Kapitel 27

Kates völlig verdreckte Kleidung lag im Badezimmer auf dem Fußboden. Der Gestank von Schafdung und schalem Alkohol stieg daraus auf und vermischte sich mit dem Dampf, der den winzigen Raum erfüllte. In der engen Duschkabine schüttete sich Kate einen großen, silbrigen Klecks Shampoo in die Handfläche und begann ihr Haar einzuschäumen. Sie wollte nichts anderes, als so schnell wie möglich wieder sauber werden und ins Bett kommen. Die Emotionen, die sich in ihr angestaut hatten, Verwirrung und Angst, hatten sie vollkommen ausgelaugt. Sie hatte nichts von Nick gehört. Sie hing vollkommen in der Luft, nicht nur, was Lance McDonnell anging, sondern auch in Bezug auf seinen Sohn. Nicks schmutziger Schlafsack lag auf der Veranda, kaum geschützt vor dem Sprühregen, der mit der Zeit alles durchnässte. Kate wollte Nicks Schlafsack-Inlett waschen, trocknen und dann ordentlich zusammenlegen. Das steife, grüne Segeltuch des Schlafsacks abbürsten, wenn der Dreck darauf erst einmal getrocknet war. Die Isomatte in der Sonne lüften, wenn diese wieder schien. Sie konnte es gar nicht erwarten, all das zu tun. Sie wäre Nick nahe, wenn sie seine Sachen berührte.

Nachdem sie aus der Dusche gestiegen war und ihren weißen Bademantel angezogen hatte, ging sie zum Fenster, rieb die beschlagene Scheibe frei und warf einen Blick nach draußen. Sie sah, dass die Hunde in ihren Hütten Schutz gesucht hatten. Nur BH stand draußen im Regen. Ihr Fell war völlig durchnässt, ihr trächtiger Bauch hing schwer nach unten. In ihren Augen lag die blanke Panik. Sie hechelte, rannte in ihre Hütte, kam wieder heraus, kratzte mit ihren Pfoten am Holz. Drehte sich wie wild im Kreis und versuchte nach ihrem Bauch zu schnappen.

Kate stöhnte leise auf. BH bekam ihre Jungen! Jetzt! Sie war schon längst überfällig, aber warum musste es ausgerechnet jetzt sein? Kate verließ das feuchtwarme Badezimmer, zog ihre Gummistiefel an und ging im Bademantel in den Regen hinaus. Sie holte BH aus dem Zwinger und ging mit ihr ins Haus, wo ihre Pfoten eine nasse, schlammige Spur im Flur hinterließen. In der Waschküche neben ihrem Büro legte Kate dann den Boden mit Zeitungspapier aus und stellte einen Karton mit Streu und eine Schüssel mit Wasser in die Ecke. Dann rief sie BH herein. Die Hündin sah sie an und winselte leise.

»Ich weiß, wie das ist«, sagte Kate. »Armes Mädchen. Ich komme bald wieder und sehe nach dir.« Sie zog die Tür hinter sich zu, denn sie wusste, dass es am besten war, wenn sie BH erst einmal in Ruhe ließ, damit die Hündin Zeit hatte, sich auf ihre neue Umgebung einzustellen.

Dann stand Kate fröstelnd im kalten Wohnzimmer und hätte am liebsten geheult. Die Geburt von BHs Welpen war schon wieder etwas, was sie an Nick erinnerte. Eine weitere Verbindung zu ihm, dachte Kate. Noch ein Grund mehr, um ihn anzurufen und ihn zu fragen, wie es ihm ging. Um sich nach seinem Vater zu erkundigen. Sie wünschte sich so sehr, in der Euphorie der frischen Liebe zu schwelgen, aber dieses Gefühl wollte sich einfach nicht einstellen. Stattdessen war sie krank vor Sorge. Wegen Nick. Seinem Vater. Wegen Nell, wegen der Zukunft. Was war mit ihrer Beziehung zu Nick? Und welche Rolle spielte Felicity bei all dem? War es zwischen den beiden wirklich aus?

Kate räumte Nells Spielzeug auf und bückte sich dann, um den Holzofen anzuheizen. Der köstliche Geruch des gerade entzündeten Streichholzes stieg ihr in die Nase, als sie sich auf den Teppich vor den Ofen kniete, mit nassen Haaren und sauberem rosigem Gesicht. Sie starrte in die Flammen, die jetzt altes Zeitungspapier, Zweige, Tannenzapfen, zusammengeknüllte alte Papiertaschentücher und unzählige tote Schmeißfliegen verzehrten. Ein wärmendes Feuer an einem kalten Sommertag in Tasmanien. Kate bedauerte es, dass Nell nicht da war, um sich mit ihr zusammen auf die Couch zu kuscheln. Gleichzeitig aber war sie unendlich erleichtert darüber, dass ihre einzige Aufgabe heute darin bestand, bei einem Kelpie Hebamme zu spielen, und sie sich erst am morgigen Tag wieder ihren Mutterpflichten widmen musste. Janies Mutter hatte angeboten, Nell eine weitere Nacht bei sich zu behalten. Es war schön, ins Bett gehen zu können, anstatt Nell zuerst noch gedämpftes Gemüse und Fischstäbchen auftischen zu müssen. Oder das gesamte abendliche Programm abspulen zu müssen, das darin bestand, Nell zu baden, ihr Windel und Pyjama anzuziehen, etwas zu trinken zu bringen, Zähne zu putzen und sie ins Bett zu stecken.

Der Anrufbeantworter blinkte. Kate wusste, dass sie darauf mehrere Nachrichten vorfinden würde. Einige davon wären geschäftlicher Natur, aber mindestens eine stammte sicher auch von ihrem Vater. Er hatte in den vergangenen zwei Wochen mehrmals auf ihren Anrufbeantworter gesprochen. Aber sobald Kate seine Stimme gehört hatte – dieses verlegene Räuspern und die Tatsache, dass er ihren Namen aussprach, als wäre es eine Frage –, hatte sie die Nachricht jedes Mal sofort gelöscht. Als könnte sie, wenn sie seine Stimme löschte, auch den Schmerz auslöschen, den er ihr zugefügt hatte.

Kate schürte das Feuer und legte noch einmal Holz nach, bevor sie die Tür des Ofens schloss. Sie ging in die Waschküche, um nach BH zu sehen und stellte fest, dass ihre Hündin gerade eifrig damit beschäftigt war, sich so etwas wie ein Nest zu bauen, insgesamt aber wesentlich ruhiger wirkte. Dann ging Kate in ihr Schlafzimmer. Sie kuschelte sich unter die Bettdecke und lauschte dem Tommeln des Regens auf dem Blechdach ihres Häuschens. Sie schloss die Augen und beschwor das Bild von Nick herauf, wie er in seinem Schlafsack lag und friedlich schlief. Dann glitt Kate in der Stille dieses grauen Nachmittags in ihre Träume hinüber.


Scheinwerfer huschten über die Wände von Kates Schlafzimmer, und das tiefe Brummen eines starken Dieselmotors ließ die Hunde anschlagen. Aus dem Schlaf gerissen, setzte Kate sich erschrocken in ihrem Bett auf. Ein Blick auf die Leuchtzeiger ihrer Uhr sagte ihr, dass es kurz nach ein Uhr nachts war. Sie zog ihren Bademantel an und ging zum Fenster, um den Vorhang ein Stück zur Seite zu schieben und zu sehen, was da draußen vor sich ging. Durch den Regenschleier erkannte sie Nicks Pick-up. Sie hielt den Atem an. Er hier, jetzt?

Sie sah zu, wie eine dunkle Gestalt aus dem Wagen stieg und auf ihr Häuschen zurannte. Als Kate den Vorhang losließ, sprang er gerade über das niedrige Gartentor.

Sie öffnete die Eingangstür, noch bevor er Gelegenheit hatte anzuklopfen. Da stand er, einen gepeinigten Ausdruck auf seinem Gesicht, seine Haare nass vom Regen. Sie zog ihn nach drinnen und nahm ihn in ihre Arme. Er roch nach feuchter Kleidung und nach Krankenhaus. Kate nahm seine Hand und führte ihn ins Wohnzimmer, wo sie sich mit ihm auf die Couch setzte. Er starrte schweigend in die glühenden Reste des Feuers. Kate saß aufrecht neben ihm und hatte sich ihm zugewandt. Ihre Hand lag dabei sanft auf seinem Rücken, während sie sich mit der anderen den Bademantel vor der Brust zuhielt. Sie sah die Anspannung in Nicks Gesicht, sah dass sein Unterkiefer völlig verkrampft war, sah das Auf und Ab seines Adamsapfels. Sie drehte sein Gesicht sanft zu sich herum und forschte in seinen Augen.

»Dieser Idiot«, brach es schließlich aus ihm heraus. »Hat seine verdammten Pillen verwechselt.« Sein Gesicht zuckte, als er seine Augen mit dem Unterarm bedeckte und krampfhaft versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Kate zog ihn näher zu sich heran. Sie fragte sich unwillkürlich, ob Lance das mit Absicht getan hatte. Hatte er bewusst eine Überdosis genommen? Das war durchaus möglich. Ein landwirtschaftlicher Familienbetrieb, der wegen der Dürre kurz vor dem Ruin stand. Die ständigen Schmerzen. Ein Verstand, der sich allen vernünftigen Vorschlägen verschloss. Die Unfähigkeit zu akzeptieren, dass sich das Leben entscheidend verändert hatte. Ein großer Mann. Vernichtet. Kate musste jetzt daran denken, wie er an jenem Tag, an dem sie die Farm besucht hatte, aufgelebt war. Wenn es ihr und Lisa doch nur gelungen wäre, ihm klarzumachen, dass es sowohl für ihn als auch für die Farm noch Hoffnung gab. Sie wartete, dass Nick wieder etwas sagte. Er faltete die Hände. Sie spürte, dass er heftig zitterte. Vor Kälte, vor Müdigkeit und wahrscheinlich auch wegen des Schocks.

»Meine Mutter hat gesagt, dass es während der Fahrt ins Krankenhaus die ganze Zeit geregnet hat. Aber da war dieser dämliche Idiot schon bewusstlos und hat nichts davon mitbekommen.«

»Wie geht es ihm?«

Nick zuckte mit den Schultern. »Er ist noch nicht bei Bewusstsein. Die Ärzte können erst in ein paar Tagen mit Sicherheit sagen, ob sein Gehirn geschädigt ist.«

Kate begann Nick leicht über den Rücken zu streichen.

»Solltest du jetzt nicht bei ihm sein? Bei deiner Mutter?«

Nick drehte sich zu ihr um und sah sie an. Er beantwortete ihre Frage mit einem Kuss. Kate spürte die Leidenschaft, die in diesem Kuss lag. Kurz darauf hatte er ihr auch schon den Bademantel ausgezogen und ließ seine Hände über ihren Körper gleiten. Im warmen Lichtschein des Feuers schwang Kate ein Bein über ihn und setzte sich ihm zugewandt auf seinen Schoß. Sie knöpfte sein Hemd auf und schob den Stoff zur Seite, so dass er ihre Haut auf der seinen fühlen konnte. Küsse, Berührungen, Seufzen, Verlangen. Ihre Brüste, die auf seiner warmen Brust lagen. Ihre forschenden Finger, die seinen Gürtel öffneten, den Knopf seiner Jeans, dann den Reißverschluss. Sie sahen einander tief in die Augen, als er in seiner Brieftasche nach einem Kondom suchte. Nick lächelte und begann sie wieder zu küssen, als sie sich jetzt langsam auf ihn setzte. Sie stöhnte genussvoll. Sie wollte ihm so nah wie möglich sein. Während sie sich zu bewegen begann, spürte sie den Rhythmus ihrer Liebe, schnell und fieberhaft. Entfesselte Frustrationen. Sinnliches Verlangen, das sie miteinander verschmelzen ließ.

Als sie beide gleichzeitig zum Höhepunkt kamen, peitschte eine Windböe den Regen gegen das Fenster. Kate legte, heftig atmend, ihren Kopf auf seine Schulter. Nick zog ihr den Bademantel über die Schultern. Er hielt sie fest, küsste ihren Scheitel und streichelte ihr langes, dunkles Haar, während draußen der Regen herabprasselte.


Als Kate kurz vor dem Morgengrauen erwachte, lag sie nackt mit Nick zusammen auf ihrem zerwühlten Bett. Ihr wurde vor Freude ganz schwindelig. Freude darüber, dass Nick bei ihr war. Sie hörte, dass es noch immer regnete. Sie drehte sich zu Nick um, strich mit ihren Fingern ganz leicht über seinen Nacken und küsste ihn dann zärtlich. Dann begann sie sich küssend langsam bis zu der weichen Haut über seinen Hüften hinunterzuarbeiten. Kate spürte, wie er sich regte und hörte ihn leise stöhnen. Ein verschlafenes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Er zog sie an sich, um sie zu küssen, und legte sich dann auf sie. Kate spürte das wundervolle Gefühl von Haut, die Haut berührte. Ihren Rücken in die Kissen gepresst, schloss sie die Augen, als sie sich wieder langsam zu lieben begannen. Während Kate ihn so tief in sich aufnahm, wie sie konnte, wusste sie, dass sie diesen Mann wirklich liebte.

Danach hielt Nick sie in den Armen, während Kate dalag und aus dem Fenster sah. Es hatte inzwischen aufgehört zu regnen, und die aufgehende Sonne enthüllte eine frisch gewässerte Welt. Die Weiden glänzten nass und versprachen neues Wachstum und neues Leben.

Als Nick sich auf seinen Ellbogen stützte, rollte Kate sich zu ihm herum und sah ihn an. Er strich ihr lächelnd die Haare aus dem Gesicht.

»Guten Morgen«, sagte er. »Wie geht es dir?«

»Ich bin glücklich, aber auch ein wenig traurig. Wie geht es dir?«

»Ganz genauso.« Er küsste sie sanft. »Es tut mir leid, aber ich muss gleich gehen. Ich muss in die Stadt zurück. Ins Krankenhaus.«

»Ich weiß. Kann ich noch irgendetwas für dich tun?«

Nick schüttelte den Kopf.

»Bevor du gehst habe ich noch eine Überraschung für dich«, sagte Kate.

»Ach ja?«, sagte Nick flirtend und ließ seine Hand dabei über ihren Körper wandern.

»Nein, nicht diese Art von Überraschung. Schau mal in die Waschküche neben meinem Büro.«

Am Morgen war Kate, während Nick noch geschlafen hatte, aus dem Bett geschlüpft, um noch einmal nach BH zu sehen. Als sie die Tür zur Waschküche geöffnet hatte, war BH gerade dabei, fünf glänzende schwarzgelbe Welpen mit ihrer Zunge zu säubern. Die Geburt war offenbar völlig problemlos und sehr schnell vonstattengegangen. Allerdings war deutlich zu merken, dass BH als Mutter noch ein wenig die Erfahrung fehlte, denn sie hatte sich versehentlich auf ihre Jungen gelegt, so dass sie wie kleine Vögel gequietscht hatten. Die Verwirrung darüber war in BHs kleinem, rotgelbem Gesicht unübersehbar gewesen. Ihr Blick war langsam von ihrem Hinterteil zu den Welpen und dann zu Kate gewandert. Schließlich hatte sie Kate mit schief gelegtem Kopf fragend angesehen. Dann hatte sie sich wieder ihren zappelnden, strampelnden Jungen zugewandt, die sich jetzt an ihrem Gesäuge drängten. Ganz offensichtlich war sie über das, was da gerade geschah, ziemlich überrascht gewesen.

Nick stützte sich wieder auf seinen Ellbogen.

»Die Überraschung sind doch nicht etwa die Welpen, oder?«

Kate nickte.

»BH hat heute Nacht geworfen. Fünf Junge. Drei Rüden und zwei Mädchen.«

»Fantastisch!« Nick nahm Kates Gesicht in beide Hände und gab ihr einen Kuss. »Unser zweites gemeinsames Projekt!« Kate lächelte angesichts seiner Anspielung auf Nell.

»Wie geht es BH?«, fragte er. »Sie ist noch ein bisschen jung, um Mutter zu sein.«

Kate lachte leise.

»Es geht ihr gut. Sie ist wohl noch ein bisschen mitgenommen, aber da kann ich ihr ein paar gute Tipps geben.«

»Du hättest dir keinen besseren Nachwuchs wünschen können«, sagte er mit einem Augenzwinkern.

»Ja, das ist wirklich eine verdammt gute Mischung«, sagte Kate.

Nick beugte sich nach vorn, um sie noch einmal zu küssen. Diesmal verführerisch.

»Wollen wir gemeinsam duschen?«

»Das wäre schön. Aber meine Dusche ist zu klein für uns zwei. Ich muss also warten.« Sie betrachtete seinen geschmeidigen, perfekten Körper, als er sich vom Bett erhob und zur Tür ging. Bevor er in den Flur hinaustrat, drehte er sich noch einmal um und sah, dass sie ihn anstarrte.

»Was gibt es denn da so Interessantes zu sehen?«, fragte er.

»Eine ganze Menge«, sagte Kate. »Du bist ganz schön gewachsen. «

»Sehr komisch«, sagte er, bevor er in die Waschküche verschwand. Kate rollte sich im Bett herum und lächelte, als sie hörte, wie Nick mit BH redete. Dann hörte sie die alten Rohrleitungen scheppern und das Wasser aus dem altersschwachen Duschkopf plätschern. Auch wenn Nick es nicht gesagt hatte, so wusste Kate dennoch, dass er Felicity in der Stadt sehen würde. Sie würde als Krankenschwester alle Hebel in Bewegung setzen, dass es Nicks Vater an nichts fehlen würde. Sie würde Alice Mut zusprechen und Nick trösten. Obwohl Kate glücklich war, spürte sie doch plötzlich Eifersucht und Misstrauen in sich aufkeimen. Sollte sie Nick darauf ansprechen? Dann wurde ihr bewusst, wie selbstsüchtig das wäre. Dies war weder die richtige Zeit noch der richtige Ort für ihre Zweifel. Kate drehte sich wieder um, zog die Knie an die Brust und schlang ihre Arme darum.

Erst jetzt fiel ihr Blick auf den Wecker.

»Mist«, entfuhr es ihr. Es war schon acht Uhr! Janies Mutter wollte Nell um halb acht bei Janie abgeben. Kate sprang aus dem Bett und warf sich ihren Bademantel über. In diesem Moment klopfte es auch schon an der Haustür, und Nells helle Stimme war zu hören.

Kate öffnete die Tür. Vor ihr stand Janie, mit rotem Kopf, abgehetzt und offensichtlich sehr in Eile. Sie ließ Nells Taschen mit einem dumpfen Geräusch auf die Veranda fallen und schob Nell dann sanft auf ihre Mutter zu.

»Es tut mir wirklich leid, Janie«, sagte Kate flehend. Janie schnaufte heftig.

»Nein. Das braucht es nicht. Es war dumm von mir, an einem Montag nach einem B&S in aller Herrgottsfrühe einen Termin zu vereinbaren. «

Kate spürte, dass Nell sich an ihr Bein klammerte.

»Hallo, mein Schatz«, sagte sie zu Nell und bückte sich zu ihr hinunter, um ihr rasch einen Kuss zu geben und sie kurz in die Arme zu nehmen. »Du hast mir gefehlt.« Sie fuhr ihr mit der Hand über den blonden Kopf und strich ihre weichen Haare glatt. Kate sah, dass die Zwillinge, die bereits in ihren Kindersitzen im Geländewagen saßen, sie beobachteten. »Lieber Gott, Janie. Es tut mir so leid. Jetzt kommst du meinetwegen zu spät!«

Janie winkte ab. »Ich zahle dir das eines Tages alles heim. Nach diesem Wochenende läuft es bei Dave und mir wieder richtig gut. Wir sind wieder ineinander verliebt. Ist das nicht toll! Du kannst dafür ja nächste Woche auf die Zwillinge aufpassen. Wir wollen nämlich wieder einmal essen gehen.« Sie reckte den Hals und sah an Kate vorbei in den Flur. »Da wir gerade von Liebe sprechen. Gehe ich recht in der Annahme, dass du Besuch hast?«

Kate konnte das strahlende Lächeln, das unwillkürlich auf ihrem Gesicht erschien, nicht mehr unterdrücken.

»Er hat nur jemanden zum Reden gebraucht. Über alles Mögliche. In letzter Zeit ist einiges bei ihm los.« Kate verschränkte die Arme vor der Brust und runzelte die Stirn, während sie versuchte, ernst zu bleiben.

»Wie geht es seinem Dad?«

»Das kann man noch nicht sagen. Er liegt noch im Koma. Es hieß aber, dass sein Zustand stabil ist.«

»Und was ist mit Felicity?«, fragte Janie flüsternd.

»Ist vorbei. Glaube ich. Hoffe ich.«

Janie warf Kate einen warnenden Blick zu, dann sah sie auf ihre Uhr. »Also, ich muss jetzt wirklich los. Wir kommen ohnehin schon zu spät.«

»Tut mir leid«, sagte Kate noch einmal. Dann sah sie Janie nach, die den Weg entlangrannte, in ihren Geländewagen sprang und mit heulendem Motor davonfuhr. Kate drehte sich um und wollte Nell hochheben, aber ihre Tochter war bereits im Haus verschwunden. Sie hatte dabei im Flur eine deutlich sichtbare Spur aus Mantel, Hut und Gummistiefeln hinterlassen.

Kate fand sie im Wohnzimmer. Nick saß, frisch geduscht und angezogen, neben ihr auf der Couch. Sie hatte sich eng an ihn geschmiegt und zeigte ihm gerade ihr Lieblingsbuch Wo ist das grüne Schaf? Kate sah, dass Nick Nells Gesicht betrachtete. Tränen standen in seinen Augen. Er legte seine Hand auf ihren Scheitel und nickte, während er aufmerksam ihrem Geplapper zuhörte.

»Mondschaf. Sternenschaf«, erklärte Nell gerade.

Nick blickte auf, sah Kate und lächelte sie mit feierlichem Ernst an. Er hatte wochenlang versucht, seine enge Verbindung zu den beiden Menschen in diesem Zimmer zu leugnen. Als er jetzt jedoch die Wärme spürte, die Nell ausstrahlte, konnte er die Liebe, die er ganz plötzlich zu ihr empfand, nicht mehr ignorieren. Und das schockierte ihn. Gleichzeitig aber wärmte es sein Herz. Er hatte eine Tochter. Das hier war seine Tochter.

»Lustiges Schaf«, sagte er, beugte sich zu ihr hinunter und stupste sie an, während ein warmes Lächeln auf seinem Gesicht lag. Sie stupste zurück, rümpfte dabei die Nase und blätterte weiter. Die Tage, die sie gemeinsam bei der Schafschur auf Bronty verbracht hatten, hatten einen Grundstein für ihre Beziehung gelegt. Jetzt wollte Nick unbedingt mehr von diesem kleinen Mädchen erfahren. Er war bereit, diese neue, ungewöhnliche Situation zu akzeptieren, die sein Leben so plötzlich völlig verändert hatte. Er sah Kate wieder an und zwinkerte ihr zu. Sie wäre angesichts der Bedeutung, die hinter dieser Geste lag, fast dahingeschmolzen.

»Bleibst du noch zum Frühstück?«, fragte Kate.

Nick schüttelte den Kopf.

»Ich kann nicht. Tut mir wirklich leid. Ich muss so schnell wie möglich zurück. Meine Mutter braucht mich.« Er stand auf, erklärte Nell freundlich, dass er leider gehen müsse, dass er aber bald wieder käme, um mit ihr zusammen das Buch anzusehen.

Dann ging er zu Kate hinüber, ergriff ihre beiden Hände und gab ihr einen züchtigen Kuss auf die Wange, weil er vor Nell seine leidenschaftlichen Gefühle nicht zeigen wollte.

»Danke«, sagte er. »Wir sehen uns dann in ein paar Tagen.«

Kate nickte.

»Ich will auch einen Kuss!«, rief Nell.

Nick nahm sie in die Arme, hob sie hoch und drückte sie eine Weile an sich. Als er Nell dann einen dicken Schmatz gab und sie wieder absetzte, konnte Kate sehen, dass hinter seiner ernsten Miene die Emotionen hohe Wellen schlugen. Er gab Kate noch einen Abschiedskuss, dann war er auch schon fort.