Kapitel 18
Das Sägemehl war zu kleinen hellen Haufen zusammengefegt, die Holzreste auf der Veranda zu einem großen Haufen gestapelt. Auf einem alten Tisch standen in mit Farbe bespritzten Eimern verkrustete Farbroller und Pinsel. In einem Fleck Sonnenlicht, der auf die schiefen Bretter der Veranda fiel, schlief Sheila und zuckte im Traum mit den Pfoten.
In dem frisch gestrichenen, mit Schindeln verkleideten Haus stand Kate auf einem Stuhl und schob einen weiteren Vorhangring auf die Stange.
»Du konntest schon immer gut nähen«, sagte sie zu Janie. »Mama wollte es mir auch beibringen, aber du weißt ja, was passiert ist.«
»Ja«, sagte Janie. »Aber wenigstens hat sie dir die wichtigen Dinge zuerst beigebracht. Sie hat dich ermutigt, aus dem Haus zu gehen und dich mit den Tieren auf der Farm und dem Garten zu beschäftigen.« Janie kniete auf den frisch abgeschliffenen Bodendielen und schüttelte die üppigen Falten eines Vorhangs aus.
»Hat sie das?«
»Ja. Sie hat dir die wirklich wichtigen Dinge beigebracht. Im Gegensatz zu meiner Mutter. Sie hat mir nichts anders beigebracht, als sich selbst zu hassen, zu fressen, zu saufen und zu rauchen, bis man aussiehst wie Shrek höchstpersönlich.«
»Ich kann aber nicht viel von Shrek an dir entdecken. Du bist ein kluger Kopf, und in dir steckt eine wahre Hausgöttin. Du hast von allein alles richtig gemacht«, sagte Kate und sah sich dabei die ordentlichen Säume der Vorhänge an.
»Nun, dann bin ich wohl aus der Art geschlagen«, antwortete ihr Janie.
Kate sprang vom Stuhl hinunter und zog die cremefarbenen Vorhänge zu. Dann öffnete sie sie wieder und sah zu einem strahlend blauen spätwinterlichen Himmel hinauf, an dem kleine, weiße Wattewölkchen dahinzogen. Jenseits des mittlerweile reparierten Zaunes befand sich das Haus von Dave und Janie.
»He, von hier aus kann ich ja fast in euer Schlafzimmer sehen«, sagte Kate.
»Tja, da wirst du nicht viel zu sehen bekommen. Drei Ehejahre und dazu die anstrengenden Zwillinge, da bleibt nicht viel Erotik übrig«, sagte Janie.
»Warte, bis das Geld für das Babysitten hereinkommt, Janie. Dann könnt ihr ein richtig tolles Wochenende verbringen, während ich in der Zwischenzeit auf die Kinder aufpasse.«
»He, alles was ich will, ist einmal richtig ausschlafen.«
In diesem Moment kamen Nell, Jasmine und Brendan kichernd und lachend aus dem Schlafzimmer gerannt.
»Was habt ihr denn jetzt schon wieder angestellt?«, fragte Kate.
»Mami!«, rief Nell aufgeregt. »Ich habe im Fenster ein Kätzchen geseht! Da draußen!«
»Gesehen, Nell. Du hast ein Kätzchen gesehen, draußen vor dem Fenster.«
»Das muss eine Wildkatze gewesen sein«, sagte Janie, »Ich habe dir doch schon erzählt, wie das mit den wilden Katzen ist, nicht wahr?« Nell nickte feierlich. »Diese Katze wird immer wild bleiben. Dave muss sie erschießen, weil sie sonst alle Vögel frisst. Erinnerst du dich?«
Kate kniete sich vor Nell hin. »Wenn wir erst einmal eingezogen sind, kaufen wir dir eine dicke, flauschige Katze, die den ganzen Tag nur auf dem Sofa sitzt und niemals irgendwelche Vögel jagt. Okay? Ein kleines Kätzchen, das nur dir gehört.«
Nell nickte strahlend. »Ja! Ein Kätzchen! Jetzt?«
»Nein, nicht jetzt. Aber später. Versprochen.« Kate spürte, wie Nell ihre kleine Hand in die ihre schob. Sie war warm und weich. Kate drückte sie sanft.
»Kommt schon, ihr Rasselbande«, sagte Janie. »Wer von euch will etwas zu trinken?«
»Ich! Ich!«, rief Nell. Jasmine und Brendan machten es ihr nach und fuchtelten dabei aufgeregt mit den Armen in der Luft herum. Sie tapsten hinter Nell her in die Küche wie Entenküken, die ihrer Mutter folgen. Janie nahm drei Plastikbecher aus dem frisch gestrichenen weißen Schrank.
»Saft?«, bettelte Jasmine.
»Nein, Schätzchen. Keinen Saft. Nur Wasser.«
Hinter ihnen an der Eingangstür war plötzlich ein Ächzen und dann ein lautes Krachen zu hören. Dann begann Sheila, die der Lärm offensichtlich aus dem Schlaf gerissen hatte, aufgeregt zu bellen. Als sie sich umdrehten, sahen sie, dass Dave sich auf der Veranda mit einem großen Schreibtisch aus Holz abmühte. Er hatte die Ärmel hochgekrempelt und seinen Hut in den Nacken geschoben, so dass seine hohe, glatte Stirn zu sehen war.
»Hier kommt der Schreibtisch für Frau Landwirtschaftsberaterin … also, für die Plackerei erwarte ich mindestens ein Jahr lang kostenlose Beratung.«
»Wo hast du den denn aufgetrieben?«, fragte Kate und kam auf die Veranda, um den riesigen Schreibtisch zu bestaunen.
»Beziehungen, Kate. Beziehungen.«
Kate und Dave packten gemeinsam an und schoben den Schreibtisch auf seinen Platz im Wintergarten. Dann hob Kate das Telefon vom Boden auf und stellte es auf den Tisch. Sie nahm den Hörer ab und lauschte dem Freizeichen, es klang wie das Zirpen einer Grille in ihrem Ohr. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, rollte Dave auch schon einen großen Bürosessel durch den Flur. Er rammte ihn in ihre Kniekehlen, so dass sie nach hinten fiel und mit ihrem Hintern unsanft auf der Sitzfläche landete. Dave schob den Stuhl mit Schwung an den Schreibtisch.
»So! Jetzt kannst du deine Geschäftsstelle offiziell eröffnen.«
»Das RCS wollte mich eigentlich mit allem ausstatten, was ich brauche.«
»Nun, dann habe ihnen eben etwas Geld gespart. Allerdings konnte ich noch keine Aktenschränke besorgen. Aber keine Sorge. Ich habe da einen Kumpel, der hat gewisse Beziehungen. Sieh das hier als Dauerleihgabe an. So, und jetzt mache ich mich besser wieder an die Arbeit. Gutes Gelingen, Beraterin Kate.«
»Danke«, rief Kate ihm über die Schulter gewandt nach, während Dave schon durch den Flur in den hellen Sonnenschein hinausging. Kate saß am Schreibtisch und legte ihre Hände auf die glatte Holzoberfläche. Was für ein großes Glück sie doch hatte, solche Freunde wie Dave und Janie zu haben.
Durch die kleinen quadratischen Fensterscheiben des Wintergartens konnte Kate sehen, wie die Rinder draußen auf der Weide ihre tägliche Ration Heu kauten. Sie drängten sich auf der kurzen grünen Weide zusammen, die auf den Sonnenschein und den Regen des Frühjahrs warteten. Hinter der Weide lag ein Damm, der zwischen dem dunklen Nadelgestrüpp wie flüssiges Silber aussah. Weiter dahinter erhoben sich Hügel, die mit Busch bedeckt waren. Es war ein schöner Ausblick. Aber nicht so schön wie der auf Bronty, dachte Kate wehmütig. Hinter ihr stürmten jetzt Janie und die Kinder in den Wintergarten, erfrischt von ihrem Getränk und jeder mit einem Stück Apfel in der Hand.
»Wow. Der Schreibtisch sieht wirklich toll aus«, sagte Janie.
»Dein Mann ist wirklich ein Ass.«
»Ja, ich denke, er ist ziemlich gut. Aber er weiß das auch, und deshalb sagt er mir das auch ständig.«
Plötzlich klingelte das Telefon. Sein Ton hallte laut und durchdringend durch das kleine Haus. Janie und Kate starrten das flache weiße Telefon mit seinen Reihen grauer Tasten völlig entgeistert an, als wäre es plötzlich irgendwie lebendig geworden.
»Mein Gott! Das ging aber schnell. Irgendjemand scheint da ganz dringend eine Beratung zu brauchen.«
»Das ist sicher die Hauptgeschäftsstelle. Ich habe denen gesagt, dass sie heute den Anschluss überprüfen sollen.«
»Willst du denn nicht abnehmen?«
Kate setzte sich in ihrem Bürosessel aufrecht hin, strich sich die schwarzen Haare aus dem Gesicht und schluckte. Dann nahm sie den Hörer ab.
»Hallo«, sagte sie mit tiefer, geschäftsmäßiger Stimme. »Rural Consultancy Solutions, Sie sprechen mit Kate.«
»Äh … Hallo?«, hörte sie eine Stimme in breitestem Slang. »Ist das dieser landwirtschaftliche Beratungsservice?«
»Ja, richtig«, sagte Kate und schnitt Janie dabei eine Grimasse. »Was kann ich für Sie tun?«
»Äh? Ah, ja. Hier ist Mark Calves. Ich brauche Hilfe bei meinem neuen Computer. Ich habe nämlich keine Ahnung, wie ich das verdammte Ding an die Hydraulik meines Traktors anschließen soll.«
Jetzt erst fiel bei Kate der Groschen.
»Dave, du Idiot.« Sie knallte den Hörer auf die Gabel und in diesem Moment stand Dave auch schon mit seinem Handy am Ohr im Zimmer.
Er kam zu ihr an den Schreibtisch und sagte, noch immer mit der »Mark Calves«-Stimme: »Also, Kate. Ich hab hier was, was dich vielleicht wieder mit mir versöhnen könnte.« Er zog die unterste Schreibtischschublade auf und nahm eine braune Papiertüte heraus. Er öffnete die Tüte und hielt ihr voller Stolz eine Flasche Bundy-Rum und ein paar Dosen Cola vor die Nase.
»Du bist einfach genial!«, sagte Kate, riss ihm die Flasche aus der Hand und küsste das Label. »Das ist genau das, was wir für eine Eröffnungsfeier brauchen.«
»Ich hole Gläser.« Dave verließ das Zimmer und ging in die Küche. Einen Moment später klingelte das Telefon schon wieder.
»Nein, Dave, diesmal nicht«, rief Kate lachend. Sie nahm den Hörer ab. »Huwo. China-Lestaulant und Take Way … heute Spezial ist Komvon-yung-Man-Suppe. Sel, sel gut. Sie wollen bestellen? Ja?«
Dave kam in den Wintergarten zurück. In seinen Händen hielt er drei Gläser. Sein Handy steckte an seinem Gürtel. Janie sah Kate entsetzt an und bedeutete ihr mit einem Wink, sie solle auflegen.
»Tut mil leid. Tut mil leid. Falsche Nummel. Falsche Nummel«, stieß Kate schnell hervor, bevor sie den Hörer auf die Gabel knallte. »O mein Gott! Ich dachte, das wärst wieder du!«, sagte sie mit rotem Kopf und schreckgeweiteten Augen. »Wann werde ich es jemals lernen? Was für ein Start! Diesmal wollte ich alles richtig machen. Ganz professionell. Aber anscheinend habe ich es schon wieder versaut.«
Janie kicherte.
»Wer war dran?«
»Keine Ahnung!« Sie fingen alle zu lachen an. Die Kinder ließen sich von ihrer Fröhlichkeit anstecken und stimmten in ihr Lachen ein. Es dauerte nicht lange, und das Telefon läutete wieder.
»Psst!«, sagte Janie. »Kinder! Seid still.« Sie ging mit den Kleinen aus dem Zimmer. Kate sammelte sich, bevor sie den Hörer abnahm.
»RCS. Kate am Apparat.« Durch und durch professionell.
»Ja«, sagte sie, während sie Dave ansah, mit den Fingern schnippte und auf ihre Tasche zeigte, die auf dem Boden lag. Als er sie ihr brachte, riss sie sie ihm förmlich aus der Hand, um dann ihren Terminkalender und einen Stift herauszunehmen. Sie zog die Kappe des Stiftes mit den Zähnen ab und begann durch ihren Kalender zu blättern, dann spuckte sie die Kappe einfach aus.
»Unsere Hauptgeschäftsstelle hat Sie sicherlich schon darüber informiert, dass ich gerade erst dabei bin, mein Büro einzurichten. Bevor ich offiziell anfangen kann, muss ich noch einige Unterlagen aus Hobart holen. Aber ich kann Ihnen für nächsten Monat einen Termin anbieten.«
Es folgte eine Pause. Kate biss sich auf die Unterlippe, während sie zuhörte.
»Ein Termin? Ja. Das erste Gespräch dauert in der Regel etwa drei Stunden. Okay, ich werde Sie für den Dritten um zehn Uhr eintragen. Das ist ein Mittwoch.«
Kate lauschte wieder der Stimme am anderen Ende der Leitung und nickte dabei. »Kein Problem. Ich schicke Ihnen vorab schon einmal Informationsmaterial zu. Dort finden Sie auch alles, was Sie für unser Gespräch brauchen, und einen Fragebogen. Den können Sie aber schon vorher ausfüllen. Okay. Danke. Auf Wiederhören.«
Sie legte auf, erhob sich von ihrem Schreibtisch, ließ sich von Dave ein Glas in die Hand drücken und trank dann erst einmal einen großen Schluck.
»Wer war es denn?«, fragte Janie und steckte neugierig ihren Kopf zur Tür herein.
Kate hockte sich auf ihren Schreibtisch. Sie war kreidebleich.
»Kate? Wer war das?«
»Alice McDonnell.«
»Was! Nicks Mutter?«, kreischte Janie.
Kate schlug sich die Hand vor den Mund. »Himmel! Ich unterliege der Schweigepflicht. Wann lerne ich das endlich! Also, ihr habt von mir nichts erfahren, okay?«
»Keine Panik«, sagte Janie. »Wir schweigen wie ein Grab.« Sie warf Kate einen vielsagenden Blick zu.
»Schenk mir noch mal ein.« Kate hielt Dave ihr Glas hin.
»Nun, ich würde sagen, dass wir jetzt ganz offiziell auf die Eröffnung deines Büros anstoßen können«, sagte Dave.
»Wenn du mich fragst, war das ein Start mit Hindernissen«, sagte Janie.
»Ausgerechnet die McDonnells«, murmelte Kate. »Ausgerechnet!«
Als sie ihre Gläser erhoben und auf das Geschäft tranken, kam ein lauter Knall aus der Küche, unmittelbar gefolgt von lautem Weinen.
»O mein Gott! Was haben die Racker denn jetzt schon wieder angestellt! «, rief Dave und machte sich mit Janie auf den Weg in die Küche.
»Ich bin mir nicht sicher, ob das alles funktioniert. Ganz und gar nicht sicher«, sagte Kate, als sie hinter den beiden herging. Dave und Janie waren zu sehr damit beschäftigt, Brendan aus einem umgekippten Stuhl zu befreien, um ihr antworten zu können.