Kapitel 19

Ein paar Wochen später stand Kate neben ihrem Pick-up auf dem Ausstellungsgelände von Campbell Town und beobachtete die Männer an den Toren, die sich neben einer glänzenden Verbrennungsanlage drängten. Der Zylinder rauchte und spuckte orangefarbene Funken in den weißen Nebel. Die Männer schoben ihre Hände unter die Achseln, um sie zu wärmen, und warteten darauf, dass die Sonne endlich durch den Morgennebel brach.

Ein Stück unterhalb von Kate fuhren schwere Geländewagen mit Pferdeanhängern zu dem noch tiefer gelegenen, ovalen Platz. Dann führten die Wettbewerbsteilnehmer ihre in Decken gehüllten und bandagierten Pferde klappernd die breiten Transporterrampen hinunter. Kate dachte an Matilda und Paterson, die sie bei Janie untergestellt hatte. Sie hatten keine Decken, waren ungestriegelt, aber sie grasten zufrieden auf der großen Koppel.

Kate hatte zwar nie selbst an einem Reitturnier teilgenommen, sie liebte jedoch den prachtvollen Anblick dieser verhätschelten Pferde, wenn sie mit ihren gebogenen, glänzenden Hälsen und wehenden Schweifen durch die Arena galoppierten. Sie hätte liebend gern etwas mit ihren eigenen Pferden gemacht, etwa in einer Polocrosse-Mannschaft gespielt. Im Augenblick jedoch musste sie auf das Reiten verzichten, da ihr neuer Job ihre gesamte Zeit in Anspruch nahm. Ihre Tätigkeit entsprach weitgehend der, die sie auch schon in Orange ausgeführt hatte, daher fiel ihr die Umstellung nicht besonders schwer. In ihrer Rolle als Landwirtschaftsberaterin fühlte sie sich durchaus wohl. Auch wenn sie und Nell nicht mehr auf Bronty lebten, war sie immerhin zu Hause. Hier auf dieser Insel. Janie holte Nell jeden Morgen bei ihr ab und integrierte sie dann einfach in den Tagesablauf ihrer Zwillinge. Kate arbeitete täglich bis etwa fünf Uhr, dann ging sie zum Haupthaus hinüber, um Nell abzuholen. Nell spielte dann stets fröhlich mit den Zwillingen, schob einen Kinderwagen durch die Gegend, fuhr auf dem Dreirad oder sah sich ein Bilderbuch an. Kate fiel auf, dass Janie in letzter Zeit weniger erschöpft aussah.

»Sie geht so geschickt mit ihnen um«, hatte Janie schon nach der ersten Woche geschwärmt. »Ich muss jetzt nicht mehr ständig irgendwelche Streitereien zwischen den beiden schlichten. Sie schafft es irgendwie, sie stundenlang zu beschäftigen. Wenn ich mich um einen der beiden kümmern muss, lenkt Nell den andern ab. Hinzu kommt, dass ich nicht mehr so einsam und allein bin. Ich weiß, dass du in der Nähe bist und ich jederzeit mit dir plaudern kann. Eigentlich sollte ich dich und Nell bezahlen!«

»Ich bin wirklich froh, dass wir beide von unserer kleinen Vereinbarung profitieren«, hatte Kate ihrer Freundin geantwortet.

Jetzt wandte Kate ihre Aufmerksamkeit wieder dem Ausstellungsgelände der Landwirtschaftsschau von Campbell Town zu. Gerade hielten mehrere Viehtransporter vor dem riesigen Pavillon aus Wellblech an, in dem die Schafe untergebracht werden sollten. Die Männer schlugen die Abdeckplanen zurück, so dass jetzt die prachtvollen Merino-Böcke mit den gedrehten Hörnern, die für die Show herausgeputzt waren, zu sehen waren. Der Pavillon erwachte mit dem Scheppern der Blechtore und dem tiefen Blöken der Schafe zum Leben, als man die Tiere in Pferche mit dicken Lagen goldenen Strohs trieb. Neben dem Schafpavillon stand der Kaffeewagen, vor dem sich eine Schlange noch ziemlich verschlafen aussehender Aussteller gebildet hatte, die offensichtlich darauf hofften, schon bald ihre Finger an einem Pappbecher mit heißem Milchkaffee wärmen zu können. Der einladende Duft frisch gerösteter Kaffeebohnen zog auch in den Pavillon der Heimindustrie, wo die betreffenden Damen bereits erbittert darüber diskutierten, wessen Handarbeit an welchem Platz ausgestellt werden sollte.

Kate versuchte die Szenerie in sich aufzunehmen, während sie Wills jungem Kelpie BH den Rücken streichelte. Der Hund drückte sich gegen Kates Hand, krümmte dabei den Rücken wie eine Katze. Es war schön, ihn einmal allein dabeizuhaben, dachte Kate, ohne dass die alte Sheila und Grumpy BHs Aufmerksamkeit ständig auf sich zogen.

Im Lauf der vergangenen Wochen hatte Kate BH besser kennen gelernt. Wenn sie die Zeit dazu gefunden hatte, hatte sie Dave und Janie bei der Arbeit auf der Weide geholfen und BH mitgenommen. BH war eine flinke kleine Hündin mit braunrotem Fell und hellen Knopfaugen. Besonders auffallend war ihre Lernfähigkeit. Obwohl Kate bislang noch nicht viel mit ihr arbeiten konnte, hatte sie sich vorgenommen, sie heute an den Prüfungen teilnehmen zu lassen, so wie Will es ursprünglich geplant hatte. Das hieß, falls ihre Chefin ihr heute eine Stunde freigeben würde.

Kate sah, wie ein weißer Kombi am Tor anhielt. Als das Fenster heruntergekurbelt wurde, sah Kate, dass das Lisa, ihre neue Chefin war. Kate trat einen Schritt hinter ihrem Pick-up hervor.

»Das ist sie«, sagte sie zu BH. »Jetzt sitz und bleib. Sei ein braver Hund.« BH klopfte als Antwort mit ihrer Rute laut gegen die Ladefläche des Pick-ups. »Morgen!«, rief Kate, als Lisa auf sie zufuhr. »Hattest du eine gute Fahrt von Hobart hierher?«

Lisa schälte sich hinter dem Lenkrad hervor. Ihre marineblaue Hose schlug auf ihren pummeligen Oberschenkeln Querfalten.

»Ein bisschen frostig«, sagte sie und griff nach ihrer dunkelgrünen Fleecejacke mit dem Logo des Tasmanischen Tigers auf der Brust. Kate hatte Lisa erst vor ein paar Wochen persönlich kennen gelernt, als sie nach Hobart gefahren war, wo sie das neue Team von landwirtschaftlichen Beratern getroffen und die Unterlagen, die sie für ihre Arbeit brauchte, abgeholt hatte.

Als sich die Glastüren der Hauptgeschäftstelle in Hobart geöffnet hatten, hatte Kate sich von der Plüschigkeit des RCS-Büros geradezu erstickt gefühlt. Angesichts des Teams von Agronomen, Bodenanalytikern und Agrarfinanzexperten, die dort arbeiteten, hatte sich ihre Skepsis schnell aufgelöst, denn mit ihren abgetragenen Blundstone-Stiefeln und ihrer offenen und ungekünstelten Art standen ihre Kollegen in deutlichem Kontrast zu ihrer Umgebung. Die Liste der fachlichen Qualifikationen war bei allen ungefähr eine Meile lang, dennoch waren sie absolut bodenständig geblieben. Dann war da noch Lisa, die hinter ihrem großen, überaus eindrucksvollen Schreibtisch fast verschwunden war. Sie war die Fröhlichste und Freundlichste von allen. Als Tochter eines Milchfarmers hatte Lisa, wie zum Beweis ihrer Herkunft, strahlend weiße Zähne und einen sehr stabilen Knochenbau. Klein von Statur, aber voller Energie war Lisa genau der Mensch, um Kate für ihren neuen Job zu motivieren. Sie war so natürlich und ungezwungen, dass sie Kate mehr an eine Buschbewohnerin als an eine qualifizierte Agrarwissenschaftlerin und Betriebswirtin erinnerte.

Hier draußen auf der Landwirtschaftsschau schien sie sich wie zu Hause zu fühlen, dachte Kate. Lisas kurze Beine waren so dick, dass es aussah, als würde sie watscheln, als sie zum Heck ihres Kombis ging. »Komm schon, du Schlafmütze«, sagte sie und öffnete dabei die Heckklappe. »Wir bauen unseren Stand am besten gleich auf.« Als Kate ihr dabei half, die großen Schautafeln aus dem Kombi zu hieven, fühlte sie sich trotz Lisas temperamentvoller Gegenwart ein wenig bedrückt.

Hier war sie wieder auf einer Landwirtschaftsschau. Es würde den ganzen Tag lang Wettbewerbe und Vorführungen geben, aber sie würde die meisten von ihnen verpassen. Anstatt selbst die Shows zu besuchen, zum Vergnügen und auch wegen der Informationen, die man dort erhielt, arbeitete Kate wieder einmal für andere Farmer und deren Träume. Hinzu kam, dass sie nicht einmal die Zeit finden würde, sich mit Nell die Haustiervorführungen anzusehen, mit ihr zum Kinderschminken zu gehen oder ihr Zuckerwatte zu kaufen. Janie kümmerte sich während der Ausstellung um Nell und die Zwillinge.

Heute Abend würde es für sie auch kein Besäufnis an der Bar geben. Sie war jetzt wieder zu Hause, in Tasmaniens kleiner Welt. Sie musste sich benehmen. Das hatte sie sich jedenfalls fest vorgenommen. Sie musste aufhören, immer davonzulaufen. Wenn sie schon nicht nach Bronty, ihrem Zuhause, zurückkonnte und auch nicht Nick bekommen konnte, dann war dieser Job alles, was sie hatte.

Kate seufzte. Sie würden also ihren Tag am Stand des RCS verbringen und versuchen, bei dem Begrüßungsmarathon mit den Farmern, ihren potentiellen Kunden, begeistert zu wirken. Sie spürte jedoch bereits, dass die Schatten ihrer Vergangenheit um sie herum lauerten. Sie wusste, dass sich die Leute aus der Gegend, die sie hier am Stand sahen, so ihre Gedanken machten. Und dann war da auch noch Nell, ihre kleine blonde Tochter, die anscheinend aus dem Nichts aufgetaucht war. Die Leute würden über sie, Kate, sprechen, dessen war sie sich sicher. Sie würden sehr genau auf ihr Aussehen und ihr Verhalten achten. Sie würden ihr ins Gesicht blicken und in ihr das Mädchen sehen, das damals seine Mutter und jetzt auch noch seinen Bruder verloren hatte. Das Mädchen, das nach dem Tod seiner Mutter »in Schwierigkeiten geraten war« und Tasmanien verlassen hatte, um sein Kind auf dem Festland auf die Welt zu bringen. Sie war für sie aber vor allem Henry Websters Tochter, die von ihrem Vater vor die Tür gesetzt worden war, nachdem er dieses Modepüppchen vom Festland geheiratet hatte, diese verwöhnte Lady, die er auf einer Kreuzfahrt kennen gelernt hatte und die sogar ihre Kinder angeschleppt hatte, damit sie sich alle auf seine Kosten ein schönes Leben machten. Kate konnte die Gedanken, die den Leuten durch den Kopf gingen, wenn sie sie ansahen, beinahe hören. Sie hatte das Gefühl, in einer Falle zu sitzen.

»Am Anfang wird dir alles ein bisschen seltsam vorkommen«, sagte Lisa, die spürte, wie nervös Kate war. »Es ist manchmal verdammt schwer, wenn man vom Festland nach Tasmanien zurückkommt und zum ersten Mal versucht, das zu vermitteln, was man auf der Universität gelernt hat. Bei mir war das jedenfalls so. Alle sahen mich noch als den Teenager von früher. Im Allgemeinen dauert es eine Weile, bis die Leute merken, dass du ihnen wirklich etwas bieten kannst.«

Dankbar für Lisas Feingefühl, nickte Kate und lächelte.

Als sie eine weitere Schautafel aus Lisas Wagen an Kates Pick-up vorbeischleppten, deutete Lisa mit einem Kopfnicken in BHs Richtung. »Ich sehe, dass du deine Hündin mitgebracht hast. Hast du vor, sie heute vorzuführen?«

Kate zuckte mit den Schultern, so gut es mit dem schweren Paneel in den Händen ging.

»Sie hat meinem Bruder gehört. Er hat sie auf die Prüfungen vorbereitet. Er sagte, dass er sie für die Anfängergruppe anmelden wollte.«

Lisa warf Kate einen mitfühlenden Blick zu.

»Ich weiß, wie es auf so einer Landwirtschafsschau zugeht«, sagte sie, während sie, das Paneel balancierend, vorsichtig rückwärtsging. »Es wird den ganzen Tag nur gequasselt und gequasselt, aber ich bin mir sicher, dass du die Zeit findest, sie vorzuführen. Ich kann ja solange für dich einspringen.«

»Wirklich?«, fragte Kate, und ihr Gesicht erhellte sich zusehends. »Ich wollte dich nicht darum bitten, weil ich gerade erst in diesem Job angefangen habe. Aber ich habe mir gedacht, ich nehm sie einfach mal mit. Nur für den Fall. Es wird ihr sicher guttun, wenn sie ein bisschen was von der Welt zu sehen bekommt, selbst wenn es nur von der Ladefläche eines Pick-ups aus ist.«

»Dann nimm doch an dem Wettbewerb teil. Ich bin froh, dass du sie mitgebracht hast. Ich habe gehört, dass du ziemlich gut bist, wenn es darum geht, für uns Werbung zu machen. Deine Stärke soll der Kundenkontakt sein, hat man mir jedenfalls gesagt.«

Lisa warf ihr einen bedeutungsvollen Blick zu. Kate schluckte, als sie sich dran erinnerte, wie betrunken sie auf der Orange Show gewesen war und dass sie in aller Öffentlichkeit mit dem Wäschespinnen-Mann herumgeknutscht hatte. Ihr Ruf war ihr also schon über das Meer vorausgeeilt.

»Was meinst du damit?«, fragte sie und versuchte dabei ganz unschuldig zu klingen.

»Du hast wirklich Glück gehabt«, fuhr Lisa lachend fort. »Ich habe auf einer Landwirtschaftsschau noch nie einen Kerl aufgerissen. Nicht ein einziges Mal. Nicht etwa, dass ich es nicht versucht hätte.«

Auf Kates Gesicht breitete sich ein strahlendes Lächeln aus. Mit Lisa zu arbeiten würde mehr als nur Spaß machen. Sie war einfach klasse. »Also, inzwischen bin ich geläutert!«

»Ja? Das möchte ich zu gern erleben.« Dann verschwanden die beiden in dem dunklen Pavillon, und ihr Lachen schallte noch lange aus der Tür.


Mitten am Vormittag, noch bevor der große Besucheransturm begann, stahl sich Kate vom Stand fort, um Lisa eine Tasse Kaffee zu holen und nach Janie und den Kindern zu sehen. Dies war außerdem eine gute Gelegenheit, BH für die Hundeprüfung einzutragen und mit ihr kurz Gassi zu gehen.

In dem Zelt, in dem sich die Anmeldestelle für die Prüfung befand, schob ihr eine junge Frau ein Formular und einen Stift über den Tisch zu, während BH neben ihr stand und in Richtung der Schafe witterte.

»Will wäre verdammt stolz auf dich, wenn er wüsste, dass du mit seinem Hund hier bist«, sagte die junge Frau und sah Kate dabei hinter ihrem langen, blonden Pony hervor an. »Wir vermissen ihn alle sehr, weißt du. Er war ein verdammt netter Typ.«

»Danke«, sagte Kate. Sie hielt inne. »Ich muss eigentlich selbst arbeiten, deshalb kann ich auch nicht bleiben und mir alles ansehen. Wäre es möglich, dass …«

»Kein Problem«, sagte die junge Frau. »Wenn du dran bist, schicke ich dir einen von den Jungs.« Auf ihrem hübschen runden Gesicht lag jetzt ein offenes Lächeln.

»Übrigens, ich heiße Katrina. Will hat oft von dir gesprochen, wenn es ihm nicht gerade vor Nervosität die Sprache verschlagen hatte, weil er gleich in den Ring musste.«

»Freut mich, dich kennen zu lernen, Katrina«, sagte Kate. »Ich erwarte nicht, mit ihr Erfolg zu haben, aber ich dachte, ich melde sie trotzdem an … für Will.«

»Sie ist bestimmt großartig«, sagte Katrina. Dann legte sie den Kopf schief. »Die Genossenschaft wollte sich bei euch melden, um zu fragen, ob wir euch auf der Farm irgendwie helfen können Wir waren uns aber nicht sicher, wie ihr das aufnehmen … Also, wenn wir irgendetwas für euch tun können.«

Kate lächelte dankbar. »Ich lebe nicht mehr auf Bronty. Aber trotzdem vielen Dank …«

Während sie plauderten, spürte Kate, wie BH an der Leine zu ziehen und zu zerren begann, was vollkommen untypisch für die junge Hündin war. Kate drehte sich um, um herauszufinden, weshalb sie so herumsprang, und sah einen großen schwarzbraunen Kelpie, der BH gerade auf spielerische Weise ins Genick biss. Kate folgte der blauen Nylonleine des Hundes mit ihren Augen, bis ihr Blick am andern Ende auf Nick fiel. Er trug einen dicken dunklen Mantel, in dem seine Schultern sehr breit wirkten, und einen großen schwarzen Hut. Sein Gesicht war ernst. Ausdruckslos.

»Ich glaube, deine Hündin versucht gerade, sich an meinen Rüden ranzumachen«, sagte er. Dann strahlte das Licht seines Lächelns unter der dunklen Krempe seines Hutes hervor. Gerade weiße Zähne, umrahmt von vollen Lippen, Lachfältchen und dann war da noch dieses unwiderstehliche Grübchen. Kate sah die dunkelbraunen Bartstoppeln auf seinem kantigen Kinn, sie brachte es aber nicht fertig, den Blick zu heben, um ihm in die Augen zu sehen.

»Sie ist kein Flittchen«, sagte Kate. »Sie ist nur ein Welpe, das ist alles. Sie ist noch nicht alt genug für so etwas.«

»Bist du dir da sicher?«

Kate blickte auf und sah das schelmische Blitzen in Nicks blauen Augen. Er flirtete mit ihr. Voller Panik, gleichzeitig aber auch mit einem elektrisierenden Kribbeln im Bauch, sah sie über seine Schulter hinweg an ihm vorbei.

»Wo ist denn Felicity?«

Nick machte eine Kopfbewegung in Richtung der Pferdearena, wo mehrere Reiter mit ihren Rappen, Braunen und Füchsen am versammelten Zügel ihre Kreise zogen. Alle Pferde hatten leuchtend weiß bandagierte Fesseln und wurden offensichtlich gerade für die Vorführung aufgewärmt.

»Sie ist dort drüben. Führt ihr Pferd vor.«

»Oh«, sagte Kate vage.

»Du reitest nicht mit? Du stehst wohl nicht so auf Turnierpferde?«

»Nein. Jedenfalls nicht auf Pferde, die man waschen und schamponieren muss«, sagte Kate. »Abgesehen davon arbeite ich.«

»Du arbeitest? Mit deinem Hund oder richtig?«, fragte er und deutete mit einem Kopfnicken auf ihre Fleeceweste mit dem Logo.

»Ein bisschen von beidem«, sagte Kate.

»Jedes Mal, wenn ich dich sehe, arbeitest du. Nimmst du dir denn niemals frei, um dich mal ein bisschen zu amüsieren? Wir könnten uns doch heute Abend zusammen amüsieren. Ich meine so wie unsere Hunde.«

Kate spürte, wie Angst und zugleich Freude in ihrer Magengrube rumorten. Er flirtete tatsächlich mit ihr. Bei der Schafschur hatte er sich ihr gegenüber immer nur kumpelhaft verhalten, was sie ein wenig frustriert hatte. Trotzdem hatte sie sich in seiner Gegenwart durchaus wohlgefühlt. Jetzt jedoch, als Nick in aller Öffentlichkeit mit ihr herumalberte, fühlte sich Kate ungeschützt und verletzlich. Sie konnte und durfte nicht mit ihm flirten. Wenn sie ihn öfter sah, dann musste sie ihm irgendwann das mit Nell sagen. Aber jetzt konnte sie das einfach nicht. Sie würde in Kürze seine Familie beraten. Der Termin stand bereits in ihrem Kalender. Sie musste ihren Job als unabhängige Dritte machen, dazu gehörte auch eine gewisse Distanz zu ihren Kunden. Sie sollte helfen, ohne sich von Gefühlen beeinflussen zu lassen. Außerdem gab es da ja auch noch Felicity. In ebendiesem Moment geriet Kate in Panik.

»Selbst wenn ich frei bekäme«, sagte sie, »würde ich mich nicht mit dir amüsieren. Du scheinst zu vergessen, dass diejenige, mit der du dich amüsieren solltest, dort drüben in der Pferdearena ist.« Sie sagte das so giftig, dass sie ihre Worte sofort bereute.

Nick öffnete den Mund, schloss ihn dann wieder. Sie konnte sehen, dass er krampfhaft überlegte, warum sie ihn gerade so böse angefahren hatte. Bei der Schafschur hatte es doch keinerlei Missstimmung zwischen ihnen gegeben. Kate überlegte, was sie sagen konnte, um ihre harten Worte ein wenig zu mildern, aber in ebendiesem Moment spürte sie, wie sich eine schwere Hand auf ihre Schulter legte. Sie wandte den Kopf und sah einen o-beinigen Mann, der jetzt auch Nick die Hand auf die Schulter legte. Der Mann stand da, und seine schmalen Augen funkelten belustigt. Katrina blickte von ihren Unterlagen auf und begann lauthals zu lachen.

»Kann ich einen von den Welpen haben?«, fragte der Mann mit rauchiger Stimme. »Das gibt bestimmt eine prächtige Mischung.« Kate sah eine schwarze Lücke im Lächeln des Mannes. Sie runzelte die Stirn und fragte sich verzweifelt, wovon der Kerl bloß sprach. Dann sah sie nach unten und ließ ihren Blick zum Ende der Leine wandern.

Nicks Hund Tuff und BH hatten sich im Liebesrausch ineinander verschlungen. Tuff hing die Zunge seitlich aus dem Maul, seine Augen glänzten voller Stolz und Aufregung, während er BH nach Hundeart von hinten umklammert hielt. BH wirkte nervös aber durchaus erfreut. Auch ihre Augen leuchteten.

»O mein Gott«, rief Kate entsetzt.

»Du hast doch gesagt, dass sie dafür noch zu jung ist«, sagte Nick, der ein schalkhaftes Lächeln nicht unterdrücken konnte.

»Vor allem ist sie noch zu jung, um schon Welpen zu bekommen!«, kreischte Kate. Dann stieg ihr die Schamesröte ins Gesicht. Während die Hunde ineinander verschlungen und hechelnd dastanden wie eine groteske, doppelköpfige Vision des Höllenhundes Zerberus, begannen die anderen Hundebesitzer und die Ausstellungsbesucher, die auf dem Gelände umherspazierten, mit den Fingern auf die beiden Hunde zu zeigen und dabei lauthals zu lachen. Kate schloss die Augen und wünschte sich nichts sehnlicher, als dass die Hunde sich beeilen und endlich wieder voneinander lösen würden.

»Wenn du fertig bist, Tuff«, sagte Nick zu seinem Hund, »dann vergiss nicht, sie nach ihrer Telefonnummer zu fragen, sonst läuft sie dir am Ende noch davon.«

Kate forschte in seinem Gesicht. War das eine Anspielung auf sie?


Ein paar Stunden später schüttelte Kate im Pavillon ihre müden Beine aus. Sie sah sich um.

»Die Besucher werden langsam weniger«, sagte sie.

Lisa machte eine ruckartige Kopfbewegung zur Seite.

»Dann geh schon, Mädchen.«

Es war ein recht arbeitsreicher Tag gewesen. Kate hatte ihre Meldung für die Hundeprüfungen zurückgezogen, da läufigen Hündinnen die Teilnahme nicht gestattet war. Stattdessen hatte sie den ganzen Tag an ihrem Stand verbracht. Ihre Verlegenheit wegen der Hunde überspielte sie, indem sie sich ernsthaft und sehr professionell mit den Farmern unterhielt, die Interesse an einer Beratung gezeigt hatten.

Um die Mittagszeit herum war Janie mit den Zwillingen und Nell kurz an den Stand im Pavillon gekommen. Nell hatte ein geschminktes Hundegesicht mit dicken schwarzen Schnurrhaaren. In ihren schmutzigen Händen hielt sie einen großen, roten Ballon, ein Ring Tomantensoße umgab ihre Lippen.

Kate hob sie hoch und drückte sie an sich. »Was hast du denn da an deinem Mund, du Schmutzfink?«

»Pommes«, sagte Nell.

Janie kreischte vor Lachen, als Kate ihr die Geschichte mit den Hunden erzählte. Und zwar so laut, dass die Leute stehen blieben und sie verwundert anstarrten.

»Ihr beide könnt offensichtlich einfach nicht damit aufhören, Nachwuchs in die Welt zu setzen«, flüsterte sie, bevor sie mit Nell und dem doppelten Kinderwagen, in dem die Zwillinge saßen und der zudem noch mit einer Auswahl gut gefüllter Plastiktüten beladen war, den Pavillon wieder verließ.

Kate hatte BH in der Kabine ihres Pick-ups eingeschlossen, wo sich ihre Hündin jetzt, nach ihrer öffentlichen Liaison mit Tuff, zusammengerollt hatte und ein Nickerchen hielt. Am Ende des Tages hatte Kate eine lange Liste von Namen, Adressen und Telefonnummern von Farmern. Aber vor allem spürte sie eine heimliche Freude bei dem Gedanken, dass ihre Hündin möglicherweise von Nick McDonnells Rüden gedeckt worden war. Sie versuchte sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Als sie auf ihr Klemmbrett sah, stellte sie fest, dass bereits zehn Farmer einen Termin für eine Beratung mit ihr vereinbart hatten. Laut Lisa war das ein sehr gutes Ergebnis. Sie wusste aus eigener Erfahrung, wie lange es manchmal dauerte, bis die Leute die Vorteile dieses Services erkannten und den Menschen, die ihn anboten, ihr Vertrauen schenkten.

Kate legte ihre Liste zur Seite und kaute dann auf ihrem Stift herum. Sie seufzte laut.

»Wenn du dich beeilst, dann schaffst du es vielleicht noch zu den letzten Hundeprüfungen«, sagte Lisa. »Mach aber bitte keinen Abstecher zur Bar, bevor du zurückkommst, um mir zu helfen, das ganze Zeug wieder einzuladen.«

»Kann ich wirklich gehen?«

Lisa nickte.

»Danke!« Kate warf sich ihre Jacke über, zog ihren Pferdeschwanz unter dem Kragen hervor und wollte gerade gehen, als Lisa noch grinsend hinzufügte: »Und keine sexuellen Handlungen in der Öffentlichkeit mehr.«

»Wer? Ich oder mein Hund?«

»Ihr beide.«

»Danke. Ich werde mich bemühen«, sagte Kate und schnitt eine Grimasse, bevor sie nach draußen ging.

Am Zuschauerzaun beobachtete Kate dann, wie Matthew Johnson den Wettbewerb mit seinem muskulösen Hund Modra mit der guten Punktzahl von fünfundachtzig beendete und damit in Führung ging. Als sie sich dem Applaus anschloss, mit dem das Publikum Matthew und seinen Hund vom Platz begleitete, spürte sie, wie sie jemand an ihrem Pferdeschwanz zog. Sie fuhr herum.

»Jonesy!«, rief sie erfreut.

»Hab gehört, dass deine Hündin Flöhe hat«, sagte er.

»Flöhe? Was meinst du denn damit?«, fragte Kate verblüfft.

»Ja. Es hat sie wohl gejuckt, und da hat sie eben jemand gekratzt. «

»Haha. Sehr komisch. Ich wusste nicht, dass BH heiß ist und musste sie deshalb vom Wettbewerb zurückziehen.«

»Nach allem, was man so hört, hat sie ihre Show aber doch noch abgezogen«, ertönte eine andere Stimme. Es war Razor.

Kate schnitt eine Grimasse. »Wenn ich mir jetzt noch mehr blöde Bemerkungen wegen meiner vögelnden Hündin anhören muss, dann …«

Bevor sie ihren Satz jedoch beenden konnte, erwachte die Lautsprecheranlage knackend zum Leben.

»Der nächste Teilnehmer ist Nick McDonnell mit seinem Hund Tuff. Er erzielte im ersten Durchgang heute Morgen eine Punktzahl von dreiundachtzig und liegt damit noch gut im Rennen. Da sein Hund heute Vormittag auch noch auf einem andern Gebiet gepunktet und Kate Websters Hündin BH vernascht hat, wird es interessant sein zu sehen, ob der gute Tuff noch genügend Energie für diesen Durchgang hat.«

Ein amüsiertes Gelächter lief durch die Menge. Kate spürte, wie sich alle Augen auf sie richteten. Nick zog den Hut, lächelte und schüttelte den Kopf, bevor er seinen Platz in dem großen Viereck einnahm.

Da Nick sich jetzt voll und ganz auf die Schafe und seinen Hund konzentrierte, nahm Kate die Gelegenheit wahr, seinen Anblick so gut wie möglich in sich aufzusaugen. Sie erkannte bei ihm die kleinen Eigenarten, die ihr schon von Nell her vertraut waren. Die Falte auf seiner Stirn und dass er seinen Mund ein wenig verzog, wenn er sich konzentrierte. Er tat dies auch jetzt, als er die Schafe zählte. Die hochgezogene Augenbraue. Bald jedoch verlor sie sich in Gedanken, die nichts mehr mit Nell zu tun hatten. Als Nick sich nach vorn beugte, um die Kette um das Tor zu legen, fiel ihr auf, wie knackig sein Po in seiner Jeans aussah. Sie beobachtete das Muskelspiel an seinen Unterarmen und seine kräftigen, sicheren Hände. Seine Wangen waren perfekt geformt, genau wie sein kantiges Kinn. Seine Stimme klang tief und ruhig, als er jetzt gelassen und souverän mit seinem Hund zusammenarbeitete, um die Schafe, die mit klappernden Hufen durch die Portale drängten, zu steuern.

Als Nick das Tor schloss, klatschen die Zuschauer begeistert Beifall. Er hatte seinen Lauf in einer guten Zeit absolviert, die aber nicht gut genug war, um Modra, Tasmaniens Spitzenhund, zu schlagen.

Nick bückte sich, um seinen Hund zu tätscheln, dann kletterte er aus dem Ring. Kate zerschmolz fast vor Verlangen, als er mit ebendiesem Lächeln auf dem Gesicht und seinem Hund bei Fuß auf sie zukam. Sie sah zu, wie verschiedene Männer auf ihn zugingen und ihm die Hand schüttelten. Kate drehte sich um und ging. Sie durfte einfach nicht zulassen, dass sie mit einem solchen Verlangen an ihn dachte. Sie würde Lisa beim Abbau helfen und dann zu Nell nach Hause fahren. Nick sollte sich von Felicity beglückwünschen lassen. Kate hatte den Pavillon schon fast erreicht, als sie plötzlich seine Stimme hinter sich vernahm.

»Das nächste Mal hast du sicher mehr Glück, Kate«, sagte Nick und holte sie dabei mit seinen langen Beinen mühelos ein. »Das mit deiner Hündin tut mir wirklich leid.«

Kate schüttelte den Kopf, ohne ihn dabei anzusehen. »Mach dir deswegen mal keine Gedanken.«

»Nein, ich meine es ernst. Es tut mir leid. Wirklich. Ich werde dir mit den Welpen auch helfen. Versprochen. Ich übernehme die Tierarztkosten und bringe ihnen Futter. Außerdem helfe ich dir dabei, Käufer für sie zu finden. Mich haben heute schon ein paar Leute angesprochen, die gesagt haben, dass sie gern …«

Kate ging einfach stur weiter. Sie sagte kein Wort. Wenn er es nur wüsste, dachte sie. Wenn er nur von Nell wüsste.

Von ihrem Verhalten ein wenig verwirrt, aber auch belustigt, gab Nick schließlich auf. Er blieb stehen und rief ihr noch hinterher: »Also, wenn ich gewusst hätte, dass du so reagierst, dann hätte ich bestimmt eine Deckgebühr verlangt!«