuch geben solle. »Was geschehen ist, war einfach nicht zu verhindern. Denk mal darüber nach. Dein Vater hat es wirklich nicht leicht. Er ist in einer Zwickmühle: Auf der einen Seite stehst du, seine Tochter, und auf der anderen Annabelle, seine Frau.«

»So schwer wäre es doch nun aber auch wieder nicht gewesen, oder?«, sagte Kate. »Es seine Tochter wenigstens versuchen zu lassen?«

»Das mag sein. Aber das Problem ist, dass Will nicht mehr da ist, der dich immer gebremst hat, wenn du mal wieder durchgedreht bist. Dein Vater fühlt sich von dir in die Ecke gedrängt, Kate. Und dann liegt Annabelle deinem Dad bestimmt die ganze Zeit in den Ohren, dass sie für dich und Nell keinen Platz hat. Vergiss nicht, wie sehr diese Frau ihn an der Kandare hat. Du weißt, wie beeinflussbar ein einsamer Mann ist. Das hier wird immer gegen das da gewinnen.« Sie zeigte auf ihren Schritt und dann auf ihren Kopf. Kate schnaubte. »Sieh dir Dave an«, sagte Janie und winkte in seine Richtung. »Er ist Wachs in meinen Händen, wenn ich erst einmal das da zu fassen bekommen habe.« Janie zeigte wieder auf ihren Schritt. Dave warf Janie einen sowohl amüsierten wie auch beleidigten Blick zu.

»Entschuldige, Schatz. Das war ein Witz«, sagte sie zu ihm, bevor sie fortfuhr. »Denk drüber nach, Kate. Du kommst wieder hierher, siehst genau wie deine Mutter aus und hast außerdem noch ein unglaublich süßes Kind im Schlepptau. All das muss seine Aufmerksamkeit von ihr ablenken. Das Ganze kann doch nur in die Hose gehen. Allein deine Anwesenheit muss Annabelle ein Dorn im Auge sein, also wird sie alles daransetzen, eine Situation schaffen, bei der du nicht gewinnen kannst. Und bei alledem kann dein Dad nur mehr oder weniger hilflos zusehen. Der arme Kerl hat nicht die geringste Chance, etwas dagegen zu tun. Sie würde ihm den Arsch aufreißen, wenn er auch nur ein Mal für dich Partei ergreifen sollte.«

»Von wegen armer Kerl. Er wollte doch einfach nur jemanden zum Bumsen. Also hat er das erste Flittchen aufgerissen, das ihm über den Weg gelaufen ist. Warum musste es ausgerechnet diese blöde Kuh sein? Sie hat mit dem Haus angefangen. Jetzt ist der Garten dran. Als Nächstes wird sie sich den Rest der Farm unter den Nagel reißen. Sie sieht die Farm nur als wertvolles Grundstück am Meer und nicht als unser Zuhause. Da bin ich mir absolut sicher.«

Janie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück.

»Neeeeein«, sang sie.

»Neeein«, echote Dave, der sich jetzt an den Tisch gesetzt hatte und weitere Taschentücher bereithielt. »So weit würde sie nicht gehen«, fügte er hinzu. »Sie liebt Bronty. Oder etwa nicht?«

Seine Frage hing noch in der Luft, als Nell, die im Zimmer der Zwillinge untergebracht war, zu weinen begann. Kate sprang auf, um zu ihr zu gehen und sie zu beruhigen, bevor sie Jasmine und Brendan weckte.

»Arme Nellie«, sagte Kate beschämt. »Ich hätte vor ihr nicht so ausrasten dürfen.«

In dem dunklen Zimmer legte Kate sich dann neben Nell, während sie dem leisen Atmen der Zwillinge lauschte, die in ihren Bettchen auf der anderen Seite des Zimmers schliefen.

Sie strich Nell übers Haar, und ihre Tochter schmiegte ihr Gesicht in die warme Kuhle zwischen ihrem Kinn und ihrer Brust. Kate küsste Nell auf den Scheitel.

»Mami tut das alles so leid. Es tut ihr so leid.«


Später brachte Janie Kate, die jetzt wieder auf der Couch saß, einen Becher mit heißer Schokolade. Kate starrte den Dampf an, der aus der Tasse aufstieg. Er stieg auf, und schon war er verschwunden. Genau wie sich ihre Träume von Bronty in Luft aufgelöst hatten.

»Danke«, sagte sie zu Janie. »Es tut mir wirklich leid, dass ich dir so viele Umstände mache.«

»He«, sagte Janie, »so habe ich wenigstens die Chance, all das wiedergutzumachen, was meine Mutter versäumt hat. Dave meint, ich würde die ganze Welt bemuttern, wenn ich das könnte. Du solltest mich mal mit einem verwaisten Lamm erleben. Du würdest es nicht glauben.«

»Also, ich weiß deine Fürsorge zu schätzen, Janie. Wirklich.« Kate prostete ihr mit dem Becher zu. »Warme Milch. Du bist wirklich wunderbar. «

Janie lächelte bescheiden. Dann saßen sie eine Weile stumm da, während Kate ihre Schokolade trank.

»Hast du schon daran gedacht, Maureen zu bitten, einmal mit deinem Vater zu reden?«, schlug Janie vor. »Sie könnte doch vermitteln. Einen Weg suchen, wie man euch alle unter einen Hut bekommt. Vielleicht könnte sie ihn bei der Gelegenheit auch ein wenig an die Vergangenheit erinnern.«

Kate biss sich auf die Unterlippe. »Ich denke, ich habe Maureen in den letzten Jahren schon zu sehr in Anspruch genommen. Noch mehr Aufregung wäre bestimmt nicht gut für sie. Sie hat noch nicht einmal den Tod meiner Mutter verwunden. Außerdem ging es ihr in letzter Zeit gesundheitlich so schlecht, dass sie nicht einmal zu Wills Beerdigung kommen konnte. Es würde ihr mit Sicherheit das Herz brechen, wenn sie sähe, was diese Frau aus Bronty gemacht hat.«

»Also, Dave und ich sind immer für dich da. Das weißt du doch, oder?«

Kate sah sie an und nickte. »Danke«, sagte sie, stellte ihren Becher mit Schokolade ab und zog Janie dann an sich. »Du bist wirklich meine allerbeste Freundin.«

»Ja«, sagte Janie und erwiderte ihre Umarmung. »Und du die meine. «

Janie schob ihre nackten Füße unter ihren Po. Dabei fiel Kate ein kleines Loch in Janies Jogginghose auf, durch das ihre blasses Bein zu sehen war. Janie steckte ihren Finger durch das Loch und begann dann darin herumzubohren.

»Ich glaube, ich muss mal wieder im Second-Hand-Laden vorbeischauen. Willst du nicht mitkommen?«

Kate konnte Janies Müdigkeit förmlich spüren. Der Stress mit den Zwillingen und die Arbeit auf der Farm ließen ihr kaum Zeit für ihre eigenen Bedürfnisse. Wieder bekam sie ein schlechtes Gewissen, weil sie einfach so vor Janies Tür aufgetaucht war. Sie wusste, dass sie einen Fehler gemacht hatte, als sie ihr Zuhause so überstürzt verlassen hatte. Wieder einmal verlassen hatte, dachte sie und ärgerte sich dabei über sich selbst. Wann würde sie es jemals lernen? Jetzt gab es für sie keinen Weg mehr zurück.

Kate sah sich im Wohnzimmer um. Obwohl der Teppich an den Türen abgetreten war und in jeder Ecke Körbe mit Spielzeug standen, strahlte das Haus eine Wärme aus, wie das nur der Liebe einer Familie gelingen konnte. Ein bescheidenes Zuhause. Mit selbst genähten geblümten Vorhängen und Möbeln von der Stange, die jedoch allesamt dank Janies Geschick im Nähen eine hübsche Note erhalten hatten. An den Wänden hingen in billigen Rahmen Fotos ihrer Kinder und Bilder von ihrem Hochzeitstag. Auf den Lehnen der abgesessenen Couch und des alten Sessels lagen weiche Decken aus Angorawolle. All das verlieh dem Zimmer eine überaus gemütliche Atmosphäre und verstärkte das Gefühl der Geborgenheit, das auch Janie ausstrahlte.

Als Kate bewusst wurde, wie bodenständig und gefestigt Janies Leben war, erfasste sie dieselbe Panik wie damals vor zwei Jahren, als sie die Einladung zu Janies und Daves Hochzeit in der Post gefunden hatte. Erst eine Woche zuvor hatte ihr Vater sie zu seiner eigenen Hochzeit eingeladen. Kate hatte auf die steife, förmliche Karte mit dem Goldrand gestarrt und war dabei mit dem Finger über Daves und Janies Namen gefahren, während sie sich gefragt hatte, ob sie wohl selbst jemals einen Menschen finden würde, mit dem sie wirklich glücklich werden konnte. Auf der einen Seite war da sie selbst, eine allein erziehende Mutter, die sich von einem chaotischen Tag zum nächsten kämpfte, und auf der anderen Seite war Janie, die das Glück hatte, den Mann, den sie auf dem Rouseabout kennen gelernt hatte, zu heiraten und mit ihm eine Familie zu gründen. Kate konnte damals kaum glauben, dass Janie tatsächlich scharf darauf war, Kinder zu bekommen. Damals hatte Kate Janie beneidet und geglaubt, ihre Freundin würde den leichteren Weg wählen. Wie sehr hatte sie sich doch geirrt! Sich für einen Ehemann und eine Farm und ganz davon zu schweigen, sich für Kinder zu entscheiden war in Wirklichkeit ein sehr mutiger Schritt. Kate starrte auf ihren Schoß.

»Ich weiß, dass du mit den Zwillingen und in dieser beschissenen Zeit des Jahres genug um die Ohren hast. Ich werde dir also nicht allzu lange zur Last fallen, das verspreche ich dir. Ich brauche nur eine Nacht oder zwei, um herauszufinden, was ich tun und wohin ich gehen kann. Ich soll nächsten Monat mit meinem neuen Job anfangen. Ein neuer Job! Ich habe noch nicht einmal eine Wohnung, geschweige denn ein Büro! Aber ich krieg das schon hin. Nicht wahr?«

»Also«, sagte Janie mit glänzenden Augen. »Dave und ich haben vorhin, als du bei Nell im Zimmer warst, ein bisschen miteinander geplaudert und da ist uns eine großartige Idee gekommen. Wir wollen dir deshalb einen Vorschlag machen.«

»Einen Vorschlag?«

»Trink aus, und hol dann deinen Mantel.«

»Was für einen Vorschlag?«

»Geduld, Grashüpfer, Geduld.«

»Wohin gehen wir?«

»Nicht weit. Auf jeden Fall nicht so weit wie bis zum nächsten Pub. Wir können die Kinder so lange allein lassen. Komm schon, Mädchen. Trink deine Schokolade aus, und setz dann deinen Hintern in Bewegung.«

Noch bevor Kate wusste, wie ihr geschah, zerrte Janie sie auch schon zur Hintertür hinaus.


Es war eine mondlose Nacht und deshalb stockfinster. Alles, was Kate sehen konnte, war der sanfte blaue Kegel von Daves Taschenlampe. Sie stapften schweigend den Kiesweg entlang. Gelegentlich hob Dave die Taschenlampe etwas an, so dass ein Lichtstrahl die Dunkelheit durchbohrte und in der Ferne die gelbweißen Augen der Schafe aufleuchten ließ. Hin und wieder blitzten auch ein paar rote Punkte auf, das waren wohl die Augen eines Fuchskusus, das über die Weide streifte. Das hell erleuchtete niedrige Farmhaus schien von einer Art Heiligenschein umgeben zu sein, der die Nacht erhellte. Im Haus schliefen die Kinder.

Nebel sammelte sich vor ihnen, dämpfte den Strahl der Taschenlampe. Winzige Tröpfchen kondensierten auf Kates Jacke.

»Wohin bringt ihr mich?«, fragte sie.

»Zu unserem Herrn und Meister«, sagte Dave mit Roboterstimme und hielt sich dabei die Taschenlampe mit ihrem bläulichen Licht unter sein Kinn, so dass sich auf seinem Gesicht gespenstische Schatten abzeichneten.

»Halt den Mund, du Idiot«, sagte Janie und gab ihm einen Klaps. »Es ist nicht mehr weit, Webster. Wir sind gleich da.« Sie gingen an einer Reihe alter Pinien vorbei, die als riesige Schatten drohend in der Dunkelheit aufragten.

Schließlich leuchteten im Licht von Daves Taschenlampe die drei Querbalken eines verwitterten, ehemals weißen Zauns auf. Kate folgte mit dem Blick der Linie des Holzes und sah, dass sie vor einem kleinen weißen Häuschen standen. Zwei Fenster auf der Vorderseite, eine Tür in der Mitte und davor eine niedrige Veranda.

»Nach euch, Ladys«, sagte Dave, als er das quietschende Tor aus Maschendraht öffnete. Auf dem Weg zum Haus lagen zahlreiche Schafköttel, die er mit dem Fuß wegstieß. »Okay, der Zaun muss repariert werden. Aber das ist keine große Sache.«

Er steckte einen alten Schlüssel ins Schloss, drückte die verzogene Tür mit der Schulter auf und schaltete dann das Licht an. Eine nackte Glühbirne über der Tür beleuchtete die Veranda und einen schmalen Flur.

»Ta-rah!«, sagte Dave.

»Ta-rah, was?«, frage Kate stirnrunzelnd.

»Willkommen in deinem neuen Zuhause und deinem Büro.«

Kate trat ein. Die Luft war abgestanden, und es stank erbärmlich. Sie betrachtete die schiefen gelben Wände des Flurs. Selbst die Spinnen waren offenbar schon geflüchtet und hatten nur ihre Netze hinterlassen. Eine Wand war mit Vogelkot beschmiert und in einer Ecke lagen ein Haufen von Federn und ein Schädel.

»Das meint ihr doch nicht ernst?«

»Wieso? Es braucht doch nur ein paar Spritzer Farbe«, sagte Janie und führte Kate dann den Flur entlang. Kate warf einen Blick in ein Schlafzimmer, dessen Dielen durch die Trockenfäule an mehreren Stellen gesplittert waren. Sie gingen weiter in ein kaltes Wohnzimmer. Ein uralter Heizofen stand in der Ecke. Kate betrachtete düster die Decke, die unter dem Gewicht des offensichtlich undichten Daches durchhing.

»Nun, ein paar Spritzer Farbe und vielleicht auch ein bisschen Muskelschmalz«, fügte Dave hinzu. »Das hier ist der Traum eines jeden Heimwerkers. Seit wir hier eingezogen sind, bin ich scharf darauf, mich an die Renovierung dieses alten Häuschens zu machen. Ich hatte bisher nur keinen Vorwand, es zu tun.« Er wuschelte Kate durch die Haare, woraufhin sie, immer noch stirnrunzelnd, seine Hand wegschob.

»Traum? Du hast wirklich eine blühende Phantasie, Dave.«

»Sie scheint von unserer Idee nicht gerade begeistert zu sein«, sagte Janie.

»Aber was ist denn mit euch?«, fragte Kate. »Solltet ihr euch nicht erst einmal um euer eigenes Haus kümmern?«

»Du hast Recht«, antwortete Dave. »Aber ich brauche vorher noch ein bisschen Übung. Zuerst die Hundezwinger, dann dieses Häuschen hier, und am Ende kommt das große Haus an die Reihe.« Dave bückte sich und riss eine Ecke des alten, völlig verdreckten Teppichs vom Boden ab. »Schau dir das an. Hölzerne Bodendielen, die müssen nur poliert werden. Und …« Er hob die Hände. Die Decke war so niedrig, dass Dave seine Arme nicht einmal ausstrecken konnte. Er hakte einen Finger in einen mit Schimmel gefleckten Spalt und zog daran. Ein Stück Decke löste sich, und Kate und Janie standen in einer Wolke aus Staub und getrocknetem Gras, das offensichtlich von einem Rattennest stammte.

»Himmel, Dave! Was machst du denn da?«, protestierte Janie.

»Schau!«, sagte er fröhlich. »Geprägtes Blech. Noch original. Einfach klasse.«

»Mmmm … wirklich sehr historisch«, sagte Kate, bürstete einen Strohhalm von ihrer Jacke und schüttelte weiße Farbflocken aus ihren schwarzen Haaren. »Und ein Büro? Gibt es hier vielleicht sogar einen Schrank, der sich dafür eignet?«, neckte sie die beiden und warf dabei einen Blick in die dunkle Küche mit ihren braunen und gelben Schränken.

»Folge mir«, sagte Dave galant. Er öffnete eine Tür, und Kate sah, dass sich auf der Richtung Westen gelegenen Seite des Hauses eine verglaste Veranda befand. Auf dem staubigen Boden lagen unzählige tote Schmeißfliegen, und vor den schmierigen Scheiben hingen an einem Zaundraht die zerfetzten Überreste dessen, was einmal ein Vorhang gewesen war. Ein weiterer toter Vogel und dessen Hinterlassenschaften waren das Einzige, was sich sonst noch in diesem Zimmer befand.

»Na, was sagst du dazu?«, frage Janie. Kates Gesicht war völlig ausdruckslos. »Willst du das Ganze noch einmal überschlafen?«

Kate sah sich noch einmal in dem Raum um, dann wanderte ihr Blick langsam wieder zu Dave und Janie hinüber, die sie gespannt und erwartungsvoll anblickten.

»Ach, Leute!« Sie streckte die Arme aus und drückte die beiden stürmisch an sich. »Seid ihr euch wirklich sicher, dass ihr das für mich tun wollt?«

Als sie das Häuschen verließen, war Kate zugleich von Traurigkeit wie auch von Angst erfüllt. Ihr war bewusst, dass sie sich von ihrem Traum von einem Leben auf Bronty zumindest vorläufig verabschieden musste. Das Häuschen hier war im Grunde die Lösung ihres Problems.

Als sie zum Haus zurückgingen, sagte sie: »Ich bezahle natürlich Miete.«

»Aber nicht viel«, sagte Dave. »Allerdings erwarte ich von dir, dass du mein Bauhilfsarbeiter wirst.«

»Ich bezahle euch auch fürs Babysitten«, erklärte Kate.

»Mach dir deshalb mal keine Sorgen«, sagte Janie.

»Doch. Ich bestehe darauf. Du brauchst dir in Zukunft keine Jogginghosen mehr im Second-Hand-Laden zu kaufen. Ich bezahle dich dafür, dass du auf Nell aufpasst, während ich arbeite. Keine Widerrede. Ich kann es mir leisten.«

Sie spürte mehr, als sie es sah, dass Janie in der Dunkelheit leise vor sich hin lächelte.

»Es wird perfekt«, sagte Janie. »Du wirst schon sehen. Ich kann Nell mit meinen beiden zur Spielgruppe mitnehmen.«

Dave wies sie noch auf einige weitere Vorteile hin, die er bereits zuvor mit Janie in der Küche besprochen hatte.

»Du hast hier alles, was du brauchst, um dich gegen die Angriffe dieser Frau zu wehren. Während du hier wohnst, kannst du in aller Ruhe darüber nachdenken, wie du einen Weg nach Bronty zurückfindest. Außerdem kannst du ja auch von Zeit zu Zeit meiner armen, einsamen Ehefrau ein bisschen Gesellschaft leisten!«

»Daves Mama hört dann vielleicht auch endlich auf, uns ständig damit zu nerven, dass sie noch mehr Enkelkinder haben will. Sie kann ja dann Nell und die Zwillinge betreuen. Das ist perfekt«, sagte Janie.

Kate blieb stehen und sah zum tintenschwarzen Himmel hinauf. Sie seufzte und schluckte ihre Tränen hinunter.

»Wir schaffen das schon«, sagte sie. »Danke, Leute. Ja, ich bin mir sicher, wir schaffen das.«

Janie nahm sie noch einmal in ihre Arme.

»Fang jetzt bloß nicht wieder an zu heulen. Du bist meine allerbeste und älteste Freundin. Ich würde alles für dich tun, und das weißt du auch.«

»Aber deine Hochzeit … Ich bin nicht einmal zu deiner Hochzeit gekommen. Es tut mir so leid.«

»Na, zum Glück bist du nicht gekommen«, sagte Dave. »Du hättest uns doch sowieso nur unseren ganzen Schnaps weggesoffen.«

»Nun, ich war schließlich auch nicht bei dir, als du Nell bekommen hast«, warf Janie ein. »Ich habe eben gesagt, dass ich alles für dich tun würde, aber wir wissen beide, dass das Käse ist. Ich habe es nicht einmal geschafft, mich in ein Flugzeug zu setzen, um dich im Krankenhaus zu besuchen. Also denke ich, dass wir quitt sind.«

»Dann ist zwischen uns also alles wieder in Ordnung?«, fragte Kate.

»Ich denke schon.«

»Und ich denke, dass es verdammt kalt ist«, fügte Dave hinzu. »Jedenfalls friere ich mir hier fast die Eier ab. Gehen wir also nach drinnen und genehmigen uns einen Schlummertrunk.« Alle lachten.