Kapitel 7

Janie legte Platzsets auf den Küchentisch und löffelte dann Spaghetti aus einer Dose, die sie in der Mikrowelle erhitzt hatte, auf kalte Toastscheiben. Sie strich sich eine Strähne ihrer blonden, welligen Haare hinters Ohr, bevor sie mit hektischen Bewegungen ein paar Käsescheiben auspackte, um sie auf dem dampfenden, orangefarbenen Brei zu verteilen.

»Essen ist fertig!«, rief sie. Aus dem Badezimmer drang lautes Kreischen an ihr Ohr, dann hörte sie Daves tiefe Stimme, die das Geschrei übertönte. Ihr beiden kleinen Schlingel waren offenbar wieder einmal nicht aus der Badewanne zu bekommen.

»Bendan! Jasmine! Tut, was Daddy euch sagt!«, rief sie über die Schulter. Sie war gerade dabei, zwei Kindertassen mit Wasser aus dem Hahn zu füllen, als sie draußen das Geräusch eines Dieselmotors und das Bellen der Hunde hörte. Sie versuchte, durch das verschmierte Küchenfenster über der Spüle etwas zu erkennen, und sah einen roten Pick-up, der langsam über den Hof rollte und dann anhielt.

»Ja!«, sagte sie laut. Das musste Kate sein. Sie sah noch einmal genau hin, um sich zu vergewissern, dass das nicht nur jemand war, der ihnen sagen wollte, dass wieder einmal einer ihrer Bullen auf der Straße stand. Oder irgendeiner dieser völlig unerfahrenen Städter, der einen Waffenschein hatte und unbedingt einmal herumballern wollte. »Dave, ich glaube, sie sind da!« Sie hielt inne, als sie sah, wie Kate auf der Fahrerseite ausstieg.

»O mein Gott«, flüsterte Janie. Kate sah so gut aus wie eh und je, wenn sie auch etwas fülliger geworden war, als Janie sie in Erinnerung hatte. Der Anblick ihrer alten Freundin überschwemmte sie mit einer wahren Flut von Erinnerungen. Plötzlich fühlte sich Janie wieder in jene dunklen Jahre ihrer Jugend zurückversetzt, als sie Kate zum ersten Mal getroffen hatte. Sie hatte das verdreckte Haus auf der Rückseite der Tankstelle vor Augen, in dem sie aufgewachsen war. Erinnerte sich an den nach Winfield Blue riechenden Atem ihrer Mutter, der sich mit dem Gestank von Whisky mischte. An die abgelaufene Milch im Kühlschrank und den Speiseschrank, in dem außer einer alten Packung Crunchy Nut Cornflakes, die von unzähligen kleinen schwarzen Kügelchen Mäusedreck umgeben war, nichts Essbares zu finden gewesen war.

Dann war Kate in ihr Leben getreten und hatte ihr bewusst gemacht, dass sie etwas Besseres verdient hatte. Als Janie begann, sich innerlich von der Bruchbude, die ihr Zuhause war, zu lösen, stellte sie mit Erstaunen fest, dass sie durchaus nicht so unfähig und unbegabt war, wie ihre Mutter das stets behauptete. Sie besaß die Gabe, andere immer und zu jeder Zeit trösten zu können, und es gelang ihr auch stets, den Kunden der Tankstelle das Gefühl zu geben, etwas ganz Besonderes zu sein. Es lag ihr einfach, sich um andere zu kümmern, sie zu bemuttern und sie, wenn es sein musste, auch aufzuheitern. Sie stellte mit großer Freude fest, dass sie die Fähigkeit besaß, anderen genau das zu geben, was sie selbst nie bekommen hatte. Und im Zentrum all dessen stand Kate. Janie hatte ihre Freundin in den Kokon ihrer menschlichen Wärme gehüllt und sich in den dunkelsten Tagen von Laneys Krankheit um sie gekümmert. Ihr war dabei jedoch immer bewusst gewesnen, dass sie selbst Kate ebenso sehr brauchte wie Kate sie. Jetzt war Kate wieder da, war mit ihrem Kind nach Hause gekommen, und all die Gefühle aus jenen Jahren wurden in Janie wieder lebendig.

»Was?«, schrie Dave laut aus dem Badezimmer, um das Weinen der Zwillinge zu übertönen. Janie antwortete ihm nicht. Ohne sich auch nur die Zeit zu nehmen, ihre Stiefel anzuziehen, rannte sie aus dem Haus und hüpfte dann in ihren löchrigen Socken über den Kies.

»Aaaaah! Kate! Ich freu mich ja so!«, sagte sie und drückte Kate dabei fest an sich.

»Und ich erst!«

Sie lachten, während ihnen gleichzeitig die Tränen in die Augen schossen.

»Lass dich ansehen. Gut siehst du aus!«, sagte Janie und hielt Kate auf Armeslänge von sich.

»Du auch!«

»Ja, ja! Hausfrau, Mutter, Farmerin. Glamourös wie immer.« Janie strich ihr zerknittertes Flanellhemd glatt. Kate fiel auf, wie müde sie aussah und wie viel sie seit der Geburt der Zwillinge zugenommen hatte.

»Du hast dich überhaupt nicht verändert!«, sagte Janie.

»Du auch nicht!«

Ihnen war jedoch beiden bewusst, dass nichts mehr so war wie früher. Seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten, hatte sich alles verändert. Einfach alles.

»Ich habe den Kindern gerade etwas zu essen gemacht. Ich muss mich nur noch umziehen, dann kann’s losgehen. Dave ist heute mit dem Baden und Zubettbringen dran«, sagte Janie und boxte Will zur Begrüßung scherzhaft gegen den Oberarm.

»Wie schön für ihn«, sagte Will. »Dann kommst du also mit ins Pub?«

»Darauf kannst du einen lassen. Aber das Wichtigste zuerst! Ich möchte Nell kennen lernen! Wo ist denn die Kleine? Ich will sie sehen. « Jane riss die Tür des Pick-ups auf.

»Ach! Seht sie euch an. Sie ist einfach goldig!«

Nell lächelte Janie an, als sie deren freundliches rundes Gesicht sah.

»Sie sieht so süß und unschuldig aus«, sagte Janie an Kate gewandt. »Von dir kann sie das wohl nicht haben.«

»Ha, ha. Sehr witzig«, sagte Kate.

»Hallo, Nell. Ich bin Janie. Die beste Freundin deiner Mama. Wir kennen uns schon ganz lange.«

Nell sah sie an. Dann wurde ihr Grinsen noch ein wenig breiter, so dass zwei Reihen kleiner weißer Zähne zum Vorschein kamen.

»Sie hat dir oft Geschenke geschickt. Und Fotos von ihren kleinen Zwillingen. Erinnerst du dich?«

Nell nickte.

»Willst du aussteigen und dir ein bisschen die Beine vertreten?« Janie löste den Sitzgurt. »Komm mit ins Haus, da kannst du Brendan und Jasmine kennen lernen. Sie sind zwar jünger als du, aber du wirst sie bestimmt mögen.« Dann drehte sie sich zu Kate um. »Normalerweise koche ich den Kindern immer etwas Ordentliches, aber jetzt war die Zeit einfach zu knapp. Es macht Nell hoffentlich nichts aus, dass es heute nur etwas aus der Dose gibt.«

Kate schüttelte den Kopf und dachte dabei schuldbewusst an die vielen eilig zusammengerührten Mahlzeiten, die sie Nell schon vorgesetzt hatte.

Janie redete weiter. »Die Kinder können noch eine Weile zusammen spielen. Dave bringt sie ins Bett, falls es bei uns ein bisschen später werden sollte. Hast du ein Kinderbettchen oder etwas Ähnliches für Nell dabei?«

»Hinten im Wagen liegt ein Schlafsack. Ich bring ihn gleich«, sagte Kate und schlug die Abdeckplane zurück. »Nell schläft überall und isst alles. Nicht wahr, mein Schatz? Wir sind auch nicht lange weg. Nur auf einen einzigen Drink.«

Janie sah zuerst Kate an, dann Will, wobei sich ein zweifelnder Ausdruck auf ihrem mit Sommersprossen übersäten Gesicht ausbreitete.

»Du! Nur einen einzigen? Das glaube ich nicht.«

»Natürlich bleibt es bei einem.«

»Klar«, sagte Janie. »Will, du könntest mich ruhig mal ein bisschen unterstützen.«

»Jetzt sieh mich nicht so an, Janie, wir wissen doch beide, wie sie ist.«

Ja, Janie wusste in der Tat, wie Kate war. Sie schnitt eine Grimasse.

»Seit die Zwillinge auf der Welt sind, habe ich keinen Fuß mehr in ein Pub gesetzt. Dann taucht Kate auf, und der erste Drink steht schon so gut wie auf dem Tisch! Aber warum eigentlich nur einer?«

Als sie auf das mit Brettern verschalte Haus zugingen, boxte Kate mit den Fäusten in die Luft.

»Ich wusste, dass du mich nicht hängen lässt, Janie. Und jetzt beeil dich.«

»Ich darf mich aber vorher noch duschen, oder?«

»Klar«, sagte Kate, obwohl sie am liebsten sofort losgefahren wäre.

Als sie auf das Haus zugingen, spürten die beiden Freundinnen trotz ihrer Wiedersehensfreude auch einen leisen Groll in sich aufsteigen, ein Gefühl, das sich immer wieder einmal meldete so wie ein Fisch, der von Zeit zu Zeit an einer Angelschnur zupft. Janie war noch immer ein wenig sauer, dass Kate damals nicht zu ihrer Hochzeit nach Tasmanien gekommen war. Kate wiederum war ein wenig verstimmt, weil Janie nie zu ihr aufs Festland gekommen war, um sie und Nell zu besuchen. Dann war da noch diese eine Sache. Dieser Rouseabout Ball, der wie ein feiner Nebel zwischen ihnen hing.


Ein zarter Dunstschleier dämpfte das Licht des Mondes, der, groß und rund, hinter den Eukalyptusbäumen am Hang aufgegangen war. Die Straße vor dem Pub lag dunkel und verlassen da. Nur Kates Pick-up und ein viereckiger, rostiger Land Cruiser waren zu sehen. Das Geschäft auf der anderen Straßenseite war geschlossen. Die Zapfsäulen waren abgesperrt. Das Bild einer Stadt, die auf den nächsten Tag wartet.

Sheila schlief zusammengerollt auf dem Beifahrersitz des Pick-ups, während Wills Hunde auf der ramponierten alten Abdeckplane hinten auf der Ladefläche vor sich hin dösten. Nur ihre Ohren bewegten sich, immer wenn aus dem Hotel irgendein Geräusch kam.

Das Millbrook Hotel war aus von Sträflingen behauenen Sandsteinen erbaut worden. Im Laufe der Jahre hatte es mehrmals einen dicken weißen Anstich erhalten. Deshalb leuchtete das weiße Pub mit dem steilen, eisengrauen Dach in der Nacht strahlend hell im Mondlicht. Gelbes Licht schimmerte in seinen kleinen Fenstern, die wie Katzenaugen aussahen. Als Kate vor dem Pub stand, fuhr sie mit den Händen über den glatten, senkrechten Holzpfosten der Veranda und lachte.

»Ha! Dieser Laden hat sich anscheinend nicht im Geringsten verändert. «

»Doch, das hat er.« Janie verdrehte die Augen. »Dave meint, dass er noch schlimmer geworden ist.«

»Noch schlimmer! Wie soll das denn gehen?«

»Old Boggy Jocks hat letztes Jahr den Löffel abgegeben. Jetzt sind es der Schwachkopf und die Hure, die den Laden führen.«

»Der Schwachkopf und wer?«

»Boggys Tochter Bev und ihr Spielzeug, dieser Jason. Bev ist alt genug, um Jasons Mutter zu sein. Aber sie liebt ihn. L. I. E. B. T. ihn!«

Spielzeug. Bei diesem Wort zuckte Kate innerlich zusammen. Das war ein Wort, das ihr manchmal in den Sinn kam, wenn sie an jene eine Nacht dachte. Aber er war kein Spielzeug gewesen. Oder etwa doch? Er war damals siebzehn, nur zwei Jahre jünger als sie. Über dem gesetzlichen Mindestalter. Dann schloss Kate einen Moment die Augen und dachte wohl zum millionsten Mal: Wie dämlich. Wie konnte ich nur so dämlich sein?

»Kommt«, sagte sie und zwang sich damit, an etwas anderes zu denken. »Will zahlt die erste Runde.« Sie zerrte einen lauthals protestierenden Will am Ärmel auf die Eingangstür zu, riss diese auf und stürmte dann in das Pub.

»Großer Gott, seht euch nur die Typen an, die in diesem Laden versammelt sind!«, sagte Kate, stemmte ihre Hände in die Hüften und starrte dann die Reihe leerer Schemel an, die an der Bar aufgereiht standen.

»Ja, hier wimmelt es immer von wirklich heißen Typen«, sagte Janie.

Die drei gingen auf die verwaiste Bar zu. Kate musterte die Wand dahinter, die mit Fotos beklebt war. Seit sie vor vier Jahren das letzte Mal hier gewesen war, war anscheinend kein einziges neues hinzugekommen. Da war der Schnappschuss, der Old Boggy, den verstorbenen Gastwirt, mit dem Fisch zeigte, den er eines schönen Sommertags gefangen hatte, noch bevor sein überarbeitetes Herz so plötzlich seinen Dienst versagte. Der Laster seines Neffen, nachdem dieser sich in der Nähe des Lake Leake mit dem schweren Fahrzeug überschlagen hatte. Fotos von einem der verrückten Witzbolde, der den BH eines Mädchens angezogen hatte und dessen Kumpel seine Unterhose auf dem Kopf trug. Ein Schnappschuss, der den alten Clarry an ebenjenem Abend zeigte, als dieser mit seinem Pferd schnurstracks in die Bar geritten war und für sie beide ein Bier bestellt hatte, für sein Pferd aber nur ein leichtes, da es noch nach Hause finden müsse. Billardwettbewerbe, Kricketendspiele, Footballabende, Dartturniere, all das war in einer Art verblasster, eselsohriger Collage aus längst vergangenen Tagen hier versammelt. An einer Wand stand ein großer Kanonenofen. Direkt darüber kämpften Rugbyspieler auf der Mattscheibe eines leise vor sich hin murmelnden Fernsehers verbissen um den Ball.

Kate warf einen Blick auf den kleinen Bildschirm und versuchte, den Punktestand zu erkennen. In diesem Moment kam eine spindeldürre Frau mit langem rabenschwarzem Haar und viel zu viel Mascara auf den Wimpern aus dem Hinterzimmer des Pubs. Sie eilte hinter die Bar und tat dabei sehr geschäftig. Kate bemerkte, dass die Brüste der Frau von einem karminroten Spitzen-BH, der unter einem tief ausgeschnittenen schwarzen Top hervorblitzte, nach oben geschoben wurden.

»Ich dachte, ich hätte Gäste gehört«, sagte sie und legte ihre mit unzähligen silbernen Ringen geschmückte Hand flach auf die Bar. »Was kann ich für euch tun?«

Will bestellte drei Biere.

»Wie wäre es mit einem Slippery Nipple, nur zum Nachspülen meine ich?«, schlug Kate vor. »Ich sollte vielleicht gleich mit etwas Ordentlichem anfangen, um keine Zeit zu vertrödeln.«

»Tut mir leid, Liebes, aber wir haben keine Slippery Nipples. Aber ich kann dir ein Mudslide aus dem Kühlschrank holen. Willst du eins?« Kate nickte. Die Frau wandte ihren Kopf und brüllte über ihre Schulter: »Jason! Die Kleine hier will ein Mudslide.«

»Drei«, korrigierte Kate.

Die Frau zog ihr Kinn ein und sah Kate mit einem zynischen Blick an, dann schrie sie wieder über ihre Schulter: »Mach drei draus, Jason. Bitte!«

»Cascades und Mudslides … nur Wasser ist nasser?«, sagte Kate und trank dann einen großen Schluck Bier. Ein junger Mann mit einer Igelfrisur und einer klobigen, silbernen Halskette brachte die Mudslides an die Bar. Er stellte sie vor seine Gäste hin und lächelte sie mit leerem Blick an. Eines seiner Augen wanderte dabei nach links.

»Du bist wirklich ein Schatz«, sagte die Frau, während sie die Arme um ihn schlang.

»Danke«, sagte Kate. Sie nahm die Flaschen und ging dann an einen klebrigen Tisch, der mit einem billigen Plastikfurnier beschichtet war. Als sie der Bar den Rücken zuwandte, war sie sich sicher, die Frau leise »Blöde Festland-Zicke« murmeln zu hören. Kate flüsterte Janie zu: »Der Typ ist nicht nur ein Idiot, er ist ein Vollidiot, wenn er sich mit ihr einlässt. Sie ist ganz schön krass.« Sie zog sich einen Plastikstuhl heran.

»Pssst!«, sagte Janie. »Seit Boggy Jocks Tod ist die Hure ziemlich empfindlich. Wenn sie glaubt, du machst dich über sie lustig, musst du damit rechnen, dass sie dir in dein Bier spuckt. Dave ist der Meinung, dass die beiden gar nicht so übel sind. Bev braucht einfach nur eine Weile, bis sie mit Fremden warm wird, vor allem mit Leuten vom Festland.«

»Ich komme aber nicht vom Festland«, erwiderte Kate bissig.

Janie schnitt ihr eine Fratze.

»Was immer auch geschehen mag, bestell dir hier nie etwas zu essen.«

Als Janie es sich am Tisch bequem gemacht hatte, warf sie Will einen kurzen Blick zu, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder Kate zuwandte.

»Also: Wann sprichst du mit ihm?« Sie spielte mit einem kaputten Bierdeckel herum, auf dem Beutelwölfe abgebildet waren, die grinsten, was wie ein Zähnefletschen aussah.

»Mit wem soll ich sprechen?«, fragte Kate und wusste dabei ganz genau, wen Janie meinte.

»Du weißt, dass du mit ihm reden solltest.«

»Warum?«

»Du weißt, warum. Er muss es wissen.«

»Nein, muss er nicht.« Kate spürte Zorn in sich aufsteigen. Ihre Wangen begannen zu brennen. Wie konnte Janie es nur wagen, hier und jetzt dieses Thema anzusprechen? Sie merkte, dass Will unbehaglich auf seinem Stuhl hin und her rutschte.

»Er hat sich vor Kurzem verlobt. Ich habe die Anzeige in der Sonntagszeitung gesehen. Hast du das gewusst?«

»Ist er dafür nicht noch ein bisschen jung?« Kate trank wieder einen großen Schluck von ihrem Bier.

»Nun, er ist einundzwanzig«, sagte Janie. »Das kommt nur euch Akademikern jung vor. Hier in dieser Gegend ist es das nicht, jedenfalls ist er nicht zu jung, um zu heiraten. Er ist ein prima Kerl.«

Das saß. Kate spürte eine Verteidigungshaltung bei Janie, die daher rührte, dass sie beide aus so unterschiedlichen Welten kamen. Kate merkte, wie sie immer nervöser wurde.

»Er ist also verlobt, na und? Was hat das mit mir zu tun?«, fragte sie.

»Er sollte es wissen, bevor er heiratet. Es wäre ihm gegenüber nicht fair, und es wäre auch nicht fair gegenüber …«

»Nicht fair? Nein, ich will nicht, dass er es erfährt. Was würde das schon ändern? Können wir jetzt bitte über was anderes reden, Janie? Wir sind hier, um uns zu amüsieren.«

»Aber …«

»Hör zu. Ich habe keine Lust, mit dir über diesen verdammten … diesen verdammten jungfräulichen Jungen zu diskutieren, o.k.? Das ist Vergangenheit. Aus und vorbei.«

»Jungfräulichen Jungen? Nun, ich glaube nicht, dass er das noch war, nachdem du mit ihm fertig warst«, antwortete Janie trocken.

Kate funkelte sie böse an, aber Janie blieb hartnäckig.

»Er muss wissen, dass er eine Tochter hat, Kate. Du musst mit ihm reden.«

Kate verdrehte die Augen.

»Janie hat Recht«, schaltete sich jetzt auch Will ein. »Du solltest ihm von Nell erzählen.«

»Warum?« Kate, die sich jetzt unter Druck gesetzt fühlte, spürte, wie in ihrer rechten Schläfe ein Nerv zu zucken begann. Will hielt ihre Hand fest, als sie ihre Bierflasche nehmen und einen Schluck trinken wollte. Er zwang sie, ihm in die Augen zu sehen.

»Weil du ganz genau weißt, dass das das Richtige ist. Hinzu kommt, dass sein Dad vor Kurzem einen Autounfall hatte, von dem er sich voraussichtlich nie wieder erholen wird. Ich denke, es wäre wichtig für Nell, wenn sie ihren Großvater noch kennen lernt, bevor es zu spät ist. Es geht hier auch um Nell, Kate. Es dreht sich nicht immer nur alles um dich.«

Kate starrte auf ihren Schoß.

»Außerdem hat Nell auch ein Recht darauf zu wissen, wer ihr Vater ist«, sagte Janie.

Kate sah die beiden lange an und nickte stumm. Sie kippte den Rest ihres Biers hinunter und köpfte den Mudslide. Sie wusste, dass sie verloren hatte.

»Okay. Okay. Ist ja schon gut. Ich werde mich drum kümmern. Vertraut mir. Aber gebt mir etwas Zeit.«

Sie schob den Stuhl zurück, nahm wieder einen Schluck aus der Flasche und schlenderte dann langsam zur Jukebox hinüber. Nachdem sie sich für ein Lied entschieden hatte, drehte sie sich um und grinste Will und Janie frech an. Die beiden verdrehten die Augen, als Madonnas »Like a Virgin« durch das triste Pub plärrte. Kate begann mit aufreizenden Hüftbewegungen auf sie zuzutanzen.

»Sehr komisch«, sagte Janie, wohl wissend, dass Kate sie wegen der lauten Musik nicht hören konnte.


Zwei Stunden später saßen alle drei Hunde auf den Barhockern im Millbook Hotel. Sie hatten die Ohren gespitzt und sahen Kate aufmerksam an. Sheila hockte matronenhaft auf ihren ausladenden Hinterbacken. Wills Hund Grumpy sah auf seinem Barhocker ernst und majestätisch aus. Seine fröhliche junge Kelpiehündin BH rutschte nervös auf dem glatten Vinylbezug des Hockers hin und her, während ihr rot- und gelbbraunes Fell und ihre Augen in der Barbeleuchtung leuchteten.

»Wieso heißt sie eigentlich BH?«, fragte Jason.

»Weil sie sie zusammenhält und sie in die richtige Richtung dirigiert«, sagte Will.

Bev warf den Kopf zurück und stieß ein heiseres Raucherlachen aus, während Jason den Kelpie mit verständnislosem Blick ansah.

Alle sechs Hundeaugen waren auf Kate gerichtet, als sie ein Päckchen Twisties zwischen ihren nikotingelben Fingern in die Luft hielt. Dann befahl sie den Hunden noch einmal »sitz«. Janie hielt eine Kamera in den Händen. Sie hatte genau wie Kate viel zu viel getrunken. Sie schwankte merklich und begann schon zu nuscheln.

»Okay, Jason, jetzt will ich was sehen«, sagte Janie. Der Idiot legte den Arm um Bev und zeigte beim Lächeln seine Zahnlücke.

»Ein bisschen näher zu den Hunden, Bev-ly«, fügte Janie dann noch hinzu

»Hast du sie auch drauf?«, fragte Kate.

»Ja.«

»Hast du auch genug Busen drauf?«

»Ja. Sie sind beide drauf. Größer als Texas, hm, Bev?«

»Das sind sie«, sagte Bev und lachte wieder heiser, während sie ihre Brüste mit beiden Händen packte und noch weiter nach oben schob.

»Und jetzt sagt alle ›Lesben‹«, forderte Janie sie auf.

»Lesben?«, fragte der Idiot.

»Das ist genauso wie ›cheese‹. Jetzt sagt ›Lesben‹, macht schon.«

»Lesben!«, brüllten sie daraufhin alle gleichzeitig. Alle bis auf den Idioten, der »Was?« sagte. Nach dem Blitz johlten sie ausgelassen. Die Hunde sprangen von den Barhockern hinunter, wobei die kleine BH vor Will bellend auf und ab hüpfte. Nur Sheila blieb bei ihnen und wartete geduldig auf ihr Twistie.

»Was würde wohl der Kontrolleur vom Gesundheitsamt sagen, wenn er jetzt zur Tür hereinkäme? Will schüttelte den Kopf und rief BH von einer umgekippten Schale mit Erdnüssen zurück, wo sie mit ihrer dicken rosa Zunge eifrig das Salz ableckte.

»Zum Teufel mit den verdammten Kontrolleuren«, sagte Kate. »Der Laden hier ist in Ordnung.«

»Findest du wirklich? Dann hast du noch nicht gesehen, wie es hinten aussieht«, schnaubte Bev verächtlich.

Janie legte die Kamera weg.

»Komm, Webster, du bist daran schuld, dass ich stinkbesoffen bin, und dabei habe ich doch morgen früh diese dämliche Spielgruppe! Und ich muss noch den verdammten Spielteig machen. Lasst uns gehen.«

»Ach, scheiß doch auf den Spielteig«, sagte Kate und schnippte mit den Fingern. »Noch einen Wodka für alle, Jason.«

»Aber …« Janie sah Jason dabei zu, wie er die Ränder der Gläser an die Zapfhähne drückte, die wie große schwarze Spinnen über der Bar hingen.

»Für mich bitte nichts mehr, Jase. Ich habe zu viel, wenn ich noch einen trinke.«, sagte Will.

»Wir könnten doch Dave anrufen, damit er uns abholt«, sagte Kate.

»Und die Kinder allein im Haus lässt?«, fragte Janie.

»Das ist doch kein Problem. Sie schlafen doch.«

»Ach, Kate! Was für ein armes kleines Ding deine Tochter doch ist«, seufzte Will. »Wie hat sie bis jetzt nur überlebt?«

Kate sah sie beide mit angestrengtem Blick an.

»Wer seid ihr? Die Elternpolizei?«

Kate nahm das Wodkaglas, das vor Will stand. Sie legte ihren Kopf in den Nacken und kippte sich dessen Inhalt in ihren geöffneten Mund. Dann beugte sie sich über die Bar und füllte es mit Wasser aus dem Hahn. »Da kann man nichts machen, Will. Zufrieden? Jetzt kannst du zumindest so tun, als würdest du mit uns trinken.«

»Toll, danke«, sagte Will und nahm das kleine Glas mit Daumen und Zeigefinger.

»Warte!«, sagte Kate. »Ich habe zuerst noch etwas zu erledigen …«

Will und Janie stöhnten gleichzeitig auf, als Kate zur Jukebox hinüberging und noch einmal »Like a Virgin« auflegte. Sie kam zu ihnen zurück, wobei sie in einer schmollenden Parodie von Madonna den Text des Liedes mit den Lippen formte. Gerade als Kate mit ihren Fingern durch Janies Haare fuhr und sie mit ihrer Hüfte gegen ihr Bein stieß, öffnete sich hinter ihr die Tür. Während Kate wie die echte Madonna mit dem Po wackelte und dabei johlte, fiel ihr zunächst gar nicht auf, was für ein Gesicht Janie plötzlich machte.

»Was ist?«, fragte sie schließlich doch sichtlich irritiert. Janie schluckte und deutete mit den Augen zur Tür. Als Kate sich umdrehte, sah sie drei Personen, die ihre Tanzeinlage offensichtlich beobachtet hatten.

Kate erkannte als Erstes ihren Stiefbruder Aden mit seinem großstädtischen Bürstenschnitt, den er mit Gel in Form gebracht hatte. Ein boshaftes Grinsen lag auf seinem scharf geschnittenen, durchaus attraktiven Gesicht. Neben ihm stand ein schlankes Mädchen in einem hübschen, hellblauen Kleid und einem marineblauen Mantel, das irgendwie aussah wie eine Prinzessin, die sich verlaufen hatte. Sie schien die ganze Szene jedoch überhaupt nicht komisch zu finden. Hinter den beiden stand ein junger Mann.

Kate blinzelte angestrengt, als sie ihn, betrunken wie sie war, zu fixieren versuchte. Sie musterte den jungen Mann, der mit seinen mehr als einsachtzig Körpergröße ziemlich selbstbewusst dastand. Er trug einen Rugbypullover in Marineblau und Rot, hatte die breiten Schultern eines Holzfällers, eine schmalen Taille und Hüften, die durch seinen breiten, braunen Ledergürtel betont wurden und dadurch geradezu umwerfend sexy wirkten. Seine blonden Haare waren militärisch kurz geschnitten, und seine Wangenknochen waren noch perfekter als jene von Michelangelos David. Dann sah Kate in seine Augen. Es waren dieselben salzwasserblauen Augen, wie sie jener Junge gehabt hatte. Der siebzehnjährige Junge damals auf dem B&S. Kate spürte, wie ihr die Luft wegblieb.

»Mein Gott«, flüsterte sie tonlos, bevor sie den Blick abwandte. Das war Nick. Eine ältere, vollere, reifere Version von Nick. Aber es war ohne jeden Zweifel Nick. Er war unverwechselbar. Kate biss sich auf die Unterlippe, bis es wehtat. Nick McDonnell.

Will kämpfte sich durch das Gewusel von Hunden, die die Neuankömmlinge begeistert begrüßten und streckte ihm zur Begrüßung seine pummelige Hand entgegen.

»Nick McDonnell. Wie geht’s dir?«

»Prächtig, danke, Will.« Er ergriff freundlich Wills Hand. »Hallo Janie, wie geht’s dir?«

Kate konnte sich zwar nicht mehr erinnern, wie seine Stimme in jener Nacht geklungen hatte, dennoch war sie sich sicher, dass sie jetzt wesentlich tiefer war.

»Ich glaube, ich habe etwas zu viel getrunken«, sagte Janie. »Hab zur Abwechslung mal kinderfrei. Dave passt auf die Zwillinge auf.«

Nick nickte und lächelte. »Schön für dich.«

Kate sah, wie ein leises Lächeln um seinen kräftigen Mund spielte.

»Du erinnerst dich doch sicher an meine Schwester Kate?«, fragte Will und schob sie nach vorn.

Kate stand da und starrte unverwandt auf die Spitzen von Nicks glänzenden RM-Williams-Stiefeln. Dann zwang sie sich aufzublicken, wobei es ihr vorkam, als würde ihr die Nervosität regelrecht aus den Augen springen. Sie murmelte ein leises »Tag«.

Aden trat jetzt einen Schritt nach vorn, packte Kate und nahm sie übermütig in den Schwitzkasten.

»Du steckst ganz schön in der Scheiße, Kate Webster.«

»Lass mich los, Aden!« Sie versuchte sich seinem Griff zu entwinden, während ihr Herz hüpfe wie ein Stein, den man über eine Wasserfläche springen lässt.

»Wir wollten dich zu Hause mit großem Zirkus willkommen heißen, und was machst du? Du haust ab, bevor du überhaupt einen Fuß auf die Farm gesetzt hast. Mum ist total ausgerastet. Sie hat zuerst Mittagessen und dann auch noch Abendessen für dich gekocht.«

»Ach, wie lieb von ihr. Ich bin sicher, dass das von Herzen kam«, murmelte Kate.

Jetzt schaltete sich Will ein.

»Wollt ihr unhöfliches Volk uns denn nicht miteinander bekannt machen?« Er sah dabei das Mädchen an, das etwas abseits stand und sichtlich irritiert versuchte, Grumpy daran zu hindern, mit seiner nassen, feuchten Schnauze an ihrem Schritt herumzuschnüffeln.

»O ja, natürlich. Entschuldigt bitte«, sagte Nick und drehte sich zu der jungen Frau um.

»Lass mich das machen«, sagte Aden. »Wir sind uns gerade draußen vor der Tür über den Weg gelaufen. Das ist Nicks Verlobte, die bezaubernde Felicity. Green, stimmt’s? Felicity Green?«

»Richtig«, sagte sie.

»Felicity, ich glaube, Will und Janie kennst du schon. Und das hier ist meine böse Stiefschwester Kate.«

»Freut mich.« Kate streckte ihr die Hand entgegen. Felicity ergriff sie mit zur Seite geneigtem Kopf und einem freundlichen Lächeln auf den Lippen. Als Kate Felicitys zarte Finger in ihrer Hand hielt, spürte sie, wie rau und groß ihre eigene Hand war. Sie konnte ihr loses Mundwerk einfach nicht halten.

»Lehrerin oder Krankenschwester?«, fragte sie pointiert.

Felicity öffnete den Mund, so als wolle sie fragen »Woher wusstest du das?«, dann erst erkannte sie, dass Kate sich über sie lustig machte.

»Ähm … Krankenschwester.« Sie zog ihre Hand zurück und schüttelte sich mit einer ruckartigen Bewegung ihres Kopfes die Haare aus ihrem perfekten, herzförmigen Gesicht.

»Sehr erfreut, Nick und Flick. Und lasst euch sagen, bei euch war’s sicher Liebe auf den ersten Blick«, sagte Kate mit einem frechen Augenzwinkern.

»Wunderbar, Wordsworth«, sagte Will. »Hier ist ein Dollar, du Königin aller Dichter. Geh und leg was Anständiges auf.«

Kate schnitt Will eine Grimasse, ging dann aber doch zur Jukebox. Ihre Wangen waren feuerrot, als sie die Hunde zu sich rief, denn ihr war plötzlich bewusst geworden, dass noch immer »Like a Virgin« durch die kleine Bar schallte, was ihr mehr als nur peinlich war. Nick starrte den hässlichen braunen Linoleumboden des Pubs an und versuchte dabei mit aller Macht, ein Grinsen zu unterdrücken.

»Das ist bis jetzt noch niemandem aufgefallen. ›Nick und Flick‹«, sagte Nick. »Ziemlich komisch, wenn man genauer darüber nachdenkt. «

»Sie hatte schon ein paar Drinks«, sagte Will zur Entschuldigung.

»Wir haben alle schon was getrunken«, warf Janie ein.

»Aber wir werden uns nur einen einzigen Drink genehmigen. Nicht wahr, Nick?«, sagte Felicity.

»Ja.« Sein Blick ruhte jedoch auf Kate, die sich gerade gebückt hatte, um ihren alten roten Kelpie zu streicheln.

Kate schämte sich wegen der Bemerkung, die sie eben gemacht hatte. Sie hatte ein schlechtes Gewissen und kam sich sowohl unhöflich wie auch ziemlich dumm vor. Am liebsten hätte sie sich unter dem dunklen Billardtisch verkrochen und vor dem bezaubernden (und wahrscheinlich auch sehr netten) Paar versteckt, das sie gerade ohne jeden Grund so brüskiert hatte. Aden kam zu ihr herüber und legte von hinten seine Arme um ihre Taille. Er hob sie hoch und schwenkte sie herum.

»Du steckst ganz schön in Schwierigkeiten«, sang er dabei wie ein Schulkind.

Kate entwand sich ihm.

»Jetzt, wo mein Stiefbruder anfängt, mich zu befummeln, weiß ich, dass ich wieder in Tasmanien bin.«

»Ach, komm schon. Das ist doch nur ein bisschen brüderliche Liebe. « Er kam mit ausgestreckten Armen wieder auf sie zu.

»Red keinen Scheiß«, sagte sie und schob ihn weg.

»Ich soll dich nach Hause bringen.«

»Verpiss dich. Ich wäre schon längst zu Hause, wenn ihr nicht alle da wärt.« Sie drehte sich von ihm weg, wobei sie einen kurzen, verlegenen Blick zu Nick hinüberwarf, bevor sie zu Boden sah.

»Reg dich ab, Kate«, mischte Will sich jetzt wieder ein. »Aden hat Recht. Es ist wirklich an der Zeit, dass wir nach Hause fahren. Dein Verhalten ist Annabelle und Dad gegenüber einfach nicht fair. Die beiden freuen sich schon die ganze Zeit auf dich … und auch auf Nell.«

Als Will Nells Namen erwähnte, warf Kate wieder einen nervösen Blick zu Nick hinüber. Er lehnte inzwischen jedoch an der Bar und unterhielt sich mit Felicity.

»Ich denke, ich sollte heute bei Janie übernachten«, sagte Kate und wollte plötzlich nichts anderes mehr, als das Pub verlassen.

»Wäre es nicht besser, wenn du einfach mit nach Hause kommst?«, drängte Will.

»Wenn ich bei Janie bleibe, brauche ich Nell nicht zu wecken.«

»Schön. Es ist deine Entscheidung. Dann werde ich dich also dort absetzen«, antwortete ihr Will schroff. »Aden, könntest du Dad und Annabelle bitte ausrichten, dass es Kate leidtut, dass sie es nicht zum Abendessen geschafft hat und dass sie morgen früh nach Hause kommt. Das ist doch so, Kate?«

Kate zuckte mit den Schultern.

Sie verließen das Pub, betrunken und von ihren Hunden begleitet. Beim Hinausgehen riefen sie Jase und Bev noch ihren Dank zu. Nick stand mit Felicity an der jetzt wieder verlassenen Bar. Der Idiot und die Hure, zu betrunken, um sich um ihre beiden letzten Gäste kümmern zu können, knutschten auf einer Holzbank neben dem Kamin herum.

»Darf ich dir vielleicht einen Drink bringen, Flick?«, fragte Nick unsicher.

»Bitte nenn mich nicht Flick.«


Nur kurze Zeit später hallte Felicitys Stimme draußen vor dem Pub durch die verlassene Straße. »Wer war das?«, fragte sie, als sie ihren Mantel fröstelnd um ihren schlanken Körper wickelte.

»Wer?« Nick öffnete die Tür des Pick-ups und wartete darauf, dass sie einstieg.

»Dieses Mädchen.« Nick überlegte fieberhaft, als er die Tür zuknallte und zur Fahrerseite ging. Felicity versuchte, in der Dunkelheit etwas in seinem Gesicht zu erkennen. »Willst du es mir nicht sagen?«

Nick, der nach dem Gurt suchte, kam sich in dem kleinen Führerhaus eingesperrt vor. Er spürte, dass Felicity ihn mit ihren hellen Augen aufmerksam musterte.

»Welches Mädchen?«

»Du weißt ganz genau, wen ich meine.«

Nick schloss die Augen. »Niemand. Sie ist niemand.«

»Nicht …« Felicity legte ihre schlanke Hand auf sein Knie. Es war jedoch keine zärtliche Berührung. Es war vielmehr eine Warnung.

»Sie ist nur eine Freundin meines Bruders. Ich hab sie seit Jahren nicht mehr gesehen.«

»Eine Freundin deines Bruders?«, fragte Felicity. »Wann wäre Angus denn je mit einer Frau einfach nur befreundet gewesen?«

Nick wollte nicht darüber reden. Jedenfalls nicht jetzt. Ihm war noch immer ganz schwindelig von dem Wiedersehen mit Kate. Er trat aufs Gaspedal, und der V 8 Holden Pick-up schoss auf den Highway hinaus. Ein dunkelblauer, verwaschener Fleck in der schwarzen Nacht. Als er auf die Straße vor ihnen starrte, war er trotz Felicity, die neben ihm saß und offensichtlich vor Wut kochte, in Gedanken wieder bei Kate.

Soweit er es beurteilen konnte, hatte Kate sich kaum verändert. Sie trug ihre dunklen Haare noch immer lang. In ihrer Jeans machte sie eine perfekte Figur. Er liebte ihre Rundungen. Sie erinnerten ihn stets an jene Frauen von Rubens, die auf weichen, seidigen Kissen ruhten, halbnackt und nur in Tücher gehüllt. Nach dem B&S war er jenen Bildern im Kunstunterricht geradezu verfallen gewesen. Er hatte mit dem Finger die langen, wallenden Haare der Frauen nachgezeichnet und dabei immer wieder seine Nacht mit Kate vor Augen gehabt. Ihr Gesicht sah noch genauso aus, wie er es in Erinnerung hatte — umwerfend, ja geradezu atemberaubend hübsch, mit einer Haut glatt wie Karamellcreme. Sie hatte sich so gut wie gar nicht verändert. Vielleicht war an dem Gerücht ja überhaupt nichts dran, dachte Nick. Dem Gerücht, dass sie ein Kind mit irgendeinem Kerl vom Festland hatte.

Vor dem Schwesternheim, das sich in der nächsten Stadt befand, hielt er im Licht einer einsamen Straßenlaterne an. Felicity sah ihn missmutig an. »Ich würde sagen, diese Kate Webster ist ziemlich attraktiv. Findest du nicht auch? Ein bisschen mollig, aber trotzdem wirklich hübsch.«

»Nein. Ja. Ich meine, das ist mir noch nie aufgefallen. Du bist attraktiv. Du hast heute beim Abendessen einfach großartig ausgesehen. «

Er streckte die Hand aus und strich über ihr langes, glattes blondes Haar.

»Lass das«, fuhr sie ihn an, schob seine Hand weg und drehte dann den Verlobungsring auf ihrem knochigen Finger herum.

Nick seufzte. »Also, kommst du nach deinem Dienst noch zur Farm raus?« Er wandte sich ihr zu und begann an den Knöpfen ihres Mantels herumzuspielen.

»Vielleicht. Ich muss noch die Sättel für Samstag putzen.«

»Oh. Okay.«

»Also, wir sehen uns dann.« Sie griff nach ihrer Handtasche.

»Krieg ich denn keinen Kuss?«, fragte er.

Felicity löste ihren Sitzgurt und stieg aus dem Wagen.

»Nein, heute Abend nicht. Da ist etwas, was du mir verschweigst. Das spüre ich. Du sagst es mir nicht, also gibt’s auch keinen Kuss.« Sie schlug die Tür zu, und er hörte, wie ihre Absätze auf dem Weg zu dem kleinen Ziegelbau klapperten, in dem die Schwestern wohnten.

Nick sah zu, wie sie, ohne sich noch einmal umzudrehen, die Eingangstür hinter sich schloss. Er seufzte noch einmal, als er davonfuhr und zum Mond hinaufsah. Er stand jetzt hoch am Himmel, hing wie ein riesiger gelber Eidotter über dem weißen Nebel. Nick umklammerte das Steuer. Sie war also wieder da. Kate Webster war wieder im Land.