Kapitel 24

Die Abenddämmerung, die sich über die Koppel legte, auf der der Rouseabout B&S-Ball stattfinden würde, brachte tausend Versprechungen mit sich. Schwere V8-Motoren dröhnten, als sich eine lange Schlange von Fahrzeugen langsam auf den Eingang des Festgeländes zubewegte. Laute Countrymusik schallte über das Gelände und kündete davon, dass hier Menschen zusammenkamen, die sich alle gemeinsam mit Bundy betrinken und dabei für einen kräftigen Regen beten würden, der der Dürre ein Ende machen sollte.

Es war aber nicht nur eine Gelegenheit, sich zu amüsieren, die junge Leute zu diesem abgelegenen Flecken Erde in einem öden, windgepeitschten Tal im zentralen Hochland von Tasmanien zog. Es war etwas geradezu Überirdisches. Es gehörte zum Leben hier einfach dazu. Hier, im Schatten der schon vor langer Zeit abgestorbenen großen grauen Eukalyptusbäume, war es für sie alle etwas ganz Besonderes, kein Stadtmensch zu sein.

Der B&S-Ball war eine Erfahrung, die den meisten Menschen versagt blieb. Kate wusste, dass sie eine jener Glücklichen war, die dazugehörten und die auch verstanden, worum es hier eigentlich ging. Sie spürte bereits das Kribbeln der Begeisterung in ihrem Bauch und bekam am ganzen Körper eine Gänsehaut. Sie liebte die Zwanglosigkeit der Menschen, die hier lebten. Die Landjugend, die trotzig, aber auch voller Stolz dem Konsumdenken und der politischen Korrektheit, die neuerdings in Australiens großen Städten Einzug gehalten hatte, einfach die kalte Schulter zeigte. Kate hasste die amerikanische Lebensart, die sich wie ein Krebsgeschwür zunächst in den Vorstädten und dann auch darüber hinaus ausgebreitet hatte, so dass ein Ballungsraum inzwischen genauso aussah wie der andere. Sie liebte die ländliche Kultur über alles.

An diesem Wochenende und auf diesem Gelände würde man mit Sicherheit keine Designerdrogen finden. Hier wurde keine »Duff-duff«-Musik gespielt. Man sah auch keine ausgebeulten Skaterhosen, die so tief saßen, dass man die Poritze sah. Keine Playstations. Stattdessen tranken die jungen Leute hier Bier und trugen robuste Stiefel. Sie redeten, wie ihnen der Schnabel gewachsen war, und man amüsierte sich auf gute alte Art und Weise. Es gab Würstchen und Koteletts, das Ganze in einem luftigen Weißbrot, aus dem rote Tomatensoße sickerte wie Blut aus einer Schusswunde. Das Geld, das das B&S-Komitee einnahm, kam der Gemeinde zugute. Es floss in das örtliche Pflegeheim und das Gesundheitszentrum. Außerdem war Kate sich sicher, dass sie an diesem Wochenende Dinge sehen würde, über die sie sich noch totlachen würde, wenn sie alt und grau war. All das gehörte dazu. Es gehörte zu ihrer Welt der B&S-Bälle.

Kate sah sich um. Überall saßen junge Leute in den Autos. Wenn man den Zeitungen in der Stadt Glauben schenken konnte, dann gab es auf dem Land bald keine Jugendlichen mehr oder zumindest schrumpfte ihre Zahl erheblich. Aber hier waren sie, voller Lebensfreude und absolut zufrieden damit, auf dem Land zu leben. Große Jungs in großen, schwarzen Anzügen mit großen, schwarzen Hüten und großen, braunen Stiefeln. Mit Hemden, die man nicht unbedingt als strahlend weiß bezeichnen konnte. Den Mädchen war das völlig egal. Es kümmerte sie auch nicht die Bohne, dass sie einen kleinen Bierbauch hatten. Sie würden hier mit ihren nicht besonders modischen Kleidern und Frisuren herumstolzieren. Je zerbeulter ihr Pick-up, je rassiger ihre Hunde, je schwieliger ihre Hände, desto toller kamen sie sich vor. Kräftige, gesunde Mädchen vom Lande, die ihre Muskeln spielen ließen und die allesamt ein strahlendes Lächeln auf dem Gesicht hatten.

»We’re from the country and we like it that way«, sang Kate laut vor sich hin und wünschte sich, dass der große Lee Kernaghan diesen Song heute Abend persönlich singen würde. Am meisten aber wünschte sie sich, dass Will heute Abend dabei wäre. Kate beugte sich aus dem Fenster von Daves Pick-up und betrachtete die Blechlawine vor ihnen, eine schier endlose Schlange von verdreckten Fahrzeugen, die sich ins Tal wälzte. Sie roch Alkohol, Staub und reine, ungezügelte Vorfreude. Dieses Wochenende würden sie in ihre Jugend zurückversetzt. Sie drei, jetzt junge Eltern, würden für einen Abend vergessen, dass sie Kinder hatten. Janie, Dave und Kate kehrten noch einmal an den Ort ihrer früheren Schandtaten zurück. Ein Schauer lief Kate über den Rücken. War es Angst? Aufregung? Sie war sich selbst nicht sicher. Sie beugte sich noch weiter aus dem Fenster und spürte den Wind auf ihrem Gesicht, versuchte gierig, alle Eindrücke in sich aufzunehmen.

Vor ihnen schallte der Klang von Bottleneck-Gitarren aus Lautsprechern, die irgendein Witzbold auf die Ladefläche seines Pick-ups gestellt hatte. Die Scheinwerfer der vielen Pick-ups überstrahlten das matte Licht der untergehenden Sonne. Kate machte Dave und Jane auf die vielen verschiedenen Aufkleber auf den Fahrzeugen aufmerksam. Da stand zum Beispiel: »Hilf die Welt ernähren – f*** einen Farmer. « Auf einer Ladeklappe war zu lesen: »Intellektfreie Zone« und auf einer anderen: »Schon dein Pferd – reite einen Cowboy«. Sie sahen halb entsetzt, halb belustigt, wie ein ausgestopfter Red Heeler an ihnen vorbeifuhr, der unnötigerweise auf der Ladefläche eines Hilux angekettet war. Der ausgestopfte Hund saß mit glasigen Augen und in starrer Haltung neben seinem Besitzer, der sich zurückgelehnt und liebevoll den Arm um ihn gelegt hatte.

Ein Pick-up mit einer Gruppe grinsender Jungen drängelte sich vorbei. Einer von ihnen zeigte mit der Bierdose in der Hand auf Kate. Seine Kumpel begannen zu pfeifen und zu johlen, als sie das dunkelhaarige Mädchen in dem hellblauen Kleid sahen, das von einem pinkfarbenen Himmel eingerahmt wurde. Kate hatte sich weit aus dem Fenster gebeugt, um zu sehen, welche Strecke sie bereits zurückgelegt hatten und wie weit es noch war. Ihre nackten Schultern waren sanft gerundet und ihr glänzendes langes Haar wehte im Wind. Ohne sich bewusst zu sein, wie großartig sie aussah, zeigte Kate ihnen den Stinkefinger, woraufhin die Jungen johlten und ihr Kusshände zuwarfen, bevor sie davonrasten.

Sie setzte sich wieder auf die Sitzbank, wo Janie und Dave sich derweil wie ein Liebespaar benahmen. Dave hatte eine Hand zwischen Janies Schenkel geschoben, während Janie auf einer imaginären Gitarre spielte und ihren Kopf verliebt an Daves Schulter lehnte.

Zwischen Kates Füßen rollten leere Bierdosen hin und her, als der Pick-up über einige Schlaglöcher fuhr. Weit unten im Tal, konnte sie jetzt das riesige weiße Rechteck eines Zeltes und die kleinere blaue Fläche eines Sattelanhängers sehen, auf dem heute Abend die Band spielen würde. Klohäuschen flankierten den Platz. Die Reihen von grünen und roten Würfeln sahen aus der Ferne wie Nells Bauklötze aus Plastik aus. Im Zentrum des Platzes stand eine alte Scheune aus Wellblech. Vor der Scheune war ein großer Stapel trockenes Holz, der aus der Entfernung wie ein Haufen grauer Gräten aussah, für ein nächtliches Lagerfeuer aufgeschichtet worden. Überall unten im Tal füllten bereits glänzende Reihen von Fahrzeugen die Koppeln. Die Menschen wanderten wie ein Zug Ameisen von allen Seiten zum Zentrum des Platzes und scharten sich dann um das große Zelt, als wäre es ein riesiges Baiser. Kate lächelte. Sie konnte es gar nicht erwarten, dort unten zu sein. Mitten drin.

»Himmel!«, schrie Dave plötzlich und trat kräftig auf die Bremse, da der Pick-up vor ihnen völlig unerwartet angehalten hatte. Ein lautes Hupen ertönte. Kate blickte gerade noch rechtzeitig auf, um drei Jungen in weißen Hemden, schwarzen Hosen und riesigen Sombreros auf sie zurennen zu sehen. Im Nu sprangen die drei auf die Motorhaube von Daves Pick-up und pressten ihre nackten weißen Hinterteile gegen die Windschutzscheibe. Zu nah, um ein schöner Anblick zu sein.

Janie kreischte, Kate lachte, und Dave schaltete die Scheibenwaschanlage ein, so dass die Hintern der Jungen nass wurden.

»Danke, Arschputzer!«, rief einer von ihnen, bevor sie, die Hosen noch immer auf Halbmast, wieder davonliefen.

»Das sind diese Typen, die sämtliche B&S-Bälle auf dem Festland abklappern und ihre gesamte Kohle dafür ausgeben«, sagte Dave. »Zu uns kommen sie auch immer, jedes Jahr. Erinnert ihr euch noch an die drei? Ich kann nicht glauben, dass sie immer noch nicht genug davon haben!«

»Ja«, sagte Kate. »Ich habe sie auch schon ein paarmal gesehen. Bei Conargo und in der Nähe von Dubbo. Himmel. Wie hießen die doch gleich? Das ist das Problem, wenn man jemanden auf einem B&S kennen lernt. Man ist meistens schon zu betrunken, um sich die Namen merken zu können. Aber ich glaube, die nannten sich die Banditos. Könnt ihr euch erinnern? Johnno, Simmo … und …«

»Blue«, sagte Dave.

»Da war tatsächlich ein Karottenkopf dabei!«, sagte Janie. »Das muss Blue gewesen sein. Jetzt erinnere ich mich. Der Kerl ganz rechts. Aber eigentlich war es nicht sein Kopf, den ich gesehen habe, sondern sein fetter roter Arsch. Nein, tatsächlich war er ziemlich mager … ein magerer, roter, haariger Arsch.«

»So genau hättest du nun auch wieder nicht hinsehen müssen«, protestierte Dave. »Du hättest ja auch die Augen zumachen können!«

»Ach was. Ich könnte von der ganzen verrückten Bande ein Phantombild zeichnen, wenn es nötig wären. Ich bin sehr gut, wenn es ums Beobachten geht. Mir entgeht so gut wie nichts.«

»Du musst es ja ganz schön nötig haben, wenn du deine Augen nicht zumachst, während man dir einen Arsch vors Gesicht hält«, spöttelte Kate.

»Das«, entgegnete Janie trocken, »oder Mutter von Zwillingen sein.«

Nachdenkliches Schweigen breitete sich aus, als sie an ihre Kinder dachten. Sie mussten jetzt schon gebadet und zum Schlafengehen fertig sein. Nell in ihrem Häschenpyjama, Jasmine in ihrem Saddle-Club-Nachthemd und Brendan würde Thomas the Tank Engine tragen. Das war eine völlig andere Welt. Kate schüttelte den Kopf.

»Warum mache ich das hier eigentlich?«, murmelte sie leise vor sich hin. Sie war jetzt Mutter. Plötzlich hatte sie das Gefühl, als hätte sich einfach zu vieles geändert.


In der Scheune scharten sich die jungen Männer in ihren Anzügen wie Pinguine in einer Brutkolonie um die Bar. Ein paar Mädchen in bunten Kleidern standen zwischen ihnen und verliehen der Ansammlung von Schwarz und Weiß etwas Farbe. Kate fielen zwei Mädchen in weißen Satinanzügen im Shania-Twain-Stil auf, die dicht beieinanderstanden. Auf ihren Jacken waren braune Rumflecken zu sehen, und der Boden um ihre weißen Stiefel herum hatte sich bereits in eine suppige Mischung aus Matsch, Dung und Bier verwandelt. Die eklige braune Brühe begann ihre weit ausgestellten Hosenbeine hinaufzukriechen wie die Gezeitenmarke in einer Kläranlage. Aber das war den beiden Mädchen offensichtlich völlig egal. Sie genossen die Aufmerksamkeit, die ihnen zuteilwurde, in vollen Zügen. Sie warfen ihre glänzenden Haare zurück und lachten aufreizend, als die Jungen um sie herumstolzierten. Erst jetzt sah Kate, dass die kleinere der beiden ihre Chefin Lisa war.

Kate begrüßte sie mit einem lauten Freudenschrei und umarmte sie dann begeistert. »Du siehst einfach fantastisch aus! Und verdammt witzig!«, sagte sie.

Lisa, die bereits ziemlich betrunken war, gab ein »oh, oh, oh« im Shania-Stil von sich und machte dabei ein paar Tanzbewegungen.

Auf einem B&S einfach Weiß zu tragen, war an sich schon eine völlig verrückte Idee. Das war nämlich der Sinn des Ganzen. Je schmuddeliger, alberner und verrückter die Mädchen sich gaben, desto größer waren ihre Chancen. Je ruppiger und zerzauster sie aussahen, desto begehrenswerter waren sie in den Augen der Farmerjungen. Die beiden Shanias machten ihre Sache wirklich gut.

»Heute klappt es bestimmt«, sagte Kate, woraufhin Lisas Augen zu glänzen begannen.

»Das hoffe ich auch! Heute Abend reiße ich jemanden auf. Das ist sicher!«

Kate ließ ihren Blick langsam an ihrem hellblauen Kleid hinunterwandern. Zu brav, dachte sie. Aber wunderschön, viel zu schön für einen B&S. Kate wünschte sich noch immer, dass Janie ihr einen Elvis-Jumpsuit genäht hätte. Dann hätte sie sich hinter langen Koteletten und einer riesigen Sonnenbrille verstecken können. Stattdessen kam sie sich jetzt wie Barbie beim Schlammcatchen vor. Wunderschön, aber völlig deplatziert. Sie wollte nicht undankbar sein. Es war einfach nur so, dass sie nicht daran gewöhnt war, ein derart elegantes und eng sitzendes Kleid zu tragen. Aber in einem hatte Janie mit Sicherheit Recht – ihre Kurven kamen in diesem Kleid tatsächlich besonders gut zur Geltung.

Kate sah, wie Janie in Richtung der Bar nickte. Sie winkte Lisa und ihrer Freundin noch kurz zu, als die beiden davontanzten. Die Zeit war reif für einen Drink. Kate schwor sich jedoch, dass sie sich an diesem Abend nicht sinnlos besaufen würde. Sie würde sich selbst beweisen, dass sie sich durchaus amüsieren konnte, ohne sich volllaufen zu lassen.

Dave, Janie und Kate schoben sich durch die Menge. Das Personal hinter der Bar, Leute aus der Gegend, alle in marineblauen King Gee Overalls, rannte hektisch hin und her und versuchte so mit dem ersten Ansturm fertig zu werden. Die auf Böcke gelegten Holzplatten waren bereits mit Bier, Rum und Orangensaft geradezu überschwemmt. Als Kate sich ein Stück nach vorn beugte, spürte sie, wie die Brühe ihr Kleid durchnässte. Sie fühlte sich kalt an ihren Oberschenkeln an und hinterließ große, dunkle Flecken auf dem Stoff. Nun, dachte sie, früher oder später musste das ja passieren.

Einer der Barkeeper beugte sich über die Theke, um Kate und ihre Freunde zu bedienen.

»Razor!«, rief Kate. »Razor Sharp!«

»Miss Webster!« Er lächelte sie strahlend an. Sein kahler Kopf glänzte im Scheinwerferlicht.

»Wie geht’s dir?«, fragte Kate und sah dabei, dass sein Bauch fast die Knöpfe seines Overalls sprengte.

»Verdammt gut! Und dir?«

»Ich fühl mich in diesem Kleid ein bisschen bescheuert, aber sonst ganz gut«, sagte sie, obwohl sie sich alles andere als gut fühlte. Obwohl sie zu diesen Leuten gehörte, fragte sie sich plötzlich, ob sie als allein erziehende Mutter tatsächlich etwas auf einem B&S zu suchen hatte. Würde sie überhaupt jemals wieder die Freiheit spüren, die sie in ihrem Leben vor Nell genossen hatte? Sie strich sich mit der Hand verlegen über die Vorderseite ihres Kleides. Sie wusste, dass ihre Haut unter dem blauen Stoff Dehnungsstreifen von ihrer Schwangerschaft hatte. Zuerst war sie noch jedes Mal schockiert gewesen, wenn sie diese Streifen, die ihr das Aussehen eines tropischen Fisches verliehen, im Spiegel sah. Im Laufe der Monate nach der Entbindung begannen die leuchtend purpurfarbenen Streifen allmählich zu einem matten Braun zu verblassen. Sie fühlte sich jedoch noch immer gebrandmarkt. Auf gewisse Weise für immer verändert. Als Razor die Drinks vor ihnen auf die Theke stellte und ihre Getränkemarken entgegennahm, beugte er sich noch einmal zu ihr herüber.

»Sei nicht albern. Du siehst verdammt gut aus. Hier bist du auf jeden Fall jederzeit willkommen.«

»Danke, sehr freundlich, Sir.« Kate trank einen Schluck. »Wo ist Jonesy? Er macht doch sicher auch gern einen drauf?«

»Er hat oben im Norden einen Job angenommen. Sonst wäre er bestimmt hier und würde dich die ganze Zeit mit seinem Hundeblick anschmachten. Kein Zweifel.«

»Ach Quatsch«, sagte sie. »Den Scheiß kannst du jemand anderem erzählen.« Sie prostete ihm mit ihren gut gefüllten Plastikbechern zu, bevor sie sich in dem dichten Gedränge umdrehte und Dave und Janie ihre Getränke gab.

Am anderen Ende der Scheune, wo sich die Laufroste befanden, plärrte eine Lautsprecheranlage irgendwelche unverständlichen Worte in die Scheune, woraufhin sich eine weitere Menschenmenge zusammendrängte, vier oder fünf Reihen hintereinander. Kate, Janie und Dave schlängelten sich nach vorn, um herauszufinden, was es dort so Interessantes zu sehen gab. Auf einem festen Untergrund aus Pressspanplatten, der mit dicken Matten bedeckt war, stand ein mechanischer Bulle. Kate fühlte sich in eine andere Zeit zurückversetzt, als sie jetzt einen schlanken jungen Cowboy einen wilden Ritt vollführen sah. Er warf eine Hand in die Luft und zog eine Grimasse, als er mit dem, was er zwischen seinen Beinen hatte, höchst unsanft auf dem Rücken des Bullen aufkam. Kate bemerkte, dass Janie sie beobachtete.

»Du traust dich ja doch nicht«, sagte Janie.

»Fang bloß nicht wieder damit an«, sagte Kate und zeigte mit dem Finger auf sie. »Das ist nicht komisch.«

»Nein! Ich meine, du traust dich nicht, auf dem Bullen zu reiten!«

Kate sah ihre Freundin an und bemerkte das neckische Funkeln in ihren Augen. Sie umarmten einander und stießen dann mit ihren Plastikbechern an.

»Worauf trinkt ihr Mädchen denn?«, fragte plötzlich eine Stimme. Kate drehte sich um und sah Aden hinter sich stehen. Obwohl sie es nur ungern zugab, sah er mit seinen stacheligen, gegelten und an den Spitzen blond gefärbten Haaren gar nicht schlecht aus.

»Das wüsstest du wohl gerne?«, fragte Kate.

»Komm schon, Kate …«, sagte Aden. »Ich gehör doch zur Familie. Du kannst es mir also ruhig sagen.«

Kate konnte jedoch nicht anders. Sie verband ihn einfach zu sehr damit, dass sie Will und Bronty verloren hatte. Verband ihn mit der Kluft zwischen ihrem Vater und ihr. Mit Annabelles Eindringen. All das stand ihr plötzlich wieder vor Augen.

Janie sah den Zorn in Kates Gesicht.

»Entschuldige bitte«, sagte Janie zu Aden. »Ich brauche meine Freundin eine Sekunde. Wir sehen uns später. Okay?« Dann raffte sie ihr langes Kleid und zerrte Kate auf die Tanzfläche. Kate versuchte, die Gedanken an Bronty, die Aden in ihr ausgelöst hatte, zu verdrängen. Sie schloss die Augen und versuchte, Wills Bild vor sich heraufzubeschwören. Auf der Stelle hatte sie das Gefühl, als wäre er tatsächlich da, als würde er mit ihnen tanzen. Ein strahlendes Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Plötzlich spürte Kate einen Ruck. Sie sah nach unten und stellte erschrocken fest, dass die Seitennaht ihres Kleids vom Saum bis zu ihrem Oberschenkel aufgerissen war.

»Tolle Arbeit«, schrie sie Janie zu, um die Musik zu übertönen, und zeigte dabei auf ihr nacktes Bein. Janies Augen weiteten sich vor Schreck. Sie schlug beide Hände vor den Mund.

»Oh, mein Gott!«

»Das arme Kleid war meinen Oberschenkeln offensichtlich nicht gewachsen!«

»Warte, ich bring das wieder in Ordnung.« Janie bückte sich und griff nach der anderen Naht. Rrrratsch. Jetzt hatte Kate zwei Schlitze in ihrem Kleid.

»He! Du alte Hexe!«, protestierte Kate und sah auf ihre nackten Beine. Dave verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete amüsiert Kates blasse Beine – sehr blasse Beine jedenfalls im Vergleich zu ihren sonnengebräunten Schultern. Ihre Füße steckten in dicken Socken und Blundstone-Stiefeln.

»Na, du siehst ja wirklich toll aus«, sagte er. »So reißt du heute Abend garantiert niemanden auf.«

»Danke«, sagte Kate tonlos, aber irgendwie gefiel ihr das Kleid so noch besser. Wen kümmerte es auch? Der einzige Mensch, den sie beeindrucken wollte, war heute Abend nicht hier. Sie kippte den Rest ihres Rums runter und warf dann einen Blick auf ihre Uhr. In der nächsten Stunde würde sie keinen Alkohol mehr trinken. Sie musste sich jetzt wirklich etwas zurückhalten.

Als Kate sich umdrehte, sah sie, wie Johnno, Simmo und Blue mit heruntergelassenen Hosen auf sie zukamen. Alle drei trugen bunte Boxershorts mit aufgedruckten Hähnen. Der pummelige Johnno stürzte sich auf Kate und packte sie von hinten. Dann begann er sie herumzuwirbeln. Ihre Füße wurden durch den Schwung nach oben geschleudert, so dass alle Umstehenden rückwärts ausweichen mussten. Simmo hob Janie hoch und begann sie ebenfalls herumzuwirbeln. Der schwächliche Blue versuchte es bei Dave, wobei es ihm jedoch nur gelang, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, so dass beide zu Boden fielen. Während Blue, alle viere von sich gestreckt, wie ein Käfer mit einem Ziegelstein auf dem Bauch unter Dave lag, wurden die Mädchen weiter herumgewirbelt. Kate kreischte, als Simmo immer mehr an Schwung gewann. Gerade als sie glaubte, sich übergeben zu müssen, spürte sie, dass seine Arme sie nicht mehr halten konnte. Er ließ sie los, woraufhin sie völlig unkontrolliert durch die Menge stolperte. Ein blubberndes Lachen kam aus ihrem Mund. Sie streckte die Arme aus, um den unvermeidlichen Aufprall abzumildern, als sie mit dem steifen Revers eines Jackettträgers kollidierte. Als sie aufsah, erstarb das Lächeln auf ihrem Gesicht.

Es war Nick. Er sah sie an und hielt sie reflexartig fest. Sein Gesicht war dabei dem ihren ganz nahe. Um sie herum drehte sich noch immer alles, und für einen Moment waren seine Augen das Einzige, was sie fixieren konnte. Seine großen, wunderbaren blauen Augen mit den langen Wimpern. Während sie sich an seine eisenharten Oberarme klammerte, fand sie langsam ihre Balance wieder.

»Ups«, sagte sie völlig verwirrt. Hatte Dave nicht gesagt, dass Nick nicht kommen würde? So ein verlogener Mistkerl! »Äh, entschuldige, Nick«, sagte sie verlegen.

Bevor Nick etwas antworten konnte, stürzten sich die B&S-Banditos wieder ins Getümmel. Kate wurde erneut gegen Nick geschleudert. Sie spürte, wie die Menge hinter ihr schob und zerrte und sie dabei gegen Nicks breite Brust drückte. Er hielt sie noch immer in seinen kräftigen Armen. Während sie, ihre Wange an Nicks Brust gepresst, einfach nur dastand, konnte sie durch eine Lücke in dem wilden Durcheinander von auf und ab hüpfenden Leibern einen Blick auf Felicity erhaschen. Sie stand in einem silbernen Kleid allein am Rande der tobenden Meute. Die Arme hatte sie um ihren Körper geschlungen. Auf ihrem Gesicht lag ein verdrießlicher Ausdruck, so als hätte sie den Geruch von verdorbenem Fleisch in der Nase. Sie sah nicht besonders glücklich aus, dachte Kate.

Endlich legte sich der Tumult wieder etwas, und Kate trat einen Schritt von Nick zurück. Ihr war bewusst, dass Felicitys eisiger Blick auf ihr lag. Auch mit etwas Abstand nahm sie noch immer Nicks wunderbaren sauberen Geruch wahr. Sie war von seiner Berührung wie elektrisiert.

»Ich dachte, du wolltest nicht kommen«, sagte sie atemlos. Er nahm ihre Hand und hielt sie einen Moment lang fest.

»Ich war mir bei dir auch nicht sicher. Aber ich habe gehofft, dass du da wärst.«

Kate hörte seine Worte und wagte kaum, sie zu glauben. Diese paar Worte sagten ihr, dass sich seine Gefühle ihr gegenüber nicht geändert hatten, obwohl sie ihm von Nell erzählt hatte, und dies wiederum verwirrte sie völlig. Felicity stand nur ein paar Meter von ihnen entfernt und starrte sie böse an. War es möglich, dass Nick sie beide hinhielt? Spielte er nur mit ihnen? Aber noch bevor sie etwas sagen konnte, waren plötzlich die B&S-Banditos wieder da.

»Niiiick!«, hörte Kate Simmo laut rufen.

»Niiick … Kumpel!«, brüllte jetzt auch Johnno. Auch Blue, der heftig atmete, nachdem es ihm endlich gelungen war, sich von Dave zu befreien, rief jetzt: »Hey, Nick!«

»Hallo«, sagte Nick. »Wir haben uns eine Ewigkeit nicht gesehen.«

»Ja«, sagt Johnno. »Damals hast du gerade deinen Pass bekommen, und sie haben uns auf diesen Wollkurs geschickt. Wann war das noch? Schon ein paar Jahre her, oder? Wie man hört, bist du inzwischen sogar schon verlobt.«

Simmo sah Felicity mit einem anzüglichen Grinsen an, nahm ihre Hand und begutachtete mit seinen Schweinchenaugen den Ring, den sie am Finger trug.

»Hübsches Steinchen.« Simmo zupfte am Träger von Felicitys Kleid herum. Der Träger rutschte ihr von der Schulter. »Hoppala«, sagte er und beäugte sie dabei mit gierigem Blick. Die B&S-Banditos hatten sie jetzt in die Zange genommen. Mädchen in mädchenhaften Kleidern waren für Jungs wie sie immer ein lohnendes Ziel, selbst wenn es sich dabei um die Verlobte eines Kumpels handelte.

»Reiß dich zusammen, Simmo«, knurrte Nick, als würde er einen widerspenstigen Schäferhund zur Ordnung rufen.

»Ja«, fügte Felicity hinzu. »Beruhigt euch, Jungs. Und lasst die Finger von Dingen, die ihr euch sowieso nicht leisten könnt.«

»Sieht aber gar nicht teuer aus«, sagte Blue. »Woraus besteht er? Aus Alufolie?« Felicity lächelte kühl, aber Kate war nicht entgangen, dass Felicity bei diesen Worten zusammengezuckt war. »Frierst du dir in diesem Fetzen nicht die Titten ab?«, fuhr Blue fort.

»Ich habe ja Nick, der mich wärmt.« Sie legte den Arm besitzergreifend um ihn und sah Kate dabei in die Augen. Nick starrte zu Boden.

»Jedenfalls wenn sie Titten hätte, die sie sich abfrieren könnte«, spöttelte Simmo. »Nicht wie Pammy A. und die junge Dolly P. hier …« Simmo legte die Arme um Kates und Janies Nacken und wandte sich dann Kate zu, um seine Nase in ihrem Dekolleté zu vergraben.

»Nimm deinen Rüssel aus meinem Ausschnitt«, sagte Kate und schob ihn weg.

»Bist du dir sicher, dass deine kleine Lady hier keine Würmer oder so was hat, Nicko, Kumpel? Sie sieht so aus, als könnte sie einen Schuss Valbazen und eine bessere Weide gebrauchen.«

»Verpiss dich, Simmo«, sagte Nick und legte seinen Arm dabei schützend um Felicitys Taille.

»Du hast vielleicht feine Freunde«, sagte Felicity und sah ihn stirnrunzelnd an. Nun wussten die Jungen, dass es ihnen gelungen war, sie zu ärgern. Also machten sie weiter. Simmo zog sein Hemd hoch und begann sich mit der Hand seinen Bierbauch zu reiben.

»He, Nick«, sagte Johnno, bückte sich und versuchte Felicity unter das Kleid zu sehen. »Du solltest deine Tiere auf Wollzotteln überprüfen. Das ist ein sicheres Zeichen für Würmer.«

»Ja«, mischte sich jetzt auch Blue ein. »Pass auf, ob sie ihren Hintern an den Zaunpfosten scheuern. Du weißt schon, wenn’s juckt …«

Blue begann sein Hinterteil an Felicity zu reiben, bis Nick ihn am Schlafittchen packte.

»Nimm deinen Arsch von ihr«, sagte Nick. »Es reicht jetzt.« Nicks strenger Ton ernüchterte die Jungen vorübergehend.

»Ja«, fügte Kate hinzu. »Entspannt euch, Jungs.« Sie wandte sich an Felicity. »Ignorier sie einfach. Das sind Idioten. Auf einem B&S musst du mit solchen Blödmännern einfach rechnen.«

Felicity warf ihr einen eisigen Blick zu, hob stolz den Kopf und wandte sich an Nick. »Ich gehe zum Pick-up zurück.«

»Uuuuuuuh!«, gröhlen die Banditos im Chor.

Nick sah Kate wieder an. Seine Wangen waren knallrot. Sie versuchte die Mischung aus Belustigung und Bestürzung, die sie empfand, vor ihm zu verbergen.

»Ich komme mit«, sagte Nick.

»Nicht nötig«, meinte Felicity barsch. »Tu dir keinen Zwang an, und bleib bei deinesgleichen.«

Sie lächelte sie alle frostig an, dann drehte sie sich um und stolzierte davon.

»Ich …«, begann Nick und zeigte auf Felicity. »Ich denke, es ist besser, wenn ich …« Er warf Kate einen entschuldigenden Blick zu. »Tut mir leid«, sagte er. »Ich komme später wieder.«

Kate sah zu, wie sein breiter Rücken in der Menge verschwand und empfand dabei gleichzeitig Freude, Verwirrung, Enttäuschung und Eifersucht. Was ging hier vor?

Sie hatte jedoch keine Zeit, um in Gedanken bei Nick zu verweilen, da in ebendiesem Moment die Band zum Leben erwachte. Der Schlagzeuger schlug seine Trommelstöcke zusammen. One, two, three, dann begann er wie wild sein Schlagzeug zu bearbeiten. Die Menge stieß einen Jubelschrei aus, woraufhin auch der Gitarrist mit voller Lautstärke loslegte.

»Chisel! Sie spielen Chisel!«, rief Simmo. »Bandito Johnno! Bandito Blue! Kommt, Amigos!« Sie stürzten sich in die tanzende Menge.

»Ich kann einfach nicht glauben, dass ich ihn früher einmal scharf fand«, sagte Janie, als sie Johnno dabei zusah, wie er zur Musik wild auf und ab hüpfte. »Was für ein Penner.« Sie lächelte Dave an. »Ich bin mir sicher, dass ich damals die richtige Entscheidung getroffen habe!«

Dave klemmte sich Janie und Kate einfach unter die Arme und trug sie dann mitten ins Getümmel, wo die Leute so ausgelassen tanzten, dass die ganze Scheune bebte. Beim Tanzen musste Kate immer wieder an das denken, was Nick vorhin zu ihr gesagt hatte. Ich hatte gehofft, dass du da wärst. Sie hielt zwischen den auf und ab wogenden Köpfen der Tänzer ständig nach ihm Ausschau, konnte ihn jedoch nirgendwo entdecken.