Kapitel 14

Kate stand gerade im T-Shirt und mit schweißglänzender Stirn, in einem Pferch, als Nick McDonnell die Scheune betrat. Sie strich sich hastig ein paar Haarsträhnen, die aus ihrem Pferdeschwanz gerutscht waren, aus dem Gesicht, während sie ihren Blick nicht von ihm losreißen konnte. Großer Gott, dachte sie. Ihr Vater hatte ausgerechnet Nick gebeten, ihnen bei der Schur zu helfen.

Sie warf einen Blick zu Nell hinüber, die in der Nähe des Wolltischs auf ihrer Decke lag und, ein aufgeschlagenes Buch neben sich, tief und fest schlief. Ihr entspanntes Gesicht zeigte so viele Ähnlichkeiten mit dem des Mannes, der jetzt vor ihr stand. Kate sah voller Entsetzen, dass Nick sie ansah und dann lächelte. Dann stieg er vorsichtig über das schlafende Kind hinweg und ging zu Henry hinüber, um ihm die Hand zu geben.

O mein Gott. Nick McDonnell ist hier, dachte Kate.

Bei Nicks Eintreffen blickte Rocker, der gerade ein Schaf schor, von seiner Arbeit auf und stieß einen Jubelschrei aus.

»O Mann, verdammt! Tag Nick, Kumpel!«

Nick winkte ihm fröhlich zu.

Razor schaltete seine Schermaschine aus. Er stellte sein Schaf vorsichtig auf die Beine, damit es sich seinen Weg zum Abzählpferch suchen konnte. Dann begrüßte er Nick mit einem herzlichen Händedruck und einem breiten Grinsen. Nick ist einer von ihnen, dachte Kate. Er ist angesehen und bei allen sehr beliebt.

Aden, der gerade Wolle sortierte, blickte auf und nickte ihm kurz einen schmollenden Gruß zu. Im hinteren Pferch ließ Kate jetzt den abgenutzten, hölzernen Riegel einrasten, blieb dann aber, eine Hand am Geländer, mit offenem Mund stehen. Sie starrte Nick aus dem dunklen hinteren Teil der Scheune heraus weiter unverwandt an, als sie plötzlich Jonesys Stimme hörte.

»Jetzt mach deinen Mund mal wieder zu, Kate«, sagte er, während er ein Schaf vorsichtig auf die Seite legte. »So gut sieht er nun auch wieder nicht aus.« Er nahm das Schaf bei den Vorderbeinen und zog es aus dem Pferch heraus, wobei er Kate verschwörerisch zuzwinkerte.

In den nächsten Minuten trieb Kate die Schafe in den hinteren Pferchen zusammen und beobachtete Nick dabei weiter durch das Labyrinth von Stützpfosten. Ihr Herz raste. Sie starrte seine breiten Schultern und sein Gesicht an und stellte fest, dass er noch viel besser aussah, als sie es von jenem Abend im Pub in Erinnerung hatte. Da war dieser entschlossene Zug um seinen Mund, als er sich auf seine Arbeit konzentrierte. Trotz dieses finsteren Gesichtsausdrucks sah er einfach absolut sexy aus. Dann wurde ihr schlagartig bewusst, dass sie den Vater ihres Kindes anstarrte. Sie holte nervös Luft. In diesem Moment sah Nick sie. Sein Gesicht begann zu strahlen. Er hob eine Hand. Kate winkte zurück und schwang ihr Bein über den Zaun, während Grumpy neben ihr mit einem einzigen großen Satz darüber hinwegsprang. Als sie auf den Arbeitsbereich zuging, wischte sie sich ihre Hände nervös an ihren Oberschenkeln ab.

»Hi«, sagte sie.

»Hi, Kate.«

Sie schob die Hände in ihre Gesäßtaschen und starrte verlegen ihre Stiefel an. Dann jedoch kam ihr plötzlich der Gedanke, dass sie bei dieser Haltung ihre Brüste zu sehr nach vorn schieben könnte. Sie zog deshalb ihre Hände schnell wieder aus den Taschen und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Danke, dass du alles stehen und liegen lässt und zu uns kommst«, sagte sie.

»Kein Problem. Ihr habt uns doch auch geholfen, als Dad damals seinen Unfall hatte. Außerdem ist das das Mindeste, was ich für Will tun kann.«

Kate zuckte zusammen, als Wills Name fiel. Ihre Befangenheit wurde augenblicklich von ihrer Trauer verdrängt. Sie spürte, wie ihr angesichts des Mitgefühls, das sich in Nicks Gesichtsausdruck zeigte, Tränen in die Augen stiegen. Nick legte seine Hand auf ihren Arm.

»Es tut mir leid!«

Dann war seine Hand wieder weg. Kate hatte jedoch das Gefühl, als hätte er ihr mit dieser Berührung einen Teil seiner warmen, ruhigen Energie übertragen. Sie nickte, sah dabei in sein ernstes Gesicht. Dann plötzlich lächelte er sie jedoch wieder strahlend an. In seinen Augenwinkeln erschienen dabei kleine Fältchen und auf einer Seite seines Mundes zeigte sich ein Grübchen.

»Ich sollte mich jetzt besser an die Arbeit machen, sonst schmeißen die mich noch raus, bevor ich überhaupt angefangen habe.«

»Na, dann will ich dich mal nicht länger aufhalten. Du weißt, was zu tun ist, oder?«, fragte Kate.

Nick nickte, lächelte noch einmal und machte sich dann mit einem Besen in der Hand auf den Weg. Kate sah ihm nach, bis er am Ende des Arbeitsbereichs angekommen war. Er bückte sich, hob ein Vlies auf und sagte dabei irgendetwas zu Rocker, woraufhin dieser lauthals zu lachen begann. Dann ging er an Kate vorbei zum Tisch und ließ die weiße AAA-Wolle förmlich durch die Luft schweben, so dass sie exakt auf den Latten des Wolltisches landete. Henry nickte ihm dankbar zu, nahm die Wolle und begann das Vlies zu säubern. Im Nu war Nick wieder am anderen Ende des Arbeitsbereichs, um dort die Wollflocken zusammenzufegen, noch bevor Jonesy mit dem nächsten Schaf kam. Er warf Aden ein Vlies mit Bauchwolle zu, damit dieser es säuberte. Dann fegte Nick den Boden und näherte sich dabei wieder Kates Platz. Sie stand ihrem Vater gegenüber am Wolltisch, prüfte die Wolle zwischen Daumen und Zeigefinger, zupfte mit flinken Fingern den Schmutz aus dem Vlies und schob es dann zu Trev hinüber. Sie beobachtete, wie die Muskeln in Nicks Oberarmen spielten, während er unglaublich schnell die gesamte Scheune fegte und sich dabei auf den Tisch zubewegte, um schließlich mit schnellen Bewegungen des Besens den Bereich um den Wolltisch herum und somit um Henrys und Kates Füßen zu säubern.

»Entschuldigung«, sagte er. Er ging an Kate vorbei, wobei er ihr kurz zulächelte, während er weiterfegte.

Henry blickte von seiner Arbeit auf.

»Ein guter Mann«, sagte er.

»Scheint so«, antwortet ihm Kate und spürte, wie ihr dabei das Blut in die Wangen schoss.

»Könntest du jetzt, da Nick hier ist und Nell schläft, die jungen Schafe holen? Du nimmst dir dazu am besten ein Pferd. Es spart Zeit, wenn du sie gleich über den großen Hügel und nicht erst den Weg am Bach entlang treibst.«

»Okay, Dad. Kein Problem.«

Sie bückte sich, um die Decke, die Nells Schultern bedeckte, noch ein Stück höher zu ziehen. Eigentlich verließ sie die Scheune nur ungern. Sie warf einen weiteren verstohlenen Blick zu Nick hinüber. Dieser fegte den Boden, so elegant und geschmeidig, dass es aussah, als würde er mit dem Besen tanzen.


Draußen musste Kate sich erst einmal einen Moment lang an die Wand der Scheune lehnen. Sie atmete tief ein und schlug mit ihrem Hinterkopf ein paar Mal leicht gegen das Blech. Es war lächerlich, so von Nick zu denken. Er war verlobt, liebte eine andere, und er ahnte anscheinend nicht einmal etwas von seiner Verbindung zu Nell. Es bestand absolut keine Chance, dass er sich jetzt noch für sie interessieren würde. Sie konnte deshalb einfach nicht glauben, dass sie ihn noch immer so unglaublich anziehend fand. Dass sie jedes Mal dieses elektrisierende Kribbeln spürte, wenn er auch nur in ihre Nähe kam. Dass sich in der Scheune alles geändert hatte, jetzt, da er da war. Das Brummen der Schermaschinen war zu einem geradezu hypnotisierenden Geräusch geworden. Der Geruch von Schafdung, Lanolin und Schweiß vermischte sich mit der Atmosphäre harter Arbeit. Dies war die Welt, die Kate liebte, und Nick war ein Teil dieser Welt. In seiner Gegenwart verschlug es ihr jedes Mal regelrecht den Atem. Gleichzeitig verspürte sie in ihrem Herzen eine große Angst. Hatte er Nell angesehen und bemerkt, dass sie ihm ähnlich sah?

Plötzlich hallten Wills Worte in ihrem Kopf. »Du solltest ihm das mit Nell sagen.« Kate schloss die Augen und schüttelte langsam den Kopf, aber Wills Stimme war noch immer da. »Es geht auch um Nell, Kate. Es dreht sich nicht immer alles nur um dich.«

Auf der Pferdekoppel setzte Kate ihren Fuß in den Steigbügel und schwang sich auf ihr Pferd.

Nick beobachtete sie von der Scheune aus durch ein von Spinnweben verhangenes Fenster. Da saß sie in ihrem roten T-Shirt auf ihrem Pferd. Ihr dunkler Pferdeschwanz, der unter ihrer Kappe hervorsah, fiel über ihren Rücken. Ein Collie stand neben ihrer stämmigen kastanienbraunen Stute. Nick sah ihr dabei zu, wie sie den Pullover, den sie sich um die Taille gebunden hatte, ein wenig fester zog. Dann trieb sie ihr Pferd zum Trab an. Nick hatte schon als Teenager von diesem Mädchen geträumt. Im wirklichen Leben schien sie jedoch völlig anders zu sein. Sie war eine erwachsene Version seiner Jugendphantasie, aber genauso schön. Sie verkörperte alles, was er sich gewünscht hatte. Nur die Tatsache, dass sie ein Kind hatte, passte irgendwie nicht zu seiner Erinnerung an sie.

Plötzlich merkte Nick, dass jemand ganz in seiner Nähe stand. Jonesy rieb mit langsamen, kreisförmigen Bewegungen sein Schermesser mit einer schmierigen Bürste ein, während er sich mit der Zunge über die Oberlippe fuhr. Er folgte Nicks Blick, dann drehte er sich um und lächelte ihn vielsagend an.

»O nein, Kumpel«, sagte Nick und schüttelte den Kopf. »Ich nicht.«

Jonesy klopfte Nick lachend auf den Rücken. »Hast du noch nie daran gedacht, ein Pferd zu reiten und eins dabei zu führen?«

Nick lachte mit ihm, aber in Wirklichkeit war er schockiert darüber, dass er, obwohl er mit Felicity verlobt war, Kate so voller Verlangen ansah. Als Jonesy an seinen Platz zurückging, konnte Nick nicht anders, als dem Mädchen, das über den großen, wie eine Kuppel geformten Hügel davongaloppierte, hinterherzustarren. Kate Webster. Seine erste Liebe.